Vögeln fürs Vaterland? Nein danke! - Kerstin Herrnkind - E-Book

Vögeln fürs Vaterland? Nein danke! E-Book

Kerstin Herrnkind

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Beschreibung

Kinderlose – Die neuen Sündenböcke der Nation Sie werden als "Sozialschmarotzer" beschimpft und für den drohenden Untergang Deutschlands verantwortlich gemacht. Politiker und Experten wollen ihnen die Rente streitig machen, sie auf dem Arbeitsmarkt benachteiligen und ihr Wahlrecht schmälern. Die Hatz auf Kinderlose hat einen simplen Grund: Deutschland leistet sich ein Rentensystem, das auf Neubürger angewiesen ist. Und sie ist gefährlich: Sie spaltet die Gesellschaft und verhindert, dass die Menschen gemeinsam streiten für ein gerechteres Land, in dem Kinderkriegen für Frauen nicht zum Existenzrisiko wird. Und in dem Eltern Familie und Beruf besser vereinbaren können.

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Ebook Edition

Kerstin Herrnkind

Vögeln fürs Vaterland? Nein, danke!

Bekenntnisse einer Kinderlosen

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-671-2

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2017

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Titel
Inhalt
Ich, die Sozialschmarotzerin
Warum ich keine Kinder bekommen habe
Neue Sündenböcke braucht das Land
Kind da. Job weg – die Elternzeitfalle
Was Anna Ney nach dem Jobverlust erlebte
Babys an die Wahlurne
Der Staat fördert die Ehe, nicht Familien mit Kindern
Kinderlose enteignen
Die Plünderung der Rentenkasse
Was sich Politiker so gönnen
»Frauen werden in Deutschland richtig missbraucht.«
Geiselhaft Rentenversicherung
Keine freie Berufswahl für Kinderlose
Mütter im Job unerwünscht
Elternzeit für Väter? Risky Business
»Die Rentenversicherung fördert das traditionelle Rollenmodell.«
Die Teilzeitfalle
»Mütter mit Kindern stelle ich nicht ein …«
Herdprämie Ehegattensplitting
»Mehr Kinder!«
Vögeln für den Kaiser
»Volk ohne Jugend«
Vögeln für den Führer
Ein Familienministerium gegen die »wachsende Überalterung des Volkes«
Vögeln für die Rentenkasse
»Die Politik schurigelt die Menschen.«
Die Pflegeversicherung – noch ein Generationenvertrag
»Ich habe zwar keine Babywindeln gewechselt, aber die meiner Mutter.«
Kluge Frauen an die Gebärfront
»Wenn ich nicht verheiratet gewesen wäre, müsste ich heute von Hartz IV leben.«
Armutsfalle: Alleinerziehend
Mütter als Wissenschaftlerinnen?
»Gleichen Lohn für gleiche Arbeit«
»Ich tobe mich lieber auf der Leinwand aus, als am Wickeltisch zu stehen.«
Das ausgebeutete Geschlecht
Tabuthema: Ungewollt kinderlos
»Ich wollte unbedingt Familie – das Internet ist schuld, dass es nicht geklappt hat.«
»Was aber bieten wir der am besten ausgebildeten Frauengeneration?«
»Ich, die Rabenmutter«
Es leben zu viele Menschen auf der Welt
Wenn der Staat im Ehebett mitmischt …
Mehr Kinder?!
Schweigende Lämmer – die Frauenbeauftragten
Demografie und Demagogie
Hatz gegen Kinderlose spaltet die Gesellschaft
»Frühe Verschwendungssucht«
Die Entbehrlichen
Literaturverzeichnis
Bücher
Artikel und wissenschaftliche Aufsätze
Andere Quellen und Studien
Danksagungen

»Wenn … jemand nicht gutwillig gehorcht, sondern sich dem Staate wie ein Fremdling und Sonderling anstellt und bis zum 35. Lebensjahre keine Ehe schließt, der soll alljährlich eine Geldstrafe bezahlen … Außerdem soll ihm von den Jüngeren … keine Ehrenbezeichnungen erwiesen werden …«

Platon, Der Staat

Meinen Großmüttern gewidmet

Ich, die Sozialschmarotzerin

Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle? Ich bin eine »Sozialschmarotzerin«. Meine Arbeitswoche hat in der Regel mehr als 40 Stunden. Fast die Hälfte meines Gehalts überlasse ich dem Staat an Steuern. Selbstredend füttere ich als angestellte Redakteurin Rentenkasse und Arbeitslosenversicherung. Die Pflegeversicherung kriegt von mir einen Extrazuschlag. Und als freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung zahle ich Monat für Monat ein paar hundert Euro. Klar, als Privatpatientin würde ich viel Geld sparen. Aber ein Wechsel kommt für mich nicht infrage. Warum nicht? Ich bin eine Anhängerin des Solidarprinzips.

