Und der Schamane lacht … - Britta Wulf - E-Book

Und der Schamane lacht … E-Book

Britta Wulf

0,0
16,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Fortsetzung der berührenden Reise- und Liebesgeschichte einer 8000-km-Fernbeziehung. Die Filmregisseurin Britta Wulf hat sich bei einem Dreh am fernen Baikalsee verliebt. In Sibirien, in Land und Leute − und in Anatoli. Mit ihrem Erfolgsbuch "Das Rentier in der Küche. Eine deutsch-sibirische Liebe" (5. Auflagen) war sie zu Gast in 5 Talkshows − von "Mittagsmagazin" bis "Markus Lanz" − und berichtete dort über ihre berührende Geschichte mit Anatoli. In der Fortsetzung "Und der Schamane lacht … verliebt in Sibirien" erleben wir nun einen Besuch Anatolis in Berlin, der noch nie eine Großstadt gesehen hat und sich wundert, dass man fürs Parken und WC bezahlen muss. Auch berichtet Britta Wulf über ihre weiteren Reisen nach Sibirien. Diesmal im Sommer, wo sich entspannte Tage an heiligen Quellen mit Wanderungen durch die unglaubliche Natur Sibiriens abwechseln und Begegnungen mit wilden Tieren nicht zu vermeiden sind. Britta Wulf lebt ihren Traum und bringt am Ende sogar einen Schamanen zum Lachen. "Mich hatte Sibirien verführt. Mit Gastfreundschaft, Liebe und Geborgenheit. Kälte und Einsamkeit − Begriffe die andere für dieses Land sofort aus der Schublade holen, galten für mich nicht. Und doch gibt es sie, die Einsamkeit. Selbstverständlich gibt es sie. Nicht nur weil das Land so weit ist, sondern weil es Einsamkeit überall gibt. Auch in der Menge. Trotzdem werde ich mit Sibirien immer etwas anderes verbinden – Liebe." Bebildert ist das Buch mit zahlrichen farbigen und s/w-Reisefotos. Pressestimmen zu "Das Rentier in der Küche": "Ein romantischer Reisereport, mit einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte als Würze obenauf." - MDR um 4 "Schlaflos in Sibirien (...) schöne Geschichte ..." - PNN Potsdamer Neueste Nachrichten "Eine zarte Liebesgeschichte (...) Ihre Sprache ist schnörkellos, aber ehrlich und geradlinig, dazu eindrucksvolle, teils farbige Farbbilder. (...) Gern empfohlen." - ekz-Bibliotheksdienst "Ein herrlich unaufgeregtes, aber dennoch spannendes und auch interessantes Buch – mit viel Herzblut und Liebe geschrieben. Achtung, Fernwehgefahr!" - Fränkische Nachrichten

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 264

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! mit der Transaktions-ID 4585098 erstellt und ist ausschließlich zum persönlichen Gebrauch bestimmt; jede anderweitige Nutzung bedarf der vorherigen schriftlichen Bestätigung durch den Rechtsinhaber. Eine über den persönlichen Gebrauch hinausgehende Nutzung (insbesondere die weitere Vervielfältigung oder öffentliche Zugänglichmachung) verstößt gegen das Urheberrecht und ist untersagt.

Die Autorin: Britta Wulf (* 1964 in Potsdam) studierte an der Filmhochschule Potsdam. Arbeitet seitdem als freie Fernsehjournalistin und Regisseurin. Sie hat zwei erwachsene Kinder und lebt im Havelland. Von dort zieht es sie immer wieder für Filmprojekte in andere Länder. So dreht sie seit einigen Jahren Filme über Minderheiten. In Sibirien suchte ihr Filmteam Spuren der Kultur der Ewenken in der Baikalsee-Region. Das Interesse zielt bei der Filmreihe besonders auf Menschen, die Sprache und Traditionen kleiner Gruppen bewahren wollen. Mit ihrem Debut „Das Rentier in der Küche. Eine deutsch-sibirische Liebe“ begeistert sie auch als Buchautorin.

Das Buch: Die Filmregisseurin Britta Wulf hat sich bei einem Dreh am fernen Baikalsee verliebt. In Sibirien, in Land und Leute − und in Anatoli. Mit ihrem Buch „Das Rentier in der Küche. Eine deutsch-sibirische Liebe“ war sie zu Gast in 5 Talkshows − von „Mittagsmagazin“ bis „Markus Lanz“ − und berichtete dort über ihre berührende Geschichte mit Anatoli. In der Fortsetzung „Und der Schamane lacht … verliebt in Sibirien“ erleben wir nun einen Besuch Anatolis in Berlin, der noch nie eine Großstadt gesehen hat und sich wundert, dass man fürs Parken und WC bezahlen muss. Auch berichtet Britta Wulf über ihre weiteren Reisen nach Sibirien. Diesmal im Sommer, wo sich entspannte Tage an heiligen Quellen mit Wanderungen durch die unglaubliche Natur Sibiriens abwechseln und Begegnungen mit wilden Tieren eigentlich nicht zu vermeiden sind. Britta Wulf lebt ihren Traum und bringt am Ende sogar einen Schamanen zum Lachen.

Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! mit der Transaktions-ID 4585098 erstellt.

