Verkörperte Gefühle - Raja Selvam - E-Book

Verkörperte Gefühle E-Book

Raja Selvam

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Beschreibung

Durch bessere Gefühlsregulation das Wohlbefinden steigern

In diesem Buch stellt der klinische Psychologe Raja Selvam die Grundlagen der von ihm entwickelten Praxis der Integralen Somatischen Psychologie (ISP) vor.

Diese Methode eröffnet einen neuen Zugang zu Emotionen und ihrem Erleben. Das Buch erklärt auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse den Zusammenhang zwischen emotionalen Problemen und ihrer Verkörperung und zeigt, wie man durch Wahrnehmung, Atmung, Bewegung, Berührung und gezielte Intention gut in Kontakt kommt mit seinen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen: Dieser praktische Ansatz hilft, leichter Zugang zu den unterschiedlichsten Emotionen zu bekommen und unangenehme Gefühle zuzulassen und sie besser regulieren zu können.

Gut anwendbar, leicht verständlich und praxisnah ist dies das Grundlagen- und Praxisbuch für alle körperbasiert therapeutisch Praktizierenden und alle, die durch eine bessere Gefühlsregulation ihr Wohlbefinden steigern wollen.

10 Gründe, dieses Buch zu lesen

Sie erfahren …

1. wie Sie mit einer breiteren Palette von Emotionen arbeiten können

2. wie Sie körperliche Abwehrmechanismen auflösen und ihre Emotionen verkörpern

3. wie Sie Toleranz gegenüber allen Gefühlen entwickeln – vor allem für unangenehme

4. wie Sie durch die Verkörperung von Emotionen bessere kognitive und verhaltensmäßige Ergebnisse erzielen

5. wie Sie von einer größeren Bandbreite an emotionalen Erfahrungen profitieren können

6. wie Sie Ihre verkörperte emotionale Einstimmung verbessern

7. wie Sie die Heilung von Bindungswunden unterstützen

8. wie Sie eine Traumaheilung optimieren

9. wie Sie eine mögliche therapeutische Behandlungsdauer verkürzen

10. wie Sie Ihre Achtsamkeit und spirituelle Praktiken optimieren

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EPUB

Seitenzahl: 668

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Das Buch

In diesem Buch stellt der klinische Psychologe Raja Selvam die Grundlagen der von ihm entwickelten Praxis der Integralen Somatischen Psychologie (ISP) vor.

Diese Methode eröffnet einen neuen Zugang zu Emotionen und ihrem Erleben. Das Buch erklärt auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse den Zusammenhang zwischen emotionalen Problemen und ihrer Verkörperung und zeigt, wie man durch Wahrnehmung, Atmung, Bewegung, Berührung und gezielte Intention gut in Kontakt kommt mit seinen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen: Dieser praktische Ansatz hilft, leichter Zugang zu den unterschiedlichsten Emotionen zu bekommen und unangenehme Gefühle zuzulassen und sie besser regulieren zu können.

Gut anwendbar, leicht verständlich und praxisnah ist dies das bahnbrechende Grundlagenbuch für alle körperbasiert therapeutisch Tätigen und alle, die durch eine bessere Gefühlsregulation ihr Wohlbefinden steigern wollen.

Der Autor

Raja Selvam, PhD, ist klinischer Psychologe mit jahrzehntelanger Praxiserfahrung und Senior Trainer für Somatic Experiencing®. Auf dieser Basis begründete er die Integral Somatic Psychology™, die außerdem auf diversen Systemen der Psychotherapie und der körperbasierten Therapie aufbaut. Er hat in Deutschland studiert und bietet regelmäßig Seminare, Fortbildungen, Supervisionen und Veranstaltungen in Deutschland und Österreich sowie online an. Raja Selvam lebt in Kalifornien, Indien und nahe Köln.

www.integralsomaticpsychology.com

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Practice of Embodying Emotions. A Guide for Improving Cognitive, Emotional, and Behavioral Outcomes« bei North Atlantic Books, Huichin, unceded Ohlone land aka Berkeley, California, USA.

Copyright © 2022 by Raja Selvam

Copyright der deutschen Ausgabe © 2023 Kösel-Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: Dr. Diane Zilliges, Langenburg

Registerbearbeitung: Sylvia Jakuscheit

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-30186-6V001

Inhalt

Einleitung

Teil I: Überblick

1 Wie alles begann

2 Variationen der emotionalen Verkörperungsarbeit

3 Der Beitrag der Verkörperung von Emotionen zur Aufarbeitung individueller, kollektiver und intergenerationaler Traumen

4 Vorteile der Verkörperung von Emotionen in unterschiedlichen klinischen Umfeldern

Teil II: Theorie

5 Die physiologische Seite von Emotionen

6 Kognition, Emotion und Verhalten

7 An der Entstehung und Abwehr emotionaler Erfahrungen beteiligte physiologische Dynamiken

8 Verkörperung von Emotionen und Affekttoleranz

9 Verschiedene Arten von Emotionen

Teil III: PraxisDie vier Schritte bei der Verkörperung von Emotionen

10 Die Situation

11 Die Emotion

12 Die Expansion

13 Die Integration

14 Interpersonelle Resonanz

Schlusswort: Die Zukunft

Anhang

Zwei Auflistungen von Emotionen

Danksagungen

Anmerkungen

Stichwortverzeichnis

Der Autor

Einleitung

Worum es in diesem Buch geht

In diesem Buch geht es um Gefühle. Um Emotionen. Außerdem handelt es vom Körper und seiner Beziehung zu Emotionen. Konkreter geht es darum, wie wir die Fähigkeit ausbauen können, uns unseren Emotionen auszusetzen. Sein Ziel ist, wissenschaftlich zu belegen, dass wir eine größere Kapazität dafür entwickeln können, Emotionen – vor allem unangenehme – gezielt auszuhalten, indem wir sie über möglichst große Bereiche des Körpers verteilt erleben. Und wie dies bei jeder Form von Therapie nicht nur den emotionalen Therapieerfolg verbessern kann, sondern auch den auf der physischen, energetischen, kognitiven, Verhaltens-, Beziehungs- und sogar der spirituellen Ebene.

Ziel dieses Buches ist außerdem, konkrete Schritte und Tools dafür anzubieten, »Emotionen zu verkörpern« beziehungsweise sie erträglicher zu machen, indem sie möglichst breit im Körper verteilt erfahren werden, was auf vielen Ebenen Verbesserungen nach sich zieht. Das Buch wendet sich an therapeutisch Tätige unterschiedlichsten Hintergrunds, die auf der Suche nach Möglichkeiten sind, ihre Erfolgsbilanz bei den von ihnen praktizierten Therapieansätzen zu steigern. Ebenso ist es für Menschen bestimmt, die auf der Suche nach Möglichkeiten der Selbsthilfe sind, um in ihrem Alltag turbulente Emotionen besser bewältigen zu können.

Menschen suchen immer dann Hilfe, wenn sie sich schlecht genug im Hinblick auf etwas fühlen, das sie allein nicht bewältigen können. Im Zentrum fast jeden Problems, mit dem sich Klient*innen in Therapie begeben, steht etwas, das ihnen emotional Schwierigkeiten bereitet. Es gibt viele wirksame Wege, derartige emotionale Probleme zu beheben: etwas im Hinblick darauf zu ändern, wie wir über eine Situation denken (Kognition); etwas an unserem Umgang mit ihr zu ändern, indem wir ausdrücken, wie wir sie erleben oder in Bezug auf sie anders handeln (Verhalten); durch Einnahme von Medikamenten auf die physiologischen Voraussetzungen im Gehirn und im Körper einzuwirken oder auf zahlreichen weiteren Wegen, wie etwa über Bewegung, Ernährung, Meditation, ätherische Öle, Körperarbeit und sogar mit Elektroschocks. Oder wir können bei der emotionalen Erfahrung, in welcher Form auch immer sie in Erscheinung tritt, so lange verweilen, bis sie eine Transformation durchläuft – auf vielen spirituellen Wegen eine gängige Praxis.

Menschen kommen zu uns in Therapie, weil ihr Leidensdruck sie dazu treibt, Hilfe zu suchen. Warum dieses Leiden nicht mit einer der eben erwähnten Methoden lindern oder es einfach von ihnen nehmen? Wozu sie sogar noch tiefer hineinführen, um ihre Möglichkeiten auszubauen, sich diesem Leiden auszusetzen, indem sie die emotionale Leidenserfahrung möglichst großräumig in ihrem Körper verteilen? Die Antwort liegt in den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaft. Sie machen deutlich, dass unsere drei wichtigsten psychologischen Funktionen – Kognition, Emotion und Verhalten – allesamt nicht nur vom Gehirn, sondern auch von unserem Körper und seiner Verbindung zur Umgebung abhängen. Und dass es unsere kognitiven Fähigkeiten wie auch unser Verhalten im Hinblick auf eine Situation beeinträchtigt, die mit einer bestimmten Emotion zusammenhängt, wenn wir die Beteiligung des Körpers an Emotionen hemmen. Diese Erkenntnisse, zusammen mit der zentralen These dieses Buches – dass weitere Teile des Körpers in die emotionale Erfahrung einzubeziehen, uns womöglich eher in die Lage versetzt, mit der Emotion zu sein und länger bei ihr zu verweilen – werfen die Frage auf, ob dieses Vorgehen bessere Ergebnisse in Sachen Kognition und Verhalten versprechen könnte, selbst bei Therapien, in deren Fokus primär kognitive oder verhaltensbezogene Methoden stehen.

Emotionen sind das Fazit eines Urteils darüber, wie sich eine Situation auf unser Wohlbefinden auswirkt. Ein Gehirn, das dadurch besser reguliert ist, dass die Emotion mehr im Körper verteilt ist, hat mehr Zeit, um eine Emotion zu verarbeiten. Damit steigen seine Chancen, sich besser funktionierende, sinnvollere Kognitionen und Verhaltensweisen im Hinblick auf die Situation auszudenken. Wenn wir besser in der Lage sind, uns dem Zorn auszusetzen, den wir im Rahmen einer Beziehung verspüren, dürften unser Denken und Handeln in der Situation regulierter und beziehungsorientierter sein. Von daher können sogar Therapieformen, in deren Zentrum die Förderung kognitiver und verhaltensbezogener Veränderungen steht, ihre Ergebnisse verbessern, wenn sie in ihre Arbeit gezielt die Verkörperung von Emotionen einbeziehen.

