Unerhört! - Juli Faber - E-Book

Unerhört! E-Book

Juli Faber

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Beschreibung

Frauen sind doch mitgemeint. Das Sternchen verhunzt die Sprache. Wir haben wirklich größere Probleme. Wer im Alltag gendert, bekommt häufig Gegenwind zu spüren. In solchen Situationen fehlen dann die passenden Argumente, abseits von: Das mache ich halt so, weil ich Feminismus gut finde.

In ihrem Buch knöpft sich die Linguistin Juli Faber klug und umfassend die gängigen Stammtisch-Parolen gegen geschlechtersensible Sprache vor und zeigt Schritt für Schritt auf, warum und wie sich diese aushebeln lassen. Dabei schreibt sie kurzweilig, bissig und witzig, ohne erhobenen Zeigefinger – ein Must-Read für alle, denen Geschlechtergerechtigkeit auf allen Ebenen am Herzen liegt.

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Seitenzahl: 129

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Juli Faber

Unerhört

Unschlagbare Argumente für gendergerechte Sprache

Mit Illustrationen von Justus Körtgen

Impressum

Für die Inhalte der in dieser Publikation enthaltenen Links auf die Webseiten Dritter übernehmen wir keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

Für:

Herrn Tuschinski. Den großartigstenDeutschlehrer, den ich je hatte.

Danke an:

Simo, Zoë, Prismo und Flo.

echtEMF ist eine Marke der Edition Michael Fischer

1. Auflage

Originalausgabe

© 2024 Edition Michael Fischer GmbH, Donnersbergstr. 7, 86859 Igling

Covergestaltung: Zoe Mitterhuber

Redaktion: Anna Sulik, Wien

Illustration © Justus Körtgen

Layout und Satz: Zoe Mitterhuber

ISBN 978-3-7459-2287-5

www.emf-verlag.de

Inhalt

Vorwort. Oder so.

Pingpong

5.000 Jahre

Der unangezweifelte Fachmann

Das Klassending

Nicht witzig

Sechs Argumente

1. „Gendern ist ein Eingriff in die natürliche Sprachentwicklung.“

TEIL 1: Die Entstehung des generischen Maskulinums

It’s magic!

Weiblicher, verheirateter Menschenhöheren Ranges

Wo ist TINA*?

„Soll ich jetzt DIE BÄUMIN sagen, oder was!?“

TEIL 2: Die Entstehung desNeuhochdeutschen

Komm mir nicht mit Grammatik!

Deutsche Sprache? Männersprache.

2. „Mitgemeint“

Von verstreuten Socken undschwarzen Bächen

Sinnlichkeit oder „Embodied Cognition“

Metaphern

Vom Denken zum Handeln oder:so-tun-als-ob

Frames

Siggi lässt grüßen

Untergrenze für Geflüchtete

Gender-Frames

Und sonst so?

3. „Das ist so unpraktisch“

Fitnessstudio für’s Gehirn

Geschlechterkonzepte

Neuronen, bildet Banden!

Wechselspiel zwischen Spracheund Gesellschaft

4. „Auch Frauen gendern nicht“

Kein Scherz

Alles eine Frage der Perspektive

Anfang und kein Endedemokratischer Prozesse

Wahrheit oder Glaube

5. „Gendern stört den Lesefluss“

6. „Gibt es nicht größere Pro­bleme?“

Erstens: Gibt es größere Problemeals Sexismus?

Eure Probleme, unsere Privilegien

Patriarchat und Kapitalismus

Zweitens: Haben von SexismusBetroffene größere Struggles alsdas generische Maskulinum?

Wenn Patriarchen über Sexismus reden …

Über Tellerränder

Zu viele Probleme

Kein Nachwort

Der Kapitalismus ist ruiniert

Unbequem

System… was? System…wandel!

Wie gehtgendern?

Es lebe der Knacklaut

Meine Lieblingsvariantenmit dem Knacklaut

Der Partikel man

Begriffs­erklärungen

Quellen

Zum Weiterlesen:

Vorwort. Oder so.

Feminist:innen wird oft vorgeworfen, sie hätten keinen Humor. Ihnen wird vorgeworfen, sie würden Männer hassen und diskriminieren, Probleme sehen, wo keine sind, und überhaupt grundsätzlich alles verkomplizieren. Als Feminist:in gerühmt werden von den Mainstream-Medien vor allem Menschen wie die Gender- Gaga-Autorin Birgit Kelle. Transfeindlich und rechts-konservativ, aber solange sie sich Feministin nennt, kann es ja nicht so schlimm sein.

