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Unternehmen als moralische Akteure E-Book

Christian Neuhäuser

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Beschreibung

Unternehmen sind nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Akteure. Vor allem aber sind sie entgegen verbreiteter Ansichten auch moralische Akteure, das heißt, sie sind grundsätzlich fähig, den moralischen Standpunkt einzunehmen, auch wenn sie dies in der Praxis selten tun. Daraus erwächst eine politische und moralische Verpflichtung: Auch für Unternehmen gelten die Menschenrechte als moralischer und rechtlicher Maßstab, daran müssen sich ihr Handeln und erst recht ihr Unterlassen messen lassen. Christian Neuhäuser zeigt mit beeindruckenden philosophischen Mitteln und anhand exponierter Beispiele unternehmerischen Handelns, inwiefern und inwieweit Unternehmen moralisch zur Rechenschaft gezogen werden können. Dies hat weitreichende philosophische, ethische und nicht zuletzt politische Konsequenzen.

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2Unternehmen sind nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Akteure. Vor allem aber sind sie entgegen verbreiteter Ansichten auch moralische Akteure, das heißt, sie sind grundsätzlich fähig, den moralischen Standpunkt einzunehmen, auch wenn sie dies in der Praxis selten tun. Daraus erwächst eine politische und moralische Verpflichtung: Auch für Unternehmen gelten die Menschenrechte als moralischer und rechtlicher Maßstab, daran müssen sich ihr Handeln und erst recht ihr Unterlassen messen lassen. Christian Neuhäuser zeigt mit beeindruckenden philosophischen Mitteln und anhand exponierter Beispiele unternehmerischen Handelns, inwiefern und inwieweit Unternehmen moralisch zur Rechenschaft gezogen werden können. Dies hat weitreichende philosophische, ethische und nicht zuletzt politische Konsequenzen.

Christian Neuhäuser ist Akademischer Rat am Institut für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum.

Christian Neuhäuser

Unternehmen als moralische Akteure

Suhrkamp

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2011

© Suhrkamp Verlag Berlin 2011

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

eISBN 978-3-518-74860-2

www.suhrkamp.de

5Inhalt

Vorwort 

Einleitung 

Zur Relevanz und Lage der Unternehmensethik 

Zur Bedeutung philosophischer Reflexionen für die Unternehmensethik 

Zur Fragestellung und zum Aufbau dieses Buches 

Teil I Der moralische Status von Unternehmen

Kapitel 1 Verantwortung und ihre Grenzen in korporativen Umwelten 

Verantwortung für Handlungen, Ereignisse und Konsequenzen 

Bedingungen für Verantwortungsfähigkeit 

Verantwortungslücken in Unternehmen 

Kapitel 2 Unternehmen als moralische Akteure 

Bedingungen von Personalität 

Unternehmen, Tiere und Personen 

Unternehmen als moralische Akteure ohne Personalität 

Kapitel 3 Korporative Akteure und ihre Agenten 

Theorien kollektiver Intentionen und korporative Akteure

Pläne von Unternehmen und Intentionen individueller Mitarbeiter 

Korporative Akteure, ihre Agenten und moralisches Handeln 

Teil II Zur praktischen Verantwortung von Unternehmen

Kapitel 4 Menschenwürde, moralische Ansprüche und die Verantwortung von Unternehmen 

Menschenwürde, Menschenrechte und moralische Ansprüche 

Moralische Pflichten und das Netz der Verantwortung

Verantwortung von Unternehmen, Rechtfertigungen und Entschuldigungen 

Kapitel 5 Massenentlassungen, Umweltschutz und Kinderarbeit 

Soziale Teilhabe, Wohlfahrt und Entlassungen bei der Deutschen Bank 

Umweltschutz, zukünftige Generationen und die Automobilindustrie 

Globale Gerechtigkeit und Kinderarbeit 

Kapitel 6 Moralische Unternehmen auf dem globalen Markt 

Unternehmen unter Druck 

Unternehmen als politische Institutionen und moralbefreite Märkte 

Unternehmen in einer kosmopolitischen Welt 

Nachwort Banken als moralische Akteure und die Finanzkrise 2007 

Literatur 

7Vorwort

Zu Beginn meiner Beschäftigung mit dem Themenfeld Unternehmen und Verantwortung schien mir ein Punkt ganz klar und unumstößlich zu sein: Die Verantwortung von Unternehmen kann nur als irgendwie geteilte Verantwortung individueller Akteure verstanden werden. So kann man sich täuschen. Und so aufregend kann Philosophie sein. Durch philosophische Überlegungen belehrt, habe ich gewissermaßen ins andere Lager gewechselt. Denn tatsächlich hat sich im Laufe der Untersuchung herausgestellt, dass Unternehmen selbst moralische und verantwortungsfähige Akteure sind. Es ist die Absicht dieses Buches, diese These in ihrer theoretischen und praktischen Dimension zu verteidigen. Dabei verfolge ich drei Ziele: Es soll sich zeigen, dass Unternehmen moralische Akteure und daher verantwortungsfähig sind. Es soll deutlich werden, wie Unternehmen in der Praxis Verantwortung zugewiesen werden kann, wofür sie also verantwortlich sind. Dabei soll meinem eigenen Anspruch nach und nicht zuletzt auch zum Ausdruck kommen, wie Philosophie die Brücke zwischen sehr theoretischen und abstrakten Überlegungen und unmittelbar praktischer Relevanz schlagen kann. Denn dies halte ich für die eigentliche Aufgabe der Philosophie.

Dieses Buch ist wie (fast) alle Bücher ein kollektives Projekt. Viele Akteure haben zu seinem Gelingen beigetragen. Ihnen allen gilt mein Dank. Weil jedoch – wie sich später noch zeigen wird – bloße Kollektive keine Verantwortung übernehmen können, liegt alle Verantwortung für verbleibende Fehler allein bei mir (womit ich nicht beanspruchen will, das Vorwort-Paradox gelöst zu haben). Viele haben eher indirekt zu dem Buch beigetragen, andere sehr direkt. Namentlich danken möchte ich nur denjenigen, die einen unmittelbaren Beitrag geleistet haben. Alle anderen mögen mir dies verzeihen. Mein Erstgutachter Ralf Stoecker hat nicht nur die Arbeit intensiv betreut und mich immer sehr unterstützt, sondern war mir vor allem anderen ein wahrhaft philosophischer Lehrer. Mein Zweitgutachter Thomas Schmidt hat die Arbeit von Anfang an sehr befürwortet, mir viel Mut gemacht und immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Auch einer Institution gilt es zu danken: 8Die Heinrich-Böll-Stiftung hat mit einem Promotionsstipendium ideale Bedingungen für das Schreiben dieses Buches geschaffen, nicht nur durch ihre finanzielle, sondern auch durch ihre ideelle Unterstützung. Das Manuskript ganz oder in Teilen gelesen, korrigiert und/oder ausführlich kommentiert haben: Valentin Beck, Robin Celikates (vielfach), Philine Erfurt, Stefan Gosepath, Susanne Heinemann, Marc Hübscher, Helena Klinger, Fabian Kobeling, Corinna Mieth, Sabine Mirkovic, Julia Müller, Alexander Neuhäuser, Arnd Pollmann, Marie-Luise Raters und Christina Terberl. Ihnen allen gilt mein Dank. Außerdem möchte ich Eva Gilmer danken, die durch ihr vorzügliches Lektorat aus einer Doktorarbeit ein richtiges Buch gemacht hat.