Alle gängigen Methoden für die Arbeit mit Emotionen – vor allem die Strategie, so lange bei der Wahrnehmung einer emotionalen Erfahrung zu verweilen, bis eine Transformation zustande kommt – können uns durchaus dazu befähigen, eine gewisse Kapazität dafür zu entwickeln, sich der Emotion auszusetzen. Allerdings ist der Umfang, in dem dies geschieht, von daher eingeschränkt, dass diese Verfahren entweder nicht mit dem Körper arbeiten oder aber, falls doch, dass ihr Fokus nicht darauf ruht, das emotionale Erleben möglichst breit im Körper auszudehnen. Von allen Methoden bietet die Strategie, so lange bei einer emotionalen Erfahrung zu verweilen, bis es zu einer Transformation kommt, die größte Wahrscheinlichkeit, die Affekttoleranz zu erhöhen.

Die angestrebte Transformation könnte jedoch länger dauern oder überhaupt nicht zustande kommen, wenn die Betroffenen nicht wissen, dass an einer emotionalen Erfahrung, vor allem einer schwierigen, potenziell das gesamte Gehirn und der ganze Körper beteiligt sind. Außerdem gilt es zu wissen, dass zunächst einmal physiologische Abwehrmechanismen gegen Emotionen aufzulösen sind, damit sich die emotionale Erfahrung möglichst weit im Körper ausdehnen kann, was wiederum erlaubt, sich der Emotion länger auszusetzen und vollends zu begreifen, wie die vorliegende Situation auf unser Wohlbefinden wirkt. Es besteht ferner eine gewisse Retraumatisierungsgefahr, wenn lediglich passiv bei einer Emotion verweilt wird, wann immer sie auftaucht, statt aktiv über eine Expansion im Körper auf eine vermehrte Regulation der emotionalen Erfahrung hinzuwirken.

Aus allen oben genannten Gründen birgt das Verkörpern von Emotionen – das Ausdehnen der emotionalen Erfahrung in möglichst breite Areale des Körpers, um sich ihr eher aussetzen zu können – in Kombination mit allen Therapieformen und gängigen Methoden der Arbeit an Emotionen, Medikamentengaben inbegriffen, auf diversen Ebenen ein großes Potenzial für den Therapieerfolg.

Wenn Sie nicht in Helferberufen tätig sind, so versteht sich das Buch auch als Anleitung zur Selbsthilfe, um große und kleine emotionale Schwierigkeiten zu verstehen und zu bearbeiten. Sollten Sie vorhaben, das Buch zu Selbsthilfezwecken zu nutzen, suchen Sie sich bitte professionelle Hilfe, wenn Sie merken, dass Sie einen schwierigen Punkt erreichen – selbst dann, wenn Sie selbst therapeutisch tätig sind. Bitte vergessen Sie nicht, dass wir in Sachen Emotionen früher oder später immer die Unterstützung anderer brauchen, um bestimmte Dinge zu bewältigen, ganz gleich, wer wir sind.

Ich möchte an dieser Stelle gern kurz etwas zu meinem persönlichen und beruflichen Werdegang mit Ihnen teilen – zu dem, was mich dazu gebracht hat, die Arbeit der emotionalen Verkörperung zu entwickeln. Und immer wieder möchte ich dabei denen anerkennend zunicken, die mir auf meinem Weg geholfen haben. Danach folgt ein kapitelweiser Überblick über das, was Sie in diesem Buch erwartet, gefolgt von Vorschlägen zu Strategien, die Ihnen erlauben, optimal von diesem Buch zu profitieren.

Die Entwicklung der emotionalen Verkörperungsarbeit

In ihrem aufschlussreichen Buch Faces in a Cloud. Intersubjectivity in Personality Theory argumentieren die intersubjektiven Psychoanalytiker Atwood und Stolorow, dass die diversen von den Psychologen Freud, Jung und Reich entwickelten psychologischen Theorien von der persönlichen Lebensgeschichte, den Bedürfnissen und den Persönlichkeiten dieser Denker geprägt waren.1 Mein jungscher Analytiker Richard Auger beobachtet häufig, dass wir das lehren, was wir selbst zu lernen haben. Wenn ich rückblickend mein eigenes Leben und meine Ausrichtung in der Psychologie betrachte, stelle ich fest, dass meine Beziehung zur Arbeit an der emotionalen Verkörperung in der Integralen Somatischen Psychologie (ISP) da keine Ausnahme darstellt. Ich habe ISP als umfassenden psychologischen Ansatz entwickelt, um die Verkörperung aller Ebenen der Psyche, der individuellen und der kollektiven, zu unterstützen – wobei die emotionale Verkörperung die primäre klinische Strategie darstellt und darauf abzielt, kognitive, emotionale und verhaltensbezogene Resultate von Therapieverfahren jeder Art zu verbessern.

Ich hatte einen unsanften Start ins Leben. Meine Mutter und ich wären bei meiner Geburt beinahe gestorben. Ich blieb während der quälend langen Wehen meiner Mutter in einem Geburtskanal stecken, der zu eng für meinen Kopf war, die Nabelschnur eng um meinen Hals gewickelt, das Ganze betreut von einer sehr unerfahrenen Hebamme. Es war ein Wunder, dass wir beide überlebten, wie sich meine Großmutter väterlicherseits erinnert. Durch das Geburtstrauma entging ich nur knapp einer zerebralen Kinderlähmung, wie mir später anhand der Symptome deutlich wurde, die ich bei der therapeutischen Aufarbeitung meines Geburtstraums und in einem Traum aus dieser Zeit erlebte. Meine Mutter und ich entwickelten eine überaus enge Bindung – teilweise, denke ich, aufgrund dieser gemeinsamen traumatischen Erfahrung. Die wiederholten längeren Trennungen von meiner Mutter, die ich im Alter von zehn Monaten bis fünf Jahren erlebte, müssen wohl wegen des Geburtstraumas und des besonders engen Bands zwischen uns umso traumatischer gewesen sein. Nimmt man dann noch die körperliche, verbale und emotionale Gewalt hinzu, der ich durch meinen Vater ausgesetzt war, kommt in meiner Geschichte schon einiges zusammen! Ich träumte einmal, dass ich in einen Raum in einem schwer bewachten Polizeirevier kam, um dort einen ganzen Aktenschrank mit Unterlagen vorzufinden, in denen all die Traumata festgehalten waren, die ich in meinem Leben erfahren habe.

Ich habe immer wieder mit Staunen festgestellt, wie Menschen sich anscheinend Berufe aussuchen, die ihnen die optimalen Umstände und Gelegenheiten bieten, nicht nur anderen einen Dienst zu erweisen, sondern auch sich selbst auf der persönlichen Ebene zu heilen. Mehr als irgendwo sonst beobachte ich das bei therapeutisch Tätigen und ihrer Entscheidung, im psychotherapeutischen Bereich zu arbeiten, und in Bezug auf die Therapieansätze, in denen sie sich ausbilden lassen und die sie praktizieren. Das trifft auch auf mich zu.

Die ganzen frühen Traumen bewirkten, dass ich den Kontakt zu meinen Emotionen und meinem Körper verlor. Ich wuchs also als kleiner Neunmalklug heran, der mehr Interesse an Mathe hatte als an Musik. Als ich einmal ein Rendezvous mit einem Mädchen hatte, das eine ziemliche Musikliebhaberin war, beglückte ich sie voller Stolz mit mathematischen Ausführungen zur Musiktheorie. Ich bin sicher, Sie können sich gut vorstellen, wie das ausging! Vor diesem Hintergrund war es nachvollziehbar, dass ich mich auf meinem beruflichen Werdegang in der Psychologie von den frühesten Anfängen an zu Formen der Körperarbeit wie Posturaler Integration und Yoga sowie zu körperorientierten Psychotherapiesystemen wie der Reichianischen Therapie, der Bioenergetik und der Bodynamic Analysis hingezogen fühlte. Dort erfuhr ich auch erstmals von physiologischen Abwehrmechanismen gegen Emotionen und andere psychische Erfahrungen und davon, wie behutsam (und auch weniger behutsam) an diesen Abwehrmechanismen gearbeitet werden kann, um den Kopf mit dem Körper zu verbinden und Zugang zu Emotionen zu finden, mit denen sich dann arbeiten lässt – was oft kathartisch oder regressiv ausfällt.

Wilhelm Reich, ein Zeitgenosse Sigmund Freuds, gilt als Urvater der körperpsychotherapeutischen Tradition des Westens. Das von ihm entwickelte System wird als reichianische Therapie bezeichnet. Körperpsychotherapieansätze, wie die aus der reichianischen Therapie hervorgegangene Bioenergetische Analyse, laufen unter »neoreichianische Therapieverfahren«. Das Gebiet der Körperpsychotherapie setzt sich heute aus solchen neoreichianischen Ansätzen und anderen Verfahren zusammen. Nach meiner Auffassung ist die Bodynamic Somatic Developmental Psychology, auch unter dem Namen »Bodynamic Analysis« bekannt, das bislang ausgefeilteste System der Körperpsychotherapie. Sie bietet eine aus empirischen Erfahrungen abgeleitete Übersichtskarte zu den psychologischen Funktionen der wichtigsten willkürlichen Muskeln auf Grundlage ihrer psychomotorischen Funktionen sowie eine komplexe Theorie zur Entstehung von Charakterstrukturen basierend auf sieben Stadien der kindlichen Entwicklung. Dieses System ist seiner Zeit vielleicht um Jahre voraus, wenn man bedenkt, wie begrenzt die Ausrichtung auf den Körper in der Psychologie im Großen und Ganzen heute noch ist. Ich habe eine Menge gelernt, als ich etliche Jahre lang als Dozent die Psychologie der Muskeln und die Theorie rund um die Charakterstrukturen laut Bodynamic Analysis vermittelte. Ich kann Lisbeth Marcher und ihrem Team am Bodynamic Institute gar nicht genug danken für das, was sie zu meinem persönlichen und beruflichen Werdegang beigetragen haben, indem sie mir eine detaillierte »Landkarte« der emotionalen Bedürfnisse von Kindern in den jeweiligen Stadien ihrer Entwicklung zur Verfügung stellten.2

Viele der frühen Traumen in meinem Leben gingen in meinem Körper und meinem Gehirn mit so viel Stress und Dysregulation einher, dass ich lange Zeit unter Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) litt. Ich beobachtete an mir eine große Geräuschempfindlichkeit, schlechte Schlafqualität und extreme Reaktivität auf der Beziehungsebene, ohne zu merken, dass es sich dabei um PTBS-Symptome handeln könnte. Traumatische Belastungen, vor allem wenn sie auf die frühe Kindheit zurückgehen, sind oft mit einem hohen Maß an Stress, Dysregulation und Überreagieren im autonomen Nervensystem und den von ihm gesteuerten inneren Organen sowie im Zentralnervensystem (Gehirn und Rückenmark) verbunden.

