Until You: Bax - Aurora Rose Reynolds - E-Book

Until You: Bax E-Book

Aurora Rose Reynolds

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Beschreibung

Bax Mayson dachte, dem Familienfluch entkommen zu sein – bis er Olivia Gannon wiedertrifft. Acht Jahre sind vergangen, seit er die kleine Schwester seines besten Freundes das letzte Mal gesehen hat. Doch als das Schicksal sie erneut zusammenführt, spürt er sofort eine Verbindung, die tiefer geht als alles, was er je erwartet hätte. Für Olivia sollte die Rückkehr in ihre Heimat ein Schritt zurück zu ihren Wurzeln sein. Doch die Begegnung mit Bax stellt alles auf den Kopf und setzt Ereignisse in Gang, die ihr Leben für immer verändern. Zwischen wachsenden Spannungen in der Familie, dem Wiederauftauchen alter Ex-Partner und einer Bedrohung durch einen geheimen Feind, der auf Rache sinnt, steht Olivia vor der größten Herausforderung ihres Lebens. Eines ist jedoch sicher: Sie und Bax haben etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 425

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Aurora Rose Reynolds

© Die Originalausgabe wurde 2024 unter dem

Titel Until Bax von Aurora Rose Reynolds veröffentlicht.

© 2025 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

Aus dem Amerikanischen von Eva Leitold

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Redaktion & Korrektorat: Romance Edition

ISBN-EPUB: 978-3-903519-33-6

ISBN-PRINT: 978-3-903519-34-3

www.romance-edition.com

Inhalt

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Epilog

Über die Autorin

Bax

Als ich die Tür zu Blue’s Bar & Grill öffne und eintrete, gehe ich am Podium vorbei, wo eine kleine Gruppe darauf wartet, zu ihrem Tisch gebracht zu werden.

Ich nicke bekannten Gesichtern zu, während ich zur Bar schlendere. Mein Bruder Talon sitzt dort mit einem Bier vor sich, den Blick auf das Spiel gerichtet, das auf dem Fernseher über der Theke läuft. »Gerade erst angekommen?«, frage ich, als ich den Hocker neben ihm herausziehe und er sich mir kurz zuwendet.

»Vor etwa zehn Minuten.« Er schaut hinter mich. »Wo ist Liam?«

»Er ist auf dem Weg. Er wurde von den Lieferanten aufgehalten, die das Material für das Hausdach in Hickson abgeladen haben.«

»Schon wieder so spät?«

»Du kennst die Antwort auf diese Frage bereits«, murmle ich, und er presst die Lippen zusammen.

»Das ist jetzt das dritte Mal, oder?«

»Ja, und genau deshalb müssen wir ernsthaft darüber sprechen, einen neuen Lieferanten anzuheuern.«

»Haben wir nicht einen Vertrag mit ihnen?«

»Ja, aber ich glaube, der läuft Ende dieses Jahres aus. Das können wir mit Liam klären, wenn er hier ist.« Ich fange den Blick der Barkeeperin auf und deute auf das Bier vor Talon, um ihr zu signalisieren, dass ich dasselbe möchte. Sie schenkt mir ein Lächeln.

»Hat sich Maxim bei dir gemeldet?«

»Nein, was gibt’s?«

»Er will sich mit uns treffen, um über Arbeiten an dem Haus zu sprechen, das er und April in West Nashville gekauft haben. Es soll renoviert werden.«

»Haben wir Kapazitäten, diesen Auftrag anzunehmen?«

»Keine Ahnung.« Er schüttelt den Kopf. »Am Montag treffe ich mich mit ihm, um das Haus zu besichtigen und den Arbeitsumfang einzuschätzen. Aber ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob wir das zeitlich stemmen können – bei all dem, was sonst noch ansteht.« Er wendet den Blick von mir ab und schaut zum Fernseher, als plötzlich ringsum Applaus ausbricht. Ich folge seinem Blick und sehe gerade noch, wie das Team seinen Touchdown feiert, bevor die Werbepause beginnt.

»Hast du auf das Spiel gewettet?«

»Liam und ich haben um zwanzig Dollar gewettet, dass sie gewinnen.« Er nimmt einen Schluck von seinem Bier. »Eigentlich sollte das ihre Comeback-Saison werden.«

»Das sagst du jedes Jahr.«

Er dreht sich zu mir um und wirkt dabei sichtlich genervt. »Es ist auch dein Team.«

»Schon, aber ich mache mir keine Illusionen, dass sie plötzlich unschlagbar werden.« Ich lache über seinen Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen gespielt empört und amüsiert liegt, und wechsle dann das Thema. »Wo ist Mia heute Abend?«

Normalerweise verbringt er seine freie Zeit mit seiner Frau und den Kindern, und es ist selten, dass er von sich aus vorschlägt, noch ein Bier trinken zu gehen.

»Sie ist bei ihrer Schwester, zusammen mit den Kindern, um alles für morgen vorzubereiten.«

»Was ist morgen?«, frage ich und trinke einen Schluck von dem Bier, das die Barkeeperin gerade vor mir abgestellt hat.

»Kürbisschnitzen. Und wenn du mir jetzt sagst, dass du es vergessen und andere Pläne hast, dann reißt Mia dir den Kopf ab.«

Mist.

»Natürlich hab ich’s nicht vergessen.«

»Klar doch.« Er zieht sein Handy aus der Tasche, als es klingelt. »Das ist Mia. Ich geh kurz raus, um mit ihr zu sprechen. Bin gleich wieder da.«

Er rutscht vom Hocker, und ich trinke ebenfalls einen großen Schluck Bier. Gerade als ich mich umschaue, fängt ein glockenhelles Lachen meine Aufmerksamkeit ein. Ich würde nicht behaupten, jeden in meiner Heimatstadt zu kennen, aber es gibt nur wenige Gesichter, die mir nicht zumindest vertraut sind. Die Frau, die an dem Hochtisch neben meiner Nachbarin Kourtney sitzt, gehört definitiv nicht dazu.

Ihr Lachen ertönt erneut, klar und ansteckend, während sie den Kopf zurückwirft und ein strahlendes Lächeln zeigt. Als sie spürt, dass ich sie anschaue, hält sie inne und sieht zu mir herüber. In ihrem Gesicht zeichnet sich ein Ausdruck ab, der sagt, dass wir uns kennen könnten – zumindest glaubt sie das. Unsere Blicke treffen sich, und für einen Moment scheint sie nachzudenken, bevor sie sich wieder abwendet. Sie sagt etwas zu Kourtney, die sich daraufhin zu mir umdreht und mir kurz zuwinkt. Dann gleitet die Unbekannte von ihrem Hocker und kommt auf mich zu.

Während sie auf mich zugeht, schießt mir ein Gedanke nach dem anderen durch den Kopf, doch ich kann nicht einordnen, warum sie mir so vertraut vorkommt – oder warum sie so wirkt, als würde sie mich kennen.

Ich kenne sie nicht. An sie würde ich mich erinnern. An ihr unglaublich langes, dunkles Haar, das förmlich dazu einlädt, sich darin zu verlieren, und an die geschwungene Linie ihrer Hüften, die durch ihre Jeans und den Pullover perfekt betont wird. Ihr Gesicht könnte ohne Mühe die Fantasien unzähliger Männer beherrschen. Sie ist nicht einfach hübsch – sie ist umwerfend, mit zarten, femininen Zügen, großen braunen Augen und vollen Lippen, die weich und einladend aussehen.

Ich bin so in meine Gedanken über ihr Aussehen vertieft, dass ich völlig überrumpelt bin, als sie plötzlich vor mir steht und mich zur Begrüßung umarmt.

»Hey, Bax, es ist lange her.«

Der Duft ihres Parfums – weich und weiblich – trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube, als sie mich an sich zieht. Es passt perfekt zu ihren zarten Zügen und ihrem Körper, der sich gegen meinen schmiegt.

