Ungeschliffen - Lis Tentome - E-Book

Ungeschliffen E-Book

Lis Tentome

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Beschreibung

Lis Tentome hat so viel erlebt: Scheidung, künstliche Befruchtung, Sorgerechtsstreit, gläserne Decke, Immigration, alleinerziehende Mutter und Business School. Sie teilt ihre Erfahrungen mit uns und lässt uns an all ihren Erkenntnissen teilnehmen, so dass man beim Lesen mitfühlt und mitdenkt. Mit diesem Buch ist man fürs Leben vorbereitet.

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Seitenzahl: 275

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

VORWORT

EINE ERLEBNISREICHE JUGEND

EIN GEFÜHL FÜR DIE MENTALITÄT

MIT 18 VON ZU HAUSE AUSZIEHEN

MBA IST WIRKLICH KRASS

EIN JOBWECHSEL HÄLT FRISCH

FRAU UNTER MANAGERN

KINDERWUNSCH

VOR DEM FAMILIENGERICHT

ALLEINERZIEHEND

GUTE ERZIEHUNG

TRAUMHOCHZEITEN

DIE LIEBESAFFAIREN

SCHLUSSWORT

ÜBER DIE AUTORIN

VORWORT

One day you will tell your story

of how you’ve overcome what you are going through now,

and it will become part of someone else’s survival guide.

Zitat aus dem Internet

Nicht jeder muss berühmt sein, der was zu sagen hat. Ich bin nicht berühmt, aber das spielt auch keine Rolle. Das dachte ich mir, als ich den Drang verspürte, diese Buchidee zu verwirklichen. Ich mache es auch, wenn ich nicht berühmt bin. Wir schauen häufig hin zu den Menschen, die im Rampenlicht stehen und lassen uns in ihren Autobiografien erzählen, wie sie dahingekommen sind. Dabei wollen wir selbst oft ja gar nicht ins Rampenlicht. Ihre Werdegänge haben allein schon deshalb in der Regel nichts mit unseren gemein. Warum lesen wir dann diese Bücher? Im Gegensatz dazu sind hier in diesem Buch die Elemente des Lebens enthalten, die auf jeden von uns zutreffen und daher für jeden relevant sein können. Ich habe zu den einzelnen Themen des Lebens etwas zu sagen und ich denke, es könnte anderen Menschen helfen, wenn sie es lesen.

Ich schreibe in diesem Buch nur über die Dinge, zu denen ich wirklich etwas sagen kann, weil ich sie selbst erfahren habe. Ich äußere mich daher nur zu den Themen, die mir auf tiefgreifende und einschneidende Weise begegnet sind. Nur auf dieser Basis traue ich mich, Dir einen neuen Blickwinkel anzubieten. Ich hoffe, es ist ok, wenn ich Dich dutze. Schließlich erwartet Dich in den nächsten Stunden sehr viel Offenheit, da passt das Du einfach besser dazu. Ich habe zu keinem der Themen zusätzlich recherchiert. Vielmehr handelt es sich um meine eigene Erlebnisse, meine ganz persönliche Sicht und die dazugehörige Interpretation der Dinge. Meine Erzählungen und alle dazugehörigen Emotionen und Gedanken sind echt, ehrlich, offen und direkt. Ich glaube, inzwischen eine entsprechende persönliche Reife erreicht zu haben, um diese Erfahrungen auf eine wertvolle Art und Weise erzählen und reflektieren zu können, und auch so, dass ich sie an Dich weitergeben kann.

Was mich selbst manchmal wundert ist, dass so viele größere Lebensthemen in einem einzigen Leben, eben meinem, vorgekommen sind. Ehrlich gesagt, hätten ein, zwei Themen allein gereicht, um ein aufregendes Leben zu skizzieren. Aber nein, ich musste, gefühlt, einen riesigen Strauß an Erfahrungen sammeln. Allerdings habe ich dadurch auch sehr viel erlebt und gelernt − vor allem über andere Menschen und mich selbst. Rückblickend betrachtet, habe ich es insgesamt mit nichts leicht gehabt. Trotzdem habe ich immer unermüdlich daran gearbeitet, aus scheinbar aussichtslosen Problemen wieder herauszukommen. Nach solchen Erfahrungen habe ich mich immer mit grenzenlosem Engagement der Weiterentwicklung meines Lebens gewidmet. Dabei habe ich gelernt, das Leben und seine Herausforderungen anders, und zwar noch intensiver, zu spüren. Und im Ergebnis habe ich heute in der Gesamtschau mehr Spaß am Leben als in meinen drei Jahrzehnten zuvor.

Ich hoffe daher, dass meine ereignisreichen autobiographischen Erzählungen für Dich als Leser interessant sind, Dich unterhalten und Dich auch weiterbringen. Ich hoffe, dass die Schilderung meiner Gedanken und Gefühle dabei auch bei Dir neue Gedanken anregen. Ich würde mir wünschen, dass Du Dir nach jeder Erzählung ausreichend Zeit nimmst, um über das Gelesene nachzudenken und es vielleicht mit Deinem eigenen oder einem Dir bekannten Fall abzugleichen. Durch eine solche Reflexion wirst Du Deine eigenen und zwar die richtigen Instinkte finden. Empfehlenswert wäre es, Deine Gedanken dabei aufzuschreiben – sie verflüchtigen sich sonst zu schnell.

