Vermögen für alle - Beat Kappeler - E-Book

Vermögen für alle E-Book

Beat Kappeler

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Beschreibung

Die Gesellschaft spaltet sich in jene, die hohe Vermögen haben und immer mehr Reichtum anhäufen können, und in jene ohne Vermögen, die trotz grosser Anstrengungen kaum auf einen grünen Zweig kommen. Diese Entwicklung beunruhigt sowohl Verfechter der Markt- und Eigentumgesellschaft als auch ihre Kritiker. Nach seinem Erfolgsbuch Der Superstaat knöpft sich Beat Kappeler dieses Problem vor. Weshalb ballen sich Vermögen? Wer sabotiert die bessere Verteilung? Und was ist dagegen zu tun?Das Buch untersucht die ökonomischen und gesellschaftlichen Ursachen für die Zweiteilung der Menschen in Besitzende und Nicht-Besitzende. Es analysiert, wie die finanziellen Abläufe – Geldmenge, Aktien, Kreditwesen und anderes – die Verteilung beeinflussen. Kappeler seziert die «Finanzialisierung», also den zunehmenden Trend, ohne reale Güterproduktion nur mit Finanzinstrumenten Kapital zu akkumulieren. Ohne Scheu vor Tabubrüchen zeigt er, wie solche Instrumente gerade zur besseren Vermögensverteilung eingesetzt werden können oder auch, wie Unternehmen mit Formen der Mitarbeiterbeteiligung besser auf die Teilhabe aller hinwirken können. Anstelle einer einzigen, grossen Lösung klären sich so vielfältige Chancen der Vermögensstreuung, die eigentlich vor der Türe liegen.

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Seitenzahl: 156

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Beat Kappeler

Vermögen für alle

Wer die bessere Verteilung hemmt,und wie wir sie erreichen

NZZ Libro

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2022 (ISBN 978-3-907396-03-2)

© 2022 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

Umschlag: Janet Levrel, Leipzig

Gestaltung, Satz: 3w+p, Rimpar

Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

ISBN Druckausgabe 978-3-907396-03-2

ISBN E-Book 978-3-907396-04-9

www.nzz-libro.ch

NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.

Inhalt

1 Konsumieren oder investieren?

Die Vermögen in Zahlen – Wie aussagekräftig sind Statistiken?

Die Gesellschaft lässt sich verändern

Selbstsorge statt Fürsorge

Personelle und funktionelle Verteilung

Primär- und Sekundärverteilung

Positionelle Güter

2 Warum sich das Vermögen konzentrierte

Die Finanzialisierung der Werte

Die Vorteile der Aktie

Die Nachteile der Aktie

Teilreserve-Banken und ihre Kreditkunden

Finanzialisierung und Konzentration

Der Kreislauf der Vermögensverteilung

Piketty und die Vermögenskonzentration: ein ehernes Gesetz?

Einflüsse der Informationstechnik

Oligopole und Marktmacht

Der Anteil der Globalisierung

3 Wie eine bessere Verteilung sabotiert wird

Finanzspritzen für die Volkswirtschaft schaffen Ungleichheit

Cantillon der Seher, Law der Sünder

Notenbanken als Garanten der Kreditvermögen

Die Kreditwirtschaft seit dem New Deal

Der wachsende Staatsanteil

Der fiskalische Keil

Das Regulierungskorsett

Die Rolle der Gewerkschaften

Effektivität von Besteuerungen

4 Wege zur Eigentümergesellschaft

Eine Firma im Besitz ihrer Angestellten: John Lewis

Partnerfirmen

Liquidation – was bleibt?

