Verlieb dich in Paris - Marie Weißdorn - E-Book
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Verlieb dich in Paris E-Book

Marie Weißdorn

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Beschreibung

Auf den Spuren der Liebe könnte sie selbst ihr Herz verlieren …
Der charmante Liebesroman für Fans von Emily in Paris

Nach dem Tod ihrer Mutter kehrt die 29-jährige Jeanne nach Paris zurück. Mit Hilfe eines alten Tagebuchs möchte sie der Liebesgeschichte ihrer Eltern auf den Grund gehen. Sie besucht all die wunderschönen Orte, an denen ihre Mutter etwas Besonderes mit ihrem Vater erlebt hat. Sofort ist Jeanne verliebt in die Stadt und ihr neues Leben, doch immer wieder gerät sie auch mit ihrem neuen Chef Élian aneinander, der genauso griesgrämig wie attraktiv ist und Jeannes Liebe zu Paris überhaupt nicht verstehen kann.

Für Élian sind Ordnung und Arbeit die wichtigsten Dinge im Leben. Vor zwei Jahren hat er die Leitung der Agentur seines Vaters Paris Privée übernommen, die außergewöhliche Stadttouren in Paris organisiert. Doch Élian versteht schon lange nicht mehr, was man an Paris schön finden kann. Dass ausgerechnet Jeanne in sein Leben schneit und ihn mit ihrer Faszination ansteckt, hätte er niemals für möglich gehalten. Die beiden kommen sich näher und Élians Fassade beginnt zu bröckeln. Dabei verfällt er nicht nur Paris, sondern auch Jeanne immer mehr …

Jeder Band der Reihe ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.

Erste Leserstimmen
„Was für eine zuckersüße Liebesgeschichte! Zum Träumen schön …“
„Nach der Lektüre möchte man sofort nach Paris aufbrechen und sich verlieben!“
„Jeanne und Élian sind zwei ganz besondere Protagonisten, die man sofort ins Herz schließt.“
„Gegensätze ziehen sich eben an – eine wunderschöne Liebeskomödie!“

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Seitenzahl: 467

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Über dieses E-Book

Nach dem Tod ihrer Mutter kehrt die 29-jährige Jeanne nach Paris zurück. Mit Hilfe eines alten Tagebuchs möchte sie der Liebesgeschichte ihrer Eltern auf den Grund gehen. Sie besucht all die wunderschönen Orte, an denen ihre Mutter etwas Besonderes mit ihrem Vater erlebt hat. Sofort ist Jeanne verliebt in die Stadt und ihr neues Leben, doch immer wieder gerät sie auch mit ihrem neuen Chef Élian aneinander, der genauso griesgrämig wie attraktiv ist und Jeannes Liebe zu Paris überhaupt nicht verstehen kann.

Für Élian sind Ordnung und Arbeit die wichtigsten Dinge im Leben. Vor zwei Jahren hat er die Leitung der Agentur seines Vaters Paris Privée übernommen, die außergewöhliche Stadttouren in Paris organisiert. Doch Élian versteht schon lange nicht mehr, was man an Paris schön finden kann. Dass ausgerechnet Jeanne in sein Leben schneit und ihn mit ihrer Faszination ansteckt, hätte er niemals für möglich gehalten. Die beiden kommen sich näher und Élians Fassade beginnt zu bröckeln. Dabei verfällt er nicht nur Paris, sondern auch Jeanne immer mehr …

Jeder Band der Reihe ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Erstausgabe September 2021

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-855-4 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-202-6 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-866-0

Covergestaltung: ARTC.ore Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Aluna1 freepik.com: © drawlab, © freepik, © oigool, © termominal Lektorat: Claudia Wuttke

E-Book-Version 23.08.2023, 11:43:07.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Verlieb dich in Paris

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Verlieb dich in Paris
Marie Weißdorn
ISBN: 978-3-96817-866-0

Auf den Spuren der Liebe könnte sie selbst ihr Herz verlieren …Der charmante Liebesroman für Fans von Emily in Paris

Das Hörbuch wird gesprochen von Cornelia Waibel.
Mehr Infos hier

Für Saskia, 

weil du mich für die Liebe begeistert hast.

Prolog

„Maman, Maman, darf ich von deinem Kaffee probieren?“

Meine Mutter hob die Augenbrauen und schaute mich über die knallrote Tasse irritiert an. „Wie bitte?“

„Ja, bei Oma im Urlaub durfte ich probieren“, rief ich und nickte eifrig.

Lächelnd stellte sie die Tasse auf dem Frühstückstisch ab. „Ach ja. Kekse zum Abendbrot und Kaffee zum Frühstück für die Sechsjährige, so macht man das also bei deinen Großeltern in Deutschland?“ Maman lehnte sich auf ihrem wackligen Lieblingsstuhl vor und schüttelte den Kopf. „Na, Tims Mutter kann euch beiden nun mal nichts abschlagen. Hat dir der Kaffee denn geschmeckt, Jeanne?“

„Nee.“ Ich verzog das Gesicht. „Aber vielleicht ist der französische besser. So wie beim Brot.“

„Dein Vater würde es niemals zugeben, aber du hast absolut recht, ein gutes Baguette geht immer über Schwarzbrot“, stellte Maman fest und lachte.

Grinsend sprang ich auf und lief um den Tisch herum. Unser Geschirr stand noch darauf verteilt, wir waren gerade erst mit dem Frühstück fertig geworden. Es war die letzte Ferienwoche, da genossen wir zwei noch das Ausschlafen. Im Gegensatz zu Papa und meiner zwei Jahre älteren Schwester Elise, die waren schon vor Ewigkeiten aufgestanden. Elende Frühaufsteher.

Die alten Holzdielen knarrten unter meinen nackten Füßen. Ich liebte dieses Geräusch. Es klang nach Zuhause, und ich hatte es im Urlaub bei Oma in Hamburg vermisst. Wie jeden Sommer waren Maman, Papa, Elise und ich für einen Monat nach Hamburg gefahren. Die letzten zwei Wochen davon hatten unsere Eltern uns allein bei unseren Großeltern gelassen, um mal Zeit zu zweit zu genießen.

„Darf ich, darf ich?“, fragte ich aufgeregt und griff schon nach der Tasse.

„Achtung, der ist sehr …“

Hustend stellte ich sie wieder auf den Tisch und rang nach Luft.

„… heiß“, vervollständigte meine Mutter.

„Und eklig“, ergänzte ich unzufrieden. „Richtig eklig.“

„Das braucht nur ein paar Jahre, dann wirst du das anders sehen.“ Demonstrativ nahm Maman noch einen Schluck von dem schwarzen Zeug, während sie mir übers Haar strich. „Vielleicht solltest du einen schönen großen Becher schon mal vorsichtshalber auf die rechte Seite deines Bildes malen“, schlug sie mit einem vielsagenden Blick zu den auf dem ganzen Tisch verteilten Buntstiften vor. „Bei mir zumindest würde er da hingehören.“

„Nee“, wiederholte ich und verzog noch mal das Gesicht. „Wir sollen zuerst die Heute-Seite machen.“

Schnell kletterte ich wieder auf die Bank und zog das Blatt Papier zu mir ran. Dicht an den Rand hatte ich ein rotes Herz gemalt, das in der Mitte durch einen dicken Strich getrennt war. Alle von unserer Schule sollten auf der linken Seite malen, was sie jetzt im Herzen trugen, also was sie mochten und gernhatten. Auf die andere Seite kam, was sie im Herzen tragen wollten, wenn sie groß waren.

Elise hatte ihr Bild gestern schon fertig gemacht, aber als ich es mir angucken wollte, hatte sie es ganz schnell weggezogen. „Du bist unmöglich, Jeanne!“, hatte sie dabei gerufen. Unmöglich war ihr neues Lieblingswort. In den zwei Wochen bei Oma war sie mir damit richtig auf die Nerven gegangen. Wenn man etwas erst einmal unmöglich genannt hatte, wurde es das auch, hatte Maman mal gesagt.

Ich würde ihr meins einfach auch nicht zeigen. Bis sie heute Mittag mit Papa von ihrem Reitkurs zurückkam, wäre ich auf jeden Fall fertig!

„Also, was mag ich denn?“ Ich tippte mit dem Buntstift gegen meine Lippen und dachte genau nach. Hundert Sachen schossen mir in den Kopf. Eis. Schwimmen. Bücher, Geschichtenerzählen. Aber am wichtigsten waren nur drei Sachen.

„Sind wir das?“, fragte Maman und schenkte sich den ekligen Kaffee nach.

Ich nickte. „Ja, du, Papa, Elise, Oma und Opa. Und hier ist Franci“, erklärte ich und tippte auf meine beste Freundin.

