Unser Wald muss moderner werden - Robert Griesbeck - E-Book

Unser Wald muss moderner werden E-Book

Robert Griesbeck

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Beschreibung

Die Tiere des Waldes wussten nicht, dass sie schon immer alles falsch gemacht hatten. Doch eines Tages erfuhren sie von der Globalisierung, von der globalen Erderwärmung, von Hedgefonds und Arbeitslosigkeit – und sie beschlossen: Unser Wald muss moderner werden. Eine augenzwinkernde Parabel auf unsere echten oder scheinbaren Probleme, nicht immer fair, aber stets heiter und oft voll tiefer Weisheit. Im Alten Wald wusste man lange nichts von den Problemen, denen die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts gegenübersteht. Erst als der alte Hofhund den anderen Tieren von den Schreckensnachrichten erzählt, die er jeden Abend im Fernsehen mitbekommt, erfahren die Tiere im Wald, was die Stunde geschlagen hat. Und sie beschließen, sich der Herausforderung zu stellen: Sie gründen Parteien und erheben Steuern, bekommen Outsourcing und Lobbyismus zu spüren, lernen Medienstars und Unternehmensberater kennen … Trotzdem geht am Ende alles gut aus: Zumindest im Wald ist die Globalisierung auf dem Holzweg. Unser Wald muss moderner werden von Robert Griesbeck: als eBook erhältlich!

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Seitenzahl: 233

Veröffentlichungsjahr: 2009

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Robert Griesbeck

Unser Wald muss moderner werden

Eine Fabel von der schönen neuen Zeit

Mit Bildern von Gerhard Glück

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

WidmungWie die Globalisierung in den Wald kamWas ist ein Wald ohne Bäume?Mit der Zeit gehenDie Qual der WahlKampf der ArbeitslosigkeitSteuerparadies und SteuerhölleDie SeherinDer alte AdelDie FlugsteuerBildung tut notEinführung der SchulpflichtSchulreformenDer NachrichtendienstDie ÖkobilanzNeue WaffengesetzeDie QuellensteuerBerater der BeraterKampf gegen die UmweltverschmutzungÖkologisch, nachhaltig und innovativSelfconsultingDas KuckucksprinzipRecht und Gesetz im WaldSchwimmunterricht für die EntenkinderGrund und BodenNew EconomyDas KerngeschäftFinanzkrise und BankensterbenDie InformationsmaschineDie HeadhunterSicherheit tut notErnste BedrohungslageGespräch der HundeartigenGott kann kein Luchs seinDie Weisheit der BärinAus der TraumEin Abschiedsbesuch

Gewidmet dem anmutigen Dachsfräulein, ohne dessen Inspiration und Zuneigung diese Fabel nicht entstanden wäre.

[home]

Wie die Globalisierung in den Wald kam

Am Rand des Waldes stand ein einsamer Bauernhof. Er hieß schon seit Menschengedenken – nachweisbar aber immerhin seit sieben Generationen – Beim Schellnbauer, weil irgendwann Anfang des neunzehnten Jahrhunderts sich ein gewisser Nepomuk Urban dort niedergelassen hatte, der neben der Stallarbeit und der Feldarbeit, dem Pflügen, Säen, Eggen, Ernten, Dreschen und Heuen, auch seine Kuhglocken selbst herstellte. Er schlug sie kalt aus Kupferblech in ein Holzmodel, meist an den langen Winterabenden, an denen man nicht viel anderes tun konnte. Zuerst machte er die Glocken nur für seine Kühe, später bestellten alle Bauern aus der Umgebung bei ihm die Schellen. Denn er konnte die Glocken so stimmen, dass eine bestimmte Herde etwa in C-Dur bimmelte, eine andere in fis-Moll. Er hatte das absolute Gehör und war hochmusikalisch, obwohl er kein Instrument spielte und nicht einmal im Kirchenchor sang. Die Glocken seiner eigenen Herde hatte Nepomuk Urban auf A-Dur gestimmt, der seiner Meinung nach schönsten und erhabensten Tonart. Das bedeutete, dass sechs Kühe eine Glocke trugen, die auf den Kammerton A gestimmt war, fünf eine mit C und sieben eine mit E. Das klang sehr schön, und es war auch sehr praktisch. Denn am Klang konnten die Bauern schon von weither feststellen, welche Herde gerade oberhalb des Waldes graste und welche unterhalb.

Auch wenn die Nachkommen des Schellnbauern schon lange keine Kuhglocken mehr herstellten, war der alte Hausname geblieben. Sehr zum Leidwesen des neuen Postboten, der den Hans-Werner Urban, der heute auf dem Hof lebte, das eine übers andere Mal aufforderte, seinen Briefschreibern mitzuteilen, sich endlich an die deutschlandweit einheitlichen Adressvorschriften zu halten.

