Venezianische Delikatessen - Daniela Gesing - E-Book

Venezianische Delikatessen E-Book

Daniela Gesing

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Kulinarische Genüsse und dunkle Machenschaften am Canal Grande: Luca Brassonis zweiter Fall Ein warmer Septemberabend in Venedig. Das blaue Wasser des Canal Grande glitzert malerisch in der Abendsonne. Doch mit der Idylle ist es vorbei, als unter der Rialtobrücke eine Leiche gefunden wird. Die Arbeit reißt Commissario Luca Brassoni aus seinem neuen Glück: Endlich hat er das Herz von Gerichtsmedizinerin Carla Sorrenti für sich gewonnen. Die Ermittlungen führen ihn ins Gourmetrestaurant im Palazzo Callieri auf der Insel Giudecca. Sterneköche sind alles andere als zimperlich, wenn es um den Erfolg geht. Zwischen Scampi und Gelato serviert man einander auch mal Gift. Aber Luca Brassoni macht so schnell keiner etwas vor … Ein Krimi, besser als jeder Italienurlaub - Spannung und Atmosphäre pur Von Daniela Gesing sind bei Midnight in der Ein-Luca-Brassoni-Krimi-Reihe erschienen: Venezianische Verwicklungen Venezianische Delikatessen Venezianische Schatten Venezianisches Verhängnis Venezianische Intrigen Venezianische Rache

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Die Autorin Daniela Gesing, Jahrgang 65, hat nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin Komparatistik und Pädagogik studiert und bei einer örtlichen Familienzeitung gearbeitet. Die Autorin lebt mit ihrer Familie und ihrem Hund in Bochum. Venezianische Delikatessen ist der zweite Venedigkrimi mit dem sympathischen Ermittler Luca Brassoni.

Das Buch Ein warmer Septemberabend in Venedig. Das blaue Wasser des Canal Grande glitzert malerisch in der Abendsonne. Doch mit der Idylle ist es vorbei, als unter der Rialtobrücke eine Leiche gefunden wird. Die Arbeit reißt Commissario Luca Brassoni aus seinem neuen Glück: Endlich hat er das Herz von Gerichtsmedizinerin Carla Sorrenti für sich gewonnen. Die Ermittlungen führen ihn ins Gourmetrestaurant im Palazzo Callieri auf der Insel Giudecca. Sterneköche sind alles andere als zimperlich, wenn es um den Erfolg geht. Zwischen Scampi und Gelato serviert man einander auch mal Gift. Aber Luca Brassoni macht so schnell keiner etwas vor …

Von Daniela Gesing sind in unserem Hause erschienen:

Venezianische Verwicklungen

Venezianische Delikatessen

Daniela Gesing

Venezianische Delikatessen

Luca Brassonis zweiter Fall

Kriminalroman

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

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Originalausgabe bei Midnight Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat

ISBN 978-3-95819-026-9

Alle Rechte vorbehalten.

Für Christina, Janina und Ben

Prolog

Die schwere Platte aus wertvollem Muranoglas ging mit einem lauten Krachen zu Boden. Das teure Stück zersprang auf dem Marmorboden in tausend Scherben.

»Roberta, impossibile, was bist du nur für eine dumme Gans!«, rief Nicolo Zamparoni aus der Küche. Er steckte seinen Kopf durch den Türrahmen und begutachtete das Desaster.

Dann eilte er im Laufschritt in den Gang zum Restaurant.

»Sieh dir das an. Diese Platte hat einen Wert von über dreihundert Euro. Wie kann man so dumm sein! Stupido!«

Der Starkoch sah seine Küchenhilfe mit wutverzerrtem Gesicht an. Seine Gesichtshaut hatte eine ungesunde rote Farbe angenommen. Sie hatten an diesem Abend eine geschlossene Gesellschaft gehabt und das Restaurant frühzeitig geschlossen. Das »Al Gambero« war Zamparonis ganzer Stolz. Vor vier Jahren hatte er das Restaurant im Luxushotel »Palazzo Callieri« auf Giudecca, der der Altstadt Venedigs vorgelagerten Insel, übernommen. Früher hatten auf dieser eigentlich aus acht miteinander verbundenen Eilanden bestehenden Insel reiche Venezianer ihre Luxusvillen gebaut. Heute verbrachten gut betuchte Touristen ihren Urlaub in dem Fünfsternehotel und genossen dort die feine Küche des Gourmetkochs.

Roberta, eine unscheinbare junge Frau mit blassbraunen Haaren, die sie zu einem langen Zopf geflochten hatte, sah ihren Chef mit großen Augen erschrocken an.

»Scusi, Signor Zamparoni, es tut mir so leid!«

Sie senkte den Kopf und schaute verlegen zu Boden.

»Ich werde dir die Platte von deinem Gehalt abziehen!«, herrschte der Sternekoch die Küchenhilfe an.

Roberta wurde bleich und begann zu zittern.

»Bitte, Signor Zamparoni, ich bin doch gar nicht schuld. Auf dem Boden lag ein Stück vom Salat, auf dem bin ich ausgerutscht und ins Straucheln gekommen.«

Zaghaft zeigte sie auf das grüne Blatt, das in einer feuchten Lache auf dem Boden vor sich hin welkte.

Doch Zamparoni hörte ihr gar nicht mehr zu, winkte wütend ab, drehte sich um und war schon wieder auf dem Weg in die Küche.

»Und räum die Glasscherben da weg. Ich will kein einziges Stückchen mehr dort sehen, wenn ich nach Hause gehe!«, rief er ihr mit drohender Stimme zu.

Roberta sah ihm mit vor Hass funkelnden Augen nach.

Das restliche Personal, das noch mit Aufräumen beschäftigt war und den Vorfall mitbekommen hatte, schüttelte den Kopf. Jeder war froh, wenn er nicht selber in Zamparonis Schusslinie geriet. Er war ein begnadeter Koch und konnte gut mit dem Personal umgehen, wenn alles lief, aber wehe, jemand machte einen Fehler…

Roberta holte sich einen Besen und eine Handschaufel, um das Missgeschick zu beseitigen.

Während sie die Scherben zusammenfegte, schossen ihr wilde Gedanken durch den Kopf.

Sie war es leid, wie eine Versagerin behandelt zu werden. Zamparoni war arrogant und aufbrausend zu dem Hilfspersonal.

Sicher würde er sie bald feuern, dabei hatte sie so sehr darauf gehofft, einen Ausbildungsvertrag zu Beginn der nächsten Saison zu erhalten. Daraus wurde jetzt wohl nichts mehr.