Ein Feminismus, der unsere bestehenden normativen Regeln aufrechterhält, sind irgendwie okay. Ein wenig Frauenpower und Emanzipation sind sogar ein bisschen sexy, denn seit Frauen ein eigenes Bankkonto besitzen, selbst für ihre Kinder sorgen können und Berufe ausüben, auf die die männlich sozialisierte Hälfte der Menschheit keinen Bock hat, hat ebendiese Hälfte der Menschheit weniger Scherereien. Famos.

So richtig unerhört wird der Feminismus erst, wenn er beginnt, in unser Alltagsleben einzugreifen. Und das Gendern ist das Unerhört-Beispiel schlechthin. Jede Person hat irgendeine Meinung zum Gendern – weil es alle betrifft, die sich sprachlich ausdrücken. Dementsprechend fühlen sich auch Menschen aus jeder Gesellschaftsschicht vom Gendern gestresst und gestört: Rechts-Konservative und Nazis genauso wie Marx-und-andere-tote-bärtige-Männer-verehrende-Alt-Linke oder Ich-lebe-in-meiner-weiß-akademischen-Bubble-und-fühle-mich-ganz-wohl-hier-Yuppies. Die Abneigung gegen das Gendern ist etwas, das viele Menschen vereint.

Wenn dann eine Person so unerhört daherkommt und die Wichtigkeit von sozial gerechter Sprache betont (oder sie in einem Nebensatz auch nur kurz erwähnt), reagieren manche so: emotionales Einschnecken, inneres Rollo runter, lass mich bloß in Frieden damit – und andere so: Was fällt dir ein, du Gefahr, du Extremist(:in [Anmerkung der Autorin]), du Untergang unserer Kultur. Und jetzt kommt dieses Buch und legt den Finger in die blutende (und seien wir ehrlich, auch schon sehr eitrige und eklig entzündete) offene Wunde.

Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass dieses Buch viele Menschen darin bestätigen wird, dass Befürworter:innen von geschlechtersensibler Sprache ein Haufen impertinenter Ideologi:nnen sind, deren Hobby es ist, anderen Menschen gehörig auf die Nerven zu gehen. Joah, kann passieren. Im Laufe der Lektüre werden wir jedoch feststellen, dass es sich im Grunde mit dem Gendern so verhält wie mit Sport. Oder mit gesundem Essen. Oder Schimmel aus den Fugen im Badezimmer kratzen. Ziemlich nervig, aber danach fühlen wir uns meistens besser.

Pingpong

Dass die deutsche Sprache sehr viele Menschen (die Hälfte!) auf der Welt benachteiligt, ist Feminist:innen schon in den 80er-Jahren aufgefallen. Es ist also kein neues Thema. Allerdings hat die Dynamik der Debatte um gendersensible Sprache in den letzten Jahren deutlich an Fahrt gewonnen. Diese Dynamik gleicht einem Pingpongspiel. Einem Pingpongspiel zwischen „So geht Gendern“ (in der millionsten Überarbeitung, weil ändert sich ja ständig) und „Gendern ist doof, weil …“. Dabei ist das meiste, was hinter diesem „weil“ kommt, entweder seit hundert Jahren veraltet, unwissenschaftlich oder rechts. Aber trotzdem so populär in der deutschen Sprachgemeinschaft, dass oft nicht einmal Pro-Eingestellte etwas dagegenhalten können, sondern nur hilflos nach Luft schnappen.

Die ersten beiden Bücher, die aufploppen, wenn mensch „Gendern“ in die Amazon-Suchleiste eingibt, sind die von Birgit Kelle und Fabian Payr. „20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören“, „Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung“, „Gender-Gaga“. Erst danach kommt der Duden mit seinem How-to-gendern-Sortiment und andere (hilfreiche!) Ratgeber.

Das nervt. Es kann nicht sein, dass rechts-konservative und transfeindliche Anti-Gender-Vollpfosten die inhaltliche Debatte ums Gendern dominieren. Da läuft was falsch. Als ich das erkannt habe, dachte ich: Moooooment! Halt mal. Dazu habe ich was zu sagen. Denn dazu habe ich ja studiert.