„Und das da sind eindeutig der Eiffelturm und der Hamburger Fernsehturm.“

„Genau! Ich finde, das ist das Wichtigste. Ich liebe euch, ich liebe Franci und ich liebe Hamburg und Paris!“

„Das hast du schön gesagt. Da haben dein Vater und ich doch alles richtig gemacht, wenn du beide Länder gleich liebst.“

Ich nickte heftig. Maman hatte immer in Paris gewohnt, aber Papa kam aus Deutschland. Elise und ich sprachen mit ihm auch immer Deutsch, auch wenn wir in Paris wohnten und in Hamburg nur Urlaub machten. Mir fiel es schon gar nicht mehr auf, wie ich zwischen den Sprachen wechselte. Ich mochte beide.

„Dann fehlt ja jetzt nur noch die andere Seite. Also, Jeanne, was möchtest du denn in deinem Herzen tragen, wenn du groß bist?“

Ich runzelte die Stirn, während Maman schon mal die Teller zusammenstellte. „Ich weiß nicht. Wann heißt das denn eigentlich? Wann ist man groß, Maman?“

„Hm.“ Sie stand auf und trug die Teller zur Theke. „Das ist ganz unterschiedlich“, antwortete sie sanft. „Du bist dann groß, wenn du dich groß fühlst.“

„Hä?“

Maman lachte und schaute über die Schulter zu mir. „Wirklich groß zu sein, umfasst so viel. Es bedeutet, deinen Platz zu finden. Zu wissen, was du von dir selbst und von deinem Leben erwartest.“

„Also bin ich nicht groß, wenn ich erwachsen bin?“, fragte ich und kaute nachdenklich auf dem Bleistift.

„Nicht unbedingt. Nicht jeder Erwachsene ist groß, und nicht jeder Große ist erwachsen.“

Konzentriert nickte ich. Maman sagte oft so schöne, aber auch komplizierte Sachen.

„Wann warst du denn groß, Maman?“

Sie schaute aus dem Fenster in den großen Garten und lächelte. „Hm. Ich denke … da war ich fünfundzwanzig.“

Mit großen Augen öffnete ich den Mund. „So spät erst?“

„Ich habe meine Zeit gebraucht“, erwiderte sie. „Aber dann passiert es doch schneller, als du glaubst. Mit fünfundzwanzig habe ich euren Vater kennengelernt. Im selben Jahr ist er von Hamburg nach Paris gezogen und kurz darauf kam deine Schwester zur Welt.“ Sie hob die Schultern und ihre Augen strahlten glücklich. „Da hatte ich meinen Platz gefunden. Und ich wusste, dass ich nicht mehr vom Leben erwarten wollte. Ich habe alles, was ich mir wünschen kann.“

„Ja, und du bist die coolste Maman der Welt!“

„Danke, meine Süße.“

Ich kniete mich auf die Bank und schaute von meinem Bild zu Maman. Bis ich fünfundzwanzig war, dauerte es ja noch … ewig! Es völlig unmög…

Ich hielt die Luft an. Nein. Dieses Wort würde ich nicht denken. Nichts war unmöglich, ich konnte auch jetzt schon wissen, was ich später gernhaben wollte!

Aufgeregt schnappte ich mir den nächsten Stift.

„Na, ist dir eingefallen, was du später noch im Herzen tragen willst?“, fragte Maman.

Ich nickte und malte schnell weiter, während sie sich neben mich auf die Bank setzte und mir einen Arm um die Schulter legte. Ich kuschelte mich an sie, malte aber energisch weiter, bis ich schließlich triumphierend den Stift zurück auf den Tisch knallte.

„Dasselbe!“, rief ich grinsend, griff das Papier mit beiden Händen und hielt es ihr entgegen. „Ich will gar nichts ändern, Maman. Wenn ich groß bin, will ich dasselbe im Herzen haben wie heute: Hamburg und Paris, Franci, und vor allem Elise, Papa und dich.“

Maman lächelte. Sie drückte mir einen Kuss auf die Stirn, zog mich an sich und atmete tief an meiner Seite aus. „Das wirst du, Jeanne. Wir alle werden dich nie allein lassen. Ich werde immer bei dir sein und über dich wachen. In deinen Träumen, und auch ganz tief in deinem Herzen.“

Kapitel 1

„Entschuldigen Sie, junge Dame, würden Sie bitte weitergehen?“

„Einen Moment.“ Ich ging in die Knie, kniff die Augen zusammen und tippte auf den Bildschirm meines Handys, um ein Foto zu schießen.

„Einfach unmöglich“, murmelte die hinter mir stehende Frau, die sich heute Morgen mit mindestens einem Liter zu viel Duftwasser einparfümiert hatte.

Ich drehte mich in dem schmalen Gang zwischen den Sitzreihen um und nickte ihr betont ernst zu. „Das finde ich auch! Und unnötig noch dazu. Vielen Dank, dass Sie mir die Zeit gelassen haben, dieses völlig absurde Motiv aufzunehmen.“

Die ältere Dame blinzelte irritiert und öffnete den Mund, ohne einen Ton hervorzubringen. Ich lächelte ihr wohlwollend zu, wandte mich um und erlöste sie somit von der Verpflichtung, etwas Schlagfertiges zu erwidern.

Das leise Kribbeln der Aufregung flutete meine Venen, als ich auf den Fensterplatz der siebzehnten Reihe sank und einen Blick auf die Landebahn warf. Graue Wolken hingen über dem Flughafengebäude. Kein Sonnenstrahl drang hindurch, typisches deutsches Herbstwetter. Dort, wo mich dieses Flugzeug hinbringen würde, sollten es in den nächsten Tagen zumindest angenehme fünfzehn Grad sein.

Nervös spielte ich mit dem Handy in meiner Hand und betrachtete das gerade geschossene Foto. Darauf zu sehen waren die Sitzreihen mit den Ziffern Zwölf und Vierzehn. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Das würde einen schönen Artikel geben: Die arme Dreizehn. Wie der Aberglaube selbst die deutsche Bürokratie in die Knie zwingt. Walter, mein Redaktionschef beim Hamburger Kurier, würde begeistert sein.

„Madame, würden Sie bitte Ihre Tasche von meinem Sitz nehmen?“

Ich sah auf. Im Gang neben mir stand eine Blondine, die diese Bezeichnung mehr als verdient hatte. Wie oft musste man seine Haare wohl bleichen, damit sie so hell wurden? Und wen hatte sie bei der Verteilung der Gene bestochen, um diese Beine zu bekommen?

„Verzeihung. Natürlich.“ Schnell zog ich meine Handtasche vom Nebensitz. Normalerweise behielt ich meine Dinge bei mir. Ich war wohl doch etwas aufgeregter als gedacht.

„Es tut mir leid, das ist mein erster Flug seit fünfzehn Jahren. Ich bin ein bisschen durch den Wind“, setzte ich hinzu und wechselte automatisch ins Französische. Zumindest das hatte ich in all den Jahren nicht verlernt.

Blondie warf mir einen abschätzigen Blick zu und zog einen Laptop hervor. „Sie glauben gar nicht, wie egal mir das ist. Lassen Sie mich in Ruhe arbeiten, dann kommen wir beide gut gelaunt in Paris an, ja?“

Woa. Okay, darauf hatte auch ich keine schlagfertige Erwiderung. Gut, das war nicht richtig, mir spukte da eine Menge im Kopf herum – aber kein einziges dieser Worte sollte ich hier im Flugzeug in den Mund nehmen. Die Fluchtmöglichkeiten hielten sich in Grenzen und ich würde mein Ziel gern sowohl in einem Stück als auch ohne Eintrag ins Strafregister erreichen. Also blieb nur eine Möglichkeit: verachtender Hochmut.

„Liebend gern“, erwiderte ich zuckersüß. Ich kramte in meiner Handtasche nach den Kopfhörern und verabschiedete mich von der schönen Vorstellung, schon auf dem Weg nach Frankreich eine nette französische Kellnerin oder einen heißen Immobilienmakler kennenzulernen. Beides hätte mir den Flug versüßt, aber nein …

„Meine Damen und Herren, wir begrüßen Sie an Bord dieses Fluges von Hamburg nach Paris Charles de Gaulle. Die Flugzeit beträgt etwa anderthalb Stunden, über die genaue Ankunftszeit halten wir Sie auf dem Laufenden. Die Sicherheitseinweisung …“

Ich unterdrückte ein Seufzen und verfolgte die Gesten der Flugbegleiterin zur Erklärung der Computerstimme so aufmerksam wie möglich. Zumindest, bis mein Handy vibrierte. Zwei Nachrichten. Eine war schon vor zehn Minuten eingegangen.