Ich hoffe, Du nimmst dieses Buch immer wieder aufs Neue in die Hand. Denn dieses Buch ist kein Universalratgeber, der Dir vorgegebene Lösungswege anbietet, sondern eine Grundlage für Deine eigene Reflexion zu bestimmten Themen und damit für die Findung Deines ganz eigenen persönlichen Wegs. Dies ist ein wiederkehrender und lebenslager Prozess, so dass Dich möglicherweise dieses Buch auch eine sehr lange Zeit begleiten wird weil Du immer wieder zu den Geschichten aus dem Buch hingreifst, um sie immer wieder aufs Neue auf Dich wirken zu lassen.

EINE ERLEBNISREICHE JUGEND

Ich bin in Armut und in sehr instabilen familiären und gesellschaftlichen Umständen aufgewachsen. Dennoch hatte ich aber im Süden Kroatiens die schönste Jugend, die man sich vorstellen kann. Es ist unbezahlbar, wenn man trotz vieler vieler Traumen doch hauptsächlich auf Freiheit, eine ehrliche, heiße Liebe oder monatelanges Segeln im Adriatischen Meer zurückblicken kann. Jeder sollte eine solche Jugend genießen.

***

Meine Kindheit war nicht so schön, aber ich verstehe erst jetzt, was sie alles bei mir angerichtet und vielleicht auch erstmal zunächst falsch angelegt hat. Man denkt so als sehr junger Mensch, dass wenn man es in der Kindheit nicht so schön hatte, dass man dann im Erwachsenenalter alles richtig macht, wenn man eben vieles einfach ganz anders als die eigenen Eltern macht. Doch dem ist nicht so. Denn wenn man eine schwierige Kindheit hatte, ist man erstmal lange allein mit dem Kompensieren beschäftigt. Zum Beispiel ist man jahrelang damit beschäftigt, sich all die Dinge zu gönnen, die man nicht hatte und die Sehnsüchte zu befriedigen, die aus der Kindheit übriggeblieben sind. So ist es auch bei mir gewesen. Ich habe in der Kindheit außer vielen Umzügen, mangelnder Aufmerksamkeit und schlechter Laune zu Hause kaum etwas Interessantes oder Schönes erlebt. Mein Vater ist gestorben, als ich sieben Jahre alt war. Meine Mutter wollte nie über ihn sprechen. Das gab schon mal eine grundsätzlich selstame Grundstimmung zu Hause. Dann gab es ständig einen wirtschaftlichen Existenzkampf. So hatte ich beispielsweise in meiner Jugend nur eine einzige Jeans zum Anziehen. Dafür habe ich aber auf diese Jeans unheimlich aufgepasst und sie geliebt. Wegen des Geldmangels lernte ich dann auch zu nähen. Denn ich brauchte ja zu der Jeans dazu auch Oberteile, die ich damals nicht so leicht kaufen konnte.

Gut an dieser Situation war allerdings, dass ich sehr früh selbständig wurde. Da ich nicht besonders umsorgt wurde, habe ich sehr früh angefangen, mich alleine zu beschäftigen. Das hat meine Kreativität beflügelt. Ich war gefühlt die erste auf dieser Welt, die den Barbiepuppen einen Bikini aus Luftballons gebastelt hatte. Ich verbrachte viele Stunden alleine auf unserem hässlichen Balkon, auf dem ich mir eine gemütliche Ecke eingerichtet hatte. Dort modellierte ich mir ein „Mensch-Ärgere-Dich-Nicht“-Spiel aus Karton, das ich mit sehr viel Tesafilm umhüllt hatte, damit es ewig hält. Die Figuren waren, wie könnte es auch im Süden anders sein, aus Steinchen vom Strand.

Zu Hause hatte ich immer ein Gefühl der Leere, ich war irgendwie meiner Mutter nie gut genug. Ich fiel immer und bei allem zur Last. Als ich heimkam nach der Schule, gab es meistens nichts Warmes zu essen. Auf dem Tisch lag nur etwas Geld, damit ich mir ein Sandwich kaufen konnte. Dieses schmeckte aber herrlich, warmgemacht, mit Schinken und Käse, Salatblatt, Ketchup und Mayo. Wenn doch etwas gekocht wurde, war es nie mein Lieblingsessen. Sowas gab es für mich nicht. Eigentlich war das gekaufte Sandwich mein Lieblingsessen.

In unserer 24 Quadratmeter kleinen Wohnung musste ich mit meiner Mutter in einem Zimmer schlafen, bis ich mit 18 Jahren von dort ausgezogen bin. Ich hatte bis dahin zu Hause überhaupt keine Privatsphäre. Deshalb war ich viel draußen, viel unterwegs und habe schon früh Erfahrungen gesammelt mit Menschen und Situationen. Zudem hatten wir zu Hause unliebsame Küchenbewohner, von denen ich damals so traumatisiert war, dass ich mich nachts nicht auf die Toilette traute.