Die «Voucher-Privatisierung» nach 1989

Eine Volkswirtschaft aus Partnerschaften

Firmen ohne Finanzialisierung

Genossenschaften – Finanzialisierung an der Kette

Stiftungen als Unternehmen

Die neuen App-Firmen

5 Eine Alternative: die Aktie entschleunigen

Alte und neue Anlagewelten

Rappaport

Der Staat stabilisiert und panzert das Aktiensystem

Wenn die Aktionäre haften, werden sie umsichtig

Periodischer Börsenhandel, wie mit Wechseln in Piacenza seinerzeit

Eingebundene Aktionäre

Eingebundene Boni-Empfänger

6 Finanzialisierung für alle

Täter, nicht Geschützte

Tokens: Vermögensrevolution auf Blockchains

Individuelle Mitarbeiteraktien

Die amerikanischen ESOPs

Weitere Modelle der Mitarbeiterbeteiligung

Staatliche Förderungen

Mitarbeiteraktionäre via Pensionskassen

Gewinnbeteiligung via Barauszahlung

Vermögensanteile der Mitarbeiter in Europa

Iversen/Soskice: Demokratie und Wohlstand

Programme für die «working poor»

Die radikalen Lösungen des Robert J. Shiller

7 Modelle staatlicher Umverteilung

Souveräne Fonds

Die progressive Konsumsteuer (Progressive Income Tax)

«Birth endowment» – der Baby-Scheck

Sekundärverteilung durch Steuern

Wohneigentum

Die allgemeine Bodensteuer (Henry George)

Unzeitgemässe Überlegungen zum Vermögenserhalt

Schluss in sieben Punkten

Anmerkungen

Über den Autor

1 Konsumieren oder investieren?

Anfang 2022 macht Jeff Bezos Schlagzeilen: Damit seine neue Jacht aus der Werft auslaufen kann, soll eine historische Brücke in Rotterdam abgebaut werden. Die Arroganz des Vermögenden lässt sich kaum eindrücklicher aufzeigen. Genau dies ist das Bild, das viele sich machen: Reiche Leute trinken Champagner, wohnen in Villen mit Pool, fliegen im Privatjet und vergnügen sich auf ihrer Jacht.

Im gleichen Jahr 2022 stiegen die Energiepreise derartig, dass Millionen Haushalte in Not gerieten – sie konnten auf kein Vermögen zurückgreifen. Schon der laufende Konsum war ein Problem.

Das scheinen eindrückliche Belege der Vermögenskonzentration zu sein. Dennoch hat man es hier nur mit den Folgen der Vermögenslage zu tun: mit Konsum in seiner Variante des Luxus einerseits und in der Variante täglicher Sorge andererseits. Das wirkliche Vermögen, das sind Maschinenhallen, Dienstleistungsfirmen, Patente, Transportflotten, Netze. Die Netzfirma Amazon ist Vermögen, die Jacht des Jeff Bezos ist Zugabe.

Diese realen Kapitalien sind Produktionsmittel, die Werte schaffen helfen, die wiederum Einkommen verschaffen. Der Konsum dagegen gibt diese Einkommen aus, verschwenderisch oder vorsichtig. Wer wenig verdient, gibt das meiste im Konsum aus, wer viel Einkommen hat, spart einiges davon, investiert in neue Anlagen, sichert sich neues Vermögen und daraus weitere Einkommen.

Damit argumentiert dieses Buch: Findet man Wege für die weniger Vermögenden, ebenfalls etwas anzusparen, um Vermögen neben dem Konsum zu bilden, dann verteilt sich das Vermögen des Landes besser. Was kümmern uns also die Reichen mit ihren Villen, Pools, Privatjets und Jachten! Das ist das Ende der Kette. Der Anfang sind Vermögenswerte, Produktionsstätten, Firmen. Wir befassen uns hier mit dem Wesentlichen – dem Vermögen, an dem die Mehrheit Anteil hat, dem Vermögen der einfachen Leute, der Arbeitenden.

Die Vermögen in Zahlen – Wie aussagekräftig sind Statistiken?

Dass Vermögen nicht gleich verteilt sind, ist eine Binsenwahrheit. Besitzen aber die oft geschmähten reichsten 0,01 Prozent der Bevölkerung tatsächlich die halbe Welt und ist dieser Trend unaufhaltsam? Statistiken können eine gewisse Vorstellung von Verteilung und Entwicklung geben, doch mit Statistiken kann man vieles beweisen. Im Internet finden sie sich in reicher Auswahl, die Leserinnen und Leser mögen sich dort umsehen. Wir lassen hier die blosse Zahlenhuberei und sichten stattdessen die Arten, wie man Vermögenskonzentrationen darstellt.

