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Was in einem Mietverhältnis so Alles passieren kann, ist hier geschildert und manchmal kaum zu glauben. Interessant ist dabei der Blick auf eine Minderheit von Mietern, die es einerseits nicht leicht hat, sich andererseits aber auch schlitzohrig, gerissen oder unerklärlich durchs Leben schlägt. Und wenn noch Kulturen aufeinandertreffen, kann so manche Kuriosität entstehen. Seltsame Erfahrungen mit Handwerkern und im Behördendschungel bleiben nicht unerwähnt...
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Seitenzahl: 236
Veröffentlichungsjahr: 2021
Für Gisela
Unter uns
Damit fing alles an
Die Miete ist sicher, die kommt von der Stadt
Zweiter Anlauf
Der dritte Fall
Kleintierzoo
Joel
Wasser im Keller
Brigittas Hausaufgabe
Die Alten
Frau Lange
Tauben unterm Dach
Kaninchen
Christian von der Post
Der Besuch einer Dame
Goldstrand
Eine rationelle Entscheidung
Rechtsempfinden
Im Sinne des Bürgers
Medizin-Studenten (m, w, d)
Andere Länder, andere Sitten
Die Spezialisten
Zwischen den Stühlen
Die Muskelhypothek
Die „lieben” Nachbarn
Die Eckkneipe oder: Nichts bleibt, wie es ist
Der Problemlöser
Inkasso für die Stadt
Danebengegangen
Dank
Zu guter Letzt: Das Ideal
Hand aufs Herz, sind wir nicht alle mal klein angefangen und waren Mieter, und zwar gute Mieter?
Jedenfalls die meisten von uns. Wirklich, solche Mieter, wie wir es sind oder waren, gibt es auch heute noch. Sie sind sogar in der Überzahl. Das ist gut so, denn ohne sie würde unser Zusammenleben gar nicht funktionieren.
Dabei sind und waren wir -fast immer- freundlich, zuverlässig, sauber, ordentlich und zahlten pünktlich unsere Miete. Jawohl, wir wussten damals und wissen auch heute noch, was sich gehört.
Aber genau deshalb, und obwohl in der Mehrzahl, ist es uninteressant, über uns zu berichten. Diese (gute) Seite des Themas ist sozusagen damit bereits vollständig und erschöpfend behandelt.
Sehr interessant dagegen ist der Blick auf eine Minderheit von Mietern die es einerseits nicht leicht hat, sich andererseits aber auch mit krimineller Energie, gerissen, schlitzohrig, unehrlich und unerklärlich durchs Leben schlägt.
Hat man es beruflich mit ihnen zu tun, ist es oft schwer erträglich, immer anstrengend, aber nie langweilig. Es ist immer etwas los, oft ist es spannend, aufregend, eigenartig und nicht selten teuer.
Alexander (Alex), unser Protagonist, brauchte starke Nerven und konnte sich manchmal nur an den Kopf fassen und ausrufen:
„Das kann doch nicht wahr sein!“
Plötzlich Vermieter ohne Erfahrung, hatte er alle Hände voll zu tun, sein Erbe zusammenzuhalten. Jedoch, immer motiviert, brachte er es auf den Punkt: „Der Mieter braucht eine Wohnung, der Vermieter braucht einen Mieter. Das muss doch unter einen Hut zu kriegen sein.“
Zugegeben, es ist oft nicht so einfach, den passenden Mieter oder die passende Wohnung zu bekommen. Im Internet sind auf diesem Gebiet erstaunliche Geschichten zu lesen. Zum Beispiel diese.
Bevor man es zum Mieter geschafft hat, ist man bekanntlich erst einmal ein Mietinteressent. Mit Hinweis auf die heutige besondere angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt in den Metropolen z.B. in München, Stuttgart, Berlin und Hamburg sagen Spötter, man wäre eher ein Bewerber und zwar ein Bewerber unter vielen.
Infolgedessen müsse man eine Bewerbung schreiben, möglichst mit einem Lebenslauf, Lichtbild, Verdienstnachweis und polizeilichem Führungszeugnis. Ohne diese Unterlagen hätte man kaum eine Chance, oder anders gesagt, wäre die Bewerbung von vornherein schon aussichtslos.
Ich lese zu meiner Verblüffung:
Auf eine Chiffre-Anzeige meldete sich eine Frau und erklärte, der Interessent (Bewerber) möge erst seinen Reinlichkeitssinn unter Beweis stellen, bevor er in die engere Wahl käme, einen Kehrwochentest machen und den Hausflur reinigen.