Nicolo Zamparoni war ein attraktiver, selbstbewusster, weltgewandter Mann Ende dreißig, der es geschafft hatte, trotz seines Berufs und seiner Leidenschaft fürs Essen seine sportliche Statur zu erhalten. Die einzige Extravaganz, die er sich leistete, war sein dunkler Vollbart, den er akribisch pflegte. Das Bankett am heutigen Abend war ein voller Erfolg gewesen. Als Vorspeise hatte es Cocktail di gamberetti, Krabbencocktail, Crostini di funghi, geröstete Brotscheiben mit Pilzen, sowie hausgebeizten Lachs, Salmone, an Rucola mit Meerrettichschaum gegeben.

Danach folgte eines der Reisgerichte Venetiens schlechthin: Risi e bisi, Erbsenreis in einer Fleischbouillon, verfeinert mit speziellen Kräutern, die Zamparoni in seinem Gemüsegarten selbst heranzog. Zugleich wurde mit Hummerragout gefüllte Pasta in einer leichten Zitronen-Sahnesoße serviert. Der Hauptgang bestand aus einem Filetto alla griglia, einem butterzarten, auf hoher Temperatur gegrillten Rinderfilet mit einer Auswahl an feinsten Gemüsen, außerdem Sogliola e Scampi al vino bianco, Seezunge und Scampi in herrlicher Weißweinsoße, dazu verschiedene Salate der Saison.

Der Patissier seinerseits hatte einige köstliche Desserts gezaubert, die dem Ganzen einen krönenden Abschluss bereiteten.

Bignets all‘ amaretto, Amaretto-Windbeutel, Gelato al cocco und Gelato al pistacchio, selbstgemachtes Kokos- und Pistazieneis mit warmen Schokoküchlein, sowie Tortine alla frutta, glasierte Früchtetorteletts.

Der Sternekoch lehnte sich erschöpft an die Edelstahlspüle. Sein eigener Anspruch an die Arbeit war perfektionistisch. Deshalb erwartete er von seiner Küchenbrigade die gleiche Haltung. Doch jetzt wollte er nur noch alleine sein. Sein Privatleben steuerte gerade auf eine Katastrophe zu, und seine Energie reichte so eben noch aus, um im Restaurant für einige Stunden sein Bestes zu geben. Er nickte Matteo Scalfa, seinem Souschef, zu, der mit einem Seufzen seine Schürze abnahm, um Feierabend zu machen, und entließ auch die Jungköche Marco und Giorgio in den wohlverdienten freien Abend.

»Manchmal könnte ich Zamparoni glatt den Hals umdrehen!«, flüsterte Marco seinem Kollegen Giorgio im Personalraum zu. »Hast du gesehen, wie er Roberta behandelt hat?«

Giorgio, ein schmaler Jüngling mit blonder Kurzhaarfrisur, verzog den Mund zu einer Grimasse. Er schaute den zwei Jahre jüngeren, dunkelhaarigen Marco grinsend an.

»Madonna, du bist verknallt in sie, stimmt‘ s?«

Marco wurde rot.

»Ach Quatsch, red keinen Unsinn. Ich finde nur, er behandelt sie ungerecht. Mir hat er nach meiner Zwischenprüfung auch eine Standpauke gehalten. Obwohl ich richtig gut abgeschnitten habe, aber eben nicht gut genug für ihn. Und letztens hat er meine Geflügelsoße einfach in den Ausguss gekippt, weil er schlecht gelaunt war und ihm nicht genug Salz dran war. Ich finde einfach, so geht man mit seinen Angestellten nicht um.«

Giorgio zuckte nur mit den Schultern. Er wollte keinen Ärger und hielt sich lieber aus allem raus.

Währenddessen leerte sich das Restaurant zusehends. Alle Servicekräfte waren gegangen. Die Küche war sauber und aufgeräumt, die restliche Arbeit würden die Hilfskräfte am nächsten Tag übernehmen. Morgen war Ruhetag.

Nicolo Zamparoni öffnete den Unterschrank der Spüle und holte aus der hinteren Ecke eine Flasche teuren Cognac, den er sich abends öfter einmal gönnte, wenn alle gegangen waren. Er nahm sich ein sauberes Glas, goss die goldbraune Flüssigkeit zur Hälfte ein und trank gierig einen tiefen Schluck.

Der Alkohol rann warm und leicht brennend seine Kehle hinunter. Erleichtert atmete der Chefkoch aus, entspannte sich zusehends und genoss den Geschmack des Cognacs und die Ruhe im Restaurant. Doch nur einen Moment später fühlte sich seine Zunge leicht taub an, auch sein Gesicht prickelte plötzlich. Nach dem zweiten Schluck begann Zamparoni zu schwitzen. Er stellte das Glas ab, aber ein Schwächegefühl im ganzen Körper und eine immer stärker werdende Gangunsicherheit ließen ihn auf den Boden sacken. Nach einigen Minuten bemerkte er, wie auch seine Atmung bedrohlich schwerer wurde. Er wollte um Hilfe rufen, aber sein Mund konnte nur noch unkontrollierte Laute formen. Panik stieg in ihm auf.

Zamparoni röchelte. Ich will noch nicht sterben. Irgendjemand muss mir helfen, dachte er verzweifelt. Warum nur kann ich mich nicht mehr bewegen? Er war bei vollem Bewusstsein, aber sein Körper, alle seine Nerven waren wie gelähmt.

Als schließlich Schritte erklangen, schöpfte er Hoffnung, doch als er dann sah, wer ihm gegenüberstand und sich hämisch grinsend über ihn beugte, wusste er, dass es keine Hoffnung mehr gab. Eines der Küchenmesser blitzte gefährlich im schwachen Schein der einzig noch leuchtenden Lampe in der Hand seines Mörders. Dann wurde es dunkel um ihn.

Kapitel 1

Der milde Septemberabend tauchte die Silhouette von Venedig in ein warmes Licht.

Im Inneren der Stadt hatte sich eine beträchtliche Anzahl von Touristen auf der Rialtobrücke versammelt, um den spektakulären Blick auf den Canal Grande zu genießen.

Unzählige Lichter spiegelten sich in dem blauen Wasser des größten Kanals der Lagunenstadt wider. Der Duft nach salzigem Meerwasser vermischte sich mit den Gerüchen der Restaurants und der Motorboote.

Warf man einen Blick nach rechts, sah man die Touristen unter roten Baldachinen an den Tischen der überteuerten Restaurants sitzen, sich unterhalten, ihre Spaghetti- oder Fischgerichte verspeisen und mit einem Glas Wein auf den schönen Abend anstoßen.

