Unter der Gürtellinie - Renate Bruckmann - E-Book

Unter der Gürtellinie E-Book

Renate Bruckmann

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Beschreibung

Der ganzheitliche Gesundheits-Ratgeber zur Selbsthilfe für unerklärliche Beschwerden im Beckenbereich. Harndrang, Schmerzen, Brennen, Druck im urogenitalen Bereich, chronische Blasenentzündung, chronische Prostatitis sind nur wenige Beispiele für Beschwerden, die im Beckenbereich auftreten können. Die erfahrene Pohl-Therapeutin Renate Bruckmann gibt konkrete Hilfestellungen zur Selbsthilfe bei Körperfunktionsstörungen von Männern und Frauen. Ihnen liegen sehr oft Verspannungen im und außerhalb des Beckens zugrunde, die aus alltäglichen Gewohnheiten entstehen. Aus medizinischer Sicht ist alles in Ordnung, dennoch sind diese tabuisierten Beschwerden manchmal so stark, dass sie das ganze Leben der Betroffenen beeinträchtigen. Renate Bruckmann arbeitet seit vielen Jahren mit der Pohltherapie® im Spezialgebiet Becken-Beschwerden/Beschwerden im urogenitalen Bereich und hat vielen Menschen geholfen, wieder schmerzfrei zu werden. Einfach und verständlich erklärt sie die Ursachen der einzelnen Beschwerden auf Basis der der Pohltherapie® und zeigt, wie aus Gewohnheiten Fehlhaltungen entstehen und daraus Beschwerden im Becken. Zur Lockerung und Schmerzlinderung gibt es ein konkretes Übungsprogramm und Anleitungen zur Selbstbehandlung von Muskeln und Faszien, um Funktionsverbesserung und Schmerzlinderung zu erreichen. 50 farbige Fotos und 30 Zeichnungen machen die Anwendung zu Hause einfach nachvollziehbar. Mit einem Vorwort von Dr. Helga Pohl, der Begründerin der Pohltherapie®.

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Seitenzahl: 436

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Renate Bruckmann

Unter der Gürtellinie

Unerklärliche Beschwerden im urogenitalen Bereich körpertherapeutisch verstehen und behandeln

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Der ganzheitliche Gesundheits-Ratgeber zur Selbsthilfe für unerklärliche Beschwerden im Beckenbereich.

 

Harndrang, Schmerzen, Brennen, Druck im urogenitalen Bereich, chronische Blasenentzündung, chronische Prostatitis sind nur wenige Beispiele für Beschwerden, die im Beckenbereich auftreten können. Die erfahrene Pohl-Therapeutin Renate Bruckmann gibt konkrete Hilfestellungen zur Selbsthilfe bei Körperfunktionsstörungen von Männern und Frauen. Ihnen liegen sehr oft Verspannungen im und außerhalb des Beckens zugrunde, die aus alltäglichen Gewohnheiten entstehen. Aus medizinischer Sicht ist alles in Ordnung, dennoch sind diese tabuisierten Beschwerden manchmal so stark, dass sie das ganze Leben der Betroffenen beeinträchtigen.

Renate Bruckmann arbeitet seit vielen Jahren mit der Pohl-Therapie® im Spezialgebiet Becken-Beschwerden/Beschwerden im urogenitalen Bereich und hat vielen Menschen geholfen, wieder schmerzfrei zu werden. Einfach und verständlich erklärt sie die Ursachen der einzelnen Beschwerden auf Basis der der Pohl-Therapie® und zeigt, wie aus Gewohnheiten Fehlhaltungen entstehen und daraus Beschwerden im Becken. Zur Lockerung und Schmerzlinderung gibt es ein konkretes Übungsprogramm und Anleitungen zur Selbstbehandlung von Muskeln und Faszien, um Funktionsverbesserung und Schmerzlinderung zu erreichen.

50 farbige Fotos und 30 Zeichnungen machen die Anwendung zu Hause einfach nachvollziehbar.

Mit einem Vorwort von Dr. Helga Pohl, der Begründerin der Pohl-Therapie®.

Inhaltsübersicht

Vorwort von Dr. Helga Pohl

Einführung

Teil 1: Beschwerden verstehen

Verspannungen als Ursachen chronischer Beckenbeschwerden

Veröffentlichungen und Forschung

Fragebogen: Können meine Beschwerden muskulär bedingt sein?

Was sind chronische Verspannungen?

Muskeln

Bindegewebe und Faszien

Wie entstehen Schmerzen?

Wie können verspannte Muskeln und Bindegewebe Schmerzen auslösen?

Organe des Beckens und Verspannungen

Warum es so schwer ist, eine Diagnose und Therapie zu finden

Beschwerden

Funktionsstörungen beim Wasserlassen

Funktionsstörungen beim Stuhlgang

Schmerzen und Funktionsstörungen in der Sexualität

Schmerzen und Missempfindungen

Die Verzweiflung der Patienten

Was sagt die Schulmedizin?

Welche Muskeln können Beschwerden auslösen?

Das Dach: Zwerchfell

Die Wände: Bauchmuskeln

Der Beckenboden

Der Rücken

Wie chronische Anspannungen entstehen

Teil 2: Finden Sie heraus, woher Ihre Anspannungen kommen

Äußere Faktoren: Ereignisse und schädliche Einflüsse

Entzündungen

Operationen

Druckbelastungen

Kälte

Gewalterfahrungen

Unfälle und Stürze

Innere Faktoren: Wie Sie selbst zu Ihren Beschwerden beitragen

Spannende Gewohnheiten: im Sitzen, im Stehen und nebenbei

Spannende Gewohnheiten: Zusammenfassung und Übersicht

Falsches oder übertriebenes Training

Bewegungsmangel

Alltagsstress

»Katastrophendenken« und Beckenbeschwerden

Beckenbeschwerden, Depressionen und Angststörungen

Beckenbeschwerden und Partnerschaft

Teil 3: Was Ihnen jetzt hilft

Wo soll ich anfangen, und was brauche ich?

Körperübungen: Zeit, sich zu bewegen!

So wird eine liebe Gewohnheit daraus

Die tägliche Praxis

Morgens im Bett: Rekeln und Atmung spüren

Das Grundprogramm

Abends: tiefe Entspannung

Extras als Ergänzungen zum Grundprogramm

Wahrnehmungsübungen

Körperbewusstsein steigern

Positive Sinneswahrnehmungen machen

Training fürs Gehirn: Auf andere Gedanken kommen

Übung 1: Gedanken ergänzen

Übung 2: Katastrophenwendung

Die Pohltherapie® als Selbstbehandlung

Die Selbstbehandlung in der Übersicht

Erste Behandlungsschritte

Schmerzpunkte (Triggerpunkte) auf den Muskeln finden und behandeln

Das Bindegewebe behandeln

Narben behandeln

Bauchbehandlung

Die Behandlung der Beine

Die Behandlung des äußeren Beckens und der Gesäßmuskeln

Die Behandlung des Steißbeins

Die Behandlung der Blasenregion

Behandlung am Genital und an den Sitzbeinen

Behandlung des Anus von außen

Die rektale Behandlung des inneren Beckenbodens

Die Prostata behandeln

Die Behandlung der Rückenmuskeln

Behandlung bei einseitigen Beschwerden

Was noch helfen kann

Beckenbeschwerden und Hormone

Einen Vitamin-B12- oder Vitamin-D-Mangel beheben

Chronische Blasenentzündungen: »Resistenz« gegen Antibiotika in den Griff bekommen

Die Vaginalflora aufbauen

Wasseranwendungen

Ausblick

Danke

Anhang

Diagnosen und Symptome

Quellen: Verspannungen der Muskulatur als Ursache und erfolgreicher Therapieansatz bei Beckenbeschwerden

Literatur

Übersicht: Beschwerden, Behandlung, Gewohnheiten

Sachregister

Vorwort von Dr. Helga Pohl

Ich freue mich sehr, dass Renate Bruckmann dieses Buch über die urogenitalen Beschwerden ohne organischen Befund geschrieben hat. Das Thema ist mir seit Langem ein Herzensanliegen und begleitet mich vom Beginn meiner körpertherapeutischen Tätigkeit in den 1990er-Jahren an. Damals arbeitete ich eng mit dem Urologen Dr. Ernst Albrecht Günthert zusammen, der sich in Deutschland wohl als Erster mit dem Thema Psychosomatik und Muskelverspannungen in der Urologie befasste. Er führte mich in dieses faszinierende Thema ein, schilderte mir detailliert die verschiedenen funktionellen Krankheiten auf diesem Gebiet und schickte mir viele Patienten, die er urologisch voruntersucht hatte und denen seiner Überzeugung nach mit »normaler« Urologie allein nicht zu helfen war. Dadurch bildeten die urogenitalen Beschwerden von Anfang an einen Schwerpunkt der sich entwickelnden Pohltherapie® (die damals noch »Sensomotorische Körpertherapie nach Dr. Pohl®« hieß) – sowohl vom theoretischen Verständnis wie auch von der praktischen Anwendung her. Als ich bei den Behandlungen die Leidensgeschichten dieser Patienten hörte, deren Elend man sich als Außenstehender kaum vorstellen kann, wuchs in mir ein besonderes emotionales Engagement für sie.

