Volksrepublik Donezk - Hendrik Weber - E-Book

Volksrepublik Donezk E-Book

Hendrik Weber

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Beschreibung

Volksrepublik Donezk Von der sogenannten Volksrepublik Donezk, die im Frühjahr 2014 im Donbass gegründet wurde, haben wir in unseren Medien bisher sehr wenig gehört. Wer oder was ist die Volksrepublik Donezk und wie funktioniert sie? Sind es Separatisten, die mit der Machtübernahme im Februar 2014 in Kiew nicht einverstanden waren, oder handelt es sich um Terroristen, die von Russland gefördert und mit Waffen unterstützt werden? Dieses Buch versucht sowohl die Anfänge der Volksrepublik Donezk zu verstehen, als auch die Funktionsweise sowie die Gedanken und Befürchtungen der Bewohner in Donezk zu beschreiben.

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Seitenzahl: 336

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Der Maidan

Die Ukraine als geopolitischer Spielball

Der Donbass

Die Ereignisse 2014 - 2015

Separatisten, Terroristen und Bürger

Russische Einflüsse

Die OSZE

Die ukrainische Armee, die Nazi-Bataillone und die NATO

Die Oligarchen

Besuch in der Volksrepublik Donezk

Die Volksrepublik Donezk

Der Volksrat

Die Aussenpolitik

Vereinbarung von Minsk

Die Wirtschaftspolitik

Die Volksmiliz der Volksrepublik Donezk

Resümee

Dezember 2021 - Februar 2022 Die Anerkennung

VORWORT

Eine natürliche Frage, die vielleicht in Ihrem Kopf entsteht: Warum? Warum hat der Donbass revoltiert? Ich sage es Ihnen. Ich erzähle es Ihnen im Namen eines normalen Bürgers; im Namen einer gewöhnlichen jungen Frau, deren Jugend gestohlen wurde und die Donezk Europa vorzog.

Seit der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 ist der Donbass unbeliebt geworden und war für die ukrainische Regierung nur wichtig als Finanzlokomotive und als Geldgeber für den westlichen Teil des Landes und des unersättlichen Zentrums Kiew. Warum gab es eine solche Haltung gegenüber dem Donbass? Weil er zu einem russischen Geschwür am Körper einer gesunden und glücklichen ukrainischen Gesellschaft wurde. Die Ukrainer, die mit dem Patriotismus des «unglücklichen» Taras Schewtschenko und mit Geschichten über das ukrainische Volk, das von der russischen Welt unterdrückt wurde, und mit dem Hass auf alles Russische erzogen wurden.

Der Donbass hatte kein Mitspracherecht in der Ukraine, weil dort größtenteils Russen leben, die als natürliche Feinde des ukrainischen Volkes gelten. Aber wenn wir uns der Gegenwart nähern, so nahmen diese Feinde demütig die Wahl des westukrainischen Präsidentschaftskandidaten Viktor Juschtschenko im Jahre 2004 an. Als hingegen Viktor Janukowitsch, ein Kandidat aus dem Osten des Landes, im Jahre 2010 das Präsidentenamt übernahm, sorgte dies für extremen Unmut bis hin zu Aggressionen, die später zu blutigen Kundgebungen und 2014 zu einem Staatsstreich eskalierten. Der Westen hat unsere Wahl, unser Volk, unsere Stimme stets abgelehnt, warum also hätten wir 2014 schweigen und alles für selbstverständlich hinnehmen sollen? Das wollten und haben wir nicht.

2014 haben wir unsere Wahl getroffen und verfolgen diesen Weg bis heute, wir verteidigen weiterhin unsere Rechte und unser Land. Der Bildungsprozess unseres jungen Staates wird jedoch durch eine Reihe von Hindernissen erheblich erschwert - darunter fallen die militärischen Aktionen mit Beschuss unserer Territorien, der Zerstörung der Infrastruktur und die wirtschaftliche Isolation. Kiew hat absolut alle Bedingungen für eine erfolgreiche und stabile Blockade unserer Region geschaffen und tötet weiterhin unser Volk, unsere Kinder, zerstört unsere Häuser und Schulen. Jeder Tag ohne Beschuss ist ein seltenes und wertvolles Geschenk für mein Volk.