Zu guter Letzt möchte ich besonders meiner Familie ganz herzlich danken: Meiner Frau Monica (Siu Mon) Neuhäuser, meiner Mutter Elisabeth Lehnert-Neuhäuser, ihrem Mann Ullrich Lehnert, meinen Brüdern Alexander und Martin Neuhäuser. Ohne ihre bedingungslose Unterstützung und vielfältige Hilfe hätte ich dieses Buch nicht zu Ende gebracht – ja, nicht einmal angefangen.

9»Ich sehe in der nahen Zukunft eine Krise auf uns zukommen, die mich sehr beunruhigt und dazu bringt, um die Zukunft unseres Landes zu bangen. Unternehmen wurden inthronisiert, eine Ära der Korruption auf höchster Ebene wird folgen, und die Geldmächte des Landes werden danach streben, ihre Herrschaft zu verlängern, indem sie die Vorurteile des Volkes bearbeiten, bis der Reichtum in den Händen einiger weniger angehäuft und die Republik zerstört ist.«

Abraham Lincoln (1809-1865) [1]

»Hätten Sie von einer Korporation wirklich erwartet, ein Gewissen zu besitzen, obwohl sie keine Seele hat, die verdammt, und keinen Körper, der getreten werden könnte?«

Lord Chancellor Edward, First Baron Thurlow (1731-1806) [2]

11Einleitung

Anfang des Jahres 2005 sorgte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, mit einer doppelten Ankündigung für Furore und Kritik. Zunächst verkündete er für das Jahr 2004 eine Aktienrendite von 17 Prozent und seine Absicht, die Rendite zukünftig noch auf 25 Prozent steigern zu wollen. Gleichzeitig stellte Ackermann in gewisser Hinsicht ebenfalls auf mutige Weise in Aussicht, 6400 Stellen abbauen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt war offengeblieben, ob es sich dabei um Entlassungen oder die Streichung von frei gewordenen Stellen handeln soll; in der anschließenden öffentlichen Debatte wurde jedoch durchweg von Entlassungen gesprochen. Vor dem Hintergrund, dass seit Ackermanns Amtsantritt im Jahre 2002 weltweit bereits mehr als 20 000 von insgesamt 85 000 Stellen bei der Deutschen Bank abgebaut worden waren, stieß seine Ankündigung auf großes Unverständnis. Dass Ackermann den Stellenabbau zusammen mit den hohen Renditen angekündigt hat, wurde darüber hinaus als obszön empfunden. Bedarf es eines weiteren Stellenabbaus nur, um die ohnehin schon hohen Renditen noch weiter in die Höhe zu treiben? Der Deutschen Bank wurde deswegen vorgeworfen, ihre soziale Verantwortung gänzlich zu missachten und stattdessen der Profitgier des Raubtierkapitalismus verfallen zu sein. [1]

Anfang des Jahres 2007 entbrannte in Deutschland eine Debatte um die ökologische Verantwortung der Automobilhersteller. Es ging um die Frage, ob die Unternehmen ihren Teil zum Umweltschutz beitragen. So hat beispielsweise der damalige Bundespräsident Horst Köhler verlangt, dass die Unternehmen den CO2-Ausstoß der von ihnen produzierten Fahrzeuge deutlich senken. Als Gegenargument wurde in der Debatte immer wieder auf die große volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie und insbesondere der Produktion von großmotorigen Fahrzeugen etwa bei 12Daimler, BMW oder Audi hingewiesen. Köhler hatte Anfang 2007 auch diagnostiziert, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, zu keinen greifbaren Ergebnissen geführt habe. Und tatsächlich hat die EU-Kommission Mitte 2008 beschlossen, den CO2-Ausstoß bis 2012 auf 120 Gramm pro Kilometer zu begrenzen. Der Durchschnitt deutscher Fahrzeuge lag zu dem Zeitpunkt bei 160 Gramm pro Kilometer. [2] Inzwischen stellen die Automobilkonzerne regelmäßig Fahrzeuge vor, die einen deutlich geringeren CO2-Ausstoß haben.

Anfang des Jahres 2008 hat die Schweizer Bank Credit Suisse in Vorbereitung auf die Fußball-Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz 200 000 Fußbälle verteilen lassen. Im Laufe dieser Aktion wurden Vorwürfe laut, dass viele dieser Bälle von Kindern für 39 Schweizer Rappen, also ungefähr 35 Eurocent pro Stück hergestellt worden seien. Diese Kinderarbeit soll dadurch zustande gekommen sein, dass der von Credit Suisse beauftragte Ballhersteller die Produktion selbst ausgelagert und in Pakistan an Familien auf dem Land weitergegeben hat, so dass auch und vor allem Kinder an der Ballproduktion beteiligt waren. Zwar hat Credit Suisse in seinem Code of Conduct festgeschrieben, keine Ware aus Kinderarbeit zu beziehen, in diesem Fall diese Regelung aber offensichtlich nicht durchgesetzt, was nach eigenen Angaben zu den schwersten Vorwürfen in der Geschichte des Instituts geführt hat. [3]

Wenn ich über diese drei in kurzen Worten beschriebenen Fälle nachdenke, verspüre ich deutlich das Bedürfnis, jemanden verantwortlich zu machen und darauf hinzuweisen, dass diese Verantwortlichen doch bitte schön ihrer moralischen Pflicht nachkommen sollen, und ich nehme an, dass es nicht nur mir so geht. Die Erhaltung von Arbeitsplätzen, der Umweltschutz und die Ächtung von Kinderarbeit sind wichtige moralische Ziele, und wenn sie grob missachtet werden, dann löst das moralische Empörung aus, 13die sich auf jemanden richten muss. Doch auf wen? Ein naheliegender Kandidat sind die Unternehmen selbst. Wir können dann sagen, die Deutsche Bank, die Automobilkonzerne und die Credit Suisse verhalten sich unredlich und haben es verdient, dass wir ihnen schwere Vorwürfe machen. So erscheint es auf der einen Seite. Doch auf der anderen Seite wirkt das auch seltsam, sogar ein wenig grotesk. Können wir Banken und Automobilkonzernen überhaupt Vorwürfe machen? Es sind doch nur Unternehmen, nur Organisationen, nur Institutionen, leblose Dinge jedenfalls. In gewisser Weise wirkt es ähnlich seltsam, wie wenn man einem Tier, das nicht einmal über Sprache verfügt, lange moralische Vorhaltungen machen würde, die klarerweise ihr Ziel nicht wirklich erreichen.

Also sind es vielleicht nicht die Unternehmen, sondern einzelne Personen, denen die Kinderarbeit, die Entlassungen, der mangelnde Umweltschutz vorgeworfen werden sollten. Im Fall der Deutschen Bank wurde solch eine Person auch benannt: Josef Ackermann. Zwar wirkt das schon angemessener, weil wir es gewohnt sind, Menschen als moralische Akteure aufzufassen, denen manchmal auch moralische Vorwürfe gemacht werden können, aber irgendwie scheint es dennoch nicht richtig zu sein, in solchen Fällen die ganze Empörung an Einzelnen auszulassen. Denn es geht nicht nur darum, was einzelne Menschen tun, sondern was ganze Unternehmen mit ihrer geballten Macht tun. Zur Debatte stehen immerhin knapp 7000 verlorene Arbeitsplätze, 200 000 von Kindern hergestellte Fußbälle und Millionen umweltverschmutzende Autos, die jährlich hergestellt werden. In diesem Licht erscheint Josef Ackermann nun mehr als Sündenbock für all das, was die gesamte Deutsche Bank betrifft. Noch unplausibler wird es bei der Credit Suisse, denn dort hat sicher niemand die Kinderarbeit willentlich autorisiert. Und ob es in der Automobilindustrie eine bewusste Abneigung gegen den Umweltschutz gibt, ist mehr als fraglich.