Meine Mutter war eine Grundschullehrerin, was damals in Kroatien ein angesehener Beruf war, aber sie selbst hielt sich dadurch auch für etwas Besonderes. Deshalb konnte sie sich beispielsweise nie vorstellen, einer anderen oder einer zusätzlichen Beschäftigung nachzugehen, damit es uns finanziell besser geht. Lieber hungerten wir, als dass sie einen Nebenjob anstrebte. Alle anderen Kinder aus ihrer Schulklasse fand sie gut, nur mich, ihre eigene Tochter, fand sie nicht gut. Sie hat ihren Job wirklich geliebt, aber zu Hause war ich ihr nie gut genug. Sie hat mir allerdings nie gesagt, was ich hätte anders machen sollen oder was sie sich von mir gewünscht hätte, damit sie mich auch mag. Ich habe gespürt, dass sie mich nicht ganz ehrlich liebte. Den Grund dafür habe ich nie erfahren.

Irgendwann wurde sie depressiv. Sie verließ nie das Haus. Nichts hat sie erledigt, ohne vorher telefonisch zu klären, ob sie sich eventuell den Weg ganz sparen konnte. Alle Leute um sich herum hat meine Mutter immer nur unter Druck gesetzt. Sie verlor im Laufe der Zeit dadurch alle Freunde.

Wir waren arm und hatten eine Zeitlang nicht mal einen Staubsauger. Ich musste oft zur Nachbarin gehen und betteln, diesen auszuleihen. Die Nachbarin hasste das und ich hasste meine Mutter dafür, dass ich zum Staubsauger-Ausleihen geschickt wurde. Wieso geht sie nicht selbst? − habe ich mich öfters gefragt.

Immer war ich bemüht, meiner Mutter doch gerecht zu werden. Ich habe angefangen, die Wohnung aufzuräumen, zu bügeln und zu kochen. Sie war jedoch nie zufrieden. Sie meinte, das müsse man doch nicht machen, es wäre ja sauber genug.

Glücklicherweise besaßen wir eine Nähmaschine. Ich brachte mir selbst das Nähen bei. Ich konnte mir dann ein paar heiße Tops für meine Hot Pants schneidern. Ich war als junges Mädchen hübsch und habe mich deshalb in der Pubertät ein wenig als Model erprobt. Das war erstmal ganz lustig. Letzten Endes hat es mir aber doch nicht so gefallen – denn es gab im Süden viele hübschere Mädchen als mich. Ich habe eingesehen, dass das nicht mein Weg ist, mich mit anderen in Sachen Schönheit zu messen und zu konkurrieren.

In der Schule beneidete ich meine Freundin Gorana, die eine intakte Familie hatte und immer zweimal im Jahr nach Triest gefahren ist, um Klamotten zu kaufen. Mein größter Traum waren ihre roten Daunenjacke und braunen Lederstiefel. Oh, wie ich diese gut aussehende Outfit-Kombi gerne gehabt hätte! Die Daunenjacke, die Stiefel und vor allem ihre nette, wahrmherzige große Familie. Ich dagegen kam immer in eine leere Wohnung nach Hause und meine Mutter meldete sich tagsüber aus der Arbeit nicht mal telefonisch bei mir. Ich habe sie nur manchmal zu Hause gesehen.

Meine Mutter stieg sehr früh aus dem Job aus. Etwa mit 40 Jahren bekam sie eine Frührente. Dafür simulierte sie alle möglichen Krankheiten. Ich fand das schon damals ganz schlimm, ihre Einstellung und ihr Vorgehen, um sich aus dem Arbeitsleben zurückzuziehen.

In Folge dessen war sie erst recht immer zu Hause und wurde mir gegenüber immer aggressiver. Ich wusste inzwischen nie, was mich zu Hause erwartet. Deshalb hatte ich häufig Angst davor heimzukommen. Einmal bin ich nach Hause gekommen und sie wollte mir zeigen, wie furchtbar spät ich war (obwohl wir keine Zeit ausgemacht hatten). Um dem Ganzen einen dramatischen Effekt zu verleihen, lag sie auf dem Sofa in der Küche und spuckte Schaum aus dem Mund. Sie tat so, als ob sie einen Anfall hätte. Ich war überfordert von diesem Anblick. In meiner Verzweiflung griff ich zum Telefon und wollte den Notruf anrufen. Doch dann sprang sie auf, riss mir das Telefon aus der Hand und schrie mich an – ich solle das nicht machen, ich wäre an allem schuld. Es war einfach nur furchtbar. Ich weiß nicht mal mehr, wie diese Situation endete. Ich hatte ab da einen Blackout.

Der Vorteil an der Situation bei mir zuhause war, mit einer an mir desinteressierten alleinerziehenden Mutter, dass ich dadurch sehr viel Freiheiten und wenig Kontrolle hatte. Ich konnte mit 16 Jahren hingehen, wohin und ausgehen, solange ich wollte. Meine Mutter hat es nicht interessiert, wo ich bin und wie ich meine Zeit verbringe − bis auf einige Male, wenn sie dachte, sie muss mal wieder eine Szene machen. So musste ich ab und an damit rechnen, dass sie mit einem Stock auf mich wartete oder mir grundlos eine Ohrfeige verpasste.