Es half mir sehr, eine körperorientierte Weiterbildung im Bereich Somatic Experiencing (SE) abzuschließen, einer Form der Traumaarbeit, deren Fokus darauf liegt, Traumen durch autonome Regulation aufzulösen. Ich durfte dieses Verfahren dann im Auftrag seines Begründers, Dr. Peter Levine, auf der ganzen Welt selbst lehren. Von diesen Erfahrungen profitierte ich nicht nur im Hinblick auf die Heilung meiner eigenen, auf traumatischen Stress zurückgehenden Symptome. Diese Zeit bot mir vielmehr auch ein Versuchslabor für die Entwicklung meiner emotionalen Verkörperungsarbeit. Dr. Levine, dessen Buch Trauma-Heilung. Das Erwachen des Tigers auch heute, mehr als zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, ein Bestseller in seiner Kategorie ist, ist ein überaus feinfühliger und unglaublich intelligenter Kliniker.3 Er ist ein Meister darin, hochgradig erregte autonome Nervensysteme herunterzuregulieren, die oft die Ursache von Symptomen sind, die auf belastende traumatische Erfahrungen zurückgehen. Ich verdanke diesem außergewöhnlichen Menschen persönlich und fachlich so viel und bin sehr dankbar dafür, dass ich ihm so früh in meiner psychologischen Laufbahn begegnet bin.

Meine Schulung in Biodynamischer Craniosacral-Therapie bei Dr. Michael Shea half mir zu verstehen, wie eine unmittelbare Arbeit an Stress und Dysregulation im Zentralnervensystem (Gehirn und Rückenmark) bei anderen wie auch bei mir selbst aussehen kann.4 Diese zentralen Bereiche werden durch gravierende traumatische Erlebnisse wie Geburtstraumen und frühkindliches Verlassenwerden, wie sie sich in meiner eigenen Geschichte finden, zunehmend dysreguliert. Die Biodynamische Craniosacral-Therapie hat mich außerdem die Tiefenarbeit mit dem Körper auf der Quanten- oder subatomaren Ebene gelehrt, wo eine zunehmende Dysregulation einsetzen kann, wenn sich das Trauma in seiner Heftigkeit verschlimmert. Dieses Verfahren hat mir auch beigebracht, wie der Körper wieder an die kollektiven Heilungsenergien in seiner Umgebung angeschlossen werden kann – eine Anbindung, die bei Traumen je nach Schweregrad mehr oder weniger beeinträchtigt sein kann.

Ich selbst hatte ziemliche Schwierigkeiten damit, Zugang zu meinen Emotionen zu finden, sie zu regulieren und meinen Körper zu spüren. Das galt sowohl für meine akademische Laufbahn in Wirtschaftswissenschaften in der Zeit, bevor ich mich für eine formale Ausbildung in Psychologie entschied, als auch später, als ich mich entsprechend fort- und weiterbildete, um zugelassener klinischer Psychologe zu werden. Das motivierte mich zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit den Forschungserkenntnissen zu Emotionen und ihrer physiologischen Seite, vor allem mit Blick auf die Paradigmen der affektiven Neurowissenschaft und Körperpsychotherapie. Ich suchte nach Hinweisen darauf, wie wir vermehrt Zugang zu Emotionen und zum Körper finden und besser mit ihnen arbeiten können, sowohl bezogen auf meine Klient*innen als auch auf mich selbst.

Körperpsychotherapieansätze wie die Reichianische Therapie, die Bioenergetik und Bodynamic Analysis befassen sich in erster Linie mit körperlichen Abwehrmechanismen im muskulären Nervensystem, um an Emotionen heranzukommen und sie auszudrücken. In neuerer Zeit hat sich der Schwerpunkt der Körperpsychotherapie dahingehend erweitert, auch die Rolle des autonomen Nervensystems einzubeziehen. Somatic Experiencing zum Beispiel rückt mehr die Arbeit mit Abwehr und Dysregulation im autonomen Nervensystem in den Mittelpunkt, um Zugang zu Emotionen zu finden und sie zu regulieren. Die auf östliche Meditationspraktiken zurückgehenden Verfahren, wie etwa die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, nähern sich Emotionen über das Praktizieren von Achtsamkeit. Die intersubjektive und Kleinianische Psychoanalyse wie auch die analytische Psychologie Jungs arbeiten mit Emotionen primär über die Ebene der Kognition. Die Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie regulieren Emotionen über Kognition und Verhalten. Und diverse gute Ansätze der Körper- und Energiearbeit regulieren Emotionen durch Regulation des Körpers beziehungsweise der Energie. Sie alle sind entweder evidenzbasierte oder auch bewährte und am Markt erprobte Methoden, die sich für eine ganze Palette klinischer Probleme als hilfreich erwiesen haben. Mir jedoch ging es immer so, dass mir bei ihrem Umgang mit den Emotionen etwas fehlte, dass ich sie recht zeitaufwendig oder lückenhaft fand, zumindest bezogen auf einige meiner Klient*innen – und vor allem mich selbst!

Bei meiner eingehenden Beschäftigung mit der Physiologie der Emotionen in der affektiven Neurowissenschaft, vor allem auf einem Gebiet, das unter dem Oberbegriff »verkörperte Kognition« läuft, erwarteten mich eine Menge Überraschungen. Eine dieser Überraschungen bestand in der Erkenntnis, dass im Hinblick auf unser Verständnis der physiologischen Seite von Emotionen und Kognitionen in den letzten zwanzig Jahren ein großes Umdenken stattgefunden hat, das frühere Erkenntnisstände auf den Kopf stellte. Überraschend war auch, zu sehen, dass bislang nur sehr wenig von dem, was wir an physiologischen Grundlagen von Emotionen und Kognitionen mittlerweile erkannt hatten, in die psychologische Praxis eingeflossen ist, selbst in die Körperpsychotherapie. Außerdem wurde mir deutlich, dass sich ein Großteil der Emotionsforschung auf eine begrenzte Zahl primärer Emotionen konzentriert, Gefühle wie Wut und Traurigkeit. Was dabei vernachlässigt wird, ist die viel größere Zahl von prinzipiell immer anzutreffenden Emotionen, für die ich irgendwann den Begriff »sensomotorische Emotionen« zu gebrauchen begann – Emotionen wie etwa die, sich in der erlebten Situation einfach »gut« oder »schlecht« zu fühlen. Darüber hinaus liefern aktuellere Erkenntnisse der affektiven Neurowissenschaft auf dem Gebiet neuerer Forschungsansätze, wie dem einer körperlich verankerten (Embodied Cognition) und situativ eingebetteten Kognition (Embedded Cognition) sowie der körperlich verankerten und enaktiven (sich durch Handeln Wissen erschließenden) Emotion, in hohem Maße theoretische und empirische Belege für die Wirksamkeit der emotionalen Verkörperungsarbeit. Dies vor allem im Hinblick darauf, kognitive, affektive und verhaltensbezogene Therapieerfolge unabhängig von praktizierten Ansatz zu verbessern, was ich empirisch schon seit geraumer Zeit festgestellt hatte.

Kein Werk steht nur auf eigenen Füßen. Es ruht immer auf einer ganzen Pyramide von Schultern, die bis nach tief unten, in die Vergangenheit reichen. Wenn es darum geht, wer mich über die engen physiologischen Zusammenhänge zwischen unseren Emotionen, Kognitionen und Verhaltensweisen aufgeklärt hat, habe ich vielen zu danken. Ich werde meinen Dank jedoch auf diejenigen in der Nähe der Spitze dieser Pyramide gesammelter Wissensschätze beschränken. Ich denke dabei an den Neurowissenschaftler Antonio Damasio, von dem ich erfuhr, dass der Körper ebenso an Emotionen beteiligt ist wie das Gehirn. In neuerer Zeit haben wir zudem Bud Craig, der in seine Fußstapfen getreten ist und immer wieder herausragende Erkenntnisse beiträgt. Dazu kommt die Neurowissenschaftlerin und Psychoneuroimmunologin Candace Pert.5

Die Arbeit einer ganzen Reihe kluger Köpfe hat mich gelehrt, dass Emotion, Kognition und Verhalten nicht nur Funktionen des Gehirns sind, sondern auch solche des Körpers und der Umgebung. Diese Forscher*innen zeigen auf, dass Kognition, Emotion und Verhalten im physiologischen System von Gehirn und Körper auf ganz grundlegende Weise nicht voneinander zu trennen sind; dass die Verkörperung von Emotionen Kognition und Verhalten verbessern kann; und dass Emotionen dynamisch und vorhersagbar sind. Diese klugen Köpfe gehören zu Eugene Gendlin6 von der University of Chicago, Marc Johnson7 von der University of Oregon, Lisa Feldman Barrett8 von der Northeastern University, Sian Beilock9 vom Barnard College, Giovanna Colombetti10 von der University of Exeter, Evan Thompson11 von der University of British Columbia in Vancouver, Paula Niedenthal12 von der University of Wisconsin in Madison und Rebekka Hufendiek13 von der Universität Basel.