F. Martinez: Bis gleich, Jeanne! Ich bin die mit dem großen pinken Schild. Kannst mich nicht übersehen! Bisous, Franci

Ich wünschte wirklich, ich könnte das für einen Scherz halten. Wir hatten uns fünfzehn Jahre lang nicht gesehen, aber schon die wenigen Nachrichten, die wir seit gestern ausgetauscht hatten, bewiesen mir, dass es eine gute Idee gewesen war, sie anzurufen. Nicht jeder würde nach all den Jahren Funkstille auf die kurze Nachricht: Ich fliege morgen nach Paris. Kann ich erst mal bei dir wohnen? mit einem begeisterten Oh mein Gott, oh mein Gott, ja! antworten.

Pinkes Schild, wiederholte ich in Gedanken. Das würde es einfacher machen. Ich hatte zwar aktuelle Fotos von Francesca gesehen, aber man wusste ja nie.

Kopfschüttelnd öffnete ich die zweite Nachricht.

E. Vogt: Guten Flug, Schwesterchen. Iss ein paar Eclairs für mich mit, meld dich zwischendurch und wage es ja nicht, nie wieder zurückzukommen!

Zum Glück hatte Elise noch ein Herzchen hinter diese Nachricht gesetzt. Ich würde ihr durchaus zutrauen, der Drohung ernsthafte Konsequenzen folgen zu lassen, aber das hier sollte ja nur eine kurze Auszeit sein. Zwei Wochen. Vielleicht drei oder vier, mal schauen, was sich so ergab.

Seufzend warf ich noch einen Blick auf die drei verpassten Anrufe meines Vaters, schluckte die Bitterkeit hinunter und schaltete den Flugmodus an. Das Flugzeug setzte sich in Bewegung und langsam zog der graue Asphalt der Landebahn an mir vorbei. Es dämmerte. Bei der Landung in Paris wäre es bereits dunkel. Ich schloss die Augen und lauschte auf mein vor Aufregung wild schlagendes Herz.

Heute ließ ich nicht nur Deutschland hinter mir, sondern auch mein bisheriges Leben. Alles würde anders werden. Alles würde … größer werden. Vielleicht auch ich selbst.

***

„Jeanne! Jeanne, ich bin hier! Jeanne!“

Franci hätte sich sowohl das laute Rufen als auch das wilde Hüpfen sparen können, das pinke Schild war auffällig genug. Schwindelerregend schnell wirbelte sie es über ihrem Kopf umher, als könnte ich aus jeder beliebigen Richtung und nicht nur durch diese eine Schiebetür kommen.

„Franci? Franci, wo bist du denn nur?“ Ich stellte den Koffer ab, schirmte meine Augen mit der Hand ab und sah bemüht ernst von rechts nach links. „Ich seh dich einfach nicht. Wo …“

Im nächsten Moment wurde ich in eine wilde Umarmung gerissen und Francis durchdringendes Kreischen brachte meine Ohren zum Klingen.

„Oh mein Gott, du bist es wirklich! Du bist hier! Einfach so!“

„Ja, und wenn du noch länger was von mir haben willst, solltest du …“

„Pardon.“ Grinsend ließ Franci von mir ab und pustete sich eine Strähne des gerade geschnittenen, dunkelbraunen Ponys aus der Stirn. „Ich kann’s einfach nicht glauben. Also, dass du das wirklich durchgezogen hast. Die Geschichte will ich unbedingt hören! Ein Ich musste mal raus zählt hier in Paris nicht.“

„Schon verstanden.“ Ich bückte mich und hob das Schild vom Boden auf, das Franci bei ihrer Begrüßung hatte fallen lassen. Jeanne stand darauf, und das in silberner Glitzerfarbe. Der Schlenker des Js war zu einem kleinen Herzchen geformt.

„Hab ich extra für dich machen lassen. Heute Morgen, im Büro“, erklärte Franci und hakte sich bei mir unter. „Mein Chef hat vielleicht komisch geguckt. Allein das war’s wert. Abgesehen davon, dass es natürlich der Hammer ist.“

„Oh ja. Ich liebe es.“ Ich klemmte mir das Schild unter den Arm, griff nach dem Koffer und ließ mich von Franci Richtung Rolltreppe ziehen.

„Perfekt, dann hängen wir es zu Hause gleich über dein Bett.“

„Ich habe ein eigenes Bett?“

„Möchtest du lieber auf dem Boden schlafen? Lässt sich auch machen.“

Ich lachte, folgte Franci auf die Rolltreppe und hievte den Koffer neben mich. Ich war sonst eher der Sporttaschen-Typ, das große Ding hatte ich mir von meiner Schwester borgen müssen. „Gott, nein. Aber ich hätte eher mit der Couch gerechnet.“

Wohnungen in Paris waren schließlich nicht billig. Wobei, wenn ich mir Franci so ansah – der hellblaue Mantel fühlte sich schwer und teuer an, an der Seite der Sonnenbrille glänzte ein goldener Markenname und die Stiefel … diese Stiefel!

„Francesca, Francesca. Ich hoffe doch, dass du dir dieses Geld hart erarbeitest und nicht erschläfst?“

Meine Freundin zwinkerte mir zu. „Ertappt. Aber keine Sorge, die Wände sind dick, du wirst meine drei reichen Liebhaber nicht hören.“

Stumm schickte ich ein dickes Dankeschön zum Himmel. Bei meinem Umzug nach Deutschland war ich vierzehn und sie fünfzehn Jahre alt gewesen, und trotzdem hatte ich Franci ohne zu zögern angerufen – ohne mir Gedanken darüber zu machen, dass es komisch werden könnte, mich nach all der Zeit bei ihr einzunisten. Diese Bedenken waren mir erst mit denen meiner Schwester gekommen. Aber nein, es fühlte sich jetzt schon fantastisch an und würde fantastisch bleiben. Genau wie früher, als noch alles in Ordnung gewesen war …

„Ich kann dir auch einen besorgen“, fügte Franci hinzu. Sie spitzte verschwörerisch die Lippen, als würde sie in Gedanken schon die Kandidaten durchgehen. „Bist du mehr für die zu haben, die dich erst noch ausführen, oder willst du gleich die anderen …“

„Guter Scherz, aber lass mal, ich will meine Zeit in Paris nicht mit Männern verplempern.“

„Eine löbliche Einstellung. Wie lange willst du denn bleiben?“

„Das weiß ich noch nicht so genau“, gab ich ausweichend zurück. „Wie du dir vielleicht schon gedacht hast, ist die ganze Sache hier … sagen wir mal … spontan entstanden.“

Franci nickte. „Klar. Spontan, also komplett ohne Plan?“

Ich seufzte und folgte Franci durch die völlig überfüllten Gänge des Flughafens. „Mir gefällt spontan besser.“

„Okay, dann bleiben wir dabei. Sag einfach Bescheid, wenn du mehr erzählen willst.“

Erleichtert nickte ich. Genau das brauchte ich jetzt: ein paar Tage, ohne über Deutschland zu reden oder auch nur daran zu denken. „Danke.“

Franci hielt auf eine Glastür zu und führte mich nach draußen. Es war tatsächlich schon dunkel und windig. Ich zog mir meine Jacke enger um die Schultern.

„Ich bin heute eine super liebe Gastgeberin und spendiere uns ein Taxi zurück, der Zug ist Sonntagabend immer so voll“, verkündete Franci und hielt auf den Taxenstand zu.

„Wow, du lässt es dir aber gut gehen“, bemerkte ich grinsend, folgte ihr jedoch bereitwillig. Der RER brauchte eine Dreiviertelstunde allein ins Pariser Zentrum und … Gott, ich hatte nicht mal eine Ahnung, wo Franci inzwischen wohnte.

„Hey, ich genieße meinen Luxus wohldosiert, aber wenn, dann in vollen Zügen. Außerdem müsstest du dir auch noch ein Ticket besorgen und dazu hab ich herzlich wenig Lust. Bonsoir“, wandte sie sich freundlich an den Taxifahrer, der bereits ausgestiegen war. Er nahm mir den schweren Koffer aus der Hand und verstaute ihn im Kofferraum. Das wundervolle Schild nahm ich sicherheitshalber mit nach vorn und legte es mit meiner Handtasche auf den mittleren Platz.

„Zum Place de la République, bitte“, sagte Francesca, kaum dass der Fahrer ebenfalls saß.

„Da wohnst du?“, fragte ich sicherheitshalber nach. Der Fahrer lenkte das Taxi vom Flughafengelände direkt auf die Autobahn.