»Ich werde keine Briefe mehr befördern, auf denen als Anschrift nur ›Schellnbauer‹ steht. Sie wissen genau, dass es korrekt: ›Hans-Werner Urban, Am oberen Waldweg 12‹ heißen muss.«

»Aber Sie wissen doch, wen die Leute meinen«, sagte der Schellnbauer ungerührt. »Und wenn Sie wissen, wer gemeint ist, können Sie die Briefe auch austragen.«

»Aber es widerspricht der Vorschrift. Wir haben inzwischen eine fünfstellige Postleitzahl, die in der letzten Adresszeile vor dem Bestimmungsort eingetragen werden muss. Die fehlt übrigens auch jedes Mal.«

»Ich hab’ mir schon die vierstellige nie merken können«, sagte der Schellnbauer. »Außerdem krieg’ ich immer nur vom Widmann und vom Hacklbauer Harti Post.«

Die beiden wohnten im Nachbardorf. Aber der neue Postbote gab keine Ruhe.

»Es ist nun mal Vorschrift, und ich werde unvorschriftsmäßig adressierte Briefe nicht mehr zustellen. Ihr Bauern glaubt, alles bleibt für immer so, wie es einmal war. Aber jetzt ist eine neue Zeit. Wir müssen rationalisieren und neu organisieren, umstrukturieren und standardisieren. Wir haben jetzt sogar schon die Globalisierung!«

»Ja, mei …«, sagte der Schellnbauer. Er war nicht sehr beeindruckt, denn er hatte einen Fernseher und schaute sich jeden Abend die Nachrichten an. Natürlich hatte auch er schon von der Globalisierung gehört.

Dieses Gespräch veranlasste den alten Hofhund Hylax, sich Gedanken zu machen. Hylax machte sich gerne Gedanken, am liebsten in der Julisonne, nachmittags vor seiner Hütte, obwohl er darüber meist so schläfrig wurde, dass er einnickte – mitten in den schönsten Gedanken. Wenn er dann aufwachte, hatte er die meisten schon wieder vergessen. Aber die Worte des Postboten klangen so eindrücklich und auch ein bisschen bedrohlich, dass sich Hylax länger Gedanken machte und sie vor allem mit den Tieren an der alten Linde teilte.

*

Da wo die Felder des Schellnbauern aufhörten, begann der Alte Wald. Man nannte ihn den Alten Wald, weil sich niemand erinnern konnte, dass es eine Zeit gegeben hätte, in der er nicht da gewesen wäre. Auch Hans-Werners Ururururgroßvater hatte ihn schon den Alten Wald genannt. Er musste also wirklich uralt sein.

An der Grenze der Felder zum Wald stand eine riesige Linde mit einem Stamm, der so dick war, dass ihn drei Männer nicht umarmen konnten, wenn sie sich dabei an den Händen hielten. Diese Linde war der Schlafbaum für viele Vögel aus dem Wald, und dort traf sich Hylax oft mit Henning und Hinze.

Die beiden waren die schlauesten Tiere des Waldes, das jedenfalls war ihrer beider feste Überzeugung, und Hylax unterhielt sich gerne mit ihnen. Henning war ein achtjähriger Auerhahn und Hinze ein schlankes und durchtrainiertes Wiesel, das oft Sachen sagte wie: »Wenn ich an die Pedale käme, würde ich auch die Tour de France fahren. Und ich sag euch, liebe Leute, ich bräuchte kein Doping! Ich würde auch so gewinnen.« Hylax hatte den beiden von dem Radrennen erzählt, das er manchmal verfolgte, wenn der Bauer vor dem Fernseher eingeschlafen war. Einen Tag nachdem der Postbote da gewesen war, trafen sich die drei wieder einmal an der alten Linde.

»Ich sage euch, etwas Gewaltiges passiert auf der Welt. Etwas so Gewaltiges, dass ich …«, Hylax fehlten die Worte. Er schüttelte den Kopf, und nach einer Weile versuchte er es noch einmal. »Es tut sich etwas. Und wenn wir uns nicht darauf einstellen, werden wir untergehen. Das sagt der Postbote, aber auch der Mann im Kasten, mit dem sich der Bauer jeden Abend unterhält. Und der kennt sich aus!«

»Der Bauer?«, fragte Henning.

»Nein, der Mann im Kasten. Der erzählt, dass eine neue Zeit angebrochen ist und dass es nicht mehr so weitergeht wie bisher.«

»Die übliche Panikmache«, sagte Hinze, der wusste, wovon er sprach, denn mit dieser Technik brachte er die gerade geborenen Haselmäuse dazu, dass sie unbeaufsichtigt ihr Nest verließen.