Jede wirksame Arbeit mit Emotionen verlangt ein Verständnis psychologischer Abwehrmechanismen gegenüber unerträglichen oder inakzeptablen Emotionen, ebenso wie eine angemessene äußere Unterstützung bei emotionalen Erfahrungen. Ich hatte das Glück, nicht nur in Verbindung mit einem bestimmten Ansatz, sondern gleich bezogen auf eine ganze Reihe von Therapieverfahren lernen zu können, wie die Arbeit mit psychologischen Abwehrmechanismen gegen Emotionen und die Unterstützung von Emotionen aussehen kann: über die humanistische Psychologie von Carl Rogers, Fritz Perls’ Gestalttherapie, Heinz Kohuts Selbstpsychologie, Melanie Kleins Objektbeziehungen und die intersubjektive Psychoanalyse von Robert Stolorow.

Ich bin in Indien aufgewachsen und zog mit sechsundzwanzig Jahren zu meiner Hochschulausbildung in die Vereinigten Staaten. Ich wuchs in einer Familie auf, in der Träume als bedeutsame Botschaften von der kollektiven Ebene galten. In meiner Kultur ist der quantenenergetische Körper etwas ganz Reales, und was der einzelne Mensch erlebt, gilt als zutiefst eingebettet in die kollektive Ebene und als von ihr geprägt. Von daher war es nur natürlich, dass ich mich in meinem Psychologiestudium fast von Anfang an von der jungschen Psychologie angesprochen fühlte, was wohl daran liegt, dass sie die menschliche Psyche aus einem umfassenderen Blickwinkel betrachtet. Ebenfalls natürlich ergab es sich, dass es mich irgendwann wieder zu einer Östlichen Psychologie hinzog, die eine noch breiter angelegte Sicht der Psyche ins Spiel bringt: Advaita Vedanta, eine Schule der hinduistischen Philosophie. Zusätzlich dazu, dass Advaita Vedanta alle Ebenen der Psyche aus der jungschen Psychologie einbezieht, wird dort von der Theorie ausgegangen, dass das Individuum letztlich nicht von der kollektiven Ebene zu trennen und identisch mit ihr ist.

Wenn wir mit Emotionen arbeiten, den schwierigsten Erfahrungen, denen wir ausgesetzt sind, liegt es nahe, alle Ebenen der Psyche einzubeziehen – die physische, die energetische und die kollektive –, die auf diese Emotionen einwirken. Die jungsche Psychologie, der Advaita Vedanta14, Yoga, Randolph Stones’ Polarity-Therapie15 sowie die Biodynamische Craniosacral-Therapie16 vermittelten mir das nötige Verständnis und die Mittel, um im Hinblick auf die Arbeit mit Emotionen alle Ebenen der Psyche einfließen zu lassen. Im eigenen Erleben ein größeres Fassungsvermögen für Gegensätze zu entwickeln beziehungsweise der Aufbau einer größeren Affekttoleranz sind Punkte, die in der intersubjektiven Psychoanalyse betont werden, wenn es die seelische Gesundheit zu fördern gilt. In der jungschen Psychologie misst man ihnen große Bedeutung für die Individuation bei und im Advaita Vedanta gelten sie als wichtig, um Erleuchtung zu erlangen. Zu sehen, welche Bedeutung diese höchst unterschiedlichen Systeme der Affekttoleranz beimessen, war für mich eine frühe Inspiration, die mich antrieb, die emotionale Verkörperungsarbeit als zentrale klinische Strategie im Rahmen von ISP zu entwickeln, meine umfassende Annäherung an die menschliche Psyche.

Als ich vor zwanzig Jahren damit begann, den Ansatz der Verkörperung von Emotionen zu entwickeln – als Therapie-Tool, bei dem die Entwicklung einer vermehrten Fähigkeit im Mittelpunkt steht, sich emotionalen Erfahrungen auszusetzen –, konnte ich noch nicht auf die ganzen heute verfügbaren wissenschaftlichen Belege zurückgreifen, die mir hätten erklären können, warum das sinnvoll ist. Damals spielte sich eine regelrechte Revolution in dem Feld ab, die Rolle des Körpers bei Emotionen wie auch Kognitionen zu verstehen. Anfangs beruhte meine Inspiration dafür, diese Arbeit zu entwickeln, auf zwei simplen Ideen: (1) dass die Fähigkeit auszubauen, sich Emotionen aussetzen zu können, eine gute Sache sei (basierend auf meiner Beschäftigung mit der intersubjektiven Psychoanalyse, der jungschen Psychologie und dem Advaita Vedanta; und (2) dass sich das physiologische System von Gehirn und Körper in seiner Gesamtheit vielleicht dazu einsetzen ließe, die emotionale Erfahrung erträglicher zu machen. Die zweite Idee entstand, nachdem ich aus meiner anfänglichen Auseinandersetzung mit der Physiologie der Emotionen (vor allem über den Neurologen Antonio Damasio und die Molekularwissenschaftlerin Candace Pert) gelernt hatte, dass physiologisch der Großteil, wenn nicht sogar die Gesamtheit des Gehirns und des Körpers beim Generieren emotionaler Erfahrungen beteiligt sein kann. Außerdem lernte ich über verschiedene Ansätze der Körperpsychotherapie, dass sich sowohl im Gehirn als auch im Körper diverse physiologische Abwehrmechanismen gegenüber unerträglichen Erfahrungen ausbilden können, um den Leidensdruck zu lindern.

Meine Beobachtung emotionaler Erfahrungen bei mir selbst und meinen Klient*innen zeigte mir, dass Gefühle wie etwa Angst an individuell unterschiedlichen Stellen des Körpers erlebt werden. Selbst bei ein und derselben Person können sie je nach Anlass unterschiedlich verortet werden: mal in der Brust, dann wieder in den Armen, im Bauch, im Kopf oder im Gehirn. Als ich zum Beispiel einmal eine Klientin fragte, wo sie ihre Angst erlebe, berichtete sie zunächst, sie erfahre sie nur in ihrem Gehirn. Als ich ihr dann auftrug, sich die Hand in den Nacken zu legen – wo muskuläre Abwehrmechanismen durch Blockaden oft zu verhindern suchen, dass das gerade Erlebte vom Kopf aus in den Körper hinein ausgedehnt werden kann (und umgekehrt) –, stellte sie zu ihrer Überraschung kurze Zeit später fest, wie sie in ihrem ganzen Körper Angst wahrnahm.

Diese Beobachtungen ging zusammen mit meiner Feststellung, dass meine Klient*innen und ich uns oft schwertaten, schwierige Emotionen zu bewältigen, die sich physiologisch nur auf einige wenige Stellen im Gehirn und Körper konzentrierten. Das brachte mich auf die Frage, ob die Verarbeitung der mit schwierigen Emotionen verbundenen Energie an mehr Stellen in Gehirn und Körper es irgendwie erträglicher machen würde, mit den Emotionen in Kontakt zu bleiben, sie zu verarbeiten und mit ihnen abschließen zu können. Es wäre ein größerer »Container« dafür. Getreu dem Prinzip, das ich meinen Klient*innen später erklären sollte, um sie zu motivieren, schwierige emotionale Erfahrungen zu verkörpern: Ebenso wie es leichter ist, eine schwere Tasche beidhändig zu heben statt mit nur einer Hand, ist es leichter, sich einer Emotion auszusetzen, wenn sie von mehr Teilen des Körpers mitgetragen wird.

Die emotionale Verkörperungsarbeit ist für mein berufliches und persönliches Weiterkommen also entscheidend gewesen. Ich bin außerordentlich erfreut darüber, wie hier verschiedene Richtungen zusammenkommen und sich über neue klinische Erfahrungen und Wissensströme unablässig weiterentwickeln. Emotionale Verkörperung ist etwas, von dem ich, meine Klient*innen und die Teilnehmenden an meinen Workshops (sowie deren Klient*innen) eindeutig profitiert haben. Ich freue mich sehr darauf, diese Arbeit durch das Schreiben dieses Buches mit so vielen Menschen wie möglich in aller Welt teilen zu können – solchen aus Fachkreisen wie auch Laien.

Das Buch im Überblick

Das Buch untergliedert sich in drei Abschnitte: einen Überblick über die emotionale Verkörperungsarbeit (Teil I, »Überblick« Kapitel 1 bis 4), eine Erkundung der ihr zugrunde liegenden Theorien (Teil II, »Theorie«, Kapitel 5 bis 9) und detailliertere Ausführungen zur Verkörperung von Emotionen in der Praxis (Teil III, »Praxis: Die vier Schritte bei der Verkörperung von Emotionen«, Kapitel 10 bis 14).

Die Kapitel 1 bis 4 in Teil I bieten eine substanziellere Einführung in die Arbeit. Hier findet sich eine Einführung in die Theorie, die Grundideen, in die Verkörperung von Emotionen und deren vorteilhafte Auswirkungen, illustriert anhand von klinischen Beispielen aus diversen Settings und mit Klient*innen mit unterschiedlich ausgeprägter Affekttoleranz beziehungsweise unterschiedlichen Voraussetzungen dafür, sich emotionalen Erfahrungen aussetzen zu können.

