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Buch 1 in der Serie - Keeping Promise Rock Carrick Francis besaß schon immer die zweifelhafte Gabe, Ärger und Probleme jeder Art wie ein Magnet anzuziehen. Das einzige, was ihn vor Haftstrafen oder Schlimmerem bewahrte, ist seine unverbrüchliche Freundschaft zu Deacon Winters. Deacon war seine Rettung undhalf ihm, seine unglückliche Kindheit und die Misshandlungen durch seinen Vaterzu überstehen. Crick würde alles tun, um für immer bei Deacon bleiben zukönnen. Deshalb schiebt er seine Studienpläne auf als Deacons Vater stirbt. Erspringt ein und hilft seinem Freund, so wie der ihm geholfen hat. Deacon wünscht sich nichts mehr, als dass Crick seinen schlechten Erinnerungen und ihrer kleinen Stadt entflieht und eine strahlende Zukunft findet. Aber nach zwei Jahren, indenen seine Gefühle für seinen Freund immer tiefer werden, kann er derVersuchung nicht mehr widerstehen und gibt Cricks Annäherungsversuchen nach.Der schüchterne Deacon gibt endlich zu, dass er ein Teil von Cricks Lebenwerden möchte. Aber Crick wartet nur darauf, von Deacon wieder verstoßen zu werden – so wie er in der Vergangenheit von seiner Familie verstoßen wurde. Eine seiner typischen, spontanen Fehlentscheidungen lässt ihn weit weg von zuhause enden. Deacon bleibt allein zurück. Er ist am Boden zerstört und muss hart kämpfen, bis er sein gebrochenes Herz wieder heilen und er in einer Welt überleben kann, in der Cricks Liebe einewiges Versprechen ist, das vielleicht niemals in Erfüllung gehen wird.
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Seitenzahl: 613
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Inhalt
Zusammenfassung
Widmung
Anmerkung
Vorwort
Teil I: Crick
1: Ehrlich wie ein Pferd
2: Express Hoffnung
3: Der Preis für ein gebrochenes Versprechen
4: Abschied und Neubeginn
Teil II: Deacon
5: Gegebene Versprechen
6: Gebrochene Versprechen
7: Zerbrochene Träume
Teil III: Leben im Spiegel der Briefe
8: Überstürzte Entscheidungen
9: Zwischen den Zeilen gelesen
10: Schreibe mir die Wahrheit
11: Die Lehren aus einem Ausflug
12: Das Kind bekommt einen Namen
13: Ein nächtlicher Fehltritt
14: Durch dick und dünn
15: Gebrochene Dämme, tote Pferde und schwul hinterm Steuer
16: Unnötige Scherereien
17: Wahrheiten mit Folgewirkung
Teil IV: Eingelöste Versprechen
18: Eine lange und eine kurze Reise
19: Konfrontationen mit der Wirklichkeit
20: Verborgene Gärten
21: Therapie
22: Rettungsversuch für einen verlorenen Stolz
23: Gar nicht in Ordnung
24: Nackte Worte, bloße Herzen
25: Der Bund wird geschlossen
Biographie
Von Amy Lane
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Copyright
Von Amy Lane
Buch 1 in der Serie - Keeping Promise Rock
Carrick Francis besaß schon immer die zweifelhafte Gabe, Ärger und Probleme jeder Art wie ein Magnet anzuziehen. Das einzige, was ihn vor Haftstrafen oder Schlimmerem bewahrte, ist seine unverbrüchliche Freundschaft zu Deacon Winters. Deacon war seine Rettung und half ihm, seine unglückliche Kindheit und die Misshandlungen durch seinen Vater zu überstehen. Crick würde alles tun, um für immer bei Deacon bleiben zu können. Deshalb schiebt er seine Studienpläne auf als Deacons Vater stirbt. Er springt ein und hilft seinem Freund, so wie der ihm geholfen hat.
Deacon wünscht sich nichts mehr, als dass Crick seinen schlechten Erinnerungen und ihrer kleinen Stadt entflieht und eine strahlende Zukunft findet. Aber nach zwei Jahren, in denen seine Gefühle für seinen Freund immer tiefer werden, kann er der Versuchung nicht mehr widerstehen und gibt Cricks Annäherungsversuchen nach. Der schüchterne Deacon gibt endlich zu, dass er ein Teil von Cricks Leben werden möchte.
Aber Crick wartet nur darauf, von Deacon wieder verstoßen zu werden – so wie er in der Vergangenheit von seiner Familie verstoßen wurde. Eine seiner typischen, spontanen Fehlentscheidungen lässt ihn weit weg von zuhause enden. Deacon bleibt allein zurück. Er ist am Boden zerstört und muss hart kämpfen, bis er sein gebrochenes Herz wieder heilen und er in einer Welt überleben kann, in der Cricks Liebe ein ewiges Versprechen ist, das vielleicht niemals in Erfüllung gehen wird.
Dieses Buch ist allen Menschen gewidmet, die sich an erster Stelle für ihre Familie und dann für ihre Träume entscheiden. Wenn man Menschen hat, mit denen man seine Träume teilen kann, macht es doppelt so viel Spaß, sie zu verwirklichen.
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Meine Freundin Barb hat innerhalb eines Jahres alle erwachsenen Mitglieder ihrer Familie verloren, aber sie lebt für ihre Kinder und kämpft um ihr Zuhause. Dieses Buch ist für meine Freundin Barb.
Meine Freundin Bonnie beantwortet auch nachts um halb vier noch E-Mails, weil sie weiß, dass die Uhrzeit keinen Unterschied macht, wenn man gebraucht wird. Sie hat mir über anderthalb Jahre hin immer wieder versichert, dass die Leute, die mich wegen meiner Bücher angreifen, nur Idioten und ahnungslose Dummköpfe sind. Ich kann es nicht oft genug hören. Dieses Buch ist für meine Freundin Bonnie.
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Amy Lane
Januar 2010
Gegenwart: Farah, Irak
CARRICK JAMES Francis wuchs in Levee Oaks, Kalifornien, auf. Es war nicht gerade Death Valley, aber im Sommer wurde es trotzdem ziemlich heiß. Zwischen Juni und September kletterten die Temperaturen regelmäßig über die 35 Grad-Marke und ein heißer Wind blies durch das Tal, der den kühlenden Küstenwinden keine Chance ließ.
Nach zwei Jahren im Irak wünschte er sich, er wäre in Death Valley aufgewachsen. Dann käme er sich vielleicht nicht vor wie in der siebten Hölle der Achselgeruchsdämonen, wenn er mit seinem Sanitätswagen im Einsatz unterwegs war.
„Es ist unglaublich. Jetzt sind es schon zwei Jahre, und im Vergleich zu hier kommt mir Levee Oaks immer noch wie eine Wohltat vor!“ Crick schüttelte angewidert den Kopf. Er hatte seine Heimatstadt immer gehasst. Er wäre beinahe von der Schule geflogen, weil er in riesigen Buchstaben ‚Welthauptstadt der Rednecks‘ auf den Wasserturm geschrieben hatte. Deacon hatte es verhindert, indem er Cricks Botschaft rechtzeitig übermalt hatte, bevor die ganze Stadt es lesen konnte.
Noch so eine Sache, für die er in Deacons Schuld stand. Noch so ein Gefallen, den er Deacon durch Unüberlegtheit und falsche Entscheidungen gedankt hatte.
„Na ja“, meinte Private Lisa Arnold kopfschüttelnd. „Du musst ja nicht mehr lange hier bleiben, Punky. Hör schon auf zu jammern!“ Cricks blonde, hübsche Partnerin saß neben ihm und sah absolut zum Anbeißen aus in ihrer Ausrüstung. Sie trug die Schutzweste und den Helm mit einer Selbstverständlichkeit wie andere Frauen Shorts und Sonnenbrille auf einer Familienfeier. Sie war immer wie eine kühle, frische Brise in der dürren Wüste gewesen, und Crick liebte sie wie seine eigene Schwester. Wie eine ältere Schwester natürlich. Er hatte seinen jüngeren Halbschwestern so oft die Windeln gewickelt und das Fläschchen gegeben, dass er für den Rest seines Lebens genug davon hatte.
Carrick atmete schnaufend durch. Vor ihnen fuhr ein Konvoi gepanzerter Transportfahrzeuge, vollgepackt mit Soldaten auf dem Weg nach Hause. Aber erst mussten sie die lange Straße durch Sand, Sand und nochmals Sand von Farah nach Bagdad fahren, von wo ihr Flug in die Heimat ging.
„Wie lange noch?“ Ihr Sanitätsfahrzeug hatte glücklicherweise eine Klimaanlage, wahrscheinlich aber nur deshalb, weil Hitzschlag und Kreislaufprobleme für mindestens die Hälfte ihrer Einsätze verantwortlich waren. Natürlich mussten sie auch Wunden versorgen – und einige davon waren so schlimm gewesen, dass sie Albträume verursachen konnten –, aber meistens verteilten sie nur Getränke und Eisbeutel, damit sich die kämpfenden Einheiten in der Hitze des Nahen Ostens nicht das Gehirn verschmorten wie Eier in der Pfanne. Die Klimaanlage war eigentlich nicht vorgeschrieben und nur eine Empfehlung, deshalb konnte sie mit den Ozonfressern, die man in Kalifornien für seine Wohnung kaufen konnte, nicht mithalten.