So ist die Ukraine. In den Medien spricht sie heuchlerisch über ihr Engagement für eine friedliche Beilegung des Konflikts, spricht den Opfern des Krieges ihr Beileid aus und fordert eine Beendigung des Konflikts, doch in Wirklichkeit setzt Kiew auf ständigen Beschuss, Aggression, Verletzung der Grundlagen des humanitären Rechts und ist absolut taub gegenüber den Stimmen des Donbass. Wir werden nicht in eine solche Ukraine zurückkehren und wir brauchen sie auch nicht. Wir haben bereits unseren eigenen Staat gebildet, und alles, was wir von der Ukraine brauchen, ist eine friedliche Koexistenz.

Du, der dies jetzt liest, komm zu uns. Schau dir Donezk mit eigenen Augen an, ich zeige es dir. Ich zeige dir die Vor-und Nachteile; ich zeige dir die Schönheit der Architektur und die Hässlichkeit des Krieges. Ich zeige dir die Kraft des kulturellen Lebens und die Müdigkeit der Menschen. Ich bin sicher, dass du deine Meinung über den Donbass und die hier lebenden Menschen änderst, denn wir sind keine Terroristen. Wir sind Menschen genauso wie ihr. Eure Kinder verdienen keine Kindheit, in der sie in Kellern sitzen müssen, unter Beschuss leben und verhungern. Unsere Kinder haben dies auch nicht verdient.

Ich möchte dem Autor dieses Buches danken: für seine Sorge um das Schicksal unseres Volkes, für den Wunsch, der Weltgemeinschaft wahrheitsgetreue Informationen über den Donbass zu vermitteln, einfach für sein Verlangen nach Gerechtigkeit vor dem Hintergrund der sich schließenden Wolken der ukrainischen Propaganda und dem donnernden Einfluss des Westens. Ich bin sicher, dass dieses Buch die Situation in der Volksrepublik Donezk beleuchten und das Interesse an der Geschichte, Kultur und dem Leben des Donbass wecken wird.

Am Ende möchte ich noch etwas hinzufügen…

Was war Donezk? Das Land der Bergleute, das Herz der metallurgischen Industrie, die Stadt der Millionen Rosen, ein Ort des friedlichen Zusammenlebens von über 130 Nationalitäten und Völkern.

Was ist Donezk jetzt? Krieg, zerbrochene Leben von Menschen, Kindertränen, unaufhörlicher Beschuss und ständige Angst.

Was wird der Donbass werden? Eine wohlhabende und blühende Region mit glücklichen und gesunden Familien, ein industriell stabiles Zentrum als ein Teil der russischen Welt.

Was wird Donezk immer für mich sein? Heimat!

Lilia B.

28 Jahre - Donezk

DER MAIDAN

Um die Anfänge des Konflikts in der Ostukraine einordnen zu können, ist es wichtig, sich noch einmal die Reihenfolge der Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen, die schlussendlich zur Abspaltung und Gründung der Volksrepublik Donezk geführt haben.

In unseren Medien beginnt der Konflikt in der Ukraine oft mit der vermeintlichen Annexion der Krim durch russische Soldaten. Daraufhin soll der russische Präsident Putin schließlich auch den Separatismus im Donbass unterstützt haben, um die Ukraine zu destabilisieren und dadurch stärker an die Russische Föderation zu binden.

Die Ereignisse auf dem Maidan in Kiew, die im Winter 2013/2014 zu diesem Konflikt geführt haben, habe ich bereits im Buch «Unsere Krim - Staatsstreich oder demokratische Entscheidung» beschrieben. Daher sind im Folgenden nur die wichtigsten Ereignisse aufgeführt.