»Ich ...« Ich räuspere mich, als sie mich loslässt, und ihr Lächeln wird breiter, während sie den Kopf zur Seite neigt, wodurch ihr dunkles Haar über ihre Schulter fällt.

»Sag mir nicht, dass du mich vergessen hast.«

Ich möchte sagen, dass ich sie niemals vergessen könnte, aber das habe ich offensichtlich.

»Hey.« Liam taucht aus dem Nichts auf, legt einen Arm um ihre Schultern und ich balle unwillkürlich die Hand auf meinem angewinkelten Knie zur Faust. »Ich wusste nicht, dass du hier sein würdest.«

»Das war eine spontane Entscheidung.« Sie lächelt zu ihm auf und tätschelt seinen Bauch. »Ich habe den Job bekommen, das wollte ich mit Kourtney feiern.«

»Ja?« Er grinst.

»Ja, ich fange am Montag an.«

»Glückwunsch, Kleines.« Liam zieht sie kurz an sich, und ich sehe zwischen den beiden hin und her, während sich die Puzzleteile langsam zusammenfügen. Vor ein paar Wochen hat er erwähnt, dass seine Schwester zu Besuch in der Stadt ist, aber seither ist sie nicht mehr zur Sprache gekommen. Ich habe auch nicht weiter darüber nachgedacht, schließlich habe ich sie nie gesehen, wenn sie zu Hause war.

Scheiße.

Es kann unmöglich sein, dass diese Frau Olivia ist. Liams kleine Schwester, die uns immer hinterhergelaufen war, und wenn sie das nicht gerade tat, die Nase in ein Buch gesteckt hatte.

»Oli?«, murmle ich, und ihr Blick trifft wieder meinen.

»Ja.« Ihr Gesicht entspannt sich wieder, was ihre Schönheit noch verstärkt.

Ich räuspere mich und schüttle leicht den Kopf. »Es ist lange her.« Verdammt, das fühlt sich merkwürdig an. Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen, und davor ... Na ja, da war sie einfach nur Liams kleine Schwester. Sie sah jedenfalls nicht annähernd so aus wie die Frau, die jetzt vor mir steht.

»Ich weiß.« Ihr Lächeln ist sanft.

»Wie geht’s dir?«, frage ich, während sich Liam auf den Hocker neben mir setzt.

»Ich versuche gerade, mich wieder einzuleben und mich an das Leben in einer Kleinstadt zu gewöhnen.«

»Du bist in Chicago, oder?«

»War ich.« Sie löst ihren Blick von mir, als Kourtney zu uns kommt und ihr leicht auf die Schulter tippt.

»Entschuldige, dass ich störe«, sagt Kourtney leise. »Ich habe gerade eine Nachricht von meiner Agentur bekommen und gehe kurz raus, um zurückzurufen.«

»Oh.« Olivia schaut zu dem Tisch, an dem sie saßen. »Ich bin mit meinem Drink fertig, ich hole nur schnell meine Sachen und treffe dich draußen.«

»Bist du sicher? Ich hätte noch Zeit zu bleiben.« Kourtney wirft einen Blick auf mich, dann auf Liam, und ihre Wangen färben sich leicht rosa.

»Ja, ich bin sicher. Ich würde mir gern das Zimmer bei dir ansehen, damit ich dieses Wochenende mit dem Einzug anfangen kann.«

»Okay, ich warte draußen auf dich.« Kourtney sieht zwischen Liam und mir hin und her, verabschiedet sich und macht sich auf den Weg aus dem Lokal.

»Was habt ihr geplant?«, erkundigt sich Liam, sobald Kourtney außer Hörweite ist.

»Sie hat ein Zimmer frei, das ich mieten kann, und das will ich mir anschauen.«

»Du wirst bei ihr einziehen?« Liam runzelt die Stirn.

»Hoffentlich. Es wäre schön, schon vor meinem Arbeitsbeginn am Montag etwas Eigenes zu haben.«

»Bist du sicher, dass du das willst?« Sein Stirnrunzeln nimmt zu. »Ich weiß, ihr wart früher befreundet, aber seit deinem Umzug habt ihr doch nicht mehr viel Zeit miteinander verbracht.«

»Sie hat letzten Sommer einen Monat bei mir gewohnt, als sie in Chicago gearbeitet hat. Also, ja, ich habe Zeit mit ihr verbracht. Und da sie als Krankenschwester viel unterwegs ist, ist sie sowieso kaum zu Hause.« Sie erwidert Liams Stirnrunzeln mit ihrem eigenen. »Ich dachte, du würdest dich freuen, mich aus deiner Bude rauszuhaben.«

»Es macht mir nichts aus, dass du bei mir bist.«

Ihr Gesicht und ihr Tonfall werden weicher. »In deiner kleinen Wohnung ist kaum Platz für dich.«

Da hat sie nicht unrecht. Vor etwa fünf Monaten hat er sich ein paar Morgen Land gekauft und lebt in einem Wohnwagen auf dem Grundstück, während sein Haus gebaut wird. Und obwohl sein Wohnwagen sehr schön ist, ist er klein – selbst für eine Person. Ich kann mir also nur vorstellen, wie eng es für die beiden und seinen Hund Lucy sein muss.

»Kleines ...«

»Es ist okay, und es ist ja nur vorübergehend. Ich will keine Wohnung mieten, bevor ich nicht sicher bin, wo ich dauerhaft leben möchte.«

»Na gut.« Er seufzt, und sie schüttelt den Kopf, bevor sie ihn umarmt.

»Wir sehen uns später zu Hause.«

»Fahr vorsichtig.«

»Ja, Dad.« Sie lacht, schaut dann zu mir und lehnt sich ein Stück vor, als wollte sie mich umarmen, überlegt es sich dann aber anders und tritt auf der Stelle. »War schön, dich zu sehen, Bax.«

»Das kann ich nur zurückgeben«, murmle ich.

Mit einem strahlenden Lächeln stößt sie Liam leicht mit der Faust gegen die Schulter, dreht sich um und geht zurück zum Tisch, um ihre Tasche und Jacke zu holen. Währenddessen versuche ich – wirklich, verdammt noch mal – nicht auf ihren Hintern zu starren. Aber es ist schwer, selbst als ich mich daran erinnere, dass sie Liams kleine Schwester ist.

Scheiße.

Ich drehe mich wieder zu meinem Hocker, nehme mein Bier und trinke einen großen Schluck. Dann sehe ich meinen besten Freund an.

»Du hast nie erwähnt, dass Oli wieder hierherzieht.« Das ist, was ich sage, aber eigentlich will ich sagen: Du hast nie erwähnt, dass sie erwachsen geworden ist.

»Ich wusste nicht, dass sie es ernst meint, als sie davon gesprochen hat.« Er wirft einen Blick über die Schulter, bevor er mich wieder ansieht. »Sie ist plötzlich aufgetaucht, hat angefangen, nach einem Job zu suchen, und mir gesagt, dass ihr Zeug bald ankommt.«

»Warum so plötzlich?«

»Ich glaube, sie macht sich Sorgen um Dad. Du weißt, dass er wegen seines Diabetes vor einem Monat im Krankenhaus gelandet ist.«

»Ich erinnere mich.«

»Ich habe sie sofort angerufen. Wegen der Stürme verzögerten sich die Flüge, und mit dem Auto wäre sie ewig unterwegs gewesen. Da konnte sie genauso gut abwarten, bis sich das Unwetter legt.« Er zuckt die Schultern. »Ich glaube, es hat sie ziemlich aus der Bahn geworfen, dass sie nicht sofort hier sein konnte.«

»Das ist verständlich.«

»Wie auch immer, ich bin froh, dass sie wieder da ist. Und Mom und Dad freuen sich, sie in der Nähe zu haben. Ansonsten sehen sie Oli ja nur an den Feiertagen.«

»Deine Eltern haben sie nie in Chicago besucht?«

»Doch, aber die Fahrten waren für Mom immer anstrengend, und sie hasst Fliegen, also waren die Besuche selten.«

In diesem Moment kommt Talon zurück und klopft Liam freundschaftlich auf die Schulter. »Sorry, dass das so lange gedauert hat.« Er setzt sich wieder auf seinen Hocker. »Mia wollte wissen, wo ich das Zeug zum Kürbisschnitzen vom letzten Jahr hingepackt habe. Ich musste ihr erklären, wie die App funktioniert, die ich für die Lagerboxen in der Garage eingerichtet habe.«

»Scheiße, das Kürbisschnitzen ist morgen?« Liam verzieht das Gesicht, und mein Bruder verengt die Augen.