BRITTA WULF

Und derSchamane lacht …

VERLIEBT IN SIBIRIEN

Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! mit der Transaktions-ID 4585098 erstellt.

1. Timmerberg, Helge:

Tiger fressen keine Yogis. Stories von unterwegs Mit einem Vorwort von Sibylle Berg.

Münster: Solibro 16. Aufl. 2014 (2001)

ISBN 978-3-932927-22-5 (Druck) 978-3-932927-70-6 (eBook)

2. Altmann, Andreas:

Getrieben. Stories aus der weiten wilden WeltMünster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2005 (gebunden)

ISBN 3-932927-25-7

3. Altmann, Andreas:

Getrieben. Stories aus der weiten wilden WeltMünster: Solibro Verlag 2. Aufl. 2012 (Broschur)

ISBN 978-3-932927-49-2

4. Wulf, Britta:

Das Rentier in der Küche. Eine deutsch-sibirische LiebeMünster: Solibro 5. Aufl. 2017

ISBN 978-3-96079-015-0 (Druck) 978-3-96079-016-7 (eBook)

5. Wulf, Britta:

Und der Schamane lacht … verliebt in SibirienMünster: Solibro 1. Aufl. 2018

ISBN 978-3-96079-047-1 (Druck) 978-3-96079-048-8 (eBook)

ISBN 978-3-96079-048-8

1. Auflage 2018 / Originalausgabe

© SOLIBRO® Verlag, Münster 2018

Alle Rechte vorbehalten.

Titelbildgestaltung: Michael Rühle, Wolfgang Neumann

Titelbild: iStockphoto.com/willcao911• Fotos Innenteil: Britta Wulf Autorenfoto S. 2: Linda Köhler-Sandring

Karten: Dirk Hennig

verlegt. gefunden. gelesen.www.solibro.de

Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! mit der Transaktions-ID 4585098 erstellt.

Inhalt

Vorwort

Fernbeziehungen sind anstrengend

Trauer und Freude

Mein Sibirier in Berlin

Baikal oder Ostsee

Alltag mit meinem Sibirier

Abschiede

Entfernung und Entwöhnung

Verständnis

Wieder Sibirien

Zurück in Irkutsk

Abschied von Sibirien, vorerst

Alltag ohne ihn

Samorodok

Mein Buch

Alte Freunde

Enttäuschung kommt von täuschen

Begegnungen

Noch einmal Sibirien

Petropawlowka

Urlaub auf Russisch

Hauskauf in Russland

Zugfahren in Russland

Allein in Nischneangarsk

Allein im Paradies

Burchan ist sauer

Noch mal Nischneangarsk

Abschied

Irkutsk

Hilfe vom Schamanen

Nachwort

Dank

Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! mit der Transaktions-ID 4585098 erstellt.

Ein Abenteuer zuzulassen, ist manchmal das Mutigste daran.

Vorwort

Alle Filme, die ich in meinem Leben drehen durfte, haben mich bewegt, berührt und klüger gemacht. Doch dieser eine Film in Sibirien hat mein Leben und mich verändert. Das klingt so einfach. Doch einfach war und ist es nicht. Alles ist ganz schön durcheinandergewürfelt worden. Dabei habe ich mich doch nur verliebt: In ein Land, in seine Bewohner, in einen See und in einen Mann, der achttausend Kilometer von mir entfernt am Nordufer des Baikals lebt.

Normalerweise erzähle ich Geschichten in Bildern. Es sind unterschiedlichste Schicksale, die ich in meinen Filmen verarbeite. Mich reizt der Alkoholiker genauso wie die Frau, die durch eine Nierentransplantation ein neues Leben beginnen darf. Oder ich berichte für die Sorben in Deutschland, über das Leben anderer Minderheiten, meist in Europa. Dieses Filmschaffen ist mein Beruf, genau wie die Arbeit als Bildregisseurin beim Fernsehen. Doch jetzt beginne ich mit dem Schreiben. Ich schreibe meine eigene Geschichte auf. Nichts möchte ich vergessen, alles festhalten.

Ständig fragt mich jemand nach meinen Reisen ins doch so kalte Russland nach meinen Abenteuern und nach meiner Liebe zu dem Sibirier Anatoli. Bereitwillig gebe ich Auskunft, erzähle, was ich erlebt habe dort im Land meiner Träume, dass übrigens nicht immer kalt ist. Ja, ich rede gern darüber und spüre, dass es viele spannend finden. Nachts tippe ich das Ganze in meinen Computer. Ich schreibe in jeder freien Minute, bin wie berauscht davon, alles noch einmal zu erleben. Ich schreibe gegen das Vergessen an. Die vergangenen zwei Jahre sind plötzlich wieder wahr und greifbar, nicht Erinnerung, sondern Leben. Und ich fühle mich dem Mann, der mich so magisch anzieht und den ich so heftig vermisse, dadurch näher. Nach den ersten Seiten wird mir klar, dass ich zu persönliche oder gar intime Dinge weglasse. Habe ich etwa die Idee, das Ganze öffentlich zu machen? Ja! Nein! Warum eigentlich nicht?