„Ja.“ Franci lächelte glücklich. „Weißt du noch, wie wir früher immer am Kanal Saint-Martin saßen? Bis dahin sind es von mir zu Fuß nur noch ein paar Minuten.“

„Wow!“ Meine Überraschung tat mir fast ein wenig leid. „Bei der Lage hast du entweder einen sehr großzügigen Chef, oder einer deiner Liebhaber hat gute Kontakte.“

„Weder das eine noch das andere, aber Letzteres steht auf meiner Wunschliste“, erwiderte Franci augenverdrehend und zerstrubbelte ihren Pony. „Nur, um dich gleich auf mein ewiges Jammern vorzubereiten: mein Chef ist ein überarbeiteter Arsch und ich bin sozusagen seine rechte Hand. Ich muss seine schlechte Laune also meistens abpuffern. Aber ich hab ihn gut im Griff. Solange er oft genug glaubt, dass er die guten Ideen hatte, ist er auszuhalten.“

„Das hört sich nach einem erstklassigen Idioten an. Aber wie ist er dann Chef von was auch immer geworden, wenn es letztlich deine guten Ideen sind?“

„Ich finde es wunderbar, dass du ihn solidarisch mithasst. Das hab ich vermisst.“ Franci lachte und drückte mir ein Küsschen auf die Wange. „Ich arbeite bei Paris Privée. Wir bieten besondere Stadt- und Themenführungen in Paris an.“

„Das heißt, du bist … Stadtführerin?“

„Um Gottes willen, nein.“ Entsetzt schüttelte Francesca den Kopf. „Ich schlage mich doch nicht mit Touristengruppen rum, die kein Wort Französisch sprechen. Vom Arbeitsbereich her mache ich eigentlich die Programmleitung. Ich entwickle Konzepte für neue Touren. Klingt simpel, ist es nicht. Man muss immer etwas finden, das es so noch nicht gibt und das die Leute anspricht. Das macht es spannend: das Einzigartige und Besondere zu finden“, erzählte sie lächelnd. Das Funkeln in ihren Augen zeigte mir, dass sie ihren Job wirklich liebte.

„Das klingt wunderbar. Schön, dass du etwas gefunden hast, das zu dir passt.“

„Absolut. Und wie sieht’s bei dir aus? Was hast du aus deinem Leben gemacht?“

„Ich bin Journalistin“, antwortete ich. „Bei einer Hamburger Zeitung.“

„Das klingt auch nicht schlecht. Ich erinnere mich noch gut an deine ständige Sensationslust bei der Schülerzeitung.“

Ich lachte. „Ja, es ist schon schön, mit meinen wirren Gedanken Geld zu verdienen. Außerdem kann ich dabei immer noch ein bisschen rumreisen und es wird nicht langweilig. Ich hab sogar zwei Jahre in London gelebt und …“

Ein schrilles Klingeln unterbrach mich.

„Oh, verdammt. Da muss ich kurz rangehen“, murmelte Francesca nach einem Blick auf ihr Handy und hob das Gerät ans Ohr. Dabei stach mir der klobige Silberring ins Auge, den sie am rechten Mittelfinger trug und der gar nicht in ihr sonst so elegantes Erscheinungsbild passen wollte. Kurz hörte sie zu, dann schoss ein Schwall spanischer Worte über ihre Lippen.

Eine Weile betrachtete ich sie nachdenklich. Francesca Martinez war ein Jahr älter als ich, musste in diesem Jahr also ihren dreißigsten Geburtstag gefeiert haben. Sie war genauso schlank und sportlich wie zu unserer Schulzeit und entsprach trotz ihrer spanischen Wurzeln dem Bild einer modernen, modebewussten Französin. Zum Glück hatte sie nichts von ihrem Biss verloren.

Ich lehnte mich zurück und sah aus dem Fenster. Die leichte Vibration des Wagens, die leisen Klänge des Radios und die vorbeiziehenden Lichter hüllten mich ein wie ein Mantel der Ruhe. Gerade hatte ich auf Francescas Seite noch weite Felder gesehen, nun zogen neben der Autobahn bloß dichte Häuserblocks und hell erleuchtete Wohnhäuser vorbei. Ich hatte fast vergessen, wie riesig Paris war. Ich … hatte vieles vergessen. Und vielleicht war dies der einzige Ort, an dem ich mich wieder erinnern konnte.

Der Anblick des nächtlichen Paris nahm mich so sehr gefangen, dass ich ebenso überrascht aufschreckte wie Francesca, als das Taxi am Rande eines großen Platzes hielt. Mit einem letzten, energisch klingenden Satz beendete Francesca das Gespräch, stieß tief einen Schwall Luft aus und warf mir einen entschuldigenden Blick zu.

„Tut mir total leid, meine Mutter kommt einfach nie zum Ende“, murmelte sie und hielt dem Fahrer einige Scheine hin. „Schönen Abend noch.“

Der Fahrer lächelte uns zu und betätigte einen Knopf, um den Kofferraum zu öffnen. „Ihnen auch, Mesdames.“

Franci stieg aus, ging um den Wagen herum und hob meinen Koffer heraus, ich war völlig gefangen von dem sich mir bietenden Anblick. Die Sonne war längst untergegangen, doch der Place de la République war hell erleuchtet und sprühte nur so vor Leben. Unzählige Laternen umgaben ihn und wiesen Dutzenden redenden und lachenden Menschen den Weg in die umliegenden Straßen. Im Zentrum des Platzes ragte eine riesige, bronzene Frauenstatue in die Höhe, ein Wahrzeichen der Französischen Republik. Für mich war sie eher ein Wegweiser zurück in meiner Kindheit, als ich mit Francesca jede Woche hierhergefahren war, um am nahegelegenen Kanal zu picknicken, zu quatschen, unseren ersten Wein zu trinken oder der ersten Verliebtheit nachzuhängen. Die für Paris typischen, teils verspielten, teils monumentalen Gebäude der Belle Époque mit den hellen Fassaden und dunklen Balkongittern fassten den gesamten Platz ein wie eine unüberwindbare Mauer. Als ich das letzte Mal hier war, herrschte hier reger Autoverkehr, jetzt aber erkannte ich stattdessen ein Café mit Wasserspielen neben der Statue, dazu viele Bänke und Stufen. Die zahlreichen Bäume trugen ein herbstliches Kleid und rahmten das Bild eines friedlichen Abends in dieser lebendigen Stadt harmonisch ein.

„Vor ein paar Jahren haben sie hier alles umgebaut“, erklärte Francesca. „Die Straße um die Statue herum weggenommen und so. Seitdem sind hier noch mehr Menschen unterwegs, aber ein bisschen leiser ist es trotzdem.“

„Es sieht nett aus“, erwiderte ich leise. Hier hätte ich als Jugendliche auch gern ein paar schöne Tage verbracht.

„Oh ja, hier gibt es auch erstklassigen Crème. Aber jetzt komm, ich habe Hunger.“

Francesca winkte mich in eine der Seitenstraßen. Die Gebäude zu beiden Seiten waren so hoch, dass bei Tag kaum Licht in die schmalen Schluchten fallen konnte. Dennoch wirkte die Gasse dank der hellen Steine und der unzähligen Fenster freundlich und elegant. Wir überquerten eine größere Straße, gingen an einem süßen Eckcafé und mehreren herrlich duftenden Patisserien vorbei – wie hatte ich die französischen Backwaren doch vermisst! – und erreichten schließlich einen weiteren Platz.

„Schau, hier links ist schon der Kanal.“ Francesca lotste mich über einen Zebrastreifen und deutete auf das kleine Grünstück zu ihrer Linken. „Durch die Büsche sieht man das Wasser hier noch nicht, aber ich zeig es dir morgen. Wir sind auch gleich da.“

Die Straße stieg leicht an und führte uns noch an einer Art altem Theater und einer Apotheke vorbei, bis Francesca links abbog und vor der ersten Tür auf der rechten Seite stehen blieb. Staunend sog ich all die verschiedenen Eindrücke in mich auf.

„Ich hoffe, deine Fenster gehen zur Straße hin? Dann hast du auf jeden Fall immer etwas Interessantes zu beobachten“, stellte ich fest. Im Erdgeschoss dieses Hauses war eine Buchhandlung, in deren Schaufenster allerlei bunte Cover die Blicke der Passanten auf sich zogen. Jetzt waren all die Menschen, die in den verschiedenen Bars und Restaurants den Sonntagabend genossen, eindeutig das interessantere Programm.

„Aber klar“, gab Francesca zurück und drehte den Schlüssel im Schloss. „Das ist besser als Fernsehen beim morgendlichen Kaffee.“ Sie hielt mir die Tür auf und rief den Fahrstuhl. Dieser hielt im zweiten Stock und entließ uns in einen kurzen Flur mit vier Türen. Francesca öffnete die zweite auf der rechten Seite. „Willkommen, willkommen. Fühl dich ganz wie zu Hause.“

Ich staunte nicht schlecht, als ich durch den Flur in den Salon kam. Neben einem cremefarbenen Sofa mit Kuschelkissen dominierten vier riesige Fenster den gewaltigen Wohnbereich und machten sowohl Lampen als auch den Fernseher überflüssig. Bloß die edlen, abstrakten Bilder an den Wänden stahlen ihnen fast die Show.