Da wäre der von dem italienischen Statistiker Corrado Gini entwickelte Gini-Koeffizient, der auf 1 geht, wenn einer alles besitzt, und der 0 beträgt, wenn das Vermögen gleich verteilt ist. Die Spanne aller Darstellungen geht also nur von 0 bis 1 und ist wenig anschaulich. So hatte erwartungsgemäss im Jahr 2020 Russland mit einer der höchsten Vermögenskonzentrationen die Zahl 0,879, die USA 0,852, Deutschland 0,816, die Schweiz 0,702. Die Bedeutung dieser Zahlen ist aber schwer verständlich. Immerhin erscheinen die Vermögensverteilungen verschiedener Länder in einer engen Spanne von 0,7 bis 0,87. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Die Haushalte mit wenig Vermögen bilden sozusagen eine Reserve für die bessere Vermögensstreuung. Da sollte und da kann etwas geschehen. Dazu soll dieses Buch beitragen.1

Besser vorstellen kann man sich Verhältniszahlen, etwa wie viele Anteile am Gesamtvermögen die obersten 10 Prozent (siehe Grafik) oder die untersten 20 Prozent besitzen. Optisch dargestellt wird dieses prozentuale Verhältnis zwischen Volkseinkommen und Einkommensempfangenden oft durch die Lorenz-Kurve.

Durchschnittswerte sind nicht sehr aussagekräftig. Der Median zeigt die Mitte der Vermögensverteilung, wenn darunter und darüber gleich viele Vermögensträger vorkommen. Der Mittelwert wiederum, also alle Vermögen zusammen geteilt durch die Haushalte, sagt mehr über den allgemeinen volkswirtschaftlichen Reichtum aus als über die Verteilung. Folgendes anschauliche Beispiel zeigt den Unterschied zwischen Median und Mittelwert: Wenn bei einem Klassentreffen Bill Gates teilnimmt, springt der Mittelwert der «anwesenden Vermögen», also der klassische Durchschnitt, in schwindelnde Höhen, ungefähr auf 100 Milliarden Dollar geteilt durch 20 Klassenkameraden. Der Median aber verändert sich kaum, ob Bill Gates nun im Raum ist oder ausserhalb – er steht sozusagen am Rand der 20 Klassenkameraden; und ob er 100 oder 10 Millionen Dollar besitzt: Der Median, also der Kamerad in der Mitte beziehungsweise der mittlere Wert, verschiebt sich vielleicht vom Zehnten mit 200 000 Dollar Vermögen zum Elften mit 220 000 Dollar Vermögen.

Ausgewählte Indikatoren für die Verteilung des Nettovermögens der privaten Haushalte

Anteil deruntersten 40 %

Anteil derobersten 10 %

Anteil derobersten 5 %

Anteil derobersten 1 %

Österreich

1,0

55,6

43,5

25,5

Finnland

2,2

45,2

31,4

13,3

Frankreich

2,7

50,6

37,3

18,6

Deutschland

0,5

59,8

46,3

23,7

Italien

4,5

42,8

29,7

11,7

USA

–0,1

79,5

68,0

42,5

Quelle: OECD Wealth Distribution Database, oe.cd/wealth, 2015.

Anteil deruntersten 54,6 %

Anteil derobersten 12,9 %

Anteil derobersten 5,8 %

Anteil derobersten 0,78 %

Schweiz

1,4 %

81,8 %

68,5 %

40,8 %

Quelle: Gesamtschweizerische Vermögensstatistik der natürlichen Personen 2018, Eidg. Finanzdepartement, Bern.