»Du hast es vergessen?«

»Es ist mir völlig entfallen. Ich hab geplant, nach Gatlinburg zu fahren, um eine Freundin zu treffen.«

»Du meinst einen One-Night-Stand«, erwidere ich trocken.

Zur Antwort zuckt er nur mit einer Schulter, ein selbstgefälliges Grinsen auf den Lippen.

»Na, dann kannst du ja meine Frau anrufen und ihr sagen, dass du nicht kommen wirst.«

»Oder du sagst es ihr einfach für mich.«

»Und mir den Spaß entgehen lassen, wie sie dich niedermacht? Nicht im Traum.« Talon lacht, und ich grinse bei dem Ausdruck auf Liams Gesicht. Mia, Talons Frau, ist eine der nettesten Frauen, die ich kenne – aber sie kann auch verdammt streng sein. Niemand, mich eingeschlossen, will sie auf dem falschen Fuß erwischen.

Eine Stunde später, nach einem weiteren Bier und einer Portion Nachos, fahre ich in meine Einfahrt. Ich drücke schon einmal den Knopf für das Garagentor, bleibe mit dem Wagen aber draußen, da meine Motorräder und Quads den gesamten Platz einnehmen. Also stelle ich den Truck draußen ab und gehe zum Briefkasten am Ende der Einfahrt. Dabei schaue ich zu dem Haus nebenan. Kourtneys BMW steht dort, zusammen mit einem roten Audi, den ich nicht kenne. Vielleicht gehört er Olivia. Ein schicker Wagen – und teuer. Wie ihr Leben in Chicago wohl ausgesehen hat?

Mit einem Stapel Post, von dem ich schon jetzt weiß, dass er größtenteils aus Werbung besteht, gehe ich durch die Garage ins Haus. Gemma, mein vierjähriger Australian-Shepherd-Mix, begrüßt mich mit wedelndem Schwanz, während Ira, meine Katze, mich mit ihren goldenen Augen von ihrem Platz auf der Waschmaschine aus beobachtet. Nachdem ich beiden etwas Aufmerksamkeit geschenkt habe, hänge ich meine Jacke auf und gehe den Flur entlang.

Vor zwei Jahren habe ich mein Haus zu einem Schnäppchenpreis erworben. Die ursprünglichen Besitzer wollten nach Florida ziehen, nachdem ihr jüngstes Kind aufs College gegangen war. Sie wünschten sich einen schnellen Verkauf, ohne Geld in das Haus zu stecken. Mein Plan war, es schnell zu renovieren und mit Gewinn weiterzuverkaufen. Das hat nicht geklappt.

In den letzten Jahren habe ich einiges daran verändert: Ich habe die Küche zum Esszimmer hin geöffnet, Böden und Wände erneuert sowie neue Schränke und Geräte eingebaut. Ich habe auch angefangen, das Badezimmer im Hauptschlafzimmer zu modernisieren, aber nachdem ich den ganzen Tag an Häusern anderer Leute arbeite, fehlt mir meistens die Energie, noch an meinem eigenen weiterzumachen. Es wird also noch eine Weile dauern, bis alles fertig ist. Und da der Immobilienmarkt im Moment ein Chaos ist, habe ich keine Eile, das Haus zu verkaufen.

Außerdem – mit fast dreihundert Quadratmetern auf knapp einem Morgen Land wäre es das perfekte Haus, um eine Familie zu gründen.

Nicht dass ich das für mich in naher Zukunft sehe. Ich arbeite viel zu viel, und Dating macht ungefähr so viel Spaß wie eine Wurzelbehandlung, weshalb ich es seit einiger Zeit vermeide wie die Pest.

In der Küche werfe ich die Post auf den Stapel, der dort schon liegt, und gehe am Esstisch vorbei, um Gemma durch die gläsernen Doppeltüren hinauszulassen. Kaum öffne ich die Tür, schießt sie über die Terrasse, die Stufen hinunter und in den Garten. Ich folge ihr ein Stück und höre plötzlich Gelächter aus Kourtneys Garten – dasselbe Lachen wie vorhin in der Bar. Gemma hört es auch und rennt bellend in die Richtung, nur gestoppt durch den elektrischen Zaun.

»Ruhig«, befehle ich, und sie gehorcht, schaut kurz zu mir, bevor sie weiter in den Garten läuft.

Als Gemma mit einem ihrer Dutzend Tennisbälle zurückkommt, die sie überall versteckt hat, lässt sie ihn mit einer stummen Aufforderung fallen. Ich gehe die Stufen hinunter und hebe den Ball auf. Während ich ihn in die Schatten schleudere, die die Bäume am hinteren Ende meines Grundstücks werfen, fällt mein Blick wieder auf das Haus nebenan. Olivia und Kourtney sitzen auf der hinteren Terrasse. Sie unterhalten sich leise, während zwischen ihnen ein runder Gaskamin brennt.

Ich wohne seit ein paar Jahren neben Kourtney, aber wie Olivia schon sagte, ist sie als Krankenschwester viel unterwegs, da sie in verschiedenen Krankenhäusern zum Einsatz kommt. Abgesehen von gelegentlichen Gesprächen hatten wir kaum Kontakt. Sie war auch in derselben Jahrgangsstufe wie Olivia und damit ein paar Klassen unter Liam und mir – unsere sozialen Kreise haben sich nie überschnitten.

Nach etwa zehn Minuten, in denen ich mit Gemma Ball spiele, beginnt sie langsamer zu werden – offensichtlich erschöpft von der ganzen Rennerei.

»Bereit, reinzugehen?«, frage ich und wende mich in Richtung Terrasse, halte aber inne, als Olivias Stimme die Dunkelheit durchbricht.

»Sieht aus, als wären wir Nachbarn.«

Ich drehe mich zu ihr um und bemerke, dass Kourtney nicht mehr draußen ist und das Feuer gelöscht wurde.

»Du nimmst das Zimmer?«

»Ja, für den Moment ist es perfekt.« Sie geht die Stufen hinunter in den Garten. Gemma rennt auf sie zu, bleibt jedoch kurz vor dem Zaun stehen. »Liam hat mir erzählt, dass ihr vor ein paar Jahren Welpen aus demselben Wurf aufgenommen habt.« Sie betritt meinen Garten.

»Das hier ist Gemma.« Ich bücke mich, hebe den Ball auf und gehe auf sie zu.

»Hey, Gemma.« Sie hockt sich hin, und mein Hund – immer bereit, neue Freunde zu finden – begrüßt sie sofort, ihr Körper zittert vor Aufregung. »Du siehst genauso aus wie Lucy.« Sie legt den Kopf in den Nacken, schaut zu mir auf und lächelt – ein Lächeln, das meine Hand um den Ball verkrampfen lässt. »Liam meinte, dass deine Cousine July darauf bestanden hätte, dass ihr beide Welpen nehmt, nachdem sie bei ihr in der Praxis abgegeben wurden.«

»Man könnte auch sagen, sie hat uns keine Wahl gelassen.« Ich lache, und ihr Lächeln wird noch strahlender. Unvermittelt lässt sie sich im Schneidersitz ins Gras fallen. Gemma nutzt sofort die Gelegenheit und legt den Kopf auf ihrem Knie ab.