Manchmal übernachtete ich auf dem Segelboot mit meinem Freund Ivan. Ivans Vater hat dieses Segelboot mit viel Aufwand ausgebaut und wunderschön ausgestattet, mit lackiertem Holz und allem Schnickschnack in der Bootsküche. Es war immer sehr beklemmend, auf dem Segelboot zu schlafen, vor allem im Winter, denn man die ganze Nacht das Klappern der Masten im Wind hört. Doch Ivan und ich wollten uns näher kennenlernen und alleine sein. Und wir wussten nicht, wohin wir sonst gehen könnten. Also übernachteten wir manchmal im Boot seines Vaters. Unser Zusammenkommen war dabei wiederum wirklich schön und besonders. Wir haben über alles Mögliche geredet. An diesen Abenden hatte ich mich nicht mal abgeschminkt. Am nächsten Tag ging ich in den gleichen Klamotten in die Schule. Meine Mutter bekam davon nichts nichts mit. Sie hat nicht mal gefragt, wo ich über Nacht war.

Ich wusste nie, wie alt meine Mutter war. Sie hat ihren Geburtstag nie gefeiert und wollte mir ihr Alter auch nie verraten. Sie hasste meinen Vater und wenn sie was sagte, war es immer gegen die Männer gerichtet. Dass mich mein Vater geliebt hatte, weiß ich. Er starb, als ich sieben Jahre alt war. Diese Beerdigung war eins der schlimmsten Traumata meines Lebens. Meine Mutter landete aus Schock im Krankenhaus. Deshalb war ich gezwungen, mit irgendwelchen Verwandten, mit denen meine Mutter allerdings zerstritten war, zur Beerdigung meines Vaters zu gehen. MeinVater stammt aus Runovići bei Split. Die alten Frauen dort folgten den traditionellem Brauch bei Trauer, saßen um die Leiche meines Vaters herum, weinten und sangen. Es war grausam. Ich wollte nicht da sein und nicht hinschauen. Deshalb schaute ich weg. Ich erinnere mich an einen Esel, der die ganze Zeit neben dem alten Steinhaus meiner Großeltern in Runovići stand. Ich wünschte mir damals, ich hätte ihn reiten können.

Geld war zu Hause ein Reizthema, aber in Kroatien war das der Normalfall – die meisten Leute hatten kein Geld. Wir haben alle improvisiert. Ich habe meine Mutter nie um etwas gebeten. Demzufolge sah ich in der Schule immer schrecklich aus, musste selbstgestrickte Pullunder von meiner Mutter tragen. Mein erster Freund Dino stammte dagegen aus einer reichen Familie aus Makarska. Er kam sich als was Besseres vor. Er wollte mit mir zusammen sein, weil er dachte, ich wäre eine unverdorbene Seele, warum auch immer er das so sagte. Diese wollte er sich bis zur Ehe reservieren. Somit verfing ich mich sofort in einer Jugendliebe, die zu sehr beladen war mit konkreten Plänen und Perspektiven. Das engte mich total ein, dennoch blieb ich fast drei Jahre mit ihm zusammen, weil er sich wirklich sehr um mich kümmerte. Er sah zudem noch sehr gut aus, spielte Wasserball und er war an sich ein totaler Gentleman. Er wartete immer vor der Schule auf mich, entweder mit einem Regenschirm in der Hand oder mal mit einer Rose oder später mit dem kleinen Fiat, in den er große Peugeotsitze reingeschweißt hat. Meine Beifahrertür ging nur von außen auf, so konnte ich bei unseren Diskussionen nie theatralisch aus dem Auto aussteigen und beispielsweise die Tür hinter mir zuknallen – was ab und zu gutgetan hätte. Wir hatten nie ausreichend Benzin, da das Geld auch bei ihm immer knapp war. Also ging er mit seinem Freund Slavko manchmal nachts „auf Tour“ und die Jungs saugten mit Schläuchen das Benzin aus den parkenden Autos raus. Am nächsten Tag schmeckte er nach Benzin.

Es war schön, wie Dino mich immer von der Schule abholte, mit seinem Surfbrett auf dem Autodach, festgebunden mit Schnüren. Ich war die Einzige auf meiner Schule, die so einen Typen hatte und dabei war ich bei weitem nicht die Schönste, er aber fand in mir immer was Besonderes. Ich fühlte mich bei ihm sicher. Ich war ihm auch etwas wert. Für meinen Abiturball sind wir mit Freunden und geklautem Benzin nach Triest gefahren, um mir etwas zum Anziehen zu kaufen. Damals war das eine elend lange Fahrt von über 10 Stunden, jedoch in dieser Kostellation mit vier Jugendlichen sehr lustig. Wir hatten nur wenig Geld dabei, doch es reichte dann gerade für ein einfaches, aber schönes schwarzes Kleid. Dino verprasste alle seine Ersparnisse für einen dunkelblauen Spitzenbody für mich. Dino war cool, aber nicht zu überheblich, er hat immer auf mich aufgepasst und er machte mir häufig „Palatschinken in Chateau“ mit Walnüssen, um mich zu verwöhnen.

