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Jenseits sensationslüsterner Medienberichte liefert Uta Falck hier erstmals eine chronologisch angelehnte Gesamtdarstellung zum Thema Prostitution in der DDR. Sie geht dabei den sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen genauso nach wie den veränderten Motiven der Beteiligten. Dominierten in der Nachkriegszeit vor allem existenzsichernde Gründe, bildete sich in den 70er Jahren verstärkt eine auf Luxus und Konsum orientierte Prostitutions-Szene heraus.
Die Akteure - weiblich wie männlich - agierten dabei in der Illegalität und waren häufig gezwungen, sich auf eine Gratwanderung zwischen offiziellem strafrechtlichem Verbot und dem inoffiziellen Informationsinteresse der Staatssicherheit einzulassen.
Uta Falck stützt sich in ihrer lebendig geschriebenen Darstellung sowohl auf zahlreiche Archivmaterialien, retrospektive Aussagen von Zeitzeugen aus dem DDR-Gesundheitswesen, der ehemaligen Volkspolizei, dem gastronomischen und dem Taxigewerbe als auch auf die Informationen von ehemaligen DDR-Prostituierten, die sich zu ausführlichen Gesprächen mit der Autorin bereitfanden.
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Seitenzahl: 363
FORSCHUNGEN ZUR DDR-GESELLSCHAFT
Uta Falck
VEB Bordell
Uta Falck
Geschichteder Prostitutionin der DDR
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
1. Auflage als E-Book, Juli 2016
entspricht der 1. durchgesehenen Druckauflage vom März 1998
© Christoph Links Verlag GmbH
Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel. (030) 44 02 32-0Internet: www.christoph-links-verlag.de; [email protected]
Cover: KahaneDesign, Berlin unter Verwendung einer Illustration von
Werner Klemke aus der Broschüre des DDR-Staatsverlages „Liebe, Sex und Paragraphen“
ISBN 978-3-86284-341-1
Vorwort
Von welchen, die auszogen, um mal zu fragen …
Einleitung
Die Nachkriegszeit
Prostitutionsalltag in den Trümmerjahren
Sittliches Chaos mit Folgen – SMAD-Befehle zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
Die Macht des Gesundheitswesens
Nichts zu sehen, nichts geschehen – Rechtliches zur Prostitution
Unterm Strich: Die Nachkriegszeit
Die fünfziger Jahre
Mein rechter, rechter Platz ist leer
Im Banne der Geschlechtskrankheiten
Engagement an vorderster Front: Die Arbeit des Gesundheitsamtes
Tassen an die Wand: Zwangshospitalisierung und ihre Folgen
Ausflug in die DDR-Frauenpolitik der fünfziger Jahre
Medien und Meinungen: Zweibeinige Messemuster in Gänsefüßchen
Prostitution – das Erbe des Kapitalismus
Schuld und doppelmoralische Sühne
Ende des Burgfriedens
Und sie fingen an zu weinen … – Die Heime für soziale Betreuung
Grenzgängertum: Wohnen im Osten – Arbeiten im Westen
Unterm Strich: Die fünfziger Jahre
Die sechziger Jahre
Anfangsbuchstaben, Geschlecht, Geburtsdatum – Die neue Verordnung zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten
Die Sache mit der Kriminalitätsstatistik
»Jedem nach dem Wohnsitz seiner Tante«
Einmal DDR, bitte …
Neue Strafgesetze
Ausflug in die DDR-Frauenpolitik der sechziger Jahre
Die »Klassiker« und das neue Selbstbewußtsein
Unterm Strich: Die sechziger Jahre
Die siebziger Jahre
Zierde des Zahnputzbechers: Die Wunschkind-Pille
Sexualaufklärung in den Massenmedien
Das große soziale Programm – Ausflug in die Frauenpolitik der siebziger Jahre
Sexuelle Revolution auf sozialistisch
Die Sicherung der Weltfestspiele
Ost-West-Kontakte
Wie die DDR-Bürger in den Intershop kamen
(K)ein Einzelfall
Die neue sozialistische Prostitution
»Wir sind überall auf der Erde …« – Die Vernunftehe zwischen Prostitution und Staatssicherheit
Die operative Abschöpfung der Professionellen
Informationsbeschaffung kennt keine Moral
Ronnie/Romy Rückblick – Ein Bericht
Unterm Strich: Die siebziger Jahre
Die achtziger Jahre
Freier und wie sie gefunden wurden – Organisationsformen der Prostitution
Prostitution à la Interhotel
Mit dem »Nutten-Zug« nach Leipzig
Mein Schatz, der ist Matrose
Die osteuropäische Valuta-Mafia
Die Ostfreundinnen der Diplomaten
Wenn ein Sowjetbürger eine Reise macht …
Ist sie’s oder ist sie’s nicht? – Definitionsprobleme auf dem Straßenstrich
Begegnungen am Taxistand
Deutsch-deutscher Sextourismus
Marktplatz »Yucca-Bar«: »Komplexannahmestelle« in Sachen Ausreisen und westliche Konsumgüter
Was macht eine Nachtschicht im Fernsprechamt attraktiv?