Lisa sah ihn von der Seite an. „Fünf Tage. Von hier nach Bagdad, danach in die Türkei und nach Deutschland. Von dort erst nach L.A. und dann nach Sacramento. Und – Hokuspokus! – bist du zuhause und dieser Ausflug ist nur noch eine schlechte Erinnerung.“
Crick lächelte sie liebevoll an. „Ich werde dich vermissen, Popcorn“, sagte er. Er meinte es ernst. Die beiden nicht enden wollenden Jahre, die er hier verbracht hatte, waren der beschissenste und größte Fehler in seinem beschissenen Leben gewesen. Er hatte schon ernsthaft darüber nachgedacht, nackt durch ein Minenfeld zu tanzen, damit es endlich aufhörte.
Aber dann hatte er Lisa kennengelernt, die pfiffige, nette und knallharte Lisa. Sie ließ sich nichts vormachen und hatte gleich herausgefunden, was Crick beim Militär vor allen anderen geheim halten musste. Er hatte schon damit gerechnet, dass jetzt alles aus wäre.
Aber stattdessen hatte sie ihm das Leben gerettet.
„Du wirst mich nicht mehr vermissen, wenn du erst nach Hause kommst, wo er auf dich wartet.“ Sie ließ kurz die Straße aus den Augen und riskierte einen vorschriftswidrigen Blick zur Seite. Er sah in ihr hübsches sommersprossiges Gesicht und ließ sich seine Aufregung nicht anmerken.
„Glaubst du, dass es ihm gut geht?“ Er hatte es nicht schon wieder fragen wollen. Er wollte nicht darüber nachdenken, wie es wäre, wenn er nach Hause käme und Deacon hätte es nicht geschafft, hätte die letzten vier Monate nicht durchgehalten. Der Mann war sein Leben lang ein Paradebeispiel für Ehre und Zuverlässigkeit gewesen – bis Crick ihn verlassen hatte und seine Welt in Stücke gebrochen war.
Lisa schüttelte den Kopf und runzelte abwesend die Stirn, als vor ihnen in der flimmernden Hitze ein Hindernis auftauchte. „Komm schon, Baby. Du hast mir doch seine Briefe vorgelesen und …“
Sie brachte den Satz nicht zu Ende. Der Transporter vor ihnen explodierte und seine Einzelteile flogen wie Schrapnelle durch die Luft. Rot glühend und wie tausend scharfkantige Wurfsterne bohrten sie sich in ihren Wagen und zerfetzten ihn.
Crick würde den Anblick von Lisa nie vergessen, die an seiner Seite in Stücke gerissen wurde, während er hin und her geschleudert wurde wie eine Stoffpuppe in der Waschmaschine. Eine Stoffpuppe aus Fleisch und Blut in einer Waschmaschine, die mit scharfen Klingen bestückt war.
Kurz bevor er mit dem Kopf auf den Boden aufschlug, durchfuhr es ihn in einem letzten Moment der Klarheit wie eine Erleuchtung.
Verdammt, Deacon – ich hätte uns mehr Zeit geben sollen.
Levee Oaks, Kalifornien: vor dreizehn Jahren
ALS CARRICK sieben Jahre alt war, fing seine Mutter ein Verhältnis mit einem bibeltreuen Idioten der bigotten Sorte an. Der Mann betrachtete sich Carrick mit seinen glatten, dunklen Haaren, den schwarzen Augen und der blassen Haut. „Der kleine Mex kann als weiß durchgehen. Ich denke, es wird kein Problem sein, ihn richtig zu erziehen“, erklärte er nach einer Weile.
‚Der kleine Mex‘ dankte es ihm mit einem Tritt ans Schienbein und rannte aus dem Haus. Seine Mutter heiratete Bob Coates trotzdem, aber – der Herr sei gepriesen! – der zwang Crick nie dazu, seinen Namen anzunehmen.
Der Nachname seiner Mutter war Francis, und er gefiel Carrick. Von ihr selbst war er nicht so begeistert, besonders nicht nach ihrer Hochzeit mit Coates, aber ihr Name hörte sich gut an. Jedenfalls um einiges besser als ‚der kleine Mex‘.
Sie zogen nach Levee Oaks, einer Art Vorort von Sacramento. Levee Oaks war eine merkwürdige kleine Stadt, eine Mischung aus Bilderbuch-Vorstadt und Farmland mit Pferdezuchtbetrieben. Die Oberschule gehörte zu einem Schulbezirk, der auch die weniger gut gestellten Stadtteile von Sacramento umfasste. Die Grundschule gehörte zu einem anderen Bezirk und tat so, als ob die weiterführenden Schulen nicht existieren würden. Es gab keinerlei Zusammenarbeit und das Resultat waren desorientierte Oberschüler und ständige Probleme im Schulalltag. Keiner wollte hier unterrichten und das Kollegium bestand zu einem großen Teil aus Aushilfslehrern, die sich nach Tequila und einer Schusswaffengenehmigung sehnten.
Viele der Einwohner von Levee Oaks hatten ihre Arbeitsplätze in Sacramento, andere hatten gar keine Arbeit. Punkt. Und die meisten gingen in eine der Kirchen, die an jeder Straßenecke standen. Nachdem Carrick mit achteinhalb Jahren seine erste Überschwemmung erlebt hatte, gelangte er zu der Überzeugung, dass die Kirchen dafür zuständig wären, das Hochwasser zurückzuhalten.
Als nach nur einem Jahr wieder die Dämme brachen, war er davon überzeugt, dass sie ihren Job vernachlässigten und daher nutzlos waren. Deshalb fing er an, die Sonntagsschule zu schwänzen und lernte so Deacon kennen.
Die Sonntagsschule zu schwänzen war lange nicht so verheißungsvoll, wie es sich anhörte. Es gab keine Einkaufszentren und Kinos – nur einen mittelmäßigen Supermarkt. Und außerdem hatte Carrick sowieso kein Geld. Also wanderte er in seinen fadenscheinigen Khakis und seinem gestreiften Polohemd durch die Stadt. Er ging eine schmale Straße entlang, bog dann in eine andere ein und kam auf die East Levee Road, der er bis zum Damm folgte.
Eines Sonntags ging er weiter am Damm entlang und kam zu der Pferderanch von Deacons Vater. Und er verliebte sich.
Am Anfang dachte er, er hätte sich in die Ranch verliebt. Es war hier so ganz anders als bei ihm zuhause. Das Wohnhaus war riesig (das Haus seiner Mutter war ihm immer zu klein vorgekommen) und in einem hübschen Blau gestrichen. Es gab einen Rasen und eine Einfahrt, die bis hinter das Haus führte, wo ein großer Hof lag. Der Stall war viermal so groß wie das Haus. Davor lagen zwei Trainingsplätze für die Pferde und die Weide war groß genug für zwanzig Tiere, die friedlich miteinander grasten. Drumherum gab es noch genug ausgedörrtes Land, um mit den Pferden auszureiten.
Aber das Haus, so schön es auch war, war doch nur ein Haus. Also, so schloss Carrick, hatte er sich wohl in die Pferde verliebt. Deacon sagte ihm Jahre später, dass sie damals die hübschesten Fohlen gehabt hätten, die auf der Ranch jemals großgezogen worden waren. Sie waren kastanienbraun und bewegten sich elegant und kraftvoll. Ihr Gang war fließend wie ein Gleitgel. Je mehr Crick die Pferde zu lieben lernte, um so mehr musste er Deacon recht geben. Obwohl er damals noch dachte, dass Gleitgel zum Schmieren von Motoren benutzt würde.
Also verliebte er sich als nächstes in die Pferde. Aber dann fand er seine wirkliche Liebe, und das war der Junge, der in dem Ring eine hübsche junge Stute trainierte. Eine Mischung aus höchster Konzentration und reiner Freude lag in seinem Gesicht, während er das Pferd im Kreis führte. Die harmonischen Bewegungen der Stute, das Spiel ihrer Muskeln und das glänzende Fell waren wie eine Symphonie, die unter der Führung des Jungen zum Leben erweckt wurde.
Crick blickte sich um und merkte, dass er nicht der einzige war, der am Gatter stand und den beiden zusah. Er suchte sich einen Platz zwischen zwei Jungs in seinem Alter und stellte sich auf die unterste Latte, um besser über das Gatter schauen zu können.
„Ist sie nicht wunderschön?“, fragte der eine Junge neben ihm flüsternd. Crick sah die Stute an und musste an einen frischen Wind denken.
„Ja“, antwortete er.
„Deacon meint, wenn sie von Lucy Star ein männliches Fohlen bekommen, wird The Pulpit in Geld nur so schwimmen.“
„Deacon?“ Es hörte sich so erwachsen, aber trotzdem nett an. In den folgenden Jahren konnte Crick Deacons Namen nicht oft genug hören.
