Und über uns das Licht - Alisha Mc Shaw - E-Book

Und über uns das Licht E-Book

Alisha Mc Shaw

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Beschreibung

"Ich kann dich einfach nicht in meinem Leben brauchen", flüsterte er an meinem Hals und ich hielt unwillkürlich die Luft an. "Aber …", fuhr er noch leiser fort, "ich will dich in meinem Leben." Wir schreiben das Jahr 2684. Nach einer Klimakatastrophe lebt die Menschheit 10.000 Meter unter der Meeresoberfläche in einer riesigen Unterwasserstation, genannt "D.U. Atlantis". Als sich Valea und Corvin das erste Mal begegnen, überkommt beide das seltsame Gefühl, sich schon zu kennen. Nach anfänglicher Skepsis und einer unerklärlichen Sehnsucht nach einander fangen sie an, den Dingen auf den Grund zu gehen. Gemeinsam kommen sie einem Geheimnis auf die Spur, dessen Tragweite sie zu spät begreifen. ~ Es handelt sich um eine abgeschlossene Geschichte! ~

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Inhaltsverzeichnis

Über das Buch:

IMPRESSUM

DAS STUFENSYSTEM IN ATLANTIS

ANONYM

19 Jahre später

Valea

Corvin

Valea

Corvin

ANONYM

Valea

Corvin

Valea

Corvin

ANONYM

Valea

Corvin

Valea

Corvin

ANONYM

Valea

Corvin

Valea

Corvin

Valea

Corvin

Valea

Corvin

Valea

Corvin

Valea

Corvin

ANONYM

Neubeginn

Danksagung Alisha

Danksagung Katharina

Über Alisha Mc Shaw

Über Katharina Groth

Über das Buch:

 

 

»Ich kann dich einfach nicht in meinem Leben brauchen«, flüsterte er an meinem Hals und ich hielt unwillkürlich die Luft an. »Aber ...«, fuhr er noch leiser fort, »ich will dich in meinem Leben.«

 

Wir schreiben das Jahr 2684. Nach einer Klimakatastrophe lebt die Menschheit 10.000 Meter unter der Meeresoberfläche in einer riesigen Unterwasserstation, genannt »D.U. Atlantis«.

 

Als sich Valea und Corvin das erste Mal begegnen, überkommt beide das seltsame Gefühl, sich schon zu kennen. Nach anfänglicher Skepsis und einer unerklärlichen Sehnsucht nach einander fangen sie an, den Dingen auf den Grund zu gehen. Gemeinsam kommen sie einem Geheimnis auf die Spur, dessen Tragweite sie zu spät begreifen.

IMPRESSUM

 

Text © 2018 by

Alisha Mc Shaw & Katharina Groth

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

Alisha Mc Shaw

Apostelstraße 8, 56567 Neuwied

 

&

 

Katharina Groth

Marenholtzstrasse 3, 38118 Braunschweig

 

Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der offiziellen Erlaubnis durch die Autorinnen.

 

Covergestaltung:

Jaqueline Kropmanns / Jaqueline-kropmanns.de

 

Buchsatz: Alisha Mc Shaw

 

Bilder Cover & Buchsatz: © Depositphotos

© oksana_b./ © iunewind / © chendongshan

© fenkieandreas / © rabbit75_dep / © ersler

© AntonMatyukha / © bloodua / © Vladi_mir

© Angela_Harburn / © diversepixel / © eevl / © egal

 

 

 

Dieses Buch ist Fiktion.

Wir erlauben es uns, für euch Naturgesetze zu verdrehen, düster in die Zukunft zu schauen und eine fantastische Geschichte zu erzählen.

 

 

Viel Spaß beim Lesen!

 

Alisha & Katharina

DAS STUFENSYSTEM IN ATLANTIS

 

Stufe 1Leitung & Bürokratiekleidungsfarbe weissStufe 2StationssicherheitKleidungsfarbe schwarz

Stufe 3Gesundheit & ForschungKleidungsfarbe grünStufe 4Essen & TrinkenKleidungsfarbe braunStufe 5InstandhaltungKleidungsfarbe grauStufe 6ReinigungKleidungsfarbe blauStufe 7Pornomeile & UntergrundKleidungsfarbe rot

ANONYM

 

– 6. Mai 2665 –

 

Anonym 1: Station bereit. Daten werden übermittelt. Erwarte Instruktionen und Freigabe.

 

Anonym 2: Sie erhalten Instruktionen und Freigabe für den Beginn nach Erhalt und Auswertung der Daten.

 

Anonym 1: Bestätige.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

– 19 Jahre später –

Valea

 

»Du kannst nicht einfach nicht hingehen!«

 

»Atlantis, starte die Morgenroutine.« Noch bevor mich der Bordcomputer um meine Identifizierung bitten konnte, positionierte ich mich bereits vor dem Netzhautscanner, der in der Wand neben der Tür eingelassen war. Ein leiser Signalton bestätigte, dass meine Retina erfolgreich gescannt worden war.

»Verifiziert. Guten Morgen, Valea. Ich lade dir die heutigen Termine auf deinen persönlichen Screen.«

Während um mich herum die Krankenstation langsam zum Leben erwachte, warf ich einen ersten Blick auf den kleinen Monitor, der in meinen Schreibtisch eingelassen war und stellte fest, dass nichts Ungewöhnliches auf mich wartete. Ein paar kleinere Verletzungen, zwei Operationen und – mir entwich ein leises Jauchzen – ein Erstgespräch zu einer Schwangerschaftsbegleitung.

Die Freigabe, eine Schwangerschaft zu initiieren war selten und erforderte viele Vorabuntersuchungen. Pro Jahr wurde nicht mehr als zweihundertfünfzig Mal die Genehmigung dazu erteilt, und wenn man bedachte, das auf diese Zahl ungefähr zehntausend Pärchen eine solche Erlaubnis beantragten, war die Chance verschwindend gering. Eine Schwangerschaft begleiten zu dürfen war deshalb eine große Ehre und versprach, für mindestens die nächsten neun Monate eine grandiose Abwechslung in meinem Alltag zu werden.

Ein leises Klopfen ließ mich aufsehen. Vor dem Sichtfenster der Sicherheitstür hüpfte meine beste Freundin Thera, die ebenfalls auf der Krankenstation arbeitete, wild winkend auf und ab. Ihre Locken flogen wild durch die Gegend und ich schmunzelte unwillkürlich. »Atlantis, öffne den Zugang.«

»Zugang wird geöffnet.«

Mit einem leisen Zischen glitt die Tür in die Wandverkleidung und keine Sekunde später hüpfte Thera mit einem ohrenquälenden Quietschen in mein Büro und packte mich an den Armen. Mit Schwung drehte sie mich einmal mit sich im Kreis. »Ist das nicht aufregend, Val?«, kreischte sie. Niemand außer ihr und Aaron nannte mich Val, aber das konnte daran liegen, dass niemand außer meinen beiden besten Freunden diesen Namen benutzen durfte, ohne dafür von mir bestraft zu werden.

»Ähm, was genau soll aufregend sein?«, hakte ich nach und befreite mich stirnrunzelnd von meiner durchdrehenden Freundin.

»Deine Einladung zu der Feier in Stufe 1. Steht doch im Newsletter!«

Im Newsletter? Mein Blick glitt erneut zum Screen. Tatsächlich, der kleine blinkende Briefumschlag in der linken Ecke deutete darauf hin, dass ich neue Nachrichten erhalten hatte. »Ich kam noch nicht dazu, einen Blick reinzuwerfen. Irgendeine Verrückte hat an die Tür geklopft und mich davon abgehalten, meiner Arbeit nachzugehen.«

»Oh Mann, Val. Ernsthaft jetzt! Du wirst eingeladen, einer Feier der Stufe 1 beizuwohnen, sollst eine Auszeichnung erhalten und du bekommst es nicht einmal mit?« Thera schnaufte. »Ich meine, hallo? Wir müssen uns überlegen, was du anziehen wirst und ... wer weiß, vielleicht darfst du ja sogar jemanden mitnehmen?«, plapperte sie ohne Punkt und Komma drauf los und mir drängte sich die Vermutung auf, dass ihre Körperbiologie sich ihrem Verhalten über die Jahre angepasst hatte und sie zusätzlichen Sauerstoff über die Haut konsumierte.