»Lasst ihr sie manchmal zusammen spielen?«

»Normalerweise nehme ich sie mit zur Arbeit, und da Liam Lucy auch mitnimmt, verbringen die beiden viel Zeit zusammen.« Ich hocke mich neben sie.

»Das ist süß.« Sie streicht mit den Fingern durch Gemmas dickes Fell, schaut dann über ihre Schulter zu meinem Haus. »Ich war überrascht, als Kourtney mir gesagt hat, dass du neben ihr wohnst.«

»Ach ja?«

»Ja, ich habe mir immer vorgestellt, dass du auf einem Grundstück wie das deiner Eltern wohnst – draußen auf dem Land, ohne Nachbarn und mit vielen Routen zum Quadfahren«, sagt sie leise und blickt mich an.

Vielleicht ist es das Licht vom Haus oder die Stille der Nacht, aber sie sieht noch schöner aus als vorhin in der Bar.

»Einige meiner schönsten Erinnerungen sind, wie du und Liam mich mitgenommen habt und wir den ganzen Tag auf den Trails deiner Eltern unterwegs waren.«

Die Erinnerung schmerzt. Sie ist nicht irgendeine Frau, die ich vor ein paar Stunden kennengelernt habe. Sie ist Liams kleine Schwester – das Mädchen, das auf meinem Quad hinter mir saß und vor Lachen quietschte, wenn ich absichtlich durch jede Schlammpfütze gefahren bin. Das Mädchen, das Cracker mit Marshmallows verputzte, bis ihr schlecht wurde, und kicherte, wann immer Liam und ich drohten, irgendwelche Jungs zu vermöbeln, die auf sie standen – oder die sie mochte.

»Meine Eltern wohnen noch immer dort. Du solltest Liam überreden, dich mitzunehmen, wenn er das nächste Mal hinfährt.« Ich stehe auf und trete einen Schritt zurück.

Zu meiner Verwunderung zieht sie die Augenbrauen zusammen und wendet dann den Blick ab. »Ja, werde ich machen.« Sie schaut zu Kourtneys Haus. »Ich sollte zurück, ich muss bald zu Liam.« Sie wischt sich die Hände an ihrer Jeans ab und steht auf, um sich den Dreck von ihrer Hose zu klopfen. »Tschüss, Gemma.« Sie streicht meinem Hund über den Kopf und sieht schließlich zu mir hoch. »Gute Nacht, Bax.«

»Dir auch, Oli.« Ich sehe ihr hinterher, meine Hände zu Fäusten geballt. Erst als sie in Kourtneys Haus verschwindet, lasse ich meinen Kopf in den Nacken fallen und fluche in den Nachthimmel.

Ich bin so verdammt am Arsch.

Olivia

Ich verlasse den Parkplatz des Spas, biege auf die Main Street ein und lasse die Abzweigung zu Kourtneys Viertel hinter mir. Heute Abend fahre ich nach der Arbeit nicht direkt nach Hause, so wie ich es seit meinem Einzug bei ihr am Wochenende gemacht habe. Nicht dass sich ihr Haus wie ein Zuhause anfühlen würde. Mit den meisten meiner Klamotten immer noch in den Koffern und einer Luftmatratze als Bett fühle ich mich nach wie vor wie ein Gast. Dabei hat sich Kourtney wirklich bemüht, mich willkommen zu heißen. Zumindest so gut, wie es ging, bevor sie mitten in der Woche für einen neuen Job nach Los Angeles geflogen ist.

An einer roten Ampel halte ich an und fühle mich wie einer dieser älteren Stadtbewohner, die ständig über den Verkehr und die vielen Veränderungen der letzten Jahre klagen. Früher gab es hier im Zentrum nur eine einzige Ampel. Jetzt sind es Dutzende. Dazu kommen unzählige Geschäfte und Fast-Food-Läden entlang der Hauptstraße, die von meiner kleinen Stadt in die nächste führt, und dann weiter bis ins Zentrum von Nashville.

Es gibt sogar einen Starbucks – etwas, das ich hier nie erwartet hätte. Nicht nach dem Drama, das sich in meiner Highschool-Zeit abgespielt hat, als man hier einen Sonic-Drive-in bauen wollte. Die Leute waren sich damals sicher, dass das den Kleinstadtcharme zerstören und alle familiengeführten Restaurants in den Ruin treiben würde. Aber so ist es in kleinen Städten: Jeder hat Angst vor Veränderung. Angst, dass das, was in den Großstädten passiert, hierher überschwappen und die Bewohner verderben könnte.

Als mein Handy klingelt, sehe ich auf das Display meines Armaturenbretts. Es ist eine meiner besten Freundinnen aus Chicago. Ich drücke den Knopf am Lenkrad, um das Gespräch anzunehmen.

»Hey, du«, sage ich lächelnd, obwohl die Person hinter mir hupt, als könnte ich den Truck vor mir mit bloßem Willen wegbewegen.

»Es klingt, als wärst du zu Hause – sag bitte, dass du wieder in Chicago bist.« Rebeccas Stimme hallt durch das Auto und bringt mich zum Lachen.

»Tut mir leid, ich bin nur auf dem Weg zu meinen Eltern und stecke im Verkehr fest. Was machst du?«

»Ich bin gerade von der Arbeit nach Hause gekommen und mache mich fertig, um mit Clark essen zu gehen.«

»Du gehst mit Clark essen?« Meine Stimme verrät eindeutig meine Überraschung. Clark ist ihr Ex, von dem sie sich vor zwei Monaten getrennt hat, nachdem er sie gefragt hat, ob sie mit ihm zusammenziehen möchte, statt ihr – wie sie es erwartet hatte – einen Heiratsantrag zu machen.

»Es ist nur ein Essen.«

»Also willst du immer noch nicht zugeben, dass du ihn vermisst oder die Trennung ein Fehler gewesen ist?«

»Es ist nicht zu viel verlangt, verlobt zu sein, bevor man mit jemandem zusammenzieht. Vor allem, wenn man über ein Jahr mit dieser Person zusammen ist.«

»Ich sage ja nicht, dass du unrecht hast«, entgegne ich sanft. »Aber er hat nie gesagt, dass er dich nicht fragen würde. Er wollte nur nichts überstürzen und eine Zeit lang mit dir zusammenleben, bevor ihr diesen Schritt geht.«

»Wenn man es weiß, dann weiß man es. Und er wusste offensichtlich nicht, dass er den Rest seines Lebens mit mir verbringen wollte. Warum also Zeit verschwenden?«

»Okay, warum gehst du dann heute Abend mit ihm aus?«

»Weil ich immer noch in ihn verliebt bin«, gibt sie zerknirscht zu.

»Wenn er dich also bitten würde, wieder mit ihm zusammenzukommen, würdest du Ja sagen?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht.« Sie seufzt. »Oder vielleicht auch nicht. Es kommt darauf an, ob sich etwas geändert hat.«

Ich schüttle den Kopf. »Du meinst, ob er seine Meinung zum Thema Verlobung geändert hat.«

»Wir waren über ein Jahr zusammen!«

Vierzehn Monate sind knapp über ein Jahr, aber das erwähne ich nicht. Sie weiß es ohnehin.