Auf der linken Seite spuckte ein soeben angekommenes Vaporetto eine Unmenge von Menschen aus und lud ebensoviele wieder in seinen Innenraum ein. Die meisten Touristen waren von den langen Spaziergängen durch die Stadt erschöpft und überwältigt von den vielen Sehenswürdigkeiten. Der leise Fahrtwind kühlte ihre überhitzten Gesichter, das Schaukeln des Schiffes ließ sie auf angenehme Art und Weise zur Ruhe kommen und entspannen.

Die Leute, die auf der Ponte di Rialto standen, beobachteten das Treiben der anderen Menschen, fotografierten sich gegenseitig, hielten das vor ihnen liegende Panorama mit Handys oder Kameras fest und waren für einen kurzen Moment der Überzeugung, noch nie an einem schöneren Ort gewesen zu sein. Die goldrote Abendsonne erhellte die Hausfassaden auf eine besonders anziehende Weise.

Die Rialtobrücke war nur eine von dreien, die den Canal Grande überspannten, aber bei Weitem die bekannteste und älteste. Jeder, der Venedig besuchte, kam wenigstens einmal hierher.

Eine ältere Frau, die genau in der Mitte der Brücke unter dem Torbogen stand, zupfte ihren Ehemann plötzlich ganz aufgeregt am Hemdsärmel. Sie deutete mit dem Zeigefinger auf etwas im Wasser, das nicht genau zu erkennen war. Der Schatten der Brücke verschluckte die Umrisse dessen, was sie gesehen zu haben glaubte. Der Ehemann sah sie achselzuckend an, folgte dann aber dem Blick seiner Frau und versuchte zu erkennen, was da im Kanal trieb.

Auch einige andere Touristen waren inzwischen aufmerksam geworden. Eine junge Frau schrie plötzlich laut auf und hielt sich entsetzt die Hand vor ihr Gesicht. Hektisches Durcheinander entstand, jeder wollte zum Geländer der Brücke, um zu sehen, was auf dem Canal Grande passiert war.

Jetzt wurde es auch dem Ehemann der älteren Dame klar: Dort unten schwamm eine Leiche! Sie trug weiße Kleidung, und da man im Gesicht einen Bart ausmachen konnte, handelte es sich wohl um einen Mann. Der Tourist wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Er nahm die Hand seiner Ehefrau und drückte sie sacht. Dann zog er sie sanft von dem Geländer der Brücke weg. Der Anblick des Menschen im Wasser war bizarr, unwirklich. Eben noch waren die Leute von der friedlichen, eindrucksvollen Atmosphäre des Abends gefangen gewesen, jetzt breitete sich Angst, Neugier und Schrecken aus.

Mehrere Passanten griffen zu ihrem Handy, um die Polizei herbeizurufen.

In der Zwischenzeit hatte eines der Motorboote auf dem Kanal das ungewöhnliche Treibgut ebenfalls bemerkt und war bis zu dem leblosen Mann vorgefahren.

Mit einer Stange versuchten die beiden Insassen, zwei kräftige einheimische Männer, die mutmaßliche Leiche zum Boot heranzuziehen und zu bergen. Immer wieder entwischte ihnen der grotesk verdrehte Körper. Für einige Sekunden herrschte

gespenstische Stille auf der Ponte di Rialto, alle hielten den Atem an. Als die Männer es schließlich geschafft hatten, den leblosen Körper in das Boot zu hieven, unter den Augen so vieler neugierigen Touristen, die nun erleichtert klatschten und jubelten, als hätten sie einem großartigen Wettbewerb beigewohnt, mussten Sergio Annato und sein Bruder Massimo feststellen, dass der Mann wirklich tot war. In seiner Brust steckte ein Messer. Da war nichts mehr zu machen. Die beiden Männer erkannten den Toten sofort. Es war Nicolo Zamparoni, der berühmte Sternekoch. Er arbeitete in einem der besten Hotels der Stadt, dem »Palazzo Callieri«.

Zum Glück näherten sich schon das Polizeiboot und ein Krankenboot, die sich umgehend der Leiche annahmen. Aber auch der Notarzt konnte nur noch den Tod des Mannes feststellen. Auf der Rialtobrücke und den beidseitigen Promenaden des Kanals bemühten sich uniformierte Polizisten, Ordnung zu schaffen und die Schaulustigen zum Gehen zu bewegen. Doch wie immer in solchen Fällen gab es eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Touristen, für die dieser Unglücksfall eine willkommene Abwechslung war. Ein echter Mord womöglich, wann bekam man das schon einmal zu sehen? Widerwillig verließen sie ihre hart erkämpften Plätze an vorderster Front und setzten mürrisch ihren Spaziergang oder den Weg zum Hotel fort.

Ungefähr zur gleichen Zeit saß Commissario Luca Brassoni mit einem Glas Wein in der Hand in dem Garten seines Wohnhauses im Stadtteil Dorsoduro. Das Haus bestand aus zwei Eigentumswohnungen. Von außen sah man offenes, helles Mauerwerk, sorgfältig verputzt, die dunkelgrünen Fensterläden waren halb geöffnet. Vor dem Eingang stand ein Tongefäß, in dem der letzte Lavendel langsam verblühte. Im Erdgeschoss – oder besser gesagt: im Hochparterre – lebte Signora Vasconti, eine pensionierte Richterin. Brassoni wohnte im ersten Stock. Darüber befand sich nur noch ein unausgebautes Dachgeschoss.

Sein Apartment war großzügig geschnitten, frisch renoviert, hatte drei Zimmer und ein modernes Bad, aber am liebsten saß er bei gutem Wetter im Garten, sah seinen geliebten Rosen beim Blühen zu, las den Sportteil der Zeitung oder ein spannendes Buch.

Seit ein paar Monaten hatte sich sein Beziehungsstatus verändert, er war jetzt ganz offiziell mit der aparten Gerichtsmedizinerin Carla Sorrenti zusammen. Lange Zeit hatte er nach einer unglücklichen Scheidung sein Leben als Single verbracht. Irgendwann entwickelte sich eine komplizierte Affäre mit der verheirateten Chefsekretärin des Vice Questore, Maria Grazia Malafante. Dann war Carla in sein Leben getreten, nach einigen Irrungen und Wirrungen hatten die beiden zueinandergefunden, und nun fühlte sich endlich alles gut an.