Aber diese Vermögenswerte, von denen hier die Rede ist, etwa jene der Wikipedia-Tabellen, stammen meistens aus den Steueranlagen der Staaten. Sie übersetzen das Haushaltsvermögen, die Firmenanteile, Aktien, den Hausbesitz in Zahlen. Der Besitz an Produktionsmitteln, auf die es für die Stellung in der Gesellschaft ankommt, ist aber nicht auf derart wenige konzentriert, wie die Statistiken melden, etwa auf die besagten 0,01 Prozent. Denn jeder Gewerbetreibende, jeder Bauer, jeder selbstständige Taxifahrer oder Velokurier, jede Reinigungskraft, die auf eigene Rechnung arbeitet, sie alle haben ihre eigenen Produktionsmittel, ihr Sachvermögen, das Einkommen erzeugt. Insgesamt wiegen diese Vermögen zusammen wohl schwerer als die in Steuerstatistiken leichter in Zahlen fassbaren Bar- und Börsenvermögen.

Die Statistiken übertreiben einerseits also die Konzentration. Sie geben andererseits ein sehr wichtiges Element des Vermögensbesitzes nicht wieder, nämlich die Verfügungsrechte. Wer produzierendes Vermögen besitzt wie Industrieanlagen, Dienstefirmen, einen Bauernhof, Immobilien, der verfügt in bestimmten Zusammenhängen über die dort Arbeitenden oder Wohnenden. Diese Verfügungsrechte dürften hingegen konzentrierter sein, als die Statistiken zeigen, denn wer Vermögen nur als Barvermögen auf Banken, Geldanlagen in Fonds, in Pensionskassen oder Versicherungen hat, kann reich sein, tritt aber seine Verfügungsrechte an deren Lenker und Leiter ab.

Und schliesslich gilt natürlich: Gleich verteilt ist nicht unbedingt gerecht, und ungleich verteilt ist nicht von vornherein ungerecht. Aber das wird uns in der Folge so wenig wie die Statistiken beschäftigen. Hier soll nicht moralisiert werden, hier wird ermittelt, wie Vermögen gestreut werden kann.

Die Gesellschaft lässt sich verändern

Während Hunderten von Jahren war mindestens die Hälfte der europäischen Bevölkerung mausarm und lebte am Existenzminimum. Zwar liess nicht alle das Elend der Armen unberührt, doch wurde die Not der Einzelnen nur punktuell gelindert durch Almosen von mildtätigen Vermögenden oder kirchliche Einrichtungen. Der Rest war halt Schicksal.

Im 19. Jahrhundert, und besonders nach 1880, begann sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass Elend und Armut einerseits und immense Vermögenshäufung andererseits nicht naturgegeben sind, sondern verändert werden können: Die Gesellschaft, nicht die Natur schafft solche Zustände. In der Folgezeit führte etwa allein schon der Bau von Kanalisationen dazu, dass die Menschen gesünder, langlebiger, leistungsfähiger wurden. Schulbildung erhöhte ihre Chance, eine bessere Arbeit zu finden. Erste soziologische Studien zeigten Mechanismen der Armut sowie Möglichkeiten, den sozialen Aufstieg zu fördern und die Stellung der Frauen zu verbessern. Frühsozialisten entwarfen utopische Gesamtbilder für ein besseres Leben. Sozialisten griffen zur Selbsthilfe und organisierten genossenschaftliche Läden, Wohnungen, Medien. Kommunisten analysierten und revolutionierten mit unerbittlicher Systematik. Liberale vertrauten auf das immer breitere Wachstum der Einkommen, dann der Vermögen. Freihandel, eine sichere Währung, Sparkassen und Banken dienten dazu. Die patronale Fürsorge vieler Unternehmer sorgte für Wohnsiedlungen, Krippen, gründete Sparkassen und Lehrwerkstätten.

Mit Gesamtarbeitsverträgen, in Deutschland Tarifverträge, regelten Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände immer mehr Details des Arbeitens – Arbeitszeit, Ferien, Löhne. Der Staat seinerseits tat das auch; er erklärte die Verträge allgemeinverbindlich. Doch fast alle diese Massnahmen regelten die Einkommen, kaum das Vermögen.