Das könne doch nur ein Scherz sein, meinte dieser. Keineswegs, erklärte die Vermieterin. Sie hätte in ihrem Leben zu viele schmuddelige Wohnungen und Treppenhäuser gesehen. Auch die Mülltonnen, die vor dem Haus stehen, müssen regelmäßig gewaschen werden, das kann auch nicht jeder.
Da könne man leider nur dankend ablehnen. Die Inserentin hätte wohl Ersatz für eine Putzfrau gesucht und mit dem Test den Hausflur reinigen wollen.
Wohngemeinschaften sind noch anspruchsvoller, wie ich gelesen habe. In Berlin veranstalten sie z.B. unter den Bewerbern einen Spültest, um einen geeigneten Kandidaten für ein 5m2 großes Zimmer zu finden.
Keine Frage, auch unter Vermietern gibt es schwarze Schafe. Über sie zu berichten wäre zu überlegen, würde aber den Rahmen dieses Buches sprengen.
Der Mieter an sich ist rätselhaft genug.
Lassen Sie sich überraschen.
Helmut Meinhövel
Hinweis:
Bei allen auf mehrere Personen bezogenen Bezeichnungen meint die gewählte Formulierung (z. B. Mieter) beide Geschlechter.
Die männliche Form wurde aus Gründen der leichteren Lesbarkeit gewählt.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder stattgefundenen Begebenheiten wären rein zufällig. Namen sind Schall und Rauch.
Die nicht unvermögende hochbetagte liebe Tante Adele war bis zuletzt relativ vital und bei klarem Verstand und dann doch plötzlich und unerwartet den Weg allen Irdischen gegangen. Sie war Witwe, hatte keine Kinder und hinterließ insofern ihrem Neffen Alexander und ihrer Nichte Brigitta zwei Mehrfamilienhäuser, ein gefülltes Konto bei der Sparkasse, sowie ein Testament. Sie wurde auch deswegen in allen Ehren und mit dem was sich sonst noch gehört, beigesetzt.
Die Beerdigung ging ins Geld, das sie aber vorausblickend zurückgelegt hatte. Die Testamentseröffnung verlief nüchtern und unspektakulär. Alexander hatte es schon geahnt, seine Schwester Brigitta bekam das Geld und das kleinere 6-Familienhaus zugesprochen. Er bekam das große Doppelhaus, das sogenannte Zinshaus.
Alexander hätte es gerne andersherum gehabt, war aber nicht ganz unzufrieden. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Er verstand die Entscheidung seiner klugen Tante. Auch, dass die Häuser in den nächsten zehn Jahren nur untereinander ansonsten aber nicht verkauft werden durften. Sie wollte ihre einzigen Nachkommen damit absichern, falls die Zeiten sich ändern sollten.
Tante Adele war belesen und kannte manchen Spruch. Auch diesen, den sie schon mal bedeutungsvoll zitiert hatte:
„Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es um es zu besitzen. Was man nicht nützt, ist eine schwere Last.“
Brigitta war ausgesprochen zufrieden mit ihrem Erbe.
„Die Tante war richtig clever“, meinte sie zu Alex und dachte dabei an sich und ihre Moneten. „Das große Haus hätte mich mit Sicherheit überfordert. Du hast dagegen auf dem Gebiet bereits Erfahrungen im Elternhaus gewonnen und bist handwerklich geschickt.“
„Das ist überhaupt nicht zu vergleichen. Ich befürchte, dass da noch einiges auf mich zukommen wird. Mein Doppelhaus ist ein Wiederaufbau nach dem Krieg. Dein Haus ist jünger, insofern bis du ganz gut dabei weggekommen.“
„Du kriegst das schon hin, wie ich dich kenne.“
„Kannst du dich überhaupt noch daran erinnern, wie das damals war, als unsere Eltern siedelten?“
„Nein Alex, nicht genau, ich bin ja drei Jahre jünger als Du. Ich weiß aber, dass du dabei über Jahre viel mitgeholfen hast. Oft hattest du keine Lust und wolltest mit deinen Kumpeln mit dem Fahrrad in die Haard fahren, deine Mithilfe war aber sehr wichtig.“
„Ich habe lediglich als Handlager Erfahrung sammeln können, als Vater in einer Siedlungsgesellschaft mit einer Gruppe Gleichgesinnter unser Haus gebaut hatte. In Selbsthilfe nannte man das damals.
Das bedeutete, nach Feierabend, samstags und sogar sonntagsmorgens, wenn es, ohne laut zu werden möglich war. Ich musste mithelfen, ob ich wollte oder nicht. Das gehörte sich so.“
„Eigentlich hatten sich unsere Eltern etwas zu viel vorgenommen“, ergänzte Britta, „Sie hatten praktisch kein Eigenkapital.“
„Ja, das war sehr mutig. Vater hatte allerdings als Maurer, in der Bauabteilung auf der Zeche beschäftigt, große praktische Erfahrungen im Hausbau gesammelt. Es hat ja dann auch geklappt, wie du weißt.“
„Das stimmt, das bedeutete allerdings drei entbehrungsreiche Jahre, Vaters Lohn reichte hinten und vorne nicht, sogar ich musste ein Mal wöchentlich Zeitschriften austragen“, ergänzte Brigitta.