Als ich 20 war, lebte ich ein Jahr lang in den USA. Ich kann mich noch gut an eine Anzeigenkampagne erinnern. Sie zeigte das Foto eines Mannes, der als »Farmer« vorgestellt wurde. Seine Tochter sei schwer krank, verriet der Text. Die Behandlung koste über 100 000 Dollar. Ob es ein Spendenaufruf oder eine Werbeanzeige für die »Health Insurance« war, die in den USA erst viele Jahre später, nämlich 2010 durch »Obamacare«, für jeden Amerikaner bezahlbar wurde, und die der neue Präsident Trump jetzt wieder abschaffen will, weiß ich nicht mehr.

Damals ist mir das erste Mal bewusst geworden, wie großartig die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland ist. Nun zahle ich auch dafür, dass Kinder über ihre Eltern mitversichert sind. Und zwar gerne. Aus voller Überzeugung.

Ich hatte bislang auch das große Glück, nicht einen Tag meines nun schon über ein halbes Jahrhundert währenden Lebens auf staatliche Leistungen angewiesen zu sein. Keinen Cent Arbeitslosengeld, Wohngeld, geschweige denn Sozialhilfe oder Hartz IV, wie es heute heißt. Nicht mal in die Bafögkasse habe ich gegriffen. Meine Eltern waren so freundlich, mir Monat für Monat einen Betrag zu überweisen, der Miete, Fahrkarte und Lebensmittel deckte. Meine Großmutter zahlte die Krankenkasse. Das Taschengeld verdiente ich mir als freie Mitarbeiterin bei einer Lokalzeitung. Für 30 Pfennig pro Zeile schrieb ich über Feuerwehrbälle, Schützenfeste und Kaninchenzüchter.

Noch was? Ach ja, mein Bundeszentralregisterauszug ist rein wie mein Gewissen. Nie habe ich mir etwas zuschulden kommen lassen. Okay zugegeben, Auto gefahren wie Frau Käßmann bin ich auch schon. Und als mich zwei Polizisten anhielten, meine Alkoholfahne aber nicht rochen, freute ich mich still und fuhr weiter. Stolz bin ich auf diese kleine Begebenheit nicht. Ist auch schon über 30 Jahre her. Aber wenn ich hier schon reinen Tisch mache, will ich auch das erwähnen.

Inzwischen fahre ich Bahn, kaufe möglichst Bio. Gott, was für eine Streberin, denken Sie jetzt vielleicht. Doch da täuschen Sie sich gewaltig. Die Leute beschimpfen mich als »egoistisch«, »karrieregeil«, »nicht normal«, »schamlos«, »asozial«, »gefühllos«, um nur einige Adjektive zu nennen. Dass ich brav meine Steuern zahle und mich an Gesetze halte, reicht nicht. Es gibt Leute, die mir elementare Rechte streitig machen wollen. Mich zur Wählerin zweiter Klasse degradieren. Und vom Arbeitsmarkt verdrängen. Mir die Rente kürzen. Oder am besten gleich ganz streichen. Warum?

Weil ich dem Land kein Kind geschenkt habe.

Warum ich keine Kinder bekommen habe

Ich bin eine typische Kinderlose. 1965 in Westdeutschland geboren. Mein Ausbildungsweg war lang. Etwa 20 Prozent der Frauen, die zwischen 1959 und 1968 geboren und gut ausgebildet sind, haben keine Kinder. Frauen wie ich haben, ohne es zu wollen, einen stillen Gebärstreik angezettelt.

Warum ich nicht Mutter geworden bin? Die Antwort ist, auch wenn ich mir selbst lange nicht darüber im Klaren war, schlicht: Ich habe mich nicht getraut.

Dabei stand für mich lange außer Frage, dass ich einmal Kinder haben würde. Als ich in den 20ern war, lebte ich mit einem Mann zusammen. Natürlich sprachen wir über Kinder. Wir stellten uns nicht die Frage, ob wir Eltern werden würden, sondern nur, wie viele Kinder wir haben wollten.

Als meine Freundin ihre erste Tochter gebar, fuhren wir ins Krankenhaus, um sie zu besuchen. Und waren so angetan von dem Baby, das uns mit großen Augen anstrahlte, dass wir auf dem Rückweg überlegten, wie viele Kinder wir haben wollten. Ein Kind? Irgendwie zu wenig. Zwei? Langweilig. Drei? Ja, drei. Abgemacht, drei Kinder. Wann sollen wir loslegen? Jetzt gleich? Nun mal langsam …

Erstmal ging das Studium vor. Damals war ich fest davon überzeugt, dass es eine Katastrophe sei, in der Ausbildung schwanger zu werden. Heute weiß ich, dass es vermutlich keinen besseren Zeitpunkt gibt, Mutter zu werden als im Studium. Man kann so lange unterbrechen, wie man will, ohne befürchten zu müssen, rauszufliegen.