Homosexuelle Prostitution
Geheimtip: Ost-Frau
Wie, Weshalb, Warum: Zugangsmöglichkeiten und Motivationen
»… weil sie noch mehr wollten«
Pille kontra Kondom
Zuhälter oder Nicht-Zuhälter …
Das blinde Auge des Gesetzes
Ausflug in die Frauenpolitik der achtziger Jahre
Unterm Strich: Die achtziger Jahre
»Zu bereuen gibt’s da gar nichts …«
Rückschau der Protagonistinnen
Was bleibt?
Schlußbetrachtung der Autorin
Über die Autorin
Das Thema »Prostitution in der DDR« ist nicht neu. Anfang der neunziger Jahre wurde es ausgegraben und bestaunt, doch schnell wieder fallengelassen. Außer der marktschreierischen Botschaft über die Existenz von Prostitution in der DDR machte sich niemand die Mühe, dieses Phänomen im Zusammenhang mit der DDR-Alltagskultur aufzuarbeiten.
Als ehemalige DDR-Bürgerin und Sexualsoziologin mit dem Forschungsschwerpunkt Prostitution lag es nahe, mich diesem Thema ausführlicher zu widmen. Mein persönliches Interesse war vor allem dadurch bestimmt, daß im Gegensatz zur heutigen Prostitutionstätigkeit die Prostitution in der DDR von der Mehrzahl der Beteiligten als positiv eingeschätzt wird. Was lag näher, als nachzufragen, welche konkreten Bedingungen dazu führten, daß die DDR von den Prostituierten als »Superzeit«1 empfunden wird?
Keine von uns beiden2 ahnte damals, wie mühsam es sein würde, Auskünfte zu diesem Thema zu bekommen. Mühsam deshalb, weil die Erinnerungen mit jedem Nachwendetag blasser oder, was noch schlimmer war, neu angestrichen wurden, indem die von uns befragten DDR-Bürger sich westliche Begriffe und Vorstellungen über die Prostitution aneigneten. Mühsam auch, weil eine kompetente Bearbeitung dieser Fragestellung DDR-historische Kenntnisse verlangte. Mühsam nicht zuletzt, weil dieses Thema im Zusammenhang mit Sexualität und – noch bedenklicher – mit der Staatssicherheit steht.