Die Verantwortung, gerade diesen Patienten mehr und umfassender zu helfen, als ich es allein konnte, bildete für mich einen Hauptmotor, die Ausbildung in Pohltherapie® zu konzipieren und mein Wissen und meine Erfahrungen auf diesem Gebiet weiterzugeben. Innerhalb der Ausbildung versuchte ich, das Engagement für diese verzweifelten, meist »austherapierten« Patienten, für die es keine andere Hilfe gab, an meine Ausbildungsteilnehmer zu vermitteln. Diejenige, bei der dieses Anliegen am meisten ankam, war Renate Bruckmann!

Sie widmete sich dem Thema von Anfang an mit Feuereifer und hat sich im Laufe der letzten Jahre zu der Spezialistin auf diesem Gebiet in Deutschland entwickelt. Als seltener Glücksfall vereint sie mehrere Talente in sich, die den Lesern mit diesem Buch auf allen Ebenen zugutekommen: Zum einen ist sie eine begnadete Therapeutin, voll Empathie, Wissen und Know-how, wovon die Falldarstellungen in diesem Buch zeugen. Außerdem verfügt sie über die seltene Gabe, ihren reichen Schatz an praktischen Erfahrungen systematisch darzustellen und ihn mit theoretischem Wissen zu ergänzen. Sie hat fundiert die wissenschaftliche Literatur durchforscht und empirische Forschungsergebnisse zusammengetragen und damit das Wissen und das Vorgehen der Pohltherapie® auf diesem Gebiet sehr eigenständig präzisiert, systematisiert, weiterentwickelt und um wertvolle Ergänzungen bereichert. Und nicht nur das: Renate Bruckmann kann ihre Ergebnisse in einer für Laien wie Fachleute so fesselnden, lebendigen und verständlichen Sprache darstellen, dass man ihr Buch kaum aus der Hand legen will. Daher ist dem Buch eine breite Leserschaft zu wünschen.

In erster Linie wünsche ich mir und Renate Bruckmann, dass dieses Buch seinen Weg zu den Betroffenen findet. Vielen von ihnen wird es schon beim Lesen helfen, da sie hier ihre eigenen Leiden wiederfinden werden und sie erstmals zu verstehen beginnen. Bis heute sind die urogenitalen Beschwerden ja ein schambesetztes Thema, das in der Öffentlichkeit kaum erwähnt wird und das man selbst im privaten Bereich oft verschweigt. Dadurch denkt jeder, er wäre der Einzige mit solchen »komischen« Beschwerden. Die Betroffenen werden erleichtert von vielen Leidensgenossen lesen. Sie werden erfahren, dass sie nicht die Einzigen sind, dass sie sich diese Beschwerden nicht einbilden und dass ihre Leiden gar nicht so »komisch« und unbegreiflich sind, sondern genauso verstanden, akzeptiert und behandelt werden können wie beispielsweise Kopfschmerzen oder Rückenschmerzen. Schon das dürfte sie entängstigen und damit etwas entspannen lassen, was zur Verbesserung ihrer Beschwerden beitragen kann.

Mehr wird ihnen helfen, wenn sie sich auf das in diesem Buch vermittelte Körperbewusstseinstraining der Pohltherapie® einlassen und damit eigene schädliche »spannende Gewohnheiten« entdecken und sich vielleicht schon etwas davon befreien können. Noch mehr wird ihnen helfen, wenn sie die hier beschriebenen Übungen und Selbstbehandlungen ausprobieren. Und erst recht wird ihnen helfen, wenn sie lesen, dass es die Pohltherapeuten gibt, die ihnen genau bei ihren Problemen kompetent helfen können.

Sicher wird das Buch auch die Fachleute ansprechen, in deren Praxen sich diese Patienten sammeln: Urologen und Gynäkologen, Allgemeinmediziner, aber auch Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiater und Heilpraktiker. Für sie dürfte dieses Buch ein hilfreiches Nachschlagewerk sein. Es wird ihnen das Verständnis für diese Art von Patienten erleichtern, denen sie in der Vergangenheit häufig nicht so helfen konnten, wie sie gern würden, weil ihnen die ganz speziellen Kenntnisse auf diesem Gebiet bisher fehlten. Ihre Patienten werden sich von ihnen verstanden und angenommen fühlen, auch wenn sie sie dann kompetent überweisen. Vielleicht werden sie durch dieses Buch angeregt, schon selbst die entsprechenden Muskel- und Bindegewebspartien bei ihren Patienten zu palpieren und so nicht nur eine ausschließende, sondern eine positive Diagnose auf verspannungsbedingte Störungen stellen zu können. Eventuell werden sogar manche Fachleute selbst eine Ausbildung in Pohltherapie® ansteuern, sodass sie ihr Behandlungsspektrum zum Segen ihrer Patienten erweitern können.

Schließlich ist zu wünschen, dass dieses Buch auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, nicht nur Menschen, die sich heute eigenverantwortlich mit Gesundheitsthemen beschäftigen und Angehörige, Freunde und Kollegen besser verstehen und ihnen zur Seite stehen möchten, sondern dass das Buch auch in sämtlichen Medien einen großen Widerhall findet. Ich habe die Vision, dass durch dieses Buch von Renate Bruckmann das Thema der urogenitalen Beschwerden so enttabuisiert wird, dass man über solche Störungsbilder genauso häufig berichtet, offen spricht und diskutiert wie über andere Erkrankungen und dass damit vielen Menschen sehr bald geholfen werden kann.

 

Danke, Renate!

Einführung

»Ich muss zuweilen zehnmal in einer Nacht auf die Toilette, und nach dem Wasserlassen brennt es.«

»Beim Sitzen habe ich mehr oder weniger ständig Schmerzen.«

»Nach dem Orgasmus habe ich tagelang Krämpfe im Damm und im Penis, die nur schwer zu ertragen sind.«

»Ich habe das Gefühl, als würde meine Scheide platzen.«

»Es fühlt sich an, als würde ein Stück glühende Kohle in meinem After stecken.«

»In meinem Unterbauch ist so ein widerliches Gefühl, das auch mit Schmerztabletten nicht besser wird.«

 

Diese Patientinnen und Patienten haben keine organischen oder psychischen Erkrankungen, sondern verspannte Muskeln im Becken. Es kann Männer wie Frauen treffen, die Symptome müssen nicht immer so dramatisch ausfallen, beeinträchtigen das Leben aber oft massiv: Beruf und Familie, Partnerschaft und Hobby, nichts läuft mehr wie gewohnt. Das kostet Energie und Lebensfreude. Die Beschwerden sind vielfältig und wechselhaft, sie verändern sich in Stärke, Charakter und Lokalisation. Manche leiden schon lang, viele haben Angst, ihre Beschwerden nicht mehr loszuwerden. Auch wenn ihre Organe gesund sind und sie »nur« Verspannungen haben, sind sie wirklich schlecht dran, und das Beste wäre, ihnen einfach zu glauben.

In der Öffentlichkeit wird diese Art von Beschwerden kaum diskutiert, und sie sind auch kein partytaugliches Gesprächsthema. Niemand würde auf die Frage eines Bekannten, wie es denn so gehe, antworten: »Danke der Nachfrage, ich habe Schmerzen nach dem Wasserlassen und ein Fremdkörpergefühl im After.« Die Betroffenen wissen dadurch nicht, dass das Problem weitverbreitet ist. Dabei kann es jeden betreffen, den Studenten genauso wie die Großmutter, den Lageristen wie die Anwältin und manchmal auch Kinder.

Das Becken ist ein weitgehend unsichtbarer Bereich und anatomisch komplex. Es gibt Öffnungen, Organe, Leitungswege mit ganz unterschiedlichen Prozessen und Empfindungen: Fortpflanzung und Zyklus, Sexualität und Ausscheidung. Und alles so nah beieinander, dass man nicht besonders verklemmt sein muss, um das ein bisschen unheimlich zu finden. Man denkt also nicht zuerst an Muskeln, wenn es zu Schmerzen im Becken kommt, während es für die meisten Menschen bei Schmerzen in ihrer Wade ganz naheliegend ist, an ihren Wadenmuskel zu denken, erst recht nach einer langen Wanderung. Die Muskeln innen und außen am Becken verhalten sich aber auch nicht anders als die Wadenmuskeln: Eine Überbelastung zieht Schmerzen und Funktionsstörungen nach sich.