Brassoni warf einen verstohlenen Blick hinüber zu seiner Liebsten, die keinen Meter entfernt von ihm mit geschlossenen Augen im Liegestuhl lag, sich entspannte und die letzten milden Strahlen der Septembersonne genoss. Es war ungewöhnlich warm gewesen in den letzten Tagen. Er musterte die feinen Linien ihres Gesichts, die glänzenden blonden Haare, die wie seidene Fäden über die Rücklehne des Stuhls fielen und freute sich insgeheim wie ein kleiner Schuljunge, dass diese attraktive, gebildete Frau seine Freundin war.

Sie akzeptierte ihn mit all seinen Stärken und Schwächen; selbst dass ihm der kleine Finger seiner linken Hand fehlte, der ihm in der Metzgerei seines Onkels Paolo abhandengekommen war, betrachtete sie liebevoll als »besonderes Merkmal«.

Mit seinen zweiundvierzig Jahren war er endlich im Leben angekommen, freute sich wieder auf die Zukunft und spielte sogar ab und an heimlich mit dem Gedanken, wie es wohl wäre, zusammen mit Carla kleine Bambini in die Welt zu setzen.

Das Klingeln seines Handys riss ihn mitten aus seinen Gedanken.

Carla hob den Kopf und öffnete verschlafen die Augen.

»Scusi, cuore mio, das war mein Diensthandy«, entschuldigte er sich schuldbewusst bei ihr.

»Mein Herz« war sein Kosename für Carla, nur wenn er sie ärgern wollte, nannte er sie »topolina«, zu Deutsch »Mäuschen«, was sie regelmäßig auf die Palme brachte.

»Man nennt eine erwachsene Frau nicht Mäuschen. Das ist diskriminierend!«, beschwerte sie sich dann.

Jetzt hörte er sie als Antwort leise so etwas wie » Wer begeht denn an so einem herrlichen Tag ein Verbrechen?« vor sich hin murmeln.

Rasch drückte er auf die Annahmetaste des Telefons und seufzte missmutig. Seine gute Laune verfinsterte sich augenblicklich. Am anderen Ende der Leitung meldete sich Maurizio Goldini, sein Kollege.

Wenn er um diese Zeit anrief, hieß das, es gab etwas zu tun für die Polizei in Venedig.

»Buona sera, Luca. Es tut mir leid, dich um diese Zeit zu stören, aber wir haben einen neuen Fall. Ispettore Colludi hat heute Spätschicht, er rief mich vor fünf Minuten an. Offenbar hat man Nicolo Zamparoni aus dem Canal Grande gefischt. Colludi ist bereits am Fundort.«

Luca Brassoni hielt für einen Moment den Atem an. Nicolo Zamparoni war der zurzeit wohl berühmteste Koch in Venedig. Er hatte eine eigene Fernsehsendung und besaß ein edles Gourmetrestaurant im Hotel »Palazzo Callieri« auf Giudecca.

»Grazie, Maurizio. Das sind ja schlimme Neuigkeiten. Davon abgesehen hatte ich mich auf einen netten Abend mit Carla gefreut. Wo genau hat man Zamparonis Leiche gefunden?«

»Du kannst es nicht verfehlen, direkt unter der Ponte di Rialto. Wir treffen uns auf der Seite des Vaporetto-Anlegers!«

Commissario Brassoni lauschte konzentriert Goldinis Ausführungen und versprach anschließend, in gut zehn Minuten vor Ort zu sein. Dann informierte er Carla, die heute Abend dienstfrei hatte, trank wehmütig seinen Wein aus, verabschiedete sich mit einem Kuss von seiner Freundin und machte sich auf den Weg zur Rialtobrücke. Zum Glück hatte die Pathologin Verständnis für seinen Beruf, sie machte ihm nie Vorwürfe, wenn er plötzlich wegmusste. Schließlich war sie ebenfalls sehr eingespannt als Leiterin der Gerichtsmedizin.

Luca Brassoni nahm seine Arbeit sehr ernst. Wenn er sich in einen Fall verbissen hatte, ließ er erst wieder los, wenn alle Ungereimtheiten geklärt waren oder der Täter gefasst wurde.

Während er am Anleger Zattere auf das Polizeiboot wartete, das Maurizio ihm geschickt hatte, erinnerte er sich an seinen letzten großen Fall, die Ermordung eines deutschen Kunstprofessors nahe der Accademiabrücke. Zum Glück hatte man inzwischen auch Anklage gegen die letzten Mittäter, angesehene Mitglieder der feinen Gesellschaft, erhoben.

Der Commissario betrachtete die Einheimischen und Touristen, die auf der Uferpromenade entlang dem Giudeccakanal flanierten. Die Luft war erfüllt vom Stimmengewirr der Menschen.

Er liebte die Atmosphäre seines Stadtteils, in dem er selber gerne essen ging.

Brassoni besaß deutsche Vorfahren, eine seiner Großmütter stammte aus der schönen bayrischen Stadt Bad Tölz, wo er zahlreiche Sommerferien als kleiner Junge verbracht hatte. Durch diese Aufenthalte und ein späteres Auslandssemester in München während seines Studiums hatte er auf ganz natürliche Art und Weise ziemlich gut deutsch sprechen und bayrisch kochen gelernt. Seine Affinität zu deutschen Gerichten hatten einige seiner venezianischen Freunde eine Zeitlang als Affront gegen die italienische Küche gesehen, aber nachdem sie einige Male von seinem bayrischen Schweinebraten und dem warmen Kartoffelsalat kosten durften, konnten sie seine Leidenschaft nachvollziehen.

Wobei Brassoni natürlich die italienische und die venezianische Küche im Besonderen über alles liebte, er war ohnehin das, was man einen guten Esser nennt. Je älter er wurde, umso mehr achtete er jedoch darauf, sich auch gesund und mit guten Produkten zu ernähren.

Nicolo Zamparoni, den Starkoch, hatte er ein paarmal im Fernsehen gesehen. Brassoni hatte seine unprätentiöse, aber geniale Art, frische Zutaten zu köstlichen Gerichten zu veredeln, gefallen. Zusammen mit Carla hatte er schon öfter überlegt, einen Tisch in seinem Sternerestaurant auf Giudecca zu reservieren, aber Carla hatte jedes Mal Skrupel bekommen, so viel Geld für ein Abendessen auszugeben. Brassoni konnte sich nicht vorstellen, warum man so einen talentierten und sympathischen Menschen ermorden sollte.

Das Polizeiboot, das ein junger Bootsführer, den Brassoni noch nicht lange kannte, durch die Kanäle zur Ponte di Rialto fuhr, war in wenigen Minuten am Fundort der Leiche. Ob es auch der Tatort war, konnte man schließlich noch nicht sagen, dachte der Commissario bei sich.

