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Unternehmen geraten zunehmend in den Fokus straf- und ordnungsrechtlicher Ermittlungen – die daraus entstehenden finanziellen und sonstigen Belastungen können immens sein. Das schwierige und noch im Fluss befindliche Rechtsgebiet des Unternehmensstrafrechts wird, praxisorientiert und gleichzeitig wissenschaftlichen Ansprüchen genügend, unter Berücksichtigung materiellrechtlicher und prozessualer Gesichtspunkte erörtert. Zudem zeigen die Autoren Handlungsoptionen für die strategische Begleitung und Vertretung von Unternehmen in allen Phasen strafrechtlicher Ermittlungen auf. Alle maßgeblichen Problemfelder werden umfassend und konsequent aus Verteidigungsperspektive dargestellt.
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Veröffentlichungsjahr: 2016
von
Dr. Markus Berndt
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Düsseldorf
und
Prof. Dr. Hans Theile
Universität Konstanz
www.cfmueller.de
Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung › Herausgeber
Praxis der Strafverteidigung
Band 41
Begründet von
Rechtsanwalt Dr. Josef Augstein (†), Hannover (bis 1984)
Prof. Dr. Werner Beulke, Passau
Prof. Dr. Hans-Ludwig Schreiber, Göttingen (bis 2008)
Herausgegeben von
Prof. Dr. Werner Beulke, Passau
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor, Berlin
Schriftleitung
Rechtsanwalt (RAK München) Dr. Felix Ruhmannseder, Wien
Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung › Autoren
Dr. Markus Berndt ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Düsseldorf.
Kontakt: [email protected]
Prof. Dr. Hans Theile, LL.M. ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Kriminologie an der Universität Konstanz.
Kontakt: [email protected]
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-8114-5466-8
E-Mail: [email protected]
Telefon: +49 89 2183 7923Telefax: +49 89 2183 7620
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© 2016 C.F. Müller GmbH, Waldhofer Straße 100, 69123 Heidelberg
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Verlag, Herausgeber und Schriftleitung der Reihe „Praxis der Strafverteidigung“ freuen sich, mit vorliegendem Werk von Markus Berndt und Hans Theile einen neuen Band zu präsentieren.
Das Unternehmensstrafrecht hat in jüngerer Zeit immens an Bedeutung gewonnen; entsprechend stark ist der Bedarf an Verteidigung in diesem Bereich gestiegen. Zwar ist dem deutschen Strafrecht – bislang – die Strafbarkeit von Verbänden fremd. Jedoch kann ein Unternehmen Objekt von Geldbußen (§ 30 OWiG) und anderen Sanktionen sein, namentlich des Verfalls (§§ 73 ff. StGB, § 29a OWiG), die sich kaum weniger empfindlich auswirken können als Strafen. In der Praxis der Strafverfolgung wird von diesen Möglichkeiten seit Jahren verstärkt Gebrauch gemacht. Zusätzlich hat der Gesetzgeber das rechtliche Instrumentarium verschärft. Spektakuläre Verfahren gegen namhafte deutsche Unternehmen haben hierfür den Weg geebnet.
Der Struktur des deutschen Strafrechts entsprechend bildet den Anknüpfungspunkt für Unternehmenssanktionen das strafbare oder ordnungswidrige Verhalten Einzelner. Hierbei kommt § 130 OWiG eine herausragende Rolle zu. Das verstärkte Interesse an Unternehmenssanktionen hat aber auch zu einer Ausweitung der Täterschafts- und Teilnehmerfiguren sowie der Unterlassensdogmatik geführt.
Der vorliegende Band zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er die komplexe Materie ebenso umfassend wie anwendungsfreundlich aufbereitet. Er erschöpft sich nicht in der kasuistischen Darstellung der einschlägigen Themenbereiche. Vielmehr ordnet er nach einer einführenden Übersicht (Teil 1) die strafrechtliche „Haftung“ des Einzelnen (Teil 2) sowie die daran anknüpfenden Unternehmenssanktionen (Teil 3) konsequent der bestehenden Systematik des Straf- und Bußgeldrechts zu. Auf diese Weise ermöglicht er dem Anwender, sich in der komplizierten Materie im wahrsten Sinne zurecht zu finden und im jeweiligen Einzelfall rechtlich reflektiert zu argumentieren. Das ist in einem Bereich von Strafverfolgung, der zunehmend durch Aushandlungsprozesse geprägt ist, an sich schon von großem Wert. Hinzu kommen – nach einem Blick auf Perspektiven des Unternehmensstrafrechts (Teil 4) – in Teil 5 erfahrungsfundierte zusätzliche, auf die speziellen Bedürfnisse der Verteidigung von Unternehmen zugeschnittene Erläuterungen, insbesondere zu den unternehmensbezogenen Sanktionen und deren Handhabung in der Praxis. In diesem Zusammenhang werden auch rechtliche Instrumentarien, die sich vornehmlich in der Praxis entwickelt haben wie die Figur des Unternehmensanwalts und die Sockelverteidigung, näher beleuchtet. Ausführungen zum Unternehmen als Objekt prozessualer Ermittlungen, zur prozessualen Begleitung von Unternehmen und zu Fragen der in jüngerer Zeit geradezu explosionsartig thematisierten Compliance runden die Darstellung ab.
Die Verfasser sind ausgewiesene Kenner der Materie. Dr. Markus Berndt ist als Rechtsanwalt auf die Verteidigung im Wirtschaftsstrafrecht und dabei seit vielen Jahren speziell auf die Verteidigung von Unternehmen spezialisiert. Prof. Dr. Hans Theile hat sich mit seiner Habilitationsschrift und einer Fülle weiterer Veröffentlichungen in herausragender Weise im Wirtschaftsstrafrecht profiliert. Beiden Autoren sei für ihre gemeinsame Pionierleistung herzlich gedankt.
Passau/Berlin im Juli 2016
Passau
Prof. Dr. Werner Beulke
Berlin
Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor
Vorwort der Herausgeber
Abkürzungsverzeichnis
Teil 1Einführung in die Problematik
A.Allgemeines
B.Unternehmenskriminalität – Begriffliche und theoretische Probleme
C.Probleme für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Teil 2Die rechtliche Bewältigung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Unternehmenskontext
A.Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen auf Leitungsebene
I.Haftung im Horizontalverhältnis
1.Aktives Tun, insbesondere die Beteiligung an Gremienentscheidungen
a)Beschlussfassung nur einstimmig möglich
b)Beschlussfassung erfolgt mit einer Mehrheit von einer Stimme
c)Beschlussfassung mit einer Mehrheit von mindestens zwei Stimmen
d)Geheime Stimmabgabe
e)Gegenstimme
f)Stimmenthaltungen
g)Objektive Zurechnung
2.Unterlassen
II.Haftung im Vertikalverhältnis
1.Haftung für aktives Tun
a)Konstruktion über die mittelbare Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB
aa)Konstellationen eines Strafbarkeitsdefizits bei der Ausführungsperson
bb)Konstellationen eines fehlenden Strafbarkeitsdefizits bei der Ausführungsperson
(1)Vermeidbarer Verbots- oder Erlaubnisirrtum
(2)Irrtum über den konkreten Handlungssinn
(3)Zwang unterhalb der Schwelle des § 35 StGB
(4)Tatausführung unter Ausnutzung organisatorischer Machtapparate
b)Konstruktion über die Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB
c)Konstruktion über die Anstiftung nach § 26 StGB
2.Haftung für Unterlassen
a)Haftung für Personengefahren
aa)Beschützergarantenstellung
bb)Überwachergarantenstellung (Geschäftsherrenhaftung)
cc)Sonderfall der Überwachergarantenstellung: Compliance-Officer
dd)Sonderfall der Überwachergarantenstellung: Betriebsbeauftragter
ee)Beteiligung des Garanten
ff)Haftung für die Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG
(1)Allgemeines
(2)Inhaber eines Betriebes oder eines Unternehmens
(3)Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen, die zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen den Inhaber treffende Pflichten erforderlich und zumutbar sind
(4)Vorsatz oder Fahrlässigkeit
(5)Objektive Bedingung der Ahndung
(a)Anknüpfungstat
(b)Zurechnungszusammenhang
(6)Rechtsfolgen
gg)Haftung für unterlassenes Risikomanagement
(1)Strafrechtliche Haftung über Untreue gem. § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB
(a)Bestehen einer generellen Compliance-Pflicht?
(b)Herbeiführung eines unmittelbaren Vermögensnachteils?