Welchen Schwierigkeiten wir bei der Recherche begegneten, sollen folgende Vorfälle illustrieren. Von Frau Sigrun Schlußstrich* in Berlin-Prenzlauer Berg wußten wir, daß sie über Informationen zur DDR-Prostitution verfügt. Wir schrieben Frau Schlußstrich einen Brief, in dem wir unser Anliegen beschrieben, und baten sie, sich mit uns in Verbindung zu setzen, da wir sie gern besuchen wollten. Wenige Tage später empfing mich mein Anrufbeantworter mit folgender Nachricht: »Mein Name ist Schlußstrich. Sie hatten mir einen Brief geschickt. Ich möchte Sie bitten, von einem Besuch bei mir Abstand zu nehmen. Ich möchte mit diesen - Sachen nichts mehr zu tun haben. Ich habe das abgeschlossen, dieses - Thema.«
Daß Fragen zu diesem Thema so etwas wie einen Eingriff in die Intimsphäre darstellen können, zeigt die Reaktion des Wirtes von »Charlys Kneipe« (ehemals »Quelle am Tor«), der uns mit einem: »Ich frag’ Sie auch nicht, was Sie gestern mit Ihrem Freund gemacht haben«, mehr oder weniger direkt die Tür wies.
Vielfältig war auch die Reaktionspalette der im November 1995 per Zeitungsaufruf im Berliner »Wochenblatt« gesuchten Zeitzeugen, die ich an dieser Stelle etwas ausführlicher schildern möchte:
–Mich riefen Freier an, die das erste Mal mit jemandem über ihre Erlebnisse mit Prostituierten sprachen.
–Herr Dr. Guntram Gespinst*, der »… über drei Jahre lang Erfahrungen im Betreten von Bordellen – allerdings erst nach der Wende« gesammelt hatte, erkundigte sich, ob ich vielleicht auch vergleichende Fragestellungen zu diesem Thema behandeln würde.
–Ich stritt mit einem Bulgaren, der vor 20 Jahren in die DDR gekommen war und seit der Wende Mitglied der PDS ist, worauf er sehr stolz sei, wie er betonte. Er warf mir vor, das Ansehen der DDR mit Dreck zu bewerfen. Ich versuchte, mein Vorhaben zu erklären, wozu er mir kaum eine Chance ließ. Wütend über soviel Ignoranz beendete ich das Gespräch.
–Eine Anruferin, die offensichtlich Berührung mit dem Thema hatte, beklagte sich über die reißerische Behandlung dieses Themas in den Medien: »Ja, Sybille Satt* ist mein Name. Ich hab das gelesen hier mit der Prostitution in der DDR. Also hier ›in Bar, Sauna und Straßenstrich … vor allem in den Großstädten‹. Ich bin jetzt 36 Jahre … also is’ nich’ aus den Fingern gesogen. Soviel Schmutz und Dreck, wie ich jetzt lese und sehe – dis habe ich in meinem ganzen Leben echt noch nicht erlebt. Was da krampfhaft vorgekramt werden will und soll, ich weeß nicht. Gibt’s denn nich’ andere Themen, liebe Studentin, zum Beispiel Umweltthemen? Na dann noch schönen Tach, ne? Tschüß.«
Von Anfang an war klar, daß nicht auf einen Forschungsstand mit entsprechend gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen zurückgegriffen werden konnte, sondern entsprechende Befunde erst zu erarbeiten waren. Infolge der Sensibilität des Themas brauchten wir überhaupt nicht über Aufnahmetechnik nachzudenken und arbeiteten deshalb mit Gedächtnisprotokollen, bestenfalls mit handschriftlichen Notizen in Anwesenheit der Zeitzeugen.
Unser Vorgehen orientierte sich an sechs gesellschaftlichen »Kommunikationsfeldern«, die im Kontakt mit dem Prostitutionsgeschehen standen: Gesundheitswesen, Justiz, Staatssicherheit, Gastronomie, Taxigewerbe und Örtlichkeiten, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum vermuteten Prostitutionsgeschehen befanden. In diesen Feldern wollten wir den vergangenen Ereignissen nachspüren.