Selbstsorge statt Fürsorge

Als Ergebnis dieses «soziologischen Zeitalters», wie es der Soziologe Ralf Dahrendorf nannte, sehen viele heute den Menschen nicht als selbstständig agierenden, von eigenen Interessen geleiteten Handelnden, sondern als anwaltschaftlich durch die Erkenntnisse der Soziologie, durch wohlmeinende Politik und gesellschaftliche Einrichtungen zu vertretenden Kleinbürger – ein fremdgesteuertes Rädchen im Getriebe der Gesellschaft. Alle sind angestellt, alle müssen arbeitsrechtlich geschützt werden wie in den «Kathedralen der Arbeit» der 1970er-Jahre, der Automobilindustrie in Wolfsburg, in Turin, in Billancourt oder Detroit. Für finanziellen Ausgleich, Lebenssicherung in allen Lagen, Bildung, Gesundheitsversorgung oder Datenschutz ist allein der Staat zuständig.

Die ungleichen Lebenslagen, sogar bezüglich Krankheiten oder der unterschiedlich langen Lebenserwartungen, werden daher von vielen auf «die Gesellschaft» zurückgeführt. Dabei zeigen heutige wissenschaftliche Studien und Statistiken ergänzend oder gar entgegen den im 19. Jahrhundert entdeckten gesellschaftlichen Eingriffsmöglichkeiten, dass auch die Selbstsorge der Menschen ihre Lage, sogar ihre Vermögen bestimmt. Denn die verfügbaren Mittel und das allgemeine Wissen haben gewaltig zugenommen. Jeder Einzelne kann heute – unabhängig von den Verstrickungen der Gesellschaft und neben allen umsorgenden Ämtern – selbst dafür sorgen, gebildet, gesund, aktiv und bemittelt zu sein. Selbstsorge bestimmt den Alkoholkonsum der Menschen und ihren Tabakkonsum ebenso wie ihre Bildungsbeflissenheit, ihre Körperpflege oder ihre Sparsamkeit. Jeder ist auch ein Täter und nicht nur ein Opfer.

Doch das alte Opfer-Narrativ verhindert noch dieses neue Selbstverständnis. Spukt nicht noch immer in unseren Köpfen der Ruf der anwaltschaftlichen Politiker nach einem «umfassenden Schutz» als Programm, um «alle Lücken des sozialen Netzes» endlich zu schliessen? Das Ergebnis: Die Bürger werden ebenso von aussen geleitet durch Staat, Beamte, Verwaltungsverfahren, Netze und Grossfirmen wie vor 140 Jahren. Und die Vermögen sind ebenso ungleich verteilt.

Diese «fürsorgenden» Staaten sind nun überanstrengt, hochverschuldet, die Steuern und Abgaben wurden erdrückend, die umsorgenden, umverteilenden Beamtenheere gross. «Umfassenden Schutz» zu versprechen war eine Anmassung und Übertölpelung der Bürger, weil man ihnen nicht im Voraus die Rechnung präsentierte: die ebenso umfassende Unterwerfung unter Vorschriften, Gesuche und Kontrollen, die Eingliederung in die Massengesellschaft abhängig Angestellter. Nach der Finanzkrise 2008, noch mehr nach den Tausendmilliarden-Paketen der Covid-Krise, schienen diese Umverteilungen aller Art an Vermögenlose wenig zu kosten – die Geldschöpfung der Notenbanken deckte die Defizite.

In unseren Köpfen muss eine Wende stattfinden. Besinnen wir uns zurück auf «gesellschaftliche» Mechanismen, die die Menschen wieder selbstbestimmt und selbstverantwortlich machen, die ihnen die Lebenseinkommen und die Vermögen direkt zuführen, nicht über wohlmeinende Umverteiler mit ihren Katalogen von Anträgen, Berechtigungen, Bedingungen. In diesem Buch sehen wir den Menschen als Täter, als Handelnden, nicht als Opfer. Wir sehen die neuen Netze als Chance, sich darin einzuklinken, ohne den umfassenden Staat als Rahmen. Ebenso rückt das Buch die wild gewordenen Finanzkreisläufe in den Fokus und sucht Lösungen für eine Umverteilung der durch Aktienverschachtelungen, Fonds und Börsenkonstruktionen geballten Vermögen.