„Wow.“ Ich nickte anerkennend und streifte Schuhe und Jacke ab. „Ein Traum von einer Wohnung.“

Francesca war schon auf dem Weg zur bordeauxroten Küchenzeile. Dabei zog sie sich den klobigen Ring vom Finger und legte ihn auf die Anrichte. „Danke sehr. Ich sterbe vor Hunger, der Flughafen ist viel zu weit außerhalb. Warum ist noch niemand auf die Idee gekommen, eine Landebahn auf den Champs-Elysées zu bauen?“

Ich grinste. „Na ja, ich war lange nicht mehr hier, aber auf den Champs-Elysées fahren doch … Autos?“

„Die kriegen einen Tunnel.“

„Und dann willst du beim Lärm der startenden Flugzeuge noch shoppen gehen?“

„Ach Jeanne, sei nicht so pessimistisch und lass mir meinen Wunsch vom ruhigen Flughafen nebenan. Was hältst du davon, wenn du schon mal auspackst und ich zaubere uns in der Zeit was Leckeres? Du musst dich ja schnell wieder an die französischen Essenszeiten gewöhnen.“

Da hatte sie recht. Hier würde man mich nur irritiert ansehen, wenn ich um sieben Uhr ein paar Scheiben Brot essen würde. „Alles klar, mein Magen kriegt das schon hin.“

„Das will ich doch hoffen. Dein Zimmer ist das erste links. Hetz dich nicht, gutes Essen …“

„… braucht seine Zeit, das weiß ich noch“, ergänzte ich grinsend und rollte meinen Koffer zu der einzigen weiteren Tür neben dem Sofa.

„Hach, Jeanne! Du hast mir sogar damals schon zugehört. Was will ich eigentlich mit den Kerlen, vielleicht reichst du mir schon.“

„Vielleicht? Gib mir ein paar Wochen und ich verstehe dich besser, als jeder reiche Kerl es je könnte.“

„Damit hast du höchstwahrscheinlich recht“, murmelte Francesca seufzend. „Bis gleich, Jeanne. Ich freu mich wirklich, dass du hier bist.“

„Ich mich auch, Franci.“

Vorsichtig schloss ich die Tür hinter mir und kam in einen schmalen Flur. Ich öffnete die erste Tür links und rollte meinen Koffer hinein. Das Zimmer war deutlich kleiner als der Wohnbereich und normalerweise wohl Francis Büro. In der hinteren rechten Ecke prangte ein von Papierstapeln und Ordnern bedeckter Schreibtisch und an der Wand daneben hingen drei überladene Pinnwände nebeneinander.

Ich stellte den Koffer unter die Pinnwände, lehnte das Schild mit meinem Namen daneben und sank auf das weiße Bett. Die Bettdecke war mit bunten Blumen bestickt und fühlte sich wunderbar weich an, aber schlafen könnte ich jetzt trotz der langen Reise sicher nicht.

Ich zog die Beine auf die Decke und mein Handy aus der Handtasche. Tief Luft holend schaltete ich den Flugmodus aus und wartete, bis das Vibrieren nachließ. Zwei weitere verpasste Anrufe, ein neuer Kloß in meinem Hals. Schnell klickte ich auf die letzte Nachricht meiner Schwester Elise und antwortete.

J. Vogt: Bin gut angekommen, melde mich natürlich! Hab dich lieb.

Dann legte ich das Handy auf den Nachttisch und lehnte den Kopf an die Wand.

Eine Weile saß ich stumm da und betrachtete Francis Pinnwände. Ich erkannte nicht viel, dafür waren die Bilder und Texte zu klein, aber aufstehen wollte ich nicht. Es fühlte sich gut an, hier zu sitzen. Still, reglos, entspannt, den Blick auf Francis Ideen gerichtet. Auf ihre Ideen von Paris.

Irgendwann wanderten meine Finger wie von selbst erneut zu dem Druckknopf meiner Tasche. Ich tastete hinein und zog ein altes, kleines Buch hervor. Der Einband war einmal schlicht schwarz gewesen, bevor jemand einen weißen Eiffelturm darauf gemalt hatte.

Ich war nicht sicher, was ich mir davon versprach, nach Paris zurückzukehren. In jene Stadt, in der meine Mutter ihr ganzes Leben verbracht hatte. In der meine Eltern sich kennen und lieben gelernt hatten, in der ich selbst geboren war und bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr gewohnt hatte.

Nachdenklich strich ich über den Einband und fühlte tief in mich hinein.

Ich werde immer bei dir sein und über dich wachen. In deinen Träumen, und auch ganz tief in deinem Herzen, flüsterte eine undeutliche Stimme in meinen Gedanken. Eine Stimme ohne Klang. Eine Stimme, die ich vergessen hatte.

Vielleicht war dies der Grund, warum ich zurückgekommen war. Weil ich meine Träume erkunden wollte wie die meiner Mutter. Weil ich mich an sie erinnern wollte.

Und vielleicht war ich auch hier, weil ich glaubte, inzwischen groß zu sein – aber meinen Platz im Leben noch nicht gefunden zu haben.

Kapitel 2

Als Élian Dupont am Montagmorgen die Augen aufschlug, war es sieben Minuten vor fünf. Zwei Minuten vor seinem Wecker. Wie jeden Tag.

Er tastete auf dem Nachttisch nach dem Gerät und stellte es aus, bevor es die wunderbare Stille durchbrechen konnte. Dann schwang er die Beine aus dem Bett.

Im Dunkeln durchquerte er das Schlafzimmer und griff wahllos eines der schwarzen Laufshirts aus dem deckenhohen Schrank, zog es wie die Sporthose über und schnürte die Schuhe. Kurz darauf betrat er den Wohnbereich der großzügig geschnittenen Wohnung. Kein Sonnenstrahl fiel durch die bodentiefen Fenster, nicht einmal das Licht der Straßenlaternen drang bis in den fünften Stock des Altbaus. Kurz blieb Élian in der Stille des Morgens stehen und holte tief Luft. Gott, wie er diese Zeit genoss.

Um Punkt fünf trat er mit dem Handy in der Halterung am rechten Oberarm und einer Wasserflasche in der Hand aus dem Haus und zog die knallrote Tür ins Schloss. Er wandte sich nach rechts und lief los.

Bis zum Ende der Straße passierte er bereits sechs Cafés und zwei Restaurants. Der Fluch der zentralen Lage im zweiten Arrondissement. Glücklicherweise hatte um diese Zeit alles noch – oder gerade wieder – geschlossen, und selbst am Wochenende war die Lautstärke erträglich. Vor allem, weil die Massen der Touristen lieber direkt an der Seine saßen. Warum auch immer.

Sobald er die breiteren Straßen erreichte, kamen ihm auch die ersten Menschen entgegen. Manchen davon begegnete er fast immer, wenn er sich mit Lucas zum Joggen traf. Hätte er die Wahl, würde er jeden Morgen laufen und nicht bloß dreimal die Woche, aber leider argumentierte sein bester Freund immer mit „Du kannst nicht jede Nacht nur fünf Stunden schlafen“, und dagegen konnte nicht einmal er etwas sagen.

An der Statue des Sonnenkönigs auf halbem Weg zu ihrem Treffpunkt beschleunigte Élian und hielt den Blick stur geradeaus gerichtet, während seine Gedanken endlich verstummten. Ja, er würde nur zu gern jeden Tag laufen gehen, jeden Tag eine Stunde lang abschalten, jeden Tag kurz wirklich für sich sein. Hätte der Tag nur dreißig Stunden.

Auch als er den Nordflügel des Louvre-Palastes erreichte, sah er sich nicht um. Er kannte den Anblick allzu gut, den hellen, von detailreichen Verzierungen und eindrucksvollen Statuen geschmückten Stein, die hohen Fenster dazwischen. Er begriff schon lange nicht mehr, was all die Menschen daran fanden.

Mit langen Schritten lief er durch einen der Steinbögen in den Innenhof. Das weltberühmte Museum lag zu seiner Linken, kaum hundert Meter von ihm entfernt ragte die Spitze der Pyramide aus dem Boden. Élian lief daran vorbei und auf eine kleinere Version des ach so berühmten Arc de Triomphe zu. Davor wartete eine dunkel gekleidete Gestalt auf ihn.

„Guten Morgen, Sonnenschein“, begrüßte Lucas ihn wie immer. Allerdings grinste er ihn dabei nicht so breit an wie sonst. Das war ungewöhnlich.