Eines Abends überwinde ich alle Zweifel und sende den Text an Patricia. Sie selbst schreibt sehr erfolgreich Romane und ich bin überrascht, dass sie die Veröffentlichung meines Manuskriptes nicht für komplett verrückt hält. Sie rät allerdings, daraus etwas Fiktives zu machen oder zumindest anonymer zu schreiben. Ihre Befürchtungen, dass ein so persönlicher Bericht, mir auch schaden könnte, teile ich. Und nicht nur ich. Auch meine Mutter äußert zaghaft den Gedanken, ob ein solcher Text nicht sehr verletzlich machen könnte? Vielleicht haben sie recht. Aber ich spüre, dass ich nicht anders kann. Nicht bei diesen Zeilen. Hier kann ich nichts hinzufügen, ich will und kann nichts erfinden, nur dokumentieren wie es war. So wie es mir passiert ist. Es ist echt. Es ist mein Leben. Nach dieser Entscheidung geht es wie von selbst weiter. Jeden Abend, nach der Arbeit, versinke ich in der schönsten und spannendsten Phase meines Lebens. Es tut gut, die Gedanken und Gefühle zu sortieren und für später zu konservieren. Vielleicht befürchte ich, dass irgendwann von allem nur das bleiben könnte, was ich aufschreibe. Aber jetzt schreibe ich nicht mehr nur für mich, jetzt sollen es alle erfahren.

Ich frage Tolja, wie ich Anatoli nenne, ob er etwas dagegen hätte, wenn ich unsere Geschichte öffentlich machen würde. Er findet die Idee wunderbar. „Ein Buch über deine Reisen und über uns? Klar! Wenn es die Deutschen interessiert? Tu es! Natürlich kannst du meinen Namen nennen und unsere Fotos zeigen. Ich wäre stolz darauf.“

Auch alle anderen Personen, von denen ich erzähle, haben nichts dagegen einzuwenden.

„Das Rentier in der Küche – Eine deutsch-sibirische Liebe“ wird das Buch, welches von meiner Liebe zu Tolja und meinen Reisen zu ihm nach Sibirien erzählt. Wer also wissen möchte, wie alles angefangen hat, kann meine vorangegangenen Abenteuer dort nachlesen.

Das was in diesem Buch folgt, ist die Fortsetzung. So geht meine Geschichte weiter …

Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! mit der Transaktions-ID 4585098 erstellt.

Fernbeziehungen sind anstrengend

Nie hatte er daran geglaubt, dass er einen Pass bekäme. Einen internationalen. Jeder Russe besitzt einen nationalen Pass, aber einen internationalen bekommen nicht alle. Tolja hatte immer gesagt, dass er niemals ins Ausland fahren dürfe, weil er seine Kredite bei der Bank nicht regelmäßig bedienen könne. Er gelte als Schuldner und die bekämen keinen solchen Pass.

Ich wusste nicht, wie streng die Behörden sind, aber ich dachte, man könne es ja trotzdem mal versuchen. So hatte ich ihn zur Beantragung eines Reisepasses gedrängt. Seine Schwester Natalia hatte ihm bei den komplizierten Formularen geholfen und nun hält er ihn tatsächlich in den Händen. Den Pass, den er nie für möglich gehalten hat. Das ist noch lange kein Grund, auch ein Visum zu bekommen, aber der erste Schritt ist gemacht.

Tolja ist so überrascht, erstaunt und so sehr erfreut, dass er alle Welt an diesem Wunder teilhaben lassen will. Er fotografiert den Pass, nicht nur von außen. Die gesamte Doppelseite mit Passbild und Nummer lichtet er ab und stellt das Bild öffentlich ins Internet.

Ich erschrecke, rufe ihn schnell an. Er versteht nicht, warum ich sage, dass er das Bild sofort löschen solle. Er macht es aber trotzdem.

Der Pass ist da. Welches sind die nächsten Schritte um ein Visum zu erhalten? Ich recherchiere im Internet. Das ist so ähnlich wie in meinem Job und nach wenigen Klicks bin ich informiert und echt erstaunt, was man als deutscher Staatsbürger alles tun muss, wenn man einen ganz normalen Menschen aus Russland zu Besuch haben möchte. Doch so etwas hält mich nicht ab. Es weckt meine Energien. Das muss doch machbar sein.

Erstens: Als Einladende muss ich nachweisen, dass ich regelmäßige und ausreichende Einkünfte habe. Aber was gilt als ausreichend, um einen Menschen zu bewirten? Das ist alles festgelegt. Für mich allerdings, zeigt sich ein erstes Problem. Ich bin freischaffend tätig. Ich erhalte also kein Gehalt, sondern Honorare. Manchmal viel, manchmal wenig. Je nach Auftragslage. Im Jahresdurchschnitt ergibt sich ein normales Auskommen. Ich kann mich und meine beiden fast erwachsenen Kinder damit gut durchs Leben bringen. Doch laut Internet soll man mehrere Monatsbelege vorlegen. Also warte ich auf einen Zeitraum, in dem drei Monate hintereinander eine nachweisbar angemessene Summe auf meinem Konto landet.

Doch das war es noch lange nicht. Geld bekommen ist das eine. Man gibt es ja auch aus. Logisch. Also möchte das Amt, genauer die Ausländerbehörde, bei der ich den Antrag auf Besuchserlaubnis stellen werde, noch mehr wissen. Nämlich meine Ausgaben. Ich suche Belege zusammen. Kreditkosten fürs Eigenheim, Wasser- und Abwasserkosten, Schornsteinfegerrechnungen und alles, was irgendwann mal irgendjemand vorlegen musste. Im Internet finde ich Geschichten, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Ich buche Flüge für Tolja, hin und zurück. Damit soll seine Rückkehrwilligkeit verdeutlicht werden. Falls es mit dem Visum nicht klappt, werden die Flüge verfallen. Irgendwie gemein.