(2)Strafrechtliche Sanktionierung über § 54a KWG
(a)Allgemeines
(b)Geschäftsleiter und Institut/Gruppe
(c)Nicht-dafür-Sorge-Tragen
(d)Bestandsgefährdung
(e)Kausalität und Zurechnungszusammenhang
(f)Vorsatz und Fahrlässigkeit
(g)Objektive Strafbarkeitsbedingung: § 54a Abs. 3 KWG
(3)Ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung über § 130 OWiG
(a)Allgemeines
(b)Verletzung der Aufsichtspflicht
(c)Vorsatz und Fahrlässigkeit
(d)Objektive Bedingung der Ahndung
(e)Rechtsfolge
b)Haftung für Sachgefahren
III.Strafrechtliche Produkthaftung
1.Aktives Tun oder Unterlassen
2.Kausalität
a)Generelle Kausalität
b)Nichtrückruf eines Produktes
c)Nichtidentifikation eines Geschädigten
3.Fahrlässigkeit
4.Garantenstellung
IV.Organ-, Vertreter- und Beauftragtenhaftung (§ 14 StGB, § 9 OWiG)
1.Grundsätzlicher Anwendungsbereich
2.Die Merkmale im Einzelnen
a)Vertretung (§ 14 Abs. 1 StGB, § 9 Abs. 1 OWiG)
b)Beauftragung (§ 14 Abs. 2 StGB, § 9 Abs. 2 OWiG)
c)Faktische Vertretung und Beauftragung (§ 14 Abs. 3 StGB, § 9 Abs. 3 OWiG)
d)Handeln „als“ oder „aufgrund“
B.Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen in Aufsichtsgremien
I.Haftung im Horizontalverhältnis
II.Haftung im Vertikalverhältnis
C.Weitere einschlägige dogmatische Problemfelder
I.Allgemeiner Vertrauensgrundsatz als Haftungsgrenze
II.Fahrlässige Mittäterschaft
III.Neutrale Verhaltensweisen
IV.Vorsatz und sonstige subjektive Merkmale
V.Rechtfertigung und Entschuldigung
VI.Behördliche Genehmigung
VII.Handeln auf Weisung
VIII.Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung wegen Verstößen gegen Compliance
1.Wechselwirkungen zwischen Compliance und Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
2.Anforderungen an den Transfer von Compliance-Vorgaben in die staatliche Rechtsanwendung
Teil 3Unternehmensbezogene Sanktionen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts
A.Gewinnabschöpfung
I.Verfall im Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht
1.Der strafrechtliche Verfall
a)Allgemeines
b)Vorliegen einer rechtswidrigen Tat
c)Täter/Teilnehmer hat „etwas“ für oder aus der Tat erlangt
d)Dritter als Adressat des Verfalls (§ 73 Abs. 3 StGB)
e)Umfang
f)Die Ausschlussklausel des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB
2.Der ordnungswidrigkeitenrechtliche Verfall
II.Abführung des Mehrerlöses (§ 8 WiStG)
III.Einziehung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (§§ 74 ff. StGB; §§ 22 ff. OWiG)
1.Strafrechtliche Einziehung
2.Ordnungswidrigkeitenrechtliche Einziehung
B.Unternehmensgeldbuße
I.Geldbuße gegen juristische Person oder Personenvereinigung (§ 30 OWiG)
1.Allgemeines
2.Sanktionsfähiger Verband als maßgeblicher Adressat
3.Leitungsperson
4.Anknüpfungstat
a)Anforderungen an die Tat als solche
b)Handeln „als“
c)Verletzung verbandsbezogener Pflichten oder tatsächliche bzw. angestrebte Bereicherung
5.Rechtsfolge
II.Unternehmensgeldbuße nach europäischem und deutschem Kartellrecht
1.Unternehmensgeldbuße nach europäischem Recht (Art. 23 VO 1/2003)
a)Allgemeines
b)Unternehmensgeldbuße nach Art. 23 Abs. 1 VO 1/2003
c)Unternehmensgeldbuße nach Art. 23 Abs. 2 VO 1/2003
aa)Art. 23 Abs. 2 lit b und c VO 1/2003
bb)Art. 23 Abs. 2 lit a VO 1/2003
(1)Art. 101 AEUV
(a)Vereinbarungen, Beschlüsse, abgestimmte Verhaltensweisen
(b)Verhinderung, Einschränkung, Verfälschung des Wettbewerbs
(c)Zwischenstaatlichkeitsklausel
(d)Unanwendbarkeitsklausel
(2)Art. 102 AEUV
(a)Unternehmen
(b)Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
(c)Zwischenstaatlichkeitsklausel
(d)Bagatellfälle und Effizienzvorteile
d)Sanktionszumessung
aa)Sanktionsrahmen
bb)Zumessung der Geldbuße
e)Gesamtschuldnerische Haftung (Art. 23 Abs. 4 VO 1/2003)
f)Kronzeugenprogramm
2.Unternehmensgeldbuße nach deutschem Recht
a)Allgemeines
b)Ahndbarkeit nach § 81 Abs. 1 GWB
c)Ahndbarkeit nach § 81 Abs. 2 GWB
d)Ahndbarkeit nach § 81 Abs. 3 GWB
e)Zumessung der Geldbuße
aa)Sanktionsrahmen
bb)Zumessung der Geldbuße
(1)Ahndungsteil
(2)Abschöpfungsteil
f)Verzinsung der Verbandsgeldbuße
g)Kronzeugenprogramm („Bonusregelung“)
Teil 4Perspektiven eines Unternehmensstrafrechts
A.Allgemeines
B.Konsistenz mit dem strafrechtlichen Gesamtregelungszusammenhang
C.Kriminalpolitische Sinnhaftigkeit
Teil 5Unternehmensverteidigung
A.Einführung: Begriff und Bedeutung der Unternehmensverteidigung
B.Rollen der Beteiligten
I.Unternehmen
II.Unternehmensanwalt
III.Unternehmensorgane
IV.Unternehmensjuristen und Compliance-Officer
1.Syndikusanwalt
2.Compliance-Officer
C. „Echte“ Unternehmensverteidigung
I.Das Unternehmen als Adressat einer Verbandsgeldbuße
II.Das Unternehmen als Einziehungsbeteiligter/Verfallsbeteiligter
1.Allgemeines zum Verfall
2.Allgemeines zur Einziehung
3.Arrest als Unternehmensrisiko
III.Nebenbeteiligung des Unternehmens
1.Nebenbeteiligung bei drohender Verbandsbuße, §§ 444, 434 Abs. 1 S. 2 StPO
2.Einziehungs- und Verfallsbeteiligung, §§ 431 ff., 442 Abs. 1 StPO bzw. §§ 46 Abs. 1, 87 OWiG
IV.Selbständiges Verfahren
1.Selbständiges Verfahren gem. § 444 Abs. 3 StPO, § 30 Abs. 4 OWiG
2.Selbständiges Verfahren gem. §§ 440 Abs. 1, 442 Abs. 1 StPO bzw. §§ 29a Abs. 4, 46, 87 OWiG
V.Besonderheiten der Unternehmensverteidigung
1.Unternehmensverteidigung und Kooperation
2.Sockelverteidigung
3.Opportunitätseinstellungen
4.Kostenübernahmen
5.Außerstrafrechtliche Rechtsfolgen
a)Vergabe- und wettbewerbsrechtliche Folgen für das Unternehmen
b)Gewerberechtliche Folgen für das Unternehmen
c)Weitere unmittelbare Folgen für das Unternehmen
d)Mittelbare Folgen für das Unternehmen
D.Das Unternehmen als Objekt prozessualer Ermittlungsmaßnahmen
I.§§ 98, 102 f., 110 StPO: Durchsuchung, Beschlagnahme und Durchsicht
1.Die Durchsuchung gem. § 102 f. StPO
2.Die Beschlagnahme gem. § 98 StPO
3.Die Durchsicht gem. § 110 StPO
4.Beschlagnahmefreiheit bestimmter Unterlagen, §§ 97 und 160a StPO
a)Unterlagen beim Unternehmensanwalt
b)Unterlagen beim Unternehmen
c)Unterlagen beim Syndikusanwalt
d)Beschlagnahmeschutz aus § 160a StPO
II.Vorkehrungen i.R.v. Compliance-Programmen (Kommunikations- und Handlungspläne)
III.(Pro)aktive Kooperation, § 95 StPO
IV.Beschwerdefähigkeit, §§ 304, 98 Abs. 2 S. 2 (analog) StPO
E.Unternehmensbegleitung im Strafverfahren
I.Strafanzeige/Strafantrag
II.Akteneinsichtsrecht des Verletzten und des Dritten, §§ 406e, 475 StPO
III.Rückgewinnungshilfe gem. § 111b Abs. 5 i.V.m. § 111d StPO
IV.Das Unternehmen als Privat- bzw. Nebenkläger
1.Nebenklage gem. §§ 395, 396 ff. StPO
2.Privatklage gem. §§ 374 ff. StPO
F.Unternehmensanwalt und Compliance
I.Bedeutung für Unternehmen und Unternehmensanwalt
II.Rechtspflicht zur Compliance
III.Compliance-Programme als „Strafzumessungsfaktor“
IV.Internal Investigations
1.Allgemeines
2.Durchführung einer internen Untersuchung
a)Vorüberlegungen
b)These 3 zur Durchführung interner Untersuchungen
c)Handlungsempfehlungen
3.Gewonnene Erkenntnisse und Handlungsoptionen
a)Anzeige- und Meldepflichten
b)Fakultative Anzeige/Meldung
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
a.A.
anderer Ansicht
ABL.
Amtsblatt der Europäischen Union
abl.
ablehnend
Abs.
Absatz
Abschn.
Abschnitt
abw.
abweichend
a.E.
am Ende
a.F.
alte Fassung
AG
Amtsgericht, Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift)
Alt.
Alternative
a.M.
anderer Meinung
amtl.
amtlich
Anh.
Anhang
Anm.
Anmerkung
AnwBl.
Anwaltsblatt (Zeitschrift)
AnwK-StPO
AnwaltKommentar StPO
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
ausf.
ausführlich
AT
Allgemeiner Teil
Az.
Aktenzeichen
BaFin
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
BAG
Bundesarbeitsgericht
BAnz
Bundesanzeiger
BayOLG
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BayObLGSt
Entscheidungssammlung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes in Strafsachen
BayVBl.
Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift)
BB
Betriebsberater (Zeitschrift)
Bd.
Band
Bearb.
Bearbeiter
BeckOK-OWiG
Beckʼscher Online Kommentar OWiG
BeckOK-StPO
Beckʼscher Online Kommentar StPO
Begr.
Begründung
Bek.
Bekanntmachung
Beschl.
Beschluss
betr.
betreffend
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHR
BGH-Rechtsprechung
BGHSt
Entscheidungssammlung des BGH in Strafsachen
BGHZ
Entscheidungssammlung des BGH in Zivilsachen
BKartA
Bundeskartellamt
BKR
Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht (Zeitschrift)
BRAK
Bundesrechtsanwaltskammer
BRAK-Thesen
Thesen der BRAK zum Unternehmensanwalt im Strafrecht
BR-Drucks.
Bundesratsdrucksache
BreG.
Bundesregierung
Bsp.
Beispiel
bspw.
beispielsweise
BStBl.
Bundessteuerblatt
BT
Besonderer Teil
BT-Drucks.
Bundestagsdrucksache
Buchst.
Buchstabe
BUJ
Bundesverband der Unternehmensjuristen
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
bzgl.
bezüglich
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CB
Compliance-Berater (Zeitschrift)
CCZ
Corporate Compliance Zeitschrift (Zeitschrift)
DB
Der Betrieb (Zeitschrift)
ders.
derselbe
d.h.
das heißt
DICO
Deutsches Institut für Compliance
dies.
dieselbe
DRiZ
Deutsche Richterzeitung (Zeitschrift)
DStR
Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)
Einf.