Sind es dann vielleicht doch die Unternehmen selbst, über die wir uns empören sollten? Oder vielleicht beide, die Unternehmen und die Entscheidungsträger? Oder gibt es vielleicht überhaupt niemanden, dem wir moralische Vorwürfe machen können, weil es keine Verantwortlichen gibt, und müssen wir uns stattdessen damit abfinden, dass die Dinge sind, wie sie sind? Mit diesen Fragen möchte ich mich in den folgenden Kapiteln beschäftigen, um zu klären, ob Unternehmen moralische Akteure sind und wie sie 14moralisch beurteilt werden könnten. Dabei wird es darum gehen, ob Unternehmen überhaupt handeln können, welche moralische Rolle sie spielen könnten und, schlussendlich, welche Rolle moralisch-politisch von ihnen gefordert werden sollte. Bevor ich jedoch meinen eigenen Ansatz in der Unternehmensethik oder vielleicht besser – wenn die ganze Spannbreite des Themas in den Blick genommen wird – der politischen Philosophie der Unternehmen vorstelle, möchte ich meine Fragestellung einleitend in der gegenwärtigen Debatte um die Verantwortung von Unternehmen verorten.

Zur Relevanz und Lage der Unternehmensethik

Die drei Beispiele von Deutscher Bank, Automobilindustrie und Credit Suisse verweisen auf das öffentliche Interesse an der Frage nach der Verantwortung von Unternehmen. Individuelle Beobachter des öffentlichen Geschehens wie ich selbst und die meisten anderen Menschen, aber auch viele Organisationen der Zivilgesellschaft und einige Medien richten ihre mehr oder weniger wachsamen und kritischen Blicke nicht mehr ausschließlich auf Regierungen von Staaten, sondern immer stärker auch auf Unternehmen und insbesondere auf große multinationale Konzerne. Zwei gegenläufige Tendenzen scheinen diesem Interesse zugrunde zu liegen. Während Nationalstaaten im Zuge der ökonomischen Globalisierung an Ordnungsmacht verlieren, haben Unternehmen aufgrund desselben Prozesses an Handlungsmacht gewonnen. [4] Einige Kritiker gehen so weit, Staaten von Unternehmen erpresst zu sehen. [5] Andere stimmen zumindest darin zu, dass Unternehmen nicht mehr im 15gewünschten Maße durch Rechtssysteme kontrolliert werden. Indem Unternehmen ohne wesentliche Einschränkungen operieren und ausschließlich einer ihnen eigentümlichen Logik der Profitmaximierung folgen, produzieren sie zahlreiche unerwünschte Folgen, die als Kosten externalisiert werden, also von anderen bezahlt werden müssen, insofern sie überhaupt bezahlbar sind. [6]

Tatsächlich wird zunehmend auf Verfehlungen und Versäumnisse von Unternehmen aufmerksam gemacht, und manchmal werden handfeste Fälle von Menschenrechtsverletzungen und organisierter Kriminalität ans Licht gebracht. [7] Besonders wegen dieser prominenten Fälle wird öffentlich von der Verantwortung von Unternehmen gesprochen. Eigentlich ist damit aber eine große Vielzahl zentraler Themen gemeint: Es geht um Korruption, die gezielte Zerstörung konkurrierender Unternehmen und Massenentlassungen. Es geht um die schlimmsten Formen der Ausbeutung wie Sklaverei und Kinderarbeit. Es geht um die Privatisierung von lebensnotwendigen Gütern wie Wasser und um den globalen Umweltschutz. Es werden Fragen der historischen Verantwortung von Unternehmen, etwa für Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg, diskutiert und Ideen der demokratischen Mitarbeiterbeteiligung in Erwägung gezogen. Es geht zugleich um weichere Themen wie kommunales und soziales Engagement, Work-Life-Balance der Mitarbeiterinnen und kulturelle Verantwortung.

Nicht zuletzt wegen des Engagements zivilgesellschaftlicher Gruppen interessieren sich immer mehr Menschen dafür, was Untenehmen tun, und bewerten deren Handeln nach moralischen Gesichtspunkten. Es gibt so etwas wie eine öffentliche moralische Kritik an Unternehmen. Manche Menschen richten ihre Kaufentscheidungen an der moralischen Reputation eines Unternehmens aus, andere demonstrieren gegen Schurkenunternehmen, und wieder 16andere unterstützen jene zivilgesellschaftlichen Organisationen, die als »watch dogs« fungieren und über die Tätigkeiten von Unternehmen aufklären wollen. Inzwischen haben auch zahlreiche etablierte Akteure in Politik, Wissenschaft und der Wirtschaft selbst die Fragen der Verantwortung von Unternehmen aufgegriffen und suchen nach Modellen, um diese Idee zu konkretisieren. An Universitäten haben sich mittlerweile eine Handvoll wirtschaftsethischer Lehrstühle etabliert, die sich nicht mehr nur noch mit abstrakten Fragen der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Ethik in der Wirtschaft überhaupt beschäftigen, sondern auch den konkreteren Fragen der Unternehmensethik Aufmerksamkeit schenken. [8] In der Politik sind es vor allem die politischen Stiftungen, die sich mit der Unternehmensverantwortung auseinandersetzen, aber auch einzelne Politikerinnen verweisen aus unterschiedlichen Gründen immer wieder auf dieses Konzept. [9] Und in den Unternehmen selbst werden ganze Abteilungen geschaffen, die sich nur um deren soziales Engagement und Verantwortung kümmern sollen. [10]

Die Diskussionen und Aktivitäten dieser institutionalisierten 17Akteure finden vornehmlich unter dem Label »Corporate Social Responsibility« (CSR) statt. Weitere wichtige Schlagworte innerhalb des Diskurses lauten: Corporate Citizenship, Corporate Governance und Stakeholder Theory bzw. Stakeholder Society. Es ist nicht ganz leicht, Ordnung in diese Begriffe, ihre Bedeutungen und ihre Verwendungsweisen zu bringen, was sicher auch dem Umstand geschuldet ist, dass es sich dabei um eine relativ neue und vor allem praktisch geführte Diskussion handelt. Ich möchte demgegenüber eine noch weiter gehende These vertreten. Es handelt sich nicht nur um das relativ kleine Problem einer noch etwas ungenauen und nur leicht zu schärfenden Verwendung der Begriffe. Vielmehr leidet die gesamte Diskussion stark darunter, einige der ihr zugrunde liegenden philosophischen Fragen nicht hinreichend reflektiert zu haben. Diese These möchte ich kurz anhand der in der Diskussion um die Verantwortung von Unternehmen populären Konzepte Corporate Social Responsibility, Corporate Citizenship, Corporate Governance und Stakeholder Theory belegen.