„Gut wird er erst, wenn ich dich lang genug durch den Park gejagt habe.“

„Schon klar.“

Élian stellte seine Wasserflasche neben die seines Freundes an den Torbogen und lockerte kurz die Schultern. Lucas tat es ihm gleich, bevor sie den Bogen nebeneinander durchquerten und langsam in den Jardin des Tuileries joggten. Seine Fitnessuhr zeigte ihm seinen ruhigen Puls und dass sie gut in der Zeit lagen. Er würde seine übliche Strecke schaffen, um Punkt sechs zurück zu seiner Wohnung laufen und um sieben im Büro sein. Anderthalb Stunden vor seinen Mitarbeitern. Wie immer.

„Was hat Julie angestellt?“, fragte er, sobald sie die erste Runde schweigend hinter sich gebracht hatten.

Lucas schnaubte. „Sieht man es mir sofort an, wenn meine kleine Schwester Scheiße baut?“

„Ja.“ Seit dreißig Jahren las er Lucas jeden Ärger von den Augen ab. Abgesehen davon redete er beim Sport zwar weniger, aber ansonsten glich er Élians schweigsame Art mehr als aus. Dass er eine ganze Runde lang nichts sagte, war Zeichen genug und da er seit Jahren keine feste Freundin hatte, war seine kleine Schwester meist der Grund für seine schlechte Laune. In diesem Punkt waren sie beide sich sehr ähnlich.

„Sie ist jetzt verlobt, Mann“, presste Lucas zwischen den Zähnen hervor.

„Oh.“

„Ja, oh!“ Kleine Schweißtropfen flogen aus Lucas’ blondem Haar, als er vehement den Kopf schüttelte. „Sie kennt diesen Typen kaum und er ist ein totaler Idiot. Ein Brite, Élian. Was will sie mit ihm? Sie ist erst sechsundzwanzig und sie sind kein halbes Jahr zusammen!“

Leider wussten sie beide, dass das für Lucas’ Schwester kein Argument war. Julie war schon immer sehr … spontan gewesen. Genau deshalb verstand sie sich vermutlich so blendend mit Élians Schwester Louanne. Das war für die Brüder schon zu Schulzeiten eher beängstigend als amüsant gewesen. Wäre Julies Verlobter allerdings ein ernstzunehmendes Problem, hätte Louanne das längst vor ihm fallen lassen. Sie hatte einen Riecher für die Erfolgschancen einer Beziehung. Zumindest bei anderen.

„Ein halbes Jahr ist bei Julie doch schon ganz ordentlich“, gab er zu bedenken. „Und du hast dich nicht so sehr über diesen Typen aufgeregt wie über den letzten.“

„Wow. Danke sehr. Sollte das mich glücklich machen?“

„Das hab ich nicht gesagt. Aber eine Verlobung heißt doch noch nichts.“

„Mhm.“

„Rede ihr nur nicht rein. Du weißt, dass das nichts bringt.“

„Nicht reinreden, wenn sie ihr Leben wegwirft? Ich rede ihr schon nicht rein, wenn sie jeden Scheiß für unsere Eltern macht. Die ihren neuen Kerl übrigens nur nach Julies Erzählungen genauso phänomenal finden wie alle Idioten davor, mit denen sie keine drei Monate geschafft hat, obwohl er sich in den sechs Monaten noch kein einziges Mal hierher nach Paris bequemt hat. Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“ Lucas funkelte ihn vorwurfsvoll an, dann wurde sein Blick düster. „Warte erst mal, bis Louanne dir ihren ach so tollen Ring zeigt, dann nehm ich dir deine Panik auch nicht ab.“

Erst umspielte ein Lächeln Élians Mundwinkeln – Lucas musste sich immer erst einmal aufregen, bis er vernünftig an eine Sache ranging –, aber dann stellte er sich diese Szene wirklich vor und ihm wurde ganz anders. Shit, wenn Julie seine Schwester auf dumme Gedanken brachte …

Wie aufs Stichwort vibrierte das Handy an seinem Arm. Er zog es aus der Halterung und warf nur einen flüchtigen Blick auf das Display. Um diese Zeit würde ihn nur eine Person anrufen.

„Guten Morgen, großer Bruder. Na, bei der wievielten Runde bist du?“, begrüßte Louanne ihn fröhlich.

„Gerade in der zweiten. Hast du mir so viel zu erzählen, dass du extra früh aufstehst, um meine gesamte Laufzeit auszunutzen?“, gab er zurück und gestattete sich ein Lächeln. Louanne kannte seine stets zu vollen Arbeitstage und stellte sich tatsächlich regelmäßig einen früheren Wecker, um ihn aus dem Bett heraus noch beim Joggen zu erwischen, das war immerhin die einzig logische Lösung. Heute klang sie allerdings ziemlich wach.

„Nein, ich brauch nur zwei Minuten. Aber du könntest mir erzählen, wie verzweifelt Lucas ist. Das würde mich bestimmt zum Lachen bringen.“

Da sie natürlich längst von der Verlobung wusste und noch nicht Alarm geschlagen hatte, schien Julies Kerl wirklich nicht allzu übel zu sein. Élian schielte zu seinem Freund, aber der starrte stur auf den Sandweg vor ihnen.

„Danke, ich verzichte.“

„Schade, aber akzeptabel, wenn er neben dir läuft. Vielleicht erzählst du mir beim Mittagessen mehr? Wir haben uns ewig nicht gesehen.“

In Louannes Zeitrechnung fiel eine Woche schon unter „ewig“, also widersprach er nicht. „Für ein Mittagessen musst du dich früher melden, Lou“, murmelte er und ging in Gedanken seinen Terminkalender durch. „Wie wäre es mit einem Kaffee um 11 Uhr?“

„Na gut. Ich werde dich auch nicht ewig aufhalten.“

„Also gibt es keinen speziellen Anlass?“, fragte er nur zur Sicherheit nach. Louanne war auch schon mehr als „ewig“ mit ihrem aktuellen Freund zusammen und er hätte gern das Gegenteil behauptet, aber er mochte ihn nicht. Pierre war nicht gut genug für sie. Er arbeitete zu viel, war zu sehr auf die Karriere fixiert, immer gestresst und unentspannt. Das brauchte keine Frau. Deshalb war Élian auch Single.

„Nein“, antwortete Louanne und lachte leise. „Nein, kein Anlass. Ich vermisse nur meinen großen Bruder. Wie immer, ja? Wir sehen uns!“

Es piepte in seinem Ohr und die Verbindung brach ab. Stirnrunzelnd betrachtete Élian das schwarze Display. Das war gar nicht gut. So früh am Morgen lachte seine Schwester nicht, das war gegen ihre Natur.

„Oh, oh. Sehe ich da Panik in deinen Augen?“ Vielsagend grinste Lucas zu ihm rüber.

„Ich habe Louannes aktuellen Idioten zumindest schon kennengelernt.“

„Jaja. Trampel nur noch weiter auf mir rum, das bin ich ja gewohnt“, murmelte Lucas feindselig. „Früher konnten wir die beiden noch für den anderen aushorchen. Was gäbe ich dafür, wenn das heute noch funktionieren würde.“

Élian steckte das Handy wieder in die Halterung an seinem Arm. „Damals haben sie bei der Wahl ihrer Freunde auch noch was auf unsere Meinung gegeben.“

„Was haben wir nur falsch gemacht, dass sie das heute nicht mehr tun?“

Élian wusste genau, dass er in seinem Leben eine Menge falsch gemacht hatte, aber in Bezug auf Lou gehörte nichts dazu. Er hatte alles ihm nur Mögliche getan, um sie von jeder Schwierigkeit und jeder Enttäuschung fernzuhalten. Heute waren sie und Lucas alles, was ihm neben der Arbeit noch wichtig war.

„Ich verspreche dir, wenn sie den Typen heiratet und er dann wirklich noch ein Arschloch ist, schlag ich ihn mit dir zusammen wie früher. Klingt das fair?“

Lucas lachte auf. „Ich bin nicht sicher, ob ich dich beim Wort nehmen will.“

„Da sind wir schon zwei.“

In stummem Einverständnis nickten sie sich zu, dann zog Lucas seine Kopfhörer aus der Tasche. Er lief gern zu schneller Musik. Élian hingegen passte sein Tempo dem seines Freundes an und genoss die Stille des frühen Morgens. Ein Hauch von Ruhe vor einem weiteren stressigen Tag.

Kapitel 3

Guten Morgen, Dornröschen! Hier hast du deinen eigenen Schlüssel. Jacques wird dich auf die gute Weise wecken, die besten Croissants gibt’s in der Bäckerei direkt gegenüber. Bin so gegen 18 Uhr wieder da, wenn der Chef es nicht versaut. Was er tun wird, also sagen wir 19 Uhr. Genieß die Sonne! Bisous, Franci

Lächelnd legte ich den Zettel wieder auf die Küchentheke und steckte den daneben liegenden Schlüssel ein. Mit dem dicken, pinken Herz-Anhänger passte er kaum in meine Jeanstasche, aber so würde ich ihn zumindest immer gut finden. Das war allgemein nicht so meine Stärke.