Am 21. November 2014 begannen die Demonstrationen auf dem Maidan mit einigen Hundert Teilnehmern. Bereits drei Tage später konnten die Demonstranten weitere Anhänger in zahlreichen anderen Städten mobilisieren. Nach einer kurzen Weile schlugen die Demonstrationen in gewaltsame Proteste um. Die gewalttätigen Demonstranten besetzten mehrere Gebäude im Zentrum von Kiew, aber auch in vielen anderen Städten der Westukraine.1

Anders als von vielen Medien und der Internet-Enzyklopädie Wikipedia heute behauptet, ging es den Demonstranten in erster Linie nicht um die Unterzeichnung des geplanten Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der Europäischen Union. Das Gorshenin Institut führte bereits am 02. Dezember 2014 eine Umfrage auf dem Maidan durch. Dabei nannten ganze 55 Prozent der Befragten, dass sie für den Sturz der Regierung, die Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen und gegen die Korruption im Land demonstrierten. Nur 28 Prozent der Befragten forderten die Unterzeichnung des Abkommens mit der EU.

Zuvor hatten Präsident Viktor Janukowitsch und Premierminister Nikolai Asarow am 21. November 2013 mitgeteilt, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht zu unterzeichnen. Sie sahen in dem Vertrag nach wie vor große Nachteile für die Ukraine, die bei den vorangegangenen Verhandlungen nicht hatten geklärt werden können. Asarow beschreibt die Nachteile für die Ukraine ausführlich in seinem Buch «Ukraine: Die Wahrheit über den Staatsstreich».

Teile der westlichen Politiker und Medien sahen bereits in dieser Ablehnung eine Einmischung Russlands. Die BBC zitierte am 27. November 2013 den EU-Handelskommissar Karel De Gucht, der behauptete, dass eindeutig der Druck vonseiten Russlands für die Entscheidung der ukrainischen Regierung verantwortlich war, das Handelsabkommen nicht zu unterschreiben.2

Die westlichen Medien hielten es nicht für notwendig, den Inhalt des geplanten Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine ausreichend zu erklären. Es handelte sich bei dem 2.137 Seiten starken Vertrag nicht nur um ein reines Handelsabkommen, sondern auch einen Vertrag zur Annäherung und zur militärischen Zusammenarbeit mit der Europäischen Union. Erst im Nachhinein haben einige westliche Politiker eingeräumt, dass es unklug gewesen sei, die Ukraine durch diesen Vertrag vor eine Wahl zwischen einer Zusammenarbeit mit der EU oder mit Russland zu stellen. Man hätte mit mehr Fingerspitzengefühl vorgehen sollen und die Ukraine nicht vor die «…Wahl zwischen Ja zu Europa und Nein zu Russland stellen sollen», erklärte etwa der SPD-Politiker Nils Annen.

Auch andere Politiker bemängelten im Nachhinein, dass Russland nicht in die Gespräche mit einbezogen worden war, obwohl man um die historischen, gesellschaftlichen und engen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen der Ukraine und Russland gewusst habe. Der langjährige US-Politikberater und Diplomat Henry Kissinger sagte damals: «Wenn die Ukraine überleben und gedeihen soll, dann kann sie nicht der Vorposten des Einen gegen den Anderen sein – sie sollte vielmehr als Brücke zwischen ihnen dienen. (…) Die Ukraine als Objekt einer Ost-West-Konfrontation zu behandeln, hieße auf Jahrzehnte hinaus jede Chance vertun, Russland und den Westen (besonders Russland und Europa) in ein kooperatives internationales System einzubringen.»3

Nachdem es Anfang 2014 bei den Protesten auf dem Maidan zu zahlreichen Toten und Verletzten gekommen war, reisten die Außenminister von Frankreich, Deutschland und Polen sowie der russische Vermittler Vladimir Lukin am 20. Februar 2014 nach Kiew, um mit der Regierung und der Opposition eine Lösung zu erarbeiten. Bei dem Treffen waren auch die Führer der Oppositionsparteien anwesend, wie unter anderem der Vorsitzende der rechtspopulistischen und nationalistischen4 Partei Swoboda (Freiheit), Oleg Tjangnibok, Vitalij Klitschko von der Partei Uder (Schlag) sowie Arsenij Jazenjuk von der Batkiwschtschyna (Vaterlandspartei).