»Thera, vergiss das Luftholen nicht.« Ich lachte leise und beugte mich dann über meinen Screen, um den besagten Newsletter aufzurufen. Hastig überflog ich die Informationen, bis ich an der Stelle angelangt war, die für mich interessant war. Thera hatte also recht. Außer mir war noch ein Vertreter aus Stufe 4 eingeladen, und sowohl er als auch ich sollten eine Ehrung für besondere Verdienste erhalten.

»Also? Was wirst du anziehen?«

»Gar nichts.«

Neben mir ertönte ein Keuchen. »Gar nichts? Das nenne ich mal mutig.«

Ich rollte mit den Augen und seufzte. »Ich werde nichts dem Anlass entsprechendes anziehen, weil ich nicht hingehen werde.«

»Wie bitte?« Thera ruckte zu mir herum und starrte mich fassungslos an. »Valea, das kann unmöglich dein Ernst sein«, stammelte sie. »Hast du nicht gesehen, wer die Ehrung vornehmen wird?« Sie pikste mit dem Finger so heftig gegen meinen Monitor, dass ich fürchtete, sie würde ihn zerbrechen. Vermutlich einer der Gründe, warum auch die Screens mit bruchsicherem Glas ausgestattet waren. »Mr. hotter als hot Corvin himself wird dort sein und du sogar an einem Tisch mit ihm sitzen!«

»Wie mindestens zehn andere Menschen ebenfalls. Und soll ich dir noch was sagen? Vermutlich wird seine Verlobte Elizabeth neben ihm sitzen und er wird umgeben sein von zig Sicherheitsleuten. Du weißt doch ...« Bedeutungsschwer ließ ich den Satz unvollendet in der Luft hängen. Jeder auf D.U. Atlantis wusste, dass sein Vater Michael, der Leiter unserer Station, ziemlich übertriebene Maßnahmen zum Schutz seines Sohnes ergriffen hatte. Es musste etwa fünf Jahre her sein, dass die äußere Hülle einer der Kuppeln gebrochen und Corvins Mutter bei diesem Unglück ertrunken war. Seither durfte Corvin vermutlich nicht einmal allein aufs Klo gehen. Zugegeben, er war wirklich heiß. Aber was nutzte mir eine heiße Verpackung, wenn dahinter lediglich eine Marionette der Obrigkeit steckte?

»Du kannst nicht einfach nicht hingehen!« Noch immer war Theras Fassungslosigkeit deutlich in ihrer Stimme zu hören.

Als ob ich das nicht wüsste. Nur zu gut war mir noch im Gedächtnis, was dem Vorarbeiter Thierry aus Stufe 4 letzten Herbst widerfahren war. Auch er hatte eine solche Einladung bekommen, weil die Nahrungsabteilung in jenem Sommer besonders hohe Erträge erzielte und belobigt werden sollte. Leider war Thierrys Frau zu diesem Zeitpunkt schon eine Weile krank gewesen und so hatte er die Feier ausfallen lassen. Wenige Wochen später degradierte man ihn zum einfachen Arbeiter, weil er angeblich eine komplette Monatsernte ruiniert hatte.

»Aber nur, weil ich hingehen muss, heißt das noch lange nicht, dass es mir auch gefallen muss«, murmelte ich störrisch. Warum konnte man mich nicht einfach in Ruhe arbeiten lassen, anstatt mich mit Dingen zu belästigen, die mich einfach nur nervten? »Atlantis, wann habe ich meinen ersten Termin?«

»Dein erster Termin ist um 8:30 Uhr. Du hast noch zehn Minuten.«

»Was, so spät ist es schon?« Planlose Hektik ereilte Thera und sie zog mich hastig an sich. »Soll ich heute Abend bei dir Zuhause vorbeikommen und wir suchen gemeinsam etwas zum Anziehen raus? Ich bin zwar mit Mero verabredet, aber das kann ich auch absagen.«

Amüsiert erwiderte ich die Umarmung. Thera war einfach Thera, und genau so liebte ich meine beste Freundin. Es rührte mich zwar, dass sie sogar das Date mit ihrem neuen Schwarm aus Stufe 4 absagen würde ... Aber mir von ihr bei der Kleiderwahl helfen lassen? Never ever!

Mein Blick glitt vielsagend über das, was sie heute trug. Zu der grünen Bluse, die sie als Mitglied der Stufe 3 auswies, trug sie eine braune Hose, die sie sich bestimmt bei Aaron ausgeliehen, sprich geklaut hatte, sowie graue Schuhe, die das Ergebnis eines Tauschdeals mit einer Instandhaltungskraft aus Stufe 5 waren, soweit ich wusste. Thera scherte es nicht im Geringsten, dass das Farbsystem der Station jeder Stufe seine eigene Farbe zugeordnet hatte, um die Unterscheidung der Stufen einfacher zu machen. Erstaunlich genug, dass ihre Marotte geduldet wurde. »Danke, aber nein, danke. Ich werde vielleicht Aaron fragen. Hab du mal viel Vergnügen mit deinem Mero!« Ich zwinkerte ihr zu und rückte meine - einheitliche! - Kleidung zurecht.

»Bis später, ich hab dich liehieb!« Ein letzter mir zugeworfener Luftkuss, und zack, war meine aufgedrehte Freundin aus meinem Büro verschwunden.

Leise vor mich hin summend bereitete ich die letzten Dinge für meinen Arbeitstag vor, richtete Spritzen, stellte verschiedene medizinische Präparate zusammen und plante die beiden Operationen, die für heute anstanden. Gerade hatte ich eine Vitaminkur in den dafür vorgesehenen transportablen Kühlbehälter gepackt, als sich Atlantis erneut zu Wort meldete.

»Deine erste Patientin befindet sich in Q1.«

Ich sah auf und warf einen Blick in die Akte, die auf meinem Screen erschien. Q1? Eine Quarantänepatientin? Es handelte sich um eine Bewohnerin der Stufe 6, sie war für die Reinigung der Unterkünfte zuständig. Laut diesen Informationen hatte sie sich bei einem alle drei Monate stattfindenden Einsatz in Kuppel 4 ein schweres Influenzavirus eingefangen. Das automatische Filtersystem von D. U. Atlantis hatte die Erkrankung bemerkt, als sie die Kuppel wieder verlassen wollte und sie sofort unter Quarantäne gestellt. Seit nunmehr zehn Tagen hielt sich das junge Mädchen dort auf und war bislang von jemand anderem betreut worden.

Ich trat an ein offenes Regal heran und nahm eine Schutzmaske mit integrierter Sauerstoffzufuhr für etwa sechzig Minuten heraus. Ich mochte diese Dinger nicht besonders, da meine Stimme durch den Filter nur gedämpft nach draußen drang und ich viel lauter sprechen musste, um verstanden zu werden. Aber es war nun einmal Vorschrift, so ein Gerät zu tragen, wenn man Q-Patienten besuchte. Aber vielleicht konnte ich heute ja gute Nachrichten überbringen. Hastig streifte ich mir noch ein Paar Handschuhe über und griff nach meinen Untersuchungsgeräten, bevor ich an die Tür trat, die zur Quarantänestation führte. »Atlantis, öffne die Schleuse«, wies ich den Bordcomputer an und schob mein Gesicht vor den Scanner.

