Und weiter geht die wilde Jagd - Brigitte Kren - E-Book

Und weiter geht die wilde Jagd E-Book

Brigitte Kren

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Beschreibung

Brigitte Kren beschreibt in humorvoller Weise ihren kurvenreichen Werdegang, vom Kinderstar am Linzer Landestheater zum heutigen Publikumsliebling. Auf der Bühne, im Kino und in TV-Serien ist sie eine gefragte Künstlerin. Doch der Weg der alleinerziehenden Mutter zum Star war mit steinigen Umwegen und Doppelbelastung gepflastert. Ihren Beruf als diplomierte Medizintechnikerin übte sie 30 Jahre lang aus, als Szenewirtin war sie im bekannten Lokal »Panigl« erfolgreich. Ihren Durchbruch feiert sie mit über 50 Jahren mit der beliebten Serie »Vier Frauen und ein Todesfall«, erst da kündigte sie ihren Brotberuf und widmete sich ganz der Schauspielerei. Zahlreiche Engagements folgten, aktuell ist sie vor allem in ihrer Rolle als Leiterin der »SOKO Donau« bekannt. Das Buch zeigt eine Frau, die sich mit Kraft und Zähigkeit Konventionen widersetzt und ihr Ziel leidenschaftlich verfolgt. »Die Gitti ist das rare Exemplar eines Ganzkörper-Herzens. So uneitel wie unbestechlich, so instinktsicher wie integer. Könnerin, Kameradin und Klassefrau. Eine Menschendarstellerin, die auch als Mensch was darstellt.« (Dieter Chmelar | Autor und Kabarettist)

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Ihr Weg war alles, nur nicht gerade Brigitte Kren erzählt mit Humor und Offenheit von ihrem kurvenreichen Werdegang.

Vom Kinderstar am Linzer Landestheater zur gefragten Schauspielerin auf Bühne, im Kino und in TV-Serien. Der Weg dorthin war für die alleinerziehende Mutter geprägt von Doppelbelastung und steinigen Umwegen.

Ihren Durchbruch feierte sie erst mit über 50 Jahren n der Kultserie „Vier Frauen und ein Todesfall“. Sie wagt den entscheidenden Schritt, kündigt ihren sicheren Brotberuf als diplomierte Medizintechnikerin und folgt ganz ihrem Traum: der Schauspielerei.

Dieses Buch porträtiert eine Frau, die mit Beharrlichkeit ihren eigenen Weg geht, Konventionen trotzt und zeigt, dass Erfolg kein Alter kennt.

Mit Elefanten in Thailand

„Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche, sie ist Kühnheit und Erfindung“

Eugene Ionesco

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der Wunsch, eine Biografie zu schreiben, ereilte mich knapp vor Weihnachten. Ein paar Wochen ehe Corona auf uns zukam. Zu einer Zeit, in der Tageslicht für Langschläfer wie mich auf wenige Stunden begrenzt war, in der das nervenaufreibende „Fest der Liebe“ vor der Tür stand und ich noch keine Silvestereinladung in der Tasche hatte. Zu einer Unzeit also.

Die Silvestereinladung kam, die Lust zum Schreiben nicht. Vielleicht war es Faulheit, vielleicht ein Festhalten an meiner Privatsphäre. Bei genauerer Betrachtung erkannte ich jedoch, dass sich meine Privatsphäre durch nichts von jener anderer Menschen unterschied und um keinen Deut schützenswerter ist. Ein wunderbarer „Aha-Moment“ mit angeschlossener Demutsübung.

Vielleicht war es auch Angst, in den Spiegel zu schauen und der sogenannten Wahrheit zu begegnen. Versperrte Schubladen zu öffnen, deren Schlüssel schon längst am schlammigen Donauboden liegen. Und cui bono, wem hilft eine Biografie? Dem Leser? Dem Verlag? Gar mir? Gut, würde ich mit zwei Affen und einem Zebra auf einer Tiroler Alm leben, dort Steppkurse abhalten oder im Mittelburgenland neben der Theaterarbeit eine Zucht mit weißen Lachsen betreiben, würde das womöglich für hohe Auflagen sorgen. Aber Erzählungen aus meiner kleinen, geschützten Schauspielerwelt? Einer Welt, die mehr aus Schein denn aus Sein besteht und in der meine Wurzeln eher in der Luft angesiedelt sind?