„Ach ja, das hatte ich schon fast vergessen. Rückblickend war das aber auch spannend. Mittwochs wurden die Zeitschriften ausgeliefert und die ganze Familie saß am Küchentisch und las.“ Alex erinnerte sich. „Bis zu den Wochenenden mussten sie ausgetragen sein. ich war für die weitesten Wege zuständig, Vater für die schwierigsten Ortsteile. Das ging nur mit dem Fahrrad. Mutter und du für die Nachbarschaft. Jedes Mal musste kassiert werden. Man lernt die Menschen erst richtig kennen, wenn es ans Bezahlen geht. Bei einigen Kunden bekam ich immer Trinkgeld. Da ich monatlich von meinem Nettogehalt von 100,- DM immerhin 95,- DM Kostgeld berappen musste, war ich über jede zusätzliche Einnahme froh.
Einmal hat sich ein Kunde beschwert. Mit Recht, ich hatte in der Neuen Post ein Kreuzworträtsel vorsichtig mit einem Bleistift gelöst und danach vergessen, es wieder wegzuradieren.“
„Weißt du was sehr blöd war“, lachte Brigitta, „dieser Schweinestall im Haus, an den konnte ich mich überhaupt nicht gewöhnen. Da ein Schwein großzuziehen bis zur Schlachtreife, war geradezu abenteuerlich.“
„Ja, der Stall war aber für alle Siedler vorgeschrieben, warum auch immer, also wollte man ihn auch nutzen.“
„Da unsere Eltern aus der Landwirtschaft kamen, schien das auch zunächst kein großes Problem zu sein.“
„Aber der Gestank war nicht auszuhalten. Ende des Jahres war damit Schluss und Schlachtfest, -wie früher- meinten die Eltern. Ein tatkräftiger Metzger war im Bekanntenkreis schnell gefunden.“
„Der Tatort lag im Keller. Das Tier die Stufen hinunter in den Keller zu kriegen, war sehr schwierig. Es schrie fürchterlich als ahnte es, was kommen würde. Ich machte mich aus dem Staube.“
„Ich konnte das auch nicht mit ansehen.“, sagte Brigitta.
„Da es damals noch keine Kühltruhen gab, wurde alles was möglich war in Gläser eingekocht. Das bedeutete eine Menge Arbeit, insbesondere für Mutter. Die Mett-, Leber- und Blutwurst schmeckte hervorragend. Das Problem war, dass der Inhalt des Glases, einmal geöffnet, auch geleert, also aufgegessen werden musste.“
„Ich kann mich noch gut erinnern“, sagte Brigitta, „ich probierte nur einmal und das war’s, genauso wie Mutter, die dabei zufrieden an früher dachte, Vater aß 2-3 Schnitten dann brauchte er Abwechslung.“
„Das kann sein, ich mochte das gern“, ergänzte Alex, „so bekam ich täglich 10 Schnitten mit der gleichen Wurst mit zur Arbeit bis das Glas leer war. Ich hatte immer Hunger. Du weißt, dass das eine einmalige Aktion war, denn im Jahr darauf wurden Ställe gebaut, jeweils auf der Grenze zwischen den Grundstücken. Aus dem Schweinestall im Haus wurde ein Badezimmer. Im neuen Stall wurden Kaninchen gefüttert, an den Stall stellte Vater eine Bank, da saß er dann öfter abends wenn es warm war.“
„Das war aber ein schöner Rückblick, auf vergangene Zeiten“, zog Britta Bilanz. Man verabschiedete sich.
„Wir sehen uns.“ „Wir bleiben in Kontakt.“
Alex fand in die Gegenwart zurück. „Ich muss mich jetzt voll auf meinen Bau konzentrieren, damit mir das Erbe am Ende nicht doch noch zu einer schweren Last wird.“
Er vertiefte sich zunächst in die Unterlagen. Tante Adeles vorsintflutliches aber korrekt geführtes Mietbuch half dabei sehr. Das Haus „trug sich“ immerhin.