Im Mittelpunkt von Kapitel 1 stehen Menschen mit hoher Affekttoleranz und Emotionen, die subjektiv als sehr ausgeprägt wahrgenommen werden – intensive Emotionen. Dementsprechend erfolgt hier eine breit angelegte und in die Tiefe gehende Ausdehnung der Emotion im Körper und finden lange Verarbeitungszyklen bezogen auf die Emotion statt. Kapitel 2 befasst sich mit Klient*innen, die in Sachen Affekttoleranz am entgegengesetzten Ende des Spektrums angesiedelt sind und bei denen mit Emotionen gearbeitet wird, die im subjektiven Erleben eher schwache Ausmaße annehmen und weniger intensiv sind. Hier wird eine eng begrenzte und rein oberflächliche Expansion der Emotion im Körper anvisiert und die Verarbeitungszyklen bezogen auf die Emotion werden kurz gehalten. Kapitel 3 präsentiert klinische Beispiele, die zeigen, welchen Nutzen das Verkörpern von Emotionen haben kann – etwa Verbesserungen im Hinblick auf den Erfolg von Interventionen auf der kognitiven, emotionalen, verhaltensmäßigen, physischen, energetischen und spirituellen Ebene. Das Kapitel stellt zudem ein klinisches Beispiel für emotionale Verkörperung bei einer Arbeit über längere Zeiträume hinweg vor und zeigt auf, an welchen Stellen die Methode an ihre Grenzen geraten könnte. Kapitel 4 befasst sich mit klinischen Beispielen für die emotionale Verkörperungsarbeit bei der Behandlung schwerer Traumen, die mit einer beträchtlichen physiologischen Dysregulation von Gehirn und Körper einhergehen. Ich hoffe, dass die Grundprinzipien des Ansatzes nach der Lektüre von Teil I begreiflich genug geworden sind, um bei sich selbst und anderen bereits mit der gezielten Verkörperung von Emotionen zu beginnen.

Teil II, der Theorieteil (Kapitel 5 bis 9), präsentiert die faktischen wissenschaftlichen Beweise, auf die sich die Verkörperung von Emotionen stützt. Kapitel 5 behandelt detailliert die Physiologie der Emotionen und weist nach, dass beim Hervorbringen und Erfahren von Emotionen physiologisch die Gesamtheit von Gehirn und Körper beteiligt sein kann. Kapitel 6 geht auf die von immer mehr Seiten präsentierten Belege dafür ein, (1) dass Kognition, Emotion und Verhalten nicht nur vom Gehirn abhängig sind, sondern auch vom Körper und der Umgebung; (2) wie untrennbar verbunden diese drei Aspekte bei ihrer Entstehung in der Physiologie des Gehirns und des Körpers sind; und (3) die Implikationen dieser Erkenntnisse für die Arbeit an der Verkörperung von Emotionen. Kapitel 7 präsentiert einen Betrachtungsrahmen in Form von sieben physiologischen Dynamiken, über die Emotionen in Gehirn und Körper generiert und abgewehrt werden – Dynamiken, die sich beim Verkörpern von Emotionen beobachten und beeinflussen lassen. Kapitel 8, bei dem es um Affekttoleranz geht, entwickelt die zentrale These des Buches: dass die Expansion einer emotionalen Erfahrung im physiologischen System die Fähigkeit erhöhen kann, sich der Erfahrung auszusetzen. Ausgegangen wird hierbei von den in Kapitel 5, 6 und 7 dargelegten Erkenntnissen und einem schlichten Modell zur physiologischen Regulation. Kapitel 9 erörtert verschiedene Arten von Emotionen unter Einbeziehung der stets vorhandenen und oft übersehenen sensomotorischen Emotionen (Erfahrungen, die sich darauf beschränken können, sich einfach gut oder schlecht zu fühlen). So kann von der allerersten Sitzung mit Klient*innen an bereits über eine breitere Palette an emotionalen Erfahrungen verfügt werden, die dann verkörpert werden können.

Teil III, bestehend aus den Kapiteln 10 bis 14, konzentriert sich auf die konkreten Einzelheiten der Verkörperung von Emotionen in der Praxis. Kapitel 10, »Die Situation«, geht darauf ein, wie man eine Situation ermittelt und mit der Person so verarbeitet, dass sie eine inhärente emotionale Reaktion wachruft, die dann zur Basis der weiteren Arbeit wird. Kapitel 11, »Die Emotion«, bietet verschiedene Möglichkeiten an, psychologischen und angeborenen Abwehrmechanismen im Hinblick auf Emotionen entgegenzuwirken, damit Klient*innen Zugang zu den beteiligten Emotionen finden. Darüber hinaus geht es um die Frage, wie wir uns selbst und andere bei emotionalen Erfahrungen unterstützend begleiten können. Kapitel 12, »Die Expansion«, befasst sich damit, wie sich physiologische Abwehrmechanismen gegen Emotionen auflösen lassen, die sonst verhindern, dass eine emotionale Erfahrung auch noch in anderen Teilen des physiologischen Systems erlebt werden kann. Kapitel 13, »Die Integration«, geht auf den optionalen Schritt der Integration ein. Das Kapitel erörtert, wie sich bestimmte Ressourcen – etwa energetische Verbesserungen physiologischer Natur, kollektive Energien sowie kognitive und verhaltensbezogene Veränderungen, die im Zuge der Verkörperung von Emotionen automatisch zu erwarten sind – dazu einsetzen lassen, emotionale Erfahrungen zu stabilisieren, sie besser eindämmen und ertragen zu können sowie die Auflösung der Symptome zu beschleunigen. Kapitel 14, »Interpersonelle Resonanz«, belegt, inwiefern der Mensch von Geburt an mit der Fähigkeit ausgestattet ist, auf kurze Distanz mittels bioelektrischer und biomagnetischer Energien und über größere Entfernungen hinweg über Quantenenergien Informationen mit anderen Menschen auszutauschen. Das Kapitel geht zudem darauf ein, wie sich interpersonelle Resonanz dazu einsetzen lässt, emotionale Zustände bei anderen zu verstehen und zu unterstützen.

Das letzte Kapitel mit der Überschrift »Schlusswort: Die Zukunft« greift ein interessantes Thema für die neurologische Forschung in Sachen emotionale Verkörperung und potenzielle neue Dimensionen auf, die durch die Verkörperung von Emotionen in der therapeutischen Praxis hinzukommen könnten (etwa auf der feinstofflichen oder Quanten- sowie der kollektiven Ebene der Psyche), um den Therapieerfolg von Ansätzen jeder Art weiter zu verbessern. Wer wenig Zeit hat oder nicht die Geduld aufbringen mag, sich mit der Theorie zu beschäftigen, dem würde ich empfehlen, zunächst einmal Teil I zu lesen, Teil II zu überspringen, direkt bei Teil III weiterzulesen und sich dann noch einmal Teil II zuzuwenden, um mehr über die theoretischen Hintergründe der Praxis der Verkörperung von Emotionen zu erfahren. Allen jedoch würde ich wärmstens empfehlen, mit der Praxis der Verkörperung von Emotionen bei sich selbst und anderen schon anzufangen, sobald sie dieses Buch zu lesen beginnen. Schließlich generieren wir unablässig Emotionen und schwierige emotionale Erfahrungen im Großen wie auch im Kleinen sind Alltag. Worauf warten Sie also? Wenn Sie sich innerlich sträuben, eine unangenehme Erfahrung weiter in Ihrem Körper auszudehnen, beginnen Sie als Probelauf zunächst einmal mit einer angenehmen Erfahrung.

TEIL I

Überblick

Die vier Kapitel in diesem Buchteil präsentieren einen Überblick über die Theorien, Konzepte, Methoden und Vorzüge der Praxis der Verkörperung von Emotionen im Kontext diverser Behandlungsbeispiele und gehen auf Resultate dieser Arbeit ein.

1

Wie alles begann

Dieses Kapitel liefert einen Überblick über Konzepte, Methoden und Ergebnisse der Verkörperung von Emotionen in Verbindung mit Behandlungsbeispielen, bei denen ein erhöhtes Maß an emotionaler Intensität zum Tragen kommt, die auf frühere Entwicklungsphasen zurückgeht.

Beginnen wir, um ein Verständnis der emotionalen Verkörperungsarbeit zu gewinnen, mit Beispielen aus dem realen Leben. Dieses und das nächste Kapitel stellen klinische Beispiele für emotionale Verkörperung vor, skizzieren einige zentrale Ideen hinter diesem Ansatz und vermitteln ein Gefühl dafür, wie sich diese Arbeit im Laufe der Zeit entwickelt hat. Ich werde in den Kapiteln dieses Buchteils nicht näher darauf eingehen, welche konkreten Fähigkeiten für die Verkörperung von Emotionen gefragt sind. Eine detaillierte Darlegung hiervon findet sich in Teil III.

Wie wirksam emotionale Verkörperung in der Therapie ist, stellte ich zunächst bei der Arbeit mit Klient*innen fest, die subjektiv sehr ausgeprägte Emotionen erlebten; diese Fallbeispiele werde ich in diesem Kapitel präsentieren. Im nächsten Kapitel komme ich zu Behandlungsbeispielen, wo ich bei geringeren subjektiven Ausmaßen an Emotionen ansetzte. Durch sie brachte ich in Erfahrung, an wie breiter Front und wie vielseitig emotionale Verkörperung anwendbar und wirksam ist. Name und Herkunftsort einiger Personen wurden abgewandelt, um ihrer Bitte um Anonymität nachzukommen.

Petra, die Stimme und die Panikattacken

Petra war sieben Jahre alt, als sie zum ersten Mal eine Panikattacke hatte. Soweit sie sich erinnerte, spielte sie gerade allein in ihrem Zimmer, als sie eine Stimme hörte, die von ihrem Unterbauch rechts ertönte und sagte: »Petra, es wird Zeit für dich, zu sterben!« Damit begannen vierzehn Leidensjahre, die mit Panikattacken, Depressionen, Schwierigkeiten in der Schule und Stress in schlecht bezahlten Jobs nach ihrem High-School-Abschluss einhergingen. Petra ging zur Arbeit, kam nach Hause, aß etwas und schlief bis zu zwölf Stunden am Tag. Sie wollte nicht, dass ihre Eltern das Haus verließen, wenn sie sich dort aufhielt, weil sie sich nicht sicher fühlte. Ich sah sie das erste Mal bei einem sechstägigen Training, das ich in den Niederlanden abhielt. Am Ende des ersten Tages fragte mich ihr Onkel, der bei der Weiterbildung assistierte, ob ich mir Petra einmal ansehen könnte. Vielleicht sähe ich ja einen Weg, ihr irgendwie zu helfen.