In der Regel haben unsere Patienten viele Besuche bei Gynäkologen, Urologen, Proktologen, Neurologen und so weiter hinter sich und alle Organe untersuchen lassen. Trotzdem wird meist keine befriedigende Erklärung dafür gefunden. Die Patienten freuen sich nicht, wenn man ihnen sagt, sie hätten nichts oder nur psychische Störungen, da sie spüren, dass etwas in ihrem Becken nicht in Ordnung sein kann, wenn es so wehtut. So wechseln sie den Arzt und lassen die gleiche Diagnostik wieder und wieder durchführen. Viel sinnvoller wäre es stattdessen, systematisch Muskeln und Faszien zu untersuchen. Dann könnte man feststellen, ob Verspannungen der Grund sein können, und wenn ja, eine geeignete Therapie beginnen, die an den Ursachen ansetzt. Das könnte den Patienten Leid (und den Kostenträgern Geld) ersparen. Ich bin absolut sicher, dass die Einnahme etlicher Medikamente, viele Mehrfachdiagnostiken und manche Operationen damit obsolet wären.

Die Pohltherapie® wurde entwickelt, um Menschen mit chronischen Schmerzen und Funktionsstörungen zu helfen, und ist ein Verfahren, das oft selbst dann noch helfen kann, wenn vieles andere nicht gewirkt hat. Aus meiner Erfahrung als Pohltherapeutin ist dieses Buch entstanden. Ich habe es geschrieben, damit die vielen Betroffenen verstehen, woher ihre Beschwerden kommen, und erkennen, was sie dagegen tun können. Etliche Patienten sind mir noch gut erinnerlich, und ich habe ihre Geschichten (wenngleich verfremdet) in das Buch einfließen lassen.

Das Verstehen der Ursachen mindert die Sorgen, Übungen und Anleitungen zur Selbstbehandlung helfen, die Beschwerden zu verringern. Auch wenn Sie sich lieber behandeln lassen, als es selbst zu lernen, kann das Buch Sie durch die Therapie begleiten und Ihnen Nachschlagewerk und Unterstützung sein.

Wie schnell es besser wird, ist verschieden: Manchmal geht es recht bald, häufiger braucht es Geduld, und selten funktioniert es auch nicht. Nach meiner Praxiserfahrung erreichen wir in gut 75 Prozent das Ziel: Die Beschwerden bessern sich, die Funktionen kehren zurück. Gemessen an dem, was viele hinter sich haben, sind das Ergebnisse, die sich wirklich sehen lassen können.

Manchmal sehe ich mir einen schwer belasteten Patienten an und denke, dass der Mensch, den ich vor mir habe, nicht der Mensch ist, wie er eigentlich gedacht ist. Es liegt etwas über ihm, ein Schatten, eine Verzerrung gewissermaßen. Doch irgendwann im Lauf der Behandlung passiert etwas Verblüffendes: Das Eigentliche kommt wieder hervor – ohne diese »Verschattung«, so, wie der Mensch war, bevor all das losging. Das ist immer ein bewegender Moment für mich, und es geschieht, sobald die Beschwerden besser werden und die Betroffenen sicher geworden sind, auf dem richtigen Weg zu sein. Wenn ich meinen Eindruck mitteile, sagen sie: »Ja, ich habe mein Leben wieder zurück, ich arbeite, mache Sport, gehe aus und weiß endlich, was ich tun kann.« Dafür lohnt sich jeder Aufwand.

Das Buch hat drei Teile. In Teil 1 erkläre ich die Zusammenhänge zwischen Schmerzen, Missempfindungen, Funktionsstörungen und Verspannungen. Falldarstellungen und Symptombeschreibungen helfen bei der Einordnung der eigenen Beschwerden. Mit den Spürübungen wird das Gelesene klarer und das Verständnis für den eigenen Körper größer. Weil ich weiß, wie ungeduldig man beim Lesen werden kann, wenn man ein Problem hat und eine Lösung dafür sucht, gibt es schon bei den Symptombeschreibungen Hinweise auf Lösungen und Hilfen mit der entsprechenden Seitenzahl. So können Sie direkt anfangen, Ihr Problem anzugehen, und sich nach und nach aneignen, was nötig ist, um Ihre Beschwerden in den Griff zu bekommen.

In Teil 2 geht es darum herauszufinden, woher Sie Ihre Daueranspannung haben und was sie aufrechterhält. Dabei spielen »spannende Gewohnheiten im Alltag und andere Einflüsse eine Rolle. Auch hier gilt: Spürübungen mitmachen. Sie kommen so viel schneller dahinter, wie Sie Ihre Beschwerden selbst beeinflussen können.

In Teil 3 erfahren Sie, wie Sie mit einem täglichen kurzen Übungsprogramm Ihren Körper und Ihr Becken wieder beweglich, locker und kraftvoll bekommen. Mentale Übungen helfen bei der Bewältigung von Stress und Sorgen. Sie erfahren, wie die Pohltherapie® Ihnen zu helfen vermag, und lernen, sich selbst nach diesem Konzept zu behandeln. Schließlich gehe ich auf weitere Aspekte ein, die zusätzlich eine Rolle spielen können, und gebe Tipps, was man noch tun kann.

Für besonders interessierte Leserinnen und Leser gibt es hin und wieder kleine Exkurse zu Körperfunktionen, Neurobiologie und Anatomie. Sie erweitern Ihr Verständnis, wenn Sie es genauer wissen wollen.

Den ersten Schritt haben Sie schon getan, indem Sie zu lesen begonnen haben. Sie werden sehen, dass es damit allein nicht getan ist, wenn Sie Ihre Beschwerden loswerden wollen. Das wäre nämlich so, als wären Sie hungrig und läsen ein Kochrezept, statt sich Essen zu kochen. Sie wüssten theoretisch, wie es vielleicht ginge, aber Sie würden nicht satt.

Für ganz Ungeduldige: Wenn Sie wissen wollen, ob Ihre Beschwerden muskulär bedingt sein können, machen Sie den Test auf Seite 24f.

Ich wünsche Ihnen beim Lesen und beim Spüren hilfreiche Erkenntnisse und Erfahrungen und vor allem: gute Besserung! Fassen Sie Mut und beginnen Sie.

Teil 1: Beschwerden verstehen

In Teil 1 können Sie erkennen, ob Ihre Beschwerden möglicherweise muskulär bedingt sind, und verstehen, wie es so weit gekommen ist. Fakten und Wissen über die Zusammenhänge zwischen Anspannung und Symptomen sowie Patientengeschichten erleichtern die Einordnung der eigenen Beschwerden und Diagnosen. So können Sie dann die nächsten Schritte auf dem Weg der Besserung angehen.

Verspannungen als Ursachen chronischer Beckenbeschwerden

Wenn Sie an Beschwerden im urogenitalen Bereich leiden, werden Sie sich oft gefragt haben, woher Ihre Beschwerden kommen. Vielleicht haben Sie unterschiedliche Diagnosen erhalten und Behandlungsversuche gemacht, die Ihnen wenig oder gar nicht halfen. Möglicherweise haben Sie schon einmal daran gedacht, dass Ihre Beschwerden mit Verspannungen in Ihrem Körper, Ihren Muskeln zusammenhängen könnten. Eventuell spüren Sie sogar, dass es Verkrampfungen sind, die Ihr Becken leiden lassen. Vielleicht gehören Sie auch zu den Menschen, die es für absolut undenkbar halten, dass derartig starke Schmerzen und Funktionsstörungen »nur« von Verspannungen kommen können. Doch es kann durchaus möglich sein: Selbst stärkste Schmerzen, nervtötende Missempfindungen und quälende Funktionsstörungen der Blase, des Genitals und des Rektums können durch chronisch verspannte Muskeln und Bindegewebe oder Faszien verursacht werden.

Spannen Sie jetzt ganz leicht tief innen die Pobacken, und halten Sie die Spannung. Macht man das dauernd, merkt man es gar nicht mehr, und irgendwann beschweren sich die überlasteten Muskeln, und man bekommt Schmerzen am Steißbein. Man konsultiert den Arzt, und schließlich wird die Diagnose »Coccygodynie« gestellt. Der Zungenbrecher besagt nichts anderes, als dass einem das Steißbein (Os coccygis) wehtut. Warum, wird nicht gesagt – und auch nicht, was man dagegen tun kann. Wenn man immer weiter das Gesäß anspannt, bringt das auch den Beckenboden in Not, weil er ebenfalls am Steißbein ansetzt; und schon hat man die nächste Beschwerde: Hämorrhoiden. Das ist dann wenigstens etwas Fassbares im Gegensatz zur Coccygodynie, und man bekommt eine Therapie. Fühlt es sich dagegen so an, als stecke eine Walnuss im After und komme nicht heraus, wird man dagegen leicht in die Psychoecke gestellt.

Das »Nussgefühl«, die Schmerzen, die Hämorrhoiden, all das kommt tatsächlich nur vom ständigen Anspannen der Pobacken. Wenn es ganz schlecht läuft, wird man operiert oder kommt in die Psychosomatik, was beides nicht gegen das Anspannen hilft. Der Geplagte merkt in der Regel nicht, dass er mehr oder weniger ständig den Po anspannt, oder falls es ihm doch mal aufgefallen ist, hat er nie darüber nachgedacht, dass das etwas mit seinen Beschwerden zu tun haben könnte.