Den Beginn unserer Forschungsaktivitäten bildeten themenzentrierte Interviews, die wir in der Gegend der Ostberliner Prostitutionsstätten durchführten. Wir sprachen mit Kellnern und Mitarbeitern der ehemaligen »Valuta-Hotels«: des Hotels »Metropol« (heute: »Maritim pro arte«), des »Palasthotels« (heute: »Radisson Plaza SAS«) sowie des Hotels »Stadt Berlin« (heute: »Forum-Hotel«), über ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit der Prostitution in der DDR. Neben den Mitarbeitern des Christlichen Hospizes in der Auguststraße befragten wir Anwohner, Kneipen- und Geschäftsinhaber rund um die Oranienburger Straße ebenso wie in der Umgebung der »Yucca«- und »Alibi«-Bar. Ich sprach mit dem Geschäftsführer, einer Bardame und einem Angestellten der »Alibi«-Bar, die sich heute konsequenterweise als Sex-Club präsentiert, und interviewte eine ehemalige Kellnerin der »Yucca«-Bar. Ich recherchierte bei den Wirtschaftsämtern nach deren Wissen über die Vorgänge in diesen Bars. Ergebnislos verliefen Anfragen bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin. Wir unterhielten uns mit ehemaligen Angehörigen der Deutschen Volkspolizei in Berlin-Pankow und Berlin-Mitte und plauderten mit Taxifahrern, vor allem mit den Angestellten der aus dem »VEB TAXI« hervorgegangenen Firma »Spreefunk«, die etliche DDR-Taxi-Fahrer übernommen hatte und viele ehemalige DDR-Bürger beschäftigt. Zusätzlich lancierten wir einen Aufruf in der innerbetrieblichen Zeitung.
Wir klopften an die Mitarbeiterzimmer in der Hautklinik der Charité und des Regierungskrankenhauses, ebenso nahmen wir Kontakt zu Fürsorgerinnen der ehemaligen Zentralstelle zur Bekämpfung und Verhütung von Geschlechtskrankheiten in Berlin-Prenzlauer Berg auf. Wir paßten die legendäre Charlotte von Mahlsdorf auf einer ihrer zahlreichen Führungen durch das Gründerzeitmuseum ab und erkundigten uns nach den Gepflogenheiten der Szene in den fünfziger Jahren. Ich versuchte, von West-Huren etwas über deren mehr oder weniger spärliche Kenntnisse von den Geschehnissen im Osten zu erfahren. Wir befragten Eltern, Freunde, Bekannte und Verwandte, sogar vor dem Otto-Versandhaus-Vertreter machte ich nicht halt, als ich merkte, daß der Mann Kenntnisse über das Ostberliner Nachtleben besaß.
Erwähnt seien auch die vielen vergeblichen Versuche, Zeitzeugen zu finden und anzutreffen, bzw. die Enttäuschungen, wenn angebliche Zeitzeugen nur »vage mal dort vielleicht was gehört« hatten oder aber Zeitzeugen auf Grund ungünstiger Interviewsituationen wenig bis nichts erzählen konnten oder wollten. Es war eine Zeit, da wir jedem Hinweis nachgingen und uns auf diese Weise einen Überblick über das kursierende Wissen in der Bevölkerung zu verschaffen versuchten. Irgendwann kam der Punkt, an dem wir feststellten, daß sich die Grenzen des auf diese Weise zu erzielenden Erkenntnisgewinns abzeichneten, und ich begann, mich auf die Suche nach Experten zu machen.
Im Rahmen einer Multiplikatorenschulung zum Thema Prostitution inszenierte ich in Erfurt eine Gruppendiskussion mit ehemaligen Mitarbeitern des DDR-Gesundheitswesens, darunter vielen Fürsorgerinnen. Auf einer Fachtagung »Transsexualität« begegnete ich einer Zeitzeugin, die mir ihre atemberaubende Lebensgeschichte schilderte. Im November 1995 schickte ich, wie oben bereits erwähnt, dem Berliner »Wochenblatt« einen kleinen Artikel mit der kurzen Beschreibung meines Projekts. Die Redaktion textete den folgenden Aufruf:
»Prostitution in der DDR – Zeitzeugen gesucht!
Horizontales Gewerbe in der DDR? Offiziell gab’s das nicht. Die Wirklichkeit sah anders aus: Bar, Sauna und Straßenstrich vor allem in den Großstädten.