Woran ich mich von dieser ersten Begegnung noch besonders erinnere, das ist, wie mutlos ihre Eltern wirkten. Es war nachvollziehbar, dass sie wenig hoffnungsfroh gestimmt waren. Petra war ihr einziges Kind, und sie hatten alles getan, was ihnen einfiel, um ihr helfen zu können. Sie waren bei Ärzten, bei Psychiatern und Psychoanalytikern gewesen. Mit 21 Jahren hatte Petra bereits zwei psychoanalytische Behandlungen hinter sich und nahm regelmäßig diverse Medikamente.

Als ich ihr sagte, dass mir mein kurzer Aufenthalt in ihrem Land maximal Zeit für zwei Sitzungen mit ihr lassen würde und hinterher würde sie vielleicht noch mit jemandem weiterarbeiten müssen, den ich ihr empfehlen würde, äußerte Petra unmissverständlich, dass sie keine weitere Psychotherapie wolle. Statt darauf zu bestehen, dass sie sich darauf einlassen müsse, um eine angemessene Weiterbetreuung sicherzustellen, erklärte ich ihr schlichtweg, dass sie erheblich bessere Aussichten auf eine Besserung ihres Zustands hätte, wenn sie das, wozu ich sie bei unseren Sitzungen anleitete, weiterpraktizieren würde.

Meine eigene Arbeit und die anderer mit Überlebenden des Tsunami 2004 in indischen Fischerdörfern hatten mich gelehrt, dass die Betroffenen aktiv an ihrer eigenen Heilung mitwirken können.17 Über einen Zeitraum von zwei Jahren nach der verheerenden Naturkatastrophe reisten unter meiner Leitung fünf internationale Therapeutenteams mehrfach in den indischen Bundesstaat Tamil Nadu, um Behandlungen, Aufklärung und Trainings für die Überlebenden und die an ihrem Genesungsprozess Beteiligten anzubieten. Folgebefragungen nach einem unserer Aufenthalte in Indien ergaben, dass diejenigen, die bei den Therapiesitzungen erlernte Skills in der Zwischenzeit weiterpraktiziert hatten, mit viel größerer Wahrscheinlichkeit von einer merklichen Symptomlinderung berichteten.

Petras Onkel hatte mir erzählt, dass Petra bald nach ihrer Geburt zwei Operationen über sich ergehen lassen musste, um einen lebensbedrohlichen angeborenen Defekt ihres Dickdarms zu korrigieren – und genau von dort schien die Stimme zu kommen, die ihr ankündigte, dass es Zeit sei, zu sterben. Es machte mich neugierig, wie diese Region zu der Entstehung ihrer Panikattacken beitragen mochte. Aus eigener Anschauung und durch Erfahrungen von Klienten wusste ich, dass bei Symptomen oft dysfunktionale Muster in Körperregionen zum Tragen kommen, die am meisten traumatisiert worden sind. Hier ein Beispiel aus meinem eigenen Leben: Da ich bei meiner eigenen Geburt beinahe gestorben wäre, weil ich gehörige Zeit in einem zu engen Geburtskanal feststeckte, kenne ich den Effekt, dass die rechte Seite meines Kopfes immer dann, wenn mein körperlicher oder emotionaler Stress über ein bestimmtes Maß hinausschießt, zu Verspannungen neigt und dass es sich dort unbehaglich anfühlt. Dieses Symptom ist mittlerweile weniger offensichtlich, als es das früher einmal war, aber bemerkbar macht es sich auch heute noch.

Ich ließ Petra wissen, dass es sein konnte, dass unaufgelöste traumabedingte Muster, die von ihren an sich lebensrettenden Operationen zurückgeblieben waren, mit ihren Panikattacken zusammenhängen mochten. Es überraschte sie nicht – einer ihrer beiden Psychoanalytiker hatte diese Verbindung schon angesprochen. Ich sagte ihr, dass es nichts Außergewöhnliches sei, dass sich Energie in einer Körperregion konzentriert, die ein Trauma durchlebt hat. Und dass deren Intensität so lange zunehmen kann, bis sie eine bestimmte Schwelle überschreitet und ein Symptom wie etwa eine Panikattacke auslöst, um die Intensität des Erlebten herunterzufahren und der Person Erleichterung zu verschaffen. Der Punkt, an dem die Intensität eine Stärke erreicht, die Symptome hervorruft, wird auch als »Symptomschwelle« bezeichnet. Ich schlug Petra also ein Behandlungs- wie auch Selbsthilfeprotokoll vor, dass sie erlernen und üben solle: Immer, wenn sie in ihrem Leben Stress verspüre, gleich, aus welchem Grund, solle sie diesen Stress in ihrem Körper verteilen. So würde er sich beim Überschreiten der Symptomschwelle nicht im unteren Bauchraum rechts anreichern und konzentrieren, was dann die Stimme und eine entsprechende Panikattacke auslösen konnte.

Wir beschlossen, zunächst einmal durchzuspielen, wie sie ihre Situation am Arbeitsplatz bewältigen konnte, da ihr Chef für sie oft ein Stressauslöser war. Ich trug ihr auf, sich eine schwierige Interaktion mit ihm vorzustellen und dann darauf zu achten, wie sich in ihrem Bauchraum rechts unten Enge, Aufruhr, Stress und Unbehagen aufbauten. Ich leitete sie an, mit den physiologischen Abwehrmechanismen in ihrem Bauchraum und ihren Beinen zu arbeiten, um die unangenehmen Erfahrungen von Aufruhr, Stress und Unbehagen dort mit einfachen Hilfsmitteln wie der Lenkung ihrer Wahrnehmung sowie der entsprechenden Intention durch Bewegung und Selbstberührung in benachbarte Bereiche (die Beine) umzuverteilen. Ich lud sie ein, wahrzunehmen, wie dies die Intensität der unangenehmen Wahrnehmungen im Bauchraum zu lindern half und wie sich diese Region schließlich beruhigte. All das dauerte nicht sehr lange.

Ich trug ihr auf, das, was wir zusammen während der Sitzung gemacht hatten, tagtäglich zu praktizieren, wann immer sie das Gefühl hatte, unter Stress zu geraten, ungeachtet der Ursache. In fünf Tagen, am letzten Tag meines Trainings, sollte sie noch einmal zu mir kommen. Bei der Behandlung erlebte ich Petra als ausreichend offen für meine Vorschläge; wenngleich ich auch eine gewisse Skepsis bei ihr wahrnahm. Das war verständlich angesichts dessen, wie lange ihr Leiden schon anhielt, ohne dass sie Linderung erfahren hatte.

Als ich Petra fünf Tage später wiedersah, bemerkte ich eine Veränderung an ihr. Ihre Stimmung schien sich verbessert zu haben. Ich fragte sie, ob sie Gelegenheit gehabt hatte, das, was sie in der vorherigen Sitzung gelernt hatte, zwischenzeitlich zu üben und welche Veränderungen sie seitdem an sich selbst eventuell beobachtet hatte. Sie sagte, sie würde »die Übung« regelmäßig durchführen, und ihre Mutter hätte beobachtet, dass sich Petras Energie irgendwie zu ihrem Vorteil verändert hätte. Bei dem, was sie mir dann jedoch als Nächstes sagte, konnte ich nur staunen. Petra litt schon ihr Leben lang massiv unter Verstopfung und hatte nur ein- bis zweimal die Woche Stuhlgang, und auch das nur unter großen Schwierigkeiten. Seit unserer Sitzung jedoch stellte sie mit großer Erleichterung fest, dass sie jeden Morgen problemlos und ganz regelmäßig Stuhlgang hatte. Die »Übung« hatte anscheinend wirklich funktioniert, sagte sie, und fügte hinzu, sie würde sie so oft sie konnte durchführen. Sie war jetzt wirklich von »der Methode« überzeugt und freute sich darauf, mehr über sie zu erfahren.

Die Methode, die ich ihr auf Grundlage dessen beibrachte, was meiner Beobachtung zufolge bei ihr in der ersten Sitzung gut gewirkt hatte, war einfach folgende: Immer, wenn sie spürte, wie sich in ihrem Bauch Stress aufbaute, sollte sie die Beine bewegen, um eventuelle Blockaden dort aufzulösen. Dann sollte sie sich eine Hand auf den Bauch legen und die andere erst auf das eine Bein und dann auf das andere, um die Energie nach unten zu lenken und gleichmäßiger zwischen ihrem Bauch und ihren Beinen zu verteilen. Im Anschluss sollte sie die Veränderungen in ihrem Körper beobachten, vor allem solche zum Besseren. So zum Beispiel würde der hohe Erregungspegel vielleicht automatisch sinken und der Körper sich insgesamt besser fühlen.

Heute, Jahre später, überraschen mich derart schnelle Veränderungen an hartnäckig fortbestehenden und gravierenden Symptomen bei einigen Klient*innen nicht mehr so sehr wie damals, als ich Petra begegnete. Das gilt selbst für Symptome wie Asthma, Migräne und chronische Schmerzen, sofern sie psychophysiologischen Ursprungs sind. Ernste psychophysiologische Symptome wie etwa das Chronic-Fatigue-Syndrom können mitunter schon bei einem eher niedrigen emotionalen Stresspegel entstehen. Psychophysiologische Symptome sind körperliche Symptome, die unter bestimmten psychischen Bedingungen entstehen oder sich verschlimmern. (Dieses Buch verwendet den Begriff »psychophysiologische Symptome« statt der älteren Terminologie »psychosomatische Symptome«, da Letzteres negativ vorbelastet ist und suggeriert, es ginge um etwas, das sich nur in unserem Kopf abspielt.) Menschen beizubringen, wie sie emotionalen Stress auf eine besser verteilte und regulierte Weise erfahren können, wenn als größerer Container oder Raum mehr vom Körper einbezogen ist, kann in so mancher Hinsicht von Vorteil sein:

Es kann die emotionale Leidensfähigkeit erhöhen, was von daher hilfreich ist, dass es die Schwelle höher legt, jenseits derer Symptome entstehen; die Toleranz nimmt zu.Es kann das Ausmaß an Stress und Dysregulation mindern und im ganzen Organismus das Ausmaß an Selbstregulation erhöhen.Es kann die Verbindung des Körpers mit der Umgebung erhöhen und so die Möglichkeiten zur interaktiven Regulation verbessern.Es kann eine schnellere Symptomauflösung bewirken und die Behandlungsdauer verkürzen.Es kann das System der Person insgesamt resilienter machen, sodass angesichts von Stressoren nicht so leicht Symptome entstehen; und falls doch, können sie sich schneller auflösen.