Dass chronische Schmerzen durch Verspannungen verursacht werden können, habe ich nicht selbst herausgefunden, und es ist auch keine neue Erkenntnis. Schon vor fast hundert Jahren hat man diesen Zusammenhang entdeckt, früher nannte man diese Stellen im Körper »Myogelosen« (Muskelhärten). Heute nennt man sie »Trigger-« oder einfach »Schmerzpunkte«, in diesem Buch ist mit den Begriffen das Gleiche gemeint. Durch die neuere Forschung weiß man, dass auch die Faszien, also das Bindegewebe um die Muskeln herum und unter der Haut, Schmerzen und Missempfindungen auslösen können.

Mit den Händen sind die Verspannungen meist tastbar. Sie liegen in den Muskeln, wo man sie als verhärtete Stränge oder Punkte ertasten kann und Druck Schmerz auslöst, und im Bindegewebe, wo man sie oft sogar von außen sehen kann, weil sie bei Bewegung nicht recht mitmachen. Beim Tasten fühlt dieses Bindegewebe sich für Therapeuten zäh und dick an. Manchmal kann der Druck auf einen bestimmten Punkt auch Schmerz in einer anderen Region im Körper auslösen. Wir werden sehen, wie diese tastbaren Befunde mit den Beschwerden zusammenhängen und wie es gelingen kann, sie aufzulösen.

Verspannungen in Muskeln und im Bindegewebe können durch Fehlhaltungen und die Gewohnheit entstehen, sich in bestimmten Bereichen ständig anzuspannen. Auch Belastungen wie Entzündungen, Operationen, Verletzungen (auch scheinbar unbedeutende) können solche Dauerkontraktionen bewirken. Sie können überall im Körper auftreten und Schmerzen, Missempfindungen und Funktionsstörungen auslösen, im Rücken, im Nacken, in den Beinen genauso wie im Beckenbereich.

Mit der Pohltherapie® kann man solche Verspannungen auffinden und behandeln. Wir untersuchen die Patienten und analysieren ihre Bewegungsgewohnheiten und Körperhaltungen. Dabei stellen wir in der Regel Befunde, welche die Beschwerden erklären können. Wir ertasten zum Beispiel einen angespannten Unterbauch mit Triggerpunkten (Schmerzpunkten) in den Bauchmuskeln, oft auch harte Pobacken, und stellen eine eingeschränkte Atmung fest. Erfolgt eine rektale oder vaginale Untersuchung, findet man recht häufig einen ziemlich angespannten Beckenboden. Auch die Muskeln und Faszien an den Seiten des Bauchs und oberhalb des Nabels können sich verspannt und druckschmerzhaft anfühlen und Beschwerden im Becken auslösen. Die Untersuchung ist jedoch noch nicht beendet, denn auch die Beine müssen miteinbezogen werden. Hier sind die Beininnenseiten besonders oft betroffen. Nicht selten finden sich Narben im Bereich des Bauchs und der Leisten, die empfindlich sind und zähes Bindegewebe aufweisen. Die Patienten staunen dann oft und können zu Anfang kaum glauben, dass ihre Beschwerden »nur davon« kommen sollen.

Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass in diesem Buch die Rede vom Becken und nicht vom Beckenboden ist. Das hat seinen Grund: Der Beckenboden ist nämlich nur ein Teil der Muskeln, die bei urogenitalen Beschwerden wichtig sind. Deswegen ist er zwar einer der Verdächtigen, aber es gibt weitere: Die anderen sind Atem-, Bauch-, Rücken und Hüftmuskeln. Sie können ebenfalls zu Beschwerden im urogenitalen oder rektalen Bereich führen.

Schmerzen und Funktionsstörungen im Becken können von den Muskeln ausgehen, die zum Rumpf, den Hüften und dem Beckenboden gehören.

Veröffentlichungen und Forschung

In Deutschland finden bislang muskulär bedingte Ursachen bei Beckenbeschwerden wenig klinische Beachtung (Bodden-Heidrich). Die Veröffentlichungen dazu stammen oft aus dem englischsprachigen Ausland, neben den hier genannten Quellen finden sich weitere im Anhang.

2018 veröffentlichte das Journal of Bodywork und Movement Therapies einen Fallbericht über die erfolgreiche manuelle Behandlung von Muskeln durch das Lösen von Verspannungen bei Pudendusneuralgie (Origo und Tarantino 2018).

2017 erschien im Ärzteblatt eine Studie zum Beckenschmerzsyndrom, wonach eine Behandlung in Form einer Kombination aus manuellen Techniken sowie Körperübungen auch noch nach über einem Jahr eine deutliche Verbesserung erbracht haben (Klingler 2016).

2015 wurde von den Autoren Baessler und Junginger als »ein häufiger gemeinsamer Nenner in der Pathogenese [der Entstehung der Beschwerden] ein hypertoner [übermäßig angespannter] Beckenboden« genannt (Baessler und Junginger 2015).

2012 erschien im amerikanischen Journal of Urology ein Bericht, wonach Frauen mit der Diagnose »Blasenschmerz/Interstitielle Cystitis« im Vergleich zu normalen Massagebehandlungen deutliche Verbesserungen durch myofasziale Therapie hatten (Fitzgerald et al. 2012).

2014 erschien die letzte Auflage des Klassikers Handbuch der Muskeltriggerpunkte, eines zweibändigen Standardwerks für Ärzte und Therapeuten. Dr. Travell entwickelte zusammen mit Dr. Simons seit den Vierzigerjahren das Konzept der myofaszialen Triggerpunkte als Erklärung für chronische Schmerzen und Funktionsstörungen, auch im urogenitalen Bereich (Travell und Simons 1992).

2010 kam von Dr. Helga Pohl das Buch Unerklärliche Beschwerden? heraus. Sie wurde durch eigene Beschwerden (im Rücken) nahezu arbeitsunfähig, bis sie begann, sich mit den Ursachen zu beschäftigen. Wissenschaftliche Erkenntnisse bezog sie genauso mit ein wie körperbasierte Therapieverfahren. Daraus entwickelte sie die Pohltherapie®. Ihre Arbeit half vielen Betroffenen zu verstehen, dass chronische Schmerzen und viele funktionelle Störungen auch im Becken durch chronische Anspannung entstehen können (Pohl 2010).

2008 erschien im amerikanischen Journal of Urology eine Studie zum Thema »Chronische Prostatitis, chronischer Beckenbodenschmerz«. Dazu wurden Daten von 384 Probanden ausgewertet. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass bei CPPS und der chronischen Prostatitis die Beschwerden durch Muskeln und Faszien verursacht sein können (Shoskes et al. 2008).

Auch wenn im Rahmen dieses Buchs bei Weitem nicht der komplette wissenschaftliche Überblick dargestellt wird, reicht es Ihnen hoffentlich, um zu erkennen: Es ist nicht die »spinnerte Idee« eines Einzelnen, chronische Beckenbeschwerden ohne organischen Befund durch Verspannungen in Muskulatur und Bindegewebe zu erklären und dementsprechend zu behandeln. Das Konzept greift bekannte medizinische Erkenntnisse und Forschungsergebnisse auf und widerspricht der schulmedizinischen Betrachtungsweise überhaupt nicht.

Fragebogen: Können meine Beschwerden muskulär bedingt sein?

Wenn Sie wissen wollen, ob Ihre eigenen Probleme durch Verspannungen verursacht worden sein können, beantworten Sie den Fragebogen:

 

Meine Beschwerden

sind fachärztlich (gynäkologisch, urologisch, proktologisch) abgeklärt und ohne Befund,

kamen schleichend,

eher plötzlich (nach einer Verletzung, einem Sturz, einer Entzündung der Blase, der Nieren, der Prostata, der Scheide; einer OP im Bereich des Bauchs, des Beckens, der Leisten oder des Rückens; einer besonderen Stresssituation).

Ich habe zwar Beschwerden, die sich wie eine Entzündung anfühlen, aber selten oder nie einen handfesten bakteriologischen Befund.

Ich habe immer wiederkehrende bakterielle Blasenentzündungen.

Durch längeres Sitzen oder Stehen verschlechtern sich die Beschwerden.

Durch Kälte verschlechtern sich meine Beschwerden.

Ich bin sehr kälteempfindlich und versuche immer, mich warm zu halten.

Ich habe Stellen am Körper, bei denen schon leichte Berührungen unangenehm sind oder die sie sich irgendwie taub anfühlen.

Durch Stress verschlechtern sich die Beschwerden.

Durch den Stuhlgang (währenddessen oder kurz danach) verändern sich die Beschwerden.

Die Ärzte sagen, mir fehlt nichts, aber ich spüre doch, dass ich etwas habe.

Eine Psychotherapie hat nichts an den Beschwerden geändert.

Das Antibiotikum half gar nicht.

Das Antibiotikum half nur ein, zwei Tage lang.

Ich habe schon gespürt, dass Bewegung wie Gehen oder Sport die Beschwerden bessern oder verschlechtern kann.