Denn was der Debatte ums Gendern bisher eindeutig fehlt, sind aufmunternde Bestätigungen, die den Sprechenden die Furcht vor dem Gendern nehmen, die Berührungsangst – oder die Faulheit, je nachdem. Selbst Menschen, die schon gendern, fehlt es oft an Argumenten, warum genau sie das eigentlich machen und wieso das Sinn ergibt, was sie da machen. Der kleinste Angriff aus der konservativen Ecke birgt die Gefahr, ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber da lässt sich was ändern. Gute Pro-Argumente gibt es, sie sind aber bisher vor allem Insider:innenwissen.

Anders kann ich es mir nicht erklären, dass auch Leute, die grundsätzlich queer-feministischen Ideen nicht abgeneigt sind, trotzdem oft so eine Gendern-Hemmung haben. So nach dem Motto: „Gleichberechtigung ist zwar echt schick und fancy – aber Gendern ist mir jetzt doch ein bisschen zu viel persönliche Aufopferung.“ Und wenn sie dann doch mal gendern, dann eher weil das Feminist:in heutzutage halt so macht. Da denke ich mir oft, dass deren Leben viel leichter wäre, wenn sie aus Überzeugung und Herzenslust gendern würden und nicht aus Pflichtgefühl.

Es gibt unendlich viele Blogs und Foren im Netz, die erklären, wie das mit der gendergerechten Sprache geht. Es gibt Bücher, die das erklären – und auch echt gut erklären. Der Duden hat gleich mehr davon und ein „Gendern für Dummies“ gibt es auch. Aber es gibt bisher zu wenig Literatur, die sich mit dem Grundproblem beschäftigt: der Gendern-Hemmung. Ich habe nicht vor, irgendwelche Erklärungen über das WIE abzugeben. Ich mag lieber einen Schritt zurückgehen und von dem WA­RUM erzählen. Inklusive dem Anspruch, uns allen ein wenig mehr Mut zuzusprechen, Unangenehmes und Veränderungen als Teil unseres Daseins zu akzeptieren.

Damit wir nicht in staubiger Theorie verschimmeln, wird der Kontext mit ins Boot geholt: die Gesellschaft. Urgh, denken manche von euch jetzt vielleicht, urgh, das platonische G-Wort. Diese Gesellschaft da. Inklusive dem System, das sie geschaffen hat. Klar, einmal hat Gendern viel mit der Gesellschaft von damals zu tun, die die Regeln unserer Sprache maßgeblich geprägt hat. Über die gibt es einiges auszupacken. Aber genauso wichtig in der Debatte über Sprache ist das, was aus ihr geworden ist. Wir. Und was wir alles so in die Welt gesetzt haben: Klimakrise, Kapitalismus, (Neo-)Kolonialismus. Das System eben.

5.000 Jahre

Das System namens „Patriarchat“. Was genau ist das? Es wird oft mit „Männerherrschaft“ übersetzt, aber das stimmt gar nicht, erklärt die Journalistin und Feministin Laurie Penny:

,Patriarchat‘ bedeutet nicht ‚Männerherrschaft‘. Esbedeutet ‚Väterherrschaft‘ – die Herrschaft weniger mächtiger Haushaltsvorstände über den Rest der Gesellschaft

Denndas lateinische Wort „Pater“ in PATriarchat heißt „Vater“ und nicht „Mann“. Es gibt also auch Männer, die im Patriarchat unterdrückt werden. Meistens diejenigen mit weniger Geld, weniger gesellschaftlichem Status oder einfach weil sie zu jung sind, um zu herrschen oder einer Familie vorzustehen. Was allerdings alle Männer im Patriarchat gemein haben: Sie können immer nach unten treten. Denn unter allen Männern stehen alle Nicht-Männer. Die meisten davon sind Frauen.

Wie lange es das Patriarchat schon gibt, kann niemensch mit Sicherheit sagen. Aber es wird vermutet, dass es vor circa 5.000 Jahren mit der Sesshaftwerdung des Homo sapiens begann. Es ist also schon sehr lange da – aber keinesfalls schon immer. Wichtig festzuhalten ist, dass es sämtliche Systembildungen, politische und gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahrtausende entscheidend beeinflusst hat. Und damit auch unsere Sprache.