Der Begriff »Corporate Social Responsibility« bringt zum Ausdruck, dass Unternehmen eine Verantwortung haben, die über ihr Kerngeschäft hinausgeht. [11] Er widerspricht damit unmittelbar der These von Milton Friedman: »Es gibt eine nur eine soziale Verantwortung für Unternehmen – ihren Gewinn zu steigern.« [12] Insofern hat der Begriff zunächst stark programmatischen Charakter. Externe Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft machen Unternehmen Vorwürfe, weil sie etwas getan haben, was sie nicht hätten tun 18sollen oder aber, weil sie etwas nicht getan haben, was sie hätten tun sollen. Sie haben, diesen Vorwürfen nach zu urteilen, unverantwortlich gehandelt. Unternehmen wiederum fürchten angesichts solcher Vorwürfe um ihre Reputation und ergo um ihre Gewinne, wenn sich ihre Kunden oder Geschäftspartnerinnen daraufhin von ihnen abwenden. Unternehmen reagieren auf diese Bedrohung nicht nur damit, dass sie Vorwürfe weit von sich weisen, sondern auch damit, dass sie auf ihr soziales Engagement hinweisen. Dieses soziale Engagement dient ihnen insofern auch als eine Art von Schutzpolster: Je besser ihre Ausgangsreputation ist, so die Überlegung, desto weniger Schaden richtet ein Skandal an.

An dieser Praxis von Corporate Social Responsibility lässt sich einiges aussetzen. Vor allem entsteht der Eindruck, dass auf Seiten der Unternehmen der Begriff der Verantwortung einer egoistischen Kosten-Nutzen-Kalkulation unterzogen wird. Es geht ihnen nicht darum, schädigende Aktivitäten aufzugeben oder wichtige Hilfsprojekte zu fördern, sondern ihr Interesse richtet sich darauf, besonders leicht zu entdeckende Schädigungen zu unterlassen oder besser zu verstecken und besonders positiv besetzte und Aufsehen erregende Projekte wie Benefiz-Konzerte, Kunstveranstaltungen und Schulprojekte zu unterstützen. Aber auch die Kritikerinnen von Unternehmen erwecken bisweilen den Eindruck, dass sie CSR primär als strategisch-politisches Konzept auffassen und weniger daran interessiert sind, ein zwar kritisches, aber ausgewogenes Bild der Unternehmen zu präsentieren, sondern Konzerne durch einseitige, gezielte und aufwühlend wirkende Kampagnen in Verruf bringen und unter Druck setzen wollen. Es soll nicht unterstellt werden, dass in beiden Akteursgruppen ausschließlich diese Motive eine Rolle spielen. Aber wenn der skizzierte Eindruck auch nur partiell zutrifft, dann dient die gängige Praxis im Umgang mit CSR offensichtlich nicht dazu, die nachhaltige Glaubwürdigkeit des Konzepts zu befördern. Vielmehr läuft CSR Gefahr, aufgrund des instrumentellen Missbrauchs selbst in Verruf zu geraten und zu einer Leerformel zu werden. Dem Anspruch, Unternehmen zur Verantwortung zu erziehen, wäre damit ein Bärendienst erwiesen.

Mit dem politisch stark aufgeladenen Diskurs und einer recht instrumentellen Verwendungsweise von CSR gehen zudem konzeptionelle Schwächen des Konzepts einher. Es wird nicht deutlich, ob und warum es überhaupt gerechtfertigt ist, Unternehmen verantwortlich 19zu machen. Dabei bleibt nicht nur ungeklärt, wann jemand verantwortlich ist und was es überhaupt heißt, Verantwortung zu haben. Auch das »S« in CSR für social bleibt systematisch unbestimmt. Zunächst soll es scheinbar und gegen Friedman nur anzeigen, dass es um mehr als die Verantwortung für ein erfolgreiches Kerngeschäft geht, es klammert dabei aber so etwas wie ökologische Verantwortung von vornherein begrifflich aus. [13] Überhaupt nicht deutlich wird zudem, was genau mit sozialer Verantwortung gemeint ist bzw. wofür Unternehmen Verantwortung haben und wofür nicht. Insofern verwundert es nicht, dass CSR praktisch oft den Charakter von Wohltätigkeitsprojekten annimmt und Unternehmen strikt darauf beharren, dass es sich bei diesen um freiwillige Aktivitäten handelt. Den eingangs geschilderten Problemen, die das eigentliche moralische Anliegen hinter der virulenten Frage nach der Verantwortung von Unternehmen sind, ist damit nicht Genüge getan. Entsprechend hilft ein derartig dünner Begriff wie CSR kaum bei der Problemlösung, sondern verhindert sie eher, indem er durch seine Inhaltsleere neue Unklarheiten heraufbeschwört und den Blick auf tatsächliche Lösungen verstellt.

Ähnlich fällt das Fazit bei den anderen Konzepten aus. Corporate Citizenship behauptet, dass Unternehmen als Bürger mit den dazu gehörenden Rechten und Pflichten betrachtet werden können. [14] Dabei wird jedoch weder historisch noch funktional oder normativ begründet, warum Unternehmen dieser Status zukommen soll. Offen bleibt beispielsweise, ob sich ihr Bürgerstatus von dem der Menschen unterscheidet oder ob sie auch über alle entsprechenden Rechte verfügen sollen. Vollständig ernst genommen, müsste die Idee von Unternehmen als Bürgern dann auch 20einschließen, dass sie sich für politische Ämter bewerben können. Jedenfalls wird durch die Rede von Unternehmen als Bürgern nahegelegt, dass sie als handelnde und sogar als moralische Akteure aufgefasst werden können. Dies wird jedoch nur behauptet und bleibt unbegründet. Corporate Governance zieht Analogien zwischen Unternehmen und Staaten, indem es Unternehmen als von Menschen regierte bzw. gesteuerte Organisationen auffasst. [15] Das Konzept fragt ähnlich wie bei Staaten danach, welche Institutionen und Regeln benötigt werden, um gewünschte Verfahren und Ergebnisse zu erreichen. Was gewünschte Verfahren und Ergebnisse sein können, bleibt allerdings ebenso unbeantwortet wie die Frage, wer darüber entscheiden könnte. Zudem werden Unternehmen nur als zu steuernde Systeme aufgefasst, und es wird nicht reflektiert, ob das Verhältnis von Menschen und Unternehmen richtig bestimmt ist.

In der Stakeholder Theory geht es darum, einen weiten Unternehmensbegriff zu etablieren, der die Interessen aller Stakeholder berücksichtigt, also all derjenigen, die unmittelbar mit einem Unternehmen zu tun haben und von dessen Entscheidungen betroffen sind. Der Begründer der Theorie, Edward Freeman, definiert: »Ein stakeholder einer Organisation ist  […] jede Gruppe und jedes Individuum, die das Erreichen der Ziele der Organisation beeinflussen können oder davon beeinflusst werden.« [16] Insofern setzt sich die Theorie von der klassischen Shareholder Theory ab, nach der nur diejenigen zu berücksichtigen sind, die ökonomisches Kapital in das Unternehmen investieren. [17] Nur wenn all diese Interessen berücksichtigt 21würden, so die Grundthese, funktioniere ein Unternehmen langfristig. Ehrlichkeit lohnt sich beispielsweise, weil dadurch Vertrauen aufgebaut wird und stabile Beziehungen entstehen. Diesem Bild stehen allerdings stark unterschiedliche Machtverhältnisse entgegen, die es manchmal ganz unnötig erscheinen lassen, faire reziproke Beziehungen aufzubauen. Zudem hat nicht jedes Unternehmen ein Interesse an Nachhaltigkeit, sondern manche, besonders einige börsennotierte Konzerne, sind auf schnellen Profit eingestellt. Schließlich bleibt offen, welche Interessen berücksichtigt werden sollen und ob es wirklich stimmt, dass durch ein von allen Akteuren selbst regulierter Dialog tatsächlich nur diejenigen ihrer Interessen übrig bleiben, die es wert sind, berücksichtigt zu werden.

