Undercover in der AfD - Hinrich Lührssen - E-Book

Undercover in der AfD E-Book

Hinrich Lührssen

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Beschreibung

Zwei Jahre recherchierte Fernsehjournalist und Buchautor Hinrich Lührssen verdeckt am rechten Rand. Deshalb war er nicht nur offizielles Mitglied der AfD, sondern war auch im Landesvorstand der rechten Partei und anschließend sogar Landtagskandidat der rechtspopulistischen Wählervereinigung "Bürger in Wut". Lührssen erlebte hautnah den gefährlichen Rechtsdrall in der AfD und die Entwicklung der Wutbürger zu absurden Verschwörungserzählern. Lührssen schildert, was die Parteibasis der AfD wirklich denkt. Er berichtet auch eindrucksvoll über die heftigen Machtkämpfe, die die Partei immer wieder erschüttern. Und er weiß, was effektiv gegen weitere Erfolge der rechten Partei hilft.

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Seitenzahl: 215

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Vorwort

Dieses Buch schildert meine Erlebnisse als Mitglied der AfD und Landtagskandidat der „Bürger in Wut“ in den Jahren 2018 bis 2020. Ort der Handlung ist weitgehend Bremen. Aber Bremen ist nur ein Beispiel für die Entwicklung der rechten Szene. Machtmissbrauch, Intrigen, radikale Ansichten und absurde Verschwörungstheorien prägen mehr denn je bundesweit den rechten Rand.

Ich habe die Ereignisse in diesen zwei Jahren protokolliert. Es sind meine subjektiven Erinnerungen, niedergeschrieben nach bestem Wissen und Gewissen.

Einleitung

Es gibt durchaus unterschiedliche Methoden, sein Leben auf die Schnelle in Unordnung zu bringen und sich innerhalb von Minuten ins soziale Abseits zu stellen. Ein Banküberfall ohne Maske mit vorheriger Information aller sozialen Medien wäre nur eine Möglichkeit. Splitterfasernackt am Sonntagnachmittag über den Jungfernstieg in Hamburg könnte ebenfalls blitzartig den eigenen Ruf ruinieren. Ich habe mich für eine Mitgliedschaft in der Alternative für Deutschland entschieden. Als Alt-Linker mit eindeutiger politischer Prägung in der fernen Jugend in Westdeutschland erscheint mir der Beitritt zur AfD als größtmögliche Grenzerfahrung, wenn man politisch tickt, neugierig geblieben und einem abwegigen Abenteuer nicht abgeneigt ist.

Daraus sind insgesamt fast zwei Jahre im politisch rechten Spektrum geworden. In dieser Zeit hat sich die Rechte gewandelt. Schamlos geht es an der Spitze der AfD nur noch um Geld und Macht, um Posten und Mandate. Die mit Steuergeldern bezahlten Mandatsträger geben sich keine Mühe, bei gesellschaftlichen Problemen zur konkreten, wirklichkeitsnahen Lösung beizutragen.

Ihre Politik besteht aus der endlosen Wiederholung von Vorwürfen, Manövern zum eigenen Machterhalt und einer beispiellosen Zerstrittenheit. Die AfD ist „zur jüngsten unter den Altparteien geworden“, urteilt Konrad Adam, einer der Mitgründer der AfD.

Und die Basis? Warum schauen die Mitglieder der AfD tatenlos zu, wie das Parteimotto „Mut zur Wahrheit“ zur dreisten Lüge geworden ist? Die Basis der AfD lebt längst größtenteils in einer eigenen Welt, in der Realpolitik ohnehin unwichtig geworden ist. Stattdessen haben sich Hass und Häme, der Hang zu absurden Weltverschwörungstheorien in den zwei Jahren meiner persönlichen Erfahrungen noch verstärkt und verfestigt. Hier wächst ein Nährboden, der die Gesellschaft auf Dauer vergiftet und die Bereitschaft zur Gewalt größer werden lässt. Wenn nach dieser „Logik“ die Bundesrepublik eine mit der DDR vergleichbare Diktatur ist, sind dann nicht auch gewaltbereite Proteste und Aktionen gegen Einzelpersonen gerechtfertigt? Anschläge wie in Hanau und Kassel zeigen, dass dies keine These mehr ist. Eine Entwicklung, die mir nach diesen 24 Monaten Angst macht.

Ich wollte ein Buch schreiben, das es noch nicht gegeben hat. Ganz nahe dran, um zum Zeitpunkt X den Vorhang zu heben. Ein großer Anspruch verbunden mit einem Experiment, das mich zu Kompromissen und Handlungen zwang, die ich nie für möglich gehalten hätte.