Manchmal bemerke ich, dass ich im Körper ganz angespannt bin.

Ich habe auch andere Beschwerden, wie Probleme mit der Verdauung, Sodbrennen und Übelkeit, Rückenschmerzen, Beinschmerzen, Schmerzen im Gesäß, Kopf- und Nackenschmerzen.

Ich fühle mich insgesamt steifer als noch vor einiger Zeit.

Ich habe schon bemerkt, dass ich manchmal ein wenig atemlos bin, etwa beim Sprechen, Treppensteigen oder wenn ich in Aufregung gerate.

Auswertung: Wenn Sie bei drei oder mehr Aussagen festgestellt haben, dass sie auf Sie zutreffen, kommen Verspannungen als Verursacher Ihrer Beschwerden infrage. Nachdem Ihre Beschwerden ärztlich abgeklärt worden sind, sollten Sie sich von einem kundigen Therapeuten oder einer Therapeutin untersuchen lassen. Wenn Sie Letzteres nicht wollen oder können und es allein versuchen möchten, ist der zweite Teil des Buchs für Sie besonders interessant. Dort gibt es einen großen Teil zum Thema »Übungen und Selbstbehandlungen«.

Was sind chronische Verspannungen?

Damit Sie sich die Folgen einer chronischen Anspannung verdeutlichen können, ballen Sie Ihre rechte Hand zur Faust, spüren Sie die Spannung in Ihrer Hand und halten Sie diese, zählen Sie dabei langsam bis fünfzehn, und schließen Sie so lang die Augen. Dann lösen Sie die Hand langsam. Sie spüren, wie das Blut wieder besser fließt, die Hand wieder lockerer wird, sich wieder bewegen lässt.

Stellen Sie sich nun vor, Sie hielten Ihre Hand stunden-, ja monatelang ständig zur Faust geballt. Was würde dann aus Ihrer Hand werden? Wie würde sie sich anfühlen? Könnten Sie damit einen feinen Pinselstrich ziehen? Mit chronisch angespannten Muskeln im Becken passiert nichts anderes: Sie schmerzen, lassen sich nicht mehr gut bewegen, sind schlecht durchblutet und beeinträchtigen die Funktionen der Organe und Strukturen, in die sie eingebettet sind.

Verspannungen können überall in den Muskeln und Bindegeweben oder Faszien des Körpers entstehen. Jeder kennt das: Nach einem langen Tag am Schreibtisch mit angespanntem Nacken tun Kopf und Schultern weh und fühlen sich verspannt an. Dann bewegen wir uns ein bisschen, kreisen mit den Schultern, lassen uns von unserem Liebsten den Nacken massieren, und alles ist wieder gut. Nicht so, wenn die Anspannungen andauern, sich nicht mehr lösen, dann entstehen aus chronischer Anspannung chronische Beschwerden. Das kann im Becken genauso passieren wie woanders im Körper. Nur: Was genau schmerzt eigentlich bei Verspannungen? Und wie entstehen diese Schmerzen?

Muskeln

Muskeln brauchen wir, um uns zu bewegen, Wärme zu erzeugen, zu atmen und so weiter. Ein Muskel besteht aus einzelnen Fasern, wie jeder weiß, der schon mal etwas davon zwischen den Zähnen stecken hatte, nachdem er ein Stück Fleisch gegessen hat. Diese Strukturen kann man noch mit dem bloßen Auge erkennen. In den Fasern finden wir kleinere Fäserchen, und das geht dann immer so weiter bis zur kleinsten Einheit, dem Sarkomer, das kann man nur noch im Mikroskop erkennen. Millionen davon müssen sich zusammenziehen, um die Seite eines Buchs umzublättern oder Wasser zu lassen. Wenn sich winzige oder größere Faseranteile in einem dauerhaft angespannten Muskel nicht mehr entspannen können, entstehen druckschmerzhafte Punkte, man nennt sie wie gesagt auch »Triggerpunkte« oder »Myogelosen« (siehe die Abbildung). Es sind winzige oder größere Faseranteile von dauerhaft verkrampften und verkürzten Muskeln, die sich nicht mehr entspannen können. Sie können in den äußeren Muskeln des Körpers oder innen im Becken auftreten.

Abbildung 1: Triggerpunkte in einem verspannten Muskel

Man sieht die kleinen Knötchen, die verdickten Stellen mit den Triggerpunkten. Die Fasern bleiben dann an dieser Stelle zusammengezogen und verlieren ihre Fähigkeit, sich wieder lang zu machen und glatt zu werden, so wie die Nachbarfasern. Meist gibt es in einem verspannten Muskel mehrere oder viele solcher Punkte.

Die kleinen verkrampften Stellen haben Folgen für das umliegende Gewebe: Eine davon ist, dass sich in der Region der Druck im Gewebe erhöht. Außerdem verlieren steife Fäserchen ihre Funktion als Minipumpe, die normalerweise dafür sorgt, dass Blut durch die kleinen Kapillargefäße fließen kann. Dadurch wird die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nahrung behindert. Doch nicht nur die Zufuhr ist erschwert, auch der Abfall aus den Zellen wird nicht mehr richtig entsorgt. Diese Veränderungen lösen Schmerzreize aus. Meist sitzt der Schmerz an dem Ort, an dem ein Triggerpunkt sitzt, oder irgendwo in der Nähe. Sie lösen aber nicht nur Schmerzen aus, wenn man darauf drückt, das könnte man ja vielleicht noch vermeiden. Leider tun sie auch ganz von allein weh, und sie schmerzen ebenfalls, wenn man versucht, den verspannten Muskel zu bewegen.

Letzteres kompensiert der Mensch, ob er will oder nicht, indem er die schmerzauslösende Bewegung meidet, was zwar natürlich ist, aber den Muskel immer steifer macht. Dieses Verhalten spiegelt sich in einer Schonhaltung wider. Schonhaltungen führen dazu, dass andere Muskeln mehr Arbeit bekommen, als ihnen guttut, sodass sie ebenfalls in Überlastung geraten und schmerzen, wodurch es leider sogar an ganz anderen Stellen anfängt wehzutun. Für Beschwerden im Bereich des Beckens und des Beckenbodens können verschiedene Muskeln in Betracht kommen, äußere Muskeln des Bauchs und der Hüften genauso wie innerhalb des Beckenbodens und der Beckenwände.

Bindegewebe und Faszien

Bindegewebe ist eine Gewebeart, die in vielen Regionen und Varianten im Körper vorkommt. Heute wird vielfach der Ausdruck »Faszie« verwandt, wenn damit das Bindegewebe im Bereich der Körperfunktion Bewegung gemeint ist (vom lateinischen fascia für »Binde, Streifen, Bandage«). In diesem Buch verwenden wir den Begriff »Bindegewebe« analog zum Begriff »Faszien«. Beide sind erst in jüngerer Zeit Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung geworden. Zahlreiche Veröffentlichungen verweisen auf seine Rolle bei der Entstehung von Schmerzen und bei der Bewegung (Guimberteau und Armstrong 2016; Pohl 2010; Stecco und Stecco 2016).

Muskeln sind nicht denkbar ohne Bindegewebe und Faszien, sie würden ohne diese Strukturen auseinanderfließen und könnten keine Fasern und Fäserchen bilden. Ähnlich, wie eine Orange nur ihre charakteristischen Schnitze und Fasern des Fruchtfleischs bekommt, weil sie durch feines und weniger feines Bindegewebe in einzelne Strukturen unterteilt und zusammengehalten wird, ist es auch mit den Muskeln und dem Bindegewebe.

Abbildung 2: Arbeitseinheit Faszien (Bindegewebe) und Muskeln (©fascialnet.com)

In der Abbildung können Sie die rosa Muskelfasern und die weißen Faszien und Bindegewebe erkennen. Beide bilden zusammen eine Arbeitseinheit. Sie können auch sehen, wie der ganze Muskel außen umhüllt ist von Bindegewebe, das sich schließlich zu einer Sehne verdichtet, die zum Knochen läuft. So werden Kräfte übertragen von den Muskeln zu den Knochen, die Bewegung ermöglichen. Dachte man früher, dass nur die Sehnen die Kraft aus den Muskeln auf die Knochen übertragen, weiß man heute, dass das Bindegewebe hier eine viel größere Rolle spielt und dass einige Muskeln hauptsächlich über Faszien funktionieren.

Bindegewebe ist elastisch, kann sich anpassen, kann Kräfte übertragen und ermöglicht das Gleiten der einzelnen Schichten und Strukturen im Körper. Jedes Organ, auch die im Becken, sind von Bindegewebe umhüllt. Seine Dehnbarkeit sorgt zum Beispiel dafür, dass die Blase sich weiten und zusammenziehen kann, je nachdem, wie gefüllt sie ist. Die Bänder, mit denen die Beckenorgane flexibel aufgehängt sind, bestehen ebenfalls daraus.