»Verifiziert. Schleuse wird geöffnet.«

Der Raum, den ich nun betrat, war sparsam eingerichtet, was der Tatsache geschuldet war, dass so wenig Dinge wie möglich einer etwaigen Kontaminierung ausgesetzt werden sollten. Die Wände, in zartem Gelb gehalten, waren mit abwaschbarer Farbe versehen, der Boden einfach zu reinigen und außer einem Hocker zum Setzen und einer Liege befand sich nichts in diesem Zimmer.

Alles, was eventuell während der Untersuchung benötigt wurde, bekam der behandelnde Arzt erst nach Anweisung an den Computer über die Schleuse, um den nachträglichen Arbeitsaufwand so gering wie möglich zu halten. Alles in allem eine einfache und sterile Lösung.

»Guten Morgen, Denissa«, begrüßte ich die in blau gekleidete junge Frau, die mit baumelnden Füssen auf der Liege saß und mich abwartend ansah. Ich legte Wert darauf, meine Patienten mit dem Namen anzusprechen, gleich welcher Stufe sie angehörten. »Wie geht es dir?«

»Guten Morgen, Med-Op.« Denissa lächelte, und nur ihre leicht kratzige Stimme deutete noch darauf hin, dass sie vor kurzem noch ziemlich erkältet gewesen war. »Mir geht es gut.«

»Einen Finger bitte«, wies ich sie an und zückte das mobile Labor-Blutwerte-Messgerät, das ich einfach nur Laboretti nannte, weil mir sein eigentlicher Name viel zu lang war. »Jetzt pikst es einmal kurz«, erklärte ich, obwohl ich mir sicher war, dass die junge Frau wusste, was auf sie zukam. Sie hielt mir den Finger ihrer rechten Hand hin. Ich positionierte Laboretti und löste die Nadel aus.

Ein kurzer Signalton verriet die erfolgreiche Blutentnahme und ich blickte auf das kleine Display. Dort erschien ein Wert nach dem anderen, und nach einigen Sekunden wusste ich, dass ich wirklich gute Nachrichten weitergeben konnte.

»Atlantis, die Werte der Q1-Patientin sind wieder im Normbereich. Bitte mach einen Vermerk in der Akte, dass ich sie mit dem heutigen Tag als gesund entlasse. Des Weiteren erteile ich der Patientin die einmalige, nur heute gültige Erlaubnis, die Schleuse selbstständig zu öffnen, um die Quarantänestation nach erfolgter Desinfizierung zu verlassen.«

Neben mir erklang ein freudiges Jauchzen.

»Verifiziert. Ich vermerke, dass du die Q1-Patientin als gesund entlässt und eine einmalige, nur für heute geltende Erlaubnis erteilt hast, die Schleuse durch die Patientin zu öffnen.«

Warum musste dieser Computer eigentlich immer alles wiederholen? Kopfschüttelnd wandte ich mich Denissa zu. »Wenn du gleich wieder im Zimmer angekommen bist, ziehst du dich bitte vollständig aus und wirfst alles, was du anhast, in den dafür vorgesehenen Behälter. Ich werde veranlassen, dass man dir im Schleusenzimmer frische Kleidung bereitlegen wird. Weiterhin stelle ich dir einige Vitamine zusammen, welche du bitte für die Dauer von weiteren sieben Tagen einnimmst, um dein Immunsystem wieder zu stärken«, erklärte ich ihr.

Ein glückliches Lächeln zierte das Gesicht der jungen Frau. »Danke«, flüsterte sie.

Die letzten Tage mussten ziemlich langweilig für sie gewesen sein, da sie vermutlich außer einem Arzt niemanden zu Gesicht bekommen hatte. Q-Patienten erhielten alles über eine automatisierte Schleuse, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten. Die Ausbreitung eines solchen Virus konnte fatale Folgen für die gesamte Station haben. »Nicht dafür.« Ich nickte ihr ein letztes Mal zu, bevor ich mich wieder der Schleuse und dem Scanner zuwandte. »Atlantis, öffne den Durchgang zu meinem Büro.«

»Verifiziert. Schleusentor zu deinem Arbeitsbereich wird geöffnet.«

Nachdem auch ich die Desinfektionsdusche hinter mich gebracht hatte und frische Kleidung trug, warf ich die alte in den dafür vorgesehenen Entsorgungsbehälter und betrat mein Büro. »Atlantis, wie viel Zeit habe ich noch, bis mein nächster Patient kommt?«

»Fünfzehn Minuten. Soll ich dir einen Pausensnack bereitstellen?«

»Bestätigt.« Manchmal war der Computer ja doch ganz brauchbar. Der Snack, den der Bordcomputer mir bereitstellte, bestand aus kleinen runden Oblaten, die zwar nach nichts schmeckten, aber äußerst nahrhaft und sättigend waren. Dazu gab es ein Glas Wasser.

Ich stellte die Plastikschüssel und den Becher auf dem Schreibtisch ab und warf einen Blick auf meinen Screen. Der blinkende Briefumschlag markierte den Eingang einer neuen Nachricht, die ich mit einem Fingertippen aufrief. Sie war von Aaron.

 

Val, habe gehört, du brauchst heute Abend Stilberatung? Treffen uns um 19 Uhr in deinem Zimmer.

 

Thera, dieser Judas! Wer sonst konnte Aaron davon erzählt haben? Wie ich meine Freundin kannte, war sie, anstatt ihren Arbeitsplatz aufzusuchen, gleich zu ihm gerannt und hatte brühwarm erzählt, dass ich eine Einladung erhalten hatte, damit ich mich nicht doch noch drücken konnte. Wer brauchte noch Feinde, wenn er solche Freunde hatte?

 

Geht klar, werde da sein. Gleich, nachdem ich Thera ermordet habe.

 

antwortete ich, ehe ich grinsend in meine Oblate biss.

Corvin

 

»Er hat einen Hochzeitstermin festgelegt.«

 

Ich lag flach auf dem Rücken und atmete aus. Undurchdringliche Schwärze. Es war kaum zu glauben, dass irgendwo da oben eine Welt existierte, die noch viel größer war als die der D.U. Atlantis. So voller Licht, während es hier unten nur die künstliche Helligkeit gab, die die Stadt in die Weiten des Meeres strahlte. Beinahe zumindest.

Angespannt starrte ich durch die durchsichtige Kuppeldecke nach draußen und wartete. Ich befand mich am höchsten Punkt innerhalb dieses Abschnittes, auf dem Dach von Wohngebäude 2. Von hier aus musste ich nur die Hand ausstrecken, um die Hülle berühren zu können. Das Haus war so hoch, dass zwischen Außenwand und Gebäudedach nicht einmal ausreichend Platz war, um aufrecht sitzen zu können. Unruhig suchte ich die Schwärze über mir ab. Normalerweise dauerte es nicht lange, daher sollte mein Freizeitabschnitt ausreichen.

Mussteausreichen. Gerade heute wäre es bitter, wenn ich es verpasst haben sollte.

Als das erste Leuchten am rechten Rand meines Blickfeldes auftauchte, fühlte es sich an, als würde sich das imaginäre Korsett um meinen Brustkorb weiten und ich atmete aus. Grellblau hob sich der fluoreszierende Schwarm Quallen von der Dunkelheit des Meeres ab. Sie schienen von innen heraus zu strahlen, als wäre jede ihrer Zellen mit einer Leuchtdiode ausgestattet. Umgeben von ihrem gespenstischen Schein bewegten sich die feinen Ärmchen wie in Zeitlupe und schwebten schwerelos über Kuppel 1 hinweg.