Also zunächst die AfD. Rein gesprungen in das Sammelbecken für Konservative, Rechte und ganz Rechte, für Ewiggestrige und Weltverschwörer. Und damit mitten drin in einem Meer aus Intrigen, gebrochenen Versprechen und Lügen. Wie die „Kantholz-Affäre“ in Bremen, die bis heute nicht aufgeklärt ist.

Zum Fazit gehört auch: Es sind keine „Nazis“, ich jedenfalls habe in dieser Zeit keine getroffen. Diese Einstufung halte ich auch für sachlich falsch und wenig hilfreich. Der Vorwurf festigt nach meinen Erfahrungen geradezu die Burggraben-Mentalität der Partei. Das Weltbild wird vielmehr durch autoritäre, rechtskonservative Ansichten geprägt. Vorbild ist nicht Adolf Hitler, sondern Victor Orban, der ungarische Demokratie-Abschaffer.

Die AfD ist nach meinen Erfahrungen die zurzeit größte Ansammlung von Spießern. Das wäre ja gar nicht schlimm. Aber warum glauben diese Spießer jetzt bedingungslos alles, was ihnen ihre gut bezahlten Parteioberen erzählen? Was geht in einem Parteimitglied der AfD vor, wie tickt es?

Das soziale Abseits hatte ich hier nach Minuten erreicht. Meine Mitgliedschaft und die überraschend schnelle Berufung in den Landesvorstand der AfD Bremen postete nämlich ein Vorstandsmitglied entgegen allen Absprachen nachts auf der Facebook-Seite seiner Partei, zu deren aufmerksamsten Lesern die Antifa und Journalisten gehören. Tja, so etwas nennt man wohl Lauffeuer. Anrufe im Minutentakt, Entsetzen, Verblüffung und starke Zweifel quellen aus meinem Handy. Mein persönliches, politisches Abenteuer beginnt.

Acht Monate lang war ich aktives Mitglied der AfD. Nachdem ich das Vertrauen der selbst ernannten Patrioten gewonnen hatte, öffneten sich die Türen zu ihrer selbst gezimmerten, eigenen Welt. Ich saß im Wohnzimmer der Anhänger von Björn Höcke, lernte die interne AfD-Sprache, in der „Neger“ und „Lager“ selbstverständlich sind. Ich erlebte, wie beim Wahlrecht getrickst wird. Wer aufmuckt, wird kaltgestellt – das war meine Erfahrung im Bremer Landesvorstand, dem ich selbst angehörte.

Ich war Delegierter bei Parteitagen und wäre am Ende beinahe Spitzenkandidat für die Landtagswahl geworden.

Das scheiterte zwar im letzten Moment. Doch dann kam das Angebot der „Bürger in Wut“, einer rechtskonservativen Wählergemeinschaft, die in den Schatten der AfD geraten ist. Für mich die Möglichkeit, nicht schon nach acht Monaten das Experiment aufgeben zu müssen. Verblüfft schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Zu Rückfragen gibt freilich auch das politische Wechselspiel von Lührssen Anlass, der binnen weniger Wochen in zwei verschiedenen Parteien die Spitzenkandidatur anstrebt.“ Dem Landtagswahlkampf verdanke ich merkwürdige Erlebnisse. Aber es war wichtig, auch im politischen Alltag danach weiterhin Eindrücke zu sammeln.

Mein Weg zu diesem Buch ist sicherlich ungewöhnlich. Ich hatte als Journalist vorher lange mit mir gerungen, ob ich dieses Experiment mit den damit verbundenen persönlichen Risiken wirklich eingehen sollte. War es das wert?

Schreck am Morgen

Hinter der unscheinbaren Tür des Doppelzimmers im Hotel „Friesenhof“ in Büsum spielt sich gerade ein Drama ab. Es bricht über mich hinein, als ich am wenigsten damit rechne. Gerade noch in der Tiefschlafphase, da klingt das Handy. Müde und matt schaue ich auf die Nummer des Anrufers, die mir vertraut vorkommt.