Einführung
Einl.
Einleitung
EG
Europäische Gemeinschaft, Einführungsgesetz
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
entspr.
entsprechend
erg.
ergänzend
etc.
et cetera
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)
evtl.
eventuell
EstG
Einkommenssteuergesetz
EWeRK
Energie- und Wettbewerbsrecht in der Kommunalen Wirtschaft (Zeitschrift)
EWiR
Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)
f., ff.
folgende
FG BGH
50 Jahre Bundesgerichtshof – Festgabe aus der Wissenschaft
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
GA
Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (Zeitschrift)
gem.
gemäß
ggf.
gegebenenfalls
GmbHR
Die GmbH-Rundschau (Zeitschrift)
grds.
grundsätzlich
GWR
Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)
Hdb.
Handbuch
HK-StPO
Heidelberger Kommentar
h.L.
herrschende Lehre
h.M.
herrschende Meinung
HRRS
Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (Zeitschrift)
Hrsg.
Herausgeber
IBR
Immobilien- und Baurecht (Zeitschrift)
i.d.F.
in der Fassung
i.d.R.
in der Regel
insb.
insbesondere
IRG
Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen
i.S.d.
im Sinne der/des
i.S.e.
im Sinne einer/eines
i.S.v.
im Sinne von
i.Ü.
im Übrigen
i.V.m.
in Verbindung mit
JA
Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift)
JR
Juristische Rundschau (Zeitschrift)
Jura
Juristische Ausbildung (Zeitschrift)
JuS
Juristische Schulung (Zeitschrift)
Justiz
Die Justiz (Zeitschrift)
JZ
Juristenzeitung (Zeitschrift)
Kap.
Kapitel
KG
Kammergericht
KK-OWiG
Karlsruher Kommentar OWiG
KK-StPO
Karlsruher Kommentar StPO
Komm.
Kommentar
Kriminalistik
Kriminalistik (Zeitschrift)
KritV
Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Zeitschrift)
LG
Landgericht
Lit.
Literatur
LK
Leipziger Kommentar
LR-StPO
Löwe-Rosenberg, Kommentar zur StPO
MAH
Münchener Anwaltshandbuch
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift)
MK
Münchener Kommentar
m.N.
mit Nachweisen
M/R
Matt/Renzikowski, Kommentar StGB
MSchrKrim
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (Zeitschrift)
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
n.F.
neue Fassung
NK
Nomos Kommentar
Nr.
Nummer
NJ
Neue Justiz (Zeitschrift)
NJW
Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift)
NStZ-RR
Neue Zeitschrift für Strafrecht-Rechtsprechungsreport (Zeitschrift)
NZA
Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift)
NZG
Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Zeitschrift)
NZKart
Neue Zeitschrift für Kartellrecht (Zeitschrift)
NZWiSt
Neue Zeitschrift für Wirtschafts- Steuer- und Unternehmensstrafrecht (Zeitschrift)
o.g.
oben genannt(e)
OLG
Oberlandesgericht
OVG
Oberverwaltungsgericht
OWiG
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
Prot.
Protokoll
PStr
Praxis des Steuerstrafrechts (Zeitschrift)
rd.
rund
RegE
Regierungsentwurf
RG
Reichsgericht
RGBl.
Reichsgesetzblatt
RiStBV
Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren
Rn.
Randnummer
Rspr.
Rechtsprechung
S., s.
Satz, Seite, siehe
Sch/Sch
Schönke/Schröder, Kommentar StGB
SK
Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch
SK-StPO
Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung
sog.
sogenannte
s.o.
siehe oben
S/S/W
Satzger/Schluckebier/Widmaier, Kommentar StGB
StraFo
Strafverteidigerforum (Zeitschrift)
StV
Strafverteidiger (Zeitschrift)
StVollstrO
Strafvollstreckungsordnung
StVollzG
Strafvollzugsgesetz
s.u.
siehe unten
str.
streitig
StraDAV
Strafrechtsausschuss des deutschen Anwaltsvereins
stRspr.
ständige Rechtsprechung
Tab.
Tabelle
u.Ä.
und Ähnliche/s
u.a.
unter anderem, und andere
UKBA
United Kingdom Bribery Act (2010)
unstr.
unstreitig
Urt.
Urteil
usw.
und so weiter
u.U.
unter Umständen
v.
von, vom
v.a.
vor allem
Var.
Variante
Verf.
Verfasser
VersR
Versicherungsrecht (Zeitschrift)
VG
Verwaltungsgericht
VGH
Verwaltungsgerichtshof
vgl.
vergleiche
Vorb./Vorbem.
Vorbemerkung
VO
Verordnung
WiJ
Journal der wirtschaftsrechtlichen Vereinigung (Zeitschrift)
wistra
Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (Zeitschrift)
WM
Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift)
WRP
Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift)
WUB
Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht (Zeitschrift)
WuW
Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift)
z.B.
zum Beispiel
ZBB
Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (Zeitschrift)
ZfRSoz
Zeitschrift für Rechtssoziologie (Zeitschrift)
zfwu
Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (Zeitschrift)
ZfZ
Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern (Zeitschrift)
ZGR
Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Zeitschrift)
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)
Ziff.
Ziffer
ZIP
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis (Zeitschrift)
ZIS
Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik (Zeitschrift)
zit.
Zitiert
ZJS
Zeitschrift für das juristische Studium (Zeitschrift)
ZLR
Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht (Zeitschrift)
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift)
ZstrR
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift)
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (Zeitschrift)
z.T.
zum Teil
zust.
zustimmend
zutr.
zutreffend
ZVglRWiss
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (Zeitschrift)
ZWeR
Zeitschrift für Wettbewerbsrecht (Zeitschrift)
ZWH
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Haftung im Unternehmen (Zeitschrift)
A.Allgemeines
B.Unternehmenskriminalität – Begriffliche und theoretische Probleme
C.Probleme für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
Teil 1 Einführung in die Problematik › A. Allgemeines
1
Die Frage nach einer Unternehmensstrafe ist schon deswegen von andauernder Aktualität,[1] weil sich auf internationaler Ebene ein eindeutiger Trend für die Etablierung einer solchen Sanktion ausmachen lässt. In Zeiten rechtlicher Globalisierung ist es für ein Normengefüge kaum möglich, sich in „splendid isolation“ gegenüber derartigen Entwicklungen zu immunisieren und das eigene Rechtssystem frei von äußeren Einflüssen zu halten. Die angelsächsischen Länder kennen ohnehin seit langem eine solche Sanktion, nachdem der US-amerikanische Supreme Court im Jahre 1909 die Möglichkeit der Bestrafung eines Unternehmens bestätigt hatte:
„(The law) cannot shut its eyes to the fact that the great majority of business transactions are conducted through these bodies (...), and to give them immunity from all punishment because of the old and exploded doctrine that a corporation cannot commit a crime would virtually take away the only means of effectually controlling the subject-matter and correcting the abuses aimed at“.[2]
2
Hinzu kommt, dass über das europäische Recht ein erheblicher Druck auf den nationalen Gesetzgeber ausgeübt wird, wirkungsvolle Sanktionen gegenüber Unternehmen vorzusehen. Das „Zweite(s) Protokoll aufgrund von Artikel K. 3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften“ hat in Art. 4 Abs. 1 den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, „die erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, „um sicherzustellen, dass gegen eine (...) verantwortliche juristische Person wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen verhängt werden können, zu denen strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Geldsanktionen gehören und andere Sanktionen gehören können (...)“.[3] Obwohl hierdurch explizit keine Verpflichtung zu strafrechtlichen Maßnahmen statuiert wird, leuchtet unmittelbar ein, wie sehr solche supranationalen Vorgaben im Verbund mit der in anderen europäischen Ländern erfolgenden Etablierung einer Unternehmensstrafbarkeit den deutschen Gesetzgeber in Zugzwang bringen.
3
Ob und wie lange der Strafrechtsgesetzgeber einem solchen Druck Stand hält, lässt sich nicht prognostizieren. Jedenfalls wird man eine gewisse Skepsis artikulieren müssen, ob eine solche Sanktion für alle Zukunft unter Hinweis auf die dogmatischen Kategorien fehlender Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit abgelehnt werden kann. Diese Argumentationstopoi machen jedoch deutlich, dass es um eine Frage nach Grund und Grenzen des nationalen Strafrechts geht. Denn eine Unternehmensstrafe stellt einen Fremdkörper für das in der Neuzeit herausgebildete und seinem Anwendungsbereich nach auf natürliche Personen beschränkte Individualstrafrecht dar, da lange Zeit der Satz „societas delinquere non potest“ galt. Jedoch flackerte die Debatte immer wieder auf, was nicht nur in Monographien,[4] sondern auch darin Ausdruck fand, dass sich der Deutsche Juristentag vor dem Hintergrund der Kollektivschulddebatte im Jahre 1953 mit der Problematik beschäftigte – und am Ende relativ klar gegen die Einführung einer Unternehmensstrafe votierte.[5]
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Allerdings stellt die Frage nach einer Unternehmensstrafe von vornherein eine Verengung der Problematik dar, da Unternehmen vielfältigen Sanktionsrisiken ausgesetzt sind. Diese äußern sich in Gestalt von straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Maßnahmen und Nebenfolgen (Verfall, Einziehung), der Abschöpfung des Mehrerlöses oder Geldbußen des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts, aber auch des europäischen Kartellrechts. Bestanden diese Sanktionsrisiken von jeher, hat sich in den letzten Jahren eine fundamentale Änderung insofern ergeben, als diese Ahndungsmöglichkeiten – in den Worten Roscoe Pounds – nicht länger nur „law in the books“, sondern „law in action“ sind.[6] Sie werden seitens der Unternehmen nicht allein wegen der mit ihnen verbundenen finanziellen Einbußen, sondern vor allem der gleichfalls finanziell spürbaren Imageschäden in der Öffentlichkeit gefürchtet, die nicht erst mit der Auferlegung einer solchen Sanktion, sondern bereits mit einem darauf gerichteten und oftmals alles andere als diskret geführten Verfahren eintreten.