Damals jedoch, als ich weniger wusste als heute, konnte ich nicht ausschließen, dass Petras Heilung der Verstopfung lediglich eine »Übertragungsheilung« war – eine unvermittelte Heilung, die eintreten kann, da der Klient den Therapeuten oder die Methode idealisiert, die aber nicht immer vorhält. Diese Gedanken schob ich aber erst einmal beiseite und richtete den Fokus bei meiner zweiten Sitzung mit Petra darauf, was sie und ich noch tun könnten, bevor ich das Land am nächsten Tag wieder verlassen würde. Es wirkte so, als wolle sie alles geben und noch ganz viel machen, ermutigt von dem, was sie in nur einer Woche hatte erreichen können.

Als wir uns eine belastende Situation in ihrem Leben vornahmen, berichtete sie von einer Emotion der Angst in der Brustregion. Emotionen, die im Körper erlebbar werden, zeigen sich oft zuerst im Brustraum. Dass Petra von vornherein in der Lage war, die Angst dort zu spüren, war ein gutes Zeichen. Sie hatte offenbar eine größere Fähigkeit dazu entwickelt, körperlich angesichts eines schwierigen Gefühls nicht »dichtzumachen«. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Menschen in Eigenregie weitere Heilungsfortschritte erzielen und eine größere Kapazität dafür entwickeln, sich Emotionen auszusetzen, wenn sie erst einmal gelernt haben, mehr von ihrem Körper einzusetzen, um diese zu verarbeiten.

Man kann sich Emotionen als ein Urteil darüber vorstellen, wie sich die gegebene Situation auf das Wohlbefinden des gesamten Körpers auswirkt oder es beeinflusst.18 Das bedeutet: Je mehr sich die Auswirkungen einer Emotion über den Körper verteilen, desto einfacher ist es subjektiv, sie auszuhalten. Wir haben die Tendenz, physische und energetische Abwehrmechanismen wie etwa Blockaden einzusetzen, um Emotionen auf wenige Stellen im Körper zu beschränken – in der Hoffnung, sie eher bewältigen zu können. Wir alle greifen gar nicht so selten auf diese Entlastungsstrategie zurück – ein fehlgeleiteter Versuch, um eine leidvolle Erfahrung herumzukommen, die aber unumgänglich ist. Das ist angesichts der uns allen gemeinsamen Aversion gegenüber unangenehmen Erfahrungen nur allzu verständlich. Physische und energetische Abwehrmechanismen in Bezug auf Emotionen wie Kontraktion, ein niedriger Energiepegel oder Betäubung können die einzelnen Ströme stören (Durchblutung, Reizweiterleitung im Nervensystem, Transport der Lymphe und der interstitiellen oder interzellulären Flüssigkeit sowie Weiterleitung von elektromagnetischer und Quantenenergie), die für die Regulation von Gehirn und Körper und für das körperliche und seelische Wohlbefinden elementar wichtig sind. In diesem Zusammenhang verwende ich den Ausdruck »Expansion im Körper« in dem Sinne, auf eine Auflösung der besagten physischen und energetischen Abwehrmechanismen hinzuarbeiten, um so die ganzen lebenswichtigen Transportwege von einem Teil des Körpers zum nächsten zu verbessern sowie die Verteilung der emotionalen Erfahrungen über mehr Körperareal zu unterstützen. So können sie erträglicher werden, und es kann eine bessere Regulation im gesamten Gehirn und Körper erzielt werden, die psychophysiologische Symptome reduzieren hilft.

Als ich Petra beibrachte, wie sie mehr »Expansion« in ihrem Körper erreichte, um so die Angst auf ein größeres Areal zu verteilen, sich ihr auszusetzen und die damit verbundenen körperlichen Empfindungen an mehr Stellen in ihrem Körper zu tolerieren, wurde das subjektive Ausmaß der Angst sowie der psychophysiologischen Erregung außerordentlich hoch – so hoch, dass ich mich fragte, ob ich Petra vielleicht geholfen hatte, sich zu schnell zu sehr zu öffnen. Was in mir die große Sorge weckte, dass sie während oder nach der Sitzung dekompensieren oder zusammenbrechen könnte.

Jedenfalls verweilten wir – Petra, ich und ihr Onkel, der als Beobachter bei der Sitzung dabei war – dort lange, während bei Petra aus der Angst blanker Terror wurde. Das war eine Reaktion, die eindeutig in keinem rechten Verhältnis zu der Situation stand, mit der wir angefangen hatten. Ich trug Petra auf, ihre Aufmerksamkeit zweizuteilen zwischen dem, was in ihrem Körper vorging, und dem, was sie in ihrer Umgebung wahrnahm, um die subjektiv erlebte Intensität ihres Leidens zu reduzieren. Ich ließ sie Sätze aussprechen wie: »Mein Körper hat Angst; ich nicht«, um Achtsamkeit ins Spiel zu bringen. Ich interpretierte die Angst für sie, damit sie das Ganze eher einordnen und damit eindämmen konnte. Vielleicht sei es ja die Angst davor, zu sterben, die sie bald nach ihrer Geburt in Verbindung mit der angeborenen Schädigung und den Operationen erlebt hatte. Dieser Schritt sorgte für eine Verankerung im Kontext: Es handelte sich nicht um eine Angst vor etwas Unbekanntem in der Gegenwart (die schwerer in Schach zu halten wäre), sondern um eine Angstreaktion auf etwas in der Vergangenheit.

Vor allem jedoch blieb mein Fokus darauf ausgerichtet, auf die physiologische und psychologische Abwehr des von Petra erlebten Terrors einzuwirken, damit sie ihren Körper auf möglichst regulierte Weise ausdehnen könnte, um die Emotion möglichst weit in ihm zu verteilen (in den Rest des Brust- und Bauchraums, die Arme, die Beine, den Kopf, den Hals, die Wirbelsäule, die Vorder- und die Rückseite). Das war dazu gedacht, die bei der Entstehung und dem Erleben unangenehmer Emotionen wie etwa Angst inhärent vorhandenen physiologischen Stress- und Dysregulationszustände zu managen, ohne sie aber zu eliminieren. Es ging darum, Petra die Erfahrung zu ermöglichen, die Emotion als möglichst reguliert und aushaltbar erleben zu können.

Die Vorstellung, dass der Körper an Emotionen beteiligt ist, mag in den Ohren derer, die gelernt haben, dass nur das Gehirn zu emotionalen Erfahrungen beitrage, erst einmal merkwürdig klingen. Die Idee, dass der ganze Körper an einer emotionalen Erfahrung beteiligt sein könnte, mag selbst für Menschen, die die Rolle des Körpers in Bezug auf Emotionen gar nicht infrage stellen, merkwürdig klingen. Wie wir später in diesem Buch noch sehen werden, haben aktuelle Untersuchungen zu Emotionen ergeben, dass die Erfahrung von Emotionen nicht nur vom Gehirn abhängt, sondern darüber hinaus vom gesamten Körper und seiner Umgebung.19 Wenn wir uns mit der Vorstellung anfreunden können, dass der ganze Körper daran beteiligt sein kann, wie wir eine Emotion erleben, fällt es leicht, sich vorzustellen, inwiefern größere Areale des Körpers einzubeziehen, um die Emotion zu verarbeiten, ein Vorteil für uns sein könnte, auch wenn die wissenschaftliche Erklärung dafür vielleicht komplex ausfällt (wie wir in Teil II sehen werden).

Es war in der Tat eine schwierige und langwierige Sitzung für alle Beteiligten, verbunden mit einer Menge Ungewissheit im Hinblick darauf, ob sie für Petra hilfreich oder schädlich sein würde. Ich hatte damals noch nicht mein heutiges Vertrauen darin, dass diese Methode funktionieren würde. Auf gewisse Weise hatte ich keine Wahl. Ganz unvermittelt war da der heftige Leidensdruck, und ich musste Petra dabei unterstützen, ihn irgendwie zu bewältigen, um eine weitere Panikattacke zu vermeiden. Damals hatte ich nur die Theorien im Hinterkopf, die mich bestärkten. Die aus der Neurowissenschaft, die besagte, dass bei Emotionen potenziell der ganze Körper einbezogen ist. Die aus der intersubjektiven Psychoanalyse, die postuliert, dass zur Heilung eine größere Affekttoleranz gehört. Die aus der kognitiven Verhaltenstherapie, der zufolge Heilung mitunter erfordert, sich über längere Zeit intensivem Leiden auszusetzen. Die der jungschen Psychologie, dass Heilung damit verbunden sei, eine größere Fähigkeit darin zu entwickeln, Gegensätze auszuhalten. Und die aus der Östlichen Psychologie, aus deren Sicht die Fähigkeit, Gegensätze in unserem Körper zu tolerieren, eine Voraussetzung für Erleuchtung ist – das Höchste, was die menschliche Psyche in spiritueller Hinsicht erreichen kann. Rückblickend könnte man sagen, dass mir Behandlungen wie die von Petra gezeigt haben, dass die Fähigkeit dazu, sich unumgänglichem Leiden auf regulierte Weise auszusetzen (indem möglichst viel von unserem Körper dazu eingesetzt wird, es zu fassen), helfen kann, psychophysiologische Symptome auf überraschend effiziente Weise aufzulösen.

