Underground Kings: Kenton - Aurora Rose Reynolds - E-Book
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Underground Kings: Kenton E-Book

Aurora Rose Reynolds

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Beschreibung

Kenton Mayson ist nicht gerade begeistert, als er der draufgängerischen Autumn Freeman Schutz in seinem Haus gewähren soll. Die sexy Stripperin wurde Zeugin eines fünffachen Mordes und muss nun untertauchen, bis der Fall geklärt und der Auftragskiller von ihrer Spur abgekommen ist. Während Kenton versucht, seine Meinung über Frauen im Allgemeinen und Autumn im Speziellen zu überdenken, hat er alle Hände voll zu tun, den süßen Hintern seines Schützlings zu retten. Aber nicht nur Autumn schwebt in Gefahr, auch sein Herz, denn die Anziehungskraft dieser besonderen Frau stellt alles Bisherige in den Schatten. Dabei muss Kenton bald auf die harte Tour lernen, dass der Schein manchmal trügt ...

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Seitenzahl: 407

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NEW YORK TIMES UND USA TODAY BESTSELLER AUTORIN

AURORA ROSE REYNOLDS

UNDERGROUND KINGSKENTON

Contemporary Romance

Aus dem Amerikanischen von Bianca Andreasen

UNDERGROUND KINGS: KENTON

Aurora Rose Reynolds

© Die Originalausgabe wurde 2014 unter demTitel Assumption: Underground Kings von Aurora Rose Reynoldsveröffentlicht.

© 2017 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH8712 Niklasdorf, Austria

Covergestaltung: © SturmmöwenTitelabbildung: © halayalexKorrektorat: Melanie Reichert

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903130-34-0ISBN-EPUB: 978-3-903130-35-7

www.romance-edition.com

Für den Mann, der mir gezeigt hat, was Liebe ist.Love you, Babe.

Inhalt

PROLOG

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

Epilog

Die Autorin

Leseprobe

Prolog

1. Kapitel

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PROLOG

Autumn

Ich sehe, wie du mich verurteilst. Ich weiß, was du denkst. Sie muss eine Schlampe sein. Sie arbeitet in einem Stripclub und zieht sich für Geld aus. Ja! Ich arbeite in einem Stripclub. Vielleicht gehst du davon aus, dass ich eine Schlampe bin, weil ich meinen Körper zeige, doch dieses Talent wurde mir schon als kleines Kind aufgezwungen.

Sei hübsch und lächle.

Für die Zuschauer lege ich eine Show hin. Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich nicht mal mehr ich selbst. So fühlt sich wahrscheinlich eine außerkörperliche Erfahrung an. Es ist eine Aufführung. Nicht mehr und nicht weniger. Die Leute, die mir zuschauen, stellen Vermutungen darüber an, wer ich sein könnte, oder malen sich in Gedanken aus, wie sie mich gern hätten. Ich bin nur ein weiteres schönes Gesicht.

Schön.

Ich hasse dieses verdammte Wort. Wen interessiert es, äußerlich schön zu sein, während er innerlich stirbt?

Mein ganzes Leben hat sich immer nur um mein Aussehen gedreht. Ich schwöre, der einzige Grund, warum mich meine Mutter behalten hat, war, um eine echte, lebende, atmende Marionette zu haben, die sie ankleiden und kontrollieren konnte.

Deswegen habe ich mit achtzehn meine Sachen gepackt und so viel Entfernung wie möglich zwischen ihr besonders durchgeknalltes Wesen und mich gebracht.

Das ist auch der Grund, warum ich nicht auf Dates gehe. Das Erste, was Kerle an mir sehen, ist ein hübsches Gesicht, ein schöner Körper und ein hohles Köpfchen, wo mein Gehirn sein sollte. Sie haben kein Interesse, den Menschen kennenzulernen, der hinter der Fassade steckt. Es juckt sie nicht, dass ich in meiner Freizeit Freiwilligenarbeit leiste oder dass ich zur Schule gehe, um meine Ausbildung als staatlich geprüfte Krankenschwester zu absolvieren. Die Typen fragen nicht nach meinen Hoffnungen und Träumen oder wo ich mich in zwanzig Jahren sehe. Ich bin ihnen überhaupt nicht wichtig.

Sie wollen nur ein hübsches Püppchen, das ihnen überallhin folgt. Das ihnen sagt, wie toll sie aussehen, wie außergewöhnlich sie sind und das ihnen bei allem zustimmt.

Scheiß drauf! Das habe ich schon viel zu lang getan. Aus diesem Grund lebe ich in Büchern. Beim Lesen kann ich mir zumindest aussuchen, wo ich sein will – von den Highlands in Schottland bis hin zum Bett eines Königs in einem weit entfernten Land. Und selbst wenn das nur in meiner Vorstellung stattfindet, ist das sehr viel besser als die Realität.

1. KAPITEL

Autumn

Leaving on a Jet Plane

Ich sehe aus dem Flugzeugfenster. Das Glas fühlt sich unter meinen Fingerspitzen kalt an, während ich auf die Landschaft blicke, die unter mir vorüberzieht. Schon seltsam, wie winzig von hier oben alles aussieht.

Heute fliege ich zum ersten Mal in meinem Leben. Die Vorstellung, in einer Blechbüchse eingeschlossen zu sein, die sechshundert Meilen pro Stunde zurücklegt, hat mir nie besonders gefallen. Ich atme tief durch und schaue zum TV-Monitor, der in den Sitz vor mir eingelassen ist. Das kleine animierte Flugzeug auf dem Bildschirm zeigt an, dass wir bereits mehr als die Hälfte der Strecke nach Tennessee geschafft haben.

»Reisen Sie beruflich oder privat?«

Ich wende mich dem Kerl zu, der neben mir sitzt. Er ist leicht übergewichtig und zeigt Ansätze einer Glatze, aber an seinen Augen zeichnen sich Falten ab, die den Eindruck erwecken, dass er häufig lächelt.

Ich ringe mit mir, ob ich ihm antworten soll. »Beruflich«, sage ich schließlich.

Sein Blick landet auf meinem Mund, dann auf meiner Brust, und ich muss den Drang bekämpfen, ihm gegen die Kehle zu schlagen. Ich hasse es, wenn nette Männer plötzlich unheimlich werden. Kopfschüttelnd wende ich mich ab. Keine Ahnung warum ich es überhaupt immer wieder versuche.

Als ich seine Hand auf meinem nackten Bein spüre, wende ich mich ihm erneut zu. »Fass mich noch mal an und ich reiße dir deine Eier ab, um sie dir in den Rachen zu stopfen«, warne ich in einer ruhigen Tonlage, da ich keine Aufmerksamkeit erregen will.

Schnell zieht er die Hand zurück und schluckt hart. »Es … es tut mir leid.«

Ich schüttle erneut den Kopf, bevor ich mich mit dem ganzen Körper von ihm wegdrehe. Aufsteigende Tränen kribbeln in meiner Nase, aber ich kämpfe dagegen an. Auf keinen Fall werde ich jetzt heulen – zumal ich keine einzige Träne vergossen habe, als mir vor sechs Stunden meine ganze Welt um die Ohren geflogen ist. Ich lehne die Stirn an das Fensterglas und schließe die Augen. Ich kann immer noch nicht fassen, wie schnell sich mein Leben verändert hat …

Nachdem ich gestern Früh aufgestanden war, fuhr ich wie jeden Tag ins Krankenhaus. Ich arbeite, seit ich die Schule beendet habe, in einer der betriebsamsten Notaufnahmen in Vegas. Die Stunden in der Klinik brauche ich für meine Ausbildung. Kaum dass ich das Gebäude betreten habe, wurde ich mit Arbeit überladen. Die Wochenenden sind immer verrückt in Sin City, aber gestern schien es noch schlimmer zu sein als sonst. Zwei Drogenabhängige mit einer Überdosis, drei Leute, denen der Magen ausgepumpt werden musste und ein Schussopfer.