Die Einnahmen waren höher als die Ausgaben, wenn alle Wohnungen vermietet sind. Zwei Wohnungen standen leer, waren aber auf den neuesten Stand gebracht worden. Die Vermietung zu einem ansprechenden Preis hatte die Tante nicht mehr geschafft. Für Alex war klar: „Damit muss ich mich jetzt als erstes befassen, mit der Vermietung steht und fällt die Wirtschaftlichkeit des Hauses.“
Er sah sich zunächst die eine Hälfte seines Doppelhauses mit der Gaststätte und den leeren Wohnungen genauer an. Er kannte das Haus lediglich vom Vorbeigehen. Tante Adele und Onkel Conrad hatten es vor vielen Jahren erworben als die Mehrfamilienhäuser sehr preiswert angeboten wurden. Onkel Conrad war früher selbstständig und musste etwas für seine Altersversorgung tun.
Die Lage war mittelmäßig, die Wohnungen klein, ca. 35m2 auf der einen und 42m2 auf der anderen Seite des Flures. Die Wannenbäder waren ohne Fenster. Egal, er hatte das Haus jetzt am Hals und zum ersten Mal genau gesehen. Die Wohnungen waren auf jeden Fall vermietbar, der Bedarf an Singlewohnungen war groß.
Dann ging er in die Gaststätte und stellte sich der Wirtin vor.
„Es tut mir leid, das mit ihrer Tante“, sagte sie, „Ich bin im Grunde gut mit ihr ausgekommen. So manchen Mieter hab ich ihr besorgt.“
Die Wirtin machte einen guten Eindruck auf Alex. Wie sich herausstellte, hatten sie und ihre Kneipe einen guten Ruf. Sie war resolut, korrekt und penibel. Ihr Hund Rex, ein großer Schäferhundrüde, der sich oft in der Kneipe aufhielt, flößte darüberhinaus, wenn nötig, Respekt ein.
Sie fungierte offensichtlich als Vermittlerin der begehrten kleinen Wohnungen im Haus. Nicht ganz uneigennützig, denn die meisten jüngeren Mieter verkehrten dann auch bei ihr. Ein Wohnungswechsel im Haus sprach sich schnell herum und war nicht selten Thema an der Theke.
Auch jetzt hatte die Wirtin einen Interessenten für die obere freie Wohnung.
„Er sitzt da hinten“, sagte sie und deutete auf einen unscheinbaren dünnen Mann mittleren Alters der vorn allein an einem Tisch saß.
„Der scheint ganz in Ordnung zu sein, er ist eher zurückhaltend und unauffällig. Er verkehrt aber noch nicht lange bei mir. Es gibt Schlimmere als diesen harmlosen Typen. Der macht keinen Ärger, der hätte eine Chance verdient.“
Der Interessent hatte die Empfehlung der Wirtin mitbekommen. Er warf sich überraschend vor Alex auf die Knie, nahm seine Mütze ab und putzte damit symbolisch, jedoch übertrieben unterwürfig seine Schuhe.
„Ich bitte Sie inständig, mir die Wohnung anzuvertrauen, ich werde Sie nicht enttäuschen, bitte, bitte, bitte. Ihre Miete ist sicher, die bekommen Sie von der Stadt.“
Der Mann machte keinen schlechten Eindruck. Die „sichere Miete“ war für Alex ein wichtiges Argument, sodass er im Grunde positiv gestimmt war. Er fragte nach:
„Wieso wird die Miete von der Stadt übernommen, haben Sie keine Einkünfte?“
„Zurzeit nicht, ich bekomme Sozialhilfe, habe aber Aussicht, bald einen Job zu bekommen. Meine Bewährungshelferin unterstützt mich dabei. Ich bin unverschuldet in eine schwierige Situation geraten und brauche Hilfe. Bitte, bitte, helfen Sie mir. Ihre Miete bekommen Sie.“
Alex gab ihm ein Formular als Grundlage für einen eventuellen Mietvertrag.
„Füllen Sie das wahrheitsgemäß aus, ich brauche Ihre Personalien.“
„Wie ist Ihr Name?“
„Rompe, Willi.“
„Dann kommen Sie mal mit.“ Sie gingen in die oberste kleine Wohnung im 3. Obergeschoss, für das sich Rompe besonders interessierte. Das Wohn-Schlafzimmer war groß genug für eine Sitzgruppe und Schlafcouch. Im kleinen Korridor war Platz für einen Schrank oder ein großes Regal, das Badezimmer mit WC und Wanne war verhältnismäßig groß. Für die Heizung und warmes Wasser war eine eigene Gastherme vorhanden. Alles war in einem ordentlichen Zustand, Tante Adele sei Dank.
Alex war richtig stolz, dass ihm das alles nun gehörte. Jetzt konnte er „so mir nichts dir nichts“ seine erste Vermietung machen, ohne große Arbeit, mit einer sicheren Mieteinnahme.