Ich überweise auf Toljas Konto Geld. Er muss zweiundfünfzig Euro pro Tag nachweisen. Warum ein Russe genau zweiundfünfzig Euro für jeden Tag besitzen muss, den er in Deutschland verleben möchte, obwohl er ja eingeladen wird, keine Ahnung. Aber es ist so. Er schickt mir den Kontoauszug, der seinen Reichtum nun bestätigt.

Wenn ich im Freundes- und Kollegenkreis erzähle, womit ich mich gerade beschäftige, kommt fast immer kopfschüttelnd die Frage, warum die Russen denn so kompliziert seien.

Wenn ich dann anmerke, dass das Visum vom deutschen Konsulat ausgestellt wird und genau dort diese ganzen Dinge gefordert werden, ernte ich immer wieder ungläubige Blicke. Ich hatte bisher auch nichts davon gewusst. Dass es zwischen Russland und Deutschland nie zu einem vereinfachten Visumverfahren gekommen ist, war mir nicht bewusst.

Ich gebe mir Mühe, alle Eventualitäten zu erfassen, denn der Weg zur Ausländerbehörde ist weit. Ich wohne in einem Dorf, direkt an der Stadtgrenze zu Berlin. Doch mein Landkreis ist riesig und ich muss nach Rathenow. Über eine Stunde mit dem Auto. Eine ganze Mappe mit Dokumenten habe ich dabei und einen ausgefüllten Antrag auf Erteilung einer offiziellen Einladung.

Ich finde die Ausländerbehörde, auch wenn draußen kein Schild zu sehen ist. Gemeinsam mit vielen „bunten“ Menschen drängele ich mich in einen Flur. Ich bin mir nicht sicher, ob ich vor der richtigen Tür warte. Schilder, die irgendetwas erklären, gibt es auch hier nicht. Asyl möchte ich nicht beantragen, einen Schein für Kleidergeld benötige ich nicht, eine Unterkunft suche ich ebenfalls nicht. Als sich nach zehn Minuten die Tür, vor der ich warte, zum ersten Mal öffnet, frage ich einen jungen Mann, der eben noch mit seinem Kumpel in französischer Sprache gesprochen hat, ob ich ganz kurz nachfragen dürfe, ob ich hier richtig sei. Er freut sich, dass ich seine Sprache spreche, lächelt mich an und lässt mich kurz in den Raum schauen. Ja, ich sei hier richtig, sagt eine der beiden Frauen, die zwar in dem Raum aber zusätzlich noch hinter einer Glaswand sitzen. Es gibt einen Tresen mit zwei Fenstern und da muss ich hin. Ich warte also artig auf dem Flur.

Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! mit der Transaktions-ID 4585098 erstellt.

Neben mir steht ein junger Mann. Er sieht europäisch aus. Der Einzige außer mir. Er erzählt, dass auch er wegen einer Einladung hier sei. Seine zukünftigen Schwiegereltern möchte er einladen. Diese leben in Vietnam und wollen zu Besuch kommen. Schon einmal hat er die ganze Bürokratie auf sich genommen, aber es hat nicht geklappt. Warum weiß er nicht. Jetzt startet er einen neuen Anlauf.

Für mich ist es das erste Mal und ich bin wirklich gut vorbereitet. Sagt auch die Dame hinter der Glasscheibe. Mein Honorar sei ausreichend, allerdings nur für einen Gast, wollte ich noch jemanden aus der Familie einladen, wäre es zu wenig. Ich beantworte viele Fragen und die Dame tippt alles in den Computer. Irgendwann kann ich mir nicht verkneifen zu fragen, ob sie meine Schuhgröße auch noch brauche (eigentlich wollte ich die BH-Größe anbieten, aber ich will ja niemanden verärgern). Tue ich auch nicht und wir lachen zusammen.

Dann plötzlich eine Frage, auf die ich nicht vorbereitet bin. Wo ist denn Herr P. geboren? Mir wird heiß und kalt. „Steht das nicht in seinem Pass?“, antworte ich. Natürlich gehört zu meinem Dokumentenstapel auch eine Kopie dieses wichtigen Dokuments. Ja, ja, dort steht Republik Burjatien, aber in dem Formular, welches die Dame sorgfältig ausfüllt, wird nach dem Ort gefragt. In meinem Kopf rattert es. Elf Kinder, alle in Uojan aufgewachsen, einem sehr kleinen Dorf in Ostsibirien, dort in der Nähe gibt es kein Krankenhaus. Mein Gefühl sagt mir, die Mutter hat sicher alle Kinder zu Hause bekommen, doch was, wenn das falsch ist und sie viele Kilometer in die nächste Stadt musste? Wird dann kein Visum erteilt? Was mache ich denn jetzt? Ich zücke mein Handy. Rufe ihn an. Doch die sechs Stunden Zeitunterschied bedeuten, dass er vermutlich gerade Feierabend hat. Er schwitzt sicher in der Banja oder hackt Holz oder was auch immer. Jedenfalls geht er nicht ran.