Doch als ich mit dem Studium fertig war, verließ mich der Mann, mit dem ich drei Kinder geplant hatte. Aber ich hätte sowieso noch keine Zeit fürs Kinderkriegen gehabt. Ich war inzwischen 29 und volontierte bei einer Tageszeitung, raste tagsüber von Termin zu Termin. Einer meiner Mitvolontäre wurde Vater. Er arbeitete weiter, als sei nichts geschehen. Seine Freundin kümmerte sich um das Kind. Die Großeltern halfen, wenn ich es recht erinnere. Wenn ich als Volontärin Mutter geworden wäre, hätte ich pausieren müssen.

Mit 30 wurde ich Redakteurin. Davon abgesehen, dass mir nun der Mann zum Kinderkriegen fehlte, hätte ich keine Familie ernähren können. Bei der taz arbeitete ich viel, verdiente aber wenig.

Mit 34 ging ich zum Stern. Von dem Gehalt hätte man durchaus ein Kind ernähren können. Allerdings hatte ich nur einen Jahresvertrag. Fairerweise sei erwähnt, dass meine Chefs damals in Serie Frauen im gebärfähigen Alter einstellten, ohne dass ihnen die Frage nach unserer Familienplanung über die Lippen gekommen wäre. Auch mein Vertrag wurde entfristet. Nun hätte ich loslegen können. Doch es war immer noch kein Mann in Sicht, jedenfalls keiner, mit dem ich Kinder in die Welt hätte setzen wollen.

Als ich meinen Mann traf, war ich 36. Kinder?! Wir brauchten erstmal Zeit, um uns kennenzulernen, zogen zusammen, beschlossen, ein paar Jahre später zu heiraten. Für Kinder war es jetzt zu spät. Halt … War es das wirklich?

Wenn ich ganz, ganz ehrlich bin: Mich hatte zu dieser Zeit schon lange der Mut verlassen, mich zu vervielfältigen. Diese Unbefangenheit, die mich mit Anfang 20 hatte sagen lassen: »Wir kriegen drei Kinder«, war mir abhanden gekommen. Inzwischen hatte ich zu viel gesehen und gehört. Oder böse formuliert: Ich hatte den Braten gerochen. Wusste aus vielen Erzählungen von Frauen, dass es nicht leicht ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen. Kannte zu viele Alleinerziehende, bekam mit, wie schwer sie es hatten, ihren Alltag zu organisieren. Darunter waren gut ausgebildete Frauen, die zum Sozialamt mussten, weil die Väter keinen Unterhalt zahlten. Ich sah Frauen, die den beruflichen Anschluss verloren, hatte keine Ahnung, wie ich – ohne Großeltern in der Nähe – meinen Beruf als Journalistin mit Mann und Kind hätte organisieren sollen. Sicher hätte ich meine Arbeitszeit reduzieren oder pausieren können. Aber ich hatte Angst auszusteigen. Wollte nicht den Anschluss verlieren, musste meine Planstelle bewachen. Außerdem hätte eine Pause weniger Geld, Sicherheit und irgendwann auch weniger Rente bedeutet.

Die Freundin, die ich damals nach der Geburt ihrer ersten Tochter im Krankenhaus besucht hatte, hat noch drei Kinder bekommen. Das Letzte, eine kleine Nachzüglerin, mit 44. Mit ihrem Mann hatte sie sich auf das klassische Rollenmodell geeinigt: Sie versorgte zu Hause die Kinder, während er den Lebensunterhalt für die Familie verdiente.

Fast jede dritte Familie lebt in Deutschland so. Nicht, weil sie es will, sondern weil es nicht anders geht. Wer das nicht glaubt, sollte das Buch Vereinbarkeit? von Susanne Garsoffky und Britta Sembach lesen. »Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gibt es nicht!«, schreiben sie. Und setzen – vermutlich sehr bewusst – ein Ausrufezeichen hinter diesen Satz. Denn immer mehr Mütter brechen unter der Last, Familie und Beruf vereinbaren zu wollen, zusammen.

Wie, bitte schön, hätte meine Freundin mit vier Kindern arbeiten sollen? Schon der Alltag einer sechsköpfigen Familie, den sie organisiert hat, war kein Spaziergang.

Ihr Mann hat sie im Übrigen gerade verlassen. Wegen einer Jüngeren. Kurz vor der Silberhochzeit, nach fast 25 Jahren Ehe. Die drei älteren Kinder sind schon aus dem Haus, studieren allesamt. Nur die kleine Nachzüglerin, inzwischen 13 Jahre alt, lebt noch zu Hause. Meine Freundin steht nun alleine da. Mit Kind. Und muss unter Umständen arbeiten gehen, weil ihre Tochter älter als drei Jahre ist. So will es das neue Unterhaltsrecht, auf das sich die Große Koalition von CDU und SPD geeinigt hat und das 2008 in Kraft getreten ist. Anspruch auf nachehelichen Unterhalt gibt es für Frauen, die ihre Kinder betreuen, in der Regel nur, bis das jüngste Kind drei Jahre alt ist. Danach wird die Unterhaltsfrage zur Ermessensentscheidung des Gerichts.