Was will er denn jetzt von mir? Ich bin mit meinem zwölfjährigen Sohn auf dem Rückweg aus dem Urlaub in Dänemark, wir wollen noch einen Tag an der Nordseeküste verbringen, Arbeit ist mal kein Thema. Der Anrufer ist Frank Schulte, Leiter der Fernsehregionalredaktion von Radio Bremen, sozusagen mein Chef. Um halb acht morgens will Schulte von mir wissen: „Stimmt das, dass Sie Mitglied der AfD sind?“ Ich höre in seiner Stimme die Fassungslosigkeit. „Ja, das stimmt“, bestätige ich. Ob ich das denn ernst meine, will der Redaktionschef von mir wissen. Da kann ich ihn beruhigen. „Nein, da steckt schon ein Plan dahinter. Ich mache mit, um zu zeigen, wie es da zugeht.“ Stille am anderen Ende, vielleicht muss er die Überraschung erst einmal verdauen. Wir sollten uns so schnell wie möglich treffen, schlage ich vor. Die erste Minute meines neuen Lebens ist um. In der zweiten der nächste Anruf, dieses Mal von einem Kollegen aus der Redaktion, bislang mochten wir uns.

Er sei gerade allein im Abnahmeraum des Senders, niemand könne ihn oder mich hören. Die gleiche Frage, die gleiche Antwort. Es gebe bereits Ergebnisse, sage ich ihm. Bei der AfD in Bremen werde mit falschen Meldebescheinigungen getrickst, berichte ich. Ich sei mir sicher, noch viel mehr herauszubekommen. Es werde eine spannende Geschichte. Doch seltsam, seine letzten Worte am Telefon klingen wie ein Abschied: „Ich wünsche Dir alles Gute und viel Glück. Du wirst es brauchen.“

An diesem Morgen ist nicht nur mein Urlaub beendet. Mein Handy klingelt pausenlos, Schock, Ärger, Enttäuschung und Entsetzen dringen mit hohem Wellengang an mein Ohr. Ich bin Mitglied der AfD geworden – und das stößt meine Welt aus der Umlaufbahn. Seit halb acht an diesem Morgen ist nichts mehr so wie es war.

Die Bombe ist explodiert – leider um Monate zu früh. Mein Plan gerät ins Wanken, bevor es überhaupt losgeht. Denn ohne Geheimhaltung wird es nicht funktionieren, ausgeschlossen. Monatelang hatte ich mir dieses Experiment überlegt, es zwischendurch wieder verworfen, war aber auch nie davon losgekommen. Also, hier mein Plan:

Ich werde Mitglied der AfD und bekomme unmittelbar mit, wie es in dieser Partei zugeht. Ich will nicht der Fünfzigste sein, der die zweifellos rechte Partei pauschal als Nazis brandmarkt. Ich will erleben und darüber berichten, wie die Basis der Partei denkt. Und ich will so weit kommen, wie ich in einer befristeten Zeit kommen kann. Ich will, falls möglich, in der AfD Karriere machen. Und dann, unmittelbar vor oder sofort nach der Landtagswahl in Bremen in einem Jahr, mich selbst enttarnen. Dabei soll der Schaden für die AfD möglichst groß sein, denn eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung zwischen denen und mir gibt es nicht. Ein heftiger Knall mit fetten Schlagzeilen – das ist das, was mir vorschwebt. Für diesen Plan gibt es mindestens zwei Voraussetzungen: Mitwisser, die sich für das Ergebnis meiner Recherche interessieren, aber dichthalten. Und zur eigenen Absicherung will ich bei einem Notar eine Erklärung über meine wahren Absichten hinterlegen. Der Kreis der Mitwisser muss klein sein, das gilt auch für Freunde, Bekannte und Kollegen. Andeutungen, auch nur Fragen etwa in den sozialen Medien können in dieser Zeit für mich gefährlich sein. Denn ich brauche unbedingt Vertrauen unter meinen neuen „Parteifreunden“. Und ist das ist ohnehin schwierig.

Doch schon nach den ersten Metern komme ich ins Stolpern. Ich verfange mich in dem Netz der Intrigen, das sich in dieser Partei ausgebreitet hat. Ohne dass ich das wollte und auch nur wusste, hat mich der Landesvorstand als „kooptiertes Mitglied“ aufgenommen. Ein Begriff, den ich vorher auch nicht kannte: ohne Stimmberechtigung, aber mit Rederecht im Landesvorstand.Da bin ich ja gleich nahe dran, hatte ich mich noch gefreut, als ich von dieser ehrlosen Berufung erfuhr. Einem Beisitzer des Landesvorstandes, Mitglied der „Jungen Alternative“, gefiel diese Entscheidung aber überhaupt nicht. Noch in der Nacht nach der Vorstandssitzung postete er die Nachricht auf der Facebook-Seite der Bremer AfD. Eigenmächtig, ohne Absprache, gegen den Willen der anderen Vorstandsmitglieder. Der Post wurde nach ein paar Stunden wieder gelöscht, aber das war schon zu spät. Die AfD hat aufmerksame Gegner, die offenbar niemals schlafen. „AfD Watch Bremen“ entdeckte und veröffentlichte die Nachricht. Weder der junge AfDler noch seine aufmerksamen Gegner konnten wissen, was sie mir da antaten.