„Nicht schlecht für den Anfang“, sagte er sich, „So wie Rompe aussah, war er sicher nur ein Mitläufer, kein Verbrecher im landläufigen Sinn. Solche Leute geraten eher in schlechte Gesellschaft und werden immer wieder rückgeworfen in ihrem Leben. Aber wie kommen diese Gestrandeten wieder auf die Beine? Sie brauchen Hilfe.“
Nach Rücksprache mit dessen Bewährungshelferin gab er ihm die Chance und einen Mietvertrag, mit dem Gefühl, ein gutes Werk getan zu haben.
Die junge Bewährungshelferin war auch froh über ihren sozialen Eingliederungserfolg und mit Alex einen seltenen Idealisten gefunden zu haben.
Die Miete kam pünktlich, das war für Alex schon mal positiv. Aber Rompe hatte komische Angewohnheiten, wie ihm berichtet wurde. Er hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Dazu gehörte auch die Mithilfe bei Wohnungsauflösungen. Viele Dinge von denen sich andere Leute trennten, gefielen ihm und er nahm sie mit in sein Appartement. Dazu gehörten ausrangierte und damit auch ausgetretene Veloursteppiche sowie unansehnliche Bilder und Drucke verschiedener Größe und Farben, mit denen er seine Wohnung verschönern wollte und doch eher das Gegenteil damit erreichte. Leider machte er damit in seiner Wohnung nicht halt, sondern dekorierte auch den Hausflur in seiner Etage. Dabei verzierte er die Bilder zusätzlich mit entsorgten Kunstseidenschals. Damit fiel er natürlich auf und bei Alex in Ungnade. Die Dekoration musste unverzüglich entfernt werden. Rompe war einsichtig und tat, was man ihm sagte.
Aber es war schon merkwürdig wie Rompe sich verhielt.
„Er muss nur in seine Schranken verwiesen werden, dann wird das schon gehen“ beruhigte sich Alex.
Dann wurde er von dem Studenten Carsten, der unter Rompe wohnte, angerufen. Es wäre Wasser die Treppe heruntergelaufen und zwar aus der Wohnung von Rompe.
Nach längerem Anschellen hätte der die Tür geöffnet. Offenbar hätte er nicht bemerkt, dass bei ihm Wasser aus der Therme lief. Carsten hatte den Wasserhahn zugedreht und damit das Wasser gestoppt.
Er meinte, dass Rompe wohl Wasser auffüllen wollte und dabei gestört oder eingenickt sei, eine andere Erklärung gäbe es nicht. Ein Schaden wäre nicht entstanden, die vielen Teppiche in der Wohnung wären allerdings durchnässt.
Im Übrigen wäre seit Tagen ein ungewöhnliches Kommen und Gehen und lautes Geschnatter im Flur und in der Wohnung zu vernehmen gewesen. Auch nachts, was sehr störend wäre. Carsten bat um Abstellung, er hätte zu arbeiten. Früher wäre das Haus ruhig gewesen, jetzt nicht mehr. Wenn das so weiter geht, müsse er ausziehen.
Alex war alarmiert. „Was ist denn aus dem kleinen, unscheinbaren Rompe geworden?“
Er fuhr noch am gleichen Tag abends zum Haus, auch auf die Gefahr hin, Rompe nicht anzutreffen.
Die Wohnungstür stand offen. In Rompes Bett lagen zwei zweifelhafte Damen.
Ein vierschrötiger, rotgesichtiger, ungesund wirkender Mann saß daneben, der wenig oder gar keine Notiz von Alex nahm. Auch die Damen waren müde und teilnahmslos, wahrscheinlich waren sie noch „high“. Das war die Schlussfolgerung von Alex, als er sah, dass die gebrauchten Spritzen noch auf dem niedrigen Tisch in der Mitte des Raumes lagen. Dort stand auch Rompe, klein, verloren, hilflos und erbarmungswürdig oder eher erbärmlich. Kein Wunder, dass auch Alex einmal Erbarmen mit ihm hatte. Er wollte ihm helfen, wieder auf die Beine zu kommen, und das, was er sah, war dabei heraus gekommen.
„Ich könnte mich selbst ohrfeigen“, dachte er.
Es war offensichtlich, sein bemitleidenswerter Mieter wurde von seinem Umfeld schamlos ausgenutzt und war nicht in der Lage, sich dagegen zu wehren.
Man konnte sich gut vorstellen, dass er in seinen Kreisen geprahlt hatte, dass er eine Wohnung besitzt, die dann prompt freudig von Wohnungslosen und anderen aus dem Milieu konfisziert wurde.
Anstatt auf ihn wütend zu sein, hatte Alex eher Mitleid mit ihm. Aber mit Rompe ging es nun so nicht mehr weiter.