Mit dieser Gesetzesreform sollte die »nacheheliche Eigenverantwortung« gestärkt werden. Das heißt nichts anderes, als dass Frauen sich einen Job suchen müssen. Egal, wie schwer das nach einer mehrjährigen Familienpause ist. Vor der »Reform« mussten Frauen nicht arbeiten, bis ihr jüngstes Kind acht Jahre alt war. Danach wurde ihnen zugemutet, sich eine Teilzeitstelle zu suchen. Und erst wenn das jüngste Kind 15 war, mussten sie wieder Vollzeit arbeiten.

Wie soll meine Freundin nun, mit Ende 50, eine Stelle finden? Sie bekommt jetzt die Quittung dafür, dass sie Kinder gekriegt und ihren Job an den Nagel gehängt hat.

Und erst neulich erzählte mir eine Frau, dass sie ein Kind erwarten würde. Die traut sich was, dachte ich spontan und rief mich innerlich sofort zur Ordnung. Wieso denkst du so negativ, tadelte ich mich. Sie bekommt ein Kind, das ist doch was Schönes. Wenig später erzählte mir die Frau, dass ihre Abteilung geschlossen worden sei. Nach der Elternzeit wird ihre Firma ihr kündigen. Sie ist dann arbeitslos.

Politiker und Politikerinnen in diesem Land wollen, dass Frauen mehr Kinder kriegen. Doch wehe, Frauen lassen sich darauf ein. Überall lauern Fallen, die zuschnappen können: Die Elternzeitfalle, die Frauen, wenn es schlecht läuft, aus dem Job katapultiert. Die Teilzeitfalle, die zuschnappt, wenn Frauen ihre Stundenzahl nicht wieder aufstocken können, weil die Chefs nicht mitspielen. Die Armutsfalle, wenn sie ihr Kind alleine durchbringen müssen. Alle zusammen werden sie zur Rentenfalle, daran wird auch die Mütterrente nichts ändern. Wenn sie erstmal Kinder haben, lässt die Politik Frauen im Stich. Vater Staat verrät seine Töchter. Denn anders als für Männer ist das Kinderkriegen für Frauen in diesem Land ein Hochrisiko-Geschäft. Frauen vor diesem Hintergrund vorzuhalten, dass sie sich gegen Nachwuchs entscheiden, ist gelinde gesagt eine Unverschämtheit.

Ich will dieses Buch als feministischen Aufschrei verstanden wissen. Denn was im Eifer der Debatte aus dem Blick gerät: Die Kritik an Kinderlosen ist eine zutiefst frauenfeindliche Debatte. Es sind nunmal die Frauen, die Kinder gebären. Und sie zahlen in diesem Land die Zeche dafür. »Kinder sind in Deutschland nach wie vor ein Risiko fürs Berufsleben von Frauen«, schreibt Jutta Allmendinger, eine der bekanntesten Soziologinnen Deutschlands, in ihrem Buch Verschenkte Potenziale? Lebensverläufe nicht erwerbstätiger Frauen.

Ich werde in diesem Buch Frauen und Männer sprechen lassen, Kinderlose, Mütter, einen Vater. Ihre Geschichten zeigen, wie schwer es in diesem Land ist, Kinder zu haben. Und welchen Anfeindungen man ausgesetzt ist, wenn man keine hat.

In diesem Buch wird kein Satz stehen, der sich gegen Mütter, Väter oder gegen Kinder richtet. Mütter und Väter haben Respekt verdient. Sie arbeiten mehr als Kinderlose. Pro Woche mehr als zehn Stunden, wie das Statistische Bundesamt ausgerechnet hat. Viele meiner Freundinnen haben Kinder, ihr Leben ist entbehrungsreicher und anstrengender. Aber auch mir liegt als kinderlose, berufstätige Frau, anders als die Journalistin und vierfache Mutter Birgit Kelle im Focus schreibt, nicht »die Welt zu Füßen«. Ich arbeite für mein Geld, bin viel unterwegs. Mein Gehalt ist gut. Kein Grund zur Klage. Und trotzdem: Große Sprünge kann ich mir auch nicht erlauben. Mal einen schönen Urlaub, okay. Aber eine Eigentumswohnung? Schulden machen? Und dann vielleicht den Job verlieren? Nein, danke.

Ob ich bereuen würde, keine Kinder geboren zu haben, werde ich manchmal gefragt. Ehrliche Antwort: Manchmal ja.