Ein Knattern kündigte an, dass der Generator in dem Raum unter mir wieder ansprang und kurz darauf begannen die Rohre, die über das Flachdach verliefen, zu rattern. Ich streckte die Hand aus, um sie auf die Festibulum-Plastik zu legen. Das Material, das die einzige Barriere zwischen Tonnen von Meerwasser und uns bildete. Überflüssiger Raum, der mit Versorgungsleitungen gefüllt war und eigentlich nur dem Wartungspersonal zugänglich war. Der scharfe Geruch von Tresibonol stieg mir in die Nase, als er sich durch die Abluftgitter einen Weg außerhalb des Gebäudes bahnte. Das störte mich jedoch nicht, denn irgendwie gehörten das Röhren der Maschinen und auch der Gestank zu diesen kurzen Auszeiten. Und in den Räumen unter mir befanden sich nun einmal jene Chemietanks, die dafür sorgten, dass Salz- zu Trinkwasser wurde.

»Ich wusste, dass ich dich hier finde.«

Ich hatte das Knarren der Bodenluke über das Rauschen hinweg nicht gehört. Cas grinste mich breit an und sah seltsam aus unter der bläulichen Beleuchtung der Quallen. Seine sonst roten Haare wirkten dunkel. Einzig sein Overall, so schwarz wie das Meer um die Station, hatte immer dieselbe Farbe.

»Ich habe noch zehn Minuten«, grollte ich genervt.

»Mag sein.« Cas zog sich auf das Dach und legte sich mit einem Keuchen neben mich. »Es ist ja nicht so, dass man die leuchtenden Biester von überall sehen könnte.« Cas schnaubte und deutete diffus auf den Schwarm Quallen. »Es muss ja unbedingt dieser schmale stinkende Spalt zwischen Kuppeldecke und Hochhaus sein. Du bist wohl der einzige Mensch in Atlantis, der das hier nicht als absolute Fehlkonstruktion bezeichnen würde.«

»Zwingt dich ja keiner, hier zu sein.«

»Blendende Laune anscheinend. Wie wäre es stattdessen mit einem: Entschuldige, Cas, dass ich mich schon wieder einfach verpisst habe, ohne dir Bescheid zu sagen. Ich weiß, dass dir das echt Probleme einbringen kann und du eigentlich nicht von meiner Seite weichen darfst.« Er äffte mich mit seltsam tiefer Stimme nach und ich hob schweigend eine Augenbraue.

»Kann ich dich wenigstens fragen, wie du das Sicherheitssystem umgangen hast? Das Dach ist code- und irisgesichert«, fragte er leicht genervt, als ich es weiterhin vorzog, nichts zu sagen. »Ich musste einen riesigen Aufstand zaubern und letzten Endes sogar einen der Wartungstypen bitten, mir die Luke aufzumachen. Jetzt darf ich nachher in meinem Protokoll erklären, warum ich mir hier die Zeit vertrieben habe, statt mich um den zukünftigen Leiter der Station zu kümmern. Denn wenn dein Vater erfährt, dass du ausgerechnet hier bist ...« Er klopfte gegen das massive Rohr neben sich, dass leise vor sich hin blubberte. »Ich schätze, ich muss dir nicht sagen, dass Tresibonol dir ein hübsches Loch in deinen Menschenpelz brennt, falls es hier irgendwelche Undichtigkeiten gibt?«

»Ich habe die Wartungsprotokolle gecheckt. Alles in Ordnung«, erwiderte ich. Natürlich hatte ich das im System geprüft, bevor ich hergekommen war. Zwar war ich bei Weitem nicht so ängstlich wie mein Vater seit dem Hüllenbruch damals, aber eben einfach vorsichtiger geworden.

»Dein Glück. Ich werde sagen, dass du deine Sporteinheit vorgezogen und Sit-ups gemacht hast.« Obwohl mir nicht danach war, zerrte ein Grinsen an meinen Mundwinkeln. Einmal mehr stand es für ihn außer Frage, mich zu decken. Cas war nicht einfach nur mein persönlicher Wachmann. Ich konnte kaum zählen, wie oft er schon den Kopf für mich hingehalten hatte.

»Also? Details? Wie hast du den Schließmechanismus umgangen?« Natürlich wusste ich von seinem technischen Interesse, vielleicht war es letzten Endes sogar das gewesen, was uns beide zusammengeschweißt hatte. Doch heute war mir nicht danach zu fachsimpeln, also hob ich nur meinen Arm, an dessen Handgelenk ein Sicherheitsarmband baumelte, das gelb leuchtete.

»Ach. Du. Scheiße«, stieß Cas hervor, klang aber eher begeistert als wirklich schockiert. »Wo hast du das denn her?«

»Im Bürotrakt meines Vaters gibt es ein Lager, in dem die Dinger herumliegen«, gab ich wortkarg zurück.

»Heute lässt du dir alles aus der Nase ziehen, oder?« Cas stieß mich an. »Du hast dir eins genommen und auf die höchsten Freigaben programmiert?«

Er fragte, obwohl er natürlich längst wusste, was ich getan hatte. Als ich den Kopf in seine Richtung drehte, hielt er sich sein eigenes Armband unmittelbar vor das Gesicht. Seines leuchtete orange, keine besonders hohe Freigabe, was wohl auch daran lag, dass mein Vater sich auf diese Weise erhoffte, auch meinen Lebensraum einzuschränken. Ein sinnloses Unterfangen, da ich in den letzten Jahren meinen eigenen Weg gefunden hatte, mich frei auf der Station zu bewegen. Und diese Armbänder sorgten mit der richtigen Freigabe immerhin dafür, dass weder ein Irisscan noch eine Codeeingabe nötig wurde.

»Kannst du meins nicht auch umschreiben?«, fragte Cas.

»Damit es eine Warnung im System gibt und du deinen Job loswirst? Sicher nicht.«

»Du hängst halt an mir. Ich bin gerührt«, sagte er feixend.

Jeder Sicherheitsbeamte trug eines dieser Armbänder. Es war durchsichtig, fingerdick und umlief das Handgelenk. Anhand der Farbe, in der es leuchtete, konnten die Bewohner der D.U. Atlantis ausmachen, welche Freigabeberechtigung die Sicherheitsleute besaßen. Außerdem erkannte das System, welchen Zugang man hatte. Gelb war die höchste Freigabestufe. Man durfte überall hin und niemand zeichnete auf, wo man sich herumtrieb. Keine Rechenschaft. Freiheit.

»Aber trotzdem. Das ist ... es ist einfach genial«, stieß Cas aus und lachte auf. »Warum sind wir da nicht eher drauf gekommen?«

»Es wird nicht lange funktionieren«, erwiderte ich. »Das System wird bald erkennen, dass ich einen Account doppelt angelegt habe und den hier löschen.« Als hätte das Armband meine Worte vernommen, begann es mehrfach zu blinken - ein Warnzeichen - ehe es schließlich erlosch.

Cas seufzte. »Hach, wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein.«

»Hm.«

Stille. Der Quallenschwarm hatte sich von der Kuppel beinahe entfernt, sodass nur noch ein wenig Helligkeit zu uns hereinfiel. In den Wartungsbereichen gab es keinen schönen Schein, sondern nur kaltes Metall, Rohre und Leitungen. Ich mochte das. Orte wie dieser versteckten sich nicht hinter einer hübschen Fassade, sondern zeigten unmittelbar, was in ihnen steckte. Als würde man einen Blick in das Innere der D.U. Atlantis werfen dürfen.

»Alter. Dein Schweigen geht mir auf die Nerven. Was ist los?«

»Er hat einen Hochzeitstermin festgelegt«, sagte ich kühl.

Cas sog scharf Luft ein. »Scheiße.«

»Ja«, erwiderte ich nur, denn das traf es ziemlich genau.

»Wann?«

»Er gibt mir zwei Monate.«

Cas lachte nervös auf. Ich musste ihm nicht erklären, dass ich mit er meinen Vater meinte. Derjenige, der sich von einem entspannten Stationsleiter in einen peniblen Kontrollfreak verwandelt hatte. Er bestimmte, was ich aß, wann und wie viel ich trainierte, wo ich mich aufhielt, legte meinen Lehrplan fest und nun entschied er auch noch, mit wem ich den Rest meines Lebens verbringen sollte. Eine Weile lagen wir so da, während die fluoreszierende Helligkeit wieder der Dunkelheit der Meerestiefe Platz machte.