»Ihr solltet mal hören, was der Mann im Kasten so erzählt«, sagte Hylax. »Dann würdet ihr ganz anders darüber denken. Mein Bauer, der ganz bestimmt kein Dummkopf ist, brummt jedes Mal nur und sagt: ›Das wird noch böse enden – ganz, ganz böse!‹ Und der hat so schnell keine Angst.«

»Was wird böse enden?«, fragte Henning.

»Alles. Es gibt Klimawechsel und Krankheiten und Krieg und unkontrollierbare internationale Finanzströme.« Diese Formulierung hatte er sich besonders genau gemerkt. »Und wir wissen ja selber, was passieren kann, wenn der Geißbach beim Wolkenbruch übergeht …«

»Was gibt es noch?«

»Wasserknappheit, Wirbelstürme, Kinderarbeits losigkeit, Armut, Krankheiten, Vogelgrippe …«

»Wie bitte?«, kreischte Henning.

»Ja. Die Vogelgrippe und ganz viele andere Krankheiten. Es ist so schlimm, dass der Bauer oft sagt: ›Morgen mach ich den Scheißkasten nicht mehr an! Jeden Tag wird’s schlimmer.‹«

Die Tiere schwiegen. Henning und Hinze hielten den alten Hofhund zwar für einen Angeber, der alles glaubte und sich viel zu schnell ins Bockshorn jagen ließ. Andererseits trauten sie ihm nicht so viel Phantasie zu, dass er sich all diese Geschichten selbst ausgedacht haben konnte. Irgendetwas musste also dran sein.

»Wenn ihr nur selbst einmal den Mann im Kasten hören könntet.«

»Das wäre sicher nützlich«, sagte Hinze. »Aber ich sitze wirklich nur sehr ungern zusammen mit Menschen in geschlossenen Räumen.«

»Ich auch«, sagte Henning und erschauderte schon bei dem Gedanken.

»Aber jetzt im Hochsommer könnte es gehen«, sagte Hylax. »Wenn es abends schwül ist, lässt der Bauer das Fenster offen, und er sitzt mit dem Rücken dazu, wenn er in den Kasten schaut. Ihr könntet euch leise anschleichen, euch auf die Fensterbank setzen und zuhören. Außerdem bin ich ja auch noch da. Wenn etwas schiefgeht, werde ich so tun, als ob ich euch davonjage.«

»Das könnte klappen«, sagte Henning nachdenklich und sah seinen Kameraden an.

»Interessant wär’s schon.«

So kam es, dass am nächsten Abend beim Schellnbauern doppelt so viele Augen auf den Mann im Kasten starrten wie gewöhnlich.

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Was ist ein Wald ohne Bäume?

Henning und Hinze waren sehr still und nachdenklich, als sie nebeneinander auf dem Feldweg zurück zum Alten Wald marschierten. Vieles war zu bedenken. Schließlich hatten sie in der letzten Viertelstunde eine Menge Neuigkeiten erfahren, so viel wie in ihrem gesamten bisherigen Leben noch nicht. Der kleine Mensch, der in dem leuchtenden Kasten saß, hatte von schrecklichen Geschehnissen erzählt, von einer Vogelkrankheit, die Tausende von Schwänen und Wildenten dahingerafft hatte, von Seuchen, denen Rinder, Schweine und Schafe zum Opfer fielen, vom Baumsterben und von Unwettern, Überschwemmungen und Waldbränden.

Das alles schien sich rings um den Alten Wald abzuspielen oder wenigstens nicht sehr weit entfernt davon. Henning und Hinze kannten zwar die Orte nicht, von denen der kleine Mann im Kasten gesprochen hatte, aber sie konnten nicht weit weg sein, denn der Schellnbauer hatte immer wieder gesagt: »Sakra, sakra! Bevor du schaust, geht’s uns genauso. Die Welt ist komplett narrisch geworden!«

Hylax hatte ein paar Mal vorsichtig den Kopf zu ihnen gewandt und bedeutungsvoll mit den Augen gerollt.

»Man stelle sich das mal vor«, sagte Henning, »Vögel, die tot vom Himmel fallen. Entsetzlich!«

Hinze, den diese Nachricht nicht sonderlich schockiert hatte, der die Angst seines Freundes jedoch verstehen konnte, nickte und wieselte aufgeregt um ihn herum. »Ja, ja, all diese Krankheiten … Sogar Kühe und Schweine sterben. Das ist zwar schlimm, aber wenigstens leben sie nicht hier im Wald und können uns nicht anstecken.«

»Denk an die Wildschweine«, sagte Henning.