»Molly hat Adam nach zwei Monaten gefragt.«

»Stimmt, und jetzt sind sie verheiratet und haben ein Baby. Aber sie hasst ihn die meiste Zeit, weil er sich nicht so um sie kümmert, wie er es sollte. Sie ist im Grunde eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern – eines davon ist ein über dreißigjähriger Mann, der trinkt und Videospiele spielt, wenn er nicht gerade arbeitet. Das hätte sie vielleicht vermeiden können, wenn sie länger zusammengelebt und erst später geheiratet hätten.«

»Denkst du also, ich hätte mit Clark zusammenziehen sollen, ohne einen Ring am Finger?«

»Ich denke, am Ende des Tages zählt nur, was für dich richtig ist. Genau das habe ich dir auch gesagt, als du meintest, dass du dich von ihm trennen willst.«

»Du hast mir auch gesagt, ich sollte es nicht tun.«

»Weil du ihn liebst und deine Entscheidung, mit ihm Schluss zu machen, davon abhängig gemacht hast, was deine Eltern dazu sagen würden, wenn du ohne Verlobung mit ihm zusammenziehst. Und ich habe dir gesagt, dass deren Meinung nicht wichtig sein sollte, weil es nicht ihr Leben ist.«

»Können wir das Thema wechseln?«

»Klar.« Ich presse die Lippen zusammen und schüttle den Kopf. Wir hatten dieses Gespräch schon Dutzende Male geführt, und es endet immer gleich: Ich versuche, ihr klarzumachen, dass sie vorschnell gehandelt hat, als sie mit Clark Schluss gemacht hat. Und sie weigert sich, das zuzugeben, und wird wütend, weil ich ihr nicht recht gebe.

»Hast du mit Peter gesprochen?«

Großartig. Ein Thema, über das ich definitiv nicht reden möchte.

»Nein.« Ich atme hörbar aus. »Ich habe seine Nummer blockiert, nachdem er mich das letzte Mal angerufen hat.«

»Gut, denn er schläft immer noch mit ihr.« Ihr – das ist meine ehemalige Kollegin und angebliche Freundin Mindy, und er – das ist mein Ex-Freund und ehemaliger Chef Peter.

»Gut für die beiden. Sie verdienen sich gegenseitig«, murmle ich.

»Ja, und wenn sie glaubt, ihr würde nicht dasselbe Schicksal blühen wie dir, ist sie verrückt.«

Ich beiße mir auf die Lippe. Diese Aussage trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht, auch wenn das nicht ihre Absicht ist. Als meine alte Chefin Lindsey in den Ruhestand ging und Peter die Leitung der Dermatologiepraxis übernahm, war er mit einer anderen Frau zusammen, flirtete aber ständig mit mir. Ich hasse es, mir selbst einzugestehen, dass ich seine Aufmerksamkeit so sehr genossen habe, dass mir diese schließlich zu Kopf stieg. Zwar habe ich nichts mit ihm angefangen, solange er in einer festen Beziehung war, aber er hätte jede Chance genutzt, wenn ich sie ihm geboten hätte – unabhängig davon, ob er Single gewesen wäre oder nicht.

»Wie geht es allen anderen?« Ich will nicht über Peter oder Mindy sprechen. Vielleicht habe ich den schlimmsten Teil ihres Verrats hinter mir, aber ich bin immer noch wütend auf mich selbst, weil ich dachte, er würde mir treu sein. Weil ich glaubte, dass ich – sobald die anfängliche Verliebtheit verflogen war – nicht nur eine weitere Frau wäre, die er flachlegt und dann fallen lässt.

Nicht dass die Verliebtheit überhaupt Zeit gehabt hätte, zu verfliegen. Wir waren erst ein paar Wochen zusammen, als ich ihn dabei erwischte, wie er bei der Arbeit – ausgerechnet – mit Mindy rummachte. Und wer weiß, wie lange das schon lief, bevor wir offiziell zusammen waren.

»Allen geht’s gut. Wir vermissen dich schrecklich ... und hassen Peter jeden Tag ein bisschen mehr dafür, dass du gegangen bist.«

Ich schlucke gegen das plötzliche Engegefühl in meinem Hals an. Ich habe meinen Job und all die Menschen geliebt, mit denen ich fünf Jahre lang in Chicago zusammengearbeitet habe. Meine alte Chefin und alle im Büro waren wie eine Familie für mich. Wir haben die Feiertage zusammen verbracht und sind als Gruppe verreist, wann immer es ging. Und auch wenn ich die Praxis verlassen habe, weil ich nicht weiter mit Peter arbeiten wollte, war er nicht der Grund, warum ich Chicago verlassen habe – egal, was alle denken.

»Ich vermisse euch auch.«

»Wie läuft dein neuer Job?«, fragt sie.

»Gut. Ich meine, es sind erst vier Tage, also taste ich mich noch heran. Aber mein Kalender ist schon ziemlich voll, hoffentlich bleibt das so.«

»Das wird es. Du bist die Beste in dem, was du machst. Ich sage dir jetzt schon, dass ich dich in ein paar Monaten besuchen komme, wenn es Zeit für meinen Touch-up ist. Niemand außer dir kommt an mein Gesicht.« Sie lacht.

»Ich freue mich schon auf deinen Besuch.« Lächelnd setze ich den Blinker und biege in die Straße meiner Eltern ein. »Ich bin jetzt bei meinen Eltern. Ruf mich später an und erzähl mir vom Abendessen.«

»Mach ich. Lieb dich.«

»Ich dich auch.« Ich lege auf und sehe, wie das Haus meiner Eltern – ein schlichtes Haus mit drei Bereichen und einem üppigen Garten – vor mir auftaucht. Max, der größte ihrer drei Hunde, schießt aus der offenen Garage und läuft bellend auf mein Auto zu.

»Max, wenn ich dich überfahre, bringt Mom mich um, du Idiot«, murmle ich, während ich langsamer werde, um ihn nicht versehentlich zu erwischen.

Als ich schließlich vor dem Haus anhalte, stelle ich den Wagen ab und schnappe mir meine Handtasche und die Tüte mit Proben, die ich für meine Mom mitgebracht habe. Ich öffne die Tür, und Max begrüßt mich, indem er mit seinen knapp über dreißig Kilo direkt gegen meine Brust springt und versucht, mir über das Gesicht zu schlabbern. In seinem Übermut drängt er mich einen Schritt zurück.

»Max, runter!«, ruft Mom, und er lässt sich sofort auf seinen Hintern fallen. Er schaut sie mit einem schuldbewussten Blick an, der sagt, dass er genau weiß, etwas getan zu haben, was er nicht sollte.

»Hey, Mom.« Ich lächle, während ich Max über den Kopf streiche.

Meine Mom bekam mich mit zweiundvierzig, und jetzt ist sie siebzig. Obwohl sie aktiv und bei guter Gesundheit ist, merkt man ihr das Alter an. Nicht nur an ihren Haaren, die sie seit Jahren nicht mehr färbt und die jetzt wunderschön silbern mit weißen Strähnen sind, oder an den Lachfalten um ihre Augen und ihren Mund. Sondern auch an ihrer Art, sich zu bewegen – langsamer und vorsichtiger.

Das ist der wahre Grund, warum ich nach Tennessee zurückgekommen bin. Meine Eltern werden nicht jünger. Mein Dad ist bereits vierundsiebzig, und ich weiß, dass ich nur noch ein paar Jahre mit ihnen habe. Ich will keine Reue empfinden, weil ich zu weit weg war, obwohl sie mich gebraucht hätten, oder weil ich sie nur wenige Male im Jahr gesehen habe, wenn mein Zeitplan es erlaubt hat oder Mom die Fahrt nach Chicago auf sich nehmen wollte – etwas, das sich wegen ihrer Flugangst ohnehin selten ergeben hat.

Außerdem war das Timing perfekt: Mein Mietvertrag lief aus, und ich war gerade auf Jobsuche. Es fühlte sich an wie Schicksal.