Solange ich mit Dino zusammen war, ließ mich meine Mutter weitgehend in Ruhe. Es war ihr wurscht, wann ich nach Hause kam und wieder ging, meine Schule lief eh so nebenbei. Ich hatte gute Noten ohne mich anzustrengen. Ich habe häufig die Schule geschwänzt, um mit meinen Leuten in einem Kaffee vor der Schule abzuhängen. In der Zeit des kroatischen Bürgerkriegs hatten wir dann aber auch viele beklemmende Erlebnisse, ob Verdunkelungsphasen, Scharfschützen auf den Gebäuden der Stadt oder plötzlich aufheulende Sirenen. Einmal, als wieder mal die Sirenen heulten, ist Dino von seiner bis zu meiner Schule gerannt, damit ich im Keller nicht alleine sitzen muss. Das war gefährlich, groß und endlos romantisch. So wechselte sich grausame Dinge mit den schönen ab.

Dino hat mich nie gedrängt und so sind wir bis kurz vor unserem Beziehungsende nie über das Küssen hinaus gegangen. Ich hatte ihn im Laufe unserer gemeinsamen Zeit eigentlich dreimal verlassen, weil er mich mit seiner Art immer wieder zu sehr einengte. Nie hat er meine Trennungsversuche ernst genommen und so stand er immer wieder vor der Tür oder vor meiner Schule und wartete wieder auf mich.

Irgendwann lief mir Ivan über den Weg und es hat zwischen uns sofort gefunkt. Er machte Bodybuilding, surfte und fuhr einen roten Yugo. Er redete ständig vom Segeln. Er war cool, seine weißen Zähne schön und sein breites Lächeln ansteckend. Sein Vater war Seemann, seine Mutter die süßeste Mutter, die ich je gesehen habe. Immer gab es bei ihr zuhause eine leckere Nudelsoße auf dem Herd für den Fall, dass einer mal Hunger bekommt. Seine Großeltern wohnten auf der zauberhaften kleinen Insel Drvenik Mali und wir sind glücklicherweise immer wieder hingegangen, um dort ungestört zu baden.

Einmal traf Ivan den Dino unerwartet in der Stadt und es kam zur Schlägerei zwischen den beiden. Es hat mir leid getan für Dino, der letztendlich den Kürzeren gezogen hat, aber ich wollte in dem Alter einfach nur aus dieser festgezurrten Verbindung weg und was Neues erleben. Ab da war ich mit Ivan zusammen. Dino hat sich ein Jahr eingeigelt und ich machte mir Sorgen um ihn. Als er wieder rauskam, spielte er weiter Wasserball und fand ein Mädchen, welches mir sehr ähnlich sah, mit langen braunen glatten Haaren und einem gerade geschittenem Pony. Sie war aber reich, im Gegensatz zu mir. Letzlich wurde er Konditor und kein Profisportler. Als wir uns zehn Jahre später gesehen haben, sagte er mir, dass es gut war, wie alles gekommen ist, denn „ich wäre ihm zu arm gewesen“. Ich stand auf und ging, zahlte meinen Cappuccino natürlich selbst.

Dino war meine erste Erfahrung in Beziehungsdingen, aber Ivan war die erste richtige Jugendliebe. Ivan beschützte mich vor meiner Mutter und vor allem anderen. Ich war sein Star. Er hat alles für mich gemacht. Eine Zeitlang. Im Sommer 1993 hat er das Seegelboot von seinem Vater geschnappt und wir sind damit fast drei Monate lang im Adriatischen Meer rumgeschippert. Ich konnte auf dem Boot keinen wirklich funktionalen Beitrag leisten, ausser bella figura zu sein. Einmal waren wir richtig überfordert, weil wir in einen Sturm gerieten. Das war schrecklich. Wir schrien uns an. Einmal kletterte Ivan den Mast hoch und reparierte irgendwas, während das Boot in eine starke Neigung kippte. Ich lag fast im Meer. Ich hatte richtig Angst. Es wurde noch schlimmer, denn er fiel ins Wasser. Er schwamm zurück und schaffte es wieder aufs Boot. Das war eine Wahnsinnserfahrung. Wie auch die mit den Delphinen. Einmal, vor der Insel Vis, sahen wir einige. Das war einfach unbeschreiblich romantisch. Ivan schaltete dann den Außenbordmotor aus und wir küssten uns, irgendwo mitten im Blauen. Wir hatten nur wenig Geld, aßen häufig den Babybrei „Čokolino“ oder Ivan schoss mit der Harpune Fische. Diese grillten wir dann auf einem Stein und aßen sie mit Zitrone und Weißbrot. Manchmal zog mich Ivan mit seinem Gummiboot auf seinem Surfbrett hinter sich her. Das war geil.