»Verdammt, du hast recht. Außerdem sollen ja auch die Bäume krank sein und sterben – und was ist denn ein Wald ohne Bäume?«

»Eine Wiese vielleicht?«

»Das weiß ich selber. Es war auch keine Frage. Ich meinte: Was ist denn ein Wald ohne Bäume!!! Schrecklich. Unser Wald stirbt vielleicht gerade, und nur wegen dieser dämlichen Rindenbohrer und Borkenkäfer und diesem blöden Gesindel, das so klein ist, dass man es nicht einmal sehen kann.«

»Immerhin kann man es essen«, sagte Henning. »Obwohl ich es mir inzwischen zweimal überlege, ob ich einen solchen Käfer fressen soll. Am Ende stecke ich mich mit einer dieser neuartigen Krankheiten an.«

Henning war zwar Vegetarier, aber wie alle Auerhühner hatte er sich in seiner Kindheit von tierischen Leckerbissen ernährt, und ab und zu erinnerte er sich an seine köstlichen Jugendsünden. Hinze dagegen war ein überzeugter Fleischfresser, aber von Insekten hielt er nichts.

»Käfer und das ganze Kleinzeug sind sowieso das Allerletzte. Man sollte es aus dem Wald vertreiben. Wieso müssen wir eigentlich Lebewesen unter uns dulden, die nichts anderes im Kopf haben, als unsere Heimat zu zerstören? Weil sie auch Tiere sind? Lächerlich!«

»Wir werden sie nicht vertreiben können«, sagte Henning, »weil nämlich die ganzen anständigen Tiere im Wald nicht zusammenhalten. Das war schon immer so. Jeder macht, was er will, und lebt, wie es ihm passt. Da sind Menschen anders. Sie denken nach. Sie organisieren sich. Sie sind schlau. Sonst hätten sie niemals Tiere wie Schafe, Schweine, Kühe und Pferde in den Griff kriegen können.«

Henning und Hinze liefen weiter nebeneinanderher, bis sie den Schlafbaum der Vögel erreicht hatten, der genau an der Grenze zwischen dem Land des Schellnbauern und dem Alten Wald stand. Hier blieben sie stehen, denn jetzt war ihnen wieder wohler. Obwohl es tiefe Nacht war und kein Mensch auf dem Weg zu sehen gewesen war, fühlten sie sich immer unsicher, wenn sie den Schutz des Waldes verlassen mussten. Die beiden setzten sich auf eine dicke Luftwurzel und schauten zurück zum Bauernhof. Das Fenster, durch das sie vor kurzem noch in die Stube des Schellnbauern gelugt hatten, leuchtete als kleines Viereck in der Dunkelheit. Es war ein seltsam unfreundliches Licht, nicht so warm und golden wie das der Sonne und nicht so majestätisch wie das Mondlicht, es war ein hektisches bläulich-kaltes Flimmern, und die beiden Freunde betrachteten es voller Abscheu und Misstrauen.

»Seltsamer kleiner Mann, der dem Bauern jede Nacht diese Neuigkeiten erzählt«, sagte Hinze. »Und es sind nur schlechte Nachrichten. Ich möchte wissen, ob es bei den Menschen ab und zu auch etwas Gutes gibt.«

»Sie haben augenscheinlich gerade ziemliche Probleme«, sagte Henning. »Da ist es auch verständlich, dass sie so aufgeregt sind. Hylax hat ja gesagt, sein Bauer will dem kleinen Mann nicht mehr zuhören, wenn es so weitergeht.«

»Das ist natürlich auch keine Lösung«, sagte eine Stimme hoch über den Köpfen der beiden. Henning und Hinze zuckten zusammen, das Wiesel rollte sich unter die Luftwurzel, und der Auerhahn schlug beide Flügel über seinen Kopf. Aber es war nur die Eule (und weil es die einzige Eule im Wald war, hatte sie auch keinen Namen – sie hieß einfach Eule), die der Unterhaltung der beiden gelauscht hatte und etwas Schlaues beitragen wollte. Denn das war ihre Passion: schlaue Reden und philosophische Gedanken.

»Du kannst einen vielleicht erschrecken!«, sagte Henning und kroch unter der Luftwurzel hervor.

»Ich habe eure sehr anregende Unterhaltung gehört. Wie kommt es, dass ein Wiesel und ein Auerhahn über derart komplizierte Themen diskutieren?« Die Eule war nämlich der Meinung, dass niveauvolle Gespräche ausschließlich Eulensache wären.

Henning und Hinze erzählten ihr, was sie gerade durch das Fenster des Schellnbauern mitbekommen hatten.