Das erarbeitete Abkommen, welches bereits einen Tag später, am 21. Februar 2014 unterzeichnet wurde, enthielt die folgenden sechs Punkte:

Die Wiedereinführung der Verfassung von 2004, die dem Präsidenten weniger Rechte einräumt.

Der sofortige Beginn der Arbeiten an einer Verfassungsreform.

Vorgezogene Präsidentschaftswahlen bis spätestens Dezember 2014.

Die gemeinsame Untersuchung der jüngsten Gewalt auf dem Maidan.

Die Polizei und die Demonstranten ziehen sich von Maidan zurück.

Die Außenminister von Deutschland, Polen und die Vertreter Frankreichs und des russischen Präsidenten rufen dazu auf, die Gewalt sofort zu beenden.

Der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier äußerte sich nach Abschluss des Abkommens vorsichtig optimistisch, die Gewalt auf dem Maidan zu beenden.

Noch am selben Tag lehnten jedoch führende Vertreter der Maidan-Proteste das Dokument ab und bezeichneten das Abkommen als «Betrug». Dmitri Jarosch, der Chef des rechtsextremen Rechten Sektors,5 verkündete auf dem Maidan, dass der Rechte Sektor die Waffen nicht niederlegen und die besetzten Gebäude nicht eher räumen werde, bis der Präsident zurückgetreten sei.6

Die Menge forderte nach wie vor den sofortigen Rücktritt des Präsidenten. Die Europäische Union, die durch die Unterschriften der Außenminister von Deutschland, Polen und Frankreich für das geschlossene Abkommen garantierte, ließ den bevorstehenden Putsch einfach geschehen und erkannte wenig später sogar die neuen Machthaber als rechtmäßige Übergangsregierung der Ukraine an.

Die ehemalige Russland-Korrespondentin der ARD, Prof. Gabriele Krone-Schmalz, bezeichnete diesen Tag in einem Interview als «…das tragischste Datum Europas…».7

Am 22. Februar 2014 übernahm die Opposition die Macht in Kiew. Zuvor hatten sogenannte «Selbstverteidigungskräfte» des Maidan und der paramilitärische Arm des Rechten Sektors das Regierungsviertel gestürmt und weitere Bereiche sowie das Parlamentsgebäude, die Präsidialverwaltung und das Verteidigungsministerium unter ihre Kontrolle gebracht. Dies war möglich geworden, weil Präsident Janukowitsch sich an seinen Teil der Abmachung gehalten und die Polizeikräfte weitestgehend abgezogen hatte.

Am selben Tag wurde Janukowitsch vom Parlament ohne die in der ukrainischen Verfassung festgelegte Mehrheit von 75 Prozent8 der Stimmen seines Amtes enthoben. Nur 328 statt der notwendigen 338 Abgeordneten9 stimmten für seine Absetzung.

Man muss daher von einem verfassungswidrigen Staatsstreich und einer illegalen Machtübernahme in der Ukraine sprechen.

In westlichen Medienberichten wurden dabei oft wichtige Details außer Acht gelassen. Der Frage nach der Parlamentssitzung in Kiew, in welcher Janukowitsch abgesetzt wurde, wo bewaffnete und maskierte Personen das Gebäude unter ihrer Kontrolle hatten und Parlamentsmitglieder einschüchterten und sogar verprügelten, wurde nie ausreichend nachgegangen. Dem Medienkonsumenten wurde ebenfalls nicht erklärt, welche Verfahren die ukrainische Verfassung vorsieht, um einen Präsidenten seines Amtes zu entheben, und dass diese nicht eingehalten wurden.

Auch die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland für oppositionelle Gruppen und Medien in der Ukraine in den Jahren vor dem Putsch wurde nicht beleuchtet. Die gezielten Schüsse auf dem Maidan bei denen zahlreiche Demonstranten und Sicherheitskräfte starben, sind noch immer nicht aufgeklärt.