Vom „linksversifften“ „Radio Bremen“ zur stramm-rechten AfD – wie ist das überhaupt möglich? Sie wussten, wer ich bin. Warum hat der Vorstand der AfD mir vertraut?

Mein Projekt hat eine lange Vorgeschichte. Schon nach der Gründung der AfD mit Bernd Lucke hatte ich ab und an den Stammtisch der damals jungen Partei in Bremen besucht. Ich war immer schon politisch interessiert und vor vielen Jahren auch schon mal Mitglied in einer lokalen Wählergemeinschaft in Bremerhaven gewesen. Die AfD wollte angeblich vieles anders machen als die übrigen Parteien, das interessierte mich. Es war die Zeit, als es noch um den Euro ging, nicht um Flüchtlinge. Aber es gab dort damals auch einen gewissen Alexander Tassis, der später als Abgeordneter Bundeskanzlerin Merkel mit Adolf Hitler und Walter Ulbricht verglich. Doch ich wurde 2014 abgeblockt. An Interna kam ich nicht ran. Die Skepsis gegenüber einem Journalisten, der Reporter bei „stern TV“ war, spürte ich bei jedem Treffen. Daran konnte auch mein Aufnahmeantrag nichts ändern. Nach ein paar Monaten trat ich wieder aus, für Wahlen oder für Parteiposten hatte ich nicht kandidiert.

Stattdessen arbeitete ich wieder als Fernsehreporter für Radio Bremen. Und hätte diesen parteipolitischen Ausflug schon längst als merkwürdige Erinnerung in mein Album geklebt, wenn es nicht Frank Magnitz gegeben hätte. Der ehemalige Kies- und Sandhändler, der in seiner Lederjacke auf mich wirkt wie der letzte deutsche Zuhälter von der Reeperbahn, war nach dem Rechtsruck der AfD Landesvorsitzender in Bremen geworden. Kurz nach seiner Bundestagskandidatur rief er zum ersten Mal an und wollte sich mit mir treffen. Ich kenne als Journalist viele Leute, Politiker der Linkspartei genauso wie Drogenabhängige, Züchter von Mini-Schweinen wie auch den leicht verrückten Erfinder einer Krabbenschälmaschine.

Warum also nicht auch den Bundestagskandidaten einer rechten Partei?

Seine Partei wolle nicht nur mitregieren, erklärte er mir zwischen dem ersten und dem dritten Glas Bier. Die AfD wolle vielmehr regieren und müsse deshalb zur Volkspartei werden. Ab 30 Prozent Stimmenanteil werde die AfD entscheiden, wie es in diesem Land aussieht.

Ich wusste damals nicht, was ich davon halten sollte. Größenwahn? Oder eine echte Bedrohung? Meinte der das ernst?

Drei Wochen später rief er wieder an.

Auf ein Eis mit Höcke & Magnitz

Eine leichte Windböe, ein kurzer Moment der Unachtsamkeit. Das halbseitig beschriebene Papier segelt wie Herbstlaub über die Köpfe der Gäste auf der Terrasse des Eiscafés im Bremerhavener Wasserturm und verfängt sich zwischen den Tischbeinen. Frank Magnitz verfolgt erst verblüfft die Flugbahn, dann wird das Staunen in seinem Blick durch Entsetzen verdrängt. „Wenn das jemand liest“, sage ich zu ihm. Denn auf diesem Blatt hat er seinen Plan niedergeschrieben. Nur er und ich haben das gelesen und es es wohl auch besser, wenn das so bleibt. Denn hier steht, wie sich der Bundestagskandidat der AfD im Wahlbereich Bremen-Nord/Bremerhaven seinen ersten Werbespot vorstellt. Absurd, bizarr, aber durchaus mit politischer Sprengkraft behaftet – auf den ersten und auf den zweiten Blick immer noch. Das Szenario des Werbespots von, mit und für Frank Magnitz soll so aussehen: Bremer Dom, die Treppen. Die Stufen werden nach alter Sitte von den Bremer Männern gefegt, die 30 Jahre alt werden, aber noch nicht verheiratet sind. Hier aber fegen Björn Höcke, AfD, und Olaf Dinne, einst Wegegefährte von Rudi Dutschke und Mitbegründer der Bremer Grünen Liste. Und was fegen die beiden?