»Sehr bedenklich«, sagte die Eule. »Ich habe natürlich auch schon von diesen Dingen gehört, aber ich wollte es für mich behalten, um keine Panik im Wald zu verbreiten.«

Das war gelogen. Aber die Eule galt als der schlaueste Waldbewohner und hatte immerhin einen Ruf zu verlieren. Es ging nicht an, dass ausgerechnet ein Wiesel, das zwar als schnell und wendig, aber nicht als besonders intelligent galt, und ein Auerhahn, der als träge, eitel und ziemlich einfältig angesehen wurde, mehr wussten als eine weise Eule.

»Du hast davon gehört?«, fragte Henning verblüfft. »Auch von dieser Krankheit, bei der Vögel tot vom Himmel fallen?«

»Natürlich«, sagte die Eule und erschauderte bei dem Gedanken, plötzlich tot zu Boden zu fallen. »Schlimme Sache, durchaus. Man wird sich etwas überlegen müssen. Tja. Hmhm …« Sie legte den Kopf zur Seite und machte die großen Augen auf und wieder zu und wieder auf, zum Zeichen, dass sie angestrengt nachdachte.

»Die Menschen überlegen sich ja auch schon etwas. Und die sind bestimmt etwas schlauer als wir«, sagte Hinze.

»Na ja«, sagte die Eule. Das sollte bedeuten, dass sie der menschlichen Intelligenz nicht unbedingt viel zutraute.

»Sie tun sogar schon etwas«, sagte Henning. »Das hat uns alles der kleine Mann im Leuchtkasten erzählt. Sie organisieren sich, und sie ergreifen Gegen … maß …«

»Gegenmaßnahmen«, sagte die Eule lässig, so als ob sie das alles schon längst gehört hätte. »Ja, ja, Gegenmaßnahmen sind gut … ja, ganz ordentliche Idee.«

»Sollten wir das nicht auch tun?«, fragte Henning aufgeregt.

»Gegenmaßnahmen? Klar. Könnten wir auch machen. Aber jetzt genug geplaudert. Ich muss mich langsam um mein Frühstück kümmern. Ich werde keine Gegenmaßnahmen ergreifen, sondern lieber eine Feldmaus. Haha, kleiner Scherz … addio!«

Und weg war sie. Weil Eulen nachts jagen und erst nach Sonnenuntergang aufstehen, ist ihr Frühstück zwangsläufig dasselbe wie ein Abendessen für einen Auerhahn. Aber Henning war viel zu verstört, um jetzt noch an Essen denken zu können.

»Gegenmaßnahmen, Hinze!«, rief er und stupste das Wiesel mit dem Flügel an. »Wir müssen uns was überlegen. Wir sind die Einzigen im Alten Wald, die wissen, was uns droht.«

»Werden wir, werden wir. Aber lass uns erst eine Nacht darüber schlafen«, sagte Hinze und verabschiedete sich. Das Wiesel hatte auf einmal noch ein klein wenig Appetit bekommen. Als die Eule vom Frühstück gesprochen hatte, war Hinze eingefallen, dass er noch kein Abendessen gehabt hatte.

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Mit der Zeit gehen

Am nächsten Morgen trafen sich Henning und Hinze auf der Lichtung im Krüppelkiefernwald. Wer nicht in einem Wald aufgewachsen ist oder sich nicht so gut mit Wäldern auskennt, wird sich vielleicht darüber wundern: ein Wald im Wald? Aber eigentlich ist ein Wald auch nichts anderes als eine Siedlung, eine Stadt, eine Heimat mit vielen Ecken und Enden eben. Auch der Alte Wald war nie überall derselbe Wald. Es gab dort Pfade und Hauptverkehrswege, Treffpunkte und lauschige Geheimecken, Plätze mit heiterer oder eher schwermütiger Ausprägung wie das steile Ginstertal, in das jedes Jahr Dutzende von Jungtieren stürzten und von den unten wartenden Füchsen gefressen wurden. Es gab Lichtungen, marode Dachsbauten, plattgetrampelte Äsungsstreifen des Rotwilds, einen Weiher, Vogelbäume, Hoppelsteppen und Sumpfwiesen – wenn man den Alten Wald kartografieren wollte, bekäme man bestimmt eine abwechslungsreichere Karte als von Manhattan oder Paris. Es gab Flüsse, Tümpel, Granitabrisse, undurchdringbare Dickichte – herrlich für alle Kleinnager, Igel und Schlangen – und Erhebungen, die einen weiten Blick boten und hauptsächlich vom Großwild besucht wurden. Von dem Hirschrudel etwa, von Tieren, die sich aus der sicheren Deckung heraustrauen konnten, solchen, die keine »natürlichen Fressfeinde« haben, wie es die Biologen nennen.