Eine Berliner Studentin recherchiert das Thema jetzt genauer.
Informationen dazu bitte weitergeben unter der Rufnummer xxx xx xx.
Diskretion wird selbstverständlich zugesichert.«3
Von Prostitution in der Sauna hatte ich niemals geschrieben, die redaktionelle Dichtung stand der Resonanz jedoch nicht im Weg. Noch bevor die Zeitung in den Ostberliner Haushalten verteilt war, landete die erste Nachricht auf meinem Anrufbeantworter. Später stapelten sich die Meldungen – die Zeitzeugen holten mich unter der Dusche hervor und klingelten mich aus Sitzungen. Ich führte sieben mehr oder weniger aufschlußreiche Telefoninterviews und traf mich mit zwei äußerst interessanten Zeitzeugen zu mehrstündigen Interviewsitzungen.
Während der Interviews fiel mir des öfteren auf, wie schnell Erinnerungen von der jüngeren Vergangenheit verklärt und überlagert werden. Ein Beispiel: Im ehemaligen Hotel »Stadt Berlin« gab es in der 37. Etage eine Discothek mit Bar, die im Mai 1992 geschlossen wurde. Erwähnten die Befragten im Interview das Wörtchen »früher«, so bezog sich dieses »früher« auf die Zeit, als diese Discothek noch existierte, und nicht auf den Zeitpunkt vor der Wende, den ehemalige DDR-Bürger im allgemeinen mit »früher« assoziieren.
Auf Grund dieser Überlagerungen bekamen originalzeitliche Materialien (soweit zu finden) die Funktion eines Korrektivs. Der Weg führte neben den einschlägigen Berliner Bibliotheken in das Berliner Stadtarchiv, die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, das Lila-Archiv, das Frauen-, Forschungs-, Bildungs- und Informationszentrum (FFBiZ) sowie das Ratsarchiv und förderte Dokumente und publizistische Artikel aus dem Bereich des Gesundheitswesens und der Deutschen Volkspolizei zutage.
Wegen der schwierigen Quellenlage benutzte ich alle mir zur Verfügung stehenden Informationen – Anzweifelbares wird von mir als solches gekennzeichnet. Dieser erste Anlauf, sich dem Thema umfassender zu nähern, konnte lediglich für flankierende Themen wie Sozialpolitik der DDR, Arbeitsweise des Staatssicherheitsdienstes der DDR sowie einige alltagskulturelle Aspekte (Intershop, GENEX4) auf wissenschaftliche Vorabeiten zurückgreifen.
Bleibt anzumerken, daß die Archivmaterialien bevorzugt das Geschehen in den vierziger, fünfziger und sechziger Jahre beleuchten, während das Gewicht der Zeitzeugen-Aussagen deutlich bei der jüngeren und jüngsten Vergangenheit liegt. Dieser Qualitätssprung darf bei der Wertung des Zitierten nicht unberücksichtigt bleiben. Während die originalhistorischen Quellen als authentisch anzusehen sind, spiegeln die retrospektiv gewonnenen Aussagen auch die aktuellen Diskussionen über die DDR, etwa den Umgang mit ehemaligen Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes, gewürzt mit gewissen ostalgischen Sequenzen, sowie die veränderten Sichtweisen in puncto Sexualität.
»Der Vorhang fällt, wir schau’n betroffen, und viele Fragen bleiben offen«, so die beständige Abmoderation des »Literarischen Quartetts« durch Marcel Reich-Ranicki. Wie so oft, produziert die Beschäftigung mit einem Thema am Schluß mehr Fragen als Antworten, die dann den Antrieb für weitere Arbeiten bilden können – sollen – müssen.
Natürlich gab es viele hilfsbereite Menschen, bei denen ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Besonderen Dank schulde ich Dr. Ina Merkel und Felix Mühlberg, die mich immer wieder anspornten und wertvolle Hinweise zur Material- und Zeitzeugensuche gaben. Andreas Matschenz war so nett, mir den Zugang zum Wirrwarr der Archivmaterialien zu erleichtern. Durch die Mithilfe von Helmut Müller-Enbergs wurde mir die Einsichtnahme in einige Hinterlassenschaften beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes ermöglicht.