»Das ist ja eine schöne Überraschung.« Mom lächelt, als sie von der Veranda herunterkommt. »Ich wusste nicht, dass du vorbeikommst.«

»Ich wollte dir ein paar Sachen vom Spa bringen und sehen, wie es euch geht.« Ich lasse Max zurück und treffe sie an der untersten Stufe, wo sie mich auf die Wange küsst. »Wo ist Dad?«

»Er ist noch unterwegs, müsste aber bald zurück sein.« Sie öffnet die Fliegentür und hält sie für mich auf. »Ich habe Hühnchen-Pie gemacht. Magst du mit uns essen?«

»Sehr gern.« Ich folge ihr ins Haus, und wie jedes Mal, wenn ich hier bin, fühlt es sich an, als wäre ich in meine Kindheit zurückversetzt. Nichts hat sich über die Jahre verändert. Alle alten Schulbilder von Liam und mir hängen noch immer in chronologischer Reihenfolge an den Wänden. Die Decke, in die ich mich zum Lesen gekuschelt habe, liegt immer noch auf der Rückseite der Couch. Und all meine geliebten Bücher stehen noch immer im Regal im Wohnzimmer.

Der einzige Unterschied ist, dass es jetzt mehr Kram gibt. Schachteln und Taschen mit Lebensmitteln stehen an den Wänden, bereit, zur lokalen Tafel gebracht zu werden, und Müllsäcke voller Kleidung warten darauf, an die jeweilige Wohltätigkeitsorganisation geliefert zu werden, die die Kirche meiner Mom unterstützt. Da Mom das alles koordiniert, bringt jeder seine Spenden zu ihr nach Hause, damit sie sich um die Verteilung kümmert.

»Erzähl mir von deinem neuen Job. Gefällt er dir?« Mom sieht über die Schulter zu mir, während ich ihr in die Küche folge.

»Ja. Die Frauen, mit denen ich arbeite, scheinen alle wirklich nett zu sein. Und obwohl die Praxis viel kleiner ist als die in Chicago, scheint sie ziemlich gut ausgelastet zu sein – das ist gut.« Ich lege meine Sachen auf den Esstisch, der direkt an die Küche grenzt.

»Und dein Zimmer bei Kourtney?«

»Es ist ... nur ein Zimmer.« Ich zucke mit den Schultern.

Ihr Blick ruht wieder auf mir, während sie den Kühlschrank öffnet. »Du hättest auch in deinem Zimmer hier bleiben können.«

»Ich weiß. Liam hat dasselbe gesagt. Aber weder ihr noch er habt wirklich Platz für mich und mein ganzes Zeug.«

»Wir hätten Platz für dich geschaffen, damit du nicht bei Liam in seinem Wohnwagen wohnen musst.«

»Ich weiß, aber du kennst Dad.« Ich gehe in die Küche und lehne mich gegen die Arbeitsplatte neben dem Herd. »Kaum hätte ich hier gewohnt, hätte er mir eine Ausgangssperre verpasst und mich unter der Woche um neun ins Bett geschickt. Es hat schon gereicht, dass Liam mich ständig angerufen hat, um zu fragen, wo ich bin und was ich mache, wenn er zurückkam und ich mal nicht zu Hause war.«

Lachend holt Mom eine Kanne Eistee aus dem Kühlschrank und stellt sie auf die Arbeitsplatte. Danach holt sie zwei Gläser aus dem Schrank. »Egal wie alt du bist, du wirst immer das Nesthäkchen bleiben.«

»Genau deshalb kann ich weder bei euch noch bei Liam wohnen«, erwidere ich, nehme das Glas süßen Tee von ihr entgegen und trinke einen Schluck. Bis heute macht meine Mom den besten Sun Tea, den ich je getrunken habe. Ihr Geheimnis ist, dass sie den Tee einen ganzen Tag lang in einem Glasbehälter in der Sonne ziehen lässt – ein Behälter, der von ihrer Mutter und meiner Urgroßmutter weitergegeben wurde.

»Wie ist es, bei Kourtney zu wohnen?«

»Okay. Sie ist für die nächsten drei Wochen in L. A., also bin ich allein im Haus.« Das war einer der Gründe, warum ich ihr Angebot angenommen habe, ein Zimmer bei ihr zu mieten. Obwohl wir früher eng befreundet waren und über die Jahre gute Freundinnen geblieben sind, hatte ich seit dem College keine Mitbewohnerin mehr – und will eigentlich auch keine.

»Wie lange bleibt sie nach diesem Job zu Hause?«

»Normalerweise ist sie nur ein oder zwei Wochen zwischen ihren Einsätzen hier.«

»Das muss schwer für sie sein.«

»Sie mag es, und sie verdient gutes Geld. Dadurch hat sie ihr Haus fast abbezahlt, was ziemlich beeindruckend ist, da sie so alt ist wie ich.«

»Ja, aber was ist mit Beziehungen? Die zu führen, ist schwierig, wenn man ständig reist.«

»Wahrscheinlich.« Ich zucke mit den Schultern. »Aber sie ist glücklich, und das ist alles, was zählt.«

»Da hast du recht«, murmelt sie, aber ich kenne sie. Ich weiß, dass sie denkt, Kourtney sollte lieber ausgehen, einen Mann finden, heiraten und Kinder bekommen. Und ich weiß das, weil sie dasselbe oft genug über mein eigenes Datingleben gesagt hat. »Wann kommt dein restliches Zeug an?« Glücklicherweise wechselt sie das Thema.

»Die Lieferanten haben heute Nachmittag angerufen und gesagt, sie bringen alles bis sieben Uhr abends.«

»Das ist ziemlich spät.«

»Ich weiß, aber es ist besser so. So muss ich morgen nicht bei der Arbeit fehlen, und am Wochenende kann ich die Kisten durchsehen und entscheiden, welche Möbel ich in Liams Lagerraum stelle.«

»Sag Bescheid, wenn du so weit bist, dann kommen Dad und ich mit seinem Truck und helfen dir.«

»Danke.« Ich blicke Richtung Flur, als ich die Haustür aufgehen höre und kleine Pfoten über die Fliesen in der Diele tapsen, gefolgt von schweren Stiefeln. Bevor mein Dad die Küche erreicht, stürmen Tums und Herb – die Chihuahuas meiner Eltern – in den Raum und laufen zwischen Mom und mir umher, unfähig zu entscheiden, wen sie mehr begrüßen sollen.

Ich stelle mein Glas ab und hebe Herb hoch, während Mom sich Tums schnappt.

»Meine beiden Lieblingsmädchen sind hier«, sagt Dad, als er die Küche betritt. Auch mit über siebzig steht er jeden Tag auf und arbeitet in seiner eigenen Werkstatt. Sein Hut und Hemd sind voller Öl- und Schmutzflecken – wie immer.

»Hey, Dad.« Ich lächle, während er an mir vorbeigeht, um Mom einen Kuss zu geben, dann kommt er zu mir und küsst mich auf die Schläfe.

»Das ist eine schöne Überraschung.« Er legt seinen kräftigen Arm um meine Schultern und drückt mich an seine Seite.

»Das habe ich auch gesagt.« Mom strahlt und schaut zwischen uns beiden hin und her.

»Bleibst du zum Abendessen?«, will Dad wissen und drückt mich noch einmal kurz.

»Glaubst du, ich würde jemals Moms Hähnchen-Pie ausschlagen?«, frage ich, und er lacht.

»Wohl kaum.« Er küsst mich wieder auf die Schläfe und sieht dann zu Mom. »Ich geh mich waschen.«

»Okay, Liebling.« Sie schaut zu mir. »Wenn du schon hier bist, möchtest du mir helfen, die Spenden zu sortieren, bis das Essen fertig ist?«

»Klar.« Ich folge ihr ins Wohnzimmer, wo wir eine Stunde lang Kleidung, Lebensmittel und andere Spenden durchsehen, die bei ihr abgegeben wurden. Danach laden Dad und ich alles in ihren Wagen, damit sie es morgen abliefern kann.

Als wir mit dem Essen fertig sind, rufen die Lieferanten an, um mir mitzuteilen, dass sie in etwa dreißig Minuten da sind. Ich verabschiede mich von meinen Eltern und fahre quer durch die Stadt.