Die Lichtung im Krüppelkiefernwald jedoch war etwas ganz Besonderes. Jedes Tier des Waldes kannte diesen Platz, und kaum war ein Jungtier zur Welt gekommen, zeigten ihm die Eltern diese Stelle und sprachen dabei mit gedämpfter Stimme: »Das ist der große Platz der wundersamen Erscheinungen, merk dir das gut. Und geh niemals alleine nach Anbruch der Nacht hierher. Es spukt nämlich!« Die Kinder betrachteten die weite freie Fläche mitten im Wald ehrfurchtsvoll und bekamen eine kleine Gänsehaut, sogar die jungen Iltisse und Füchse.

Natürlich spukte es nicht, aber all die besorgten Tiereltern wollten ihren Kleinen auch nur einbleuen, dass es mitten in diesem Wald eine Stelle gab, die man nur mit großer Ernsthaftigkeit und Umsicht betreten sollte. Die Lichtung im Krüppelkiefernwald war – ohne dass es eine Regel oder besondere Vereinbarung dazu gegeben hätte – ein Platz des Friedens und der Ruhe. Man durfte hier nicht jagen, keine anderen Tiere fressen und auch keine Höhlen graben oder Burgen bauen. Nur ein alter Maulwurf hatte einmal aus Versehen einen Ausgang seiner weitverzweigten Wohnung mitten auf der Lichtung angelegt. Er hatte sich sehr geschämt und das Loch gleich wieder zugeschüttet. Man durfte hier keinen Krach machen und nicht herumtollen. Das hatte ein Junghase einmal sehr empfindlich zu spüren bekommen; ein Bussard hatte ihn mitten auf der Lichtung gekrallt, hoch über die Krüppelkiefern getragen und in eine Brombeerhecke wieder fallen gelassen.

Die Lichtung war aber auch ein Platz großer Gefahr. Nicht einmal die hochnäsigen Mitglieder der Familie von Rammbold, die Junghirsche und Kitze, feierten hier ihre Feste. Sie hielten auch keine nächtlichen Geheimduelle mehr ab, jedenfalls nicht, nachdem es zwei von ihnen in einer Vollmondnacht erwischt hatte. Der ältere Teil der Familie, der am Waldrand dem wilden Treiben zugesehen hatte, war buchstäblich vom Donner gerührt gewesen, als kurz hintereinander zwei Lichtblitze aufzuckten – begleitet von einem infernalischen Krachen, als würden ganz dicke Äste im Sturm brechen – und mitten auf der Lichtung zwei hoffnungsvolle Junghirsche blutend zu Boden stürzten.

Was immer damals auch geschehen war, die Lichtung im Krüppelkiefernwald war seither gefürchtet, aber auch zum geheimen Wallfahrtsort geworden. Tagsüber bevölkerten viele Tiere diesen Platz, aber sie alle sicherten ständig, stellten die Ohren, schnupperten und lauschten, ob die magische Ruhe nicht doch plötzlich durch einen cholerischen Anfall der Waldgötter gestört würde.

Hier trafen sich Henning und Hinze. Sie setzten sich ins Gras, das vom Tau noch feucht war, und beobachteten eine Schar von Raben, die kreischend ihre Kreise über der Lichtung zogen.

»Die Eule meinte auch, dass wir Gegenmaßnahmen ergreifen sollten«, sagte Henning.

»Die redet sich leicht. Wir wissen ja noch nicht einmal, wogegen.«

»Na, gegen all das Zeug eben … gegen das Waldsterben und die Erderwärmung und das Ozonloch …«

»Ich weiß nicht mal, was Ozon ist«, sagte Hinze. »Mach mal halblang. Wir haben … Informationsbedarf, genau, das ist es!«

»Da ist was dran«, sagte Henning nachdenklich. »Und wenn wir wissen, wogegen wir Gegenmaßnahmen ergreifen sollen, müssten wir auch noch wissen, was Gegenmaßnahmen sind.«

»Wir wissen einfach zu wenig. Wenn wir es wie die Menschen machen wollen, müssen wir mehr darüber wissen, wie sie es regeln. Wir sollten mit den Tieren vom Bauernhof reden.«

»Keine zehn Füchse kriegen mich noch einmal in die Nähe dieses Bauernhofs«, sagte Henning.