Nach meinem Dienst habe ich das Krankenhaus völlig erledigt verlassen, nur um zu meinem richtigen Job zu fahren. Nun ja, der Job, der mir genug Geld verschafft, um davon leben zu können.

»Hallo, Angel.«

»Hey, Sid.« Ich warf ihm ein flüchtiges Lächeln zu, als ich das Lion’s Den betrat – das Nachtlokal, in dem ich mit meiner Show auftrete.

Arbeite ich gern in einem Stripclub? Nein. Bezahlt es meine Rechnungen? Ja.

In der Sekunde, in der ich den Club betrete, bin ich nicht mehr ich selbst. Mein Kopf schaltet sich aus und mein Körper übernimmt die Kontrolle, wie damals, wenn meine Mom mich zwang, an Schönheitswettbewerben teilzunehmen. Ich bin es gewöhnt, in der Öffentlichkeit zu stehen und wegen meines Aussehens benutzt zu werden. Ich wünschte, mein Leben wäre anders verlaufen, aber es ist nun mal, wie es ist.

Manche Menschen beschweren sich, dass sie zu viel wiegen oder Akne haben. Ich hasse es, schön zu sein. Ich weiß, das klingt dämlich. Warum sollte sich jemand darüber beschweren, attraktiv zu sein? Die Antwort: Männer sehen mich als Objekt und Frauen als Konkurrenz. Niemand will mir eine Chance geben. Sie urteilen anhand meines Aussehens über mich und nehmen sich keine einzige Sekunde, um auch nur das kleinste Detail über meine Person in Erfahrung zu bringen.

Mir ist bewusst, dass ich ein wandelndes Klischee bin. Ich hasse mein Aussehen, dennoch stelle ich mich bei meinem Job in den Mittelpunkt, um angeschaut und verurteilt zu werden. Der Unterschied zu früher? Zum ersten Mal in meinem Leben ist es meine eigene Entscheidung. Niemand zwingt mich, auf die Bühne zu steigen. Ich gehe da rauf, um genug Geld zu verdienen, damit ich mein Leben ändern kann und nie wieder ein Mittel zum Zweck sein muss.

»Müde?«, fragte Sid, der mir gefolgt war. Die letzten drei Jahre habe ich für ihn gearbeitet. Er ist eine Art Freund, aber auch mein Boss.

»Ja. Ich kann es kaum erwarten, dass meine Klinikstunden vorüber sind und ich, statt zwei Jobs zu haben, Vollzeit im Krankenhaus arbeiten kann.«

»Die Vorstellung gefällt mir nicht und dein Gesicht wird mir fehlen, aber ich weiß, dass du weiterziehen musst«, räumte er ein.

»Es wird ein anderes Mädchen kommen und du wirst mich total vergessen.«

»Niemals, Angel.« Er betrachtete mich und schüttelte den Kopf. »Heute arbeitest du im VIP-Bereich.« Er lief mit mir den Gang hinunter zu den Umkleiden.

»Klar«, stimmte ich total erschöpft zu. Eigentlich brauchte ich nur noch eine Dusche und ein Bett, aber mir war bewusst, dass ich mindestens acht Stunden hier sein würde, also konnte ich mich genauso gut damit abfinden.

»Die Kerle, die heute kommen, sind wichtig. Du bist dafür verantwortlich, dass sie die ganze Zeit über glücklich sind.«

»Ich mache das nicht zum ersten Mal«, erinnerte ich ihn und stoppte vor der Tür der Garderobe, um ihn stirnrunzelnd anzublicken.

»Normalerweise würde ich auch nichts sagen, das weißt du. Aber ich muss meinen Flieger erwischen und werde nicht da sein, um nach den Gästen zu sehen.«

»Ich sorge dafür, dass sie alles bekommen, was sie sich wünschen«, versicherte ich ihm.

»Danke, Angel.« Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn, wie er es so oft tat, bevor er ging.

Ich sah ihm einen Moment lang nach, dann riss ich mich zusammen.

»Oh! Sieh an, wer heute Abend da ist«, sagte Tessa, als ich die Umkleide betrat.

Ich ignorierte sie, warf meine Tasche in den Spind und zog meine Krankenhausklamotten aus. Tessa war ein Miststück, genau wie die Mädchen, gegen die ich früher bei Schönheitswettbewerben antrat. Für sie war das Leben ein Wettkampf und sie war entschlossen, als Siegerin hervorzugehen – selbst wenn das bedeutete, dass Tessa auf ihrem Weg zum Sieg jeden anderen den Wölfen zum Fraß vorwerfen musste.

»Mick meinte, ich könnte heute im VIP-Bereich arbeiten«, informierte sie eines der anderen Mädchen im Raum.

Ich blendete sie aus und verkniff mir, sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass das so nie passieren würde. Mick hat ihr das vermutlich erst angeboten … nachdem sie ihn mit ins Hinterzimmer genommen und ihn auf ihre Weise überzeugt hatte.

»Laut Pixie sind die Kerle heute Abend irgendwelche hohen Tiere eines großen Bauunternehmens, also wird das Trinkgeld unverschämt hoch sein. Zum Glück, denn ich muss mir die Titten neu machen lassen, und dieser Scheiß ist nicht billig.«

Ich verdrehte die Augen und machte mich auf den Weg zu den Duschen. Während meiner Zeit hier hatte ich ein paar nette Frauen getroffen, aber die meisten waren wie Tessa – viel Haar, Titten, Arsch, aber das war es auch schon.

Ich stand vor dem Spiegel und legte roten Lippenstift auf, bevor ich einen Schritt zurücktrat und mich von oben bis unten betrachtete. Der Dresscode für den VIP-Bereich war ein anderer als im restlichen Club. Das vorgeschriebene Outfit bestand aus einem transparenten schwarzen Spitzen-Overlay-BH, schwarzen Seidenhöschen, einem dunklen Strumpfband mit durchsichtigen Strümpfen und schwarzen High Heels. Mein langes, natürlich rotes Haar wurde von einer großen Blume auf einer Seite zurückgehalten. Der Rest fiel mir in Wellen lose über eine Schulter und den Rücken. Mit der cremig-weißen Haut, dem roten Kussmund und den Smokey Eyes wirkte ich beinah wie ein sexy Vamp.

»Bereit, Angel?«, fragte Sid und klopfte an die Tür.

»Showtime«, flüsterte ich, dann ging ich zu ihm.

»Du siehst wunderschön aus. Ich werde dich reinbringen und vorstellen, bevor ich losmuss.«

»Alles klar.« Ich folgte ihm den Gang hinunter.

Das Lions’s Den ist in der Gegend für seine Exklusivität bekannt. Die Wände sind in einem dunklen Braun gestrichen und die Nischen in den Wänden eingelassen, um für ein Gefühl von Intimität zu sorgen. Die Bühne steht in der Mitte des Raums und wird von nur einem Flutlicht erleuchtet. Zu jeder Nische gehört ein Mädchen; der VIP-Bereich wird von zweien bedient. Es ist uns nicht erlaubt, mit den Kunden zu interagieren, außer wir werden direkt dazu aufgefordert.