Der Zyklus, bei dem es zunächst um Angst und dann um Terror ging, war fast vierzig Minuten lang, doch dann beruhigte sich Petra schließlich. Erschöpft, aber erleichtert, klärte ich sie über alles auf, was wir in dieser zweiten Sitzung gerade zusätzlich unternommen hatten, um ihre Angst, ihren Stress und ihre Dysregulation zu bewältigen. Ich gab ihr die Anregung, diese Techniken auch weiterhin möglichst oft anzuwenden, um Stress oder andere Gefühle, sobald sie wieder auftauchten, besser in den Griff zu bekommen. Ich verwies Petra dann noch an eine Kollegin vor Ort für den Fall, dass sie Hilfe brauchte, und bat sie, mich über ihren Onkel über ihre Fortschritte auf dem Laufenden zu halten.

Wahrscheinlich noch aufgerüttelt von der Sitzung, nahm Petra die Kontaktdaten der Kollegin entgegen, obwohl ich später erfuhr, dass sie nie Gebrauch von ihnen machte. Ich reiste am nächsten Morgen ab, vielleicht nach ein, zwei Stoßgebeten. (Falls Sie es noch nicht wissen: Es gibt Belege für die Wirksamkeit von Gebeten, selbst bei der Krebsbehandlung.20 Forscher konnten eine höhere Remissionsrate unter Krebserkrankten feststellen, für die Menschen beteten, als es in Mitgliedern von Kontrollgruppen der Fall war, für die nicht gebetet wurde.)

Drei Monate später schickte mir Petras Onkel eine E-Mail mit sehr positiven Neuigkeiten über Petra, von denen er mir telefonisch berichten wollte. Außerordentlich neugierig und sehr erleichtert rief ich ihn, sobald ich konnte, zurück. Er hatte in der Tat eine sehr gute Nachricht: Petra hatte keine Panikattacken mehr – ein Symptom, das sie vierzehn Jahre lang begleitet hatte. Sie hatte die Kniffe, die sie während unserer Sitzungen gelernt hatte, dazu benutzt, eine Attacke zu verhindern, wenn sie das Gefühl hatte, wieder kurz davor zu sein. Sie fühlte sich, was ihr Leben anging, viel besser und positiver. Sie schlief nicht mehr so viel und hatte sogar angefangen, mit ihrem Vater Joggen zu gehen. Ich sagte ihrem Onkel, dass ich so froh sei, dass es uns gelungen war, einer jungen Frau zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen.

Das nächste Mal, dass ich Petra zu einer Sitzung wiedersah, war sechs Monate später, als ich zum zweiten und letzten Teil des Trainings erneut in den Niederlanden war. Es war Ende November und der Geist von Weihnachten war schon spürbar. Ich sah Petra während dieses Aufenthalts nur einmal. Diese Sitzung drehte sich größtenteils darum, herauszufinden, wie es ihr inzwischen ging, und sie noch einmal in den Skills zu bestärken, die sie in den früheren Sitzungen erworben hatte. Sie hatte große Veränderungen in ihrem Leben vorgenommen: Sie hatte ihren alten Job gekündigt und einen neuen gefunden, der ihr besser gefiel. Sie hatte auch weiterhin keine Panikattacken mehr und arbeitete mit ihrem Psychiater darauf hin, bis Ende Februar alle Medikamente abzusetzen. Ihr Psychiater, fasziniert von ihren Fortschritten, wollte wissen, welche »Übungen« ich ihr da beigebracht hatte, die eine so gute Wirkung gezeigt hatten. Am Ende der Sitzung äußerte Petra, sie wolle, dass ich ihre Geschichte anderen erzählen würde – und gab mir sogar die Erlaubnis, dabei ihren Namen anzugeben, damit auch andere von »der Methode« profitieren könnten. Ich war von der Aufrichtigkeit, Dankbarkeit und Großzügigkeit dieser bemerkenswerten jungen Frau sehr berührt.

Das nächste und letzte Mal, dass ich dann mit Petra sprach, war im Frühjahr des nächsten Jahres. Sie hatte sich über ihren Onkel an mich gewandt, da sie gerade eine schwierige Zeit durchmachte. Kurz zuvor war ihr Großvater gestorben. Ich befand mich gerade in den Vereinigten Staaten, also unterhielten wir uns am Telefon. Mittlerweile hatte Petra ihre gesamten Medikamente abgesetzt und war noch immer frei von den Panikattacken. Generell fühlte sie sich viel besser. Was sich für sie als schwierig gestaltete, war der Verlust ihres Großvaters, der immer ein ganz besonderer Mensch in ihrem Leben gewesen war. Ich sagte ihr, dass ein solcher Verlust in der Tat eine schmerzhafte Erfahrung sei. Die Heilung und Bewältigung einer solchen Erfahrung braucht Zeit, erklärte ich ihr, und wir brauchen Unterstützung von anderen, um so etwas durchzustehen. Sie könne jedoch das, was sie in Sachen Bewältigung ihrer Angst gelernt hatte, auch zur Bewältigung ihrer Trauer nutzen. Wir arbeiteten dann auch daran, wie sich die physiologischen Abwehrmechanismen auflösen ließen, etwa eine Enge, die angesichts unangenehmer Emotionen wie Traurigkeit leicht entstehen kann. Außerdem praktizierten wir Wege, die Trauer auf regulierte Weise von ihrer Brustregion zu ihrem restlichen Körper umzuverteilen, wobei wir wieder die simplen Tools Gewahrsein, Intention, Bewegung, Selbstberührung und Ausdrücken anwandten. Dieses Mal lernte sie auf einer bewussteren Ebene, wie sie darauf hinarbeiten konnte, eine unangenehme Emotion wie Trauer auf regulierte Weise umfassender zu verkörpern, und wie es dadurch erträglicher wurde, sich ihr für längere Zeit auszusetzen. Wir saßen eine Weile zusammen und teilten die Trauer miteinander.

Ich war schon im Begriff, die Sitzung zu beenden, um mich auf meinen nächsten Termin vorzubereiten, als Petra mich fragte, ob ich Zeit hätte, ihr noch bei etwas Weiterem zu helfen, was ihr aktuell Sorgen mache. Sie sagte, sie sei immer depressiv gewesen, aber jetzt hätte sie oft so viel Energie, dass sie nicht wüsste, wohin damit – eine Menge an Energie, die sie davor nur bei Panikattacken erlebt hatte. Ich erklärte ihr, dass die Energie des Körpers, wenn er nicht mehr symptomatisch ist und nicht mehr zum Schutz vor unerträglichen Erfahrungen wie Emotionen auf Sparflamme heruntergefahren ist, frei ist und für konstruktive und lebensbejahende Zwecke zur Verfügung steht. Ich fragte sie, ob ihr etwas einfiele, das sie in ihrem Leben erreichen könne und wofür sich ihre zusätzliche Energie nutzen ließe. Petra antwortete, es sei interessant, dass ich ihr diese Frage stellte. Sie überlege sich nämlich gerade, wieder an die Uni zurückzugehen, um dort ihr Examen zu machen. Ich ermutigte sie, das ruhig zu tun. Ich drängte sie sogar ein wenig in diese Richtung, indem ich sie wissen ließ, dass ihre alten Symptome zurückkehren könnten, wenn sie die neu gefundene Energie nicht konstruktiv nutzte.

Diese Telefonsitzung war das letzte Mal, dass Petra und ich zusammenarbeiteten. Ich schreibe »Petra und ich arbeiteten zusammen« statt »Ich arbeitete mit Petra«, da ich glaube, dass ihre Fortschritte mit ihrer Bereitschaft zu tun hatten, zu lernen, wie sie mehr von ihrem Körper als Container einsetzen könne, um mit überwältigenden emotionalen Erfahrungen, dem Stress und der Dysregulation in Verbindung hiermit umzugehen. Wie stolze Eltern habe ich über ihren Onkel ihre weiteren Schritte im Leben verfolgt: Sie hat einen Freund. Sie hat ihren College-Abschluss gemacht. Sie hat einen neuen Job. Sie hat eine eigene Wohnung. Sie und ihr Freund leben mittlerweile zusammen. Und das Letzte, was ich hörte – mittlerweile liegt es auch schon Jahre zurück – war, dass sich Petra und ihr Freund auf einem langen Motorradtrip durch ein asiatisches Land befänden. Es machte mich neugierig. War dieses Land vielleicht Indien, das Land meiner Vorfahren? Ich habe vor, es irgendwann noch herauszufinden.

Connie, der Stromschlag und die Migräne-Attacken

Connie, eine Frau Mitte vierzig, litt, solange sie denken konnte, immer wieder unter Migräne. Die Anfälle traten ein- oder sogar zweimal pro Woche auf. Manchmal waren sie so heftig, dass sich Connie in einem abgedunkelten Raum hinlegen musste, um sie abzumildern. Connie war Psychotherapeutin und nahm an einer Weiterbildung von mir in Dänemark teil. Das Assistenzteam trug mir zu, dass es Connie bei Übungssitzungen mit anderen schwerfiel, mit dem Weinen aufzuhören, was bei denen, die ihr zu helfen versuchten, ein Gefühl von Hilflosigkeit und Irritation erzeugte. Oder sie bekam nach der Übungssitzung eine Migräne-Attacke. Auf dem Blatt mit ihrer Einwilligung und freiwilligen Angaben zu ihrer Vorgeschichte, das sie abgegeben hatte, um sich für eine Demositzung zu melden, stand nicht viel zu ihrer Vorgeschichte, aber angesichts dessen, was ich über sie hörte, fragte ich mich, ob ich ihr irgendwie helfen könne.

Während der Trainings führe ich in der Regel mit jemandem aus der Gruppe eine Demositzung zu einem bestimmten Aspekt der Arbeit vor. Ich beantworte Fragen dazu, wie ich bei der Demositzung vorgegangen bin, und dann lasse ich die Teilnehmer*innen den demonstrierten Aspekt zu zweit oder zu dritt praktisch üben, unterstützt von jemandem aus dem Assistenzteam. Die Chance, mit Connie zu arbeiten, bot sich in einer Demositzung am zweiten oder dritten Tag des sechstägigen Trainings.