Gestritten haben wir nie. Wir haben einfach gut harmoniert. Er schätzte mich einfach sehr. Er war ein wenig verrückt und musste sich der Welt beweisen. Immer hatte er Druck von seinem Vater gespürt, etwas Gescheites aus sich zu machen und dabei hasste er die Schule und das Lernen. Er meinte, er wollte nie Seemann wie sein Vater werden, aber am Ende wurde er genau das. Heute ist Ivan immer ein halbes Jahr auf dem Schiff, meistens sogar den ganzen Sommer lang. Das fällt ihm sehr schwer. Mit Ivan verbinde ich verrückte Dinge. Einmal fuhr er sein Auto direkt ins Meer, weil er irgendeine Wette mit seinen Jungs abgeschlossen hatte und zeigen wollte, dass er am Kiesstrand doch rückwärtsfahren kann. Man hat das Auto mit einem Kran aus dem Wasser ziehen müssen. Also ist klar, ob er die Wette gewonnen hatte…

Ivan beschützte mich vor meiner Mutter und hat sich mit ihr zum Schluss richtig angelegt. Denn sie wollte mich einmal schlagen und er ließ das nicht zu, also nahm er mich zu sich nach Hause. Meine Mutter drohte mit der Polizei. Er sprach mit ihr und sagte, ich bliebe bei ihm, bis sie sich beruhigt, sonst ruft er die Polizei. Das war dramatisch, dass eben beide sich gegenseitig mit der Polizei gedroht hatten, aber immer wieder war es bei mir im Leben skurril oder dramatisch. Dagegen zum Beispiel hatte meine Freundin Amica mit ihrer Familie und ihrem Freund mehr Glück und Harmonie, zumindest was man von Außen beurteilen konnte. Ihre Mama war für alle da. Ich liebte es, bei ihr Zwetschgenknödel zum Essen zu bekommen. Amica war verrückt. Sie liebte Cure, Depeche Mode und Sinead O’Connor und rasierte sich eines Tages den Kopf glatt. Sie hatte ein wunderhübsches Gesicht, mit der Glatze und dem langen schwarzen Mantel sah sie cool und gefährlich aus. Ihr Äußeres bewies eine klare Haltung.

Ich legte mein Abitur mit einem Notendurchschnitt von eins ab. Wegen dieses guten Ergebnisses bekam ich die Option auf einen Studienplatz in Stuttgart. Ich stand also vor der Wahl, zum Studium nach Deutschland zu gehen oder nicht. Ich musste von zuhause weg. Es war praktisch egal, ob ich in Kroatien studiere oder im Ausland. Ich hatte sowieso keine Familie oder eine finanzielle Stütze, mit welcher ich meine Studienzeit hätte organisieren können. In Kroatien der Nachkriegszeit konnte ich kein Geld verdienen. Das Land war kaputt, es gab keine Jobs, niemand ging ins Restaurant oder brauchte eine Servicekraft. Obwohl ich an der philosophischen Fakultät in Zagreb auch an der Aufnahmeprüfung teilgenommen und sie bestanden hatte, konnte ich mir den Aufenthalt in Zagreb nicht mal im Studentenwohnheim leisten. Deshalb probierte ich die Aufnahmeprüfung in Stuttgart. Und schaffte sie irgendwie. Ich bin also hin nach Stuttgart und fing an, irgendwelche drei Fächer zu studieren, um einfach einen Start hinzubekommen. Alle drei Fächer waren in Ihrer Kombination eigentlich völlig skurril und für mich dazu auch noch total unpassend (Germanistik, Anglistik und Informatik). Im Nachhinein gesehen, war es aber doch eine wichtige Erfahrung, sich mit diesen Inhalten auseinanderzusetzen. Freiwillig hätte ich diese nie ausgesucht, ich habe aber dennoch einiges Neues in dieser Zeit gelernt. Ich habe alles gegeben, zum Studienstart Deutsch zu lernen und musste mir anfangs viele Schikanen der Germanistikprofessoren gefallen lassen. Sie hielten mich für eine „Ausländerin, die keine Chance in dieser Fakultät hat“. Sie hatten recht. Denn ich hatte auf anderen Gebieten Stärken. Und hier ergaben sich später Chancen für mich. Vor allem, als ich dann nachein paar Jahren schon perfekt Deutsch gesprochen hatte.