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Unabhängig davon, in welcher Gestalt sie verhängt werden (und ob sie überhaupt in den offiziellen Justizstatistiken auftauchen – vielfach handelt es sich um Bestandteile konsensualer Verfahrenserledigungen) ist an diesem Punkt die Frage nach den Ursachen dieser Entwicklung aufgeworfen. Insoweit dürften jedenfalls zwei Aspekte eine wichtige Rolle spielen: Angesichts der immer ausgreifenderen Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Lebens- und Handlungsbereiche liegt es nahe, dass hiervon auch die Instanzen der formellen Sozialkontrolle infiziert werden und die Rechtsanwendung zunehmend von fiskalischen Motiven geprägt ist. Folgerichtig müssen Unternehmen ins Visier von Kontrollinstanzen geraten, da ihre Sanktionierung finanziell ungleich einträglicher ist als die der natürlichen Personen. Für die Sanktionsinstanzen gilt durchaus: „Crime does pay“! Ein weiterer Gesichtspunkt besteht darin, dass es gesellschaftlich nicht nur mehr oder weniger diffuse Vorstellungen über eine Unternehmensverantwortlichkeit, sondern darüber hinausgehend auch das Bedürfnis gibt, eine solche Verantwortlichkeit kollektiver Entitäten mit den Instrumenten des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts zu fixieren (Rn. 430).[7] Dementsprechend treten die individuellen Akteure im gesellschaftlichen Diskurs hinter das Unternehmen zurück: Anstelle der „von Pierer-Affäre“ spricht man über die „Siemens-Affäre“. Dass damit ganz neuartige Probleme im Spannungsfeld der Verantwortungszuschreibung zwischen Staat, Unternehmen und Individuum auftreten, liegt auf der Hand.
Im Jahre 2013 hatte das Land Nordrhein-Westfalen den „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortung für Unternehmen und sonstige Verbände“ vorgelegt, abrufbar unter http://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2013/herbsttkonferenz13/zw3/TOP_II_5Gesetzentwurf.pdf. Siehe hierzu Fischer/Hoven ZIS 2015, 32 ff.; Hein CCZ 2014, 75 ff.; Hoven ZIS 2014, 19 ff.; Hoven/Wimmer/Schwarz/Schumann NZWiSt 2014, 161 ff.; Jahn/Pietsch ZIS 2015, 1 ff.; Krems ZIS 2015, 5 ff.; Löffelmann JR 2014, 185 ff.; Mansdörfer ZIS 2015, 23 ff.; Mitsch NZWiSt 2014, 1 ff.; Rübenstahl/Tsambikakis ZWH 2014, 8 ff.; Schmitt-Leonardy ZIS 2015, 11 ff.; Schünemann ZIS 2014, 1 ff.; Szesny BB 2013, Nr. 47 S. 1; Willems ZIS 2015, 40 ff.; Witte/Wagner BB 2014, 643 ff.; Zieschang GA 2014, 91 ff.
New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. US, 212 U.S. 481, 29 S.Ct. 304, 53 L.Ed. 613 (1909).
ABl. Nr. L 166 vom 28.6.1991, S. 77. Als Beispiele für „andere Sanktionen“ nennt Art. 4 Abs. 1 Maßnahmen des Ausschlusses von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen, Maßnahmen des vorübergehenden oder ständigen Verbots der Ausübung einer Handelstätigkeit, richterliche Aufsicht und richterlich angeordnete Auflösung.
In Deutschland beginnend mit Busch (1933); siehe zu der geschichtlichen Entwicklung auch Heinitz in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1953), Band I, S. 65 ff.
Siehe Engisch in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1954), Band II, E 7, E 23 ff., E 41; Hartung in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1954), Band II, S. 43 ff. Vgl. auch Deutscher Juristentag NJW 1953, 1462, 1462 f.; ders. JZ 1953, 613, 613 f.; Heinitz in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages (1953), Band I, S. 65 ff.
Vgl. Pound American Law Review 44 (1910), S. 12 ff.
Alwart ZStW 105 (1993), 752, 763 f.; Hirsch ZStW 107 (1995), 285, 287; Kempf/Lüderssen/Volk-Theile (2012), S. 175, 181.
Teil 1 Einführung in die Problematik › B. Unternehmenskriminalität – Begriffliche und theoretische Probleme
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Vor diesem Hintergrund wird die gesellschaftliche Relevanz von im Unternehmenskontext begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten deutlich, obwohl sich die Kriminologie erst spät diesem Forschungsgegenstand zuwandte. Kriminalität innerhalb der Wirtschaft wurde erstmals von Edwin H. Sutherland in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts mit dem Konzept des „White-Collar Crime“ thematisiert. Er verstand hierunter solche Verhaltensweisen, die von Personen mit Ansehen und hohem sozialem Status im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit begangen werden: „Crime committed by a person of respectability and high social status in the course of his occupation“.[1] Maßgebliche Eingrenzungsmerkmale bildeten somit die in der Person des Täters liegenden Kriterien des Ansehens („respectability“) und hohen sozialen Status („high social status“) sowie die Berufsbezogenheit des deliktischen Handelns („in the course of his occupation“). Sutherland ging es mit dem Konzept des „White-Collar Crime“ darum, die bis dahin nahezu ausschließlich auf die Unterschichtkriminalität gerichtete Fokussierung der Kriminologie nunmehr in Richtung auf die Kriminalität der Mittel- und Oberschichten zu erweitern, um das seinerzeit vorherrschende Verständnis zu korrigieren, Kriminalität sei in erster Linie durch sozialpathologische Umstände bedingt und demnach letztlich ein Unterschicht-Phänomen. Im Hintergrund stand der Anspruch, den Status der von ihm entwickelten „Theory of Differential Association“ als sämtliche Formen deliktischen Handelns erklärende „General Crime Theory“ zu untermauern, die auf der Grundannahme beruhte, dass kriminelles Verhalten in Interaktion mit anderen Personen – eben „differentiellen Assoziationen“ – in einem Kommunikationsprozess erlernt werde.[2] Da derartige Prozesse nicht auf die Unterschicht beschränkt seien, sondern unabhängig von der jeweiligen Schichtzugehörigkeit in allen Bevölkerungsschichten stattfänden, seien traditionelle Kriminalitätserklärungen unzureichend, weshalb der Blick auf die Kriminalität gesellschaftlicher Eliten gelenkt werden müsse.[3]
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Abgesehen davon, dass dem Begriff des „White-Collar Crime“ von vornherein die Gefahr einer „ideologischen Aufladung“ und Missverständlichkeit im Sinne einer Tätertypologie zu eigen war (was nicht Sutherlands Stoßrichtung war),[4] hat die Definition Schwächen. Die Merkmale des Ansehens bzw. des sozialen Status und der Berufsbezogenheit des Handelns grenzen den in Frage kommenden Täterkreis allenfalls diffus ein[5] und führen zu einem gleichermaßen zu weiten wie zu engen Begriff von Wirtschaftskriminalität. Zu eng erscheint ein solches Verständnis deshalb, weil der Rekurs auf Ansehen und sozialen Status diejenigen Verhaltensweisen nicht erfasst, die von unterhalb der Ebene des Führungspersonals angesiedelten Personen ausgeübt werden.[6] Zu weit ist dieses Verständnis deshalb, weil das Merkmal der Berufsbezogenheit dazu führt, dass sämtliche straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanten Verhaltensweisen in Ausübung eines Berufs als Wirtschaftskriminalität erfasst werden, ohne dass zwingend ein Bezug zur Wirtschaft bestehen muss. Damit wären auch die im Rahmen der Berufsausübung begangenen Delikte Selbständiger (Handwerker, Einzelhändler, Ärzte, Rechtsanwälte etc.) oder sogar hochgestellter Beamter als Wirtschaftskriminalität einzustufen.[7] Dies liefe darauf hinaus, Formen konventioneller Eigentums- oder Vermögenskriminalität, die lediglich innerhalb der Wirtschaft stattfinden, nicht aber spezifischer Ausdruck wirtschaftlichen Handelns sind, als Wirtschaftskriminalität einzustufen.