Das Ganze ist weniger ein Stripclub als ein Ort für Männer, um abzuhängen, zu trinken und von hübschen Frauen bewirtet zu werden. Wenn sie Lust haben, können sie der Frau in der Mitte des Raums bei ihrer Show zusehen. Während der drei Jahre, in denen ich im Lions’s Den gearbeitet habe, war ich unzählige Male auf der Bühne gewesen. Ich habe Sid nie gesagt, dass ich es nicht mag, dort oben zu stehen, aber normalerweise schickt er mich sowieso in den VIP-Bereich oder weist mir eine Nische für die Nacht zu.

»Warum machst du dir wegen dieser Typen so viele Sorgen?«, fragte ich Sid.

»Sie denken darüber nach, ein Lion’s Den in einem der neuen Casinos zu eröffnen, das sie bauen.«

»Das ist ja großartig! Glückwunsch, mein Lieber.« Ich drückte seinen Bizeps und schenkte ihm ein Lächeln.

»Eines Tages werde ich dich hier rausholen, Angel. Dieses Lächeln will ich jeden Tag sehen.«

Mein Herz machte einen Sprung, jedoch nur einen kleinen. Sid ist zwar ein überaus attraktiver Mann, aber nichts für mich. Weder will ich einen Kerl noch brauche ich einen. Sie bringen einen nur durcheinander, füllen deinen Kopf mit Lügen und erwarten dann, dass du ihnen blind folgst. Das habe ich einmal auf diese Weise gemacht. Damals dachte ich, der Typ würde mich aus der Hölle, in der ich mich befand, befreien. Ich schenkte ihm meine Jungfräulichkeit und meine Liebe, und er machte mir ein Kind, das ich nicht behalten durfte, und brach mir das Herz auf so schmerzhafte Weise, dass nichts und niemand es je wieder zusammensetzen konnte.

Ich sah durch den Einwegspiegel zu den Männern, die sich um den Tisch im VIP-Raum versammelt hatten.

»Na schön«, meinte Sid neben mir. »Der Mann in der Mitte heißt John Barbato. Ihm gehören drei der größten Clubs der Stadt. Der Kerl zu seiner Linken ist Steven Creo. Er ist ein hohes Tier an der Wall Street und hat mehr als die Hälfte der neu eröffneten Clubs und Casinos auf dem Strip unterstützt. Der Typ rechts von John besitzt ein Grundstück, an dem die erstgenannten Männer interessiert sind.«

»Verstanden. Mit wem arbeite ich zusammen?«, fragte ich.

»Tessa. Mick hat gesagt, sie sei das beste Mädchen, das heute Abend auf dem Plan stehen würde.«

»Ich bin sicher, dass er das gesagt hat«, murmelte ich und warf einen Blick zurück in das Zimmer. »Welche anderen Türsteher haben heute Nacht Dienst?« Ich hasste es, wenn Mick und Craig zusammenarbeiteten. Die beiden waren mehr daran interessiert, mit den Mädchen rumzumachen, als daran, was im Club vor sich ging.

»Link ist hier.«

»Gut.« Link war ein anständiger Kerl und enger Freund. Außerdem nahm er seinen Job ernst.

»Alles klar, dann lass mich dich vorstellen, bevor ich verschwinde.«

»Sicher.« Ich folgte ihm in den Raum. Die Köpfe der Männer fuhren zu uns herum und sie lächelten.

»Jungs, das ist Angel. Sie wird euer Mädchen für heute Abend sein. Wenn ihr irgendetwas braucht, fragt sie, und sie wird dafür sorgen, dass ihr es bekommt«, erklärte Sid und deutete auf mich.

»Schön, dich kennenzulernen«, sagte einer der Männer lächelnd, während die anderen nickten.

»Danke, gleichfalls.« Ich erwiderte das Lächeln.

»Angel wird gleich zurück sein. Gebt mir eine Minute, Jungs.«

»Kein Problem«, antwortete der Typ, der gerade schon gesprochen hatte.

Als Sid und ich nach draußen gingen, hörte ich hinter mir Getuschel. »Meint ihr, die Haarfarbe da oben passt zu der da unten wie die Gardinen zum Teppich?« Dann lachten sie alle.

Ich hasste diesen Spruch und hatte mir geschworen, sobald ich diesen Lebensstil hinter mir lassen konnte, würde ich dem nächsten Kerl, der das sagte, in die Eier treten.

»Okay, ich muss los. Ich werde erst in zwei Wochen zurück sein«, informierte mich Sid, als wir wieder im Flur standen.

»Gute Reise.«

Er musterte mich für einen Moment. Sein Mund öffnete und schloss sich wieder, als wollte er etwas sagen, doch stattdessen schüttelte er nur den Kopf, küsste mich auf die Wange und ging den Gang hinunter, etwas vor sich hinmurmelnd.

Ein paar Sekunden später kam Tessa mit einem selbstgefälligen Grinsen um die Ecke. Ich hasste es, das zugeben zu müssen, aber sie war wunderschön. Ihre Haut besaß dieses natürliche Leuchten, das sie jung und gesund wirken ließ. Ihr Haar war schwarz und dick und reichte ihr bis zum Po. Die Augen waren am äußeren Ende leicht schräggestellt und betonten ihre asiatisch-amerikanischen Gene.

»Bereit?«, fragte sie und studierte mich von Kopf bis Fuß.

Ich unterdrückte ein Augenrollen und betrat nach ihr den Raum.

Nach den ersten Bestellungen hielten wir Mädchen uns im Hintergrund, während die Männer redeten. Vor langer Zeit schon hatte ich gelernt, in Gedanken abzuschweifen. Wir waren nur als Augenschmaus hier, mehr nicht. Ein Klopfen an der Tür kündigte die Drinks an. Tessa öffnete, doch ich hatte den Kerl, der mit einem Tablett in der Hand zum Vorschein kam, noch nie zuvor gesehen. Er schien Mitte dreißig zu sein, hatte langes, struppiges, schwarzes Haar und braune Augen.

Als er das Tablett auf dem Tisch in der Ecke abstellte, wandte er sich ab und tat etwas Seltsames. Dabei beobachtete ich ihn genauer. Seine Hand fuhr hinter seinen Rücken, während er die Männer beobachtete, die noch immer in ihr Gespräch vertieft waren. Als sein Blick bei mir hängen blieb, warf er mir ein Grinsen zu, dann verließ er den Raum. Ich sah zu Tessa, um herauszufinden, ob sie ebenfalls etwas Ungewöhnliches bemerkt hatte, aber sie war damit beschäftigt, die Getränke zu servieren und mit den Kerlen am Tisch zu flirten.

Sobald die Männer ihre Drinks hatten, zogen wir uns wieder zurück. Zwischendurch fragte mich jemand etwas über den Club und ich erzählte, was ich darüber wusste. Ungefähr dreißig Minuten, nachdem die ersten Getränke serviert worden waren, bestellte ich Nachschub. Als der Kerl diesmal reinkam, wiederholte er die Geste von vorher: die Hand am Rücken, während er zum Tisch sah. Ich hatte keine Ahnung, wer der Typ war, aber ich wollte es herausfinden, sobald die Gäste gegangen waren.