Eines der patriarchalen Erben ist zum Beispiel, dass es als unverzeihliche Dummheit, ja fast als gewalttätigen Angriff auf das deutsche Kollektivbewusstsein gilt, Theoretiker wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Immanuel Kant nicht als die strahlendsten Sterne am europäischen Wissenschaftshimmel zu betrachten. Ihre Rassentheorien legitimierten die europäischen Gräueltaten in den Kolonien, Sklavenhandel und andere Formen von kolonialer Ausbeutung, die unseren Kapitalismus zu dem gemacht haben, was er heute ist. Diese Männer und andere Rassisten der kolonialen Zeit haben unsere Sprache mitgeprägt.

Das ist unangenehm. Aber noch nicht alles. Im Laufe der Jahrhunderte rutschten die Rassentheorien von Georg Wilhelm Friedrich und Immanuel immer tiefer in dunkle, staubige Schubladenecken und werden heute – wenn sie überhaupt Erwähnung finden – wie eine dumme Jugendsünde behandelt: Mei, kann ja mal passieren. Sie waren eben Kinder ihrer Zeit. Es wird so getan, als wären Wissenschaftler wie sie das einzig Wahre, als gäbe es keine anderen Menschen ihrer Zeit, die sich mit philosophischen Theorien beschäftigt hätten. Aber Namen wie Helene von Druskowitz oder Anton Wilhelm Amo fielen weder im Deutschunterricht noch während meiner ganzen Studienlaufbahn. (Obwohl letzterer als Mann immerhin unter seinem eigenen Namen schreiben konnte und, anders als Helene, kein Pseudonym brauchte, um publizieren zu können.)

„Kant war Rassist.“

Bis heute lagern jahrhundertealte Rückstände in den westeuropäischen Schubladen mit den Etiketten „Allgemeinwissen“ und „Prestigewissen“. Dabei wird gerne vergessen, dass dieses Wissen sehr selektiv ist, ausgewählt von einer bestimmten Personengruppe, die in den letzten 5.000 Jahren die politische, wissenschaftliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Macht innehatte: weiße Männer, überwiegend aus der Oberschicht. Da haben wir es wieder, das Patriarchat. Und wie wir später sehen werden, ist es genau diese Personengruppe, die die Regeln unserer Sprache maßgeblich mitbegründet hat.

Der unangezweifelte Fachmann

Und das tut sie noch immer. Regeln maßgeblich mitbegründen. Nicht nur in der Sprache. Tatsächlich sind die meisten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Regeln patriarchalbegründet. Mensch muss nur Youtube gucken, um das zu verstehen. Ein sehr anschauliches Beispiel für unser patriarchales Erbe wäre, stellvertretend für andere Menschen dieser Position, ein Herr Rainer von der Wirtschaftsuni Wien, der 1,5 Stunden über gendergerechte Sprache referiert.2 Herr Rainer ist Sprachwissenschaftler und in dieser Materie zu Hause. Er könnte fantastisch viel dazu beitragen, dass unsere Sprache und unsere Gesellschaft gerechter würden. Doch er zieht es vor, sich über die feministische Linguistik lustig zu machen.

Das ist fies, ja, aber tatsächlich nicht einmal das größte Problem an der Sache. Das viel größere Problem ist, dass er damit total ernst genommen wird. Ganz egal, ob eine solcher Mensch über Sexismus, die Möbiustransformation oder Gärtnern nach dem Mondkalender sprechen würde. Er gilt prinzipiell und unangezweifelt als Fachmann für [Thema hier einfügen]. Und das hat drei Gründe: Weil er ein Mann ist. Weil er weiß ist. Weil er Akademiker und sogar Dozent an einer westeuropäischen Uni ist. Es liegt also nicht an ihm persönlich. Seine weißen Kollegen haben dasselbe Glück. Das Glück, in eine Gesellschaft geboren zu sein, in der die Eigenschaften männlich, akademisch und weiß in Kombination als Garant für Allwissenheit gelten. Es ist dasselbe Muster, in das Kant und Hegel fallen, Amo und Druskowitz aber nicht.

Dass der Herr Rainer keinem strukturellen Sexismus ausgesetzt ist, dafür kann er nichts. Und das ist ja auch schön (für ihn). Trotzdem gibt es folgendes Problem: Der Umgang mit Diskriminierungsformen wird auf entscheidenden Ebenen immer noch von denen bestimmt, die diese Diskriminierungsformen nicht selbst erleben. Was kann denn bitte dabei rauskommen? Genau: weiß-vorherrschender, patriarchaler Oberschichten-Mist.