Dem ganzen musste ein Ende gesetzt werden. Die Spritzen meldete Alex der in der Nähe gelegenen Polizeiwache.
Mit dem Dienststellenleiter kam er auch in einen persönlichen Kontakt. Der sagte: „Wir beobachten die Szene schon lange. Was sie erlebt haben, ist noch harmlos. Wir versuchen an die Hintermänner ran zu kommen. Im Moment können wir ihnen nicht viel helfen, aber halten Sie uns auf dem Laufenden.“
„Gerne, aber ist es nicht so, dass die ‚Szene‘ zusammenhält und wir, die andere Seite zusehen muss, wie sie zurecht kommt?“
„Ganz so ist es nicht, Sie hätten uns fragen können, ich möchte mein Revier sauber halten, und hätte Ihnen sagen können, was das für ein ‚Vogel‘ ist, und dass sie besser die Finger von ihm lassen sollten.“
„Das wäre natürlich Klasse“, atmete Alex auf.
„Sie können selbstverständlich keine Auskunft von mir verlangen, jedoch ein ‚Nein‘ oder ein ‚Ja‘, wenn Sie zukünftig einmal fragen.“
„Das genügt vollkommen, Danke.“
Danach informierte Alex die Bewährungshelferin seines Mieters.
„Jetzt hab ich wirklich geglaubt, ein gutes Werk getan zu haben und was hab ich erreicht: ein Desaster. Da wäre es besser gewesen, die Wohnung leer stehen zu lassen.“
„Das tut mit wirklich Leid, das war nicht vorauszusehen. Ich melde mich in der nächsten Woche bei ihnen. Ich habe was ‚läuten gehört‘, das Ihr Problem lösen könnte.“
Tatsächlich meldete sie sich und erklärte, dass Rompe beabsichtige, eine Polin zu heiraten. Die Polin wäre die treibende Kraft, die Heirat würde sie und ihren Sohn in die Lage versetzen, in Deutschland bleiben zu können. Diese Fälle seien gar nicht so selten, auch Scheinehen, bei denen Geld eine Rolle spielt, gäbe es.
„Ach nee, der Rompe verkauft sich nun selbst?“
„Man glaubt es nicht, aber das kann er nur einmal machen.“
Die Bewährungshelferin meldete sich einige Wochen später erneut.
„Ich habe die neue Adresse von Rompe. Er hat die Polin geheiratet und ist in die Wohnung seiner Frau gezogen und sich umgemeldet.
Seine Wohnung hat er damit praktisch aufgegeben. Bei ihm können Sie die Schlüssel abholen.“
Alex fuhr sofort hin und traf Rompe auch dort an. Die Polin (seine Frau) wohnte in einer blitzsauberen, geräumigen Wohnung mit ihrem kräftigen, ca. 17-jährigen Sohn. Beide hörten sich schweigend an, was Alex zu sagen hatte. Eine merkwürdige Situation. Alex forderte forsch die Wohnungsschlüssel. Auch hier stand Rompe wieder hilflos da und händigte ihm ohne weiteres die Wohnungsschlüssel aus.
„Sind das alle Schlüssel?“
„Ja.“
„Sie wohnen ja jetzt hier. „
„Ja“, sagte er nur.
„Haben Sie ihre Wohnung schon geräumt?“
„Ja, was noch drin ist, kann weg.“
„Und Ihr Keller?“
„Da ist nichts drin, ich habe ihn nicht genutzt.“
„Ich werde alles ausräumen und auf den Sperrmüll geben, einverstanden?“
„Ja.“
„Haben Sie Schlüssel nachmachen lassen?“
„Nein.“
Mit den Worten „Ihre Bewährungshelferin ist informiert“ verließ Alex den Tatort. Er atmete auf, „das passiert mir nicht nochmal“, sagte er sich und fuhr zu seinem Zinshaus. Für einen Zehner räumten zwei junge Burschen die Wohnung aus und stellten die wenigen Teile an die Straße, nachdem Alex bei der Stadt einen Termin für die Sperrmüll-Beseitigung erhalten hatte.
Die Wirtin hatte alles mitbekommen. „Das war aber ein kurzes Mietverhältnis“, sagte sie.
„Das kann man wohl sagen.“
„Einmal und nie wieder. Wenn die Miete von der Stadt bezahlt wird, dann scheint mir etwas faul an der Sache zu sein.“
Einige persönliche Fotografien, Mahnungen, Versicherungsbescheide, Abrechnungen über Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, Strafzettel wegen Schwarzfahrens usw., die Rompe achtlos liegen gelassen hatte, nahm er für alle Fälle an sich.