In allen diesen Ansätzen, so das Fazit, werden trotz ihrer unbestrittenen innovativen Kraft einige wichtige normative und konzeptionelle Fragen vernachlässigt. Diese Diagnose legt es nahe, einen Schritt zurückzutreten und danach zu fragen, welche unbeantworteten philosophischen Fragen diesen Mängeln in den einzelnen Konzepten zugrunde liegen.

Zur Bedeutung philosophischer Reflexionen für die Unternehmensethik

Trotz ihrer konzeptionellen Schwächen leisten die genannten Ansätze Wesentliches, indem sie bestimmte Begriffe prägen und auf systematische Lücken in der Beschäftigung mit Unternehmen hinweisen, die sie selbst zunächst allerdings nur begrifflich markieren. So wird deutlich, welche Fragen von Interesse sind und noch geklärt werden müssen. Corporate Social Responsibility fordert auf zu bestimmen, wofür Unternehmen über ihr Kerngeschäft hinaus Verantwortung haben. Daraus ergibt sich unmittelbar die meiner Einschätzung nach grundlegende philosophische Frage der Unternehmensethik, ob diese Verantwortung dem Unternehmen selbst oder seinen Mitarbeiterinnen oder beiden zukommt. Darauf versucht Corporate Citizenship eine Antwort zu geben, ohne jedoch zu begründen, warum es gerechtfertigt sein soll, Unternehmen als selbstständige Akteure und sogar als Bürger aufzufassen. Corporate Governance gibt die genau entgegengesetzte Antwort, denn Unternehmen agieren nicht selbst, sondern werden nur von außen durch 22Regelwerke bzw. von innen durch ihre Mitarbeiterinnen, vor allem den Vorstand gesteuert. Es kommt darauf an, diese Steuerungsmechanismen so einzurichten, dass Unternehmen als Funktionseinheiten richtig auf diese Impulse reagieren. Welche normativen Vorstellungen dem zugrunde liegen, was also die richtigen Impulse und die richtigen Ergebnisse sind, bleibt allerdings offen. Es wird auch nicht geklärt, ob solch eine Form der Steuerung tatsächlich möglich und wünschenswert ist. Die Stakeholder Theory schließt den Bogen, indem sie etwas darüber sagt, wem gegenüber Unternehmen verantwortlich sind. Aber selbst wenn entgegen der ursprünglichen Intention des Konzepts der Begriff »Verantwortung« nicht von vornherein als Handeln aus zumindest einigermaßen aufgeklärtem Eigeninteresse verstanden wird, hilft der Ansatz nicht viel weiter. Dass eine Akteurin all denjenigen gegenüber, mit denen sie zu tun hat, in irgendeiner Weise verantwortlich ist, sagt nicht viel, sondern drückt tatsächlich nur aus, dass es sich um eine Akteurin handelt, die zu moralischem Handeln fähig ist. Unklar bleibt hingegen, was dies bedeutet, worin beispielsweise die Verantwortung gegenüber bestimmten Akteuren besteht oder wann es gerechtfertigt oder entschuldbar ist, den entsprechenden Pflichten nicht nachzukommen.

Diese kurze Analyse zeigt, dass die in der Diskussion um die Verantwortung von Unternehmen kursierenden Grundbegriffe vor allem auf zwei wichtige Problemkomplexe der Unternehmensethik keine Antwort geben. Erstens wird nicht geklärt, ob Unternehmen überhaupt geeignet sind, Träger von Verantwortung zu sein, das heißt: ob sie moralische Akteure sind. Zweitens wird nicht untersucht, wie sich bestimmen lässt, wofür Unternehmen Verantwortung haben, was also ihre moralischen Pflichten sind und was ihre rechtlichen Pflichten sein sollten. Die Probleme der diskutierten Konzepte lassen sich entsprechend in zwei Gruppen von Fragen darstellen:

1. Was heißt es, ein Akteur zu sein? Was heißt es, ein Bürger zu sein? Was heißt es, ein verantwortlicher Akteur zu sein? Was bedeutet es überhaupt, Verantwortung zu haben?

2. Was soll ein verantwortlicher Akteur tun? Was darf eine verantwortliche Akteurin nicht tun? Und: Wem gegenüber soll sich ein verantwortlicher Akteur wie verhalten? Wie soll man mit unverantwortlichem Handeln umgehen?

23Wie lässt sich mit diesen Fragen umgehen? Es handelt sich offensichtlich um theoretische bzw. konzeptionelle und normative und nicht um empirische Fragen. Damit ist gemeint, dass es nicht hinreicht, einfach in die Welt zu schauen und genau zu beobachten, um eine Antwort auf sie zu geben. Diese Fragen lassen sich also aus zwei unterschiedlichen Gründen nicht durch einfache Beobachtungen beantworten. Bei der ersten Gruppe von Fragen handelt es sich um so genannte begriffliche Fragen. [18] Es geht darum zu klären, wie wir bestimmte Begriffe verwenden und von anderen Begriffen unterscheiden. Solch eine Begriffsbestimmung kann nicht nur durch Beobachtung gelingen, sondern schließt die abstrakte Konstruktion einer Theorie ein. Die Begriffe sind es überhaupt erst, die es uns möglich machen, die Welt aus einer bestimmten Perspektive wahrzunehmen. Dabei werden allgemein drei Bedingungen angenommen, die bei einer Begriffsbestimmung erfüllt sein müssen. Sie muss logisch kohärent sein, sie darf den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Welt nicht widersprechen, und sie muss sich an unseren alltäglichen Intuitionen und Verwendungen dieser Begriffe, also dem kollektiv geteilten Weltwissen, orientieren. Die Orientierung an der Alltagssprache bedeutet aber nicht, dass es keine Möglichkeit gibt, Lücken und Inkohärenzen in diesem Sprachgebrauch aufzudecken. Insofern geht eine philosophische Begriffsanalyse immer über reine Intuitionen und vorphilosophische Sprachverwendungen hinaus. Aus zwei Gründen ist es aber äußerst wichtig, sich an der Alltagssprache zu orientieren: Erstens erhebt die Philosophie den Anspruch, sich am sozialen Geschehen zu beteiligen und keine Privatsprache der Philosophinnen zu entwickeln, sondern ein praktisches Orientierungsangebot bereitzustellen. Zweitens steckt im praktischen Sprachgebrauch außerordentlich viel Erfahrung, und es wäre geradezu vermessen, darauf gänzlich zu verzichten. [19]

24So werden die Begriffe Verantwortung, Handeln, Akteur und Person in vielen Kontexten und unter anderem auch dann verwendet, wenn es um Unternehmen geht. Wenn die Philosophin sich an diesem öffentlichen Gespräch beteiligen und etwas beitragen möchte, dann sollte sie sich am etablierten Sprachgebrauch orientieren. Natürlich muss sie nicht sklavisch den üblichen Verwendungsweisen folgen, was oftmals wegen der Unschärfe von Alltagsbegriffen auch nicht möglich ist. Tatsächlich kann sie gerade als Philosophin, also als Expertin für Begriffe im Sinne von Begreifen durchaus vorschlagen, den Sprachgebrauch zu modifizieren, und sie kann konzeptionelle oder aber normative Gründe für ihren Vorschlag anführen. Das leitet über zu der zweiten Gruppe von Fragen.