Der Junge neben ihm – ein unauffälliger Junge mit braunen Haaren und ziemlich beeindruckenden Augenbrauen – nickte mit dem Kopf zum Ring und Crick lernte die wahre Liebe kennen.
Deacon Winters war schon immer ein schöner Mensch gewesen. Crick würde niemals erleben, dass Deacon das zugab, aber das war auch nicht wichtig. Es reichte Crick, dass er selbst Deacons Schönheit erkannte und zu schätzen wusste.
Der Junge in dem Ring nahm seine blaue Kappe ab und braune, sonnengebleichte Haare kamen zum Vorschein. Sie waren schweißgebadet und klebten an seinem Kopf. Einige kurze Strähnen fielen ihm in die Augen. Sein Gesicht war kantig-oval mit einem kräftigen Kinn, hohen Wangenknochen und einer breiten Stirn. Seine braungrünen Augen waren bemerkenswert hübsch, selbst in dem gleißenden Sonnenlicht.
Seine Hände und sein Gesicht waren braun gebrannt, aber seine Oberarme unter dem T-Shirt waren blass. Selbst mit dreizehn oder vierzehn Jahren hatte er schon ausgeprägte Muskeln an Armen, Brust und Rücken. Seinen knochigen Gelenken und den Schlüsselbeinen, die sich scharf unter dem schweißnassen, blauen T-Shirt abzeichneten, sah man an, dass er noch nicht ganz ausgewachsen war.
Deacon kümmerte sich immer zuerst um die Pferde, bevor er an seine eigenen Bedürfnisse dachte. Das war einer von vielen Gründen, warum Crick ihn im Laufe der Jahre mehr und mehr lieben lernte. Aber die Saat für seine Liebe wurde an diesem Tag gelegt, als er Deacon zusah, der mit seinen großen, fürsorglichen Händen das Pferd durch den Ring führte wie eine Wolke, die das Wasser vom Meer in die Täler trug.
Carrick konnte sich kaum zurückhalten, und wenn das passierte, konnte er schon gar nicht den Mund halten.
„Gott, ist das ein schönes Pferd. Habt ihr das selbst gezüchtet? Wie alt ist sie? Kannst du sie reiten? Verdammt, ich will sie reiten – meinst du, ich könnte sie reiten? Bist du Deacon? Der Junge sagt, du heißt Deacon. Ich bin Carrick. Das hört sich ganz anders an, aber vielleicht ist dein Name auch irisch, wie meiner. Mein Name ist irisch, weil meine Mutter irisch ist, obwohl mein Dad ein Mex war. Aber über den reden wir nicht. Wenn wir beide irisch sind, dann könnten wir doch Brüder sein, oder? Ich hätte nichts gegen einen Bruder, weil meine Mutter schwanger ist und es wird schon wieder ein Mädchen …“ Und so weiter und so fort. Alles – alles! –, damit der hübsche Junge Crick ansah, damit er mit ihm redete, damit er ihn zur Kenntnis nahm.
Aber Deacon ignorierte ihn in den nächsten fünfzehn Minuten standhaft. Er arbeitete mit der Stute, und darauf konzentrierte er sich. Das war alles, was ihn interessierte. Die beiden Jungs am Gatter sahen Crick mitleidig an, dann sprangen sie auf den Boden und verschwanden. (Crick erfuhr später, dass es Reitschüler waren, die auf ihren Unterricht warteten. Sie sollten zu den ständigen Begleiterscheinungen seiner unglücklichen Jugend gehören) Carrick blieb am Gatter zurück, zusammen mit seinem großen Mundwerk und dem Jungen seiner Träume.
Als Deacon mit dem Training fertig war, führte er die Stute zum Wassertrog und bürstete sie ab. Dann sah er zu dem kleinen Störenfried am Gatter und gab ihm mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass er ihm folgen sollte.
„Du willst reiten?“, fragte er Carrick, der an seine Seite gerannt kam. Carrick nickte aufgeregt, hielt aber ausnahmsweise den Mund.
„Wenn du reiten willst, kann ich dir nach Feierabend Unterricht geben. Aber dafür musst mir beim Ausmisten der Ställe helfen.“
Crick hielt das für ein faires Geschäft. Außerdem war Pferdemist immer noch besser als die Sonntagsschule.
„Noch was“, sagte Deacon und sah ihn aus seiner beeindruckenden Höhe herab an. (Crick würde zehn Zentimeter größer werden als Deacon, aber das wusste er damals noch nicht) „Hör bitte auf, so viel zu reden. Das macht die Pferde scheu.“
Hör bitte auf. Das war das harscheste, was er jemals von Deacon hörte. Deacon redete nicht viel. Viele Lehrer hielten ihn für dumm, bis er dann bei den schriftlichen Arbeiten die besten Noten hatte. Die Reitschüler redeten ständig auf ihn ein und versuchten, ihn in Gespräche zu verwickeln. Aber Deacon wurde nur rot und drehte sich weg. Es sollte Jahre dauern, bis es Crick gelang, ihn aus seiner Reserve zu locken und ihm sein Herz zu öffnen. Crick war damals gar nicht bewusst, was er damit erreicht hatte, wie selten Deacon überhaupt mit anderen Menschen sprach. Seine beeindruckende Ruhe und Gelassenheit hatte auch viele Vorteile.
Wenn Crick wissen wollte, ob er etwas Falsches getan hatte, musste er nur auf die Worte Hör bitte auf warten, und dann … gab er nach.
Diese Wirkung hatte Deacon auf ihn.
Später war er sich sicher, dass er es wahrscheinlich Deacons Einfluss zu verdanken hatte, die nächsten elf Jahre überlebt zu haben und nicht im Knast gelandet zu sein.
AN DIESEM Abend fuhr Parish Winters Crick nach Hause und Deacon saß neben ihm in dem großen, stahlblauen Chevy Truck. Crick mochte Deacons Vater – er hatte graue Haare, ein verwittertes Gesicht und ein freundliches Lächeln. Deacon hätte wahrscheinlich das gleiche Lächeln gehabt, aber er hielt meistens den Mund geschlossen und wirkte sehr konzentriert.
Parish war das egal, er wusste um das gute Herz seines Sohnes. Und an diesem ersten Abend erkannte Crick, dass Parish auch in das Herz eines einsamen, zornigen Jungen sehen konnte.
„Ich denke, wir können den Jungen samstags und sonntags gebrauchen“, sagte Parish, als Cricks Stiefvater ihnen die Tür öffnete.
Bob Coates wollte widersprechen. „Sonntag ist der Tag des Herrn! Jungs sollten …“
„… zum Damm wandern und Ärger machen? Ich denke, es ist dem Herrn lieber, wenn er etwas zu tun hat. Meinen Sie nicht auch?“ Bob öffnete den Mund, um zu widersprechen. Aber ein einziger Blick von Deacons Vater brachte ihn zum Schweigen.
„Hören Sie zu. Ich sehe Ihren Jungen nicht zum ersten Mal durch die Straßen laufen. Wenn Sie ihn sonntags in der Kirche halten wollen, dann sollten Sie sich auch an den restlichen Tagen mehr um ihn kümmern.“
„Er ist nicht mein Junge“, brauste Coates auf. „Der kleine Mex-Bastard ist Mels Fehler. Aber wir brauchen ihn, damit er sich um seine Schwester kümmert …“
„Nun, dann werden Sie ihn an den anderen Tagen brauchen müssen“, meinte Parish ungerührt und die Abscheu für den Mann stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Warum gerade er?“, fragte Coates. „Er ist recht hübsch – stehen Sie auf so was?“
Carricks Kopf schoss in die Höhe. Es war, als hätte Coates ihm direkt ins Herz gesehen und die Sehnsucht erkannt, die in ihm brannte, seit er Deacon kennengelernt hatte. Aber Coates wollte nur den Zorn von Deacons Vater wecken und hatte Erfolg. Parish fasste ihn an seinem verdreckten T-Shirt und stieß ihn an die Tür.
„Hör zu, du ignorantes Arschloch“, knurrte er Coates an. „Mein Sohn ist ein guter Junge – er bringt gute Noten nach Hause und schafft sich den Arsch ab – und er will nicht mehr dafür, als auf einem Pferd sitzen zu können. Ob Geburtstag oder Weihnachten, das ist alles, was er sich wünscht. Bis heute. Heute hat er mich gefragt, ob Carrick an zwei Tagen in der Woche bei uns arbeiten kann. Und da Ihnen der Junge offensichtlich scheißegal ist, werde ich Deacon diesen Wunsch erfüllen und Crick das geben, was er braucht.“ Parish betonte seine Worte, indem er Coates ein letztes Mal an die Tür stieß. Es war die längste Ansprache, die Crick jemals von ihm hören sollte.