»Vielleicht wird es besser?«, fragte Cas.

»Was?«

»Na, mit Elizabeth.«

Ich lachte freudlos auf. »Sicher.«

Elizabeth war nicht nur übernervös, sondern auch laut und schrill. Allein, wenn ich ihre Stimme hörte, bekam ich Kopfschmerzen. Um das ein Leben lang ertragen zu können, müsste man sie schon auf stumm schalten können. Doch das allein war es nicht. Ihre letzte Intelligenz- und Lernbereitsschaftsstudie wies sie entweder als faul oder als nicht besonders heller Strahler unter dem Meer aus. Und genau das deckte sich auch mit dem Eindruck, den ich in den letzten Jahren von ihr gewonnen hatte. Selbst dem gräulichen Nahrungsmittelbrei für die niedrigeren Stufen traute ich mehr Feingefühl und Weitsicht zu.

»Aber sie ist scharf«, sagte Cas und ich konnte, ohne hinzuschauen, sein Grinsen hören.

»Klasse.«

»Alter«, sagte Cas erneut und zog die Vokale bei dem Wort nervend in die Länge. »Geiler Arsch. Hübsche Brüste. Lange blonde Haare. Schon mal was davon gehört, die Dinge etwas positiver zu sehen?« Wieder musste ich grinsen, obwohl ich eigentlich nicht in der Stimmung war. Cas war schon häufig wegen seiner altertümlich ordinären Ausdrucksweise abgemahnt worden, aber das interessierte ihn genauso wenig wie mich die auferlegten Regeln meines Vaters.

»Weißt du, was sie mich gestern gefragt hat?«, presste ich hervor.

»Nein?«

»Sie hat mir gesagt, dass sie darüber nachdenkt, warum die Kuppeln rund sind und nicht eckig. Und wollte wissen, ob mich das auch manchmal beschäftigt.«

Eine Weile herrschte Stille, doch schließlich drang ein leises Glucksen zu mir herüber.

»Kurz danach hat sie gesagt, dass sie sich oft darüber den Kopf zerbricht, ob unsere Kinder wohl einmal hübsch werden und was wir unternehmen sollen, wenn sie es nicht sind.«

»Was ihr ... unternehmen sollt? Was meint sie denn, was man da tun könnte?« Die Frage war von leisem Lachen erfüllt, während sein Körper neben mir zuckte. Geschichten von Elizabeth und ihren verbalen Ergüssen hatte uns manchen wirklich nervigen Tag gerettet. Doch heute, mit der Aussicht auf die Zukunft war mir nicht nach lachen zumute.

»Ja. Das habe ich auch gefragt.«

»Und was hat sie gesagt?«

»Dass in diesem Fall sicherlich eine der kinderlosen Familien bereit wäre, unseren Nachwuchs zu adoptieren.«

Cas schnappte nach Luft. »Das hat sie nicht gesagt?«

»Doch hat sie. Und sie hat es auch noch begründet. Da es weniger hübsche Kinder ja schlecht im Leben haben, wäre es für sie leichter, wenn sie bei ebenso hässlichen Eltern auswachsen, weil die sie besser auf die Zukunft vorbereiten könnten als wir.« Der Tank unter uns begann wieder zu blubbern und einen Moment war das das einzige Geräusch, das unsere Umgebung füllte. Anscheinend war auch Cas das Lachen vergangen.

»Und jetzt sag du mir noch mal, dass sie scharf ist«, fügte ich hinzu.

»Gut. Sie ist echt ... speziell.«

»Speziell. Ja, das trifft es.«

»Vielleicht solltest du deinem Vater sagen, dass Elizabeth ... dass es nicht ... also ...«

»Dass sie dumm ist wie einer dieser Beilfische, die stundenlang mit der Nase voran gegen die Kuppeln schwimmen?«

Cas lachte laut. »Ja. Genau so.«

»Er sagt, dass eine Frau nicht intelligent sein muss, um eine gute Ehefrau zu sein. Als Leiter der Station hätte ich Verantwortung und könnte nicht nach persönlichem Geschmack entscheiden.«

»Scheiße«, fluchte Cas einmal mehr.

Ich schnaubte. Seit Jahren fand ich mich damit ab, nahm hin und akzeptierte. Meine lächerlichen Versuche, es meinem Vater heimzuzahlen, indem ich mich regelmäßig seinen auferlegten Regeln entzog, waren dennoch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ich würde Elizabeth heiraten. Mein Vater hatte gesagt, dass es um die Zukunft der D.U. Atlantis ging und darum, dass unsere Genetik zusammenpasste. Doch ich wusste es besser. Ihm ging es vor allem um Sicherheit. Und Elizabeth war eine sichere Partie. Sie passte nicht nur hundert Prozent genetisch zu mir, sondern war zudem eine folgsame Bürgerin, die, genau wie ihre Eltern, alles für die Station tun würde. Keine Erkrankungen, keine Abmahnungen, keine sittenverfänglichen Einträge. Ich sollte eine verdammte Musterbürgerin heiraten.

Ein schriller Signalton riss mich aus meinen Überlegungen. Cas hob den Arm und das Blinken seines Armbandes erfüllte den kleinen Raum. »Damit sind deine zehn Minuten wohl rum«, sagte er dumpf.

»Scheint so«, entgegnete ich, machte aber keine Anstalten, ihm durch die Luke zu folgen.

Als Cas es bemerkte, steckte er den Kopf wieder hindurch und stöhnte. »Heute bitte nicht. Wenn du deinen Arsch nicht hier rein bewegst, streichen sie mir zwei Essensrationen. Das wäre bereits das dritte Mal diese Woche, dass du auf deinen Tagesplan scheißt.«

Ich spielte tatsächlich mit dem Gedanken, es darauf ankommen zu lassen, aber ich hatte keine Lust, dass Cas darunter leiden musste. Denn es stimmte, gestern hatte ich die Unterrichtseinheit über die Geschichte der Station ausfallen lassen und hatte mich stattdessen lieber in die Gesundheitsakten der D.U. Atlantis gehackt. Nur um festzustellen, dass Elizabeth tatsächlich so war, wie sie eben war. Die beiden Tage davor war ich durch die Station gestreift, einmal war Cas sogar dabei gewesen. Wann immer sich eine Möglichkeit bot, aus dem goldenen Käfig, in den mein Vater mich seit dem Tod meiner Mutter sperrte, auszubrechen, tat ich es. Cas bekam das Echo meiner eigenwilligen Aktionen häufig genug zu spüren, auch wenn er immer sagte, dass ihm das nichts ausmachte.

Ich schob mich an die Luke heran und fragte: »Was steht jetzt an?«

»Anscheinend sollst du die Unterrichtseinheit über die Geschichte der Station nachholen.«

»Großartig«, knurrte ich.

Cas warf mir einen gespielt strengen Blick zu, nachdem ich die Leiter nach unten gestiegen war. »Wehe du verpisst dich noch mal, ohne mir Bescheid zu sagen.«

Valea

 

»Ein Pickel ist kein Notfall!«

 

Nachdem ich die beiden Operationen und die Terminpatienten hinter mich gebracht hatte, kehrte ich in mein Büro zurück und nutzte den Pausenabschnitt dazu, etwas zu essen und mich auf den Termin vorzubereiten, auf den ich mich schon während des gesamten Tages gefreut hatte. Das erste Gespräch zur Schwangerschaftsbegleitung. Laut den Unterlagen, die Atlantis mir auf den Screen gelegt hatte, handelte es sich bei dem Pärchen um Narima und ihren Mann Thias. Während ich mir vom Computer Teile der Akte vorlesen ließ, packte ich ein Laboretti und weitere Dinge, die ich vielleicht benötigen würde, in die Tasche meines Kittels.