Nach dem Drehplan von Frank Magnitz beseitigen seine beiden Hauptdarsteller die Scherben, die die 68er Bewegung hinterlassen hat. Wenn das kein Sinnbild ist! Aus Sicherheitsgründen müsse frühmorgens, 6 Uhr spätestens, gedreht werden, erklärt mir Magnitz. Kann ich verstehen, denn Björn Höcke, der Björn Höcke, würde zu späterer Stunde wohl kaum noch im linken Bremen zum Fegen und Posen kommen. „Aber Höcke und Olaf Dinne zusammen, machen die das denn?“, frage ich Magnitz, nachdem ich sein Konzept freundlicherweise aufgehoben habe.

Da sieht der AfD-Kandidat für die Bundestagswahl keine Probleme: Er habe einen guten Draht zu Höcke und Olaf Dinne werde sich wohl der AfD anschließen. Tatsächlich? Was für eine Mischung, was für ein Duo! Der deutschnationale Höcke und der Alt-Linke Dinne an einem Besen – und in einer Partei.

Zwei Wochen später stellt sich heraus, dass Björn Höcke doch nicht zum frühmorgendlichen Treppenfegen nach Bremen kommen will. Und Olaf Dinne tritt nicht der AfD bei. In seinem Alter wolle er nicht sein soziales Umfeld verlieren, so soll seine Begründung lauten. Eine schlaue Entscheidung. Aber das begreife ich erst später. Dinne versucht stattdessen mit den „Freien Wählern“ sein politisches Comeback, scheitert aber.

Frank Magnitz wird auch ohne diesen Werbespot tatsächlich Abgeordneter des Bundestages. Bei der Wahl im September 2017 erreicht er 11,4 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis 055 Bremen II/Bremerhaven, seine Partei kommt bei den Zweitstimmen sogar auf 12,1 Prozent. Der damals 65 Jährige, einst Kurzzeit-Genosse der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), hat es geschafft: Jetzt ist er wer. Wer genau, wird sich allerdings noch zeigen.

Falsche Adresse

Sie kommen zu früh, viel zu früh. Ich stecke noch mitten in meinen persönlichen Vorbereitungen, als ich Frank Magnitz und Robert Teske auf dem Parkplatz vor meinem Haus entdecke. Gleich werden sie klingeln, aber noch hängt das Plakat von „Ton Steine Scherben“ an der Zimmerwand in meinem Büro, gegenüber von der Titelseite des „Arbeiterkampf“, den ich in jungen Jahren für den „Kommunistischen Bund“ verteilt habe. Und die CDs von Herbert Grönemeyer, Konstantin Wecker und Hannes Wader müssen auch noch weg, vorsichtshalber. Alte Exemplare des „Spiegel“ – lieber in die Schublade. Heute soll nichts schiefgehen, denn heute werde ich Mitglied der AfD.

Magnitz und Teske – der AfD-Landesvorsitzende und sein Stellvertreter, gleichzeitig Vorsitzender der „Jungen Alternative“ in Bremen und bekennender „Flügel“-Mann. Sie bringen den Aufnahmeantrag mit, unterschreiben zusammen als Zeugen.

Jetzt Ruhe bewahren. Die Zimmertür schließen und noch einmal tief ein- und ausatmen. Ich lotse die beiden in ein anderes Zimmer. Da hängen nur Bilder von Leuchttürmen, wohl eher ihr Geschmack und vollkommen unverdächtig.

Magnitz schlägt vor, erst in fünf Monaten meine Mitgliedschaft öffentlich zu machen. Für November plant die AfD-Bundestagsfraktion eine Veranstaltung in der Bremer Bürgerschaft. Die soll ich moderieren, dadurch für lokale Schlagzeilen sorgen, um dann meine Mitgliedschaft zu verkünden. Ein echter Strategie-Hammer, wenn ich seinen weiteren Ausführungen glauben darf.

Mir soll das recht sein, weitaus mehr als sich der AfD-Vorsitzende das gerade vorstellen kann. Was er nicht weiß: Es ist im Grunde die einzige Möglichkeit, meinen Plan ausführen zu können. Ich bin drin, das ist sicher. Es ist keine Ankündigung, sondern nun vollzogen. Ich werde innerhalb der Partei recherchieren können. Und es bleibt genug Zeit, einen Verlag oder eine Redaktion einzuweihen, gezielt Familie und Freunde zu informieren und mich rechtlich abzusichern.