Das Handy von einem der Männer klingelte. Er stand auf, verließ den Raum und kam kurze Zeit später mit einem anderen Kerl zurück. Sie setzten sich an den Tisch und bestellten eine Flasche Chivas Regal Royal Salute Scotch. Ein einziges Glas davon kostete fast sechshundert Dollar, wonach eine ganze Flasche über zehntausend Dollar wert war. Ich gab die Bestellung ein und wartete darauf, dass sie geliefert wurde.

Als es an der Tür klopfte und ich sie öffnete, stand wieder der fremde Kellner da und stellte das Tablett ab. Ich beobachtete ihn, um herauszufinden, ob er dasselbe machte wie die vorigen Male. Wieder wandte er den Kopf zum Tisch und ließ die Hand hinter seinem Rücken verschwinden, doch nun hob er sein Jackett an und zog etwas Schwarzes hervor.

Es dauerte eine Sekunde, bis ich begriff, um was es sich dabei handelte, doch da war es bereits zu spät. Er drückte vier Mal rasend schnell ab, dann drehte er sich um und feuerte erneut, dabei traf er Tessa. Als er mit der Pistole auf mich zielte, schrie ich auf. Bevor ich darüber nachdenken konnte, duckte ich mich und rannte so schnell ich konnte aus dem Raum. Als ich an der Ecke abbog, spürte ich eine Kugel an mir vorbeizischen und dann noch eine, als ich den Hauptbereich des Clubs erreichte.

Ich entdeckte Mick. Im selben Moment wurden seine Augen riesig, und ich brüllte, so laut ich konnte: »ER HAT EINE WAFFE!«

Alle fingen an zu kreischen und in verschiedene Richtungen zu rennen. Ich prallte an einer massiven Wand ab, und als ich den Kopf hob, realisierte ich, dass es Link war. Er schlang einen Arm um meine Taille, drehte uns herum und schob mich hinter die Bar. Ich stolperte auf meinen High Heels, fiel hart auf die Knie zu Boden. Aus Angst um mein Leben kroch ich unter die Theke und rollte mich zu einer Kugel zusammen. Ich hörte Leute kreischen, aber es fielen keine weiteren Schüsse. Keine Ahnung wie lang ich in dieser Position verharrte, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis ich die Polizeisirenen bemerkte.

»Autumn«, rief Link und benutzte meinen richtigen Namen, der mich aus diesem verängstigten Trancezustand riss.

Er ging vor mir in die Hocke und ich wagte einen Blick an meinen Fingern vorbei. »Habt ihr ihn erwischt?«

Er schüttelte den Kopf und hielt mir seine Hand hin, die ich jedoch ablehnte. Hier war ich sicher. Ich wollte diesen Ort nicht verlassen.

»Komm schon, Angel. Der Kerl ist weg.«

Ich rührte mich nicht.

»Dir wird nichts passieren. Du bist in Sicherheit, das verspreche ich dir.«

Ich schluckte, um den Kloß in meiner Kehle loszuwerden, und kniff die Augen zusammen. »Tessa?«, fragte ich ihn, doch er schloss nur die Augen. »Nein«, flüsterte ich. »Nein.«

»Es tut mir leid, Angel«, sagte Link leise.

»Aber warum?«

»Ich weiß es nicht. Die Cops sind jetzt da. Ich möchte, dass du da rauskommst, um mit ihnen zu reden«, erklärte er sanft und streckte mir wieder seine Hand entgegen.

Ich nickte und griff zögerlich danach. Auch wenn ich Tessa nicht gemocht hatte, hatte sie nicht verdient, was ihr zugestoßen war. Keiner der Menschen in diesem Raum hatte so etwas verdient.

»Ich hätte versuchen sollen, ihr zu helfen.«

»Du hättest nichts tun können.« Link schlang seinen muskulösen Arm um meine Schultern und führte mich zu einem Barhocker. Dort saß ich, bis die Cops auftauchten und mich darüber informierten, dass ich auf dem Revier eine Aussage machen musste. »Kann sie sich vorher von zu Hause ein paar Klamotten holen?«, fragte Link, der mir sein Shirt gegeben und mich keine Sekunde allein gelassen hatte.

»Sicher«, murmelte einer der Detectives.

Ich glitt vom Barhocker und ging benommen zum Umkleideraum, wo alle Mädchen zusammensaßen und weinten. Ich weiß nicht mehr, was ich zu ihnen sagte. Die meisten hatten Tessa ehrlich gemocht. Sie hatten eine Freundin verloren. Ich fühlte mich schrecklich deswegen, wusste aber nicht, ob sie meine Beileidsbekundungen hören wollten.

Ich trat an meinen Spind und zog mir meine Strümpfe aus, als eins der Mädchen zu mir kam und ihre Arme um mich schlang. Geschockt erwiderte ich die Umarmung, während sich immer mehr Frauen um mich versammelten. Wir standen ein paar Minuten schweigend da. Viele weinten, andere murmelten etwas davon, dass alles bald wieder in Ordnung käme. Ich war nicht sicher, ob je wieder etwas in Ordnung sein würde. Ich hatte gerade gesehen, wie fünf Menschen starben, und konnte von Glück reden, noch am Leben zu sein.

»Ich muss aufs Revier«, sagte ich in die Runde, da es nicht danach aussah, dass mich jemand wieder loslassen wollte.

Nach einem Moment taten sie es doch und tätschelten mich beruhigend. »Ruf an, wenn du reden willst«, bot mir Elsa an und gab mir eine Visitenkarte mit ihren Kontaktdaten.

Ich starrte die Frau eine Sekunde lang an, dann nickte ich. Mit keiner von ihnen war ich wirklich befreundet gewesen. Vielleicht hätte ich das ändern sollen.

Erneut ging ich zu meinem Spind und zog mich aus, um in kurze Jeans, ein schwarzes Tanktop, ein übergroßes graues Sweatshirt und meine schwarzen Flip-Flops zu schlüpfen. Ich schnappte mir meine Tasche, stopfte alles aus dem Schränkchen hinein und verließ das Zimmer, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Link wartete neben der Tür zum Umkleideraum. Er stand mit dem Rücken zur Wand, hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte an die Decke. Ich kenne Link seit dem Tag, als ich mit der Arbeit im Lion’s Den begonnen habe. Er ist ein netter Kerl mit kurzen blonden Haaren, gebräunter Haut, blauen Augen und einem Südstaatenakzent, der die Frauen dazu bringt, ihm zu Füßen zu liegen. Anfangs hat er mit mir geflirtet, aber sofort damit aufgehört, als ich nicht auf das Geplänkel eingegangen bin, und wurde zu einem Freund. Link ist eine der wenigen Personen, die von meiner Vergangenheit und den Dingen, die ich durchmachen musste, weiß.

»Du hättest nicht auf mich warten müssen«, sagte ich und hängte die Tasche um.

»Ich will für dich da sein.« Er zog mich an seine Seite.

Ich spürte Tränen aufsteigen und kämpfte dagegen an. Ich wollte erst weinen, wenn all das hier vorbei war und ich es allein tun konnte – zusammengekauert unter meiner Decke, das Gesicht in mein Kissen gedrückt. So, wie ich es immer tat. »Danke.«

Er drückte mich nur fester an sich und ich konnte seine Lippen auf meinem Scheitel fühlen.

»Ich verstehe nicht, warum ich den Bundesstaat verlassen muss«, sagte ich zu Link und packte ein weiteres Paar Schuhe in meine Tasche. Ich hatte keine Ahnung, wie lang ich fort sein würde, aber so wie Link es formuliert hatte, werde ich eine ganze Weile nicht mehr nach Vegas zurückkehren.