Kurz darauf hatte ich dank eines weiteren Zettels den lieben Jacques gefunden: Es war Francis weiße Kaffeemaschine. Ich liebte sie ein bisschen dafür, dass sie ihren technischen Geräten auch noch Namen gab. Unsere Handys waren früher immer Geschwister: Lotta und Lotti.

Ich nahm eine goldene Tasse aus dem Schrank und erweckte Jacques zum Leben. Der Duft der bitteren Bohnen umhüllte mich wohltuend, als sie durch das Mahlwerk liefen und von Milchschaum gekrönt wurden. Mit der Tasse in der Hand zog ich einen der Stühle vom Tisch vor die breiten Fenster, setzte mich und betrachtete die Straße. Die Sonne stand schon über den Dächern und bot mir einen fantastischen Blick auf das geschäftige Treiben. Ich erkannte eine schwatzende Gruppe älterer Damen vor der Bäckerei, die Franci in ihrer Nachricht erwähnt hatte. Ein paar Geschäftsmänner eilten auf die nahe Metrostation zu, eine Frau führte gleich drei Hunde spazieren. Ich konnte mich an dem städtischen Treiben kaum sattsehen.

Seufzend umschloss ich die warme Tasse mit beiden Händen. Die Stille hier in der Wohnung tat mir gut. Ich spürte, dass zumindest ein Teil meiner Sorgen in Deutschland geblieben war. Mein Chef war darauf eingestellt, dass mein nächster Artikel vorläufig mein letzter sein würde. Meine Schwester erwartete nur ein paar Lebenszeichen, meine Freunde wussten Bescheid, dass ich mir eine Auszeit nahm. Ich würde das Internet meiden, SMS schrieb außer Elise eh niemand mehr.

Ich stellte die Tasse auf die Fensterbank, legte meine Füße in den dicken Socken daneben und zog das kleine Buch aus meiner Hosentasche. Etliche Risse prägten den schwarzen Ledereinband. Die Ecken standen leicht ab und der darauf gemalte weiße Eifelturm verlor so langsam an Kontur, doch der Inhalt hatte in all den Jahren keinen Schaden genommen. Ich hatte es erst seit zwei Tagen, aber ich war mir sicher, dass Maman es sehr lange immer bei sich getragen hatte.

Zum gefühlt hundertsten Mal schlug ich die erste Seite auf und betrachtete ihre schnörkelige Handschrift. Meine Sommer-Erinnerungen stand dort in blauen Großbuchstaben, das Wort Sommer war mit einem roten Stift nachträglich eingeklammert worden. Die Jahreszahl dahinter hatte einen Regentropfen abbekommen und war verschmiert. Erst als ich die ersten Einträge gelesen hatte, hatte ich wirklich verstanden, was ich da vor den Flammen gerettet hatte. In diesem Sommer hatten meine Eltern sich kennengelernt.

Jeanne, du verstehst das nicht! Gib mir das Buch!

Nein, ich lasse nicht zu, dass du sie wegwirfst!

Kopfschüttelnd verdrängte ich die Erinnerung an das Geschrei und den Brandgeruch von vor zwei Tagen. Der Abend des vierten September hätte ein fröhlicher werden sollen, wie immer in den letzten fünfzehn Jahren. Traurig überschattet, aber erfüllt von schönen Erinnerungen. So hätte Maman es gewollt. Normalerweise weinten meine Schwester und ich in dieser Nacht leise zusammen am Lagerfeuer. Diesmal war ich allein weinend aus dem Garten geflüchtet, hatte mich zu Hause verbarrikadiert – und einen Flug nach Paris gebucht.

Seufzend zog ich mein Handy hervor, drehte mich um und machte ein Selfie mit dem grandiosen Ausblick im Hintergrund. Das perfekte Lebenszeichen mit Pariser Flair. Ich schickte es per Mail an meine Schwester, ignorierte alle anderen Nachrichten und stand auf. Die Stille wurde mir zu laut. Ich musste raus.

Schnell packte ich mein Handy, Portemonnaie, Mamans Buch und einen Notizblock in meine Handtasche. Zwei Minuten später zog ich die Wohnungstür hinter mir zu und machte mich auf den Weg.

Franci hatte recht: die Croissants in der Bäckerei waren klasse und die Geschmacksexplosion vertrieb die traurigen Bilder aus meinem Kopf. Schmunzelnd fragte ich mich, wie Franci in dieser Gegend bitte ihre Figur behielt … und beschloss, dass ich irgendwie Urlaub hatte. Ab jetzt würde ich jeden Tag mindestens ein Schokocroissant essen und die deutschen danach zutiefst verabscheuen. Das war es so was von wert.

Zufrieden bog ich wahllos in die nächste Gasse ab und sog die herbstliche Atmosphäre in mich auf. Es war Montagmorgen, etwa halb zehn, die Straßen und Cafés waren vergleichsweise leer. Ich schlenderte den mit buntem Laub bedeckten Bürgersteig entlang, an den Schaufenstern der kleinen Läden vorbei und versuchte mich daran zu erinnern, wo ich schon mal gewesen war. Doch da kam nichts. Fünfzehn Jahre waren eben eine verdammt lange Zeit. Nur der Kanal Saint-Martin mit den vielen schmalen Brücken blitzte deutlich vor meinem inneren Auge auf. Dort waren wir so oft mit der ganzen Familie langspaziert, und sobald unsere Eltern uns allein mit der Metro hatten fahren lassen, waren Franci und ich dauernd dort gewesen. Ich würde mich auf eine der Bänke setzen, das zweite Schokocroissant essen und meinen Morgen genießen. Ganz ruhig, ganz friedlich, bevor ich die Stadt weiter erkunden würde.

Ich war gerade wieder in der Nähe der Hauptstraße, als mein Handy klingelte. Ich stellte mich schon darauf ein, das eine Gesicht auf dem Display zu sehen, das ich gerade am liebsten blockiert hätte, aber nein. Franci grinste mir entgegen. Hatte sie Zeit zum Telefonieren, bei dem, was sie von ihrem Chef erzählt hatte?

Schulterzuckend drückte ich auf das Symbol mit dem grünen Hörer. „Bonjour Franci, was …“

„Jeanne, du musst mich retten!“

Irritiert blieb ich stehen. „Ähm … okay? Ich teile gern mein Herz mit dir. Oder reicht dir etwas Blut?“

„Mir reicht dein hübsches, zweisprachiges Köpfchen. Wo bist du?“

Ich hörte ein weiteres Telefon klingeln und dann irgendjemanden laut rufen. Offensichtlich war sie noch im Büro. „Ich bin auf dem Weg zum Kanal. Wenn …“

„Perfekt, vergiss den Kanal und geh zur Metro“, fiel sie mir erneut ins Wort. „Nimm die Linie 11 bis zum Hôtel de Ville, da hol ich dich in genau sieben Minuten ab!“

Ich hatte gerade den Mund zu einer Nachfrage geöffnet, da piepte es schon in der Leitung und Franci war weg.

Langsam ließ ich das Handy sinken. Was sagte man dazu? Und meine Schwester behauptete immer, ich sei das pure Chaos.

Aber ich war ja eine gute Freundin. Also dachte ich nicht weiter darüber nach, warum ich sie jetzt retten musste, und suchte die nächste Metrostation. Die mir bleibenden sechs Minuten reichten auf keinen Fall, um mir noch eine Monatskarte zu besorgen, also zog ich mit meinem letzten Kleingeld ein Einzelticket und suchte noch mal volle zwei Minuten nach der richtigen Rolltreppe zur Linie elf. Ich hatte ganz vergessen, wie riesig manche Metrostationen in Paris waren. Dagegen konnte die U-Bahn in Hamburg einpacken.

Vier Minuten später stieg ich am Rathaus aus. Auf gut Glück nahm ich gleich die erste der nach draußen führenden Treppen, warf hastig einen Blick auf die Uhr und …

„Jeanne, da bist du ja!“

Eilig drängte sich Franci durch die Menge der Touristen auf dem Rathausplatz hindurch. Das Wasserspiel, das die beiden Metroeingänge verband, tanzte fröhlich auf und ab und der noch warme Herbstwind trug einen Schleier kühler Tropfen zu mir herüber. Nach dem Gerenne war das genau das Richtige. Ich hätte gern noch länger im Schatten des palastähnlichen, imposanten Rathauses mit den unzähligen Fenstern und alten Statuen gestanden, aber da war Franci schon bei mir und drückte mir schnell zwei Küsschen auf die Wange. Ein gehetzter Ausdruck lag in ihren Augen.