»Dann werden wir Hylax bitten, uns Informationen zu besorgen. Wir können auch mit der alten Henne reden, die immer zum Schlafbaum kommt, oder mit Metke, der Ziege.«

»Und dann?«

»Dann werden wir mit allen Tieren des Waldes reden, wir werden eine Vollversammlung einberufen.«

»Das ist eine ganz verrückte Idee«, sagte Henning. »Das hat es ja noch nie gegeben, dass alle miteinander reden. Es reden entweder die Mäuse und der Maulwurf miteinander oder die Vögel im Schlafbaum oder der Dachs mit den Hasen, aber es redet kein Fuchs mit einem Hasen und auch kein Wiesel mit einem Eichelhäher.«

»Wieso sollten sie denn nicht miteinander reden?«, fragte Hinze, obwohl er die Antwort schon kannte. Wiesel lieben Eier, und sie verachten auch das frische Gelege in einem Eichelhähernest nicht, obwohl ihnen ein anständiges Hühnerei natürlich lieber ist. »Ich habe jedenfalls keine Probleme mit Eichelhähern.«

»Aber sie vielleicht mit dir. Einem Auerhahn dagegen kann man wenig nachsagen. Wir sind Körnerpicker und Pflanzenfresser und haben noch nie einem anderen Tier ein Leid angetan.«

Auerhahn und Wiesel haben schockierende Nachrichten für den Alten Wald

»Ach«, seufzte Hinze. »Die Nummer schon wieder. Muss ich dich denn tatsächlich an die Erste Regel des Waldes erinnern? Die Natur der Sache! Es liegt eben in der Natur der Sache, dass Wiesel Eier fressen und Maulwürfe Maden, dass Füchse Hasen jagen und Bussarde Mäuse. Und du musst dich nicht als besseres Tier fühlen, nur weil du Eicheln, Gras und Löwenzahn frisst. Außerdem habe ich dich schon mal dabei erwischt, dass du eine Schnecke verschlungen hast.«

»Das war früher«, sagte Henning und wackelte mit dem Kopf. »Heute kommt das praktisch nicht mehr vor.«

»Und wie steht es mit Regenwürmern?«, fragte Hinze bissig.

»Sind das jetzt auch schon Tiere? Ich dachte immer, das wären bewegliche Luftwurzeln.«

»Unsinn. Es liegt in der Natur der Sache, dass manche Tiere andere Tiere fressen, manche unter der Erde leben, manche einen Heidenkrach veranstalten und sich mit riesigen Ästen bekriegen, die ihnen aus dem Kopf gewachsen sind. Und manche bringen sogar ihre eigenen Kinder um.«

»Erbarmen!«, sagte der Auerhahn und dachte daran, wie er sich aus Versehen einst auf ein Brutei seiner Frau gesetzt hatte. »Erinnere mich bloß nicht daran!«

»Aber das alles liegt in der Natur der Sache.«

»Na gut, dann werden wir jetzt versuchen, der Natur der Menschen auf die Schliche zu kommen.«

*

Sie gingen zum Waldrand, dort wo der Feldweg vom Bauernhof her endete, und warteten auf Hylax. Doch bevor der Hofhund auftauchte, kam Kratzfuß angetrippelt, die älteste Legehenne des Schellnbauern. Als sie Hinze sah, zuckte ihr Kopf noch nervöser vor und zurück als üblicherweise, denn sie kannte die kulinarischen Vorlieben des Wiesels.

»Keine Angst, meine Liebe«, sagte Henning charmant. »Er ist ein Freund.«

»Deiner vielleicht«, sagte Kratzfuß und beäugte das Wiesel misstrauisch. »Meine Mutter pflegte immer zu sagten: Trau niemals einem Eierdieb. Wer Eier frisst, frisst auch kleine Hühner.«

Hinze wollte der Henne schon erklären, dass alles in der Natur der Sache läge, aber Henning schob ihn zur Seite. Er konnte es besser mit der alten Dame. »Wir überlegen gerade, was die Menschen haben, was wir nicht haben. Mein Freund Hinze und ich denken nämlich daran, unseren Wald etwas zeitgemäßer zu gestalten.«

»Oack!«, machte die Henne, was man als Ausdruck der Überraschung ebenso verstehen konnte wie als schallendes Gelächter. »Ihr wollt modern werden? Ach, das ist nichts für Tiere. Ich sage immer: Hühnchen bleib in deinem Nest.«

»Aber man muss sich ja nicht unbedingt damit abfinden, dass es so ist, wie es ist«, sagte Henning etwas irritiert. »Man wird sich doch noch entwickeln dürfen.«

»Das ist Menschenzeug. Ich sage immer: Was ein Küken nicht lernt, lernt ein Huhn nimmermehr.«

»Ich bin kein Küken und habe nicht vor, als Huhn zu enden«, sagte Hinze spitz. »Wenn du dich für das moderne Leben nicht interessierst, dann bleib eben dumm und pick weiter deine Würmer aus der Erde.«

Kratzfuß freute sich, denn sie hatte gemerkt, dass sich das Wiesel ärgerte. »Hochmut kommt vor dem Fall«, krächzte sie und pickte im Schutz des Auerhahns weiter in der Erde. Endlich kam Hylax.