Der Bootsführer hielt am Rialto-Anleger. Brassoni stieg aus, ließ seinen Blick umherschweifen und erblickte Maurizio Goldini neben der abgedeckten Leiche. Trotz der Absperrungen gafften rundherum noch immer zahlreiche Schaulustige auf das schauerliche Spektakel. Schnellen Schrittes erreichte der Commissario seinen Kollegen und grüßte ihn mit einem knappen »Ciao, Mauro!«. Dann hob er das weiße Tuch so weit hoch, dass er sich den Toten ansehen konnte. Was für ein Anblick am Ende eines so schönen Tages!

Kapitel 2

Luca Brassoni hielt in der Bewegung inne und musterte den leblosen Chefkoch mit wachen Augen. Die Leiche konnte noch nicht allzu lange im Wasser gelegen haben. Die Haut Zamparonis war blass und aufgeweicht, aber noch lange nicht so aufgedunsen wie die eines Toten, der tage-oder wochenlang im Kanal gelegen hatte. In der Brust des Sternekochs steckte ein Küchenmesser aus Edelstahl mit einer schwarzen Klinge. Unzweifelhaft die Mordwaffe, folgerte der Commissario.

Er beugte sich vor, um die Kleidung des Toten näher anzusehen. Das Wasser hatte das strahlende Weiß der Arbeitskleidung in ein schmutziges Grau verwandelt. Trotzdem konnte man davon ausgehen, dass Zamparoni in seinen letzten Stunden in der Küche gestanden hatte, bevor er auf seinen Mörder traf. Brassoni warf einen letzten Blick auf das Gesicht des Toten, das im Todeskampf einen Ausdruck des Grauens angenommen hatte. Ein wenig aufgewühlt ließ der Commissario das Leichentuch wieder sinken. Auch wenn er den Starkoch nicht persönlich gekannt hatte, so schien er ihm doch vertraut durch seine Fernsehauftritte. Was musste dieser Mann verbrochen haben, dass man ihn auf diese Weise ums Leben brachte?

Brassoni strich sich bedächtig über seine rasierte Kopfhaut. Sie würden als Erstes zum Restaurant fahren müssen. Womöglich war dort der Tatort zu finden. Oder Zamparoni hatte zu Hause in voller Arbeitsmontur gekocht. Was jedoch eher unwahrscheinlich war.

»Luca, du solltest noch kurz mit dem Notarzt sprechen. Er konnte zwar nichts mehr für den armen Kerl tun, aber er hat ein paar interessante Vermutungen.«

Maurizio Goldini, Brassonis gutaussehender Kollege, wies auf einen wohlbeleibten, etwa sechzigjährigen Mann mit vollem grauem Haar und einem gutmütigen, runden Gesicht, der am Ambulanzboot wartete.

»Buona sera, Commissario!«, grüßte dieser freundlich lächelnd und streckte seine Hand aus, als der Commissario auf ihn zukam.

»Buona sera, Dottore!«, gab Brassoni zurück und erwiderte die Geste des Arztes.

Der Commissario kannte den Arzt schon seit einigen Jahren, seit er selber wegen einer Nierenkolik für ein paar Tage ins Krankenhaus gekommen war und Dottor Maciano, ein angesehener Internist, ihn dort behandelt hatte. Ein einfühlsamer, gewissenhafter Arzt mit hervorragenden Kenntnissen. Brassoni würde sich jederzeit wieder in seine Hände begeben, wenn es notwendig wäre. Den Notfalldienst übernahm Maciano schon seit Jahren neben seiner regulären Tätigkeit.

»Wie geht es Ihnen? Was machen die Nierensteine?«, fragte der Arzt als Erstes höflich.

»Danke, mir geht es bestens, es ist nie wieder etwas gewesen. Zum Glück. Commissario Goldini meinte, Sie hätten mir etwas zu dem Toten zu sagen?«

Souverän trug der Arzt zunächst die offensichtlichen Ergebnisse seiner Untersuchungen vor.

»Wie auch jeder Laie erkennen kann, hat man dem Mann ein Messer ins Herz gestoßen. Aber mir sind seine blauen Lippen und einige Hautveränderungen aufgefallen, die auf einen Sauerstoffmangel hinweisen. Bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung wird man noch genauer auf die Einzelheiten eingehen und eine Diagnose zur Todesursache stellen, aber ich könnte mir vorstellen, dass irgendetwas einen Herz-und Atemstillstand bei dem Verblichenen ausgelöst hat. Eine Vergiftung möglicherweise. Das würde auch erklären, warum trotz der Stichwunde relativ wenig Blut ausgetreten ist. Höchstwahrscheinlich war der Mann schon tot, als er erstochen wurde.«

Brassoni riss die Augen auf.

»Man hat ihn qualvoll ersticken lassen und dann mit dem Messer nachgeholfen? Madonna!«

»Ja, ich denke, die Tat weist auf einen sehr emotionalen Racheakt hin. Eine Vergiftung muss von langer Hand geplant werden, Sie sollten also im näheren Umkreis des Ermordeten nach dem Täter suchen. Das war sicher kein spontaner Akt. Aber warten Sie die Obduktionsergebnisse ab, besonders die toxikologischen Untersuchungen, dann sind Sie auf der sicheren Seite. Wir bringen Zamparoni jetzt in die Gerichtsmedizin. Ich denke, dass die Kollegen nicht vor morgen Mittag die ersten Ergebnisse haben!«

Dottor Maciano verabschiedete sich mit leicht erhobener Hand und stieg in das Ambulanzboot, in dem die Sanitäter in der Zwischenzeit auch die Leiche untergebracht hatten. Die Spurensicherung war fertig mit ihrer Arbeit, und da der Tatort noch nicht bekannt war, wurde Zamparoni eiligst weggebracht, um die neugierig gaffenden Touristen zu zerstreuen.

Inzwischen war es beinahe dunkel geworden. Die Luft hatte immer noch eine angenehme Temperatur. Alle Laternen waren hell erleuchtet, auf der Terrasse des Hotels »Rialto« flackerten Kerzen auf den leeren Tischen. Brassoni ließ den Blick schweifen und sah ein Brautpaar auf dem Balkon des Zimmers in der ersten Etage. Die Braut trug ein wunderschönes weißes Kleid, verziert mit unzähligen Perlen und sündhaft teurer weißer Spitze. Der Bräutigam, in einem glänzenden grau-silbernen Anzug, hatte seine Frau in den Arm genommen und redete behutsam auf sie ein. Kein schöner Auftakt für eine junge Ehe, dachte der Commissario, ein Toter direkt vor dem Flitterwochenhotel.