Das ist auch der Grund, warum ich in diesem Buch viel von anderen Menschen berichte. Von Weggefährten aus ein paar Jahrzehnten, aber vor allem aus den wilden Achtzigern.

Mit zunehmendem Alter verspüre ich eine kleine Abneigung dagegen, etwas darstellen zu müssen, das manchen Autoren so aus ihrer Feder geflossen ist. Es sei denn, sie heißen Nestroy oder Shakespeare. An manchen Drehtagen möchte ich lieber Tierpfleger in Schönbrunn sein oder im eigenen Zuckerlgeschäft Drageekekserl verkaufen. Überhaupt dazumal, als uns und mich die weltumspannende Seuche überrannte. Und dann eine Biografie schreiben? Mir ist die Sinnhaftigkeit so eines Unternehmens abhandengekommen. Die Nachrichten zeigten die ersten Särge in Bergamo und ich begann meine Dokumente zu ordnen, um den Kindern posthumes Suchen zu ersparen. Liebesbriefe, einzelne Fotos und auch die ersten biografischen Seiten wurden entsorgt. Wen genau sollte es in dieser verdrießlichen Weltlage wohl interessieren, welchen Kindergarten Frau Kren besucht hat? Niemanden!

Heute, fünf Jahre später, bin ich um einige Erkenntnisse reicher, habe meinen Optimismus und meine Gelassenheit wiedergefunden und freue mich, dass Sie mich auf meiner Reise in die Vergangenheit begleiten. Zusammen sind wir weniger allein, und dafür danke ich Ihnen.

An dieser Stelle möchte ich mich auch bei meiner Freundin und Kollegin Michaela Rosen für ihre Aufforderung „Gitti, du musst schreiben“ bedanken. Damit hat sie mir den letzten Anstoß zu diesem Buch gegeben.

Ihre Brigitte Kren

PS: Dass dieses Buch nun wirklich gedruckt vor Ihnen liegt, ist geballter Frauenpower zu danken. Über meine Freundin Michaela Rosen kam ich zur hochgeschätzten Professorin Brigitte Sinhuber, die mir geraten hat: „Wissen Sie, man riecht es durch den Buchdeckel hindurch, ob Sie die Wahrheit sagen, oder nicht!“ – Ich habe ihren Rat befolgt. Durch Brigitte Sinhuber kam ich zum Carl Ueberreuter Verlag und zur Verlagsleiterin Brigit Francan. Sie erbarmte sich meiner flapsigen Schreibweise und half mir „auf’s Radl“, wie man in Wien zu sagen pflegt. Es war eine Freude, mit ihr zu arbeiten.

› * * * ‹

Inhalt

Über das Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Zum Schluss

Fotonachweis

Über die Autorin

Es war eine schnelle Bewegung von rechts nach links, daran kann ich mich erinnern – an den Stich ins Fleisch allerdings nicht mehr.

Skandal in einem Kindergarten in Bruck an der Mur: „Aber der Bub hat mir dauernd ins Essen gegriffen!“ Irgendwann wurde es der vierjährigen Brigitte K. zu viel und sie stach dem gleichaltrigen Tischnachbarn Bernhard F. die Gabel in den Handrücken. Mit Wucht – und tief! Beide Kinder mussten nach dieser Episode die Kinderaufbewahrungsstätte für immer verlassen. Das Opfer, weil die zu Recht empörten Eltern ihren Augensternbuben noch am selben Tag aus dieser gefährlichen Anstalt nehmen wollten, und die Täterin – also ich –, weil ich den Ort des Verbrechens umgehend verlassen musste. Aber egal, besonders angenehm fand ich es dort ohnehin nicht. Meistens schlug einem schon in aller Früh der Geruch verbrannten Vanillepuddings entgegen und beim Mittagsmahl wollte der bereits kalte, braungrüne Kohl den Weg zum Mund nicht recht finden. Es folgte ein angeekeltes, gefühlt stundenlanges Anstarren dieser veganen „Spezialität“. Die erzwungene Rast im Anschluss erfolgte am Boden eines großen, meist viel zu kühlen Saales. Meine Gabelattacke kam also nicht von ungefähr!