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Die Qual der Wahl

Ihr braucht eine Regierung, anders geht es nicht«, sagte Hylax, nachdem er von dem Plan der beiden erfahren hatte, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. »Die Menschen sind nur deshalb modern geworden, weil sie eine Regierung haben. Das weiß man doch. Das gehört zu den Basics!« Der alte Hofhund hatte sich extra ein paar solche Wörter gemerkt, die nämlich, die der Schellnbauer immer mit lauter Stimme wiederholt hatte, wenn sie in den Nachrichten vorkamen. »Ja, ganz genau … Basics!«, hatte der Bauer geschnauft und sich dabei mit dem Zeigefinger an die Schläfe getippt. Für Hylax ein Zeichen, dass dieses Wort sehr wichtig für ihn sein musste. So ein wichtiges Wort eben wie »Hedgefonds« oder »Outsourcing«, obwohl der Bauer die Wörter etwas anders aussprach als der kleine Mann in der Flimmerkiste.

Henning und Hinze spitzen die Ohren und merkten sich jedes Wort. Sie trafen sich nun täglich mit dem Hund und fragten ihn nach den Neuigkeiten aus, die er am Abend zuvor vor dem Fernseher mitbekommen hatte. Das wussten sie inzwischen nämlich auch, dass der leuchtende Kasten Fernseher hieß, und sie hatten sich überlegt, dass das kleine Männchen, das darin wohnte, tagsüber wahrscheinlich unterwegs war, um all die aufregenden Nachrichten zu erfahren, die es dem Schellnbauern nach Einbruch der Dunkelheit erzählte.

»Das ist eine sehr moderne Technik«, sagte Hylax, »wir leben nämlich im Kommunikationszeitalter, und das heißt, dass man sich heute ständig Neuigkeiten erzählt.«

»Das mag ja sein«, sagte Henning, »aber du wolltest mit uns doch über diese Regierung reden, ohne die wir nicht modern werden können.«

»Richtig, das sind ja die Basics, ohne die geht es eben nicht. Die Regierung. Also, das sind ein paar Leute, die den ganzen restlichen Leuten sagen, was sie machen sollen und wer was tut. Versteht ihr, es muss immer welche geben, die den anderen sagen, wo es langgeht.«

»Und das lassen sich die anderen gefallen?«

»Natürlich. Die Leute bestimmen ja selber, wer ihnen sagt, wo es langgeht. Das machen sie mit einer Wahl – schon mal gehört?«

»Klar«, sagte Hinze. »Man hat immer die Wahl, dafür muss man gar kein Mensch sein. Du kannst wählen, ob du ein Ei frisst oder Sauerampfer …«

»Oder ob man einen Regenwurm isst oder Vogelbeeren«, sagte Henning, dem diese ständige Eierfresserei gewaltig auf die Nerven ging.

»Genau so ist es. Man hat immer die Wahl, und wenn Menschen wählen, suchen sie sich eben die aus, die ihnen am besten sagen können, wo es langgeht.«

»Wählen sie eigentlich eher die Stärksten oder die Schlauesten?«, fragte Henning.

Der Hund dachte nach. Das war eine überraschende Frage. Aber er erinnerte sich, dass der Bauer jedes Mal, wenn es um die Regierung ging, seine Bierflasche auf den Tisch haute und schrie: »Ihr seid’s ja wirklich die Obergscheiten!«, und deshalb nahm er an, dass wohl die Schlauesten die Wahl gewinnen würden. Das empfanden Henning und Hinze beide als eine gute Nachricht, denn sie waren bei weitem nicht die stärksten Tiere im Wald.

»Wenn es um die Stärksten ginge, würden wohl die Hirsche gewinnen«, sagte Hinze. »Und das wäre dumm. Denn die interessieren sich nur für ihren Hochwald und tragen alle die Nasen ganz hoch. Dieser Rammbold ist ein schrecklicher Angeber.«

»Aber er ist nicht besonders helle«, sagte Henning und zwinkerte seinem Freund zu. »Wenn es um die schlaueren Tiere geht, stehen unsere Chancen nicht schlecht.«

»Die Eule ist auch ziemlich schlau, und ein paar von den Füchsen und der Rabe …«

»Der hält sich jedenfalls für schlau«, sagte Hinze, »aber er glaubt ja auch, dass er schön singen kann.«

Alle drei lachten.