Personelle und funktionelle Verteilung

Die populärste Sicht auf die Verteilung der Vermögen ist die auf die Verteilung zwischen Personen. Stellt man sich die gesamte Bevölkerung bezüglich Vermögen in einer Reihe aufgestellt vor, dann stehen am Anfang das eine Prozent der Reichsten oder das Promille der Superreichen und am anderen Ende, ja oft schon von der Mitte an jene, die kaum etwas mehr als den Hausrat besitzen. Diese Aufreihung macht keinen Unterschied, ob die Vermögen bar auf Bankkonten liegen, aus Aktien oder Gewerbebetrieben bestehen, im Boden stecken oder in einer Kunstsammlung. Es gilt meist der Steuerwert.

Aber es geht nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität innerhalb der Vermögensanteile. Denn einerseits bilden sie produktives, gewinntragendes Realvermögen, andererseits sind sie eben blosse Nominalwerte wie Sparguthaben und Obligationen. Den «Konsumschutt» lassen wir besser beiseite: Eine Jacht, ein Auto sind kein Sachvermögen – ausser das Auto für einen Taxifahrer und der Privatjet für einen Piloten, der damit Aufträge ausführt. Die Qualität – die Verfügungsrechte sind eben in den Statistiken nicht mitgemeint. Nominalwerte sind nur Guthaben mit festem Zins ohne Gewinn- und Verfügungsrechte. Diesen qualitativen Unterschieden trägt die Sicht der funktionellen Verteilung besser Rechnung.

Stellen wir uns die Bevölkerung gemäss ihren wirtschaftlichen Funktionen, ihren Stellungen in zwei Gruppen aufgeteilt vor: die Gruppe der Kapitaleigentümer und die der Unselbstständigen. Den einen fliessen Gewinne aus Gewerbe, Dividenden aus Aktiengesellschaften und Einkünfte aus Zinsen und aus Mieten zu, den anderen die Löhne, für die sie in den Firmen der Kapitaleigentümer arbeiten.

Damit zeigt sich, dass die Vermögensverteilung, wie sie heute besteht, die daraus folgenden Einkommen weitgehend bestimmt. Denn wer aus seinem eher grossen Einkommen in einem Jahr sparen kann, wer reales Vermögen in Firmen, Gewerbe, Aktien oder Liegenschaften bildet, der hat sich für das folgende Jahr in der Vermögensverteilung vorgearbeitet. Der erfolgreiche und sparsame Taxifahrer kauft einen zweiten Wagen, der Bauer eine schnellere Erntemaschine, der Industrielle eine Verpackungsanlage. Die Bezüger abstrakter Einkommen – Aktionäre, Sparkontenbesitzer – investieren weiter damit. Und alle beziehen daraus in den folgenden Jahren wieder mehr Einkommen. Eher linke Theoretiker haben, seit Karl Marx, daraus einen unerbittlichen Trend zur Konzentration von Reichtum und Einkommen gefolgert. Diese «These der Vergeblichkeit» in allem, womit man sich abstrampelt, um gesellschaftlich und finanziell voranzukommen, ist weitverbreitet.

Abhilfe sahen viele im Umsturz der ganzen Eigentumsordnung, in Konfiskationen. Will und kann man die bestehende Vermögensverteilung aber nicht konfiszieren, dann kann man sie für die Zukunft umsteuern. Die Mechanismen dieser Konzentration können umgenutzt werden, um die Vermögen besser zu streuen.