// SCHNITT – 40 Jahre später in Wien //

Ein gesetztes Abendessen, Marke edel, aber angenehm, die Ausspeisung vom Feinsten! Angeregte Gespräche, begleitet von leisen Jazzklängen, gedämpftes Licht. Launige Anekdoten nahmen Platz in allumfassender Gin-Tonic-Seligkeit. Mein offenbar gebildeter und nebenbei wahnsinnig gut aussehender Sitznachbar erzählte, ich lauschte. Eigentlich aber nur seiner tiefen, angenehmen Stimme. Ohne dem Inhalt wirklich zu folgen, beobachtete ich ihn hochinteressiert. Es lag etwas in der Luft, Sie wissen schon. (Wenn er schon nicht der Vater meiner ungeborenen Kinder sein sollte, dann zumindest Begutachter meines neuen Boxspringbettes.)

Nachdem ich ausgiebig von meinen steirischen Großeltern im Vulkanland geschwärmt hatte, erzählte auch mein Gegenüber sympathisch und vertrauensselig über seine Kindheit, auch er hatte einen gewissen Bezug zur Steiermark. Den Kindergarten hatte er beispielsweise in Bruck an der Mur besucht.

„Ein schlimmes Mädchen hat mir eine Gabel in die Hand gejagt.“ Lachend, beinahe stolz, zeigte er mir die Narbe. Ich, plötzlich nüchtern, nervös und achselnass, gab ein scheinheiliges „Echt?“ von mir. Sollte nun mein ganzes Flirtgehabe umsonst gewesen sein? Dieses unsinnige, aber immer wieder effektive, altertümliche Getue, dieses Gekichere samt gesenktem Blick, wann immer er auch nur in die Nähe einer Anzüglichkeit kam, die dauerbefeuchteten Lippen, das Wimperngeklimpere?

Doch meine Ehrlichkeit – nein, meine Sensationslust – siegte.

„Ich war das schlimme Mädchen!“

Vielleicht verstand er „Ich bin ein schlimmes Mädchen“, denn er umarmte mich spontan.

„Ich verdanke Ihnen meine Karriere! Wissen Sie, nach diesem Vorfall im Kindergarten bekam ich einen Privatlehrer, eine Seele von einem Menschen, der meine Wissbegierde derart förderte, dass ich ein sehr guter Schüler wurde. Mit 17 maturierte ich und schloss mein Studium in kürzester Zeit ab. Dann ging ich nach England und jetzt sitzt ein gemachter Mann vor Ihnen!“

Potzblitz – und das alles nur wegen meines frühkindlichen Ausrasters? Da sage noch einer, Jähzorn habe nicht auch Gutes an sich. Denn jener blieb mir. Leider bis heute. Meiner Amygdala kann man ein Krönchen aufsetzen.

(Sollten Sie, so wie ich bis vor Kurzem, nicht wissen, wer oder was das ist: Diese Amygdala sitzt in unserem Gehirn und ist für die Emotionen verantwortlich. Amy, wie ich sie nenne, und ich sind im Laufe der Jahre „best friends“ geworden und hören mittlerweile immerhin ein bisschen aufeinander, um gröbere Eskalationen zu vermeiden. Doch meist siegt Amy, und ich habe dann den Scherbenhaufen aufzuräumen.)

Besagter Abend endete leider nicht horizontal, aber jedenfalls vergnügt und mit viel Gelächter. Wir haben uns auch wiedergetroffen. Er wollte mehr, ich weniger, war er doch verheiratet, wie sich spät, aber doch herausstellte. Zwar „schon in Trennung lebend“ und „bald geschieden“, aber diese Nummer kennt man. Hände weg von Korea! Schade eigentlich, aber ein bereits gebundenes Männlein mit Sexualität binden zu wollen, könnte ein Eckkantenzulauf werden. Mit gebrochenem Nasenbein, von einer möglichen Herzfraktur ganz zu schweigen. Mit Juchu-Gedöns und wehenden Höschen in die Wüste laufen? Herzlichen Dank, aber wirklich nicht!

Natürlich gibt es in der Wüste herrliche Oasen. Ozonreiche, perlende Wasserspender nach langen Trockenläufen, orkanartige Duschen im Gefühlsbad der wohligen Erwartung. Aber Oasen sind und bleiben Oasen und wohnen in der Wüste. Bitte, wer es gern heiß und trocken will – nur zu! Wer gern abends das Mobilfunkgerät anstarrt, um ihn wenigstens zu hören, verklausuliert als „Helmuth Elektriker“ in seinem Namensregister, der wird möglicherweise auch zufrieden sein in so einer Oasenwelt. Wer gern ein bisserl leidet, kann sich ein fesches Beduinenzelt fußnah einer Oase aufstellen. Warum nicht?