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Die Kritik an dem Konzept des „White-Collar Crime“ führte dazu, dass in der modernen Kriminologie der Begriff der Wirtschaftskriminalität weniger über die mit weißem Kragen ausgestattete Person des Täters bestimmt, sondern das diese Kriminalitätsform prägende Verhalten mehr und mehr zum maßgeblichen Differenzierungskriterium erhoben wird. Unterschieden wird zwischen „Occupational Crime“ als berufsbezogener Betriebskriminalität und „Corporate Crime“ als Unternehmenskriminalität. Während der Begriff des „Occupational Crime“ begangene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aus persönlichen finanziellen Interessen im Rahmen der Berufsausübung erfasst, betrifft der Begriff des „Corporate Crime“ diejenigen Verfehlungen, die im wirtschaftlichen Interesse eines Unternehmens getätigt werden.[8]
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Allerdings weist der Begriff des „Occupational Crime“ nach wie vor (zu) starke Bezüge zu dem des „White-Collar Crime“ auf.[9] Selbst wenn man als maßgeblichen Unterschied die persönliche wirtschaftliche Motivation des Täters betont, werden vornehmlich Fallgestaltungen erfasst, die klassische Eigentums- und Vermögenskriminalität darstellen. Demgegenüber erscheint Unternehmenskriminalität in verschiedener Hinsicht als der eigentlich bedeutende Bereich straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich entscheidenden Verhaltens, da Unternehmen die zentralen Einheiten innerhalb des Wirtschaftssystems sind und sanktionsfähige Taten im Unternehmensinteresse auch im Hinblick auf Schadenssummen den bedeutsamsten Teil straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanten Handlungen innerhalb der Wirtschaft ausmachen.[10] Unternehmenskriminalität sind demnach diejenigen straf- und ordnungswidrigkeitenrechtswidrigen Verhaltensweisen, die von Unternehmensangehörigen (im Grenzfall vom Alleineigentümer) in der Absicht begangen werden, die Passiva des Unternehmens zu vermindern und/oder die Aktiva zu erhöhen bzw. die im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit eingegangenen Verpflichtungen nicht einzuhalten.[11] Zentrale Bestimmungsmerkmale sind einerseits das Handeln im Unternehmenskontext und andererseits die Ausrichtung der Vorgehensweise an den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens. Als Unternehmen sollen dabei solche organisatorische Einheiten bezeichnet werden, die von einem Rechtssubjekt getragen werden und einem wirtschaftlichen Zweck zu dienen bestimmt sind.[12]
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Die Fokussierung auf den Begriff der Unternehmenskriminalität lenkt den Blick auf deren typischen Merkmale, die zunächst darin bestehen, dass der Eingliederung von Individuen in eine Organisation offenbar kriminogene Wirkung zukommen kann.[13] Jedenfalls hatte bereits Sutherland festgestellt, dass in den von ihm untersuchten Unternehmen unabhängig von der Personalfluktuation bestimmte Formen der Kriminalität persistent blieben und damit nicht allein mit der konkreten Person des Täters erklärt werden konnten.[14]Sutherland sah hierin das Wirken jener kommunikativen Netzwerke, die, über nach Art, Häufigkeit, Dauer, Priorität und Intensität unterscheidbare differentielle Assoziationen, in kriminogene Lernprozesse einmünden. Das berühmte Experiment von Milgram belegte später, in welchem Ausmaß Durchschnittsmenschen bereit waren, autoritären Anweisungen zu folgen, selbst wenn diese Handlungen in eklatantem Widerspruch zu ihrem Gewissen standen: Trotz immer stärkerer Schmerzensäußerungen versetzten die nichtsahnenden Probanden einer vermeintlichen Versuchsperson auf Anweisung weitere Stromschläge, um sie bei Fehlern zu bestrafen.[15] Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Unternehmen durch Arbeitsteilung geprägt sind, womit Information, Entscheidung und Handlung anders als in Konstellationen der Alltagskriminalität nicht in ein und derselben Person zusammenfallen, sondern auf verschiedene Mitarbeiter verteilt sind. Dieser Effekt verstärkt sich dadurch, dass moderne Unternehmen immer weniger durch hierarchische, sondern durch heterarchische Organisationsstrukturen geprägt werden, wodurch Verantwortlichkeitszusammenhänge für den einzelnen Unternehmensangehörigen möglicherweise weniger deutlich sind. Insofern mag es zu Verantwortungsdiffusionen kommen, die nicht einmal intendiert sein müssen.
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Lässt man diese Aspekte Revue passieren, ergibt sich hieraus ein nahe liegendes Präventionsdefizit des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, da die verhaltenssteuernde Wirkung des tatbestandlichen Normappells entweder ins Leere geht oder sich zumindest abschwächt.[16] Indes können diese Effekte nur bedingt über klassische Kriminalitätstheorien erklärt werden, die vor allem mit Blick auf Jugend-, Gewalt- oder konventionelle Eigentums- und Vermögenskriminalität entwickelt wurden, auch wenn ihnen für Einzelaspekte ein gewisser heuristischer Wert zukommt.[17] Selbstverständlich könnte man den auf Unternehmen lastenden Druck zur Erzielung von Gewinnen mit der Anomietheorie Mertonscher Prägung erklären, wenn man Unternehmenskriminalität aus einem Gegensatz zwischen kultureller (im hier interessierenden Zusammenhang bedeutete dies: „Gewinnmaximierung“) und sozialer Struktur (im hier interessierenden Zusammenhang: „Gleiche Verteilung von Chancen, mit legalen Mitteln Gewinne zu erzielen“) erklärt und im Interesse des Unternehmens begangene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten als eine der Möglichkeiten interpretiert, einem solchen Druck („Strain“) zu begegnen.[18] Denn hier würde ein gesellschaftlich als illegitim erachtetes Mittel (kriminelles Verhalten) zur Erreichung eines gesellschaftlich als legitim erachteten Zieles (Gewinn) eingesetzt, was innerhalb der Theorie mit dem Begriff der „Innovation“ umschrieben wird. Indes hatte Merton allein den auf Individuen lastenden „Strain“ vor Augen, der dann als Erklärung für Formen vor allem konventioneller Kriminalität fungierte, weshalb ein solcher Erklärungsansatz nicht ohne Weiteres für die Erklärung überindividueller sozialer Phänomene taugt. Ebenso könnte man die kriminogene Wirkung der Eingliederung in die Unternehmensorganisation im Sinne von Theorien der Subkultur bzw. Neutralisationstechniken erklären: Basieren beide Ansätze wie die Anomietheorie auf einem Gegensatz zwischen kultureller und sozialer Struktur, könnte Unternehmenskriminalität in der Weise gedeutet werden, dass entweder eine der auf die Einhaltung straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorgaben ausgerichteten Hauptkultur entgegengesetzte Subkultur herausgebildet wird, die Normverstöße als Instrument wirtschaftlicher Zielerreichung akzeptiert.[19] Oder bei grundsätzlichem Einverständnis in Bezug auf straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorgaben werden im Interesse des Unternehmens begangene Normverstöße im Einzelfall akzeptiert, weil der jeweilige Normappell aufgrund des Wettbewerbsdrucks oder des Erhalts von Arbeitsplätzen neutralisiert wird.[20] Ungeachtet ihres heuristischen Potentials wird man sich aber auch hier vergegenwärtigen müssen, dass diese Ansätze in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts zur Erklärung jugendlicher Gang-Kriminalität in US-amerikanischen Großstädten entwickelt wurden, was erst einmal wenig mit in Unternehmenszusammenhängen begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu tun hat. Ähnliches lässt sich neueren Ausprägungen des Rational Choice-Ansatzes entgegenhalten,[21] die das Unternehmenswirken als Aggregation von Einzelentscheidungen der Mitarbeiter und das Unternehmen als korporativen Akteur verstehen, der mit einem „Bewusstsein“ sowie einem „Entscheidungs- und Handlungszentrum“ ausgestattet sei.[22] Eine solche Interpretation läuft auf eine Anthropomorphisierung von Unternehmen hinaus und blendet den Umstand aus, dass ein Unternehmen mehr als die Summe seiner Einzelteile darstellt und straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich relevantes Unternehmenswirken nicht ohne Weiteres aus der bloßen Addition einzelner Informationen, Entscheidungen und Handlungen von Unternehmensangehörigen erklärbar ist.[23] Vor diesem Hintergrund erlangt die autopoietische Systemtheorie Bedeutung, die in Gestalt des Emergenzbegriffs von vornherein davon ausgeht, dass jedes „Soziales“ in Gestalt sozialer Systeme überhaupt erst zur Entstehung bringende Kommunikation das Auftreten eines neuen Ordnungsniveaus bezeichnet, welches sich nicht mehr allein aus den Eigenschaften des ihm zugrunde liegenden Unterbaus erklären lässt.[24] Konkret: Unternehmen sind mehr als die Summe ihrer Teile.[25] Die Systemtheorie trägt von vornherein Emergenzeffekten Rechnung und bietet um den Preis eines beachtlichen Abstraktionsgrades ein erhebliches Auflösungspotential, da mit ihr ein Paradigmenwechsel von der Analyse individuellen Handelns zur Analyse überindividueller Kommunikationsprozesse verbunden ist.[26] Unmittelbare Konsequenzen für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht lassen sich aus ihr allerdings nicht ableiten; die insoweit zutreffenden Dezisionen müssen innerhalb des Rechtssystems erfolgen. Dann aber ist von Interesse, ob, wie und warum das Etikett der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Relevanz bestimmter Verhaltensweisen zur Anwendung gebracht wird. Kriminologisch steht dahinter der dem konstruktivistischen Paradigma verhaftete Labeling Approach Ansatz, der davon ausgeht, dass Kriminalität keine ontische Basis hat, sondern das Ergebnis von Definitionsprozessen auf der Ebene der Normsetzung und -anwendung ist.[27]
Sutherland S. 7.
Zu diesem Zusammenhang siehe Boers MSchrKrim 2001, 335, 341; Theile (2009), S. 27 ff.
Sutherland S. 4 f.
Otto MSchrKrim 1980, 397, 399; ders. Jura 1989, 24, 25; Volk JZ 1982, 82, 85. Ferner Baumann JZ 1983, 935, 936; Hassemer StV 1990, 328, 330; Herzog (1991), S. 111; Schubarth ZStW 92 (1980), 80, 105.
Baumann JZ 1983, 935, 936; Geerds (1991), S. 10; Otto MSchrKrim 1980, 397, 399.
Boers MSchrKrim 2001, 335, 338; Meier § 11 Rn. 4 f. Kritisch zu solchen Definitionsversuchen Eisenberg § 47 Rn. 3 ff.; Kaiser § 74 Rn. 11.
Boers MSchrKrim 2001, 335, 338; Meier § 11 Rn. 4 f. Kritisch zu solchen Definitionsversuchen Eisenberg § 47 Rn. 3 ff.; Kaiser § 74 Rn. 11.
Göppinger § 25 Rn. 5; Meier § 11 Rn. 6; Schwind § 21 Rn. 16. Weitere Präzisierungen bei Schmitt-Leonardy (2013), Rn. 272, 277; dies. ZIS 2015, 11, 18.
Boers MSchrKrim 2001, 335, 338; Geis (1992), S. 9; Pearce (2001), S. 35, 37; Reiss/Tonry (2001), S. 32 f. Zum Ganzen Theile (2009), S. 27 ff.
Boers MSchrKrim 2001, 335, 338; Jung (1997), S. 4; Lampe ZStW 106 (1994), 683, 708 f.; Hirsch/Hofmanski/Plywaczewski/Roxin-Lampe S. 95, 102; Schünemann (1979), S. 4 f., 16; ders. wistra 1982, 41.
Opp (1975), S. 45 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Schünemann (1979), S. 6, 13 f.; ders. wistra 1982, 41.
Lampe ZStW 106 (1994), 683, 697; Schlüter (2000), S. 19; Schünemann (1979), S. 6; ders. wistra 1982, 41. Vgl. auch Pearce (2001), S. 35, 40.