Doch die bloss funktionelle Sicht täuscht. In Wirklichkeit kann eine Person in beiden volkswirtschaftlichen Lagern sein – als Kapitalbesitzer und als Arbeitnehmer. Ein Grossaktionär, der von seiner Firma angestellt ist, zählt in dieser Sicht als Arbeitnehmer, und ein Arbeitnehmer, der viel gespart und angelegt hat und seinerseits Kapitaleinkommen durch Mieten bezieht, steht mit den Aktionären auf der gleichen Seite der funktionellen Verteilung. Ein kümmerlich wirtschaftender Kleinladenbesitzer verdient oft weniger als ein Arbeitnehmer, steht also in der personellen Einkommensreihe hintan, obwohl er in der Gruppe der Gewerbetreibenden und damit statistisch bei den Kapitaleinkommen auf der funktionellen Seite der Einkommensströme steht. Die meisten Wirtschaftsbürger haben ein Bein auf beiden Seiten der funktionellen Verteilung. Zwei scharf getrennte, unerbittlich gegeneinandergesetzte funktionelle Klassen sind eine Illusion, sind Theorie. Kommunistische Parteien, die Derartiges behaupten, konnten bei Wahlen nur niedrigste einstellige Prozentanteile erreichen, weil die Wähler eine viel buntere Welt vor Augen hatten.

Primär- und Sekundärverteilung

Will der Staat in die Einkommensverteilung eingreifen, dann führt er die spontane, die primäre Verteilung der laufenden Entgelte zu einer Sekundärverteilung. Die Primärverteilung zeigt sich in den Löhnen, Gewinnen, Zinseinkommen, Dividenden, die im Jahresverlauf aus den Vermögensanteilen des Inlandsprodukts entstehen. Diese spontane Verteilung verändert der Staat, wenn er Einkommen besteuert, Abgaben und Gebühren erhebt und andererseits diese Mittel in Zuschüssen, Renten, Unterstützungen und Subventionen verteilt. Damit verändert sich die Einkommensverteilung der «ersten Runde», die Primärverteilung, zu einer «zweiten Runde», zur Sekundärverteilung. Doch diese neue Verteilung lenkt nur jährlich wiederkehrend die verfügbaren Einkommen der Haushalte in andere Hände, sie verändert die Verteilung des Realvermögens nicht.

Positionelle Güter

Neben den rein wirtschaftlichen Vermögenswerten weist jede Gesellschaft aber auch «positionelle Güter» auf: Status, Machtpositionen, das Ansehen in Kultur und Wissenschaft. Auch daraus leiten sich Hierarchien ab, ergeben sich Verfügungsrechte politischer Art. So wird eine kommunistische Gesellschaft mit voller Gleichverteilung oder mit Staatsbesitz aller Güter immer doch Funktionäre aufweisen, die Weisungsrechte ausüben und damit positionelle Güter innehaben – und sich damit über die anderen erheben.

In jeder Gesellschaft können Wissenschaftler oder Künstler mehr Einfluss haben als Reiche oder Funktionäre. Solche Werte, Positionen, Ränge erklären ja auch, warum nicht alle Menschen nur nach maximalem Reichtum streben. Das Menschenbild des Homo oeconomicus irrt sich, wenn es sich den Menschen als nur auf seinen geldwerten Vorteil bedacht, mit einem Taschenrechner im Kopf vorstellt. Der Mensch ist viel allgemeiner selbstbezogen, sein Interesse erstreckt sich manchmal auf Reichtum, manchmal auf Einfluss oder gesellschaftlichen Rang, er strebt nach Ansehen durch Leistung, aber auch durch Altruismus und durch Wohltätigkeit.

Viele dieser positionellen Güter sind nicht vermehrbar. Es gibt nur einen obersten Chef im Unternehmen oder in einer Verwaltung, nur einen Politiker pro Sitz und nur einen Staatschef, nur einen Papst und nur einen Nobelpreis im Jahr.

Vermehrbar und veränderbar aber ist das Vermögen wirtschaftlicher Art. Daher fordert dieses Buch: «Vermögen für alle!» Auf dem Weg dorthin gibt es einige Fragen zu klären und Hindernisse zu überwinden, die Ursachen von Vermögenskonzentration und die Hürden, die einer gleichmässigeren Verteilung im Weg stehen, sollen hier herausgearbeitet werden.

2 Warum sich das Vermögen konzentrierte

Die Finanzialisierung der Werte

Der Altmeister der Geldgeschichte, Georg Simmel, 2