„Was soll ich denn nun hinschreiben?“, fragt die Frau. Ich entscheide mich für Republik Burjatien. Lieber ungenau, dafür aber richtig, als ein Dorf, das dann doch falsch sein könnte.

Meine Laune ist im Keller. Hoffentlich ist jetzt nicht alles umsonst. Wegen so einer blöden Kleinigkeit. Missmutig zahle ich fünfundzwanzig Euro, bekomme ein A4-Blatt, das vom Papier her wirkt wie ein wichtiges Dokument, mit Unterschrift und Stempeln.

Ich bin im Auto, als Tolja zurückruft. „Was gibt’s?“ Ich versuche zu erklären, wo ich war und dass ich wissen möchte, wo er geboren wurde. „Na in Burjatien natürlich.“ „Ja, aber wo da?“ „Na, zu Hause.“ „Also in Uojan?“, frage ich nach. „Ja, natürlich.“ Hätte ich mich mal auf mein Gefühl verlassen. Trotzdem rede ich mir ein, dass Burjatien ja auch nicht falsch sei und zumindest mit dem Pass übereinstimme. Wird schon klappen.

Die Dokumente müssen nun nach Sibirien. Aber nicht zu Tolja nach Hause, sondern zum deutschen Konsulat in Nowosibirsk. Und zwar persönlich. Nowosibirsk ist über zweitausend Straßenkilometer von Toljas Wohnort entfernt.

Dorthin fahren würde Tage dauern, fliegen kostet viel Geld. Eine einzige Reise würde auch nicht ausreichen. Zuerst müsste man den Antrag abgeben und dann später den Pass wieder abholen. Dort warten, bis eine Entscheidung gefallen ist, geht auch nicht. Dafür müsste man für ungefähr zehn Tage eine Unterkunft haben usw. Die Unterlagen und den Pass mit einer besonderen Dokumentenpost zu schicken ist teuer und unsicher. Doch das Internet ist schlau. Ich habe einen Hinweis gefunden, dass Anfang des Jahres in Irkutsk ein Büro eröffnet wurde, in dem man den Visumsantrag abgeben kann. Von dort wird er dann per Kurier nach Nowosibirsk gebracht.

Ich schreibe an Tatjana. Meine Verbündete in Irkutsk. Tatjana war auf meiner ersten Reise nach Sibirien unsere Dolmetscherin. Doch sie war für mich und das kleine Filmteam noch viel mehr. Sie hatte sich rührend um unser Wohl gekümmert, nicht nur ums leibliche. Ohne sie wäre der Film ein anderer geworden. Den Kontakt zu ihr habe ich gehalten und sie hat mir bei jeder weiteren Reise geholfen, mich gut und sicher zu fühlen. Mein Bauch sagt mir, dass sie nicht davon überzeugt ist, dass meine Beziehung zu Anatoli (sie nennt ihn bei seinem offiziellen Namen und nicht wie alle anderen Tolja) eine Zukunft habe. Doch sie würde das so nie aussprechen. Sie hält sich raus und hilft trotzdem. Ich schreibe ihr eine Mail und frage nach dem Visazentrum in Irkutsk. Tatjana weiß von nichts, aber sie wolle sich gern erkundigen.

Ihre Recherche ergibt Folgendes. Es stimmt. Also fast. Solch ein Visazentrum wird es geben. Das Büro macht zwar erst im nächsten Monat auf, aber es erleichtert vieles. Macht alles Weitere eigentlich erst möglich.

Tolja und ich sind im Wartemodus. Wir telefonieren und schreiben kleine Nachrichten. Das Handy ist mein ständiger Begleiter. Schlimmer als bei jedem Teenager. Manchmal denke ich, wie viel einfacher es gewesen wäre, wenn ich wieder zu ihm gefahren wäre, so wie die Male zuvor. Doch seine Sehnsucht, ein anderes Land zu erleben, hat mich verführt. Ich wollte es ausprobieren, ihm diesen Wunsch erfüllen. Jetzt hoffe ich so sehr, dass wir uns überhaupt treffen können, dass mir manchmal sehr schwer ums Herz wird. Was, wenn jede unserer Begegnungen mit so viel Energie erkämpft werden muss? Wird unsere Liebe das aushalten?

Viele Freunde sind weiter an meinem Abenteuer interessiert. Andere finden mich unterdessen etwas merkwürdig. Sie verstehen nicht, warum ich an dieser Beziehung festhalte. Doch ich habe das Gefühl, ich kann nicht anders. Meine Gefühle bleiben stark. Nichts verändert sich, nichts flaut ab. Selbst dann nicht, als es gute Gründe dafür gibt. Tolja meldet sich nicht. Der Kontakt bricht ab. Ich mache mir Sorgen. Seine Schwestern antworten ebenfalls nicht. Erst Tage später kommen Erklärungen. Er war dienstlich unterwegs. Dort wo es kein Handynetz gibt. Ich versuche zu erklären, dass mir das nicht guttut. Er versucht sein Verhalten zu ändern. Beim nächsten Mal meldet er die Sendepause vorher an. Beim übernächsten Mal vergisst er es wieder. Ich lebe in einem ständigen Auf und Ab der Gefühle. Eine Achterbahn ist nichts dagegen. Es ärgert mich, dass es mir gut geht, wenn er mir am Morgen einen schönen Tag wünscht und dass ich mich sofort schlecht fühle, wenn ich mehr als vierundzwanzig Stunden nichts von ihm gehört habe. Skypen klappt eigentlich fast nie. Mal ist sein Laptop kaputt, dann ist sein Internet zu schlecht, dann meins. Wir geben es auf. Zu frustrierend, wenn der andere auf dem Monitor erscheint, dann das Bild erstarrt, abgehackt ein paar Worte durch die Welt fliegen und dann doch kein wirkliches Gespräch möglich ist. Das Telefon ist unsere einzige Verbindung. Über Monate.