Sobald ich in Kourtneys Einfahrt einbiege, schaue ich kurz zum Nachbarhaus, um zu sehen, ob Bax da ist. Er ist es nicht. Eigentlich habe ich ihn oder seinen Truck seit meinem Einzug noch gar nicht gesehen.

Nachdem ich geparkt habe, nehme ich mein Zeug vom Beifahrersitz und gehe hinein. Gerade als ich mich aus meinen Arbeitssachen schäle, klingelt es an der Tür. Ich ziehe schnell ein bauchfreies, langärmliges Shirt an und eile ins Wohnzimmer.

»Hallo.« Ich öffne die Tür, und ein junger Mann mit umgekehrter Baseballkappe lächelt mich an.

»Olivia Gannon?«

»Das bin ich.«

»Super. Wir sind hier, um deine Sachen abzuliefern. Kannst du uns sagen, wohin alles soll?«

»Hier ins Wohnzimmer.« Ich deute auf die Seite neben mir. »Ich werde am Wochenende alles sortieren.«

»Perfekt, das macht es für uns einfacher.« Er lächelt, sieht kurz auf das Papier in seiner Hand und wieder zu mir. »Okay, bevor wir ausladen können, bräuchten wir zweitausend Dollar.«

Ich schüttle den Kopf, während er weiterspricht. »Wenn du kein Bargeld hast, kannst du auch über Cash-App oder Venmo zahlen.«

»Tut mir leid.« Ich schüttle erneut den Kopf. »Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Ich habe schon alles im Voraus bezahlt.«

»Ja, ich verstehe, warum das verwirrend ist, aber du musst uns trotzdem für die Lieferung bezahlen.«

»Nein, ich habe alles im Voraus bezahlt, und mir wurde gesagt, dass der Restbetrag bei Lieferung null Dollar beträgt.«

»Dann wurde dir das falsch gesagt.«

»Ich werde die Umzugsfirma anrufen. Da liegt offensichtlich ein Missverständnis vor.« Ich seufze, und er zuckt mit den Schultern.

»Mach, was du willst, aber du bekommst dein Zeug nicht, solange du nicht zahlst.«

»Ihr könnt meine Sachen nicht behalten.«

»Sie sind in meinem Lieferwagen, also liegst du falsch«, erwidert er, dreht sich um und geht die Stufen hinunter.

»Hey!« Ich folge ihm und ziehe die Tür hinter mir zu. »Ich muss nur kurz die Umzugsfirma anrufen«, rufe ich seinem Rücken hinterher, während er den Gehweg entlang weiterläuft. »Hey, gib mir einfach eine Sekunde.« Er schaut nicht einmal zu mir, als er die Tür seines Fahrzeuges öffnet, der rückwärts in die Einfahrt geparkt ist, und einsteigt.

Oh mein Gott. Ich renne nach vorne, um mich vor den Lieferwagen zu stellen und ihn daran zu hindern, wegzufahren. Der Motor brummt auf und rollt vorwärts.

»Weg da!«, schreit er aus dem Fenster.

»Gib mir meine Sachen!«, rufe ich zurück und presse meine Hände gegen den Kühlergrill des Fahrzeuges.

»Verschwinde, du verdammte Schlampe, bevor ich dich überfahre!«

»Sicher nicht!« Ich werde immer lauter, in der Hoffnung, dass er nicht einfach Scheiß drauf sagt und seine Drohung wahr macht.

Bax

»Wenn wir morgen am Grundstück sind, können wir die Änderungen an den Bauplänen durchgehen und sicherstellen, dass alles passt.«

»Es wird passen«, sagt Albert über den Lautsprecher meines Handys, und meine Finger ballen sich um das Lenkrad.

»Es sollte passen, aber wir müssen es trotzdem überprüfen, bevor wir alles bei der Gemeinde einreichen. Sie möchten ja nicht nur einen zusätzlichen Raum zum bestehenden Grundriss hinzufügen – sondern auch eine zusätzliche Garage für drei Autos, was den gesamten Plan verändert«, erkläre ich ruhig, während ich mir wünsche, Talon hätte den Anruf von Albert übernommen, anstatt ihn auf mich abzuwälzen.

Ich liebe meinen Job, aber ich hasse es, mit unseren Kunden zu verhandeln. Besonders mit denen, die glauben, dass sie sich dank ihres Geldes alles erlauben können.

»Wir haben drei Morgen Land gekauft. Wenn das nicht passt, hätte ich auch einfach ein Haus in einer Siedlung kaufen können, um mir den Baustress zu ersparen.«

Er hat zwar drei Morgen gekauft, aber das Grundstück ist länger als breit, was bedeutet, dass das, was er plant, möglicherweise nicht umsetzbar ist. Zumindest nicht mit der zweiten Garage, die ans Haus angeschlossen werden soll.

»Wir werden das morgen vor Ort klären.« Ich biege in meine Straße ein, und es dauert einen Moment, bis ich die Szene vor mir begreife. Ein großer Lieferwagen steht rückwärts in Kourtneys Einfahrt und blockiert fast den gesamten Wendehammer. Olivia steht direkt vor dem Fahrzeug. Sie trägt Turnschuhe, enge schwarze Shorts, die bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichen, und ein lockeres bauchfreies Oberteil. Ihre Haare sind zu einem Knoten auf ihrem Kopf gebunden. Beide Hände liegen auf dem Kühlergrill des Lieferwagens, als könnte sie verhindern, dass er sich bewegt – oder ihn aufhalten, wenn der Fahrer aufs Gaspedal treten sollte.

Was zum Teufel?

»Albert, ich rufe dich zurück. Hier gibt’s ein Problem.«

»Alles klar, ich habe ohnehin noch zu tun. Wir sehen uns morgen um neun.«

»Passt. Bis dann.« Ich lege auf, während mein Blick auf Olivia ruht, deren Gesicht Panik verrät. Andererseits stellt sie sich auch einem verdammten Truck entgegen.

Ich parke meinen Wagen so, dass der Lieferwagen Schwierigkeiten hätte, den Wendehammer zu verlassen, ohne mein Fahrzeug zu rammen. Dann schalte ich in den Parkmodus, sage Gemma, dass sie bleiben soll, und schlage die Tür zu.

»Oli, weg von dem Fahrzeug!«, befehle ich über den dröhnenden Motor hinweg, während ich auf sie zugehe.

»Die haben gesagt, sie geben mir meine Sachen nicht aus, wenn ich nicht zweitausend Dollar zusätzlich zu den achttausend zahle, die ich schon hingelegt habe.«

»Okay.« Ich trete näher und senke meine Stimme. »Wir klären das, aber geh weg von dem Fahrzeug.«

»Ich ...«

»Bitte«, knurre ich, und sie scheint meiner Aufforderung nachkommen zu wollen. Doch in dem Moment dreht der Motor erneut hoch, und ihre Augen verengen sich.

»Nein.« Sie hebt trotzig das Kinn. »Ich bewege mich nicht, bis sie mir meine Sachen geben.«

»Oli ...«

»Ich bewege mich nicht. Ihr müsst meine Leiche schon von dieser Stoßstange kratzen.«

Verdammt. Ich erinnere mich nicht daran, dass sie früher so stur war, aber ich kenne die Frau vor mir auch kaum.

Ich ziehe mein Handy aus der Gesäßtasche, wähle 911 und klemme es zwischen Schulter und Ohr. Dann trete ich hinter Olivia, schlinge die Arme um sie und hebe sie hoch.

»Was tust du?«, ruft sie, als ich sie von den Füßen reiße.