Das Klassending

Herr Rainers Vortrag bringt mich zu einem weiteren Punkt, was mich an der Gendern-Debatte absolut stört. Ihr fehlt eine Dynamik, die das Thema aus einer elitär-akademischen Blase herauspustet. Die Löcher in die Blase popelt und die Leute in der Blase mit den Leuten außerhalb bekannt macht. Darf ich vorstellen: der große Rest der Welt. Patriarchale Hierarchien bestehen nicht nur zwischen den Geschlechtern. Sondern auch zwischen den Klassen beziehungsweise den sozialen Schichten. Und etwas, das vielleicht noch mehr als Armut einen Aufstieg in der sozialen Hierarchie verhindert, ist Bildung. Und das ist ein Problem.

Es ist offensichtlich, dass Menschen, die mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen argumentieren, sei es durch das Zitieren bekannter oder unbekannter Wissenschaftler:innen, oder weil sie sich selbst als Wissenschaftler:in bezeichnen, es oft leichter haben, dass ihnen geglaubt wird. Die, die das nicht können, haben es oft schwerer, ihre Meinung so zu vermitteln, dass sie ernstgenommen werden oder sogar eine gesamtgesellschaftliche Relevanz zugeschrieben bekommen. Das ist nicht nur problematisch, weil gesamtgesellschaftliche Debatten danach gewichtet werden, wer sie für wichtig hält, sondern auch weil Debatten dadurch selten so geführt werden, dass sie alle verstehen.

Aber gendergerechte Sprache soll jeder Mensch kapieren können, ganz egal, ob er einer akademischen Schicht angehört, einen Hochschulabschluss oder überhaupt einen Schulabschluss hat. Jede Person ist von Sprachveränderung betroffen. Daher sollten auch alle etwas darüber lesen können. Unabhängig davon, ob wir gelernt haben, mit akademischem Blub umzugehen oder nicht. Unabhängig davon, ob wir gewohnt sind, Marvel zu lesen oder Marx.

Ich habe auch studiert, ja. Aber nur das Nötigste. Meine Beziehung zur Wissenschaft ist eher eine formelle, weniger eine heiß-innige Liebschaft. Die Wissenschaft kam nur zufällig in mein Leben. Ich bin quasi drüber gestolpert wie über einen leeren Maßkrug an einem Münchener S-Bahn-Steig: unangenehm, aber lehrreich (einen blauen Fleck später weiß ich jetzt, dass es während der Wiesn ratsam ist, die Hackerbrücke zu meiden).

Ich bin in einer klassischen Arbeiter:innen-Familie aufgewachsen. Mein Papa ist Industriemechaniker und hat sein Leben lang „beim Bosch“ gearbeitet und meine Mama war zuletzt Hauswirtschafterin in einem Gästehaus, aber ist eigentlich gelernteLithografin (Anmerkung: Die Lithografie ist eine alte Drucktechnik. Wenn du das nicht wusstest, liegt das wahrscheinlich daran, dass es diesen wunderschönen alten Handwerksberuf nicht mehr gibt. (Ja, der Digitaldruck ist auch toll und praktisch und alles, aber ein kleines bisschen Sentimentalität halte ich hier durchaus für angemessen.)) Meine Schwester war die Intellektuelle von uns beiden Kindern und hat sich ihr Studium hart erkämpft. Da sie älter ist als ich und ich nicht wusste, was ich nach meinem Realschulabschluss mit meinem Leben anfangen sollte (ich war 15, hallo! Wer weiß das da schon!?), habe ich mein Abi nachgeholt und das mit dem Studieren auch mal probiert.

Letzten Endes hat es fast fünf Jahre wirres, von vielen Pausen geprägtes Herumstudieren gebraucht, bis ich schließlich zu den Sprachwissenschaften fand, und dann noch mal fünf, um meinen Bachelor zu machen. Und nach meinem Abschluss hat mich dann mein an der Uni erworbenes Wissen über die Ungerechtigkeit unseres Sprachsystems wie ein permanentes Hämmern in meinem Kopf überallhin mit begleitet. Dum. Dum. Doofes generisches Maskulinum. Dum. Dum. Extrem nervig. Zusätzlich gepusht von den alarmierenden Amazon-Suchergebnissen, gab ich dem Nerven schließlich nach und haute diesen unerhörten Text in die Tasten meines Laptops. Als Linguistin, Feministin, aber vor allem als Mensch.

Nicht witzig

I