Ich bin auf einer Dienstreise im Ausland. Obwohl ich geografisch sogar weiter von ihm entfernt bin als sonst, fühle ich mich ihm näher. Um mich herum Schnee und Rentiere, wie in Sibirien. Doch ich bin im Norden Finnlands. Er mag die Fotos, die ich ihm schicke. Nachts singt er mir russische Schlaflieder am Telefon.

An unserem letzten Tag in Finnland erlebt mein Team endlich das magische Polarlicht. Ich sehe es zum ersten Mal in meinem Leben.

Beim Anblick des grün wabernden Himmels schicke ich nur einen einzigen Wunsch in den Himmel.

Anfang März. Tatjana kommt nach Berlin. Sie und ihr Mann haben einen kleinen Stand auf der großen Reisemesse in Berlin. Was für ein glücklicher Zufall. Jetzt kann ich ihr die Papiere zur Visabeantragung mitgeben und muss nicht einmal Angst haben, dass sie auf dem Postweg verloren gehen. Ich packe einen kleinen Rucksack mit den Dokumenten und mit Geburtstagsgeschenken für Tolja und übergebe alles an Tatjana.

Dann höre ich nichts mehr von ihr. Keine Mail, kein Anruf. Auch Tolja erreicht Tatjana nicht.

Hat sie den Rucksack verbummelt? War irgendetwas drin, was nicht durch den Zoll kam? Sind die Papiere noch da?

Nach zehn Tagen ein Lebenszeichen. Tatjana war von Berlin aus nicht gleich nach Hause gefahren, sondern hatte mit ihrem Mann Urlaub in Italien gemacht. Hatte sie vergessen zu erwähnen. Mein Rucksack war immer dabei. Nun sind sie zu Hause angekommen und in den nächsten Tagen wird sie alles zum Büro bringen. Was würden wir ohne Tatjana machen?

Wir warten. Nach drei Wochen erhalten wir die Information, dass die Papiere im deutschen Konsulat in Nowosibirsk angekommen seien. Wir warten. Der Frühling geht vorbei. Der Sommer beginnt.

Wir warten.

Es wird schwer. Das letzte Mal gesehen haben wir uns im Januar. Wir haben den Jahreswechsel und das russische Weihnachtsfest gemeinsam verbracht. Dann bin ich aus Sibirien abgereist und seitdem gibt es nur den Computer und das Telefon als Verbindung zwischen uns. Ein paar russische Buchstaben auf dem Display oder wenige Worte am Handy. Was ist es, was uns trotz allem so sehr aneinanderbindet?

In meinem großen Doppelbett stelle ich mir oft vor, wie es wäre, wenn er neben mir liegen würde. Wenn wir morgens gemeinsam aufstehen würden, gemeinsam, zweisam, nicht einsam, nicht mehr allein. Mir wird immer mehr bewusst, wie sehr ich mir das wünsche. Ich hatte es vergessen. In den Jahren nach meiner Scheidung war mir keine neue Liebe begegnet, und die Männer, die ich kennenlernte, haben mich nicht genug verzaubert. Glücklich mit mir und meinen Kindern habe ich gelebt, ohne zu ahnen, dass mir die große Liebe doch noch begegnen würde. Jetzt gab es da jemanden, mit dem ich das Zusammenleben, ohne Wenn und Aber, sofort ausprobieren würde. Doch noch ist er ja nicht mal bei mir zu Besuch. Und würde er sich hier in meinem Leben überhaupt wohlfühlen? Würden wir glücklich sein können? Die Faszination, die ich für ihn empfunden habe, besonders bei meinem Besuch im Sommer, als wir zur Rentierfarm seines Bruders unterwegs waren, wäre dieses Gefühl auch hier vorhanden? Hier in einer Umgebung, in der er vermutlich unsicherer wäre. Ich denke eindeutig zu viel. Ich will es erleben. Unbedingt. Der Wunsch ist so groß, dass ich zu allen Mitteln greife. Man soll Dinge, die man sich ganz stark wünscht, beim Universum bestellen, habe ich mal irgendwo gelesen. Also spreche ich jeden Abend so etwas wie ein Gebet. Ich bitte das Universum, den Gott des Baikals, Burchan, und meinen Gott, den ich eigentlich nicht kenne, um Hilfe. Jeden Abend das gleiche Ritual. Ich bestelle mir ein neues Leben. Ganz einfach.

Trauer und Freude

Mein Vater stirbt. Ganz plötzlich und, obwohl er krank war, vollkommen unerwartet. Schockstarre.