»Ich hasse es, dich daran zu erinnern, aber du bist die einzige Zeugin. Laut den Cops ist der Typ ein Auftragskiller, der noch dazu von der Mafia bezahlt wird.«

Seufzend sah ich mich in meinem Zuhause um. Der Gedanke, von hier wegzugehen, gefiel mir nicht, aber ich wusste, dass es das Richtige war. Ich war mehr als acht Stunden auf dem Revier gewesen und hatte wieder und wieder erzählt, was passiert war. Dann musste ich helfen, ein Phantombild des Täters zu erstellen. Irgendwie war es dem Typ, der Tessa und diese Männer erschossen hatte, gelungen, jede Überwachungskamera im Club zu umgehen. Den Cops zufolge musste ich besonders vorsichtig sein. Ich war die einzige Zeugin und sie befürchteten, dass der Kerl es ab nun auf mich abgesehen haben könnte.

Als Link davon erfahren hatte, rief er einen seiner Freunde aus der Heimat in Tennessee an und fragte, ob ich bei ihm unterkommen könnte, bis die Cops den Kerl geschnappt hatten. Der Mann, Kenton, hatte zugestimmt und Link versprochen, dass ich bei ihm in Sicherheit sein würde. Es war unerträglich für mich, mein Zuhause zu verlassen, aber wenn meine einzige andere Option darin bestand zu sterben, dann fiel die Entscheidung leicht.

»Ich hoffe, sie verhaften den Typen schnell«, murmelte ich.

»Ich auch, aber bis dahin wirst du weit weg und außerhalb der Gefahrenzone sein.«

»Bist du sicher, dass es eine gute Idee ist, bei diesem Kerl zu bleiben? Ich meine, wie gut kennst du ihn überhaupt?«

»Wir sind zusammen aufgewachsen und waren beste Freunde. Er ist ein guter Mann. Er wird gut auf dich aufpassen.«

Ich biss mir in die Wangeninnenseite und nickte, bevor ich zum Schrank ging, um noch einen Koffer herauszuholen. Wenn ich schon nicht wusste, wie lang ich weg sein würde, konnte ich zumindest genügend Sachen einpacken, um über die Runden zu kommen. Als ich fertig war, stiegen wir in Links SUV und steuerten den Flughafen an. Den ganzen Weg über war ich nervös, denn es fühlte sich an, als würde bald etwas total Verrücktes passieren …

»Ladys und Gentlemen, in ungefähr zwanzig Minuten erreichen wir unser Ziel. Das Wetter in Nashville ist größtenteils klar und sonnig. Die Temperatur liegt bei neunundzwanzig Grad. Der Pilot hat soeben das Zeichen gegeben, die Sicherheitsgurte wieder anzulegen. An das Flugzeugpersonal: Bitte bereiten Sie alles für die Landung vor«, vernehme ich in meinem schläfrigen Zustand und nehme den Kopf von der Fläche, an der ich mich angelehnt habe.

Die Erinnerungen an die Geschehnisse gestern rücken in den Hintergrund, als ich mir den Mund mit dem Ärmel meines Sweatshirts abwische. Dann sehe ich mich um und bemerke, dass jeder seine Sachen wegpackt. Ich sorge dafür, dass mein Sicherheitsgurt richtig eingerastet ist, bevor ich mich zurücklehne. Mein Knie fängt an, auf und ab zu hüpfen, und ich reibe über das Tattoo hinter meinem Ohr, um mich von der Landung des Flugzeugs abzulenken.

Als wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben, warte ich, bis alle anderen Passagiere die Maschine verlassen haben, bevor ich mich auf den Weg ins Terminal mache. Ich gehe zur Gepäckausgabe und blicke mich um, allerdings habe ich keine Ahnung, wie dieser Kerl aussieht. Ich weiß nur, dass sein Name Kenton ist und er mich abholen soll.

Da ich niemanden ausmache, der so wirkt, als würde er nach jemandem suchen, laufe ich zum Gepäckband und entdecke sofort eine meiner Taschen. Ich nehme sie an mich und stolpere dank des Gewichts leicht zurück, während die anwesenden Männer einfach dabei zusehen, anstatt zu helfen.

Mich erneut umsehend überlege ich, ob ich jemanden anrufen und sagen sollte, dass ich gelandet bin. Ich ziehe mein Handy hervor, schalte den Flugmodus aus und schicke Link eine Textnachricht, um ihn wissen zu lassen, dass ich Nashville erreicht habe. Er antwortet sofort und informiert mich, dass Kenton es nicht schafft, mich abzuholen, und dass ich einfach ein Taxi nehmen soll. Seine Tür wäre nicht abgeschlossen; die Adresse steht am Ende der Nachricht.

Während ich kopfschüttelnd vor mich hin fluche, verpasse ich fast einen meiner Koffer auf dem Gepäckband. Zum Glück erwische ich ihn in letzter Sekunde. Ich trage ihn zu meiner anderen Tasche und drehe mich gerade rechtzeitig um, um zu bemerken, dass meine letzte Tasche dabei ist, im Tunnel zu verschwinden. Ich renne so schnell, wie ich mit den Flip-Flops kann, und lande halb auf dem Gepäckband. Mein Hintern wird über den Boden geschleift, als ich den Griff meiner Tasche packe und so fest nach hinten ziehe, dass sie über mich drüber fliegt. Ich knalle mit dem Rücken auf den Boden, die Arme über dem Kopf.

»Du musst Autumn sein«, höre ich es über mir grollen.

Ich sehe zu dem Mann hoch, der über mir emporragt. Er steht kopfüber, aber sogar in dieser seltsamen Position kann ich ausmachen, dass er attraktiv ist. Sein Glucksen lässt mich die Zähne zusammenbeißen. Ich erhebe mich, stelle meinen Koffer auf seine Rollen und klopfe mir den Dreck vom Hintern, bevor ich mich zu dem Kerl umdrehe. »Und du bist?«

Er zieht eine Augenbraue hoch und betrachtet mich von oben bis unten. Unter seinem Blick wird mir umgehend warm.

Ich ziehe mein Sweatshirt aus und wickle es mir um die Hüften, dann räuspere ich mich. »Und du bist?«, frage ich erneut. Es ärgert mich, dass er das hier offensichtlich witzig findet. Zumindest ist das Grinsen auf seinem Gesicht ein Indiz dafür.

»Kenton.« Er lächelt. »Ist das dein Gepäck?« Er nickt in Richtung meiner beiden Taschen.

»Ja.« Ich puste mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, blicke in seine bernsteinfarbenen Augen und frage mich, warum zum Teufel mir plötzlich so heiß ist.

Er blickt zur Seite und schlendert zu meinem Gepäck, während ich mir die Zeit nehme, ihn von oben bis unten zu mustern. Er ist groß, deutlich größer als ich mit meinen eins siebzig. Sein Haar fällt ihm bis zum Kragen seines schwarzen Shirts. Es hätte schon vor einer Weile einen Schnitt vertragen können, aber angesichts der dunklen Stoppeln auf seiner Kinnpartie gehe ich davon aus, dass er nicht viel darauf gibt, sich herauszuputzen. Seine Schultern sind breit, sein Rücken ebenfalls, der in eine schmale Taille übergeht. Die kräftigen Oberschenkel stecken in dunklen Jeans, die am Saum zerrissen sind. Seine Brieftasche hat die hintere Hosentasche ausgebeult, als würde er sie immer dort bei sich tragen.