Es gibt für meine Mitgliedschaft noch eine rechtliche Hürde, die der AfD-Landesvorsitzende aber persönlich abräumen kann. Ich bin in Bremerhaven gemeldet, soll aber später in der Stadt Bremen kandidieren. Denn in Bremerhaven herrscht sein Parteifreund Thomas Jürgewitz, der sich immer mal zum Feind verwandelt und mich aus lauter Angst vor interner Konkurrenz vorzeitig ausschalten könnte. Das alles will bedacht sein.

Magnitz weiß schnell Rat: eine falsche Meldebescheinigung. Die Firma „Frank Magnitz Facility Management Magnitz & Partner GbR“ verwaltet in Bremen und Bremerhaven Immobilien, die AfD zahlt zu der Zeit Büromiete an die Magnitz-Firma. Als vermeintlicher Vermieter kann Frank Magnitz auch Wohnungsgeber-Bescheinigungen ausstellen. Damit dann zum Meldeamt, schon habe ich eine Wohnung in Bremen, die es gar nicht gibt. Die erste falsche Adresse lautet: Kirchweg 76, 28201 Bremen. Als ich mir später das Haus anschaue, merke ich, dass dort keine Wohnung frei ist und alle Briefkästen belegt sind. Eine Stromabrechnung, mit der man im Zweifelsfall eine regelmäßige Nutzung beweisen könnte, gibt es mangels Strombezugs auch nicht.

Vorsichtshalber stellt Magnitz die nächste falsche Wohnungsgeber-Bescheinigung aus: jetzt für die Bonifaciusstraße 28 in 28239 Bremen. Dort gibt es immerhin eine leer stehende Wohnung, der Stromzähler läuft wahrscheinlich. Offenbar hat Magnitz nicht gelesen, was oben in der Bescheinigung noch steht: „Ich bestätige mit meiner Unterschrift, dass die oben gemachten Angaben den Tatsachen entsprechen. Mir ist bekannt, dass es verboten ist, eine Wohnanschrift für eine Anmeldung einem Dritten anzubieten oder zur Verfügung zu stellen, obwohl ein tatsächlicher Bezug der Wohnung durch diesen weder stattfindet noch beabsichtigt ist.“

Wir teilen noch ein anderes Geheimnis: Wie auch sein Stellvertreter soll ich Mitarbeiter seines Wahlkreisbüros werden.

Das aber dürften die anderen Parteimitglieder nicht wissen. Denn die würden dann neidisch werden.

Für die Bremer Bürgerschaftswahl im nächsten Jahr hat er auch schon einen Plan: eine „Junge Liste“, nur Mitglieder der „Jungen Alternativen“ auf den vorderen Plätzen. Gesetzt sei neben Robert Teske auch seine Tochter Ann-Katrin. Auch eine junge Frau aus Göttingen werde kandidieren, obwohl sie nicht in Bremen wohnt. Die „Junge Liste“ ist in Wirklichkeit eine rechte Liste. Die JA in Bremen und Niedersachsen wird wenig später vom Verfassungsschutz beobachtet.

Ich unterschreibe. Mitglied Nummer 10576719.

Drei Wochen später das nächste Treffen. Jetzt aber ohne Teske, den Plan mit der „Jungen Liste“ hat Magnitz fallenlassen. Nur junge Leute an der Spitze – das sei im Wahlkampf der Zielgruppe der AfD doch nur schwer vermittelbar, so seine Kehrtwende.