Dann wandte er sich wieder seinen Kollegen zu, die sich noch am Ufer des Canal Grande aufhielten und nach Zeugen und Details für den Tathergang suchten. Ein Polizeiboot fuhr die Wasserstraße entlang, aufmerksam nach Booten Ausschau haltend, aus denen Zamparoni in das Wasser geworfen worden sein könnte. Später würden noch die Aufzeichnungen der Kameras gesichtet, die die wichtigsten Stellen des Canal Grande aus Sicht der Wasserschutzpolizei beobachteten. Wenn Sie Glück hatten, hatte eine Kamera das Boot aufgenommen, mit dem der Tote transportiert worden war. Denn nach den ersten Ergebnissen war klar, dass Zamparoni erst in der Nähe der Rialtobrücke in den Kanal geworfen worden war. Seine Kleidung hatte sich aufgebläht und ihn an der Wasseroberfläche gehalten.

Maurizio Goldini stand mit verschränkten Armen seitlich des Fundorts und wartete auf seinen Kollegen. Beide hatten den Rang eines Commissario, wobei Luca Brassoni der Titel »Commissario Capo« – Polizeihauptkommissar zustand und der knapp zehn Jahre jüngere Goldini im Rang eines »Commissario Ruolo ordinario«stand. Maurizio Goldini war mit seinen dichten schwarzen Locken, den dunklen Augen und dem markanten, aber feingeschnittenen Gesicht der Schwarm aller Frauen, während der zweiundvierzigjährige Brassoni durch seine Lebenserfahrung und sein maskulines Auftreten bestach. Er hatte sich der Einfachheit halber eine Glatze rasiert, was seine kräftige, muskulöse Gestalt unterstrich. Die beiden waren seit einigen Jahren ein gutes Team und konnten sich aufeinander verlassen.

»Maurizio, was wissen wir über das Mordopfer?«, fragte Brassoni seinen Kollegen.

Goldini räusperte sich.

»Abgesehen von dem, was aus der Presse bekannt ist? Nicolo Zamparoni war unverheiratet, aber seit drei Jahren liiert mit der englischen Schauspielerin Lavinia Miller. Sie erwartet übrigens ein Kind.«

»Merde«, brummte Brassoni verstimmt.

Einer schwangeren Frau den gewaltsamen Tod ihres Lebensgefährten beibringen zu müssen… Eine kurze Pause entstand, in der Goldini sich seinen Notizblock noch einmal ansah.

»Ich habe mit dem ›Palazzo Callieri‹ telefoniert. Zamparoni hat am frühen Abend ein zweistündiges Bankett arrangiert, und danach hat das Restaurant dann geschlossen. Deshalb sind die Küchenmitarbeiter und die Servicekräfte auch schon gegangen. Es wird also schwierig mit den Befragungen am heutigen Abend.«

Er schwieg kurz und wartete auf die Reaktion seines Chefs, der jedoch in Gedanken verloren schien.

»Na schön, ich habe zumindest darum gebeten, das Restaurant verschlossen zu halten, bis wir vor Ort sind. Die Spurensicherung ist auch schon unterwegs, da die Vermutung ja naheliegt, dass das Restaurant auch der Tatort war.«

»Wo genau wohnte Zamparoni hier in Venedig?«

»Nach Aussage des Hoteldirektors lebte er in einer Villa auf dem Lido. Ich habe hier die Adresse.«

Goldini zeigte mit dem Kugelschreiber auf eine Adresse nahe der Via Sandro Gallo.

»Ich denke aber trotzdem, wir sollten zuerst zu Zamparonis Lokal fahren. Wenn es verwertbare Spuren gibt, müssen wir schnell sein, bevor sie jemand verschwinden lässt.«

Brassoni tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Oberlippe.

»D’accordo, va bene! Einverstanden, in Ordnung, ich bin ganz deiner Meinung! Der Hoteldirektor kann uns die Namen aller wichtigen Mitarbeiter Zamparonis geben, damit wir sie befragen können. Bisher haben wir ja überhaupt keine Anhaltspunkte auf ein mögliches Motiv. Wir stehen ganz am Anfang unserer Ermittlungen.«

Goldini nickte wortlos, steckte sein Notizbuch weg und zog einen Kaugummi aus seiner Hosentasche.

»Oh, bist du kein Schokoladenliebhaber mehr? Machst du eine Diät?«, neckte Brassoni seinen Kollegen, als sie in das bereitstehende Polizeibot stiegen.

»So ein Quatsch, ich habe in der Eile einfach vergessen, mir etwas einzustecken«, antwortete Goldini mit einem Grinsen. Er hatte einen Hang zu Schokolade, bevorzugt Zartbitter, und es machte ihm gar nichts aus, wenn sich jemand darüber lustig machte. Schließlich hatte jeder Mensch so seine Schwächen, und es gab Schlimmeres, als sich ein Stück Schokolade in den Mund zu stecken. Besonders weil er behauptete, sein Blutzuckerspiegel sei ständig so niedrig und die kakaohaltige Süßigkeit helfe ihm, sich besser zu konzentrieren.

Es dauerte keine fünf Minuten, bis das Polizeiboot den Canale della Giudecca überquert hatteund am Anleger vor dem Luxushotel hielt. Der Name Giudecca stammt vermutlich aus dem Mittelalter, als die aus der Stadt verbannten Juden, die giudei, hier lebten. Heute beherbergte die Insel unter anderem dieses luxuriöse Fünfsternehotel.

Die beiden Kommissare stiegen aus. Luca Brassoni sah kurz an sich herunter und fürchtete einen Moment, er sei für die prachtvolle Herberge nicht passend gekleidet, schüttelte aber sogleich über diesen irrationalen Gedanken den Kopf. Er war ja kein Gast sondern ermittelte in einem Mordfall. Er trug eine graue Baumwollhose und ein kurzärmeliges weißes Hemd, das war angemessen genug.

Goldini ließ ebenfalls staunend seinen Blick über die Hotelanlage schweifen, die eine angenehm zurückhaltende Eleganz ausstrahlte.

In dem hoteleigenen kleinen Hafen gab es sogar Liegeplätze für Jachten und Boote.

»Warst du schon mal hier?«

Brassoni schüttelte den Kopf.