„Wenn ihr ihn so dringend wollt, dann von mir aus!“, fauchte Coates und spuckte aus. Crick konnte gerade noch verhindern, von seinem Rotz getroffen zu werden. „Aber wehe, wenn er nicht nach der Schule nach Hause kommt und sich für seine Mom um die Kleine kümmert.“
„Das mache ich!“, versprach Carrick sofort. Er hatte nichts dagegen, auf das Baby aufzupassen. Bernice, kurz Benny genannt, war ein kleiner Schatz mit einem bezaubernden Lächeln. Bevor er Deacon kennengelernt hatte, war sie seine beste Freundin gewesen.
UND DAMIT nahm es seinen Anfang. Es war der Beginn von Carricks lebenslanger Liebesaffäre mit Pferden – und Deacon Winters.
Am nächsten Wochenende, er stand knöcheltief im Pferdemist und war doch glücklicher als zuhause vor dem Fernseher, fragte er Deacon danach. Warum hatten Deacon und sein Vater sich die Mühe gemacht, ihn aus seinem häuslichen Elend zu retten?
Deacon zuckte nur mit den Schultern und grinste ihn an. Sein Grinsen war zurückhaltend, aber blendend wie die Sommersonne. Crick spürte ein Flattern in der Magengrube. „Du bist treu und ehrlich wie ein Pferd, Crick“, sagte Deacon. „Laut, aber ehrlich. Das gibt es nicht oft.“
Crick hatte also auch gute Eigenschaften, und daran klammerte er sich. Die nächsten Jahre waren nicht einfach – einige waren sogar verdammt hart –, aber Deacon hatte etwas Gutes in ihm gesehen und Crick wollte alles tun, damit sich das niemals ändern würde.
Am folgenden Wochenende setzte Deacon ihn auf einen unerschütterlichen Wallach und führte das Pferd im Kreis durch die Koppel. Sein Gang war so weich wie ein Wattebausch auf einer Wolke. Crick grinste seinen Helden glücklich an. „Verdammt, Deacon, das ist wunderbar … aber ich will schneller reiten!“
Deacon legte lachend den Kopf in den Nacken. „Na gut, Speedy. Wir versuchen es mit einem Trab.“
Crick klammerte sich fest als ginge es um sein Leben. Deacon gab ihm Tipps und half ihm, die Herausforderung zu bestehen. So sollte es ihr ganzes Leben lang weitergehen, obwohl das Crick damals noch nicht bewusst war.
So ging es weiter, als Crick in der sechsten Klasse beim Gras rauchen erwischt wurde.
Er hatte (panisch und in Tränen aufgelöst) darum gebeten, dass die Schule nicht seine Mutter oder seinen Stiefvater, sondern Parish verständigte. Deacon hatte Parish begleitet.
Wenn Crick einen Wunsch frei gehabt hätte, dann hätte er sich gewünscht, dass Deacon nie von seiner Dummheit erfuhr. Der Junge, der ihn dazu überredet hatte, hatte die gleichen braunen Haare und Augen wie Deacon, nur etwas dunkler, und er hatte Grübchen und er hatte … Crick angelächelt. Hatte mit ihm gescherzt. Hatte Cricks Matheaufgaben abgeschrieben und ihm dafür von seinen Keksen abgegeben. Crick hatte sich noch nie so beliebt gefühlt; da war es kein großer Preis, mit ihm etwas Gras zu rauchen.
Aber dann sah er den ängstlichen Ausdruck in Deacons Augen, als Parish mit seinem blauen Truck vorfuhr. Und plötzlich war der Preis für diesen kurzen Augenblick der Beliebtheit viel zu hoch gewesen.
Parish hatte mit der Schule verhandelt. Es ging darum, dass Bob und Melanie Coates natürlich als erstes informiert werden würden, aber dass sie Crick nicht einen ganzen Monat lang Arrest geben könnten, weil er auf der Ranch arbeiten musste, um seine Familie zu unterstützen.
Und während Parish verhandelte, ließ Deacons Reaktion einen Monat Arrest fast wie ein Zuckerschlecken erscheinen. Ihm schienen die Worte zu fehlen. „Was. Zum. Teufel.“
Crick starrte seinen Helden an, der mit den Worten kämpfte, kaum atmen konnte und dessen Hände zitterten, als ob er nicht wüsste, ob er Crick erwürgen oder übers Knie legen sollte.
„Es tut mir so leid, Deacon.“ Er gab sich alle Mühe, stoisch zu wirken. Wirklich, er versuchte es. Aber die Tränen rollten ihm über die Wangen und er schniefte. Vergiss Brian Carter und seine Kekse – Crick würde alles dafür tun, um Deacons Vertrauen zurückzugewinnen.
„Weißt du überhaupt, was passiert, wenn du Gras rauchst, dich betrinkst oder anderen dummen Blödsinn machst? Hast du eine Vorstellung davon?“ Crick stand mit dem Rücken an die Wand gelehnt und Deacon ragte vor ihm auf. Er hatte die Faust geballt, als ob er gleich zuschlagen wollte. Crick rührte sich nicht von der Stelle. Bob versohlte ihm mindestens zweimal in der Woche das Fell – Crick konnte Schmerzen ertragen. Und dieses Mal hatte er es sogar verdient.
„Es tut mir leid … Bitte, schickt mich nicht weg. Ich will weiter für euch arbeiten …“
Deacon schlug zu – direkt an die Wand über Cricks Kopf. Er stöhnte vor Schmerz und Crick hörte seine Knochen brechen. Aber Deacon drückte nur seine blutige Hand an die Brust und sah ihn kopfschüttelnd an.
„Der Mistkram kann einen Gaul umbringen. Pferde kennen den Unterschied zwischen betrunken und gemein nicht, und du hast auch keine Ahnung davon. Wenn du das noch einmal tust, kannst du nicht mehr zu uns kommen. So was kann dich umbringen!“
Crick sah das Blut an Deacons Hand und sein Weinen wurde lauter. Ohne richtig zu wissen, was er tat, rieb er mit dem Daumen über Deacons verletzte Knöchel. „Nie mehr, Deacon. Bitte. Nur … bitte sei mir nicht böse. Ich …“
„Warum hast du es getan?“, fragte Deacon und ignorierte Cricks Zuwendung, so wie er es immer tat.
Crick schluckte und besann sich auf die einzige gute Eigenschaft, die man ihm jemals zugestanden hatte. „Er war nett zu mir und ich war so einsam.“
Deacon ließ seufzend den Kopf hängen und setzte sich mit der gesunden Hand die Baseball-Kappe wieder auf. „Du musst durchhalten, bis das Wochenende kommt, Crick. Vergiss nicht, dass du von Samstagfrüh bis Sonntagabend Freunde und eine Familie hast. Bitte zwinge mich nicht, das zu ändern. Bitte.“
Oh Gott. Deacon hatte ‚bitte‘ gesagt.
Parish kam aus dem Schulgebäude auf sie zu. „Guter Gott, Deacon. Konntest du nicht in ein Kissen boxen oder so?“, war alles, was er sagte. Dann fuhr er seinen Sohn in die Stadt in die Notaufnahme des Krankenhauses.
Nachdem die Hand genäht und eingegipst war, ging er mit den beiden Jungs Eis essen. Der Vorfall in der Schule wurde nicht mehr erwähnt. Weder der mögliche Arrest, noch die Folgen von Drogenmissbrauch oder warum Pferde besser waren als Drogen, kamen zur Sprache. Die drei saßen zusammen, aßen ihr Eis und überlegten, wie Deacon mit seiner eingegipsten Hand die Zügel halten sollte. Der zuckte nur mit den Schultern. „Der kleine Wallach gehorcht schon, wenn ich nur an eine Anweisung denke. Es wird schon gehen.“
UND SO war es auch. Sicher, Crick hatte immer noch Probleme. Aber er folgte Parishs und Deacons Anweisungen und hielt sich von Drogen und Alkohol fern. Drei Tage nachdem der Gips durch eine Plastikschiene ersetzt worden war, nahm Deacon Crick auf einen Ausritt mit. Sie wurden von John Levins begleitet, einem Footballspieler und Deacons bestem Freund. An diesem Tag gab Deacon Crick einen weiteren Grund, ihn niemals verlieren zu wollen.
Der Sacramento River konnte stellenweise sehr unberechenbar sein, doch seine Nebenflüsse in Levee Oaks wurden vor allem zur Bewässerung genutzt. Sie waren zwar tief, aber ruhig. Einer dieser Nebenflüsse floss auch über das Gelände von The Pulpit. An seinem Ufer stand unter einigen alten Eichen ein großer Granitfelsen. Deacon und Jon nannten ihn den Schwurstein. Crick fiel auf, wie aufgeregt die beiden waren, als sie ihre Satteltaschen mit Sandwiches, Äpfeln, Wasser und einigen Badetüchern füllten.
Der Ritt dauerte nicht lange. Es war ein heißer Tag und die Temperaturen lagen schon weit über 30 Grad, obwohl es erst Mai war. Aber das war ihnen egal. Parish und Patrick, sein einziger Mitarbeiter, waren mit Lucy Star unterwegs, um die Stute vorzustellen und ihren zukünftigen Fohlen einem guten Stammbaum zu sichern. Bevor Deacon sich die Hand gebrochen hatte, war das seine Aufgabe gewesen. Er konnte auch keine Reitstunden geben, nicht Football spielen oder die Ställe ausmisten. Bis die Hand wieder verheilt war und er die Schiene loswurde, war er so gut wie arbeitslos.