Ich betrachte seinen Hintern, als er sich nach vorn beugt. Kaum zu glauben, dass ich einen Mann so anstarre. Dabei bin ich niemand, der in sexueller Hinsicht auch nur das kleinste bisschen an irgendjemandem interessiert ist. Mein Blick wandert tiefer zu seinen Füßen, die in riesigen schwarzen Boots stecken. Geistesabwesend frage ich mich, ob an dem Sprichwort über Männer und ihre Schuhgrößen etwas dran ist.

Ich schüttle über mich selbst den Kopf und zerre meine Tasche mit mir, als ich zu ihm hinübergehe. »Ich dachte, du würdest es nicht schaffen«, sage ich, als ich ihn erreiche. Um ihm in die Augen sehen zu können, muss ich mich nach hinten lehnen.

»Stimmt, aber es gab eine Planänderung«, murmelt er und mustert mich.

Ich warte darauf, dass er noch etwas sagt, doch das geschieht nicht und ich sehe zu Boden.

»Bist du müde?« Seine Stimme ist tief und volltönend und löst verrückte Gefühle in mir aus.

Ich nicke und sehe wieder zu ihm hoch.

»Lass uns abhauen. Du kannst schlafen, sobald wir im Haus sind.«

Abermals erwidere ich nichts. Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Vielleicht werde ich krank, sinniere ich und lege mir die Hand an die Stirn. Als ich nichts Ungewöhnliches spüre, folge ich Kenton aus dem Terminal zum Parkhaus. Dort angekommen, zieht er eine Reihe von Schlüsseln aus seiner Tasche. Ich höre das Piepen und sehe mich um, davon ausgehend, dass er einen riesigen Truck, einen Hummer oder vielleicht sogar einen Panzer fährt. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass es sich um eine Dodge Viper handelt. Alles an dem Sportwagen ist schwarz, was ihn nur noch heißer wirken lässt. Ich betrachte mein Gepäck und frage mich, wie wir das alles in seinem Auto verstauen wollen.

»Es wird eng, aber sie passen rein«, murmelt Kenton und zieht meine beiden Koffer mit sich.

Ich komme nicht umhin, zu bemerken, wie sich seine Muskeln anspannen, als er die Taschen in den Wagen hievt. Mir entgeht auch nicht die Tatsache, dass sogar seine Finger attraktiv sind. Er muss die Sachen ein bisschen herumschieben, aber schließlich schafft er es, alles hineinzubekommen. Sobald wir startklar sind, lehne ich mich seufzend im warmen Ledersitz zurück.

»Ich werde dich bei mir rauslassen. Ich muss noch etwas erledigen, aber du kannst dich ausbreiten. Fühl dich einfach wie zu Hause. Im Kühlschrank ist etwas zu essen und das Bett im Gästezimmer ist frisch bezogen.«

»Danke, dass du das tust«, wispere ich und betrachte sein Profil. Er ist wirklich attraktiv und die Schmetterlinge in meinem Bauch werden noch hibbeliger bei dem Gedanken, dass ich bei ihm wohnen werde.

»Kein Problem. Also … du und Link?«

Ich brauche einen Moment, um die Andeutung in seinen Worten zu verstehen. Sein schwerer Akzent, sein Geruch und die nervöse Energie, die ich fühle, lenken mich ab. In seiner Gegenwart scheint mein Gehirn runterzufahren. »Er ist nur ein Freund.« Scheiße, vielleicht hätte ich doch sagen sollen, dass er mein Freund ist.

Ich schaue wieder zu Kenton hinüber. Er scheint nicht so angespannt zu sein wie ich. Wahrscheinlich ist er es gewöhnt, von Frauen angeschmachtet zu werden. Erst nach ein paar Sekunden erkenne ich, warum sich mein Bauch plötzlich schmerzhaft zusammenzieht. Ich erstarre. Eifersucht? Ernsthaft? Ich muss in einem Schockzustand sein oder so etwas. Ich werde nicht eifersüchtig.

»Woher kennt ihr zwei euch?«

»Wir arbeiten im selben Club«, murmle ich und winde mich auf meinem Sitz.

»Oh ja«, murmelt Kenton und seine Fingerknöchel werden weiß, so fest hält er das Lenkrad. Ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat, aber die Stimmung im Wagen verändert sich und bringt mich dazu, von ihm wegzuwollen.

Die nächste halbe Stunde verbringen wir schweigend. Wir fahren von einer Kleinstadt zur nächsten, bis es aufwärtsgeht, als würden wir einen Berg erklimmen. Die Umgebung ist auf beiden Seiten der Straße von Bäumen gezeichnet. Wir sind noch fünf weitere Minuten unterwegs, dann biegen wir auf einen unbefestigten Weg ab, der uns tiefer in den Wald führt. Ich will Kenton fragen, ob er hier draußen wohnt und wo er arbeitet, und ihm gefühlt noch eine Million anderer Fragen stellen, aber mein Mund ist trocken und die Stimmung im Wagen nicht besser geworden, also halte ich lieber die Klappe.

Ich sitze bei ihm fest, also schätze ich, dass dafür später noch genug Zeit bleibt. Ich sehe wieder nach vorn und muss bei dem Anblick des großen Gebäudes blinzeln, das vor uns auftaucht. Es ist ein riesiges Backsteinhaus. Zwei Veranden – eine im Erdgeschoss, eine im ersten Stock – umschließen den gesamten vorderen Bereich des Hauses. Es ist wunderschön und ziemlich riesig.

Ich wende mich Kenton zu und denke darüber nach, ihn zu fragen, ob das sein Haus ist. Ein Muskel zuckt in seinem Kiefer und seine Halsschlagader pulsiert heftig. Ich habe keine Ahnung, was ihn so aufgeregt hat, aber es ist vermutlich besser, bloß hier zu sitzen und leise zu sein, bis er sich wieder beruhigt hat.

Wir halten vor dem Gebäude, das keinen gekennzeichneten Parkplatz vorweisen kann. Ohne etwas zu sagen, steigt Kenton aus dem Wagen, und ich nehme das als Wink, ihm zu folgen. Bis ich beim Kofferraum ankomme, hat er meine Koffer bereits herausgeholt und geht zurück zur Fahrerseite. Dort schiebt er den Sitz nach vorn, um an die Tasche auf dem Rücksitz zu gelangen. Schweigend trägt er zwei Gepäckstücke zur Veranda und ins Haus hinein. Ich ziehe den verbleibenden Koffer hinter mir her und folge ihm.

Am Fuße der Treppe stellt er meine Sachen ab, dann dreht er sich zu mir um. »Dein Zimmer ist ganz oben rechts. Am anderen Ende des Flurs ist ein Badezimmer, das du benutzen kannst. Ich habe mein eigenes.« Er fährt sich mit den Fingern durchs Haar und betrachtet mich erneut. Der Ärger ist ihm deutlich anzusehen. »Ich will keine fremden Männer in meinem Haus haben. Wenn du es also nötig hast, besorg es dir selbst.«

Ich glotze ihn blinzelnd an, während er weiterspricht.