»Nein, ich wollte immer mal mit Carla im Restaurant essen gehen, aber wir haben es bisher noch nicht geschafft…«

»Ich auch nicht. Lass uns reingehen, ich bin gespannt, und ich glaube, der Hoteldirektor erwartet uns schon!«

Auf der letzten Stufe vor der Eingangstür ging ein großgewachsener, gepflegter Mann in einem dunkelbraunen Anzug nervös auf und ab.

Er rieb sich die Hände, ab und zu knetete er seine Finger.

»Signor da Silva?«, fragte Brassoni in einem freundlich neutralen Tonfall.

Der große Mann drehte sich erschrocken zu den beiden Polizisten um.

»Si, si, ich bin Vittorio da Silva, der Hoteldirektor. Entschuldigen Sie bitte, Nicolos Tod hat mich wirklich mitgenommen. Sie sind die beiden Kommissare, die den Fall untersuchen?«

Brassoni stellte sich und seinen Kollegen kurz vor.

Da Silva schien tatsächlich aufgewühlt. Sein glattes Gesicht mit den markant ausgeprägten Augenbrauen war aschfahl, etwas Schweiß stand ihm auf der Stirn, den er immer wieder mit einem Stofftaschentuch, das er mit seinen sorgsam manikürten Händen aus der Hosentasche gezogen hatte, abwischte.

»Wann haben Sie Signor Zamparoni das letzte Mal gesehen?«, wollte Brassoni wissen.

»Kommen Sie doch bitte mit rein, wir gehen direkt ins Restaurant, ich möchte nicht, dass die anderen Hotelgäste unnötig gestört werden. Dieser Vorfall ist ohnehin eine Katastrophe für uns. Ich hoffe nicht, dass Nicolo wirklich hier in der Anlage ermordet worden ist.«

Brassoni bemerkte, wie die Hände des Hoteldirektors zitterten, als er die Glastür zum Sternerestaurant öffnete.

Während da Silva vorausging, flüsterte Goldini seinem Chef kurz ins Ohr: »Hast du gesehen, die Hotelanlage ist so weitläufig, dass man ohne Weiteres eine Leiche bis zu einem der Boote transportieren könnte. In einem Müllsack oder einer großen Decke zum Beispiel.«

»Das müsste doch jemand beobachtet haben«, flüsterte Brassoni zurück.

»Aber nicht, wenn gerade alle Restaurantgäste und Angestellten gegangen sind und die meisten anderen Hotelgäste noch durch Venedig flanieren!«, ereiferte sich Goldini.

Da Silva bat die Kommissare, an einem der Tische direkt vor den Panoramafenstern Platz zu nehmen. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick aufs Meer. So wie man überall von den Hotelzimmern oder der Terrasse aus einen Panoramablick auf die Lagune von Venedig oder einen fantastischen Ausblick auf den Markusplatz genießen konnte, falls man in der Lage war, die Übernachtungspreise zu zahlen.

Goldini erspähte auf dem Tisch eine Schale mit raffiniert angerichteten dunklen Trüffeln.

»Greifen Sie nur zu, hausgemachte Nougat- und Mandeltrüffel von unserem preisgekrönten Patissier!«, ermunterte ihn da Silva, der Goldinis sehnsüchtigen Blick bemerkt hatte. Während der Kommissar in den Genüssen edler Schokolade schwelgte und Brassoni ihn amüsiert beobachtete, blickte der Hoteldirektor abwesend aus dem Fenster in die Dunkelheit, dann straffte er die Schultern und formulierte bedächtig einen Satz.

»Um auf Ihre Frage zurückzukommen, ich habe unseren verehrten Sternekoch das letzte Mal bei dem Bankett am frühen Abend gesehen. Danach hatte ich eine Besprechung drüben in unserer Dependance. Meine Sekretärin kann das bezeugen.«

Er verstummte kurz, um dann mit gepresster Stimme fortzufahren.

»Ich wünschte, ich hätte noch einmal nach ihm geschaut, normalerweise reden wir noch über das Resümee des Abends, ob das Essen ein Erfolg war oder nicht, aber diesmal…«

Er brach wieder ab. Den Serviettenschwan auf dem Tisch hatte er, während er redete, zu einem flachen, neutralen Gebilde zerlegt.

»Nun machen Sie sich mal keine Vorwürfe, es ist ja noch nicht geklärt, wo genau Signor Zamparoni wirklich ums Leben gekommen ist. Hatte er Feinde hier im Restaurant oder ganz allgemein in Venedig? So ein Erfolg zieht manche Neider mit sich.«

Der Hoteldirektor schüttelte den Kopf.

»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Er war in seinem Job ehrgeizig und penibel, und er erwartete auch von seinen Untergebenen Höchstleistungen, aber privat war er ein sehr sympathischer Mensch. Wir haben uns sehr gut verstanden. Er war so kreativ und voller Ideen.«

Dann schien er sich an etwas zu erinnern. Er zog ein gefaltetes Blatt Papier aus seinem Sakko und überreichte es Goldini.

»Sie hatten eine Liste mit den Namen und Adressen der Mitarbeiter gewünscht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer davon…«

Wieder brach er ab und sah die Kommissare zögerlich an.

»Wie genau wurde Nicolo denn ermordet? Ihre Kollegen wollten es mir nicht sagen.«

Brassoni und Goldini wechselten einen kurzen Blick.

»Der Leichnam wurde noch nicht obduziert, aber man hat ihm auf jeden Fall ein Messer ins Herz gestoßen. Mehr kann ich Ihnen erstmal nicht erzählen«, erklärte Brassoni mit ruhiger Stimme.

Da Silva sackte in sich zusammen und fasste sich instinktiv ebenfalls ans Herz.

»Per carita! Um Gottes Willen, ich bitte Sie, wer macht denn so was!«

Brassoni klopfte ihm beruhigend auf den Hemdsärmel.

»Wir werden herausfinden, wer das getan hat, seien Sie versichert. Das war’s dann auch fürs Erste. Ruhen Sie sich einen Moment aus, trinken Sie einen Schluck. Wir sprechen uns morgen noch einmal. Halten Sie sich auf jeden Fall zu unserer Verfügung. Wo genau geht es zur Küche?«

Matt hob der Direktor den Arm und wies auf einen Gang hinter der Garderobe.