Hierbei handelt es sich um ethische bzw. normative Fragen, was sich darin ausdrückt, dass in ihnen Wörter wie sollen und dürfen auftauchen. [20] Im Grunde gelten für sie dieselben Bedingungen wie für konzeptionelle Fragen. Es lässt sich aber noch ein weiterer Punkt hinzufügen. Wer auf normative Fragen eine Antwort gibt, muss selbst immer schon normative Voraussetzungen gemacht haben, weil sich aus beschreibenden Sätzen keine vorschreibenden Sätze ableiten lassen. [21] Daher sollten Autoren normativ orientierter Texte die eigenen normativen Grundlagen offenlegen. So können Leser immer beurteilen, ob sie die Voraussetzungen teilen und die Schlussfolgerungen einleuchtend finden. Ich will mich hier dennoch 25nicht auf eine bestimmte ethische Tradition wie den Utilitarismus oder eine deontologische Vernunftethik stützen, sondern vielmehr an den Grundsätzen der so genannten Minimalethik und einer rationalen Verfahrensethik orientieren. Diese Beschränkung gibt Anlass zu der Hoffnung, dass die praktischen Probleme der Wirtschaftsethik in den Vordergrund treten und sichtbar wird, wie sich über diese Probleme nachdenken lässt, ohne sich vorher auf eine bestimmte Theorietradition verpflichten zu müssen.

Mit dem Ausdruck Minimalethik ist zunächst nur angesprochen, dass es darum geht, ethische Regeln bzw. Prinzipien aufzustellen, die von allen rationalen Akteuren akzeptiert werden können, ganz unabhängig davon, welche anderen Überzeugungen im Bereich ethischer Theorie sie noch haben, wie sie also beispielsweise Moralität begründen oder erkenntnistheoretisch beschreiben. [22] Die rationale Verfahrensethik ergänzt demgegenüber noch zwei Punkte. Zum einen müssen die aufgestellten Regeln und Prinzipien selbst rationaler Kritik gegenüber offen sein. Das bedeutet, sie dürfen immer nur vorläufige Geltung für sich in Anspruch nehmen. [23] Das muss jedoch nicht bedeuten, wie es stärkere Ansätze der Verfahrensethik manchmal fordern, dass ethische Prinzipien nur dann von Philosophinnen erwogen werden sollten, wenn sie in Verfahren zustande gekommen sind, die selbst rational-ethischen Kriterien genügen. [24] Es bedeutet aber, dass die philosophische Erwägung selbst diesen rationalen und ethischen Kriterien genügen muss. Dadurch ergeben sich drei ethische Forderungen an einen philosophisch-normativen Text: 1. Klarheit, also Orientierung an einer angemessenen Verständlichkeit der Aussagen. 2. Transparenz, 26also Darlegung der eigenen normativen Voraussetzungen. 3. Offenheit, also das Bewusstsein, selbst rationaler Kritik zugänglich sein zu müssen und möglicherweise ausgesetzt zu werden.

Schwieriger wird es zu bestimmen, was genau hier mit Rationalität gemeint ist, wenn beispielsweise von rationalen Akteuren oder rationaler Kritik die Rede ist. Dass Rationalität zumindest einen Anspruch auf logische Korrektheit erhebt, habe ich schon erwähnt. Darüber hinaus lässt sich sagen, dass rationale Akteure allgemein gesprochen solche Akteure sind, die Gründe, also nachvollziehbaren Erklärungen, zugänglich sind, z. B. auch in Form von Kritik an ihren Überzeugungen, Absichten und Prinzipien. [25] Diese ziemlich kursorische Begriffsbestimmung bedarf natürlich weiterer Erläuterung, was jedoch zu einer ganz anderen, intensiv geführten philosophischen Debatte überleiten würde. [26] Daher möchte ich es bei einem eher allgemeinen Verständnis belassen; in der Hoffnung, dass die folgenden Kapitel explizit machen, was mit Gründen als nachvollziehbaren Erklärungen gemeint ist.

Obwohl ich mich an einer rationalen Minimalethik orientiere und daher keine umfassende normative Theorie ausbreiten werde, bedarf es eines normativen Kerns, von dem aus Prinzipien, Pflichten und Rechte abgeleitet werden können. Ich sehe in der Idee der Würde, insbesondere der Menschenwürde eine grundlegende ethische Überzeugung, die zwar erläutert werden kann, aber nicht weiter begründbar ist. [27] Wer dies nicht zumindest in Ansätzen attraktiv 27findet, wird auch mit den minimalethischen Grundsätzen im zweiten Teil dieser Arbeit wenig anfangen können. Davon unberührt bleiben jedoch die Ergebnisse des ersten Teils der Arbeit über den Akteursstatus von Unternehmen und ebenfalls die Methodik des zweiten Teils. Normativ werde ich mich auf zwei Prinzipien stützen, die ich außer durch den Verweis auf die Menschenwürde nicht abschließend begründen werde, obwohl in den Kapiteln 4 und besonders 5 noch einige und insbesondere praktische Gründe genannt werden, die für diese Prinzipien sprechen.

Das erste Prinzip lautet: Schaden an Menschen ist zu vermeiden, wenn es keine Gründe gibt, die diesen Schaden rechtfertigen oder zumindest entschuldigen. Das zweite Prinzip lautet: Menschen, deren Würde bedroht ist, muss geholfen werden, wenn keine Gründe vorliegen, die eine unterlassene Hilfeleistung rechtfertigen oder zumindest entschuldigen. Diese in den beiden Prinzipien zum Ausdruck gebrachte ethische Überzeugung liegt der gesamten Arbeit zugrunde, sie stellt ihr minimalethisches Bekenntnis dar. Deswegen nenne ich diese Grundüberzeugung bereits an dieser Stelle, obwohl ich im zweiten Teil der Arbeit etwas ausführlicher auf sie eingehen werde.

Zur Fragestellung und zum Aufbau dieses Buches

Mit Hilfe des nunmehr ausgebreiteten philosophischen Instrumentariums will ich den folgenden Kapiteln Antworten auf die oben gestellten Fragen in Bezug auf Unternehmen geben. Die oben gestellten Fragen nehmen dann die folgende Form an:

1a. Sind Unternehmen Akteure? Sind sie verantwortliche Akteure? Sind sie vielleicht sogar Personen?

2: Was sollen Unternehmen als verantwortliche Akteure tun? Was dürfen sie als verantwortliche Akteure nicht tun? Oder: Wem gegenüber sollen sie sich als verantwortliche Akteure wie verhalten? Wie soll man mit ihrem unverantwortlichen Handeln umgehen?

Es besteht offensichtlich Anlass zur Hoffnung, dass die Antworten auf diese Fragen für die praktische Beschäftigung mit der Verantwortung 28von Unternehmen von grundsätzlichem Wert sind, weil die Unternehmensethik auf begrifflich und normativ tragfähige Füße gestellt wird. Unklar ist allerdings noch, wie sich die Fragen zum Akteursstatus und zur Verantwortung von Unternehmen konkret beantworten lassen.

Diese Herangehensweise veranschaulicht bereits, mit wie vielen Problemstellungen das Thema der Verantwortung von Unternehmen zu tun hat. Sofort kommen politische, wirtschaftswissenschaftliche und sozialwissenschaftliche, rechtliche und moralische Aspekte in den Blick, und die Mängel der bestehenden Konzepte zur Unternehmensverantwortung lassen sich angesichts dessen durchaus nachvollziehen: Sie sind der Komplexität des Themas geschuldet. Um dieser Komplexität Herr zu werden, möchte ich fünf Problemkomplexe unterscheiden, die mit diesen Fragen zur Unternehmensverantwortung eng verbunden und für den Verlauf der Untersuchung zentral sind.