Bindegewebe besteht aus Flüssigkeit, Zellen und Fasern, die auf mikroskopischer Ebene gitternetzartige Strukturen bilden. Man kann es sich vorstellen wie ein allumfassendes Netz, das die einzelnen Strukturen des Körpers miteinander verbindet, und zwar von den Tiefen der Organe und Knochen über die Muskeln bis an die Körperoberfläche unter der Haut.

Es enthält eine große Menge verschiedener Rezeptoren, die fortlaufend Reize aufnehmen. Über Nerven werden diese Reize an die Zentrale, also das Gehirn, weitergeleitet. Es gibt Rezeptoren für Wärme, Kälte, Streicheln, Druck, Schmerz, Juckreiz und so weiter. Damit aber unser Gehirn weiß, ob wir unser Bein gerade gestreckt haben oder gebeugt (ohne hinzusehen), haben wir die Propriozeption. Das Zungenbrecherwort meint die innere Körperwahrnehmung. Dieses Sinnesorgan funktioniert den ganzen Tag, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Schon wenn wir aufwachen, spüren wir, dass wir auf dem Bauch liegen und den Kopf nach rechts gedreht haben, es warm unter der Decke ist, und das verdanken wir ebendieser Propriozeption.

Alle diese Wahrnehmungen nehmen wir mit den Rezeptoren in unseren Bindegeweben von Haut, Muskeln und Gelenken auf. Bindegewebe und Muskeln zusammen machen ungefähr 40 bis 50 Prozent unseres gesamten Körpergewichts aus. Das ist eine ganze Menge, und gemessen daran haben sie in der Medizin lange Zeit wenig Aufmerksamkeit bekommen.

Wie die Muskeln kann sich auch Bindegewebe zum Schlechten verändern. So hat man festgestellt, dass sich Faszien bei Stress und Entzündung und Verletzung zusammenziehen können (Guimberteau und Armstrong 2016). Hält dieser Zustand an, nennen die einen das »Verfilzung«, die anderen »Verklebung«, wieder andere sagen, es sei verspannt. Das spielt für uns in diesem Buch weniger eine Rolle. Auf jeden Fall fühlt es sich für Therapeuten zäh und dick an. Und es kann dann gewaltige Schmerzen und Missempfindungen erzeugen. Es kann »nur« wehtun, es kann einem davon übel werden, es kann brennen, jucken, sich taub anfühlen oder wahnsinnig kälteempfindlich werden. Das kommt, weil es so viele Rezeptoren enthält. Wenn das Bindegewebe als Hülle um die Muskelfasern herum verspannt und trocken ist, behindert es natürlich die freie Bewegung des Muskels. Das kann man sich vorstellen, als würde man ein Rinderfilet in Vakuum packen lassen, die feste Hülle macht auch das Fleisch unbeweglich und steif.

Wie entstehen Schmerzen?

Mancher wünschte sich, keine Schmerzen empfinden zu können, doch die Wahrheit ist, dass wir Schmerzen zum Überleben brauchen. Sie sind ein wichtiges Warnsignal für uns; gäbe es sie nicht, hätten wir keinen Grund, mit einem gebrochenen Fuß stehen zu bleiben. Schmerzen machen uns auf ein Problem aufmerksam und wenden weiteren Schaden von uns ab. Auf der Welt gibt es etwa hundert Menschen wie Meggie Zahneis, die junge US-Bürgerin kann durch eine extrem seltene Genmutation keine Schmerzen empfinden, aber leider ist das ziemlich gefährlich, denn sie spürt keinen Grund, zum Arzt zu gehen oder mit dem Kratzen an einem Stich aufzuhören, auch wenn’s blutet, denn es tut ihr absolut gar nichts weh.

Schmerzen werden von winzig kleinen Nervenendigungen im Gewebe ans Gehirn geschickt. Man nennt sie »Nozirezeptoren«. Manche Schmerzsignale führen zu einem Reflex wie, die Hand von der heißen Herdplatte zu ziehen. Das passiert bereits im Rückenmark und ist keine bewusste Handlung. Wir handeln also, ohne darüber nachzudenken, denn das würde in dem Fall zu lange dauern, und der Schaden würde dadurch größer werden. Eigentlich also eine sehr schlaue Sache, das Ganze. Die meisten Schmerzsignale dringen aber weiter vor als bis zum Rückenmark, nämlich bis ins Gehirn, in unser Bewusstsein, und werden dort weiterverarbeitet. Hier können wir darüber nachdenken, sie bewerten, uns an sie erinnern, etwas entscheiden und etwas unternehmen.

Nehmen wir an, ein Angestellter in einem Büro hat einen arbeitsreichen Tag. Er bekommt Kopfschmerzen und denkt: »Hm. Mal wieder vergessen zu trinken vor lauter Arbeit«, nimmt sich ein großes Glas Wasser und trinkt es aus. Vielleicht schaut er dabei aus dem Fenster oder lässt frische Luft herein. Dann hat der Schmerz seine Funktion erfüllt, nämlich ihn darauf aufmerksam zu machen, dass dem Körper Wasser und Sauerstoff fehlen und sein Gehirn eine kleine Pause braucht.

Schmerzen sind ein Symptom, dass irgendwo im Körper etwas nicht stimmt und wir uns darum kümmern sollen.

Je nachdem, wie wir Schmerzen bewerten und welche Erfahrungen wir damit haben, leiden wir mehr oder weniger darunter. Wenn wir denken, dass es sich um etwas Harmloses handelt, das wieder von allein vergehen wird, empfinden wir den Schmerz weniger dramatisch, als wenn wir denken, dass der Schmerz Symptom einer ernsten Krankheit ist oder nicht mehr weggehen könnte. Dazu ein Beispiel: Ein Mensch, der schon einmal in seinem Leben sehr starke Rückenschmerzen hatte und ein Jahr lang deswegen arbeitsunfähig war, wird beim erneuten Auftreten von auch nur leichten Rückenschmerzen andere Gefühle und Gedanken haben als einer, der damit noch nie Probleme hatte und annimmt, dass es morgen wieder weg sein wird. Schmerz ist mit Gefühlen verbunden und seine Bewertung von Erfahrungen und Erwartungen abhängig.

Wie können verspannte Muskeln und BindegewebeSchmerzen auslösen?

Schmerz- oder Nozirezeptoren finden sich in Muskeln und Bindegewebe in großer Anzahl, nicht nur im Becken. Wie alle Rezeptoren im Körper werden auch die Nozirezeptoren durch bestimmte Umstände gereizt, also aktiv, und senden dann Schmerzsignale. Welche Reize lösen nun Schmerzsignale aus? Es sind mechanische, thermische und chemische Reize. Auch Entzündungen und Sauerstoffmangel erzeugen Schmerzreize.

Schmerz durch mechanische Druckreize

Druck kann Schmerz auslösen, das weiß jeder, der sich schon mal den Finger eingeklemmt hat. Wenn wir noch einmal an die winzigen Sarkomere denken, also die allerkleinsten Muskelfäserchen und ihre bindegewebigen Umhüllungen in unseren Beckenmuskeln, können wir uns vorstellen, wie Druck entsteht, wenn sie sich millionenfach zusammenballen, dort, wo ein oder sogar viele Triggerpunkte sind. Dieser Druck ruft die Nozirezeptoren auf den Plan, sodass wir Schmerzen empfinden.

Schmerz durch Sauerstoffmangel

Wir können eine Weile nicht essen und trinken, wodurch uns Nährstoffe und Wasser fehlen, das kann Hunger und Kopfweh auslösen, doch wir sterben nicht gleich daran. Anders ohne Sauerstoff: Unsere Körperzellen reagieren sehr empfindlich auf Sauerstoffmangel, nach wenigen Minuten bricht unser Kreislauf zusammen, und wir würden sterben. Deswegen bringt Sauerstoffmangel uns immer in Alarmstimmung. Denken wir jetzt wieder an unsere Sarkomere und die Tatsache, dass sie durch Steifheit ihre Funktion als Minipumpen verlieren, verstehen wir, dass die Schmerzrezeptoren Alarm schlagen, wenn ein anhaltender Sauerstoffmangel durch die schlechte Durchblutung sie reizt.

Schmerz durch schlechte Entsorgung und Zellmüll

Die Durchblutung im Körper sorgt nicht nur für die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen, sie kümmert sich um den Abtransport von Kohlendioxid und anderen Abbauprodukten des Stoffwechsels, die wir nicht mehr brauchen. Schlechte Durchblutung heißt damit auch schlechte Entsorgung, weil Zellmüll nicht abtransportiert wird. Das kann kleine Entzündungen auslösen. Schon ein entzündeter Pickel kann wehtun. Was aber, wenn wir wieder durchs Mikroskop auf unsere Sarkomere schauen? Hier können sich viele ganz kleine lokale Entzündungen bilden, dort, wo nämlich die Müllabfuhr nicht mehr funktioniert, weil die Durchblutung nicht mehr klappt, können durchaus kleine Entzündungen entstehen. Sie kommen dann von innen heraus und nicht durch äußere »Feinde« wie Bakterien oder Viren und sind Folge der schlechteren Durchblutung.