Neue Sündenböcke braucht das Land

Kinderlose sind die neuen Sündenböcke der Nation. »Zwar leistet sich Deutschland heute schwule Außenminister und Bürgermeister sowie eine kinderlose Kanzlerin, doch wehe, man bekennt sich offen zum vorsätzlichen Leben ohne Kind. Es kommt dem Bruch eines ungeschriebenen Gesetzes gleich. Das lautet bis heute: Nur wer Kinder in die Welt setzt, lebt wirklich im Einklang mit den Werten der Gesellschaft«, schreibt mein Kollege Mathias Schneider im Stern. »Kinderlosigkeit hat in unserer Gesellschaft den Rang eines unentschuldbaren Makels, eines Versagens«, bringt die taz es auf den Punkt. Und die Schriftstellerin Tanja Dückers klagt in der Zeit: »Dass Kinderlose heute gesellschaftlich mehr geächtet werden als noch vor dreißig Jahren, ist beschämend für eine angeblich offene, tolerante Gesellschaft«.

Politiker, Wissenschaftler, Juristen, ja selbst Ärzte hacken auf Kinderlosen herum. Nicht mal die angeblich so barmherzigen Kirchen bringen Verständnis für Kinderlose auf. »Wer keine Kinder bekommt, ist egoistisch«, sagt der Papst. »Eine Gesellschaft mit einer erfolgsorientierten Generation, die sich selbst nicht mit Kindern umgeben will und für die Kinder vor allem etwas Störendes, eine Belastung, ein Risiko darstellen – das ist eine deprimierte Gesellschaft.« Familien mit drei Kindern sind nach Vorstellungen des Papstes optimal.

Der Papst selbst hat keine Kinder. Früher soll es Heilige Väter gegeben haben, die echte Papas waren. Papst Hormisdas (514–523) war Vater eines Sohnes. Papst Hadrian II. (867–872) hatte eine Tochter. Die katholische Kirche war offenbar lockerer drauf. Bis in neunte Jahrhundert gab es sogar Kinder von Priestern, die Päpste wurden. Heutzutage erlaubt die katholische Kirche ihren Priestern nicht mal mehr, sich offiziell zu ihren unehelichen Kindern zu bekennen. Und wer es tut, fliegt raus.

Was die katholische Kirche diesen Kindern antut, kann man in dem Buch Sag keinem, wer dein Vater ist von Karin Jäckel nachlesen. Die Journalistin hat das Schicksal von Priesterkindern aufgearbeitet. »Wir haben uns geschämt, dass unser Vater ein Priester ist. Ein Priester hat doch keine Frau und keine Kinder. Das ist Sünde. Und wir sind jetzt der Beweis«, erzählen Betroffene. »Kinder, die mit Angst und Lügen aufwachsen – so belegen die erschütternden Zeugnisse und Berichte dieses Buches – haben keine Kindheit«, schreibt die Autorin. Aber Papst Franziskus findet ja auch nichts dabei, Kinder zu schlagen.

Kürzlich hat der Papst behauptet: »Die Ehe ist die schönste Sache, die Gott geschaffen hat.« Die Ehe wird allerdings schon im Codex Ur-Nammu und dem Codex Hammurapi – also in den ältesten Gesetzestexten der Welt – erwähnt. Spricht eher dafür, dass es Menschen waren, die da einen gewissen Regelungsbedarf zwischen (damals noch) Mann und Frau sahen.

Aber wenn der Papst so überzeugt davon ist, dass es Gott war, der die Ehe erfunden hat, soll er seine Priester doch endlich heiraten lassen und den Zölibat aufheben.

Die katholische Kirche selbst ist eine deprimierte Gesellschaft. Und sie ist scheinheilig, wie es in der Bibel steht: »Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer … Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf die Schultern; aber sie selbst wollen keinen Finger dafür krümmen.«

Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hält »Ehe und Familie« für »gute Gaben Gottes«. In der familienpolitischen Stellungnahme auf der Internetseite der EKD liest man Sätze wie: »Gesellschaften sind zu ihrem Überleben, aber auch zu ihrer weiteren Entwicklung auf die Geburt von Kindern angewiesen.« Und: »Auch unsere sozialen Sicherungssysteme sind auf Familien angewiesen.«

Diese Formulierungen waren einigen Pfarrern offenbar zu lasch. »Ein Menschenrecht auf kostenlose, gewollte Kinderlosigkeit kann es nicht geben«, schrieb der emeritierte Theologieprofessor Klaus Meyer zu Uptrup 2014 im Pfarrersblatt. Entweder ihr seid fruchtbar und mehret euch. Oder ihr müsst zahlen. Eine Art moderner Ablasshandel also. Meyer zu Uptrup, Jahrgang 34, schreibt ansonsten Bücher über die »Zeit mit Gott« und organisiert Veranstaltungen zum Thema »Das Schicksal der Geschöpfe, Tiere erzählen, was im Paradies geschah …«.