Nebenbei betrachtete ich Fotos der beiden, die der Akte angehängt waren. Beide entsprachen genau dem, was ich schon zuvor irgendwie erwartet hatte. Narima war eine große, dunkelhaarige Schönheit mit grünen Augen und auch ihr schwarzhaariger Ehemann mit den braunen Augen hätte durchaus einem dieser Hochglanzmagazine entsprungen sein können.

Die beiden hatten schon vor vier Jahren die Genehmigung für ein Baby beantragt, aber erst jetzt die Erlaubnis erhalten, denn Schwangerschaften waren auf D.U. Atlantis streng reglementiert, um einer Überbevölkerung auf der Station entgegenzuwirken. Unwillkürlich rieb ich mir mit dem Daumen über jene Stelle am linken Oberarm, wo der Chip implantiert war, der durch die Abgabe von Hormonen eine Schwangerschaft verhinderte. Auch Narima trug ein solches Implantat, aber ihres durfte ich heute entfernen, damit die beiden in die Zeugungsphase übergehen konnten.

Um überhaupt eine Chance zu bekommen, in die Warteliste aufgenommen zu werden, galt es viele Auflagen zu erfüllen. Zumindest aus dem theoretischen Unterricht der Lerneinheiten wusste ich, was bis zu diesem Punkt bereits hinter den beiden lag. Die wichtigste Voraussetzung, um überhaupt ins Auswahlverfahren zu gelangen, waren eine positive Analyse des Erbguts und die Tatsache, dass seit mindestens fünf Generationen keinerlei Verwandtschaftsverhältnis untereinander bestand. Die Regierung wollte mit diesen Einschränkungen das Risiko für Fehlbildungen und Erbkrankheiten so gering wie möglich halten. Hatte man es in die Warteschlange geschafft, galten noch strengere Regeln. Keine Drogen, kein Alkohol und die regelmäßige Überwachung des allgemeinen Gesundheitszustands waren nur ein Teil der Auflagen, die es einzuhalten gab. So sollte dafür gesorgt werden, dass sich jedes Paar sehr genau überlegte, ob es sich dem Gründen einer Familie gewachsen sah.

Mit einem Lächeln und laut klopfendem Herzen verließ ich mein Büro und trat auf den Gang, dessen weiße Wände lediglich durch mehrere Bilder der Erdoberfläche vor der Klimakatastrophe etwas aufgelockert wurden. Schnellen Schrittes machte ich mich zum Wartebereich auf, wo das junge Ehepaar saß, das zu betreuen in den kommenden Monaten meine Aufgabe war.

»Guten Morgen«, begrüßte ich die beiden, die einander an den Händen hielten und mir mit großen Augen entgegenblickten. Sehr gut, meine Stimme ließ nichts von der Aufregung, die in meinem Inneren herrschte, nach außen dringen. Ganz im Gegenteil zur sichtlich nervösen Narima, deren übereinandergeschlagene Beine im Sekundentakt auf und ab wippten. »Bitte folgen sie mir!« Mit einer schwungvollen Handbewegung wies ich in Richtung von Behandlungszimmer 2. »Atlantis, Tür öffnen!«

»Tür wird geöffnet.«

Wie auch im Quarantänebereich waren die Wände in diesem Raum gelb gestrichen, aber der Rest der Einrichtung unterschied sich deutlich. Um eine möglichst gemütliche Atmosphäre zu schaffen, hingen Bilder an den Wänden, die verschiedene Freizeitbereiche und einige der Gewächshäuser von D.U. Atlantis zeigten. Offene Regale, gefüllt mit Attrappen von Büchern in allen möglichen Größen und Farben, nahmen dem Raum etwas von der Sterilität. Leise Klaviermusik klang aus verborgenen Lautsprechern und auf beiden Seiten des Schreibtischs standen äußerst bequeme Sessel, die zum Verweilen einluden.

Dort ließen sich die beiden nieder und Thias räusperte sich. »Danke«, sagte er leise, fuhr sich mit der Hand durch das schwarze Haar und warf seiner Frau einen liebevollen Blick zu. »Wir sind sehr glücklich darüber, die Erlaubnis für ein Baby bekommen zu haben.«

»Vier Jahre des Wartens sind genug, um sich ausführlich auf die folgenden Monate vorzubereiten, weshalb ich gar nicht lange um den heißen Brei herumreden werde«, sagte ich lächelnd, während die Tür sich automatisch hinter mir schloss. »Ich freue mich, sie in dieser aufregenden Zeit begleiten zu dürfen. Wir werden noch einige letzte Tests machen«, mein Blick huschte zu Narima, »und dann entferne ich den Chip.« Ich umrundete den Schreibtisch und wollte mich gerade setzen, als im Nebenzimmer Stimmen laut wurden. Ich verharrte in der Bewegung und spitzte die Ohren.

»Sofort ... mein Vater ... Notfall!«

Oh oh ... Das klang nicht gut. »Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment«, bat ich Narima und Thias. Alle Räume waren nicht nur über die Gänge aus zu erreichen, sondern auch untereinander verbunden. Daher trat ich an die Durchgangstür, wo ich lauschend stehen blieb.

»Schnell!«, die Besitzerin der schrillen Stimme schien vollkommen hysterisch zu sein und meine medizinische Neugier kämpfte mit der Tatsache, dass wir uns in die Fälle der anderen Ärzte eigentlich nicht einzumischen hatten.

Was aber, wenn nebenan wirklich Not am Mann war und meine Hilfe nur von Vorteil sein konnte? Das Gekreische klang nicht gut, also bat ich Atlantis, die Tür zu öffnen, und betrat das Nebenzimmer. Verblüfft blieb ich stehen und starrte auf das Bild, das sich mir bot. Vor mir befand sich mitnichten eine schwer verletzte Person, sondern eine junge Frau mit einem Spiegel in der Hand.

Blondes Haar, lange Beine, symmetrische Gesichtszüge und riesige blaue Augen, die mich nun puppenhaft anblinzelten. Am Schreibtisch saß meine Kollegin Corelia und ein Herr mittleren Alters, offenbar der eigentliche Patient. Beide sahen irritiert zwischen mir und der jungen Frau, die mir irgendwie bekannt vorkam, hin und her.

»Was ist passiert?«, wandte ich mich an Corelia. »Es klang nach einem Notfall?«

»Es ist auch ein Notfall, aber diese impotente Person da«, mit dem Spiegel wurde in Richtung meiner Kollegin gefuchtelt, »will mir nicht helfen!«

Impotent?

»Elizabeth ...« Corelia seufzte. »Ein Pickel ist kein Notfall!«

Elizabeth? Ich betrachtete die junge Frau etwas genauer. Jetzt wusste ich, woher sie mir bekannt vorkam. Vor mir stand nicht nur die Verlobte von, wie Thera sagen würde, Mr. hotter als hot Corvin, sondern auch gleichzeitig die Tochter von Vorstandsmitglied Calvin. Sie war in Tränen aufgelöst. »Wie ich bereits sagte, so etwas Impotentes ist mir noch nie über den Weg gelaufen!«, jammerte sie in meine Richtung. »Sie will mir einfach nicht helfen. Dabei ist das da ...«, sie deutete auf einen kleinen Pickel an ihrem Kinn, »eine Katastrophe! Morgen Abend findet ein Fest statt und ich kann unmöglich so verunstaltet dort erscheinen!«

Impotent??? Oh. Mein. Gott.

»Hören sie, Elizabeth ...«, mischte ich mich ein und verbiss mir mühsam das Grinsen, während ich Corelia mit einer Handbewegung bedeutete, dass ich diesen Fall übernehmen würde. Ein erleichtertes Lächeln erschien auf deren Gesicht. »Wenn schon, dann ist meine Kollegin impertinent, also unverschämt, aber sie ist ganz bestimmt nicht impotent. Impotent bedeutet ...«

Ich begann damit, ihr unter Zuhilfenahme von medizinischen Fachbegriffen den Unterschied zu erklären. Meine Wortwahl überforderte Elizabeths Horizont sichtlich, aber mit den komplizierten Begriffen um mich zu schmeißen half mir dabei, nicht loszuprusten. Calvins Tochter auszulachen wäre vermutlich der leichteste Weg, um in Zukunft nur noch Unterkünfte reinigen zu dürfen, statt den Bewohnern der Station zu helfen.