Abbildung 3: So entstehen Schmerzen bei Verspannungen

Organe des Beckens und Verspannungen

Bei Muskeln denken die meisten natürlich zuerst an die großen sicht- und fühlbaren Muskeln, zum Beispiel im Oberarm wie bei Popeye. Oder das Sixpack am Bauch, das sich viele wünschen. Diese Muskeln werden in der Medizin »Skelettmuskulatur« genannt, weil man mit ihnen die Knochen des Skeletts bewegen kann. Daneben gibt es aber viel weiteres Muskelgewebe, auch im Becken! Zum Verständnis von Beschwerden im Becken können Sie sich bewusst machen, dass Organe im Becken mit Muskulatur und Bindegewebe durchsetzt, davon umgeben und daran befestigt sind. Die Muskelfasern der Beckenorgane haben eine andere Steuerung und andere Struktur als die Skelettmuskeln, das spielt im Moment aber keine Rolle. Verspannungen und Krämpfe sowie damit einhergehende Schmerzen und Funktionsstörungen gibt es auch hier (Prendergast und Rummer 2016).

Die Blase zum Beispiel ist selbst ein hohler Muskel, der mit einer besonderen Schleimhaut und einer Menge Bindegewebe ausgestattet ist. Sie kann sich entleeren, weil sie Muskelfasern hat, die sich zusammenziehen können; und sie kann deswegen auch krampfen. Sie ist über die Muskeln des Beckenbodens und Bindegewebe in das Becken eingebettet und liegt direkt unter den Muskeln und Faszien der Bauchwand. Auch diese Gewebe können verspannt sein. Die daraus entstehenden Schmerzen können sich genau wie Blasenschmerzen anfühlen, weil sie aus der gleichen Region kommen.

Die Scheide ist ein kurzer Schlauch aus Muskel- und Bindegewebe und Schleimhaut, die Gebärmutter ist ein muskuläres Hohlorgan. Sie ist genau wie die Blase mit Muskeln und Bindegewebe im Becken flexibel befestigt. Der Penis ist von einer Muskelhülle umgeben, von der Oberfläche des Hodens zieht ein Muskel bis weit in die Leiste hinein. Die Prostata besteht aus Drüsen- und Muskelgewebe, sie liegt direkt auf den Muskeln des Beckenbodens auf und ist nach vorn zum Schambein mit einem Band verbunden, das aus bindegewebigen Fasern und Muskelfasern besteht. Der Damm ist eine Fläche aus Muskeln, die besonders stark von bindegewebigen Fasern durchzogen ist. Der Anus ist ein ringförmiger Muskel, der mit anderen Strukturen verbunden ist. Das Rektum ist ein muskulärer Schlauch, der sich bewegen kann, sonst könnten wir keinen Stuhlgang haben. Scheidengewebe kann Schmerzpunkte enthalten, das Bindegewebe von Blase und der Harnröhre druckempfindlich sein, auch ohne Entzündung!

Auch Organe des Beckens enthalten Muskelgewebe und können verkrampfen.

Verspannungen um die Organe herum können sich auf die Organe auswirken. Wenn nämlich Versorgung und Entsorgung nicht mehr richtig funktionieren, ist dies für die Organe auch ein Problem. Die Autoren David Wise und Rodney A. Anderson schrieben dazu: »Der Zustand chronischer Verkrampfung führt zu schmerauslösenden Triggerpunkten, Spasmen und chronischer Hypertonizität (Überspannung im Gewebe), reduziertem Blutfluss und einem feindlichen Umfeld für Nerven, Blutgefäße und Strukturen im gesamten Beckenbereich« (Wise und Anderson 2015). Und Sanitätsrat Dr. A. Müller merkte dazu an: »Eine sehr häufige Folge des Hypertonus der Beckenmuskulatur sind ferner Zirkulationsstörungen (Durchblutungsstörungen) in den Organen des kleinen Beckens … Der Hartspann der Beckenmuskulatur disponiert also zu infektiösen Erkrankungen« (Müller 1926).

Weniger medizinisch ausgedrückt: Stellen Sie sich Ihre Wohnung vor. Wenn die Versorgung nicht mehr funktioniert, haben Sie keine Heizung mehr, und Ihnen wird kalt, Sie haben kein Wasser, keinen Strom, und bald funktioniert gar nichts mehr. Wenn dann die Entsorgung streikt, wissen Sie nicht mehr, wohin mit dem Müll, dem Schmutz, dem Abwasser. Wie soll ein Mensch sich da noch wohlfühlen, funktionieren können? Im Becken ist es so ähnlich: Die Organe brauchen ebenfalls eine saubere Wohnung mit Sauerstoff, Nährstoffen und Wärme, sonst wird’s ihnen ziemlich ungemütlich. Eine verminderte Durchblutung, eine aufgewühlte verspannte Umgebung tun ihnen nicht gut.

Haben Sie schon einmal Zahnschmerzen gehabt, ohne sagen zu können, welcher Zahn es ist, der wehtut? Das kann auch beim Beckenschmerz der Fall sein: So kann ein Schmerz, der als Blasenschmerz wahrgenommen wird, von Verspannungen im geraden Bauchmuskel herrühren. Beides liegt einfach eng beisammen, und dann weiß man gar nicht ganz genau, ob es die Blase oder ein Schmerzpunkt im geraden Bauchmuskel ist. Wussten Sie, dass Ihr gerader Bauchmuskel bis auf Ihr Schambein geht? Sie können es überprüfen. Wenn Sie im Sitzen den Kopf gegen Widerstand einer Hand an Ihrer Stirn nach vorn beugen, fühlen Sie mit der anderen Hand, wie es sich auf Ihrem Schambein anspannt. Das ist der gerade Bauchmuskel. Beim Behandeln stellen wir es oft fest: Der Druck auf den Schmerzpunkt eines verspannten Muskels kann Schmerzen oder Missempfindungen auslösen, die in einem »Organ« gespürt werden. Manchmal kann das sogar ein weiter entfernter Bereich sein.

Dauerspannungen in den Muskeln und im Bindegewebe des Beckens können zu Schmerzen führen, die in den Organen gespürt werden oder in sie ausstrahlen.

Woher kommen die Verspannungen? Die häufigste Ursache ist eine Überbelastung, sie kann durch verschiedene Einflüsse entstanden sein. Eine Hauptursache sind Fehlhaltungen und die Gewohnheit, sich ständig anzuspannen. Auch gar nichts zu tun ist eine Belastung für das Gewebe, denn es ist auf Bewegung angewiesen, damit es gut durchblutet ist und funktionieren kann. Gab es in der Krankengeschichte eine Entzündung, etwa der Blase oder der Prostata, kann dadurch eine Dauerspannung zurückgeblieben sein, genau wie bei Operationen, Verletzungen oder nach einem Unfall. Große Hämatome zum Beispiel können Verspannungen im Bindegewebe zurücklassen oder Schnitte, Risse und Narben. Dauerstress ist ebenfalls ein Faktor bei der Entstehung von Beckenproblemen, er erhöht nämlich die Spannung der Muskulatur. Diese Spannungen können den Patienten bewusst sein, müssen es aber nicht. Viel öfter ist ihnen ihre Anspannung nicht bewusst, vor allem, wenn sie schleichend kam, sodass sie sich allmählich daran gewöhnt haben. In Teil 2 werden diese Faktoren ausführlich erklärt, und Sie können erkennen, welche Ursachen bei Ihnen selbst Beschwerden bewirken.

Warum es so schwer ist, eine Diagnose und Therapie zu finden

Falls Sie jetzt fragen sollten: »Wenn das wirklich alles stimmt, warum habe ich dann noch keine effektive Behandlung meiner Beschwerden erfahren?«, haben Sie recht. Ich glaube, dass an dieser Misere Unkenntnis und einige falsche Annahmen schuld sind. Ein paar davon sind ziemlich verbreitet. Wissen Sie noch, dass man früher dachte, Spinat enthielte viel Eisen? Das ist ein Paradebeispiel für einen Irrtum, der zwar wissenschaftlich längst aufgedeckt war, aber trotzdem weiter umherging. Noch jahrzehntelang wurden Kinder mit großen Portionen Spinat traktiert, weil man immer noch dachte, er hätte so viel gesundes Eisen.

Unkenntnis und verbreitete Irrtümer, die bei der Diagnostik und Therapie von Beckenbeschwerden eine Rolle spielen, sind etwa die folgenden:

 

Die Patienten werden nicht auf Verspannungen untersucht. Es gibt keinen Facharzt für Muskeln und Bindegewebe. Was Sanitätsrat Dr. Müller schon 1926 verlangte, ist heute erst recht wichtig: die Patienten anzufassen! Man kann ein dynamisches Beckenboden-MRT oder ein Elektromyogramm machen. Man kann auch einfach seinen Tastsinn und die Hände benutzen.