Manchmal, sagt man, werden ja aus Wüstenoasen saftige grüne Almen mit Goldringerl am Finger, aber nur manchmal. Nach errungenem Almenstatus könnte es allerdings passieren, dass man sich als Ex-Wüstenprinzessin – nun mit Vierkanthof und Allradschlitten vor der Tür – nach diesen prickelnden Oasenmomenten zurücksehnt. Vor dem Vierkanter winken nämlich hauptsächlich Tannenwipferl, und der einst feurige Oasenhengst liebt jetzt vorrangig Äcker und Gehöft.

Ich bin kein Moralapostel, liebe Leserin, vielleicht auch werter Leser, ich empfinde mich als durchaus liberalen Mensch mit gediegener Toleranz. Aber ich bin auch ein arrogantes Huhn, das sich nie in die zweite Reihe stellen wollte, obwohl so ganz stimmt das auch wieder nicht, aber dazu später mehr.

Wie ich nach Bruck an der Mur gekommen bin, fragen Sie sich?

› * * * ‹

Geboren wurde ich am 27. Jänner vor 70 Jahren. (Ein gewisser Mozart ist angeblich auch am 27. Jänner, ein paar Jahre vor mir, zur Welt gekommen. Eine Hausgeburt. In Salzburg. Am wichtigsten allerdings war der 27. Jänner 1945: Das Konzentrationslager Auschwitz wurde befreit und der 27. Jänner zum Holocaust-Gedenktag erhoben.)

Den Erzählungen nach muss ich nach der Sternstunde meiner Geburt wie ein Alien ausgesehen haben. Ich hatte einen ovalen Kürbiskopf, genauer gesagt einen Butternusskürbiskopf. Dass meine bisweiligen klaustrophoben Zustände von einem zu langen Aufenthalt im Geburtskanal rühren könnten, sagt zumindest mein fiktiver innerer Psychiater.

»

Vor einer Weile kam die U-Bahn zwischen zwei Stationen zum Stehen. Vorweihnachtszeit, vollgestopft mit müden, gereizten Menschen, und das auch noch zur Rushhour. Der Lautsprecheransage zufolge schien es eine längere Angelegenheit zu werden. So stand ich und versuchte, ruhig zu bleiben. Doch so eine Klaustro-Attacke kommt ziemlich schnell und meist unverhofft. Beschleunigter Puls, Engegefühl im Hals, Beklemmung. Ja, Angst eben. Mein vielfach erprobtes persönliches Gegenmittel ist, sofern es denn irgendwie möglich ist, das Öffnen der oberen Knöpfe meiner Kleidung oder aber eine menschliche Berührung. In Panik sah ich mich nach einem „Opfer“ um. „Entschuldigen Sie, könnten Sie bitte meine Hand halten und mit mir reden?“ Ein etwa 50-jähriger Mann mit Hut und Aktentasche sah mich verwundert an, ergriff meine zitternden Finger aber umgehend. „Ja, was soll ich denn reden mit Ihnen?“ – „Irgendwas bitte, und zwar möglichst schnell! Wie schmücken Sie Ihren Christbaum heuer?“ Offenbar erkannte er meine Not und berichtete mir mit ernstem Gesicht, dass er wie jedes Jahr einen bäuerlichen Christbaum mit Äpfeln und Strohsternen aufstellte. Die Mitreisenden hörten interessiert zu. Als er nach einer genauen Erläuterung des Christmahls beim weihnachtlichen Nachtisch angekommen war, setzte sich die U-Bahn wieder in Bewegung und mir ging es sogleich besser. Was für ein hilfsbereiter, liebenswürdiger Mensch! Mit einem „Geht’s wieder?“ ist er an der nächsten Station ausgestiegen. Ein Weihnachtsengel, von dem ich wünschte, er würde diese Zeilen lesen.

Ein weiteres Klaustro-Abenteuer widerfuhr mir im Wiener AKH. Damals verdiente ich meinen Lebensunterhalt als Medizintechnikerin, mein sogenannter „Brotberuf“, von dem ich im weiteren Verlauf des Buches noch berichten werde. An jenem Tag hatte ich im siebten Stock des Hauses zu tun und nahm unüberlegterweise den Lift. Keine Besucher, keine Patienten, nur ein älterer Hausarbeiter und ich in diesem kleinen, stählernen Kasten, der einfach am siebten Stock vorbei und immer höher und höher fuhr. Bis er dann irgendwo zwischen den Stockwerken stehen blieb. „Is defekt“, meinte der Hausarbeiter, „is in letzte Zeit oft, is Klumpat. Kaun dauern!“

Panik, Angst, Schweißausbruch. Sie wissen schon.