»Der Alarmcode ist vier-fünf-neun-drei. Vergiss nicht, ihn einzugeben, wenn du dich im Haus aufhältst. Ich weiß nicht, wann ich zurück sein werde, aber du bist hier sicher.« Bevor ich auch nur die Chance habe, ein Wort hervorzubringen, zieht er die Eingangstür bereits hinter sich zu und ruft dabei: »Stell den Alarm ein!«

Minutenlang bleibe ich regungslos stehen und starre auf die geschlossene Tür. Dann blicke ich mich um, kann aber keine Alarmanlage entdecken. Die Abscheu in Kentons Gesicht, als er meinte, ich solle es mir selbst besorgen, lässt Tränen in meiner Nasenspitze kribbeln. Ich murmle ein leises Fick dich und sehe kopfschüttelnd zwischen meinem Gepäck und den Stufen hin und her. Ich kann heulen, sobald ich mich in meinem Zimmer eingerichtet habe.

Ich trage die Koffer und Tasche nacheinander hoch. Als ich endlich fertig bin, bin ich so erledigt, dass ich mit dem Gesicht voran aufs Bett falle, meinen Kopf unter das Kissen schiebe und weine, bis ich endlich einschlafe.

Da ist ein Klopfen an der Tür. Ich rolle mich herum und falle vom Bett auf den Boden. »Du hast die Alarmanlage nicht eingeschaltet«, höre ich ein Knurren.

Ich stehe auf, schiebe mir das Haar aus dem Gesicht und starre Kenton finster an. Er steht mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen.

»Ich habe nachgesehen, aber keine Alarmanlage gefunden.« Ich spiegle seine Körperhaltung und verschränke die Arme vor der Brust.

»Du hättest mich anrufen und fragen sollen.«

»Womit? Magie?«, spotte ich. »Ich habe deine Nummer nicht.«

»Du hättest Link danach fragen können.« Er schüttelt den Kopf.

»Entschuldige, aber ich bin davon ausgegangen, dass du sie mir gegeben hättest, wenn das in deinem Interesse gewesen wäre«, kontere ich.

»Hast du etwas gegessen?«, fragt er und wechselt damit so schnell das Thema, dass ich kaum mitkomme.

»Wie bitte?«

»Hast du etwas gegessen?«

»Nein, und ich habe keinen Hunger. Ich bin einfach nur total müde«, erkläre ich und reibe mir über das Gesicht. Alles, was ich will, ist zu schlafen und die letzten achtundvierzig Stunden zu vergessen.

»Du musst etwas essen«, tadelt Kenton mich und löst seine verschränkten Arme, um die Hände in seine Hüften zu stützen.

»Okay, versteh mich bitte nicht falsch. Ich bin wirklich dankbar, dass du auf mich achtest, aber ich habe mich sehr lang um mich selbst gekümmert. Ich will und brauche keinen Babysitter.«

»Wie du willst.« Er zuckt mit den Schultern, dann mustert er mich wieder von oben bis unten, wobei sein Blick auf Brusthöhe hängen bleibt.

Ich sehe nach unten und stöhne. Echt jetzt? Meine Brüste stecken zwar in meinem BH, ragen aber als zwei Hügel über den Rand meines Tanktops hinaus. Hastig richte ich mein Shirt, dann starre ich Kenton aus zusammengekniffenen Augen an.

Grinsend fokussiert er wieder mein Gesicht. »Sorg dafür, dass du in Zukunft die Alarmanlage einschaltest. Das Paneel ist im Raum neben dem Eingang. Erste Tür rechts.«

»Verstanden.« Meine Körpertemperatur steigt und ich frage mich, warum das ständig passiert, wenn er in der Nähe ist.

»Alles klar, Püppchen. Ruh dich aus. Wir sehen uns morgen.« Sein Blick liegt noch einen Moment lang auf mir, dann verlässt er kopfschüttelnd das Zimmer.

Ich schalte die Nachttischlampe ein, bevor ich zur Tür gehe und sie schließe. Mit zurückgelehntem Kopf und geschlossenen Augen hole ich tief Luft. Ich streiche mit einem Finger über das Tattoo hinter meinem Ohr, dann öffne ich die Augen wieder und sehe mich um. Ich kann das. Ich habe weit Schlimmeres überstanden und bin am Ende stärker daraus hervorgegangen. Ich muss mir nur einen Plan zurechtlegen.

2. KAPITEL

Autumn

Word Vomit

Vor drei Wochen bin ich nach Tennessee gezogen. Drei Wochen lang habe ich mit Kenton zusammengelebt, den ich nicht besonders oft sehe, und wenn doch, fährt er gerade zur Arbeit oder kommt heim und geht ins Bett. Eins der längsten Gespräche führten wir vor ein paar Tagen, als er in mein Zimmer kam und mir sagte, dass er etwas für mich hätte und ich mitkommen sollte. Ich packte meinen Kindle weg und folgte ihm nach draußen, die Stufen der Veranda hinunter, bis zu einem kleinen VW Beetle.

»Die Frau meines Cousins wollte ihn loswerden. Du hast kein Auto und ich weiß, dass es ein langer Weg zu Fuß in die Stadt ist.«

Mein Blick ging erst zum Auto und dann zu Kenton.

»Hier ist der Schlüssel. Der Wagen hat einen vollen Tank, neue Reifen und ist gewartet«, erklärte er und hielt mir den Schlüssel mit seinen langen Fingern entgegen. »Das ist die Stelle, an der du danke sagst«, grummelte er.

»Ähm … ich … danke«, wisperte ich und nahm die Autoschlüssel mit zitternden Händen entgegen.

Er nickte und machte den Eindruck, als wollte er noch etwas sagen, stattdessen ließ er mich stehen, den Wagen anstarrend, sprachlos von so viel Großzügigkeit. Niemand hatte je zuvor etwas Vergleichbares für mich getan.

Von diesem Tag an wollte ich mich nützlich machen. Ein paarmal versuchte ich, etwas zu kochen, doch das endete in einem Desaster, also entschied ich, meine Dankbarkeit auf andere Weise zu zeigen. Ich putzte das Haus und fuhr in den Supermarkt, wenn mir auffiel, dass irgendetwas zur Neige ging oder ganz fehlte. Ich kümmerte mich sogar um die Wäsche, wenn sie sich stapelte. Kenton sagte mir, dass ich nichts von dem, was ich machte, tun müsste, aber ich ignorierte seinen Einwand. Ich wusste, dass er dankbar für meine Hilfe war. Ständig auf Achse, schien er sich selbst kaputtzuarbeiten.

Wenn wir doch mal zum Reden kamen, lächelte er immer öfter und schien sich in meiner Nähe langsam wohler zu fühlen. Ich lebte für diese gestohlenen Momente mit ihm. Es war dumm, aber ich kam mir vor wie ein verlorener Welpe auf der Suche nach einem Knochen. Ich hasste und liebte es gleichermaßen, dass er mich dazu brachte, so zu empfinden. Schon vor langer Zeit hatte ich mich gefragt, ob ich irgendwie asexuell geworden bin. Seit meinem ersten und letzten Freund hatte ich kein Interesse mehr an einem Mann gehabt.

Ich gehe hinunter in die Küche, um mir einen dringend benötigten Kaffee zu holen. Das Telefonat habe ich gerade erst beendet. Die Klinik in Vegas hat zugestimmt, meine Stunden an ein Krankenhaus in Nashville zu überschreiben, mit dem sie kooperieren. Dann rief ich bei meinem zukünftigen Arbeitgeber an; die Leute dort wollen, dass ich so schnell wie möglich anfange. Meine Schicht wird von elf Uhr abends bis sieben Uhr morgens gehen. Mir wurde gesagt, wenn ich eine Weile dort gearbeitet habe, könnte ich meinen Dienstplan ändern. Es ist mir egal, zu welcher Zeit ich arbeite, solang ich überhaupt einen Job habe.