»Dort entlang und dann geradeaus. Ihre Kollegen von der Spurensicherung sind schon seit einer halben Stunde da.«

Kapitel 3

Roberta Clemente schlich durch die enge Gasse und zog ihren Schal ein Stück weiter über ihre Schultern. Es war windiger geworden, eine kühle Brise strich ihr durch das verweinte Gesicht. Sie bog von der Calle Spadaria in die Calle Larga San Marco ab und erreichte nach wenigen Metern den Markusplatz. Um diese Uhrzeit hielten sich nur noch vereinzelt Touristen auf der Piazza auf. Ihr Ziel war die Basilica Di San Marco, die an die tausend Jahre alte prachtvolle Kirche mit den fünf Kuppeln und den wunderschön verzierten Bögen und Fenstern. Auch wenn sie in Venedig geboren war, hatten die historischen Bauwerke für sie bis heute nichts von ihrem Reiz verloren. Sie war stolz auf ihre Heimatstadt und konnte sich nicht vorstellen, woanders zu leben. Ihr Job als Küchenhilfe im »Al Gambero« war ein Glückstreffer gewesen, die Aussicht auf eine Lehrstelle hatte sie beflügelt und motiviert, ihrem Ziel, selber eines Tages eine berühmte Köchin zu werden, war sie damit näher gekommen. Und nun war alles dahin, wegen einer zerbrochenen Glasplatte, die sie auch noch ersetzen sollte. Woher sollte sie das

Geld nehmen? Ihr kärgliches Gehalt reichte ja gerade mal zum Leben. Roberta wohnte zusammen mit ihrer Mutter in einer kleinen Mietwohnung im Stadtteil Cannaregio. Seit ihr Vater vor vier Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war, unterstützte sie die Mutter, die wegen einer Erkrankung selber nicht arbeiten konnte. Deswegen hatte Roberta auch auf ein Studium verzichtet und sich gleich nach der Schule als Hilfsarbeiterin in Geschäften und Restaurants verdingt, bis sie im »Al Gambero«gelandet war. Eine kräftige Hand auf ihrer Schulter erschreckte sie plötzlich zu Tode, wie sie da in Gedanken verloren vor der Basilika stand. Im ersten Impuls hob sie abwehrbereit ihre Hände, erkannte aber, als sie sich umdrehte, sogleich Marcos beruhigende Stimme.

»Hey, Roberta, ich bin es doch nur, Marco. Ich wollte dich nicht erschrecken, tut mir leid!«

Erleichtert atmete sie aus, als sie in seine sanften Augen blickte. Er trug ein blaues Sweatshirt und eine Jeans im Used-Look, sah dadurch ganz anders aus als im Restaurant. Viel besser, fand sie.

»Marco, da bist du ja, warum wolltest du dich hier mit mir treffen?«

Roberta mochte Marco von Anfang an, er behandelte sie auf der Arbeit immer mit Respekt, und sie hatte sich schon oft in der Pause mit ihm unterhalten. Marco war klug und nicht nur am Kochen interessiert. Er mochte die gleiche Musik wie sie, kannte sich in Politik und Kunst aus und hörte ihr zu, wenn sie schüchtern von ihren Träumen erzählte.

»Roberta, hast du es denn noch nicht gehört? Nicolo Zamparoni ist tot. Man hat ihn ermordet aus dem Kanal gefischt, oben an der Rialtobrücke. Ein Freund von mir war gerade dort unterwegs, als man ihn fand. Er hat es mir am Telefon erzählt.«

Roberta musterte Marcos versteinertes Gesicht, während er sprach. Zuerst hielt sie seine Worte für einen Scherz, doch nach und nach bekam sie eine Gänsehaut und begann zu zittern.

»Das ist nicht wahr, oder? Ich meine, er war nicht immer eine netter Mensch, aber dass ihn jemand ermordet, das kann ich mir nicht vorstellen.«

Der junge Kochlehrling zuckte mit den Schultern.

»Einen Grund wird es schon gegeben haben.«

Jetzt begann sie zu weinen, erst leise und ruhig, dann laut schluchzend mit bebenden Schultern.

Marco nahm sie schützend in den Arm.

»Komm, wir gehen ein paar Schritte. Ich kenne eine kleine Trattoria, da können wir uns hinsetzen und etwas trinken.«

Widerstandslos ließ Roberta sich zu dem kleinen Lokal führen, in dem sich außer ihr und Marco noch drei weitere Einheimische aufhielten.

»Buona sera, ragazzi!«, grüßte der Wirt grinsend, der den jungen Koch schon öfter in seinem Lokal gesehen hatte. Allerdings noch nie mit einem jungen Mädchen.

»Wir haben nicht mehr allzu lange auf, also beeilt euch ein bisschen mit eurem Rendezvous«, neckte er die beiden.

Marco verdrehte genervt die Augen und orderte beim Wirt zwei Gläser Wasser und eine kleine Karaffe Hauswein.

»Du magst doch einen Wein, oder möchtest du lieber eine Cola?«, fragte er vorsichtig.

»Nein, nein, ist schon gut, ich trinke gerne ein Glas Wein«, antwortete Roberta mit einem zaghaften Lächeln und wischte sich mit dem Ärmel ihrer Jacke die Tränen aus dem Gesicht.

»War es das, was du mir so dringend sagen wolltest?«, fragte sie Marco neugierig und sah ihn dabei direkt an.

Marco drehte sein Glas, das der Wirt soeben auf den Tisch gestellt hatte, nervös in den Händen.

»Ja, ich dachte, du solltest es sofort erfahren, weil du doch heute Abend noch so einen Stress mit Zamparoni hattest.«

Er verstummte kurz und sah sie zögerlich an. Ihr schmales Gesicht mit den großen haselnussbraunen Augen, den zart geschwungenen, vollen Lippen und der kleinen Stupsnase; sie wusste gar nicht, wie hübsch sie war, dachte er bei sich. Sie zog sich immer so unscheinbar an und schminkte sich nie. Plötzlich hatte er Angst, dass sie seine Gedanken lesen könnte, räusperte sich und fuhr fort mit dem, was er vorhin sagen wollte.

»Außerdem habe ich gesehen, wie du noch mal ins Restaurant zurückgekehrt bist, als wir alle nach Hause gingen. Ich wollte dir das nur sagen, damit du weißt, dass ich dein Freund bin. Ich meine, falls du…«

Roberta unterbrach ihn mit einer harschen Handbewegung. Ihre Stimme war ganz hoch und schrill, als sie ihn anfuhr.

»Du glaubst doch wohl nicht, dass ich…? Du willst mein Freund sein? Ich dachte ich kann dir vertrauen. Was willst du von mir? Mich erpressen? Ich bin keine Mörderin, wie kannst du nur eine Sekunde so etwas von mir denken!«

Erbost stand sie auf und kippte dabei die Karaffe mit dem Rotwein um, der sich in blutroter Farbe auf die karierte Tischdecke ergoss.