„Bitte, darf ich Ihre Hand halten?“, fragte ich mit steigender Nervosität.

Wäre der Lift nicht nach ein paar Minuten weitergefahren, würden wir vermutlich heute noch so da drinstehen. Erstarrt. Ich vor Angst, er vor Verlegenheit. Händchenhaltend. Im letzten Stock stieg ein Mediziner meiner Abteilung zu. Ihm entfuhr ein erstauntes „Oh!“, als er mich und den etwa 60-jährigen Mann mit todernster Miene händchenhaltend dastehen sah, war ich doch gerade erst stramme 25. Der freundliche Jugoslawe stieg aus, der Doktor ein. Die Abfahrt erfolgte kommentarlos, und obwohl wir uns Tage zuvor erst nähergekommen waren, bat ich ihn nicht, mit mir zu reden oder seine Hand halten zu dürfen! Irgendwann reichte es auch mit den klaustrophoben Zuständen.

„Der Kopf schrumpft wieder“, wurde meinem nervösen Vater, der mit Blumensträußlein in den zitternden Händen vor der Tür wartete, von allen Seiten versichert. Ich war mit 56 Zentimetern das größte Baby seit langem in dieser Klinik gewesen! Dieser stattlichen Größe fügte ich in den letzten 70 Jahren allerdings nur noch einen Meter hinzu. (Ob mein Faible für große Männer daher rührt? Möglicherweise eine Kompensation.)

»

Nun, der Theorie, dass „der Start ins Leben“ bereits bei der Zeugung eintritt, kann ich durchaus etwas abgewinnen, allerdings ist dies kaum verifizierbar, kopulieren doch verliebte Paare zu jeder Tages- und Nachtzeit vor sich hin. Wann es dann tatsächlich eingeschlagen hat, weiß nur das göttliche Reisebüro. Bei meinen Eltern jedoch war der Tag X relativ einfach auszumachen – meine geliebte Großmutter erzählte mir, dass ich nur an diesem einen Tag „gemacht“ (sie sagte gemacht) worden sein konnte, weil er, mein Vater, ja sonst nie da war. Es trug sich Folgendes zu: Das junge Elternpaar hatte seinen Schlafraum im oberen Stock des großelterlichen Hauses. Eines Nachts hörte meine Großmutter ihre Tochter weinen und verzweifelt rufen: „Mutter, Mutter, komm schnell!“ Also lief sie im Nachthemd hinauf in den ersten Stock.

Das helle Hinterteil ihres Schwiegersohnes leuchtete ihr entgegen, sein Vorderteil schien sich noch in meiner Mutter zu befinden. Er selbst knurrte nur Unverständliches; es war, nun auch für den herbeigeeilten Großvater ersichtlich, ein Scheidenkrampf! Um Mitternacht! Am Land!

„Wenzel!“ – (So hieß mein Großvater) – „Renn schnöll umi zum Schmied!“

Zu Ihrem Verständnis, der Schmied war kein Handwerker! Es war der Name unseres Hausarztes, der glücklicherweise nur ein paar Häuser weiter wohnte und aus dem Bett geläutet wurde. Der verschlafene Doktor lief ebenfalls im Nachthemd und mit Arzttasche bewaffnet zum jungen Ehepaar, welches noch immer unlösbar und eng miteinander verbunden darniederlag. Oma saß am Bettrand. Eine Filmszene! Aber eher für eine Art House-Film …

In dieser aufgeregten Wartezeit dürfte ein fürwitziger Spermientyp das Rennen gewonnen und als Erster Mutters Eiwand geschickt durchbohrt haben. Klein Gitti wurde ungefragt, aber erster Klasse auf Reisen geschickt.

Dr. Schmied setzte meiner Mutter eine krampflösende Spritze, alle Beteiligten gingen wieder zu Bett … und hingen ihren Gedanken nach.