„Man kann nie wissen, was noch gebraucht wird.“
Rompe besaß früher einen Führerschein und ein Auto. Er war verheiratet und dann geschieden. Nichts Außergewöhnliches also, eher normal.
Alles war lückenhaft, deshalb gab es auch keine Informationen, aus denen man entnehmen könnte, wie ein Mensch in diese, seine Lage, gekommen ist. Irgendwann in seinem Leben muss es einen Bruch gegeben haben, oder es waren viele kleine Dinge seines Umfeldes die ihn, vielleicht völlig unschuldig, in seine prekäre Lage brachten.
Dazu wird auch seine Willensschwäche und verführbare Persönlichkeit beigetragen haben. In seinen Kreisen war jede Chance, die ihm gegeben wurde, aussichtslos.
Alex war klar, dass er Rompe nicht hätte ändern können.
Andererseits, wäre das vorauszusehen gewesen, als er ihm helfen wollte, einem Mann, dem nicht zu helfen war? Wohl kaum, man kann den Leuten schließlich nur vor den Kopf gucken.
Die Wirtin der Gaststätte, Frau Lehner, war erst seit ca. einem Jahr Pächterin des Bierlokals. Vorher war sie viele Jahre Taxifahrerin und eigentlich durch nichts zu erschüttern. Alex fand, dass Tante Adele mit ihr einen guten Griff getan hatte. Wann immer er in Sachen Hausverwaltung in der Nähe war, schaute er gern bei ihr herein. Die resolute, tatkräftige Witwe hatte zwar stets irgendwelche Wünsche parat, aber man kam mit ihr aus, schließlich und endlich musste man sich zusammenraufen. Bei der jetzt entstandenen Verpächter/Pächterin-Situation waren sie aufeinander angewiesen.
„Ihre Tante hat viele Dinge, die hier unbedingt noch verbessert werden müssen, „schleifen“ lassen. Die Herrentoilette zum Beispiel, schauen Sie sich das an, das kann so nicht bleiben“, begann sie wieder mal.
„Nun mal langsam, nicht alles auf einmal, ich schaue mir das alles an und dann sehen wir weiter“, unterbrach Alex sie, „Ich muss jetzt einmal die freien Wohnungen vermieten. Im Übrigen, ich werde jetzt öfter hier auftauchen, ich muss mich erst einarbeiten. Fast alles ist neu für mich.“
„Verstehe ich, da wird noch einiges auf Sie zukommen“, meinte sie, „Apropos Vermietung, ich habe einen Mieter für Sie.“
„Nicht schon wieder Einen, der kein Geld für die Miete hat.“
„Nein, nein, den kenne ich schon länger, das ist der Sohn meiner Küchenhilfe.“
„Für die Wohnung Rompe?“
„Ja, sie ist übrigens gerade hier und brät Frikadellen, die gehen hier ‚weg wie warme Semmeln‘. Keine brät sie besser als Frau Degen.“
„Änne, kommst du mal“, rief sie in die Küche, „aber nimm die Frikadellen vom Herd!“
Frau Degen setzte sich dazu. Sie war groß, blond, hatte ein rotes Gesicht, war korpulent und ca. 60 Jahre alt. Sie hatte drei Söhne aus ihrer ersten Ehe. Der Jüngste, um den es ging, war Mitte 20.
Von ihren drei Söhnen war er es, der am wenigsten gut geraten war.
Deshalb kümmerte sie sich um ihn besonders. Sie hatte ihn im Griff, wie die Wirtin meinte. Der Jüngste hätte die Figur wie seine Mutter, meinte sie, und er wäre sehr groß, dick und stark, jedoch gutmütig und leichtgläubig, hätte nichts gelernt, wäre aber willig und zurzeit als Türsteher tätig in einem Frühcafé, das bereits um vier Uhr morgens öffnete. Ohne seine Mutter wäre er „aufgeschmissen“. Sie kümmerte sich auch um seine Finanzen. Sie wohnte ganz in der Nähe.
„Wir bringen die Wohnung Rompe wieder „in Schuss“, die Miete wird einwandfrei überwiesen, ich stehe dafür gerade, ganz bestimmt. Ich habe ihn hier unter Kontrolle“, kämpfte Frau Degen für ihren Sohn.
„Meine ehemalige Schwiegertochter, die Frau meines zweiten Sohnes, wohnt auch hier im Haus.“ Auch wenn sie von ihm geschieden war, hätten sie ein gutes Verhältnis miteinander. „Mein Sohn war schuld“, sagte sie.