Deacon hatte mit seinem Vater gesprochen und die beiden hatten sich geeinigt, dass ein Ausritt mit den drei Pferden als Training betrachtet werden konnte. Für Crick war es ein Ausflugstag, der jeden Zoo- oder Kinobesuch in den Schatten stellte – alles Dinge, die er noch nie gemacht hatte, weil Stief-Bob ihm dafür kein Geld gab.
Endlich konnte Crick ein Pferd so weit und so schnell reiten, wie er wollte. Seit er das erste Mal in der Koppel im Kreis geritten war, hatte er sich diese Freiheit gewünscht, auch wenn er jetzt zwei Reiter vor sich hatte, denen er kaum folgen konnte, so schnell waren sie unterwegs.
Es war ein unvergleichliches Erlebnis.
Nach einiger Zeit fielen sie in einen gemächlichen Trab, und auch darüber war Crick froh, denn seine Muskeln beschwerten sich bereits. Es war schon schwierig genug, sich auf einem galoppierenden Pferd zu halten. Aber es richtig zu reiten, sich mit dem Tier zu bewegen und es mit den Beinen und Händen zu führen, erforderte weitaus größere Anstrengungen. Sie ritten über eine verdorrte Weide, die Parish einmal im Jahr mähte, um Heu zu machen. Crick war kurz davor, sich zu blamieren und die beiden älteren Jungs um eine ruhigere Gangart zu bitten, als er auf der anderen Seite der Weide die Eichen sehen konnte.
Sie trabten gemütlich auf die Bäume zu, stiegen ab und führten die Pferde ans Ufer des kleinen Flusses zu einer seichten Wasserstelle. Crick betrachtete sich in Ruhe den einzigen Platz, den er in seinem Leben heilig halten sollte.
Der Schwurstein war auf den ersten Blick nichts Besonderes. Eine kleine Felsformation über einer breiten und tiefen Stelle in einem kleinen Fluss, der gerade groß genug war, um nicht mehr als Bach bezeichnet werden zu können. Um die Felsen herum standen einige Eichen, die den Platz in ihren Schatten tauchten. Ihr weit verzweigtes Wurzelwerk ließ keinen Unterwuchs zu. Durch die Nähe des Flusses und den Schatten der Bäume waren die Temperaturen wesentlich kühler und angenehmer als auf der offenen Weide. Der Damm und die nächste Straße waren so weit entfernt, dass außer dem Klirren des Pferdegeschirrs und dem erschöpften, aber glücklichen Keuchen der drei Jungs kein Ton zu hören war. Es war ein wunderschöner, friedlicher und geheimnisvoller Ort. Crick fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben im Mittelpunkt seiner kleinen Welt. Niemand außer ihnen – und Parish natürlich – kannte diese kleine Badestelle am Fluss. Es gab keinen Müll, keine leeren Bierdosen und benutzten Kondome. Nichts erinnerte ihn an Stief-Bob, seine kleinen Schwestern, die verhasste Schule und daran, in einer beschissenen kleinen Stadt festzusitzen, der er vermutlich nie entkommen konnte.
Wenn The Pulpit seine Welt war und Parish sein heiliger Vater, dann war der Schwurstein seine Kirche.
Deacon wühlte in den Satteltaschen und warf Jon und ihm die Badehosen zu. Dann zog er sich aus und schlüpfte ohne großes Zeremoniell in seine eigene Badehose.
Crick hätte sich fast an seiner eigenen Zunge verschluckt.
Er hatte schon immer gewusst, dass er in Deacon Winters verliebt war. Aber er hatte es für ein ganz normales Gefühl gehalten, eine Art jugendlicher Heldenverehrung. Die anderen Jungs in der Schule redeten oft über Mädchen, und Crick hatte immer angenommen, dass sie ihm früher oder später auch auffallen und er über sie reden würde. Er hatte sich etwas davor gefürchtet, weil Deacon dann den Platz in seiner Seele mit anderen teilen musste. Aber er hielt es für eine altersbedingte Entwicklung, die irgendwann abgeschlossen sein würde.
Deacon Haut war blass – besonders wenn man ihn mit Jon verglich, der zuhause viel Zeit am Swimming Pool verbrachte und deshalb eine gesunde Bräune aufwies. Sein Körper war nicht perfekt. Er hatte eine große Blinddarmnarbe auf dem Bauch und viele kleinere Narben, die er sich beim Football und beim Reiten zugezogen hatte. Aber, bei Gott und allen Heiligen … er war wunderschön. Die harten kleinen Muskeln, die Crick schon vor zwei Jahren aufgefallen waren, hatten jetzt noch mehr an Kontur gewonnen. Aber er aß offensichtlich immer noch nicht genug. Über seiner kräftigen Brust standen die Schlüsselbeine hervor, und die kleine Delle zwischen Hals und Schulter wirkte besonders verletzlich. Neben seiner rechten Brustwarze hatte er ein Muttermal und ein zweites war direkt darüber, unter seinem Schlüsselbein. Crick versuchte sich ihre Position genau einzuprägen, um sich später daran erinnern zu können, ohne Deacon dabei allzu offensichtlich anzustarren. Es fiel ihm sehr schwer. Aber er musste sich jetzt sowieso umziehen, um nicht wie ein Idiot dazustehen. Das half ihm, sich wieder abzulenken und auf andere Gedanken zu kommen.
Er hatte gerade seine Unterhose ausgezogen, als Jon eine unbedeutende, dumme Bemerkung machte. Deacon warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. Spontan hob Crick den Kopf und sah ihn an.
Oh Gott. Deacon war nackt und hielt seine Badehose vor sich, um sie anzuziehen. Nackt, lachend und wunderschön stand er vor Crick, dem bei seinem Anblick fast das Herz brach.
Und dann sackte Crick das Blut aus dem Gehirn nach unten direkt in den Pimmel, der sich aufmerksam erhob. Crick wurde rot – wahrscheinlich röter als bei jedem Sonnenbrand – und er schlüpfte schnell in seine Badehose. Ohne die beiden anderen Jungs anzusehen, sammelte er seine Kleidung auf und warf sie in einem wirren Knäuel auf den Felsen. Dann drehte er sich so unbeteiligt wie möglich wieder um.
„Wollen wir jetzt reinspringen?“, fragte er und Deacon nickte ihm lächelnd zu.
Glücklicherweise war das Wasser kalt und tat seine Wirkung, sonst hätte Crick sich wahrscheinlich ertränken müssen, um die Form zu wahren.
Während Jon und Deacon auf den Felsen kletterten und von dort mit einem lauten Schrei ins Wasser sprangen, hatte Crick genügend Zeit, um sich über einige Dinge klar zu werden.
Er würde niemals anfangen, sich für Mädchen zu interessieren.
Und er würde Deacon Winters wahrscheinlich für den Rest seines Lebens wirklich und wahrhaftig lieben, so wie andere Männer ihre Frauen liebten.
Und weil Deacon ihn für einen ehrlichen Menschen hielt, würde Crick wahrscheinlich eines Tages seinen ganzen Mut zusammennehmen, um es ihm zu sagen.
Aber nicht heute. Heute würde er lachen und mit Deacon und Jon im Wasser planschen. Heute würde er über Jon lachen (der so extrovertiert und lustig war, wie Deacon introvertiert und zurückhaltend) und genießen, wie Deacons Augen strahlten und er den Mund weit aufriss, um laut über ihre Späße zu lachen.
Heute würde er still zuhören, wie die beiden älteren Jungs schüchtern über ihre Freundinnen redeten, und ihm würde dabei nicht das Herz brechen. Ein unbekanntes Mädchen, das Crick noch nie gesehen hatte, konnte keine Bedrohung für ihn sein.
Heute würde Crick glücklich und zufrieden sein und sich vornehmen, in der Schule nie wieder Ärger zu machen. Deacon sollte immer nur das Gute in ihm sehen und ihn nie so erleben, wie seine Mom und Stief-Bob.
Er schaffte es, sich drei Jahre lang an diesen Vorsatz zu halten.
CRICK KONNTE sich nur an einen einzigen Streit erinnern, den er jemals zwischen Deacon und seinem Vater erlebt hatte. Und bei diesem Streit ging es um Crick.
Im Frühjahr vor Deacons Schulabschluss waren alle aufgeregt. Alle, außer Deacon selbst. Offensichtlich hatten schon seit Februar viele Briefe von Colleges im Briefkasten gelegen, die ihm Angebote machten und, wie Parish es nannte, ‚gutes Geld‘ boten. Es wurde allgemein erwartet, dass Deacon eines dieser Angebote annehmen würde. Er war Sportler, seine Noten waren erstklassig und seine Lehrer, die viele der Bewerbungen eingereicht hatten, ohne vorher mit Deacon darüber zu sprechen, wussten nur Gutes über ihn zu sagen. Der Junge hatte eine große Zukunft vor sich.