Siehe hierzu auch Hefendehl MSchrKrim 2003, 27, 30 ff.; Schünemann in: Madrid-Symposium Tiedemann (1994), S. 265, 270; ders. in Schünemann (1996), S. 18 ff., 129, 131 ff.; Theile in: Rotsch (2015), § 34 Rn. 43.
Sutherland S. 17 ff., 234 ff., 257 ff.
Milgram Das Milgram Experiment (1974). Siehe hierzu Hefendehl MSchrKrim 2003, 27, 33 f.; Schünemann (1996), S. 21 ff. Neuerdings Kölbel ZIS 2014, 552, 552 ff.
Vgl. insoweit auch die Hinweise Schünemanns auf eine „kriminelle Verbandsattitüde“ in: Madrid-Symposium Tiedemann (1994), S. 265, 271. Aus kriminologischer Sicht hierzu Kölbel ZIS 2014, 552, 553 ff.; Theile in: Rotsch (2015), § 34 Rn. 43.
Siehe hierzu etwa Singelnstein MSchrKrim 2012, 52, 52 ff.; Theile in: Rotsch (2015), § 34 Rn. 44. Ferner Schneider in: FS Heinz (2012), S. 663, 673.
Vgl. Merton in: Sack/König, S. 283, 289 ff. Siehe hierzu Schmitt-Leonardy ZIS 2015, 11, 14; Singelnstein MSchrKrim 2012, 52, 53, 55 ff. Siehe ferner Agnew Criminology 30 (1992) 47, 47 ff.
Vgl. Cohen/Short in: Sack/König, S. 372, 372 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Kempf/Lüderssen/Volk-Schmitt-Leonardy (2012), S. 111 ff.; dies. ZIS 2015, 11, 15.
Vgl. Sykes/Matza in: Sack/König, S. 360, 360 ff. Siehe hierzu Hefendehl MSchrKrim 2005, 444, 452 ff.; Bannenberg/Jehle-Kaspar S. 135, 138 f.; Kölbel ZIS 2014, 552, 553; Schmitt-Leonardy ZIS 2014, 11, 15; Theile ZIS 2008, 406, 410. Siehe ferner Benson Criminology 23 (1985) 583, 591 ff.
Zu den Grenzen des Rational Choice-Ansatzes siehe auch Hefendehl ZStW 119 (2007), 816, 820 ff.
Esser Bd. 3 (2002), S. 85 ff., 116 ff. Siehe ferner Coleman (1986), S. 17, 24 f., 36 ff. Ähnlich Kempf/Lüderssen/Volk-Lüderssen (2012), S. 79, 81 ff. Kritisch zu derartigen Ansätzen Boers MSchrKrim 2001, 335, 349 f. Vgl. auch die Analyse bei Kempf/Lüderssen/Volk-Schmitt-Leonardy (2012), S. 111, 123 ff.; dies. ZIS 2015, 11, 17.
Hoyningen-Huene in: Lübbe (1994), S. 165, 171 ff.; Bayertz-Lenk/Maring S. 243; Luhmann (1968), S. 56, 171 ff.; Lübbe (1998), S. 122 ff.; Willke S. 52 ff. Aus dogmatischer Sicht Dannecker GA 2001, 101, 108 f.; Heine in: Alwart (1998), S. 90, 101; ders. ZStrR 2001, 22, 25; Hirsch ZStW 107 (1995), 285, 288 f.; Lampe ZStW 106 (1994), 683, 691; Seelmann in: FS Schmid (2001), S. 169, 170 f. Zum Ganzen Theile (2009), S. 45 ff.
Vgl. etwa Bode (1999), S. 100; Eder ZfRSoz 1986, 1, 19; Luhmann (1999), S. 56, 171, 175; Willke S. 52 ff. Zum Ganzen siehe Theile (2009), S. 54 ff.
Treffend Schmitt-Leonardy ZIS 2014, 11, 17. Siehe auch Heine in: Alwart (1998), S. 90, 101; ders. ZStrR 2001, 22, 25; Seelmann in: FS Schmid (2001), S. 169, 171, 177.
Vesting Jura 2001, 299, 300. Aus kriminologischer Perspektive siehe Boers MSchrKrim 2001, 335, 350 ff.; ders. Wissenschaftliches Symposium Sessar (2012), S. 251, 257 ff.
Sack in: König (Hrsg.), S. 239; Karliczek-Sessar S. 32, 61 ff. Siehe ferner Hondrich-Becker/Blumer S. 102; McNaughton-Smith in Lüderssen/Sack S. 197. Vgl. ferner Hart (2011), S. 118 ff.
Teil 1 Einführung in die Problematik › C. Probleme für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
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Gerade diese Dezisionen auf Ebene der Normsetzung und -anwendung stellen sich im Hinblick auf Unternehmenskriminalität als Problem dar, weshalb der Zugriff des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts an Grenzen stößt. Schwierigkeiten bereitet insbesondere der Umgang mit dem Phänomen der Emergenz, was freilich von der Ausgestaltung der jeweiligen normativen Programme abhängt. Nur vordergründig weist die Debatte um das Wesen der juristischen Person, die im 19. Jahrhundert zwischen von Giercke und von Savigny geführt wurde, Bezüge zu dieser Problematik auf: Von Giercke vertrat insoweit den Standpunkt, die Körperschaft sei eine sich über seine Repräsentanten ausdrückende reale Gesamtperson,[1] während von Savigny davon ausging, die juristische Person sei ein unkörperliches Gedankenwesen, das allein qua juristischer Fiktion entstehe.[2] Im Zentrum der Auseinandersetzung stand weniger das jeweilige Verständnis vom Unternehmen als soziales Phänomen, sondern vielmehr das jeweils differierende Grundverständnis über den Unternehmensträger: Von Giercke wollte mit seiner Interpretation einem vorgegeben sozialen Tatbestand Rechnung tragen, von Savigny kam es darauf an, allein Menschen aufgrund ihrer Fähigkeit zur Selbstbestimmung als originäre Rechtsperson zu akzeptieren.[3]
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Erkennt man an, dass ein Unternehmen mehr als die Summe seiner Teile ist, wäre es an sich folgerichtig, allein das Unternehmen, nicht aber einzelne Mitarbeiter zu sanktionieren, weil nur das Unternehmenswirken in toto den eine Sanktionierung tragenden Grund bietet. Anders als das europäische Recht, das etwa im Kartellrecht ohne jede individuelle Anknüpfungstat die Sanktionierung von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen gestattet, zieht jedoch nicht einmal das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht eine solche Konsequenz. Voraussetzung für die Verhängung einer Geldbuße gegenüber einer juristischen Person oder Personenvereinigung ist nach wie vor die individuelle Anknüpfungstat eines für das Unternehmen handelnden Repräsentanten (vgl. § 30 Abs. 1 OWiG). Das Strafrecht trägt dem Aspekt der Emergenz ebenso wenig Rechnung und kann dies angesichts seiner individualistischen Ausrichtung sowie des Fehlens einer Unternehmensstrafe nicht einmal tun: Die Verhängung einer Freiheits- oder Geldstrafe ist allein gegenüber einer schuldhaft handelnden Individualperson möglich, womit das Unternehmenswirken insgesamt zwangsläufig ausgeblendet wird. Ein solcher Ausblendungsmechanismus stellt aus systemtheoretischer Perspektive eine Komplexitätsreduktion dar, an der sich das Strafrecht aufgrund der ihm eigenen dogmatischen Kategorien der Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit des Sanktionsadressaten gerade als System bewährt. Ob die Reduktion von Komplexität nicht auf höherem und der durch das Wirken von Unternehmen geprägten wirtschaftlichen Umwelt stattfinden müsste, ist dann bereits die Frage nach der Unternehmensstrafbarkeit.
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Aber selbst wenn man diese der lex lata zugrunde liegende Komplexitätsreduktion als Ausgangspunkt nimmt, besteht die eigentliche Problematik des straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Umgangs mit Unternehmenskriminalität darin, dass anders als in Fällen der konventionellen Eigentums- und Vermögenskriminalität Information, Entscheidung und Handlung im Regelfall nicht in ein und derselben Person zusammenfallen, sondern in Unternehmen auf unterschiedliche Personen verteilt sind.[4] Die Schwierigkeiten potenzieren sich noch dadurch, als aus dem Unternehmenswirken entstehende Rechtsgutsverletzungen oftmals gar nicht auf eine einzelne Handlung bezogen werden können, sondern das Ergebnis langjähriger Fehlentwicklungen sind, die durch mangelndes Risikomanagement gekennzeichnet sind.[5] Unabhängig davon, ob dies im Sinne einer „organisierten Unverantwortlichkeit“ intendiert ist oder schlicht aufgrund der Eigenheiten des Unternehmenszusammenhanges geschieht, liegt es nahe, dass hieraus für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Probleme erwachsen.[6] Zwar wird teilweise eingewandt, Unternehmenskriminalität zeichne sich gar nicht durch erhöhte Beweisschwierigkeiten aus, da die formelle innerbetriebliche Organisation fortlaufend zur Dokumentation von Entscheidungsabläufen zwinge.[7] Die oftmals beklagten Probleme bezögen sich demnach weniger auf die Unmöglichkeit, sondern auf die faktische Unzumutbarkeit der Beweisführung.[8] Unabhängig davon, ob im Hinblick auf die Beweisführung von Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit auszugehen ist, besteht jedoch kein Zweifel, dass insoweit erhebliche praktische Schwierigkeiten auftreten.[9]
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Die Problematiken bestehen gleichermaßen im Horizontalverhältnis von Individuen auf gleicher Hierarchieebene wie im Vertikalverhältnis von Individuen auf hierarchisch unterschiedlichen Stufen, weshalb in diesem Bereich jeweils spezifische Schwierigkeiten in der Zurechnung und der Implementation des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts entstehen: „An den Klippen der Arbeitsteilung zerschellen die klassischen Prinzipien der Verantwortlichkeit“.[10] Hinzu kommt der bereits angesprochene Aspekt, dass moderne Unternehmen oftmals gar nicht mehr durch ausschließlich hierarchische, sondern auch durch heterarchische Organisationsformen geprägt sind. Vor diesem Hintergrund sind das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, welches selbst im Zusammenhang mit der Verhängung einer Geldbuße gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen die Feststellung einer individuellen Anknüpfungstat verlangt (vgl. § 30 Abs. 1 OWiG), vor die Herausforderung gestellt, Verantwortungsattributionen im Unternehmenskontext vorzunehmen.