Ich ignoriere sie und trage sie zu meinem Truck. Während sie strampelt, sich windet und mich anschreit, ich solle sie runterlassen, sage ich der Notrufzentrale, sie sollen einen Polizisten zu meiner Adresse schicken. Als ich meinen Truck erreiche, setze ich sie ab und drücke sie gegen die Seite des Wagens. Durch meine Größe und mein Gewicht kann ich sie dort festhalten. Dann öffne ich die Tür, schiebe sie auf den Beifahrersitz und höre, wie sich der Lieferwagen in Bewegung setzt. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie er näher an meinen Truck heranfährt.

»Ich werde nicht ...«

»Du bleibst hier, bis die Polizei eintrifft«, schneide ich ihr das Wort ab. Ihr Kopf ruckt zurück, und ihre Augen weiten sich vor Unglauben.

»Ich bin kein Kind! Du kannst mir nicht sagen, was ich tun soll!«, ruft sie und versucht, auszusteigen.

»Ich weiß sehr wohl, dass du kein Kind mehr bist.« Ich lege meine Hand auf ihren Oberschenkel, drücke leicht zu und bemerke, wie sich ihre vollen Lippen öffnen. »Bleib hier und rede mit der Zentrale, bis die Polizei da ist.« Ich drücke ihr mein Handy in die Hand und schlage die Tür zu, bevor sie etwas erwidern kann.

Ich hoffe verdammt noch mal, dass sie da bleibt, aber ich weiß, dass das unwahrscheinlich ist. Dann gehe ich zur Fahrertür des Lieferwagens, der jetzt nur wenige Zentimeter von meinem Truck entfernt ist, und mache dem Kerl drinnen ein Zeichen, das Fenster herunterzukurbeln.

»Fahr den Truck weg«, brummt er.

»Die Polizei ist unterwegs.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und beobachte, wie der Typ auf dem Beifahrersitz bei der Erwähnung der Polizei zusammenzuckt. »Und ich schätze, du hast einen Vertrag, die Sachen in diesem Fahrzeug an diese Adresse zu liefern. Trotzdem versuchst du, die Frau in meinem Truck zu erpressen – das wird nicht gut ankommen.«

»Fahr den Truck weg, oder ich fahr über dich drüber.«

»Das werde ich nicht tun.« Ich schüttle den Kopf.

»Fahr deinen verdammten Truck weg!«, brüllt er und hält eine Waffe in meine Richtung.

Scheiße.

»Mann!« Der Beifahrer weicht zurück, als wäre die Waffe auf ihn gerichtet.

Ich hebe die Hände. »Mach keinen Mist, Mann«, sage ich ruhig, klinge dabei viel gelassener, als ich mich fühle. »Das willst du nicht ...«

»Richte nicht die Waffe auf ihn!«, schreit Olivia hinter mir.

Un-fucking-glaublich. Ich lasse meinen Kopf in den Nacken fallen, ohne den Fahrer aus den Augen zu lassen.

»Geh zurück in den Truck, Olivia«, knurre ich.

»Ich werde nicht ...«

»Zurück in den verdammten Truck!«, belle ich, den Blick immer noch auf den Fahrer gerichtet, der panisch zwischen mir und Olivia hin- und hersieht.

Als ich endlich höre, wie die Autotür hinter mir zufällt, atme ich tief durch. »Leg die Waffe weg, Mann.«

Er schiebt seinen Arm weiter aus dem Fenster. »Fahr den Truck weg.«

»Scheiß drauf«, murmelt der Beifahrer, öffnet die Tür und wendet sich ab. »Ich hab dir gesagt, du sollst nicht versuchen, mehr Geld von ihr zu verlangen, Derik.«

»Was zum Teufel, Fizz?« Derik dreht den Kopf zu seinem Freund, die Waffe immer noch auf mich gerichtet.

»Du weißt, ich bin auf Bewährung, und Amanda bringt mich um, wenn ich wieder im Knast lande, während sie schwanger ist.«

»Wir landen nicht im Knast.«

Er liegt vermutlich falsch, angesichts der Umstände.

Während Derik von Fizz abgelenkt ist, nähere ich mich der Tür des Fahrzeuges. Dank meiner Größe bekomme ich Deriks Handgelenk zu fassen, ziehe es nach unten und drehe es, was ihm einen Fluch entlockt. Mit der freien Hand nehme ich ihm die Waffe ab. Vom Gewicht her merke ich sofort, dass sie ein Imitat ist, stecke sie aber trotzdem in den Bund meiner Jeans. Ich halte Derik weiterhin am Arm fest, wodurch er bewegungsunfähig bleibt, und steige auf die Trittleiste des Lieferwagens.

»Scheiße.« Sein Freund rührt sich, doch mein Blick hält ihn an Ort und Stelle.

»Beweg dich nicht«, knurre ich, und er hebt die Hände.

»Ich gehe nirgendwohin, Mann, aber ich schwöre, ich wollte nichts damit zu tun haben.«

»Halt die Klappe, Fizz«, zischt Derik.

»Zieh den Schlüssel und wirf ihn auf die Straße«, fordere ich Fizz auf.

»Tu es nicht, Mann«, stöhnt der Fahrer.

»Jetzt«, schneide ich ihm das Wort ab. Fizz greift schnell nach dem Zündschlüssel, schüttelt dann jedoch den Kopf.

»Er muss erst in den Parkmodus schalten.«

»Mach es«, sage ich zu Derik und übe Druck auf seinen Arm aus. Er keucht vor Schmerz.

»Okay, okay!« Mit der freien Hand schaltet er in den Parkmodus. Fizz greift herüber, dreht den Motor ab und wirft den Schlüssel aus der offenen Tür auf die Straße.

Mit dem abgeschalteten Motor entspanne ich mich etwas, halte aber meine Wachsamkeit aufrecht. Wer weiß, was sich noch in der Fahrerkabine befindet – vielleicht diesmal eine echte Waffe.

»Hände, wo wir sie sehen können.« Zwei Polizisten – ein Mann und eine Frau – tauchen vor dem Truck auf, die Waffen im Anschlag, und nähern sich dann von beiden Seiten.

»Amanda wird mich umbringen«, jammert Fizz. Falls er die Wahrheit gesagt hat, dass er nichts mit Deriks Plan zu tun haben wollte, tut er mir fast leid.

Ich springe von der Trittleiste und hebe die Hände. »Ich habe dem Fahrer eine Waffe abgenommen, die in meinem Hosenbund steckt. Sie ist vermutlich ein Imitat, aber ich wollte es dennoch sagen«, erkläre ich der Polizistin, und sie gibt mir ein Zeichen, mich umzudrehen. Als ich es tue, zieht sie die Waffe aus meinem Bund und tastet meine Hüften kurz ab.

»Stellen Sie sich da drüben hin, während wir das hier klären«, sagt sie, als ich mich wieder zu ihr umdrehe.

Ich nicke und gehe zu meinem Truck. Olivia steht da und knetet nervös ihre Hände, ihr Blick ist fest auf mich gerichtet.

»Alles in Ordnung?«, frage ich leise.

Sie schüttelt den Kopf und stürzt sich plötzlich auf mich. Sie prallt so heftig gegen mich, dass ich einen Schritt zurücktaumle.

Ich seufze und schließe sie in meine Arme. »Alles gut.«

»Ich dachte, er würde dich erschießen«, flüstert sie, sie zittert von dem Adrenalinschub. Es ist fast ironisch, dass sie sich ohne zu zögern einem Truck entgegengestellt hat, aber eine Waffe, die auf mich gerichtet war, bringt sie völlig aus der Fassung.

»Die Waffe war nicht echt.«

»Wusstest du das, als du sie ihm abgenommen hast?«

Ich werde von der Antwort erlöst, als die Polizistin wieder zu uns kommt. »Jetzt, wo wir die beiden unter Kontrolle haben, wollen Sie mir erklären, was genau passiert ist?«

Ich schaue von ihr zu ihrem Kollegen, der die beiden Männer mit hinter dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden sitzen hat.