Ich schwebe auf Wolke sieben und kann es nicht erwarten, loszulegen. Krankenschwester zu sein, ist etwas, das ich liebe und in dem ich wirklich gut bin.

Als ich die Küche betrete, steht Kenton mit dem Telefon am Ohr vor dem Herd. Er hat mir den Rücken zugewandt, also nutze ich den Moment, um ihn zu bewundern.

Seine Jeans sind heute hellblau und an den richtigen Stellen verwaschen. Das rote T-Shirt schmiegt sich wie eine zweite Haut an seinen Körper und stellt seine Muskeln zur Schau, während es gleichzeitig seine gebräunte Haut betont.

Er dreht den Kopf zu mir. Der Blick aus seinen goldenen Augen trifft meinen, dann betrachtet er mich von oben bis unten. »Willst du Kaffee?«, raunt er.

Seine tiefe Stimme löst ein Kribbeln in mir aus.

Ich höre, wie er sich von wem auch immer am Telefon verabschiedet, bevor er das Handy auf den Tresen legt. Wieder mustert er mich ausgiebig und seine Mundwinkel beginnen zu zucken. »Willst du Kaffee?«, wiederholt er. Diesmal umspielt ein kleines Grinsen seine Lippen.

»Ich … ähm … ja, bitte«, antworte ich und trete ganz in die Küche.

Sein Haus ist schon etwas älter und die Küche weist bereits Anzeichen von Abnutzung auf. Alles ist sauber, braucht aber dringend ein Update. Die Hängeschränke sind aus hellem Holz und die Ablageflächen bestehen aus altem Laminat, das sich bereits an den Ecken ablöst. Kühlschrank, Herd und Spülmaschine sind weiß und müssten dringend ersetzt werden.

Er gibt mir eine Tasse Kaffee und ich schütte eilig Milch und Zucker hinein, bevor ich mich auf den Tresen hochziehe. Während ich ihm gegenübersitze, bete ich innerlich, dass ich mich nicht blamiere.

»Was hast du heute vor?«, fragt er und sieht mich über den Rand seiner eigenen Kaffeetasse hinweg an.

»Ich muss ein bisschen einkaufen gehen. Meine ganzen Arbeitsklamotten sind noch zu Hause und ich habe gerade einen Job in Nashville bekommen«, erzähle ich ihm lächelnd.

Er senkt seine Tasse und seine Fingerknöchel am Griff treten weiß hervor. »Wie gesagt, ich will keine Fremden in meinem Haus.«

Mein Gesicht wird ganz heiß und ich muss Luft holen, um sicherzugehen, dass ich verstehe, was er mir damit sagen möchte – bevor ich ausflippe und ihm in die Eier trete. »Was meinst du mit Fremden?«, frage ich in lockerem Tonfall.

Er beobachtet mich einen Moment, als würde er sich seine nächsten Worte genau überlegen. Kluger Kerl. »Typen vom Stripclub.«

Anscheinend ist er doch nicht so klug. Ich hole noch mal tief Luft, während sich mein Magen verkrampft. »Keine Sorge. Ich bringe meine Arbeit nicht mit nach Hause«, erkläre ich und schütte die noch fast volle Tasse im Spülbecken aus. Ich springe vom Tresen und stelle den Becher in die Spülmaschine, bevor ich mir meine Tasche schnappe und die Tür ansteuere.

Ich bin es gewohnt, verurteilt zu werden, doch aus irgendeinem Grund wird mir übel, wenn Kenton das tut. Davon abgesehen hasse ich es, dass er diese Art von Macht über mich hat. Ich hasse es, dass ich mir wünsche, er würde sich Zeit nehmen, um mich kennenzulernen.

Ich steige in den Beetle und beschließe, herauszufinden, wie viel der Wagen wert ist, um Kenton das Geld dafür zurückzugeben. Doch zuerst frage ich Siri, wo ich einen Laden finde, in dem ich Krankenhausbekleidung kaufen kann. Sobald ich die Richtungsangaben habe, starte ich das Auto, drehe vor dem Haus um und mache mich auf den Weg in die Stadt. Ich finde einen Shop, der medizinische Berufskleidung führt, und lasse über fünfhundert Dollar dort. Wer braucht keine süßen Schwesternkittel?

Als ich das erledigt habe, gehe ich in einen Nagelstudio in der Nähe, um mir eine Maniküre und Pediküre zu gönnen. Dann entdecke ich ein kleines Soul-Food-Restaurant und esse Barbecue-Rippchen und selbst gemachte Makkaroni mit Käse. Als Dessert nehme ich die hauseigene Pfirsichpastete mit Vanilleeis. Jetzt, da ich essen kann, was ich will, ohne mir Gedanken um mein Aussehen machen zu müssen, habe ich vor, alles zu kosten, was mir zuvor verboten war.

Während ich aufwuchs und an Schönheitswettbewerben teilnahm, verging keine Woche, in der ich nicht bei einem Wettkampf auftreten musste. Meine Mom war sehr strikt mit dem, was ich zu mir nehmen durfte. Alles wurde vorher abgewogen und die Kalorien durften gerade mal so hoch sein, dass es zum Überleben reichte. Bis ich sechzehn wurde, wusste ich nicht einmal, wie Zucker schmeckte. Als ich dann nach Vegas zog und all meine Jobs eine gewisse Figur voraussetzten, blieb ich in meinen alten Gewohnheiten stecken.

Aber jetzt? Scheiß drauf! Ich werde essen – und zwar alles. Nach dem Lunch bin ich noch nicht dazu bereit, nach Hause zurückzufahren, also gehe ich ins Kino, kaufe mir ein Ticket und sitze allein im dunklen Saal, während ich dabei zuschaue, wie eine junge Frau von einem bösen Geist angegriffen wird. Nun, zumindest glaube ich, dass es darum geht … Bei der Hälfte schlafe ich ein. Als jemand schreit, wache ich auf, und habe keine Ahnung, was los ist, also erhebe ich mich und verlasse das Kino.

Vor dem Haus fällt mir als Erstes Kentons Wagen auf. Ich will ihn gerade nicht sehen, aber mir ist bewusst, dass ich nicht ewig hier draußen bleiben kann. Ich steige aus und lasse die Taschen mit meiner neuen Arbeitskleidung im Auto. Er muss nicht wissen, was ich wirklich tun werde. Kenton hat beschlossen, seine eigenen Vermutungen über mich anzustellen. Soll er doch denken, was er will. Ich werde nicht versuchen, seine Meinung zu ändern.

Keine Frage, Kenton sieht gut aus, aber ich beginne langsam, ein Muster zu erkennen. Er ist voreingenommen und ein Arsch. Ein voreingenommener Arsch.

Seufzend gehe ich die Veranda hinauf. In dem Moment, in dem ich die Tür aufschließe, dringt der Geruch von Gekochtem in meine Nase. Obwohl ich vorhin erst gegessen habe, knurrt mein Magen. Ich ignoriere ihn und wende mich der Treppe zu. Da ist noch ein Schokoriegel in meiner Tasche. Der muss bis morgen reichen.

»Du bist zurück«, höre ich Kenton hinter mir, als ich den Fuß auf die unterste Stufe setze.

»Jepp.« Ich werfe ihm einen Blick über die Schulter zu. Warum muss er so attraktiv sein?

»Ich habe Abendessen gekocht.«