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Die folgende Darstellung unternimmt den Versuch, diesen Problemen auf sämtlichen Ebenen des Unternehmens sowohl in horizontaler als auch vertikaler Perspektive nachzugehen (siehe Rn. 17 ff.), bevor anschließend besonders praxisrelevante Instrumente dargestellt werden, wie auch nach geltendem Recht eine Sanktionierung von Unternehmen erfolgen kann (siehe Rn. 256 ff.). Schließlich sollen in einem Ausblick Perspektiven angedeutet werden, wie mit der Problematik einer Sanktionierung von Unternehmen de lege ferenda umgegangen werden könnte (siehe Rn. 398 ff.).
V. Giercke (1881), S. 603 f.; ders. (1902), S. 22.
V. Savigny (1840), § 85 S. 236 f.
Kempf/Lüderssen/Volk-Schmitt-Leonardy (2012), S. 111, 118. Siehe hierzu auch Röhl/Röhl S. 469 § 58.
Alwart ZStW 105 (1993), 752, 754; ders. in: Alwart (1998), S. 75, 79; Dannecker GA 2001, 101, 102 ff.; Ehrhardt (1994), S. 159 ff.; Heine (1995), S. 31 ff.; ders. in: Alwart (1998), S. 90, 91 f.; ders. ZStrR 2001, 22, 24 ff.; Mittelsdorf (2007), S. 10 ff.; Otto Jura 1998, 409, 410; Ransiek (1996), S. 191 ff.; Schünemann wistra 1982, 41, 42; ders. in: Madrid-Symposium Tiedemann (1994), S. 265, 271 f.; Kempf/Lüderssen/Volk-Theile (2012), S. 175, 177. Grundlegend auch Stratenwerth ZStW 105 (1993), 679, 681 f.
Heine (1995), S. 141; Otto (1993), S. 25; ders. Jura 1998, 409, 416.
Zum Begriff siehe insbesondere Schünemann (1979), S. 18, 34, 149 ff.; ders. wistra 1982, 41, 42. Siehe in diesem Zusammenhang auch Heine in: Alwart (1998), S. 90, 91; Otto Jura 1998, 409 f.
So etwa Schünemann (1979), S. 41 ff.; ders. wistra 1982, 41, 49.
Volk JZ 1993, 429, 433. Vgl. insoweit auch Krekeler in: FS Hanack (1999), S. 639, 660 ff.; Leipold NJW-Spezial 2008, 216 f.; ders. in: FS Gauweiler (2009), S. 375, 380; Schlüter (2000), S. 32; Seelmann in: FS Schmid (2001), S. 169, 171 f.
Vgl. hierzu Dannecker GA 2001, 101, 103 f.; Heine in: Alwart (1998), S. 90, 91 f.; ders. ZStrR 2001, 22, 24 ff.; Otto (1993), S. 7 ff.; ders. Jura 1998, 409, 410; Schünemann wistra 1982, 41, 42 f.; Stratenwerth in: FS Schmitt (1992), S. 295, 301. Siehe hierzu auch Kempf/Lüderssen/Volk-Theile (2012), S. 175, 177 f.
Luhmann (5. Aufl. 1999), S. 185.
A.Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen auf Leitungsebene
B.Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen in Aufsichtsgremien
C.Weitere einschlägige dogmatische Problemfelder
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Die bisherigen Ausführungen hatten deutlich gemacht, dass sich Unternehmenskriminalität erheblich von anderen Kriminalitätsphänomenen unterscheidet und spezifische Schwierigkeiten bestehen, im Unternehmenskontext begangene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu sanktionieren (siehe Rn. 12 ff.). Gleichwohl sind Unternehmen keine „rechtsfreien Räume“ und Zugriffe des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts prinzipiell möglich, wenn sie nicht sogar aufgrund des im Strafrecht geltenden Legalitätsprinzips gefordert sind (vgl. §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO). Der Versuch, in Unternehmenszusammenhängen begangene Rechtsverstöße mit den normativen Programmen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts zu sanktionieren, hat jedoch zu einer verselbständigten Dogmatik geführt, die sich mitunter erheblich von der des Kernstrafrechts abhebt und konventionelle dogmatische Figuren an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringt. Dies alles wirft die Frage auf, ob und inwieweit angesichts der Eigenständigkeit überhaupt noch von einer Einheit innerhalb des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts die Rede sein kann. Verselbständigte Dogmatiken tragen sicher den Besonderheiten eines zu regulierenden gesellschaftlichen Lebens- und Handlungsbereichs Rechnung. Indes ist zu berücksichtigen, dass die wesentliche Funktion von Dogmatik darin besteht, grundlegende materiale Prinzipien des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts über Systematisierungsleistungen für die konkrete Rechtsanwendung operationalisierbar zu machen. In einem Pluriversum unterschiedlicher, jeweils nach gesellschaftlichen Lebens- und Handlungsbereichen ausdifferenzierten Dogmatiken, steht jedoch nicht nur die normative Orientierungssicherheit des Individuums, sondern möglicherweise der Bezug zu diesen materialen Prinzipien auf dem Spiel, wodurch die Identität des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts insgesamt gefährdet wird. Die Erstreckung des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts auf das Phänomen der Unternehmenskriminalität kann daher mit einer Überdehnung oder Deformation dieser Rechtsmaterien einhergehen.
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Die hiermit angedeuteten Probleme offenbaren sich auf verschiedenen Ebenen des Unternehmens, wobei die Besonderheiten insbesondere mit Blick auf die Sanktionierung der auf Leitungs- oder Aufsichtsebene tätigen Personen akut werden. Der tiefere Grund ist in der individualistischen Ausrichtung des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts zu sehen, nach der eine zu sanktionierende Rechtsgutsverletzung auch in Unternehmenszusammenhängen grundsätzlich einem schuldhaft oder vorwerfbar handelnden Individuum zuzurechnen ist. Die auf das einzelne Rechtssubjekt zu beziehende Zurechnung bereitet in kollektiven Zusammenhängen jedoch erhebliche Schwierigkeiten. Weniger Probleme bestehen demgegenüber im Hinblick auf eine Sanktionierung der auf unteren Hierarchieebenen angesiedelten Mitarbeiter, die weitgehend im Rahmen tradierter Zurechnungsmuster stattfinden kann.
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Im Folgenden werden die Besonderheiten der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung auf der Ebene der Leitungs- (dazu Rn. 20 ff.) sowie Aufsichtsorgane eines Unternehmens (dazu Rn. 201 ff.) dargelegt. Hierbei kann zwischen den Haftungsrisiken auf horizontaler und vertikaler Ebene differenziert werden. Darüber hinaus treten in Unternehmenzusammenhängen dogmatisch spezifische Fragestellungen auf, die nicht einer dieser verschiedenen Hierarchieebenen ausschließlich zugeordnet werden können (dazu Rn. 211 ff.). Auf jeder dieser Ebenen, in jeder Perspektive und bei jeder spezifischen Fragestellung ist es Aufgabe der Verteidigung, dem „hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit“ entgegenzutreten.[1]
Alsberg (1930), S. 328. Siehe hierzu insbesondere Jahn NZWiSt 2014, 58 ff. Grundlegend Ignor in: FS 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin (2010), S. 655 ff.
Teil 2 Die rechtliche Bewältigung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Unternehmenskontext › A. Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen auf Leitungsebene
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Bei unternehmensbezogenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten agiert in den seltensten Fällen eine Leitungsperson allein; vielmehr sind im Regelfall verschiedene Personen entweder auf derselben oder auf einer untergeordneten Hierarchieebene beteiligt, was eine Differenzierung von horizontaler und vertikaler Haftung nahe legt.
Teil 2 Die rechtliche Bewältigung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Unternehmenskontext › A. Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen auf Leitungsebene › I. Haftung im Horizontalverhältnis
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Die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung weist im Horizontalverhältnis Besonderheiten auf, obwohl für Erfolgsdelikte die generellen Grundsätze über Kausalität und Zurechnung sowie die allgemeinen Beteiligungsregeln gelten.