„Das College in der Stadt?“, hörte Crick Parishs Stimme aus dem Haus schallen, während er Lucy Stars erstes Fohlen am Halfter führte. Es war ein wunderschöner kleiner Hengst, der wegen seines ruhigen Temperaments der Kastration entgangen war. Niemand hatte etwas dagegen, dass Crick, obwohl er erst dreizehn Jahre alt war, mit dem Fohlen arbeitete. Wenn es nach ihm ginge, würde das auch so bleiben, denn wenn er nach den fünf Jahren unter Parishs und Deacon Aufsicht selbst mit einem so gehorsamen Tier nicht umgehen konnte, dann konnten sie ihn auch gleich wieder zum Ställe ausmisten schicken. Diese Arbeit machte jetzt ein anderer Junge – Nathan – den Parish eines Tages schlafend und mit einem blauen Auge im Stall vorgefunden hatte. Crick war zuerst eifersüchtig auf Nathan gewesen, aber Deacon behandelte ihn immer noch wie einen Gleichgestellten und Parish sah ihn wie einen Sohn, also hatte er sein Herz etwas geöffnet und sich mit dem Bengel angefreundet. Immerhin musste er jetzt nicht mehr die Ställe ausmisten.
Aber Vertrauen oder nicht, der Sturm, der in dem sonst so ruhigen Wohnzimmer der Winters’ tobte, lenkte ihn von seiner Arbeit im Ring ab.
„Nur für den Anfang“, erklärte Deacon geduldig. „Danach Chico State …“
„Als ob Davis nicht näher wäre!“
„Aber es ist teurer!“
„Du bekommst ein volles Stipendium!“
„Ich brauche kein Stipendium!“, schrie Deacon etwas lauter zurück. „Ich brauche keinen Abschluss als Betriebswirt, um die Ranch zu führen, Dad! Ich muss lernen, wie man Pferde züchtet und hält, etwas Erste Hilfe, Umgang mit Computern und etwas Buchhaltung. Und ich muss hier bleiben können!“
Es wurde still und Cricks Welt hörte mit einem lauten Knirschen auf, sich zu drehen. Deacon nicht mehr hier? Er hatte die Briefe gesehen, hatte ihre Gespräche übers College gehört. Aber erst jetzt wurde ihm klar, was das wirklich bedeutete. Deacon würde ihn verlassen. Wie es sich anhörte, war ihm mehr als nur ein Stipendium angeboten worden. Er hatte die Chance bekommen, das verdammte Levee Oaks endgültig hinter sich zu lassen!
Und Crick würde in dieser Öde allein zurückbleiben.
Evening Star wieherte, versuchte die Richtung zu wechseln und hätte Crick dabei fast den Arm ausgekugelt. 700 Kilo Hengst waren 700 Kilo Hengst. Man konnte ihn nicht einfach ignorieren, nur weil man sich für fremde Angelegenheiten interessierte. Crick konzentrierte sich wieder auf das Pferd, aber er hielt die Ohren offen.
„Deacon, mein Sohn … Ich habe es deiner Mom versprochen. Wirklich. Sie wollte, dass du studierst. Sie wollte, dass du all die Möglichkeiten bekommst, die sie selbst nie hatte.“
Crick konnte sich Deacons Grinsen gut vorstellen. Es war nur ein kleines Zucken seiner vollen Lippen, kaum wahrnehmbar, aber entschlossen. Es bedeutete, dass er sich um Deacon keine Sorgen machen musste, dass es alles in Ordnung war und Deacon keine Hilfe brauchte.
„Sorry, Dad. Aber alles, was ich will, ist hier. Und ich bin mir sicher, dass Mom es genauso gesehen hat. Sonst wäre sie nicht geblieben.“ Deacons Stimme beruhigte sich wieder etwas. Crick hob den Kopf und blickte direkt in Patricks Augen. Parishs Mitarbeiter und bester Freund sah ihn aus seinen grauen Augen traurig an. Niemand hatte je über Deacons Mutter gesprochen. Sie musste gestorben sein, als Deacon etwa fünf oder sechs Jahre alt war. Aber die Erinnerung an sie war bei Parish und seinem Sohn lebendig geblieben. Es war, als würde sie noch leben und Deacon mit der gleichen Hingabe und Bodenständigkeit lieben, wie sein Vater es tat.
Patrick machte eine Kopfbewegung und lenkte Cricks Aufmerksamkeit wieder auf Evening Star. Es ging ihm wie Patrick, er lauschte besorgt der Auseinandersetzung im Haus, obwohl er sich eigentlich um ein Pferd kümmern sollte, das mit jedem Schritt mehr graue Zellen zu verlieren schien.
„Verdammt aber auch, Even! Kannst du nicht im Trab bleiben?“ Crick fluchte leise vor sich hin und hielt das Halfter straff, um den Hengst nicht wieder zu verunsichern.
„Mein Sohn“, sagte Parish nach einer angespannten Pause. „Willst du nicht bei deinen Freunden bleiben? Jon und Amy gehen in den Süden, um dort zu studieren. Willst du nicht mit ihnen gehen? Du könntest noch vier Jahre Football spielen. Ich weiß doch, wie sehr du den Sport liebst.“
Deacon murmelte leise etwas vor sich hin, das Crick nicht verstehen konnte. Crick hielt die Luft an und Evening Stars Hufschläge dröhnten in seinen Ohren wie Donnerschläge.
Parishs nächste Worte hörten sich immer noch wie ein Protest an. Aber seine Stimme hatte einen resignierten Tonfall angenommen und Crick wusste – und selbst Evening Star konnte es nicht entgangen sein –, dass Parish verloren und Deacon gewonnen hatte.
„Mein Sohn, er wird immer noch hier sein, wenn du zurückkommst.“
„Wir könnten ihn trotzdem verlieren. Das weißt du auch, Dad.“
Parishs Stimme klang erstickt, als ob er den Tränen nahe wäre. Crick hatte ihn noch nie so gehört. „Deacon … bitte … du bist noch jung. Es ist vielleicht nicht das, wofür du es hältst.“
„Dad … hör bitte auf.“ Crick schloss die Augen, als er die magischen Worte hörte; Worte, die zeigten, dass Deacon wirklich und endgültig gewonnen hatte. Seine Stimme war leise geworden und Crick fragte sich, was ihn dieser Sieg gekostet hatte. „Bitte, mach es mir nicht noch schwerer, als es jetzt schon ist.“
Nach dem Training brachte Crick Evening Star in den Stall zurück und striegelte ihn. Er war nicht bei der Sache und in seinen Augen standen Tränen. Der Hengst wieherte leise und hätte ihn fast an die Wand gedrückt. Crick zog eine Karotte aus der Tasche und hielt sie ihm hin. Er konnte gerade noch seine Finger vor den gierigen Zähnen in Sicherheit bringen. Crick floh aus dem Stall – und vor einem liebesbedürftigen Hengst – und sah sich Deacon gegenüber, der vor der Stalltür auf ihn wartete.
Crick blieb wie angewurzelt stehen und sah ihn an.
„Ich nehme nicht an, dass du uns gehört hast“, sagte Deacon mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Er hatte den Kopf eingezogen, als wollte er seine Handlungen herabspielen und nicht zugeben, was er geopfert hatte für … wofür eigentlich? Für einen Streuner, den er und sein Vater aufgelesen hatten? Für einen Stalljungen mit Macken und Problemen? Welch eine Zeitvergeudung!
„Du hast die Chance, von hier zu verschwinden, Deacon“, knurrte Crick und kam sich dabei beschissen vor. Er wollte sich vor Deacon auf den Boden werfen, wollte sich an ihn klammern und weinen wie Missy, seine kleine Schwester. Bitte verlass mich nicht, Deacon. Bitte, bitte! kämpfte mit Du verdammter Idiot, wie kannst du deine Zukunft wegen eines Versagers wie mir aufs Spiel setzten!
„Ich wollte nie von hier weggehen“, sagte Deacon leise. „Aber du kannst es tun, wenn du alt genug bist.“ Er drehte sich um und ging, verschwand so still und leise, wie er gekommen war. Crick sah ihm mit offenem Mund nach. Er fragte sich, ob jetzt der Moment gekommen war, in dem er Deacon die Wahrheit sagen sollte.
Ich habe immer nur dich gewollt, Deacon.
Aber er sagte es nicht. Er war dreizehn Jahre alt – was wusste er schon darüber, die Liebe eines Lebens zu verlieren?
WÄHREND DER letzten Unterrichtswoche hatte die Abschlussklasse mehr oder weniger Narrenfreiheit. Trotzdem war Crick überrascht, als Deacons Truck vor seiner eigenen Schule vorfuhr und Jon und Amy, Deacons Freunde, ausstiegen, um ihn vom Unterricht befreien zu lassen.