Dann rufe ich Tolja an. Ich weine. Durch mein Schluchzen hindurch versteht er am anderen Ende der Welt, was mir widerfahren ist. Er tröstet und sagt, dass er bald bei mir sein werde. Es ist Juni. Wir haben uns seit über fünf Monaten nicht gesehen.

Ich fühle mich so einsam, verlassen, überfordert und verliere die Hoffnung, dass er kommen darf. Dazu die Gewissheit, dass mich mein Vater nie mehr in den Arm nehmen wird. Nie mehr über meine Haare streichen wird und flüstern wird: „Alles wird wieder gut.“

Der Reisetermin rückt immer näher. Alles ist ja zeitlich genau festgelegt. Hin und Rückflug für ihn gebucht. Doch ein Plan B müsste her. Was werde ich in meinem Urlaub machen, wenn er nicht kommen darf? In meinem Kopf dreht sich alles. Jede Idee verwerfe ich sofort wieder. Allein sein? Geht nicht. Mit anderen zusammen sein? Geht nicht. Verreisen? Warum? Wohin? Ich bin durcheinander und so voller Trauer und Sehnsucht, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann.

Dann eine Mail von Tatjana. Vier Worte: Das Visum ist da!

Er darf kommen.

Ich bin so glücklich, so froh und auf merkwürdige Art erschöpft. Ich spüre wie nah Trauer und Freude beieinanderliegen können. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich das alles ertragen soll.

Auch Tolja ist verwirrt. Er gesteht mir am Telefon, dass er nie wirklich daran geglaubt habe, diese Reise machen zu dürfen. Er wirkt so unsicher, dass ich einen kurzen Moment befürchte: Er traut sich nicht. Er kommt nicht.

Die Zeit wird knapp. Sein Weg bis zum Flughafen in Irkutsk ist weit. Mit dem Zug dreiunddreißig Stunden, mit dem Boot ungefähr zwölf Stunden. Doch die Tickets dafür hätte man schon viel früher buchen müssen. Das kleine Flugzeug, welches manchmal von Nischneangarsk nach Irkutsk fliegt, ist schon lange ausgebucht und wäre viel zu teuer. Also bleibt nur die Bahn. Schon in den nächsten Tagen muss er los.

Tatjana, unser Engel, kümmert sich. Eine Nacht wird er bei ihr in Irkutsk bleiben, dann bringt sie ihn zum Flieger und dann ist er auf sich alleingestellt. Geflogen ist er schon mal. Als junger Mann von Nischneangarsk nach Ulan-Ude. Vom Wohnort zur Ausbildung und zurück. Gut, also Flugzeug usw. kennt er. Aber er war noch nie in einem so großen Flugzeug, er war noch nie im Ausland. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie aufregend es für ihn sein muss.

Dann ist er auf dem Weg. Er wagt das Abenteuer. Die Nachrichten werden spärlich. Nicht überall hat er Internet.

Zum ersten Mal kommen bei mir Zweifel auf. War es richtig, ihn zu dieser Reise zu drängen? Habe ich das überhaupt getan? Als wir im letzten Sommer gemeinsam geträumt haben, war er es, der immer wieder von einer Chance gesprochen hatte. Mein Part bestand darin, Deutschland schlecht zu machen. Ich erklärte ihm, dass man bei uns nicht überall ein Lagerfeuer machen dürfe, dass selbst das Zelten nicht an jedem Ort erlaubt sei, dass die Gewässer nicht so sauber seien, wie der Baikalsee usw. Dann hatte ich aufgehört damit und mir gewünscht, dass er sich selbst ein Bild machen könnte. Das hatte ich jetzt geschafft. Er wird bei mir sein, mein Leben sehen. Und wir werden uns auch wieder ein bisschen besser kennenlernen dürfen.

Ungefähr jetzt müsste er in Moskau landen. Hoffentlich findet er den Weg zum Anschlussflug. Aber was mache ich mir für Sorgen? Hier kommt er ja noch mit seiner Sprache klar und ab Berlin werde ich dann da sein. Ich kenne mich ja aus. Glaub’ ich jedenfalls.

Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! mit der Transaktions-ID 4585098 erstellt.

Mein Sibirier in Berlin

In Berlin ist Hochsommer. Es ist warm, ungewöhnlich warm. Die letzte Woche war tropisch heiß und heute soll das Thermometer sogar auf neununddreißig Grad steigen. Die Stadt kocht.

Ich mache mich auf den Weg nach Schönefeld. Auf unserem Regionalbahnhof schenkt mir ein freundlicher Herr drei Tagesfahrscheine. Einen gebe ich weiter, zwei behalte ich. Geldersparnis zehn Euro. Wie cool ist das denn.

Ich komme pünktlich am Flughafen an und geselle mich zu den Wartenden. Ein sehr junger Mann hat eine einzelne kleine Rose in der Hand, die er nervös zwischen den Fingern dreht. Hoffentlich bleibt der Blütenkopf solange am Stängel, bis seine Geliebte durch diese Tür tritt. Der etwas ältere Herr neben mir hält ganz ruhig einen riesigen Strauß roter Rosen im Arm. Richtig freudig wirkt er nicht. Aber vielleicht täuscht es. Ich werde ihn beobachten, wenn er jemanden in die Arme schließt. Dort ein junges Mädchen mit einem Schild. Sicherlich eine Praktikantin, die dazu verdonnert wurde, einen Geschäftsreisenden vom Flughafen abzuholen. Ich habe Zeit, mir für jeden Wartenden eine eigene Geschichte auszudenken. Doch dann verpasse ich die Übergabe des großen Rosenstraußes doch. Denn ständig muss ich Nachrichten auf meinem Handy beantworten. Toljas Schwestern bombardieren mich mit Anrufen, Mails und Nachrichten. „Ist er schon bei dir?“ „Wie geht es ihm?“ „Was macht das Wetter?“, usw. Alles berechtigte Fragen. Aber er ist noch nicht da und bei insgesamt sieben Schwestern, die scheinbar gerade alle Angst um den kleinen Bruder haben, ist es ein regelrechter Telefonmarathon.