Alex kapitulierte, bei soviel Fürsprache konnte er nur ja sagen, obwohl er seinen neuen Mieter noch nicht kennen gelernt hatte. „Sei’s drum, er ist auf jeden Fall besser als Rompe.“ „Ok Frau Degen, ich bin einverstanden, er bekommt den Mietvertrag.“
„Danke, ich spendiere Ihnen auch eine große Frikadelle und ein Bier.“
„Eine Kaution verlange ich aber auch.“
„Kein Problem.“
Die „Küchenfee“ war in Ordnung.
„Ich komme am Freitag-Abend vorbei, dann machen wir den Mietvertrag!“
„Gut so!“
Eigentlich durfte in diesem Fall nichts schiefgehen. Die Miete war auch hier wieder sicher. Alles Andere lag in den Sternen.
Die Frikadelle schmeckte herrlich, das Bier dazu - Mmm!
Wie vereinbart waren Mutter und Sohn Dieter am darauffolgenden Freitag in der Gaststätte. Alex hatte den Mietvertrag vorbereitet.
Dieter machte einen guten soliden Eindruck, war sehr groß, ein ruhiger Vertreter, für sein Alter etwas zu korpulent aber dafür als Türsteher besonders gut geeignet. Die Wohnung kannte er. Seine Mutter führte das Gespräch.
„Hier musst du unterschreiben“, sagte sie zu ihrem Sohn. Der gehorchte. Mutter und Sohn bekamen je einen Haus- und Wohnungsschlüssel. Eine formale Übergabe der Wohnung war nicht erforderlich. Alex bekam eine Monatsmiete Kaution in bar von der Mutter.
„Ich habe einen Dauerauftrag für die Miete von meinem Konto eingerichtet“, sagte sie anschließend und bedankte sich bei Alex. „Sie werden das nicht bereuen, dafür sorge ich.“
Alex war zufrieden, er hatte ein gutes Gefühl bei der Sache.
Hoch motiviert, ging Alexander daran, die nächste Nuss zu knacken.
In der noch leerstehenden Wohnung wohnte bis vor kurzem ein Tamile aus Sri Lanka. Er war Student an der Uni Essen. Wie der Hausverwalter von Tante Adele berichtete, war er lange Zeit freundlich und aufgeschlossen, doch plötzlich verschlossen und zurückhaltend und hatte die letzte Miete nicht gezahlt. Darauf angesprochen erklärte er, er hätte sehr schlechte Nachrichten von zu Hause. Es gäbe dort vielerorts Unruhen und Gewalttätigkeiten. Er mache sich große Sorgen um seine Familie, evtl. müsse er nach Hause reisen. Nachdem die zweite Miete auch nicht eingegangen war, wollte der Hausverwalter ihn zur Rede stellen, fand aber nur eine verlassene Wohnung vor. Die Tür stand offen, die Haustür- und Wohnungsschlüssel lagen auf dem Tisch. Sämtliche persönliche Gegenstände fehlten.
Es gab keine, wie auch immer geartete, schriftliche Nachricht. In der Tischschublade befanden sich einige Hefte und Briefe auf singhalesisch sowie Notizen über Deutschkurse oder Sprachunterricht. Der Hausverwalter nahm die Sachen an sich und übergab sie an Alex.
Die fehlenden zwei Mieten wurden mit der Kaution verrechnet und die Wohnung in Besitz genommen.
Juristisch hatte der Singhalese die Wohnung aufgegeben. Der Hausmeister hat sie dann ausräumen, reinigen und streichen lassen, um sie wieder vermieten zu können.
Das war nun Alexanders Aufgabe. Er gab eine Anzeige in der Stadtteil-Ausgabe der Zeitung auf. Das Ergebnis war sehr erfreulich. Ohne lange zu fackeln entschied er sich sehr schnell für Frau Buse, eine junge, gutaussehende Dame, 23 Jahre alt, Angestellte der Sparkasse in der Nähe. Das ganze Prozedere ging reibungslos über die Bühne. Der Mietvertrag wurde in der Kneipe abgeschlossen. Sie legte die Kaution in bar auf den Tisch. Einige der anwesenden Gäste machten große Augen.
Alex war sehr mit sich zufrieden, wie er das Alles gemanagt hatte!
Die Miete war sicher!
Anschließend ging Frau Buse zum Nebentisch zu zwei gutaussehenden und gutgekleideten jungen Männern, die Alex bereits aufgefallen waren, weil sie öfter zu ihnen hinüberblickten. Sie passten eigentlich nicht in die Kneipe. Frau Buse eigentlich auch nicht, fand er. Der Eine rief dann bald: „Zahlen bitte.“ Sie zahlten, gingen, und stiegen in ein auffälliges Auto und brausten davon.
Frau Wirtin war beeindruckt. „Ich habe die drei hier noch nie gesehen. Was sind das für Leute?“
Alex erzählte. „Die beiden Männer kenne ich auch nicht.“