Also ich persönlich hätte Beischlafschwierigkeiten für die nächsten 50 Jahre, sähe meine Mutter permanent am Bettrand sitzen, seufzen und mit besorgtem Blick wegschauen. Ganz anders meine Mutter! Mit Humor und viel Selbstironie ausgestattet, nahm sie diese absurde Situation sportlich und überraschte meinen Vater einen Tag später in Heiligenblut, wo er an der Großglockner Hochalpenstraße mitwirkte. Verliebt, aber mit Kalkül, überraschte sie ihn! Die göttliche Reiseleitung empfahl ihr diesen Termin. Sie verstehen – fruchtbare Tage!

Als die Übung ihren Höhepunkt erreichte und das Glück nicht mehr größer werden konnte, sah meine Mutter aus dem Fenster. Diesmal war der Großglockner Zeuge des Vorganges, nicht die Oma.

Mir persönlich gefällt ja diese Variante meiner Zeugung besser als die Scheidenkrampfsache! Wer hat schon einen 3798 Meter hohen Zeugungszeugen?

Mein Vater - ich erinnere mich an braune Locken und grüne Augen, breite Schultern und ein lustiges Gemüt - war aufgrund seiner Bauprojekte selten zu Hause gewesen. Zu Hause - das war übrigens die 2000-Seelen-Gemeinde Gnas in der Oststeiermark. Tatsächlich hatte mein Großvater mütterlicherseits, sein Schwiegervater und ebenso ein fideler Baumeister, ihm das Studium finanziert und ihn überdies als Sohn angenommen, hatte er selbst doch „nur“ zwei Töchter.

Der alte Herr fühlte sich wohl in Gesellschaft des jungen Mannes, Techniker unter sich. Das Glück war auf ihrer beider Seite, denn die ältere Tochter, meine Mutter, wollte ihn tatsächlich heiraten! Ob Liebesheirat oder schnöder Pragmatismus? Man weiß es nicht. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.

Er war jedenfalls ein toller Typ, mein Vater. Ein Macher, ein „Checker“, würde man heute sagen. Ein Mann, mit dem man einen Krieg hätte gewinnen können. Wäre ich Herr Noah, ich hätte ihn ohne Zweifel mit auf die Arche genommen. So viel zu ihm als Menschen. Als Vater wäre allerdings noch ein bisserl Luft nach oben gewesen. Anstatt der Zärtlichkeit war er traditionellen Ansichten verpflichtet, statt einen, oder vielleicht gar zwei Blicke auf meine Begabung zu werfen, ging es ihm in erster Linie um meine Sicherheit, nicht um mein Wohlergehen. Woher seine Abneigung Künstlern gegenüber rührte, weiß nur er selbst. Ich glaube, das Wort „Gefühl“ kam in seinem Wortschatz nicht vor, Fakten und Zahlen waren seine verlässlichen Begleiter. Sein Leben war die Technik mit ihren klaren Strukturen. Tatsächlich schloss er sein Studium in nur vier Jahren ab und galt auf der Technischen Universität Graz als Wunderknabe! Selbst der Rektor war begeistert von seinem Können und wurde sogar sein Trauzeuge, als mein Vater meine Mutter heiratete.

Brigitte, 15 Monate, mit Vater

Er war auch sonst immerzu seiner Zeit voraus. Er joggte schon in den 1960ern, aß Müsli und trennte Müll. Ja, er tat Letzteres tatsächlich und es gab immerzu Zoff, wenn wir, also Mutter und ich, uns nicht daran hielten. Auch Wasser wurde gespart und nur mit Wasserbecher in der Hand die Zähne geputzt. „Ihr werdet euch noch alle wundern über die Wasserknappheit“, waren seine Worte. Er sah Dinge aus pragmatischer Sicht voraus und war zu Recht verärgert, wenn wir ihn nicht ernst nahmen. Aber nicht nur für andere, auch für sich und sein Wohl kämpfte er: Als Siebzehnjähriger musste er einrücken und wurde schwer verletzt. Nur wegen des damals noch nicht erprobten Penicillins und seiner inständigen Bitten wurde sein Bein nicht amputiert, allerdings mit der Warnung, dass er an einer Sepsis sterben könnte, wenn das Penicillin nicht wirkte. Ein amerikanischer Arzt dürfte sein Engel gewesen sein.

Zeitlebens hinkte mein Vater, mal mehr, mal weniger, insbesondere, wenn er müde war. Doch er ließ sich nichts anmerken, zu sehr schien er es zu schätzen, noch beide Beine zu haben. Er fuhr mit sehr viel Begeisterung Schi, im Sommer Wasserschi, und kniend im selbstgebauten Schnellboot über den See. Stundenlang pirschte er durch in- und ausländische Wälder. Als Wochenend-Jäger, zu meinem damaligen und heutigen Leidwesen.