Außerdem möchte ich die Gelegenheit nutzen, um mich für die vielen Hinweise meiner Freunde, Familie und Bekannten sowie meiner Lektorin zu bedanken. Mein Dank gilt auch den zahlreichen Zeitzeugen, die mir manchmal über Stunden hinweg ihre subjektive Sicht der Dinge geschildert haben, für ihre Geduld und Auskunftsbereitschaft.
1Interview mit der Zeitzeugin Monique Mastino*. In: Herr, Katja: Huren unter Honecker (Dokumentarfilm). MDR 1996. (Anonymisierte Namen sind bei ihrer ersten Erwähnung mit * gekennzeichnet.)
2Die ersten Befragungen führte ich gemeinsam mit Marianne Willisch durch.
3Wochenblatt vom 16. November 1995.
4Geschenkdienst und Kleinexport GmbH
Die vorliegende Publikation verfolgt die Spuren der Prostitution in der DDR seit dem Beginn der Nachkriegszeit. Die Leser und Leserinnen werden durch viereinhalb Jahrzehnte DDR-Alltagskultur geführt, denn erst vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Situation läßt sich nachvollziehen, warum und wie sich Prostitution Ost von Prostitution West unterscheidet.
Bis zum Anfang der sechziger Jahre widmeten sich DDR-Journalisten des öfteren dem Thema »Prostitution«. Es gab zahlreiche Reportagen über das Nachtleben, zu denen wie selbstverständlich auch die Prostitution gehörte, aber auch Berichte mit der Feststellung, daß das Phänomen der »leichten Mädchen« in der DDR bald aussterben werde. In der Folgezeit starb zumindest das Thema in den Medien aus – lediglich in Ausnahmefällen tauchte es noch auf, und dann zumeist in Zusammenhang mit Gerichtsprozessen. Die zurückhaltende Berichterstattung über die Prostitution fußte u. a. auf der nicht unbegründeten Angst vor dem lästernden »Klassenfeind«, denn die DDR-Presse blieb im Westen nicht unbeachtet: »Ost-Berlin gibt zu: Bei uns gibt es Dirnen und Zuhälter«, titelte beispielsweise die Westberliner BZ 1979 mit Bezug auf eine entsprechende Gerichtsreportage.1
Seit dem strafrechtlichen Verbot der Prostitution im Jahre 1968 wurden den DDR-Bürgern konkrete Vorstellungen darüber, was man unter Prostitution zu verstehen hatte, lediglich noch als knapper Lexikoneintrag vermittelt: »Vornahme bzw. Duldung sexueller Handlungen gegen Entgelt«.2 Die Ansichten über den Inhalt dieser Definition wurden immer nebulöser, insbesondere nachdem die letzten klassisch agierenden Straßenprostituierten Anfang der sechziger Jahre aus der Öffentlichkeit verschwunden waren. In der Folge wurden Begriffe wie »Prostitution«, »Nutte« und »Strich« äußerst ungenau angewendet. Wo fing Prostitution an, wo hörte sie auf? Der Volksmund vergab die Bezeichnung »Nutte« großzügig an jede, die allzu offensichtlich die sexuellen Normen verletzte. So wurden Frauen als »Nutten« bezeichnet, die Kinder von verschiedenen Männern hatten, und von »Strich« gesprochen, auch wenn es um unbezahlten Sex ging, etwa bei den flüchtigen Begegnungen unter Schwulen auf den sogenannten Klappen. Die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) verwässerten den Begriff aus der anderen Richtung: Die »tschekistische Moral« verbot ihnen die Benutzung des Wortes »Prostituierte« – statt dessen benutzten sie durchgängig die verfälschende Bezeichnung »leichtes Mädchen«. So setzte der Volksmund Promiskuität mit Prostitution gleich, und die MfS-Genossen hielten es umgekehrt.
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