Endlich landet die Maschine aus Moskau. Durch die sich immer wieder automatisch öffnende Tür kommen die Fluggäste. Ich schaue den Passagieren ins Gesicht. Sind das schon Russen? Nein, diese Menschen sehen irgendwie anders aus. Sie könnten zum Flieger aus Paris passen. Oder die? Nein, auch nicht. Lustiges Nationalitätenraten. Plötzlich werde ich nervös. Mit einem Mal bin ich aufgeregt wie eine Sechzehnjährige beim ersten Date. Erstes Date, erstes Mal mit sechzehn? Mir wird bewusst, wie altmodisch ich bin. Heute haben die jungen Menschen ihr erstes Mal vermutlich viel, viel früher. Merkwürdig, was mir so im Kopf rumgeht. Oh Gott, bin ich nervös.

Dann gehen die ersten Russisch sprechenden Fluggäste an mir vorbei. Und dann kommt er.

Ein kleines Reisetäschchen in der Hand, den Geburtstagsrucksack leer auf dem Rücken, kurze Sporthose und Plastiksandalen mit Socken.

Er sieht aus, als ob er mal eben einen kleinen Ausflug macht, aber keine Reise von achttausend Kilometern.

Wir liegen uns in den Armen, halten uns fest. Kein stürmischer Kuss, nur eine ganz feste, starke Umarmung. Wir halten uns aneinander fest.

Ich kann es nicht glauben. Nie hatten wir es für möglich gehalten. Immer war da nur der Traum, dass ich ihm meine Welt zeigen kann. Jetzt wird aus dem Traum Wirklichkeit. Es wird sich zeigen, ob Wunsch und Realität irgendwie zusammenpassen.

Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! mit der Transaktions-ID 4585098 erstellt.

Er wirkt müde. Und er ist ganz ruhig. Kein bisschen euphorisch, er wirkt nicht einmal aufgeregt.

Nachdem wir alle Schwestern beruhigt haben, folgt der anscheinend komplizierteste Teil seiner Reise. Einmal quer durch Berlin, bei gefühlten fünfzig Grad. Dass dieser Part die größte Herausforderung werden würde, hatte selbst ich nicht geahnt.

Am Bahnhof steht eine Regionalbahn. Sie steht dort schon eine ganze Weile und fährt nicht los. Es ist auch nicht die für uns richtige, aber irgendwie scheint wieder mal nichts nach Plan zu fahren und der Schaffner meint, wir sollten lieber Richtung Stadtzentrum mitfahren, er wüsste auch nicht, was hier heute los sei. Vermutlich wieder ein Streik der Lokführer oder des Begleitpersonals oder die Hitze ist schuld. Schön, wie sich das korrekte Deutschland präsentiert. Doch Tolja bekommt nicht viel davon mit. Er weiß ja nicht, wie einfach es normalerweise wäre. So wird es eine unendlich heiße Irrfahrt durch Berlin. Selbst S-Bahn und Regionalzüge fahren plötzlich nach einem Sonderfahrplan. Alles ist durcheinander und ich bin es irgendwann auch.

Tolja flüstert mir schüchtern ins Ohr, dass wir keine Fahrkarten gekauft hätten. Ich versuche ihm das mit den Tageskarten zu erklären und merke, dass mein Russisch nicht viel besser ist als im Winter. Ich versichere ihm, dass alles gut sei und er keine Angst vor einer Strafe haben müsse. Das Wort Strafe ist im Russischen sehr ähnlich, nur ohne „e“. Er versteht und ist beruhigt.

Nach fast drei Stunden kommen wir verschwitzt in Falkensee an. Als wir in mein Auto steigen und ich Musik anmache, freut er sich über die russischen Schlager. Ich erzähle, dass ich seit Monaten nichts anderes höre als seine Musik. Oft hat sie mir durch die einsame, sehnsuchtsvolle Zeit geholfen.

Wenige Minuten später sind wir zu Hause. Mein Traum ist wahr. Er ist bei mir. In meinem Haus, unter meinem Dach, in meinem Leben. Zum ersten Mal seit meiner Scheidung vor vielen Jahren, habe ich das Gefühl, dass ich einen Mann tatsächlich Tag und Nacht an meiner Seite haben möchte. Mein Verstand sagt etwas ganz anderes. In meinem Kopf pocht ein Gedanke: Er wird sich hier nicht wohlfühlen. Er passt zwar zu mir, aber nicht hierher. Aber egal, erst mal bin ich glücklich. Sammle Kraft für alles was da kommen wird.

Tolja packt seine kleine Tasche aus. Mit beiden Händen greift