Wie seine Kirche glaubt der Theologe, dass die Sozialversicherungen auf Kinder angewiesen sind. Und zusammenbrechen, wenn das so weitergeht mit unserer Gebärunlust. »Seit rund 40 Jahren bleibt ein Drittel der Bevölkerung zeitlebens kinderlos und zerstört damit ein ausgewogenes Generationenverhältnis, wie es für das Funktionieren unserer Sozialsysteme (Renten, Pflegeversicherung, Krankenkassen …) Voraussetzung ist«, grollt er. »Das kinderlose Drittel unserer Bevölkerung hat den Generationenvertrag ›aufgekündigt‹ und schiebt die ›Vertragsstrafe‹ ab auf die Altersgenossen, die Eltern geworden sind …«

Fairerweise sei erwähnt, dass der Autor Widerspruch aus den eigenen Reihen erntete: »Dieses Vokabular dient nicht dem Frieden zwischen unterschiedlichen Lebensformen, sondern kommt einer Kriegserklärung nahe«, schrieb eine Pastorin. Trotzdem steht der Artikel inzwischen für alle Welt nachlesbar im Netz auf der Internetseite des Pfarrerverbandes, in dem rund 20 000 Pfarrer und Pfarrerinnen organisiert sind.

Wir Kinderlosen zerstören also den Generationenvertrag, weil wir keine neuen Beitragszahler gezeugt und geboren haben.

Nun muss man wissen, dass längst nicht alle Kirchenmitarbeiter, also auch Pfarrer und Priester, den Generationenvertrag stützen und in die Rentenversicherung einzahlen. »Satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften«, also Mönche, Diakonissen und andere Ordensmitglieder, sind von der Pflicht, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, befreit.

Und man muss wissen, dass die Kirchen sich die Gehälter ihrer Bischöfe, Priester und Vikare vom Steuerzahler spendieren lassen. Ja, richtig gelesen, die Steuerzahler, selbst wenn sie keiner Konfession angehören, zahlen die Gehälter von Geistlichen.

Rund 500 Millionen Euro überweisen die Bundesländer (abgesehen von den Stadtstaaten Hamburg und Bremen) jedes Jahr an die Kirchen. Keine Kirchensteuer, wohlgemerkt, sondern sogenannte »Staatsleistungen« aus dem Steuersäckel. Also Geld, das die arbeitende Bevölkerung in diesem Land erwirtschaftet hat. Warum? Nun ja, der Staat leistet mit dieser halben Milliarde Abbitte dafür, dass die Kirchen im 18. und 19. Jahrhundert enteignet wurden. Angeblich wurde ihnen dafür Schadensersatz zugesichert. Kirchenkritiker halten Letzteres für eine Legende. Doch selbst wenn es so gewesen sein sollte, wäre diese Schadensersatzforderung inzwischen über 200 Jahre alt. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch verjähren Forderungen in der Regel nach drei Jahren. Vollstreckungstitel, mit denen Forderungen eingetrieben werden können, sind 30 Jahre gültig. Und in der Bibel ist gar die Rede davon, dass Schulden alle sieben Jahre erlassen werden sollen: »Jeder Gläubiger soll den Teil seines Vermögens, den er einem andern … als Darlehen gegeben hat, brachliegen lassen.«

Aber die Kirchen beharren auf »ihrer« Kohle. Und die Steuerzahler blechen 500 Millionen Euro pro Jahr für diese merkwürdige Wiedergutmachung. Zum Vergleich: 800 Millionen Euro will das Bundeskabinett von 2017 bis 2019 in den sozialen Wohnungsbau stecken. Wenn wir den Kirchen nicht das Geld überweisen müssten, hätte der Finanzminister schon einen schönen Batzen für den sozialen Wohnungsbau zusammen. Klar, es sind die Länder, die den Kirchen Staatsleistungen überweisen, nicht der Bund, trotzdem taugt der Vergleich, um hier einmal die Dimensionen klarzumachen.

16,8 Milliarden Euro haben die Länder den Kirchen seit der Gründung der Bundesrepublik als Wiedergutmachung für die Enteignungen überwiesen. So hat es der Verwaltungsjurist Johann Albrecht Haupt ausgerechnet. »Die historische Begründung für die Staatsleistung wirkt, nahezu zweihundert Jahre nach der Säkularisation, anachronistisch«, schreibt er in einem Aufsatz über die Trennung von Staat und Kirche. »Kriege und Vertreibungen haben gerade in den letzten zwei Jahrhunderten Hunderttausenden von Menschen und vielen Institutionen wiederholt die Existenzgrundlage geraubt, ohne dass der Staat in vergleichbarer Fürsorge den Betroffenen mit ›Staatsleistungen‹ auf Dauer zur Seite gestanden hätte. Die Kirchen, die … ohnehin zu den reichsten Institutionen in Deutschland gehören, bedürfen der Staatsleistungen am allerwenigsten.« Recht hat er.