»Atlantis, bitte die Tür zum Flur öffnen. Welcher Behandlungsraum ist zur Zeit frei?«

»Tür wird geöffnet ... Behandlungsraum 3 ist frei. Soll ich dort ebenfalls öffnen?«

»Bestätigt.«

Ich nahm Elizabeth am Arm und dirigierte sie mit sanftem Druck durch den Flur in das leerstehende Zimmer, das mir der Computer bereits zugänglich gemacht hatte. »Setzen sie sich«, bat ich Elizabeth.

»Atlantis, Rezeptanweisung. Ich brauche fünfzig Gramm Heilerde und eine zehn Gramm-Tube Silbersalbe«, orderte ich schon einmal, was ich ihr gleich verschreiben würde.

»Rezeptanweisung fünfzig Gramm Heilerde und zehn Gramm Silbersalbe«, wiederholte der Computer. »Die gewünschten Produkte können in fünf Minuten unter Anweisungsnummer 12 an der Medikamentenausgabe abgeholt werden.«

»Und sie hören mir bitte jetzt einmal ganz genau zu«, wandte ich mich an Elizabeth und entwand ihr den Spiegel. Ich legte ihn auf den Tisch, hob meine Hand und reckte den Daumen empor. »Erstens: Heute Abend gönnen sie ihrem Gesicht ein Dampfbad. Dampf öffnet die Poren der Haut und bereitet sie für die anschließende Pflege vor.« Ein zweiter Finger gesellte sich zu dem Daumen. »Zweitens: Eine Maske aus der Heilerde, die sie gleich erhalten werden. Mindestens eine Stunde einwirken lassen und danach sorgfältig abwaschen.«

Dritter Finger. »Drittens: Den Pickel mit der Silbersalbe großzügig bedecken, das kolloidale Silber in der Creme klärt unreine Haut.« Vierter Finger. »Viertens: Make-up zum Abdecken nicht mit dem Finger auftragen, sondern mit einem Wattestäbchen. Tupfen, nicht wischen. Für den Rest des Gesichts sauberes Schwämmchen benutzen.« Jetzt hielt ich die ganze Hand hoch. »Fünftens: keinen Alkohol. Er wirkt sich negativ auf die Durchblutung aus und fördert somit die Bildung von Hautunreinheiten.«

Eigentlich lag es mir nicht, jemandem eine Sonderbehandlung zukommen zu lassen, aber mir war klar, dass ich Elizabeth so am schnellsten loswurde und mich wieder meinen eigentlichen Patienten widmen konnte. »Verstanden?«

»Ja. Wenigstens eine Person in diesem Laden, die meine Probleme ernst nimmt!« Elizabeth wiederholte meine Anweisungen wie ein Mantra, während sie heftig nickte.

Ich biss mir fest auf die Lippe und setzte ein neutrales Lächeln auf. »Wunderbar. Die von mir genannten Produkte bekommen sie jetzt vorn an der Medikamentenausgabe«, sagte ich und schob sie in Richtung Tür. »Die Anweisungsnummer lautet 12. Die Medikamente sind im Übrigen nicht verschreibungspflichtig. Sie können diese also jederzeit bei Atlantis zur Produktion anweisen, sollte es nötig sein. Atlantis, Tür öffnen!«

»Tür wird geöffnet.«

»Danke, Med-Op. Nicht auszudenken, was ich ohne Sie getan hätte! Es wäre zu schrecklich, beim morgigen Fest so entstellt die Gäste an Corvins Seite unterhalten zu müssen«, plapperte Elizabeth weiter, während sie das Behandlungszimmer verließ.

Mir kam in den Sinn, dass es nur ihr Aussehen sein konnte, das die Aufmerksamkeit vom Sohn des Stationsleiters erregt hatte, denn offensichtlich diente ihr Kopf ansonsten nur der Hohlraumversiegelung. Ob es Frauen wie Elizabeth waren, die dafür gesorgt hatten, dass es Schwangerschaftsselektion gab? »Ich bin sicher, Corvin wird es zu schätzen wissen«, erwiderte ich und folgte ihr hinaus auf den Flur.

Schnellen Schrittes kehrte ich dann in den Raum zurück, in dem meine eigentlichen Patienten noch immer auf mich warteten.

»Entschuldigen sie die Unterbrechung, es gab einen kleinen Notfall«, erklärte ich den beiden mit einem neutralen Lächeln und setzte mich wieder an den Schreibtisch. »Wie ich bereits sagte, entfernen wir heute das Implantat zur Verhütung, damit sie beide zum vergnüglichen Teil der Zeugungsphase übergehen können.«

»Atlantis, bitte prüfe die Genehmigung zur Auswahl von Festivitätsbekleidung für Bewohnerin 27867«, sprudelte mein bester Freund hervor, noch bevor er vollständig in meinem Zimmer angekommen war. Mit einem leisen Zischen schloss sich die Tür hinter ihm. Wieder einmal standen ihm die dunkelblonden Haare in alle Richtungen vom Kopf ab. Das ließ seine Frisur so wirken, als habe er sich keine Bürste mehr leisten können, weil seine Credits für Massen an Gel draufgegangen waren. Out of Bed-Style nannte Aaron das. Zu faul zum Kämmen nannte ich es.

»Die Bewohnerin 27867 hat die Erlaubnis für Sonderbekleidung aufgrund der Einladung durch Stufe 1 am morgigen Abend«, schnarrte Atlantis schneller aus den Lautsprechern, als ich meinen Mund auf- und wieder zuklappen konnte und ich ließ mich mit einem frustrierten Schnaufen auf das Bett plumpsen.

Ich würde Thera nicht umbringen. Nein. Ich würde sie langsam umbringen! Es war eindeutig auf ihren Mist gewachsen, dass Aaron sich jetzt vor dem in der Wand eingelassenen Monitor zu meiner Linken aufbaute und sich in die virtuelle Kleiderkammer einloggte. Mit ein paar schnellen Wischbewegungen navigierte er sich durch die einzelnen Teile an Bekleidung, die das System mir für den morgigen Abend zur Verfügung stellte.

»Schätzchen, du glaubst nicht, was ich darum geben würde, an deiner Stelle zu sein!«, kam es seufzend von Aaron, während er sich zu mir umdrehte und mich aus grünen Augen ausgiebig musterte.

»Vergiss es.« Wider Willen musste ich grinsen, obwohl auch ich einiges dafür geben würde, dass er an meiner Stelle wäre. »Corvin spielt nicht an deinem Ufer. Ich hatte gerade eben erst eine Begegnung der dritten Art mit seiner Verlobten.«

»Bei ihm würde ich es auf einen Versuch ankommen lassen.« Aaron setzte sich in den Schwingsessel neben meinem Bett, zog die Schuhe aus und die Beine an, um sie in einem Schneidersitz zu verknoten. »Also, sag an ... was wirst du mit deinen Haaren machen?«, fragte er.

»Mit den Haaren?«, echote ich. Manchmal fragte ich mich, wie ausgerechnet ich an Freunde wie Thera und Aaron hatte geraten können. Die aufgedrehte, unangepasste Thera, Aaron, der Homosexuelle und ich, die Musterschülerin – vermutlich hatten wir schon in den Lerneinheiten der Schule ein seltsames Bild abgegeben. Vielleicht zogen sich Gegensätze ja wirklich an?

Meine kupferroten Haare fielen mir in leichten Wellen bis weit in den Rücken und ich trug sie zumeist in einem schlichten Zopf, damit sie mir nicht im Weg waren. Was war daran nicht in Ordnung?