Zu Beginn des Studiums schrieb ich Ivan jede Woche einen Brief. Wir schickten uns aus Spaß gegenseitig per Post parfümierte Unterhosen mit irgendwelchen schönen Sätzen drauf wie „I could be loved by you“ – die Idee stammte aus einem Film, den wir gemeinsam gesehen hatten. Ich habe vor Ort in Stuttgart jedoch einen Überlebenskampf geführt, weil ich mit 18 Jahren komplett auf mich alleine gestellt war. Ich arbeitete in den Ferien bei H&M fünf Tage die Woche und darüber hinaus bediente ich in der Kneipe „Amadeus“ in Stuttgart am Charlottenplatz bis tief in die Nacht, um mir die Wohnung und mein Essen leisten zu können. In der ersten Zeit in Stuttgart hatte ich gar keine Unterkunft und das Studentensekretariat konnte mir erstmal auch nicht helfen. Aus der Not heraus habe ich deshalb eines Tages einfach mal die Kassiererin in der Studentenmensa angesprochen und sie gefragt, ob sie mich aufnehmen kann. Sie willigte überraschend ein, genauer gesagt nahm mich dann ihre Tochter gegen Bezahlung natürlich für ein paar Wochen auf, bis ich eine Wohnung gefunden hatte. Das werde ich ihr aber nie vergessen aber auch werde ich nicht vergessen, dass man ohne zu fragen nie wirklich weiß, wie die Antwort ausfallen wird, denn es gibt immer wieder Überraschungen im Leben.

Ivan liebte ich damals sehr. Er wollte mich ständig in Deutschland besuchen kommen. Ich bat ihn jedoch zu warten, bis ich insgesamt einigermaßen eingerichtet war, was ihm aber zu lange dauerte. Er war zu ungeduldig und wollte dann irgendwann sogar sein Surfbrett verkaufen, um den Flug zu bezahlen und zu mir zu kommen. Ich hatte dem vehement widersprochen. Das Surfbrett war doch das Wichtigste für ihn. Ich bat ihn, noch ein paar Monate zu warten. Dann schrieb er mir, dass er eigentlich gar nicht glaube, dass ich ihm treu bleiben werde und ich den Avancen der Deutschen nicht widerstehen werde. Deshalb machte er in diesem Brief direkt mal Schluss mit mir. Ich war unendlich traurig, aber mein eigener Überlebenskampf war in dem Moment wichtiger. Also machte ich weiter - und vergaß ihn irgendwann.

Nach ein paar Jahren lud ich Ivan in Split zum Kaffee ein. Ivan kam mit dem Motorrad und bat mich draufzusteigen. Er fuhr mich aus Split raus in die Pampa. Dann bat er mich überraschend, vom Motorrad abzusteigen und fuhr weg. Dabei sagte er mir, dass er mich da stehen lasse, weil ich ihn damals, als ich nach Deutschland gegangen bin, verlassen und sicherlich betrogen hätte. Was für eine Hypothese und was für eine dazugehörige sinnlose Bestrafung. Sprachlos und geschockt stand ich auf dieser einsamen Straße irgendwo in der Wildnis. Das war ein schrecklicher Moment, in welchem ich vor so viel Dreistigkeit und Ungerechtigkeit hätte schreien können. Für mich war die Treue immer ein nicht zu diskutierender Wert und ich habe mich stark verletzt gefühlt, dass Ivan das überhaupt angezweifelt hatte. Ich musste aber nun irgendwie wieder nach Hause kommen und das ging nur per Anhalter, wenn mal ein Auto vorbeigekommen wäre, was eine Zeitlang nicht der Fall war. Ich hatte inzwischen total Angst. Dann kam ausgerechnet ein Fleischtransport-Lastwagen vorbei. Ich stoppte ihn aus Mangel an Alternativen. Es war wirklich schlimm, denn hinter dem Fahrer hingen Tierleichen. Doch auch hier lauerte eine weitere Überraschung, denn der Fahrer war unerwartet sehr nett und fuhr mich angenehm und sicher bis in die Stadt hinein, so dass ich ab da mit dem Bus weiterfahren konnte. Ich habe Ivan danach nicht mehr angerufen, er mich aber auch nicht. Das was er sich da geleistet hatte mir gegenüber war nicht nur dumm, sondern auch einfach nur traurig.

Nach ein paar Jahren dann erneuerte sich der Kontakt via Facebook. Wir saßen uns ein halbes Jahr später persönlich gegenüber und ich erzählte ihm, wie sehr er mich damals verletzt hatte. Zum einen, weil er mich der Untreue beschuldigt und zum anderen, weil er mich so stillos bestrafte, nur weil ich für mich eine bessere Zukunft im Blick hatte und nach Deutschland ausgewandert bin. Im Nachhinein tat es ihm unendlich leid und wir haben wieder Frieden geschlossen. Heute gibt es keine Probleme mehr zwischen uns. Er ist glücklich mit seiner Frau und drei Töchtern.