Verspannungen sind meistens keine Begleiterscheinung, sondern die Ursache der Beschwerden. Falls bei der fachärztlichen Abtastung von Rektum, Vagina oder Prostata Schmerzpunkte in der Muskulatur gefunden werden, halten manche Untersucher diese nur für eine Begleiterscheinung und nicht für die Ursache der Beschwerden. Wenn aber die Ursache nicht als solche erkannt wird, kann auch keine kausale Therapie erfolgen. Natürlich gibt es auch Verspannungen als Begleiterscheinung organischer Erkrankungen. Jedoch können sie auch primär die Ursache sein (Shoskes et al. 2008).

Entzündungen müssen ausgeschlossen werden, aber sie sind nur in 5 bis 7 Prozent die Ursache für Beckenbeschwerden. Hier sind sich die medizinischen Fachautoren wirklich einig. Wenn Keime die Ursache sind, wird man das im Labor feststellen. Ist keine ausreichende Anzahl von Keimen nachweisbar, kann eine Infektion auch nicht die Ursache sein. In Ermangelung besserer Ideen werden manchmal trotzdem Antibiotika verordnet, die aber in der Regel nicht helfen. Wen wundert’s? Dieses Verhalten wird zwar einerseits von Ärzten infrage gestellt, ist aber gleichzeitig sehr weitverbreitet (Günthert 2004).

Die Beschwerden können auch ohne psychische Traumen entstehen. Es wird manchmal schnell angenommen, die Ursachen der Beschwerden seien rein psychischer Natur, Ausdruck von Depressionen oder Folgen von Traumata. Aber Dauerkontraktionen in Muskeln und Faszien können viel öfter durch andere Belastungen entstehen, etwa durch Stress, vorangegangene Entzündungen, Operationen oder schlechte Bewegungsorganisation und Fehlhaltungen. Letzteres ist ungeheuer oft der Fall. Ich werde noch sehr viel genauer darauf eingehen (Pohl 2010).

Auch wenn die Psyche beteiligt ist – die Verspannung sitzt im Körper. Wenn die Ursachen von Beckenbeschwerden nur seelischer Natur wären, müsste eine Psychotherapie ja die Beschwerden verringern oder beseitigen, was aber häufig nicht der Fall ist. Natürlich spielen Stress und Angst eine Rolle bei der Entstehung chronischer Anspannung, und wir werden später noch genauer darauf eingehen. Auch wenn die Ursache einer Verspannung in Stress oder Trauma liegt, so löst sich die dadurch verursachte und unterhaltene Veränderung der Muskeln und Faszien leider nicht allein durch die Behandlung der Psyche (Pohl 2010).

Es ist nicht nur der Beckenboden. Sehr viele Patienten, aber auch manche Fachleute denken, es ginge bei der Diagnostik und Therapie von Verspannungen im Becken nur um den Beckenboden. Das stimmt nicht. Der Beckenboden ist nur ein kleiner Teil der Muskeln des Beckens. Beim Beckenschmerz ist aber meist das ganze Becken mit seinen Verbindungen zum Oberkörper und zu den Beinen in Mitleidenschaft gezogen. Deswegen ist eine reine Beckenbodenbehandlung oder Prostatamassage oft nicht sehr erfolgreich. Sie greift einfach zu kurz (Prendergast und Rummer 2016).

Der Beckenboden ist nicht zu schwach. Die Ansicht, das Problem liege darin, dass der Beckenboden zu schwach sei, führt zu Trainingsprogrammen mit dem Ziel der Kräftigung, die aber in den meisten Fällen nicht helfen, sondern die Beschwerden verschlimmern können (Amherd 2011). Denn wenn die Ursache ein zu hoher Muskeltonus ist, ist es keine gute Idee, diesen noch zu verstärken. Besser sind sanfte Bewegungen, die den Patienten die Zustände von Spannung und Entspannung bewusst machen und ihnen helfen, wieder die Regie zwischen den beiden Polen Anspannung und Entspannung zu übernehmen (Prendergast und Rummer 2016).

Chronische myofasziale Verspannungen lösen sich in der Regel nicht wieder von allein. Muskeln und Bindegewebe sind wirklich in einem unguten Zustand, und es ist meist notwendig, geeignete therapeutische Verfahren anzuwenden, um die Kontraktionen aufzulösen und alles wieder in Bewegung zu bringen, von allein verschwinden sie oft nicht, auch wenn der ursprüngliche Auslöser lange her ist. Außerdem ist den Patienten die Anspannung oft gar nicht bewusst, sie spüren nur die negativen Auswirkungen davon. Und wie soll man etwas lockerlassen, wovon man gar nicht spüren kann, dass man es anspannt?

Für die Diagnostik von chronischen Schmerzen im Becken ohne organischen Befund ist eine systematische Untersuchung auf Verspannungen in Muskulatur und Bindegewebe sinnvoll.

Nach der Untersuchung und Diagnose könnte eine Therapie beginnen, die an den Ursachen ansetzt. Dabei stellt sich gleich die nächste Frage: Wie sind myofaszial bedingte Beckenschmerzen zu behandeln? Es gibt verschiedene Therapien, die sich um Muskeln und Bindegewebe kümmern, die Pohltherapie® ist eine davon, mit der man in der Regel gute Ergebnisse erzielen kann, auch wenn es manchmal Geduld braucht.

In meiner Praxis erzählen Patienten zuweilen, dass ihnen von ihren Ärzten gesagt worden sei, ihre Probleme seien wahrscheinlich muskulär bedingt, man wisse aber leider nicht, was man dagegen tun könne. Das ist unbefriedigend, aber ehrlich und immer noch besser, als das nächste Antibiotikum auszuprobieren.

Beschwerden

Die Liste der Beschwerden, die durch verspannte Muskeln verursacht werden können, ist wirklich lang. Die Symptome sind nicht bei jedem gleich, es sind ja auch nicht bei jedem die gleichen Muskeln verspannt. Das macht es für die Patienten schwer zu glauben, dass all diese scheinbar so unterschiedlichen Probleme wirklich »nur« durch Verspannungen bedingt sein können. Vielleicht haben Sie selbst Beschwerden, die Ihnen seltsam vorkommen, wie etwa das Gefühl, ein Golfball stecke in Ihrem Rektum fest. So etwas kommt einem ziemlich eigenartig vor, sodass man sich gar nicht vorstellen kann, dass es andere Menschen mit den gleichen Problemen gibt. Wir werden sehen, dass es noch mehr Beschwerden und Missempfindungen gibt, die vielleicht seltsam klingen, aber nicht selten sind.

Die meisten Patienten leiden an mehreren Symptomen. Die Beschwerden können sich im Verlauf der Erkrankung verändern, sie wandern, werden stärker, neue kommen dazu, eventuell verschwinden dafür andere. Das ist normal. Sie verstärken sich oft bei/nach dem Stuhlgang oder Wasserlassen. Selten werden sie dadurch besser, aber auch das kommt gelegentlich vor. Sie können während oder nach dem Orgasmus auftreten und dann stundenlang anhalten. Sie sind oft bei Stress und Aufregung stärker oder bei Kälte. Langes Sitzen kann sie auslösen oder verstärken. Seltener werden sie im Stehen stärker. Es gibt Patienten, die berichten, dass Gehen die Beschwerden bessert, auch das Gegenteil kommt vor. Manchmal können die Patienten den Beginn ihrer Symptome genau bestimmen, weil die Beschwerden plötzlich auftraten, nach einer Operation, nach dem Sturz auf das Steißbein oder nach einer extremen Stresssituation. Bei den meisten war die Entwicklung jedoch schleichend. Die Beschwerden waren erst nur vorübergehend oder leicht und verdichteten sich schließlich. Das kann Jahre, Wochen oder Monate gedauert haben. Folgender Fall stellt eine beispielhafte Patientengeschichte dar.

Fall: Beckenbodenbeschwerden eines Soldaten

Ein fünfzigjähriger Angehöriger der Bundeswehr stellt sich in der Praxis vor. Er leidet an Harndrang, leichter Inkontinenz (Urin), Schmerzen und Missempfindungen im Damm, dem Anus, dem Penis. Die Beschwerden im Anus fühlen sich an, als stecke dort etwas fest, was sich beim Stuhlgang nicht ausscheiden lässt, »so groß wie eine Walnuss«. Im Penis besteht »ein Ziehen«, eine Kältegefühl, das sich beim Wasserlassen verstärkt, im Dammbereich bestehen Schmerzen, die nach dem Orgasmus sehr stark werden können, sodass er nicht schlafen kann. Erektionsfähigkeit ist vorhanden, jedoch nicht im gewünschten Ausmaß. Er wacht manchmal nachts von Schmerzen auf, am Tag ist bei stärkeren Beschwerden das Sitzen unmöglich. Leichtes Gehen kann die Beschwerden manchmal bessern, manchmal, wenn sie sehr stark sind, verschlechtern.

Er berichtet, dass er schon immer »Stress und Ärger mit der Blase