Neben ihm hocken an diesem Abend in einem Bremer Biergarten sein anderer Stellvertreter, Thomas Jürgewitz aus Bremerhaven, sowie Uwe Felgenträger, ein langjähriger Freund von Magnitz und ebenfalls in die AfD eingetreten. Mehr der Typ Zuhörer, genau das Gegenteil von Thomas Jürgewitz, der in Bremerhaven in der AfD das Sagen hat. Ich habe selten jemanden getroffen, der mir auf Anhieb so unsympathisch ist: ein Besserwisser, der nach meinem Eindruck anderen ständig ins Wort fällt und sich am liebsten selber reden hört. Großgewachsen, hager, lichtes Haupthaar. Typ „Ewiger Jungegeselle“, wobei diese Bezeichnung angesichts seines fortgeschrittenen Alters wohl eher unpassend ist. Auch er ist im Melderecht offenbar ein Experte. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn wegen des Verdachts der Wählertäuschung. „Der Wohnortschwindler von der AfD“, schrieb eine Zeitung. Jürgewitz kandidierte in Bremerhaven für den Landtag, obwohl er nach den Aussagen einer mit ihm zerstrittenen Ratsfrau von den „Freien Wählern“ (auch dort war Jürgewitz aktiv) hauptsächlich in seinem Haus in Hagen in Niedersachsen lebte. Laut Zeitungsartikel der taz hatten dies auch zwei direkte Nachbarn bestätigt: „Eine verminderte Anwesenheit konnten wir nicht feststellen, auch wenn wir diese ausdrücklich begrüßen würden.“ Jürgewitz dagegen versicherte, dass er zu seinen Eltern nach Bremerhaven gezogen sei, um sich um sie zu kümmern. Weitere Ermittlungen waren der Staatsanwaltschaft zu aufwändig, das Verfahren wurde schließlich eingestellt.

Zurück zu den neuen Parteifreunden. Ich wundere mich, wie viel die vertragen können. Alkoholkonsum kann ja auch zusammenschweißen. An diesem Abend wird das Ende der „Jungen Liste“ begossen. Vermutlich auf Wunsch des zu der Zeit 58-jährigen Jürgewitz, der neben den jungen Rechten aus Bremen alt ausgesehen hätte. Jetzt ist alles wieder offen.

Rassisten & ihre Alltagssorgen

Der Pförtner schmettert mir wie gewohnt sein fröhliches „Moin“ entgegen, wie immer drücken sich die vertriebenen Raucher an den Glaswänden in der viel zu engen Entlüftungskabine im Erdgeschoss. Und beim Betreten frage ich mich wie in den vergangenen Jahren, warum der Flur des Gebäudes des kleinsten öffentlich-rechtlichen Senders so pompös ausfallen musste. Aber sonst ist nichts wie davor. Ich bin mit dem Redaktionsleiter zum ersten Mal seit dem Bekanntwerden meiner AfD-Mitgliedschaft verabredet. Zwischen den Redaktionskonferenzen, deshalb treffe ich nur auf wenige Kollegen, die mich knapp grüßen. Im Fahrstuhl beschleicht mich ein Gefühl wie nach einer Trennung und dem Ende einer Ehe: Zu Hause sieht es aus wie vorher, aber nichts ist mehr so wie es war.

Das Büro des Redaktionsleiters wiederum ist erstaunlich klein. Vermutlich blieb durch die Gestaltung des Flures nicht viel Fläche für die Arbeitsplätze der Mitarbeiter. Wie geht es nun weiter zwischen mir und dem Sender, für den ich die letzten vier Jahre gearbeitet habe? Von mir aus kann es weitergehen, gleichwohl weiß ich natürlich, dass dies nun nicht mehr möglich sein wird. Für viele Zuschauer sei ich ab sofort nicht der Reporter, sondern ein Politiker, sagt der Redaktionsleiter. Von wenigen Wochen hatte ich über die Frage berichtet, ob ein Negerkuss noch Negerkuss heißen darf. Eine dunkelhäutige Bremerin, in Afrika geboren, fand: ja. Aber wie würde die gleiche Geschichte jetzt ankommen? Als versteckte Wahlwerbung für die AfD? Er hat Recht.

Und mein Plan, die AfD zum richtigen Zeitpunkt bloßzustellen? Hinter der verschlossenen Tür spreche ich über dieses Experiment und biete an, den Redaktionsleiter auf dem Laufenden zu halten. Es ist Spätsommer, bis zur Weihnachtszeit schicke ich ihm danach Infos über meine Aktivitäten innerhalb der AfD. Wir bleiben also in Kontakt. Aber ich spüre auch seine Skepsis und beim Notar war ich auch noch nicht. Noch in den nächsten Tagen wollen sich Chefredaktion und Programmleitung des Senders entscheiden. Darf ich noch vor die Kamera? Wohl eher nicht, vermute ich bereits nach diesem Gespräch.