Doch die Kirchen kassieren das Geld ungerührt, selbst wenn im Land der Rotstift regiert und bei Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern gespart wird. »Eine staatliche Mega-Rente für die Kirche«, spottet mein Kollege Lutz Kinkel auf stern.de. Aber die Kirchen handeln ganz im Sinne der Bibel:»Hastig errafftes Gut zerrinnt; wer aber ruhig sammelt, bekommt immer mehr.«

Dass der Staat den Geldhahn zudreht, ist unwahrscheinlich. Die Politik traut sich an das Thema nicht heran. Obwohl die Abschaffung dieser Pseudo-Schuld sogar im Grundgesetz steht. Aber die Kirche ist eine Hausmacht im Lande, mit der man sich nicht anlegt – Verfassungsauftrag hin oder her. Eine Initiative der Linken, die Staatsleistungen abzuschaffen, scheiterte. Der Bund schiebt den Ländern den schwarzen Peter zu: »Die Bundesregierung sieht … keinen Anlass, die Initiative zu einer Ablösung der Staatsleistungen zu ergreifen. Der Bund selbst ist nicht Schuldner der Staatsleistungen. Den Ländern als Träger der Staatsleistungen steht es dagegen frei, einvernehmlich mit den Kirchen die Staatsleistungen zu verändern und neue Rechtsgrundlagen zu schaffen«, liest man in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken.

»Irgendwie leben ja auch alle halbwegs gut damit, wenn es so weitergeht. Bis auf den Steuerzahler«, schreibt Kollege Kinkel sarkastisch auf stern.de. Dass uns die Kirche unsere Schuld finanziell vergibt und erlässt, ist nicht zu erwarten. So zahlen wir bis in alle Ewigkeit.

Und wir zahlen nicht nur diese Staatsleistungen an die Kirchen. Auch steckt Vater Staat den Kirchen großzügig Steuergeld zu. Wie spendabel er ist, kann man im Violettbuch Kirchenfinanzen von Carsten Frerk nachlesen. 2015 nahmen die Kirchen über elf Milliarden Euro Kirchensteuer ein. Ein Rekord. Das Geld sei den Kirchen gegönnt, schließlich drücken die Gläubigen es freiwillig ab. Doch der deutsche Staat spielt für die Kirchen den Kassierer. Die Finanzämter treiben die Kirchensteuer ein. Wir sind – der Säkularisierung zum Trotz – kein säkularer Staat. Auch die Arbeitgeber, also zum großen Teil private Unternehmen, müssen den Kirchen zur Hand gehen, die Kirchensteuer ausrechnen und ans Finanzamt überweisen. Diesen Service verdanken die Kirchen übrigens den Nazis, die die Arbeitgeber ab 1935 dazu verpflichteten. Der Staat verzichtet zugunsten der Kirchen auf bares Geld, weil man die Kirchensteuer von der Einkommensteuer abziehen kann. Alles in allem schlagen diese Vorzüge, die der Staat den Kirchen einräumt, für den Steuerzahler nach Frerks Berechnungen mit insgesamt fünf Milliarden Euro pro Jahr zu Buche.

Mit dem Geld könnte Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) neue Computer für die Schulen kaufen. Fünf Milliarden Euro ist genau die Summe, die Frau Wanka in die Digitalisierung von Schulen stecken will.

Auch sonst greift Vater Staat den Kirchen mit unserem Steuergeld großzügig unter die Arme. Etwa 19 Milliarden Euro überweist der Staat laut Frerk den Kirchen pro Jahr. Zusätzlich zur Kirchensteuer. Steuerzahler sanieren mit ihrem Geld Kirchen und Pfarrhäuser für rund 100 Millionen Euro im Jahr, selbst wenn sie Heiden sind. Wir finanzieren den kirchlichen Nachwuchs. Etwa 500 Millionen steckt Vater Staat in die theologischen Fakultäten der Unis – obwohl Theologie gar keine Wissenschaft, sondern Glaubenssache ist. »Eine Theologie, die sich den wissenschaftlichen Fakten ehrlich stellen würde, müsste sich eigentlich wegen hinreichend belegter Gegenstandslosigkeit selbst auflösen«, schreibt der promovierte Theologe Heinz-Werner Kubitza (»Der Jesuswahn«).

Fast vier Milliarden Steuergelder fließen in christliche Kindergärten, liest man bei Frerk. Die Kirchen würden ihre Kindertagesstätten »nur zum allergeringsten Anteil selbst finanzieren«. Wir zahlen also dafür, dass schon die Kleinen im Kindergarten beten lernen und die Kindergärtnerinnen ihnen vom lieben Gott erzählen – alles in der Hoffnung, dass die Kleinen eines Tages zu braven Kirchensteuerzahlern heranwachsen. Sogar bei den über sechs Millionen Minijobbern im Land halten die Kirchen mit einer pauschalen Steuer die Hand auf. Rund 17 Millionen knüpfen sie den Geringverdienern laut Frerk ab. Heißt es in der Bibel nicht: »Wehe dem, der sein Gut mehret mit fremden Gut!«

Aber die Kirchen tun doch so viel Gutes. »Wer die Kirche unterstützt, übt Solidarität mit den Schwachen und Benachteiligten«, rühmt sich die EKD auf ihrer Internetseite. Ja, aber auch viele dieser guten Taten zahlt in Wirklichkeit der Steuerzahler. Schätzungsweise zahlen die Kirchen, so die FAZ, »allenfalls fünf Prozent« ihrer Wohltaten aus eigener Tasche.