1. Es spricht einiges dafür, dass die Entstehung von gigantischen Firmen in den letzten hundert Jahren, von einigen Vorgängern wie etwa der ganz anders beschaffenen East India Company einmal abgesehen, eine der weitreichenden Veränderungen unserer Gesellschaft darstellt. Der US-amerikanische Philosoph und Wirtschaftsethiker Peter French schreibt: »Unternehmen haben in unserer sozialen Welt in den letzten hundert Jahren eine immense Bedeutung erlangt. Inzwischen leben wir in einer durch und durch korporativen Gesellschaft, und es ist für unsere Zukunft von entscheidender Bedeutung, dass wir die Folgen dieser Tatsache vollständig realisieren.« [28] Falls French nicht übermäßig übertreibt, dann besteht offensichtlich ein ziemlich dringender Bedarf festzustellen, ob die tatsächliche Rolle der Unternehmen von der Rolle abweicht, die sie aus moralischer Sicht spielen sollten.

2. Doch lassen sich Unternehmen überhaupt dazu bringen, die gewünschte Rolle zu spielen? Eine erste Annäherung an diese Problemstellung liefert der Vergleich mit anderen Akteuren, die erst noch in die moralische Gemeinschaft hinein erzogen werden müssen: Kindern. Kinder werden offensichtlich zunächst verantwortlich gemacht und lernen erst dann innerhalb dieses Prozesses, 29was Verantwortung bedeutet und dadurch auch für ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen. [29] Ähnlich könnte es bei Unternehmen funktionieren: Sie müssen erst einmal verantwortlich gemacht werden, damit sie lernen, was es überhaupt heißt, Verantwortung zu haben. Zugleich gilt: Kinder und Unternehmen sollten Schritt für Schritt und nur für solche Dinge verantwortlich gemacht werden, die sie zwar mit ein wenig Anstrengung, aber zumindest potenziell bewältigen können. Normative Forderungen können also durchaus ein utopisches Element enthalten und sich trotzdem am Realismus orientieren. John Rawls hat für diese Gratwanderung den Begriff der realistischen Utopie geprägt: » [D]ie Politische Philosophie  [ist] in einem realistischen Sinne utopisch, wenn sie das, was man üblicherweise als die Grenzen des praktisch-politisch Möglichen betrachtet, ausdehnt und uns, indem sie dies tut, mit unseren politischen und sozialen Lebensbedingungen versöhnt.« [30]

In eine solche realistische Utopie fließen weitreichende normative Vorstellungen darüber ein, wie die soziale Welt beschaffen sein sollte. Dabei zeigt sich das klassische Dilemma zwischen Ethik, und sei sie noch so minimalistisch verstanden, und demokratischer Politik. Natürlich lässt sich für die eine oder andere Vorstellung argumentieren, schlussendlich müssen jedoch alle Betroffenen in einem öffentlichen Diskurs über diese Frage Einigung erzielen. Allerdings stellt es offenbar selbst eine normative Forderung dar, dass alle Betroffenen direkt oder indirekt über öffentliche Angelegenheiten entscheiden sollten. Wer dies bestreitet, gibt fundamentale demokratische Überzeugungen auf, die ich hier schlicht voraussetzen möchte. Trotzdem unterliegen auch demokratische Entscheidungen rationalen und ethischen Ansprüchen, denn eine willkürliche Diktatur des Volkes erscheint nicht besonders wünschenswert. [31] Zugleich ist jede noch so gut begründete Position zunächst einmal nur ein einzelner Beitrag zu einer umfassenderen Debatte.

303. Dies leitet über zu der problematischen Frage, mit welchen Mitteln erreicht werden kann, dass Unternehmen sich ihrer gewünschten Rolle annähern, wenn diese Rollenzuschreibung einmal eine mehrheitliche Zustimmung gefunden hat. Hier denkt man sofort an rechtliche und ökonomische Mechanismen zur Sanktionierung von Unternehmen. In Deutschland können Unternehmen Personengesellschaften oder juristische Personen mit eigener Rechtsfähigkeit sein, aber anders als beispielsweise in den USA oder Australien unterliegen sie nicht dem Strafrecht. [32] Entsprechend bestehen in Deutschland strafrechtliche Sanktionsmöglichkeiten nur gegenüber einzelnen Menschen, beispielsweise den Mitgliedern des Vorstands, nicht aber gegenüber einem ganzen Unternehmen. Ökonomische Steuerungsmechanismen zeichnen sich durch die Komplexität ihrer fachwissenschaftlichen Annahmen aus. Dazu ein makroökonomisches Beispiel: Es besteht Konsens darüber, dass die Hauptaufgabe des Internationalen Währungsfonds (IWF) darin besteht, die wirtschaftliche Entwicklung von benachteiligten Ländern zu unterstützen. Umstritten ist hingegen, welche die dafür geeigneten Maßnahmen sind. Der IWF selbst vertritt die Position, dass die Inflationsrate unter allen Umständen niedrig gehalten werden müsse, was gegebenenfalls durch Sanktionen zu erreichen sei. Kritiker entgegnen, es gebe Phasen der ökonomischen Entwicklung, in denen die Inflationsrate erhöht werden sollte, um Kapitalfluss und Beschäftigung zu steigern. [33] Dies sind wirtschaftswissenschaftliche Fachfragen, die von Expertinnen diskutiert werden, wenngleich es wünschenswert ist, dass die Debatte von der Öffentlichkeit nachvollzogen und bewertet werden kann. Demnach bleiben die primären Akteure Entwicklungsökonominnen. Ähnliches könnte vermutet werden, wenn es um die Frage geht, wie Unternehmen gesteuert werden sollen.

Doch dies wäre ein vorschneller Schluss. Auch in dem Beispiel mit dem IWF ändert sich die Bewertung, und es kommen öffentliche moralisch-politische Fragen vordringlich ins Spiel, wenn es nicht mehr darum geht, welches die geeigneten Maßnahmen für feststehende Ziele des IWF sind, sondern wenn die Ziele selbst zur 31Debatte stehen. Neue Akteure könnten gefordert werden, die neue Aufgaben übernehmen und dadurch das Betätigungsfeld bestehender Akteure, wie des IWF, beeinflussen. Wenn beispielsweise eine globale Steuer auf Finanztransaktionen oder eine globale Ressourcendividende eingeführt wird, dann wird es auch Akteure geben, deren Aufgabe es ist, die eingenommenen Gelder gerecht umzuverteilen. [34] Das wird einen erheblichen Einfluss auf die Tätigkeit des IWF haben und möglicherweise auch die Notwendigkeit von Steuerungsmaßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft in anderem Licht erscheinen lassen. Sich entwickelnde Länder erhalten dann Transferleistungen bzw. Rückzahlungen für ausgebeutete Rohstoffe und verfügen daher über einen dauerhaft gesicherten Zugang zu dem von ihnen benötigen Finanzkapital.