„Du bist jetzt offiziell mein geschäftliches Meeting“, verkündete sie und hakte sich bei mir unter. „Komm mit, ich brauche Kaffee.“

„Franci, warte doch mal! Gott, bist du hektisch.“

„Nur außerhalb meiner Wohnung“, murmelte meine Freundin und zog mich über den Rathausplatz. Ihre Beine waren deutlich länger als meine und ich musste fast rennen, um mit ihr mitzuhalten.

„Hey, ich war jahrelang nicht mehr hier! Renn nicht so, ich will mich zumindest kurz umsehen …“

„Umsehen kannst du dich in einer Dreiviertelstunde.“ Franci beschleunigte noch einmal und überquerte die Straße. Ich verkniff mir weitere Fragen und erkannte überrascht, dass wir direkt auf die Seine zuliefen. Wir müssten nur noch geradeaus über die Straße gehen und könnten auf den Fluss hinabsehen, aber Franci hielt direkt an der Straßenecke. Noch bevor ich den Namen des Cafés gelesen hatte, setzte sie sich an den erstbesten runden Tisch direkt am Bürgersteig und winkte dem Kellner.

Stirnrunzelnd setzte ich mich auf das rote Kissen des Korbstuhls neben ihr und musterte sie. Heute trug sie einen pastellrosafarbenen Mantel mit goldenen Knöpfen zu braunen, hohen Lederstiefeln und einem hellgrauen Strickkleid. Deutlich schicker als ich in der Jeans und den gemütlichen Stiefeletten. Allerdings waren ihre Haare durcheinander, der Pony hing ihr wirr in die Stirn und sie drehte unruhig an dem riesigen Ring an ihrer rechten Hand.

„Franci, was ist denn los?“, fragte ich besorgt. „Du siehst aus, als hätte dich jemand durch die halbe Stadt gejagt.“

„Keine Garantie, dass das nicht noch passiert“, murmelte sie und bestellte beim Kellner zwei Crème. Der Begriff Latte Macchiato war den Franzosen einfach zu italienisch. Dann umfasste sie meine Hände und zog sie auf die Tischplatte. „Danke, dass du hier bist, Jeanne. Es tut mir wirklich leid, dass ich dich so hektisch herbestelle, aber mein Morgen war die Hölle und nur du kannst verhindern, dass der Rest der Woche genauso wird.“

„Wow. Das klingt dramatisch.“

Franci lachte freudlos auf. „Ja, irgendwie ist es das auch. Also, hier die Sensation des Tages: unsere Übersetzerin Camille hat sich heute Morgen krankgemeldet. Pfeiffersches Drüsenfieber.“ Sie stützte die Ellbogen auf und vergrub die Finger in den Haaren, während der Kellner die Tassen vor uns abstellte. Franci redete einfach weiter. „Ich wusste nicht mal, dass es das noch gibt. Sie fällt für Wochen aus! Und das gerade jetzt, da all unsere Partner auf das Frühlingsprogramm warten und wir für den nächsten Sommer so viel Neues vorhaben. Es ist, als wollte das Schicksal meine Karriere ruinieren! Bitte, Jeanne.“ Mit einem leidenden Flehen in den Augen griff sie in ihre Umhängetasche, zog einen Laptop hervor und klappte ihn vor uns auf. „Bitte übersetz mir das hier. Ins Deutsche. Und Englisch kannst du doch auch super, oder? Du hast gestern erwähnt, dass du in London gelebt hast?“

Überrumpelt von den vielen neuen Informationen musterte ich das bereits geöffnete Schreibprogramm. Eine große Tabelle prangte dort. Ich scrollte nach unten und überflog die drei nicht allzu langen französischen Texte, offensichtlich die Kurzbeschreibungen verschiedener Stadt- und Erlebnistouren, die im nächsten Frühling anlaufen sollten. In der zweiten Spalte waren diese Texte bereits ins Spanische übersetzt, vermutlich von Franci selbst, unter den Überschriften Deutsch und Englisch prangten je drei rote Ausrufezeichen.

„Ähm, klar. Kein Problem. Bis wann brauchst du das?“

Franci seufzte erleichtert auf und griff nach ihrem Kaffee. „Sagen wir, in 40 Minuten? Ich ziehe hier gerade meine Mittagspause vor und mein Chef merkt es jedes Mal, wenn irgendjemand auch nur eine Minute zu spät wiederkommt.“

Grinsend gönnte ich mir ebenfalls einen Schluck Koffein, nickte und löschte die Ausrufezeichen. „Okay. Auf geht’s.“

„Ich liebe dich, Jeanne. Wenn es mal drauf ankommt, gehört mein halbes Herz dir.“

„Dann hab ich ja fürs Alter vorgesorgt.“

Seufzend lehnte Franci sich zurück und schloss die Augen, während ich ein Stück um den Tisch herumrutschte, damit die Sonne nicht mehr direkt auf das Display schien, und zu tippen begann. Das Übersetzen fiel mir nicht schwer, ich hatte lange in London gearbeitet und Deutsch war nun mal meine zweite Muttersprache. Franci regte sich nicht und genoss die ruhigen Minuten sichtlich. Genau wie ich, wohlgemerkt. Es war trotz des Herbstwindes recht warm, um mich herum schnatterten Dutzende Stimmen melodisches Französisch und wenn ich genau hinhörte, säuselte das Rauschen der Seine in meinen Ohren. Ich mochte Cafés mitten in der Stadt. Auch wenn ich nicht wissen wollte, was man hier für einen Kaffee zahlte.

„Warum wäre ohne diese Texte deine ganze Woche scheiße?“, fragte ich, während ich zum letzten Text überging.

Meine Freundin öffnete ein Auge und verdrehte es stilecht. „Hatte ich erwähnt, dass mein Chef sehr gern durchdreht? Wobei das nicht das richtige Wort ist. Er ist nicht wütend. Er ist enttäuscht. Und zwar so richtig, dass du innerlich weinst und ihn nicht mal mehr ansehen kannst. Wenn jemand eine Minute zu spät kommt, macht er halt fünf Minuten länger. Aber wenn man eine Frist nicht halten kann, ist das purer Horror. Es ist, als würde immer nur eine schlechte Nachricht fehlen, damit er diesen … diesen Blick bekommt.“ Sie schüttelte sich. „Dieser Blick saugt jede Freude und jede Selbstsicherheit aus dir raus.“

„Sogar aus dir?“, fragte ich und runzelte ungläubig die Stirn, als sie nickte.

„Sogar aus mir. Nicht, dass ich ihm das zeigen würde. Aber er ist schlimmer als meine Mutter.“

Oh, wow. Bei dem spanischen Temperament in Francescas Familie hieß das durchaus etwas.

„Entschuldigung, ich hätte gern noch ein Thunfisch-Sandwich“, rief Franci dem Kellner zu, setzte sich seufzend wieder auf und rührte in ihrem Kaffee. „Na ja, jedenfalls bin ich die Verantwortliche für den Kontakt mit unseren Partnern im Ausland. Ich mache nicht alles selbst, koordiniere aber die verschiedenen Mitarbeiter. Das Frühlingsprogramm muss dringend weitergeleitet werden. Heute Abend sollte ich eigentlich die gesamte erste Hälfte noch wegschicken, die Camille schon bis letzten Donnerstag übersetzt haben sollte! Aber nun werden sich unsere Partner erst einmal mit einem Viertel begnügen müssen, dazu hast du gerade die letzten Texte vor dir. Oh Gott … Wenn mein Chef das mitbekommt, findet er bestimmt auch eine Erklärung dafür, dass ich schuld an Camilles Krankheit bin. Das sagt er natürlich nicht laut, aber ich wiederhole: dieser Blick … Er sucht schon nach einem Ersatz für sie, aber in dieser Woche wird das eh nichts mehr und … Gott!“ Wieder raufte sie sich die Haare und leerte den Kaffee in einem Zug. „Danach wird es nicht besser. Die zweite Hälfte des Programms hätte Camille bis Freitag abgeben sollen, bis Mittwoch brauche ich sie allerspätestens. Sie hat einen kleinen Sohn und deshalb öfter mal zu spät abgegeben. Ich hab da im letzten Jahr echt beide Augen zugedrückt und das immer schon eingeplant, meistens war die kleine Verzögerung überhaupt kein Problem. Aber jetzt … und die Neue muss ich dann auch erst anlernen und bei meinem Glück bekommen wir eine Zicke und dann kommt nur noch mehr Stress!“

„Franci, mach dich nicht verrückt“, unterbrach ich sie und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Niemand würde es wagen, dich anzuzicken. Abgesehen davon kann dein Chef dich doch nicht wirklich leiden lassen, nur weil jemand krank wird?“