»Vergiss es, Val.« Aaron schnaubte energisch, als hätte er meine Gedanken gelesen, ließ die Füße zu Boden gleiten und gab dem Sessel einen Schubs, sodass er vor und zurück wippte. »Du wirst nicht mit einem Pferdeschwanz auf diese Party gehen!«

»Aber in welchem Rhythmus ich atme, darf ich selbst entscheiden?«, gab ich patzig zurück. »Wer sagt, dass ich das vorhatte?«

Mein bester Freund schwieg, aber die Art, wie er beide Augenbrauen nach oben zog und mich ansah, sprach Bände.

»Ja ja, schon gut.« Ich seufzte und rutschte von meinem Bett herunter. Je weniger ich mich sträubte, desto wahrscheinlicher war es, dass ich einigermaßen glimpflich aus dieser Aktion herauskam. »Also, was schlägt Großmeisterin Thera vor?« Mit Sicherheit hatte sie Aaron genaueste Anweisungen gegeben, bevor sie zu ihrem Date mit Mero aufgebrochen war.

Er grinste. »Flechtfrisur, blauer Rock, cremefarbenes Oberteil«, leierte er herunter. »Blau strahlt sympathische Jugendlichkeit aus, beige wirkt dezent überzeugend. Ihre Auswahl kannst du dir auf dem Screen anschauen.«

Blau und Beige? Ich runzelte skeptisch die Stirn und trat an den Monitor, auf dem drei verschiedene Kleiderkombinationen zu sehen waren. Einladungen wie die morgige waren eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen es offiziell erlaubt war, andere Farben als die der Stufenzugehörigkeit zu tragen. Jedoch war ich nicht davon überzeugt, dass ausgerechnet Thera darüber entschied, welche Farben ich miteinander vermischen sollte.

»Na, dann wollen wir mal«, murmelte ich und tippte die erste Kombi an, um die Kleidersimulation zu starten, bevor ich mich zur gegenüberliegenden Wand und dem Spiegel umdrehte. Es würde einen Moment dauern, bis der Computer das virtuelle Modell des ersten von Thera ausgesuchten Sets auf diesen übertragen hatte, daher nutzte ich die Gelegenheit, um mich meiner Arbeitskleidung zu entledigen. Nur noch mit Unterwäsche bekleidet warf ich den grünen Stoff in die in der Wand eingelassene Öffnung für Schmutzwäsche und schob die Schiebetür zur Seite, hinter der sich mein Regal mit Freizeitwäsche befand.

»Set 1 fertig zur virtuellen Anprobe«, meldete der Computer.

Ich zog ein Shirt und eine bequeme Hose aus dem mittleren Fach, warf beides schwungvoll auf mein Bett und tapste dann vor den Spiegel. Ich positionierte mich so mittig davor und begutachtete mit gekräuselter Nase, was ich sah. Zu meiner Überraschung sah ich nicht so fürchterlich aus, wie ich erwartet hatte. Thera hatte einen etwa knielangen, geschwungenen Rock und eine schlichte, beigefarbene Bluse mit rundem Ausschnitt als erste Kombination gewählt. Dazu gab es flache, ebenfalls beige Ballerinas.

Aaron erhob sich und trat an meine Seite. Im Spiegel konnte ich ihn anerkennend nicken sehen. »Du solltest viel häufiger ...«

Noch bevor er erläutern konnte, was ich viel häufiger sollte, ging draußen eine Sirene los und die Computerstimme von Atlantis erklang. »Achtung, Achtung, es folgt eine wichtige Durchsage. Es wurde ein Computerfehler in Kuppel 5 festgestellt. Aus Sicherheitsgründen werden die Systeme aller Kuppeln für eine Dauer von dreißig Minuten ausgeschaltet und neu gestartet. Die Lebenserhaltung ist hiervon nicht betroffen. Ich wiederhole, die Lebenserhaltung ...«

»Oh nein, nicht schon wieder ...«, seufzte ich.

Corvin

 

»Du möchtest mich umbringen!«

 

»Da rein!« Cas stieß mich so heftig an, dass ich grob gegen die Wand prallte und dann in den schmalen Durchgang zu einem der Versorgungsdecks taumelte. Keine Sekunde zu früh. Im nächsten Moment sprintete eines der Sicherheitsteams in der roten Sicherheitsbeleuchtung an unserem Versteck vorbei, das im Halbdunkeln lag. Schwer atmend stützte ich mich auf den Oberschenkeln ab, wobei meinem Mund ein Auflachen entkam. Mein Körper kribbelte.

»Findest du das lustig, Mann?«, fragte Cas und spähte gehetzt um die Ecke auf den Gang. Auch wenn er versuchte, ernst zu schauen, erkannte ich dennoch das begeisterte Funkeln in seinen Augen, als er mich wieder ansah. Er stand genauso darauf wie ich, das konnte er, so oft er wollte abstreiten.

»Ist doch alles gut gegangen«, sagte ich und lehnte mich rücklings gegen die Wand.

»Gut gegangen«, wiederholte Cas genervt. »Sicher. Alles bestens. Du hast nur wieder einmal dafür gesorgt, dass der Computer sich neu bootet, sämtliche Sicherheitseinheiten alarmiert und ... ach scheiße.«

Ich grinste und spürte, wie Adrenalin durch meinen Körper pumpte. Als wäre ich nach der Offenbarung meines Vaters zum ersten Mal wieder lebendig und nicht bloß eine agierende Hülle. »Es hat uns keiner erwischt.«

»Ja, aber das ist nicht deiner ...« Er verstummte, als abermals die Geräusche von schweren Stiefeln erklangen und eine weitere Gruppe Sicherheitsleute an uns vorbeieilte. Cas fuhr sich durch das Haar und atmete angestrengt aus. »Ich wollte sagen, dass das nicht dir zu verdanken ist. Sie haben uns getaggt.«

»Ab diesem Zeitpunkt vergehen meistens noch fünf Minuten. Fünf Minuten, die ich nutzen musste, wenn ich denn schon mal im System bin.«

Cas stieß einen fiepsenden Laut aus, der ein wenig so klang wie Elizabeth, wenn man ihr sagte, dass eine wichtige Veranstaltung anstand. »Ich werd zu alt für den Dreck.«

»Du bist zwanzig«, gab ich kopfschüttelnd zurück.

Im gleichen Moment teilte Atlantis monoton mit: »Normalzustand wiederhergestellt.«

»Na also.« Ich grinste. »Alles halb so schlimm.«

»Du möchtest mich umbringen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das dein Wunsch ist.« Cas verzog das Gesicht. »Auf meiner Entsorgungskapsel wird stehen: gestorben aufgrund der Leichtsinnigkeit seines besten Freundes.«

Ich klopfte ihm feixend auf die Schulter. »Besser als: gestorben an Langeweile.«

Ich trat hinaus auf den Gang und fühlte mich beschwingt wie schon lange nicht mehr. Wir hatten uns auf Etage 4 geflüchtet, in der sich ausschließlich kleine Forschungslabore befanden. Eine graue Tür reihte sich an die nächste, waren lediglich durch die Nummer, die digital darauf angezeigt wurde, voneinander zu unterscheiden. Am Ende des Ganges gelangte man zu einem Fahrstuhl, der einen in die oberen Stockwerke führte. Ich legte meine Hand auf das glatte Material, bis die Tür sich öffnete. »Fahrstuhltür offen«, teilte Atlantis mir mit, nur um kurz darauf verlauten zu lassen: »Fahrstuhltür geschlossen.«

»Atlantis, Erdgeschoss bitte«, sagte ich und grinste Cas breit an, der noch immer unglücklich und gehetzt aussah.

Der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung.

»Will ich eigentlich wissen, was genau du da versucht hast?«, fragte er.

»Vermutlich besser nicht.«