4. Beide Arten der Steuerung – rechtliche Sanktionen und wirtschaftliche Anreize – folgen der Überlegung, dass Unternehmen Systeme sind, die von außen gesteuert werden und sich in ihrer internen Struktur diesen Steuerungsimpulsen anpassen. Dies könnte zum Beispiel durchaus bedeuten, dass auf der Ebene von Unternehmen die Position einer Ethikmanagerin in die Governance-Struktur eingebaut wird, weil Topmanager die an sie gerichteten Erwartungen nicht erfüllen. Allerdings wird in diesem Konzept von Corporate Governance die Antwort auf die Frage, wer die verantwortlichen Akteure sind, bereits vorausgesetzt. Die Entscheidungsstrukturen in einem Unternehmen lenken, was im Unternehmen geschieht, werden selbst aber von außen im Sinne eines Reiz-Reaktions-Mechanismus gesteuert, indem sie bloß auf ökonomische Anreize und Sanktionen des Marktes regieren. Es sind aber noch andere Antworten auf die Frage denkbar, wer die Akteure sind, die Unternehmen dazu bringen können, die geforderte Rolle zu spielen. Beispielsweise können die Eigentümerinnen von Unternehmen, führende Politiker oder die große Gruppe der 32Konsumentinnen auf sie einwirken. In gewisser Weise bleiben Unternehmen aber auch dann reine Automaten, die nur auf äußere Reize reagieren. Der Unterschied bestünde lediglich darin, dass es sich nicht mehr nur noch um rein ökonomische, sondern auch um politische Reize handelt.

Ich möchte demgegenüber eine viel weiter gehende These vertreten, die meines Erachtens für die gesamte Unternehmens- und Wirtschaftsethik von zentraler Bedeutung ist. Unternehmen sind moralische Akteure. Sie können sich selbst zu moralischem Handeln anhalten und nicht nur aufgrund moralfremder Anreize mehr oder weniger moralkonform handeln. Ob sie praktisch moralisch handeln, hängt natürlich weiterhin davon ab, wie andere Akteure mit ihnen umgehen. Aber als moralische Akteure können Unternehmen nicht nur auf ökonomische und politische Steuerungsanreize reagieren, sondern sie können auch mit Verantwortungszuschreibungen und moralischen Vorwürfen umgehen.

Doch sind Unternehmen wirklich mehr als Automaten, das heißt, können sie selbstständig handeln? Die Antwort darauf hängt von sehr grundlegenden Positionen und Einstellungen ab. Aus der Sicht des methodologischen Individualismus gilt, dass nur Individuen handeln können, so dass sich Unternehmen keinesfalls als moralische Akteure einstufen lassen. [35] Unter Berücksichtigung der These von French, dass wir in einer korporativen Welt leben, deren Strukturen die ethische Handlungsfähigkeit von menschlichen Akteuren systematisch beschränkt, erscheint die allgemeine Beschränkung auf Managerinnen, Politiker und Bürgerinnen als große Belastung, weil wir dann vielleicht kein umfassendes Netz der Verantwortung konstruieren können und unter Umständen mit vielen Verantwortungslücken leben müssen. Dies wäre zumindest schon einmal ein praktischer Grund, der für die These von Unternehmen als moralischen Akteuren spricht. Das hieße dann aber auch, dass sie in der Lage sind, nach ethischen Gesichtspunkten zu entscheiden und daher auch moralisch und rechtlich verantwortlich gemacht werden können.

5. Wenn Unternehmen moralfähige und insofern verantwortliche 33Akteure sind, dann möchte man natürlich wissen, wie diese Akteure motiviert werden können, moralisch und verantwortlich zu handeln. Die Antwort darauf hängt davon ab, wer sie mit welchen Mitteln motivieren will und soll. Die Bundesregierung beispielsweise verfügt über mehr Möglichkeiten als zivilgesellschaftliche Gruppen oder die kritische Öffentlichkeit aller Konsumentinnen. Wirtschaftsverbände verfügen vielleicht ebenfalls über größere Möglichkeiten, haben aber selbst nicht immer ein unmittelbares Interesse an einer Veränderung. Wie also sollten die verschiedenen Akteure beurteilt werden: als reine Funktionen, die nach einer Eigenlogik auf Reize reagieren, oder als freie Akteure, die selbst fähig sind, nach ethischen Gesichtspunkten zu entscheiden und daher auch in der Sprache der Moral verantwortlich gemacht werden können? [36]

Die philosophischen Antworten auf diese Fragen und Problemkomplexe sind von entscheidender Bedeutung für die Bestimmung der praktischen Rolle von Unternehmen. Hier zeigt sich die große Nähe einer philosophischen, aber angewandten Ethik zu ganz lebensweltlichen Fragen und Entscheidungen. Entsprechend geht es mir nicht um isolierte Antworten auf abstrakte Probleme und analytisch getrennte Fragen, sondern um eine grundsätzliche Bestimmung von Unternehmen als entweder reine Automaten bzw. Strukturen oder verantwortliche Akteure mit einer ganz bestimmten moralischen Verantwortung. Ich werde dazu zwei Thesen vertreten, die jeweils im ersten und zweiten Teil der Arbeit ausgeführt und begründet werden. Die erste These lautet: Unternehmen sind moralische Akteure. Die zweite These lautet: Unternehmen haben positive und negative Pflichten, die sich aus der Menschenwürde und den Menschenrechten ergeben und die ihre praktische Verantwortung bestimmen. Diese beiden Thesen bestimmen den Aufbau des Buches.

35 Teil I Der moralische Status von Unternehmen

37 Kapitel 1 Verantwortung und ihre Grenzen in korporativen Umwelten

Auf den ersten Blick gibt es zwei Möglichkeiten, der Idee von verantwortlichen Unternehmen Sinn zu verleihen. Entweder wird damit ausgedrückt, dass Unternehmen selbst, also beispielsweise Coca-Cola, Nestlé oder Siemens, Verantwortung haben. Oder nicht die Unternehmen selbst sind gemeint, sondern vielmehr die individuellen Mitarbeiterinnen innerhalb der Unternehmen. Die Unterscheidung dieser beiden Möglichkeiten ist von großer Wichtigkeit, denn bei Verantwortung geht es immer um ein kompliziertes Beziehungsgeflecht in Form einer dreistelligen Relation. Für Verantwortungszuschreibungen muss geklärt werden, erstens wer verantwortlich ist, zweitens wofür und drittens wem gegenüber er verantwortlich ist. Bezogen auf den hier behandelten Kontext ist die erste Frage, ob ein Unternehmen als solches oder die Mitarbeiter verantwortlich sind, zentral. Dies stellt keine Besonderheit philosophischer Theorie dar, denn es geht auch praktisch oft darum, für schädigende Ereignisse oder geschädigten Menschen gegenüber verantwortliche Akteure zu finden. Wenn Kinder ihre Eltern verlieren, dann steht fest, wem gegenüber und wofür Verantwortung übernommen werden soll, aber es bedarf noch einer geeigneten Person, die diese Verantwortung übernimmt. Wenn natürliche Kräfte, beispielsweise Flutwellen, Wirbelstürme oder Erdbeben Menschen bedrohen, dann werden verantwortungsbewusste Akteure gesucht, die sie davor schützen. In diesen Fällen sind die zweite und die dritte Frage bereits beantwortet, es geht um die Fürsorge für Kinder und den Katastrophenschutz für bedrohte Menschen. Unklar bleibt in erster Linie, wer diese Verantwortung übernehmen könnte. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass dafür eine ganz andere Frage bereits beantwortet sein muss. Wer überhaupt für diese Verantwortungsübernahme in Betracht kommt, sprich: wer in der Lage ist, Verantwortung zu tragen, also verantwortungsfähig ist.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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