„Pssst …“, flüsterte ihm Amy zu, als er ins Sekretariat bestellt wurde und die beiden erstaunt ansah. „Tu so, als ob wir dein Onkel und deine Tante wären …“
Crick grinste sie an. Sie warf mit Schwung ihre glatten, dunklen Haare über die Schulter und grinste zurück. Er hatte sich in den letzten beiden Jahren mit Amy Huerta, Deacons Freundin, abgefunden. Es wurde ihm dadurch erleichtert, dass sie sehr hübsch war mit ihren dunklen Haaren, den dunklen Augen und ihrer milchkaffeebraunen Haut. Aber sie war auch ein sehr ruhiger Mensch, und in dieser Beziehung ähnelte sie Deacon sehr. Dazu kam, dass sie sich für Carrick als Menschen interessierte und ihn nicht wie einen lästigen kleinen Bruder behandelte, der irgendwie zu ihrem Freund dazugehörte und den sie ertragen musste. Crick gab es ungern dazu, aber es war ihm auch deswegen leicht gefallen, weil sie im Herbst zum Studium nach L.A. gehen würde, während Deacon hier blieb, um seine Sanitäterausbildung zu absolvieren, die ein erster Schritt für seine Ausbildung zum perfekten Ranchbesitzer und Geschäftsmann werden sollte.
Aber das war erst im Herbst. Jetzt standen sie im Sekretariat seiner Schule und die Sekretärin sah die beiden Teenager misstrauisch an, bis sie in Carricks hoffnungsvolles Gesicht sah und ergeben seufzte.
„Äh … Jon und Amy …“ sagte sie und kniff die Augen zusammen. „… Francis“, fuhr sie dann säuerlich fort. „Sie können Ihren Neffen für heute mitnehmen.“ Kopfschüttelnd rollte sie mit den Augen. „Und richtet Deacon herzliche Grüße von mir aus. Habt ihr wirklich geglaubt, ich würde euch nicht erkennen? Es ist doch erst vier Jahre her, um Himmels Willen!“
Jon schenkte der Frau – sie war eine freundliche, etwas rundliche Frau in mittleren Jahren und hatte drei Kinder – sein strahlendstes Lächeln und gab ihr einen Schmatz auf die Wange. „Vielen Dank, Mrs. Lacey. Sie sind ein Schatz.“
Lachend rannten die drei zum Auto. Jon und Crick setzten sich auf den Rücksitz und Amy stieg vorne ein. Es war eigentlich nicht erlaubt, aber so weit mussten sie nicht fahren. Deacon hielt an einem Viehgatter an und nahm dann einen wenig befahrenen Weg durch verdorrte, ungemähte Wiesen. Crick sah sich um und versuchte herauszufinden, wo sie waren. Er kniff die Augen zusammen, um sich gegen den heißen Fahrtwind zu schützen. Dann sah er Jon an, dessen lange blonde Haare im Wind wehten. Er sah aus wie ein überdimensionierter Golden Retriever.
„Wohin fahren wir?“, schrie er, um den Fahrtwind und die scheppernden Geräusche des Autos zu übertönen.
„Wo wir immer hingehen!“, rief Jon zurück. „Zum Schwurstein, dem zweitbesten Badeplatz gleich nach dem Folsom Lake!“ Der Folsom Lake lag dreißig Meilen entfernt, und es waren keine leicht zu fahrenden Meilen. Auf der Strecke war viel Verkehr und sie war nicht ungefährlich.
„Wieso habt ihr mich abgeholt?“, fragte Crick, aber sein Grinsen zeigte deutlich, dass ihn die Antwort eigentlich nicht sehr interessierte.
„Es war Deacs Idee!“, rief Jon zurück. Jon und Amy nannten ihn Deac, aber Crick hatte sich nie mit dieser Kurzform anfreunden können. „Er hat gesagt, wenn wir feiern wollen, dann musst du auch dabei sein.“
In einer Kühltasche auf der Ladefläche hatten sie Getränke und Sandwiches mit Grillfleisch, die Parish am Vorabend zubereitet hatte. Sie hatten sogar an eine alte Badehose von Deacon gedacht, die Crick sich ausleihen konnte. Er war ihnen sehr dankbar dafür.
Seit ihrem ersten Besuch waren sie noch oft zum Schwurstein baden gegangen, und er löste in Crick immer noch die gleichen ehrfürchtigen Gefühle aus wie das erste Mal. Dieses Mal zogen sie sich die drei Jungs hinter dem Auto um, während Amy auf der anderen Seite geduldig wartete. „Ich weiß wirklich nicht, warum du dich vor ihr versteckst“, grummelte Jon Deacon zu. „Es ist ja nicht so, als ob ihr etwas Neues sehen würdet.“
Deacon wurde rot unter seiner Baseball-Kappe und stimmte Jon zu. „Aber es ist eine Frage der Höflichkeit“, murmelte er. „Außerdem machen wir im Herbst sowieso Schluss.“
Cricks Herz überschlug sich wie eine Cheerleaderin mit ihren Pom-Poms. Jon sah Deacon nur nachdenklich an.
„Warum?“, fragte er dann, stand auf und faltete seine Kleidung zusammen. Crick sah ihn an – schlank, elegant, braun gebrannt und wirklich hübsch. Aber im Vergleich zu Deacon mit seiner kräftigen Brust und seiner marmorfarbenen Perfektion war Jon reine Staffage. „Warum wollt ihr euch trennen? Ich meine … Ihr zwei habt euch doch sehr gern!“
Deacon nickte nachdenklich und traurig zugleich. „Das ist richtig“, stimmte er Jon zu. Er warf einen traurigen Blick auf Amy, die mit verschränkten Armen auf der anderen Seite des Autos stand und ihr braunes Gesicht in die Sonne hielt. „Wir haben uns sehr gern. Aber sie studiert Jura und will richtig Karriere machen.“ Er zuckte mit den Schultern und wurde rot. Crick konnte sich keinen Grund dafür vorstellen. „Sie will sich für Menschenrechte einsetzen, politisch aktiv werden. Mein Herz ist hier – das weißt du.“
Deacon sah Jon von der Seite an, als ob die beiden schon früher über dieses Thema geredet hätten. Jon gab den Blick an Crick weiter, als ob der eigentlich darüber Bescheid wissen müsste. Aber Crick zuckte nur mit den Schultern, weil ihm die ganze Sache ein Rätsel war. Jon seufzte und verdrehte die Augen.
„Nun“, meinte Jon auffallend bedächtig. Es wirkte so gezwungen, dass es schon an ein Wunder grenzte, dass ihm nicht die Stimme weggeblieben war. „Ich hätte nichts dagegen, äh … mich um sie zu kümmern, solange wir hier sind. Falls das in Ordnung ist.“
Crick blinzelte verblüfft. Was ist mit Becca?, hätte er beinahe laut gefragt. Becca Anderson war schon so lange Jons Freundin, wie Deacon mit Amy zusammen gewesen war. Crick mochte Becca nicht sonderlich gut leiden. Sie hatte lange blonde Haare und ein hübsches Gesicht, was sie unerträglich eitel machte. Außerdem hatte sie Deacon mehr als einmal zu verstehen gegeben, dass sie kein Problem damit hätte, jederzeit Amys Platz einzunehmen. Crick fand das unfair, sowohl Amy und Deacon als auch Jon gegenüber, der ja schließlich ihr Freund war.
Deacon lächelte Jon, seinen besten Freund seit ihrer Kindergartenzeit, wissend an. „Ich würde es als persönlichen Gefallen auffassen, wenn du dir etwas Zeit lässt, bevor du mit ihr ernst machst. Ist das okay?“
Jon wurde rot und nickte ernst. Er verstand Deacon genau und schien ihm für sein Verständnis dankbar zu sein.
„Seit ihr jetzt endlich soweit?“, rief Amy ihnen fröhlich zu. „Wenn ihr euch nicht beeilt, bleibt von mir nur noch ein Schweißfleck übrig!“
„Ich dachte immer, dass Damen nicht schwitzen!“, rief Jon zurück. Crick wurde etwas traurig, als er Amys unbeschwertes Lachen hörte.
„Es ist mir eine Ehre, von dir als Dame bezeichnet zu werden, mein Schatz … Aber wenn ihr jetzt nicht eure Ärsche in Bewegung setzt, dann werde ich biestig!“
Deacon warf lachend den Kopf in den Nacken. Crick mochte Jon und Amy sehr gerne, denn sie waren Deacons beste Freunde und liebten ihn. Und wie konnte man einen Menschen nicht lieben, der so wunderbar war, dass bei seinem Anblick die Zeit stehen zu bleiben schien?
Es war ein strahlender Tag – einer dieser Tage, die sich einem Kind einprägten und die es sein Leben lang nicht vergessen würde. Sie schwammen und spielten. Es gab eine Wasserschlacht zwischen Jon und Crick auf der einen und Deacon und Amy auf der anderen Seite, die Crick entschied, indem er auf einen Felsen am Ufer kletterte und von dort auf Deacons Rücken sprang, der in einer tiefen Stelle stand. Lachend und prustend tauchte Deacon wieder auf. Crick vergaß diese wenigen Sekunden nie, in denen sie sich Muskel an Muskel berührten und sich seine Brust an Deacons Hüfte drückte. Er klammerte sich an diese Erinnerung, bis sie Jahre später durch eine bessere abgelöst wurde.