19 Milliarden aus der Steuerkasse an die Kirchen – eine schöne Stange Geld. Von dem Geld könnten wir locker die Mütterrente finanzieren. Deren Aufstockung soll jährlich 6,7 Milliarden Euro kosten. Also: Kürzen wir den Kirchen das Geld, geben wir es den Müttern.

Auch die Kosten für die Zuwanderung könnte der Staat von diesem Geld berappen. Und die Bekämpfung von Fluchtursachen gleich mit. Für diese beiden Posten hat die Bundesregierung genau 19 Milliarden im Haushalt veranschlagt.

Wenn wir den Kirchen die Milliarden streichen würden, könnten die Bildungsminister auch endlich anfangen, Deutschlands Schulen zu sanieren. 34 Milliarden Euro, so schätzt das Deutsche Institut für Urbanistik, würde es kosten, kaputte Heizungen, versiffte Toiletten, marode Turnhallen, einsturzgefährdete Dächer und undichte Fenster in Deutschlands Schulen zu reparieren. Gerade mal 2,8 Milliarden gaben die Flächenländer (die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen ausgenommen) 2015 für die Sanierung von Schulen aus. Kinder sind, so ist auf der Internetseite der EKD zu lesen, »ein köstlicher Schatz«. Warum lassen wir zu, dass unsere köstlichen Schätze in heruntergekommenen Klassenzimmern hocken, während sich Bischöfe von unserem Steuergeld Protzbauten leisten?

Nur zwei Drittel aller Steuerzahler sind Mitglieder einer christlichen Kirche, aber alle werden zur Kasse gebeten. Von »systemisch bedingter Ausbeutung des Steuerzahlers« schreibt der Münchener Theologe Friedrich Wilhelm Graf. Man kann es auch drastischer formulieren: Die Kirchen laben sich wie Vampire am Steuerzahler. Oder Jesus zitieren: »Weh’ euch, ihr Heuchler, die ihr die Becher und Schüsseln außen reinigt, innen aber sind sie voller Raub und Gier!«

Ich will hier gar nicht davon anfangen, dass sowohl katholische als auch evangelische Pfarrer Kinder, die ihnen anvertraut waren, im großen Stil sexuell missbraucht haben. Und dass die Kirchen mit ihrem selbst gestrickten Arbeitsrecht die Grundrechte ihrer Mitarbeiter mit Füßen treten. Oder von den Millionen, die Ex-Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst für seinen Protzbau in Limburg verprasst hat.

Ich bin ein Fan guter Taten, auch von denen der Kirche. Dass sie Geld aus dem Steuersäckel bekommen, könnte ich vielleicht noch verschmerzen, wenn auch nicht in dieser Höhe. Aber ich lasse mir von solchen Leuten nicht sagen, dass ich »kein kostenloses Menschenrecht auf gewollte Kinderlosigkeit« habe. Menschenrechte sind unveräußerlich. So steht es im Grundgesetz: »Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.« Artikel 1, Absatz 2.

Und dass Menschenrechte für alle gelten, und zwar ohne Gegenleistung, sollten gerade Theologen eigentlich wissen.

Keine Kinder zu haben, ist ein Menschenrecht, das 1968 auf der Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen (UN) in Teheran festgeschrieben worden ist: »Eltern haben ein grundlegendes Menschenrecht, frei und selbstverantwortlich über Zahl und zeitliche Planung ihrer Kinder zu entscheiden, sowie ein Recht, darüber eine angemessene Erziehung und Information zu erhalten.« So steht es in Artikel 16 der Abschlussproklamation. Es ging in der Debatte damals zwar mehr um Entwicklungsländer und um den fehlenden Zugang zu Verhütungsmitteln, trotzdem gilt der Passus noch heute. Menschen haben das Recht, selbst zu bestimmen, ob und wie viele Kinder sie kriegen. Familienplanung ist Privatsache und die Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, macht mit Blick auf die drohende Weltübervölkerung vielleicht sogar Sinn.

Die Welthungerhilfe geht davon aus, dass alle zehn Sekunden auf der Welt ein Kind an Mangel- oder Unterernährung stirbt. Aber die Kirche will mehr Kinder. Was sie mit dieser Art von »Bevölkerungspolitik« anrichtet, kann man sich unter anderem auf den Philippinen ansehen. Die Regierung will Verhütungsmittel für seine Bürger und Bürgerinnen, um die Armut zu bekämpfen. Die katholische Kirche stemmt sich mit aller Macht dagegen. Mehr als 100 Millionen Menschen lebten 2014 auf den Philippinen. 1998 waren es rund 73 Millionen. 27 Millionen mehr Menschen innerhalb von 16 Jahren. 50 Millionen Menschen gelten als arm. 80 Prozent sind Kinder. UNICEF zä