Einmal nahm er mich mit auf seinen Hochstand, ich war erst neun Jahre alt. Es herrschte bereits Dämmerung und auf der Lichtung vor uns tauchte ein Prachtexemplar von einem Hirsch auf. Zwar nahm er unsere Witterung auf, sah sogar in unsere Richtung, rührte sich aber nicht von der Stelle. Mein Vater nahm leise sein Gewehr, zielte, hatte den Finger schon am Abzug … und ich wusste mir nicht besser zu helfen, als mit einem lauten „Nein“ das Gewehr beiseitezuschieben! Hirsch weg, gute Laune weg, alles weg. Kein Hochstand mehr für klein Gitti.

Zu meinem Vater fällt mir noch eine abenteuerliche Geschichte ein. Die Mur ist an sich ein ruhiger Fluss, der friedlich vor sich hin plätschert, aber sie kann auch anders. Ausgerechnet zu einer Zeit, in der sie ohnehin Hochwasser führte, kam bei einem Unwetter ein Auto von der Straße ab und stürzte in die Fluten. Die drei Insassen konnten sich aufs Autodach retten und hofften dort auf Hilfe. So trieben sie dahin, bis das Fahrzeug schließlich in der Mitte des Flusses hängenblieb. Orkanartiger Regen, hohe Wellen. Feuerwehrleute versuchten, die Verunglückten mit ihren Zillen zu bergen – keine Chance. Sie wurden von der Strömung abgetrieben. Panik machte sich breit, immerhin hätte das Auto sich jederzeit wieder losreißen und weitergetrieben werden können. Da kam zufällig mein Vater des Weges, er befand sich gerade am Rückweg von seiner Arbeit am Kapfenbergtunnel. Was folgt, ist meine Lieblingsgeschichte über ihn, und ich schreibe sie mit stolzen Fingern. Den Ernst der Lage erkennend, raste er heim und holte sein Schlauchboot. Dieses hatte glücklicherweise einen so starken Außenbordmotor, dass es ihm gelang, am Wasserweg bis zum Unglücksauto vorzudringen und die verängstigten und auch verletzten Menschen einzeln in sein Boot zu hieven und jeden davon abenteuerlich, aber sicher ans Ufer zu bringen. Beim letzten „Passagier“ schon vom tosenden Applaus der mittlerweile stark angewachsenen Menschenmenge begleitet. Dafür bekam er das Verdienstkreuz des Landes Steiermark und meinen lebenslangen Stolz und meine Hochachtung ihm gegenüber.

Die 1950er-Jahre waren jedenfalls karge Zeiten. Aufbauen, schaffen, vorwärtsdenken, Kinder kriegen. Goldig war meine Kindheit nicht, aber durch die christliche Warmherzigkeit meiner Großmutter, dem skurrilen Humor meines Großvaters und der herrlichen Gegend im steirischen Vulkanland dann doch sehr schön. Warum meine Mutter unbedingt in Graz als Gerichtssekretärin arbeiten wollte und nicht bei ihrem langersehnten Kind blieb, fand ich nie heraus. Vielleicht lag es am Geld, vielleicht an ihrem Bedürfnis nach Selbstständigkeit. Vielleicht aber auch einfach an meinem Kürbiskopf, obwohl der ja schon bald zurückgeschrumpft war … Aber egal! Meine Großmutter Juliane war eine liebevolle Erstmutter und ich denke sehr gern an sie zurück. Sie war eine weise Frau und die Güte in Person. Obwohl sie die Schrecken beider Weltkriege miterleben musste, hat sie geholfen, wo auch immer zu helfen war. Benachbarten Bäuerinnen im Wochenbett nahm sie die Feldarbeit ab, beaufsichtigte deren Kinderschar und war Taufpatin von kolportierten hundert Babys – so erzählen die Leute im Dorf. Die Soldaten der Besatzungsmächte nahm sie in ihr Haus auf, bekochte sie und verarztete sie mit den Kräutern aus dem eigenen Garten. Ich will aus ihr keine Hildegard von Bingen machen, aber bis zu ihrem Tod wurde sie stets als Erste befragt, wenn bei irgendjemandem körperliche Beschwerden auftraten.

Mit Großmutter und Mutter