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An sich müsste es dem Konzept individueller Schuld und Vorwerfbarkeit entsprechen, die Zurechnung von Rechtsgutsverletzungen vor allem mit Blick auf das Individuum vorzunehmen, dem gegenüber ein straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorwurf artikuliert werden soll. Gerade dies wird jedoch zum Problem, da innerhalb von Leitungsgremien im Regelfall mehrere Personen agieren, weshalb es nicht überrascht, dass die Praxis anstelle einer individuellen eine unternehmensbezogene Betrachtungsweise wählt, bei der zunächst eine Zurechnung auf das Unternehmen und erst dann auf innerhalb dieses Unternehmens angesiedelte Individuen stattfindet. In diesem Sinne ist die in BGHSt 37, 106 ff. entwickelte Rechtsprechung zu interpretieren, durch die in Abkehr von einer individuellen Zurechnung ein Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit statuiert und unter Hinweis auf gesellschaftsrechtliche Pflichtenstellungen ein straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanter Erfolg im ersten Schritt allen Mitgliedern eines Gremiums zugerechnet wird.[1] Die unternehmensbezogene Betrachtungsweise hat zur Folge, dass die Leitungsorgane einer Gesellschaft – etwa der Vorstand einer Aktiengesellschaft oder die Geschäftsführung einer GmbH – schon aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlich fundierten Position für sämtliche Angelegenheiten der Gesellschaft verantwortlich und zuständig sind und in den Sog der Zurechnung geraten.[2] Demgegenüber spielt die Frage, ob im Einzelfall im Sinne eines Ressortprinzips Verantwortungs- und Zuständigkeitsverteilungen vorgesehen waren oder nicht, allenfalls im zweiten Schritt der Zurechnung eine Rolle; in Krisen- und Ausnahmesituationen soll aber der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit wieder aufleben:[3]
[BGHSt 37, 106, 124]
„Doch greift der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit ein, wo – wie etwa in Krisen- und Ausnahmesituationen – aus besonderem Anlass das Unternehmen als Ganzes betroffen ist; dann ist die Geschäftsführung insgesamt zum Handeln aufgerufen“.[4]
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Der dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht an sich gemäße individuelle Haftungsansatz wird hierdurch von den Füßen auf den Kopf gestellt, indem über die Referenz auf Generalverantwortung und Allzuständigkeit kollektive als individuelle Verantwortlichkeit ausgewiesen wird.[5] Die pauschale Anknüpfung der Zurechnung an das Leitungsorgan und seine Mitglieder kaschiert nur notdürftig, dass an sich das Unternehmen der eigentliche Haftungsadressat ist. Zurechnungsmaßstäbe werden somit in einer Weise vergröbert, die nur schwer mit dem Prinzip individueller Schuld und Vorwerfbarkeit in Einklang gebracht werden können.[6] Die Problematik einer solchen Haftungsbegründung löst sich nicht über die Referenz auf das Gesellschaftsrecht auf, da die Zurechnung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht zivilrechtlichen Haftungszwecken, sondern der Sanktionierung von Einzelpersonen dient. Die jeweiligen Pflichtenkreise sind nicht deckungsgleich, sondern vielmehr sind an das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht generell höhere Zurechnungsanforderungen zu stellen, die sich nur bedingt mit Pauschalierungen vereinbaren lassen. Insofern ist es für jede Verteidigung unabdingbar, auf diese im unterschiedlichen Charakter der Rechtsgebiete angelegten Diskrepanzen zu insistieren. Dies gilt umso mehr, als das von der Rechtsprechung postulierte Wiederaufleben des Grundsatzes der Generalverantwortung und Allzuständigkeit in Krisen- und Ausnahmesituationen für den Beschuldigten schon deswegen Steine statt Brot darstellt, weil es gerade jene Ausnahmen und Krisen sind, denen ex post straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Relevanz beigemessen wird.[7] Die Statuierung einer Generalverantwortung und Allzuständigkeit führt ferner dazu, dass in der Praxis allzu freihändig schlechterdings nicht zu erfüllende Pflichtenkataloge formuliert werden.[8] Angesichts dieser Gefahren hat die Verteidigung aufzuzeigen, wo die rechtlichen, aber auch faktischen Grenzen postulierter Pflichten liegen. Die mit der immerhin auch nach dem BGH zulässige Delegation von Aufgaben dürfte zudem im Horizontalverhältnis weiter reichen, da Delegat und Delegatar als Leitungspersonen gleichermaßen gesteigerten Pflichten unterliegen, auf deren wechselseitige Erfüllung man namentlich auf Leitungsebene vertrauen können muss.[9] Dementsprechend kommt es aus Verteidigungssicht darauf an, deutlich zu machen, dass eine wechselseitige Totalkontrolle der Mitglieder derartiger Gremien weder praktikabel noch wünschenswert wäre.
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Mit Blick auf die Haftung im Horizontalverhältnis ist zwischen den Verhaltensmodalitäten des aktiven Tuns und des Unterlassens zu differenzieren, wobei der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit für beide Handlungsweisen gleichermaßen gilt.
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Findet der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit Anwendung auf das aktive Tun, wird auf dieser Grundlage die Zurechnung eines straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanten Erfolges auf sämtliche Mitglieder eines Leitungsorgans vorgenommen. Sofern der Vorwurf an ein außerhalb des Abstimmungsverhaltens liegendes Tun anknüpft, ergeben sich im Prinzip keine Probleme, da die Zurechnung in diesem Fall auf das konkrete Ausführungsverhalten gestützt werden kann.[10] Allerdings vollziehen die in der Leitungsebene eines Unternehmens angesiedelten Personen im Regelfall nicht selbst die rechtsgutsschädigende Handlung, sondern wirken lediglich an Entscheidungen eines Gremiums mit, die erst über ihre Umsetzung durch hierarchisch untergeordnete Mitarbeiter in die eigentliche Rechtsgutsverletzung münden. Die Leitungspersonen können dabei den Inhalt des ihnen in der Regel als Vorlage zukommenden Gremienbeschlusses nur als Ganzes zustimmen oder ablehnen und nicht individuell beeinflussen.[11] Was die Abstimmungsregeln anbelangt, reichen nach den Bestimmungen der einschlägigen Gesetze oder Satzungen üblicherweise bloße Mehrheitsbeschlüsse aus. Selbst dort, wo das Gesetz wie im Falle des Vorstands einer Aktiengesellschaft in § 77 Abs. 1 S. 1 AktG eine einstimmige Entscheidung des Kollegialorgans verlangt, sind zahlreiche Ausnahmen von diesem Grundsatz vorgesehen, da Unternehmen anderenfalls de facto handlungsunfähig wären.
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Können Unternehmen nur über Kollegialentscheidungen einen gemeinsamen Willensentschluss bilden und betätigen, ergibt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein konkretes Abstimmungsverhalten zu individueller Schuld oder Vorwerfbarkeit führt. Obwohl die Willensbildung und -betätigung durch das Leitungsorgan als Ganzes erfolgt, muss der Erfolg einem innerhalb dieses Gremiums angesiedelten und an der Abstimmung beteiligten Individuum zugerechnet werden, sofern man das dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht zugrunde liegende Konzept individueller Schuld oder Vorwerfbarkeit nicht komplett verabschieden will. Demgegenüber bildet die bloße Zugehörigkeit zu einem Gremium ebenso wenig wie die mit der Teilnahme an der Abstimmung herbeigeführte Beschlussfähigkeit eine ausreichende Grundlage für die Zurechnung.[12]
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Die zentrale Entscheidung BGHSt 37, 106 ff. bezog sich zwar auf die Unterlassungshaftung, kann aber in gleicher Weise im Hinblick auf das aktive Tun Geltung beanspruchen. Für die Einordnung des Verhaltens ist nicht auf den Abstimmungsakt selbst abzustellen. Aufgrund des mit einer Zustimmung verbundenen Energieeinsatzes würde aus einer naturalistischen Sichtweise regelmäßig ein aktives Tun vorliegen; im Übrigen hinge die Einordnung des Verhaltens von der Formulierung der Vorlagefrage ab. Es kommt stattdessen darauf an, ob das durch das Leitungsorgan beschlossene Verhalten normativ als aktives Tun oder Unterlassen zu werten ist und der Beschluss somit in ein aktives Tun oder Unterlassen einmündet.[13] Eine solche Betrachtungsweise rechtfertigt sich daraus, dass das Beschluss- und anschließende Ausführungsverhalten wertungsmäßig eine Einheit bilden und das Ausführungsverhalten nur Folge des Beschlussverhaltens ist.
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Unter Zurechnungsaspekten steht im Zentrum vor allem die Frage, ob das individuelle Abstimmungsverhalten für einen Erfolg kausal geworden ist oder nicht. Auf dem Boden der Äquivalenztheorie bzw. der condicio sine qua non-Formel ist kausal jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.[14]
An diesem Punkt sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden.
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Sofern eine einstimmige Beschlussfassung gefordert ist, ist die Kausalität zwischen dem zustimmenden Votum und dem Erfolg gegeben, weil mehrere unabhängig voneinander vorgenommene Handlungen als jeweils eigenständige Bedingungen in ihrem Zusammenwirken den Erfolg herbeiführen (sog. kumulative Kausalität).[15] Überdies ist die objektive Zurechnung zu bejahen, da mit dem durch das Positivvotum herbeigeführten einstimmigen Beschluss eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen wird, die sich im späteren Erfolg realisiert.
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Sofern eine Mehrheitsentscheidung betroffen ist, liegt bei einer Mehrheit von nur einer Stimme ebenfalls kumulative Kausalität vor, da das Positivvotum nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.[16] Die objektive Zurechnung ist gleichfalls möglich, da sich das durch die in den Mehrheitsbeschluss einmündende Stimme geschaffene rechtlich missbilligte Risiko im Erfolg realisiert.
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Die Kausalität wird zum Problem, wenn ein Beschluss mit einer – soliden – Mehrheit von mindestens zwei Stimmen ergeht. Wendet man die condicio sine qua non-Formel an, könnte jeder positiv Votierende darauf verweisen, bei Hinwegdenken seiner Stimme wäre der Erfolg angesichts der Stimmenmehrheit ohnehin eingetreten. Hiergegen wird vorgebracht, dass ein solcher Verweis mit den Prämissen der Formel nicht im Einklang stehe: Denn mit dem Hinwegdenken des Positivvotums sei immer ein Hinzudenken von Gegenstimmen oder Enthaltungen verbunden; stelle man allein auf den Wirkmechanismus der Stimmabgabe ab, sei also Kausalität gegeben.[17] Allerdings wird bei Hinwegdenken einer Bedingung stets eine Welt ohne diese Bedingung hinzugedacht,[18] weshalb das Argument am Ende nicht überzeugt. Die Kausalität kann ebenso wenig mit dem Hinweis auf die konkrete Gestalt des Erfolges angenommen werden, obwohl das Mehrheitsbild bei Hinwegdenken der Einzelstimme modifiziert würde: Denn der für die Kausalitätsfrage maßgebliche Erfolg ist nicht das modifizierte Abstimmungsergebnis, sondern die Schädigung des Rechtsguts; das Gesamtvotum bildet nur einen Zwischenerfolg.[19] Hierfür ist die überzählige Stimme nicht notwendig und kann deshalb entsprechend den Grundsätzen der condicio sine qua non-Formel durchaus hinweggedacht werden.
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Gleichwohl wird bei einer soliden Mehrheit ganz überwiegend Kausalität angenommen. Dies ist schon deswegen einleuchtend, weil ansonsten ungeachtet eines Positivvotums und Mehrheitsbeschlusses niemand für den Erfolg kausal verantwortlich wäre. Über die Begründung besteht jedoch keine Einigkeit.
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