Es war in vielerlei Hinsicht doch eine wunderbare Jugend. Wie gesagt, voller Überraschungen. Die Schule war nicht anstrengend, ich konnte sie immer wieder ohne größere Gewissensbisse schwänzen. Es gab den Strand und den ganzen Rummel, der damit verbunden ist wie auch Sommerdiscos und lange Märsche nach Hause. Nach durchgetanzten Nächten gönnten wir uns heiße Krapfen, die man beim Bäcker noch nachts um drei Uhr bekam. Genossen haben wir sie dann am Strand. Wir haben dabei viel geredet und sind erst in den frühen Morgenstunden wieder nach Hause gegangen. Außerdem gab es einen Laden, der auch noch nachts um vier Uhr heiße Sandwiches anbot und immer gab es lange Schlangen davor, weil keiner in sein tristes Zuhause zurückwollte. Wir hatten kalte und auch sehr windige Winter, die man am besten mit zwei Daunenjacken übereinander überstand, dazu aber eine fette Sonnenbrille tragen konnte. Wir hatten schon immer eine Ahnung, wie man als Frau das Beste aus sich herausholt und einfach heiß aussieht – Mode und persönlicher Stil waren immer wichtig und wir haben uns diesen über Jahre entwickelt. Wir konnten immer den Strand entlanglaufen, wenn wir schlecht gelaunt waren oder uns einfach entspannen wollten. Diese langen Spaziergänge und der Blick ins Blaue heilten uns. Wir saßen lange in Cafes nur mit einem Kaffee und einem Glas Leitungswasser, weil wir uns einfach nichts anderes leisten konnten. Dafür aber saßen wir dort sehr lange mit guter Laune, lachten viel und genossen unser Leben. Es war schön. Viele aus meiner Generation stammten aus nicht funktionierenden Familie. Vielleicht war meine Generation einfach etwas zu kaputt, aber diese Erfahrungen haben mir den Biss fürs Leben gegeben. Ich habe gelernt, mit wenig auszukommen, aber das Leben in vollen Zügen zu genießen und auszukosten. Ich habe gelernt, mir was einfallen zu lassen, zu überleben und nie aufzugeben. Ich habe gelernt, dass es fast immer weitergeht. Ich glaube, ich habe gelernt, das Leben wirklich zu lieben. Ich liebe mein Leben, auch wenn es manchmal zum Kotzen ist. Man sagt, dass man an seinen Herausforderungen wächst und ich glaube das wirklich auch. Jeder Jugendliche müsste mit 18 raus in die weite Welt, um sich selbst zu entdecken und sich ein Überlebenskonzept zu entwickeln. Mit 18 Jahren hat man noch den Biss und den Antrieb dafür. Wenn diese beiden Eigenschaften bei manchen jungen Leuten nicht sichtbar sind, weckt man sie meiner Meinung nach spätestens dann, wenn man sie in eine Situation bringt, in der sie für sich selbst sorgen müssen. Wenn sie lernen, was es heißt, den Monat zu überleben, in einer Kneipe zu jobben, nachts alleine heimzulaufen, in einer Kellerwohnung zu wohnen oder acht Stunden auf den Beinen zu sein, weil man im Verkauf jobbt. Alle diese Dinge sind wichtig, weil man daran reift. Sie sind anders als in Freiheit nicht vermittelbar, sondern nur beim Sprung aus der Komfortzone heraus. Dieser Sprung war mein Überleben und er hat mich bis heute geprägt. Ich habe in meiner Kindheit viel schultern müssen. Ich glaube, aus dieser Zeit rührt mein grundlegender Lebensschmerz, der mich einige Jahre begleitet hatte, bis ich das alles nach und nach aufgeräumen konnte. Viele Umzüge, nie Geld haben, diverse Traumata, eine unzufriedene Mutter, der ich immer nur zur Last gefallen war – all das waren grundsätzlich schlechte Bedingungen für ein glückliches Wesen. Im Grunde genommen war ich von den Rahmenbedingungen her prädestiniert, im Leben zu scheitern. Doch ich habe mich zu einer sehr zähen Person entwickelt und habe nach und nach gelernt, aus Mist etwas Schönes und manchmal sogar Gold zu machen.

Wenn ich daher auf meine jungen Jahre so zurückdenke, denke ich nicht an all die schlimmen Sachen. Die sehe ich nur undeutlich. Vielmehr sehe ich vor mir die Bilder des Südens, das Meer, die Sonne, den grünen Badeanzug, Schwimmen oder Spielen im Hof. Überall war meine überdominante Mutter, die versorgt werden wollte, die mich eigentlich immer wieder weggestoßen hat und mich dennoch sehr gebraucht hat. Dennoch geht mein Herz auf, wenn ich daran denke, wie mein erster Freund den Fiat 500 gefahren hat. Wie er mir Pfannkuchen gebacken hat und so viele andere Dinge, die ich mit ihm erlebt habe. Es war einzigartig, denn die Armut, in der wir aufwuchsen, hat uns kreativ und stark gemacht. In der damaligen Zeit wurde in Kroatien sehr viel „nicht abgestimmte Eigentumsübertragung“ betrieben, weil überall Mangel herrschte. Ich war vom Typ her damals brav und spießig und obwohl um mich herum meine Freunde ständig irgendwo was entwendet hatten, kam ich selbst nie auf die Idee mitzumachen. Ich fand ich es auch bemerkenswert, dass mein Freund meine ärmlichen Lebensverhältnisse mit meiner Mutter akzeptierte, denn seiner Familie ging es wirtschaftlich gut. Er hat also nie etwas einfach so gestohlen, aber, wenn uns etwas geklaut wurde, hat er es dann auch „zurückgeholt“. Eine Ausnahme gab es für alle Jungs in dieser Zeit in Kroatien und das war Benzin: Das haben viele Jungs zu dieser Zeit nachts aus anderen Autos abgezapft, weil sie sich selbst eine