Später saßen sie gemütlich auf dem Felsen zusammen. Amy lehnte sich mit dem Rücken an Deacons Brust. Sie beobachteten den Sonnenuntergang und unterhielten sich über ihre Zukunftspläne.
„Also erst die Sanitäterausbildung und dann die Pferdezucht?“, fragte Jon und malte mit einem Stöckchen Muster auf den Stein.
Deacon vergrub sein Gesicht in Amys Haare. Dann sah er auf und nickte. „Parish hofft wohl immer noch, dass ich etwas anderes an einer anderen Uni studieren will und doch noch eines der Stipendien annehme, die mir angeboten worden sind.“
Amy drehte den Kopf zu ihm um. „Bist du dir sicher, dass du das nicht willst, Deac? Du kannst immer noch …“
Deacon rieb kopfschüttelnd seine Schläfe an Amys Haaren. Selbst Crick erkannte, dass es eine Abschiedsgeste war. „Nein, Baby. Mein Herz schlägt für diese Ranch. Es tut mir leid.“ Er stützte sich mit der Wange auf ihren Kopf. Amy schloss die Augen und drückte sich fester an seine Brust.
Jon legte die Hand auf Cricks Bein und nickte ihm zu. Leise standen sie auf und verschwanden in der Dämmerung, um die beiden allein zu lassen.
„Er bleibt deinetwegen hier, weißt du“, brach Jons Stimme unerwartet die Stille. Crick sah ihn scharf an. Er hatte in den letzten Jahren einen ziemlichen Wachstumsschub durchgemacht und sie gingen Schulter an Schulter. Er würde in den nächsten Jahren noch mindestens zehn Zentimeter wachsen, aber momentan war er ungefähr so groß wie Jon und Deacon, also etwa einsachzig.
„Ich weiß.“ Crick hörte es nicht zum ersten Mal. „Wie soll ich ihm das nur wieder gutmachen?“
Jon blieb stehen, hob den Kopf und sah in den Nachthimmel. „Ich bin nicht schwul – obwohl ich es mir manchmal wünschte.“
Crick blinzelte überrascht. Ihm fiel dazu nichts ein, obwohl es sich eigentlich um sein Element handelte. „Ich weiß wirklich nicht, wie man sich das wünschen kann“, sagte er aus tiefster Überzeugung.
„Ich glaube, ich liebe Deacon mehr als jeden anderen Menschen – sogar mehr als Amy“, gestand Jon. Sie hatten kein Bier mitgebracht und soweit Crick wusste, trank keiner von ihnen Alkohol. Es war einfach nicht ihre Sache. Deacon hatte oft darüber gescherzt und gemeint, an ihnen wären wahre Mormonen verloren gegangen. Crick hätte jetzt nichts gegen einen Schluck gehabt und Jon lachte über seine offensichtliche Verlegenheit.
„Ich habe einen Grund, dir das zu sagen, Carrick. Die Sache ist nämlich die …“ Jon ließ sich ins Gras fallen, lehnte sich zurück und stützte sich auf die Ellbogen. Er legte den Kopf in den Nacken und betrachtete nachdenklich die Sterne über ihnen. Es war ein wunderschöner Anblick für Crick, der in letzter Zeit gelernt hatte, wofür das Ding zwischen seinen Beinen gut war, das ihm in seinem dunklen, kleinen Zimmer schon viel Freude bereitet hatte. Aber obwohl Jon mit seinen blonden, im Mondlicht glänzenden Haaren jedem Filmstar Konkurrenz machen konnte, fühlte Crick keinerlei Erregung in sich aufflammen.
„Die Sache?“, fragte er und ließ sich neben ihn fallen.
„Die Sache ist die, dass ich alles dafür geben würde, um der Richtige für Deacon zu sein. Ich würde ihn heiraten, wenn das möglich wäre. Aber mein Körper spielt einfach nicht mit. Verstehst du, was ich meine?“ Jon sah Crick unglücklich an und dem fiel es wie Schuppen von den Augen. Zum ersten Mal in seinem Leben war er genau richtig, um von einem anderen Menschen geliebt zu werden. Und er erkannte, dass er damit auch andere Menschen lieben konnte, nicht nur Deacon und Parish oder seine kleinen Schwestern. Es war eine aufregende Entdeckung, über die er später noch genauer nachdenken musste.
Aber jetzt war es Jon, der ihn brauchte.
„Deacons Körper würde auch nicht mitspielen“, erinnerte er Jon. Der lächelte ihn nur nachsichtig an, als ob Crick etwas entgangen wäre.
„Deacon ist ein sehr besonderer Mensch“, erwiderte Jon locker, aber sein unbedarfter Tonfall war nicht sehr überzeugend. „Bei ihm kommt das Herz vor dem körperlichen Begehren, nicht umgekehrt.“
Crick runzelte nachdenklich die Stirn. „Das verstehe ich nicht.“
Jon setzte sich auf und sah ihn durch den Vorhang seiner blonden Haare an. Dann schüttelte er den Kopf. „Wenn du glaubst, dass er nur deshalb hier bleibt, um auf seinen kleinen Bruder aufzupassen, dann unterschätzt du seine Liebe zu dir. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
Dem war nichts mehr hinzuzufügen und sie verstummten. Sie beobachteten die letzten Strahlen der untergehenden Sonne und Deacon und Amy, denen sie so viel Abstand wie möglich gegeben hatten, um einen letzten intimen Moment zu genießen und sich voneinander zu verabschieden. Crick grübelte über Jons Bemerkung nach.
Er grübelte auch in den nächsten Monaten noch darüber nach, weil es eine Hoffnung in ihm geweckt hatte, die er nie für möglich gehalten hätte. In Cricks Erfahrung war Hoffnung eine trügerische Sache. Als er zehn Jahre alt war, hatte er so sehr gehofft, von seiner Mutter zu Weihnachten nicht nur die obligatorische Jeans geschenkt zu bekommen. Oder von Stief-Bob ein Wort des Dankes zu hören, weil er Benny, Missy und Crystal jeden Tag das Frühstück machte und ihnen Abendessen kochte. Seine Hoffnung wurde enttäuscht. Aber Deacon und Parish hatten ihm einen neuen Sattel und einen Cowboy-Hut geschenkt. Er war fast sprachlos gewesen vor Freude und hatte sich überschwänglich bei ihnen bedankt. Und er hatte gelernt, dass Hoffnung zwar trügerisch war, aber dass man die wunderbarsten Überraschungen erleben konnte, wenn man die Hoffnung schon aufgegeben hatte.
Er hasste Hoffnung. Sie weckte die Angst vor Enttäuschungen.
IM FRÜHJAHR der neunten Klasse hatte er wieder Anlass zu neuer Hoffnung. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte.
Absurderweise fing es mit einer leichten Gehirnerschütterung und einer gebrochenen Nase an. Er war von drei Jungs verprügelt worden und sie hatten ihn mit dem Kopf auf den Boden geschlagen. Der Rettungsdienst wurde gerufen.
Es war der Monat, in dem Deacon seinen Sanitätsdienst angetreten hatte.
„Verdammt, Crick!“, knurrte Deacon und leuchtete ihm mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen. Einer der Sanitäter gab ihm einen Eisbeutel für den Kopf und ein Tuch, um das Blut aus dem Gesicht zu wischen. Dann klopfte er Crick aufmunternd auf die Schulter und ging zu den drei anderen Jungs. (Zwei gebrochene Handgelenke und einige ausgeschlagene Zähne – Crick war alles andere als wehrlos) „Was zum Teufel ist hier passiert?“
Crick wich Deacons einfühlsamem Blick aus. „Die chabn angfangn!“, protestierte er. Deacon legte die kleine Lampe auf den Boden und hob beschwichtigend die Hände, als müsste er ein nervöses Pferd beruhigen.
„Soll ich dir die Nase gleich richten? Oder willst du damit nach Hause gehen, ohne richtig atmen zu können?“
Crick zuckte mit den Schultern und versuchte, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Verdammt, es hatte höllisch wehgetan – und jetzt sollte er das wieder aushalten müssen? Deacon nahm Cricks Nase zwischen die Hände und machte dann eine ruckhafte Bewegung mit den Daumen.
Crick bäumte sich auf vor Schmerz und fing an zu wimmern. Deacon drückte Cricks Kopf an seine Brust und streichelte ihm beruhigend über die Haare. „Ja, ich weiß. Es tut höllisch weh, nicht wahr?“
Crick nickte. Er hatte ein Gefühl hinter der Stirn, als wäre gerade sein ganzer Kopf explodiert.
„Es ist wird gleich wieder besser“, flüsterte Deacon und schob Cricks Kopf zurück, um ihm in die Augen zu sehen. Crick holte tief Luft und riss erstaunt die Augen auf. Ja, es tat höllisch weh. Aber das war es wert gewesen. Deacon lächelte ihn an.
„Danke, Deacon.“