Bedröppelt trete ich den Heimweg an. Auf den letzten hundert Metern vor meinem Haus fährt ein roter VW-Passat. Geht plötzlich vom Gas, so dass ich bremsen muss. Dann wieder Gas, dann wieder Vollbremsung. So lange, bis ich endlich zu Hause bin. Wollte der Fahrer mich ärgern, weil ich Mitglied der AfD geworden bin? Am Abend beobachte ich durch das Fenster, wie ein grüner Kombi vor meinem Haus hält und Fotos gemacht werden. Zwei Stunden später vor meinem Haus das nächste Auto, das meinen Argwohn weckt. Einer steigt aus, macht wieder Fotos. Werden demnächst auch meine Haustür und Fenster beschmiert wie bei anderen Mitgliedern der AfD, die nicht im Verborgenen geblieben sind? Für mich wäre das ein echtes Schlamassel, denn ich kann wohl schlecht vor der Tür ein Schild aufstellen: Bitte dieses Haus verschonen, denn der Eigentümer will in Wahrheit der AfD schaden. Ich bin einer von Euch.

Nächster Vormittag, im Bremer Stadtteil Walle. In einem spanischen Restaurant bin ich mit dem AfD-Landesvorsitzenden Frank Magnitz und seiner Tochter Ann-Katrin verabredet. Bisher hat sie in Kassel Geschichte und Spanisch auf Lehramt studiert, jetzt zieht sie wieder nach Bremen und soll mit Unterstützung durch ihren Vater in eine steile Parteikarriere starten. Sie ist wie ich bereits in den Landesvorstand berufen und lässt keinen Zweifel daran, auch für den Landtag kandidieren zu wollen. Ich lerne sie hier überhaupt erst kennen, wir sitzen an einem der Außentische.

Ihr fröhliches Geplauder wird durch heftiges Brüllen unterbrochen. „Du Rassist“, schreit in meine Richtung ein junger, bärtiger Mann, der einen Kinderwagen vor sich herschiebt. „Du bist ein Rassist“, ruft er noch einmal und macht mit seinem ausgestreckten Finger deutlich, wenn er meint: mich. Nicht den örtlichen AfD-Führer, nicht sein Töchterlein – er meint mich. Rassist – das haut rein, auch wenn er die Hintergründe nicht kennen kann und ich deshalb die Beleidigung streng genommen nicht persönlich nehmen müsste. Tue ich aber doch und muss zur meiner Schande gestehen, dass ich lange gebraucht habe, diese Bezeichnung wirklich zu verstehen. Denn generell ist die AfD ja gegen alle Flüchtlinge – egal welcher Hautfarbe oder Religion.

Niemand in dieser Partei sagt öffentlich, dass Asiaten willkommen sind, Schwarzafrikaner aber nicht. Pluspunkte gibt es allenfalls für Deutsch-Russen, weil die nach ihrer Einbürgerung als Stammwähler gelten. Der junge Mann meinte es vermutlich so: Wir haben das Glück, in Deutschland und nicht in Syrien geboren zu sein. Aber dieses zufällige Glück gibt uns noch lange nicht das Recht, anderen den Zutritt zu verwehren.

Ich gerate in eine seltsame Rolle. Nach außen der aufstrebende Lokalpolitiker der AfD, nach innen ihr Gegner. Manche Freunde wissen Bescheid, manche nicht. Bei Facebook verliere ich an einem Tag ein Drittel meiner sogenannten Freunde, dafür kommen viele dazu, die gern die Nationalfahne und gelegentlich auch die Reichsflagge posten. Meine Schwester berichtet, dass ihre erwachsenen Kinder entsetzt seien, sie selbst klingt am Telefon distanziert. Ein Bekannter droht mir laut einem anderen Bekannten Prügel an, falls wir uns zufällig treffen sollten. Dann der Anruf aus der Schule meines Sohnes: Er habe im Sportunterricht den Hitler-Gruß gezeigt, so eine empörte Lehrkraft. Das ist selbstverständlich völliger Quatsch, er hatte sich nur mit dem Arm gemeldet. Nach dem Gespräch mit dem Direktor zieht sie ihren Vorwurf zurück. Die Nachhilfelehrerin meines Sohnes weigert sich, zu mir nach Hause zu kommen. Begründung: Sie habe vorher nicht gewusst, dass ich in der AfD aktiv sei. Wenn überhaupt, könne der Nachhilfeunterricht nur in ihrer Wohnung fortgesetzt werden, ich müsste dann draußen bleiben. Was denkt sie bloß? Dass ich über sie herfalle und Hakenkreuze in ihre Haut ritze?

Wenn ich meine alten Lieblings-CDs wie etwa die von „Ton Steine Scherben“ oder Hannes Wader anspiele, beschleicht mich ein merkwürdiges Gefühl: Ich fühle mich wie ein Verräter. Endet das alles in einer Schizophrenie?