Viele Journalisten ließen sich außerdem zu der Erklärung hinreißen, dass Präsident Janukowitsch aus Kiew abgereist sei und er damit sozusagen selbst zurückgetreten sei. In Wirklichkeit wollte Janukowitsch am 22. Februar in Charkov an einem geplanten Kongress teilnehmen. Nachdem sich jedoch auch das Innenministerium und die Polizei auf die Seite der Demonstranten gestellt hatten, war Janukowitsch in der Hauptstadt nicht mehr sicher. Dies bestätigte auch der ehemalige Premierminister Nikolai Asarow, der bereits im Januar 2014 zurückgetreten war und auf seiner Abreise aus Kiew nur knapp einem Attentat entging.10

Nach dem Staatsstreich übernahm am 27. Februar 2014 eine Übergangsregierung unter Premierminister Arsenij Jazenjuk die Amtsgeschäfte in Kiew. Aleksander Turtschinow von der Vaterlandspartei erhielt den Posten des Übergangspräsidenten bis zu den angesetzten Neuwahlen am 25. Mai 2014. Nikolai Asarow schreibt in seinem Buch: «Es ist völlig offensichtlich, dass es ein Staatsstreich gewesen ist. Es ist aber auch augenscheinlich, dass man einem Staatsstreich einen gewissen demokratischen Anschein geben muss. Und genau deshalb hat man den Maidan als Revolution dargestellt.11

Viele russische Medien und Kritiker des Putsches kritisierten von Anfang an, dass es sowohl auf dem Maidan, als auch in der späteren Übergangsregierung Nationalisten und rechtsextreme Kräfte gab, die den Putsch maßgeblich mitbestimmt hatten. Auch die im späteren Verlauf des Konfliktes im Osten des Landes eingesetzten Freiwilligenbataillone seinen zu grossen Teilen Sammelbecken für fanatische rechtsextreme Kämpfer.

Um diese Vorwürfe gegen die neue Übergangsregierung zu entkräften, wird von westlichen Medien und Organisationen heute die Beteiligung Rechtsextremer oft heruntergespielt. Die Proteste seien ausschließlich von Bürgern aus der Mitte der Gesellschaft getragen worden. Andere Behauptungen sollen demnach einzig und allein russische Propaganda sein.

Dass es diese rechtsextremen und paramilitärischen Kräfte sowohl auf dem Maidan in Kiew, als auch in vielen anderen Städten gegeben hat, und dass sie von Beginn an maßgeblich beteiligt waren, steht jedoch außer Frage. Nach dem Staatsstreich bekleideten sie sogar wichtige Positionen in der neuen Übergangsregierung. Auch westliche Medien berichteten anfangs noch offen darüber.

Rechtsextreme und nationalistische Kräfte bekamen in der Ukraine bereits nach der Orangenen Revolution von 2004 erheblichen Aufwind. Damals hatte der pro-westliche Präsident Viktor Juschtschenko den Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera postum zum Nationalhelden erklärt.12

Die frühe Beteiligung von Rechtsextremen bei den Protesten auf dem Maidan 2013/2014 bestätigte unter anderem Euromaidan Press auf seinen Internetseiten und schrieb, dass der ukrainische Parlamentsabgeordnete Andrij Parubij bereits am 08. Dezember 2013 «… die Freiwilligen des Maidan in Selbstverteidigungseinheiten versammelte».

Der Rechtsaußen-Politiker Parubij wurde kurz danach zum Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine ernannt. 2018 sagte er in einer ukrainischen Fernsehsendung: «Und übrigens sage ich Ihnen, der größte Mensch, der die direkte Demokratie praktiziert hat, das war Adolf Aloisowitsch [Adolf Hitler] …und daran müssen wir uns erinnern…».13

Die Partei Swoboda (Freiheit) unter Oleg Tjangnibok war nun ebenfalls an der neuen Übergangsregierung beteiligt und stellte sowohl den Vizepremier, den Landwirtschaftsminister und bekleidete das wichtige Amt des Generalstaatsanwalts. Swoboda war 2004 aus der «National-Sozialen Partei der Ukraine» hervorgegangen, dessen Parteilogo die Wolfsangel der SS-Division «Das Reich» war. Tjangnibok war bereits 2004 durch radikale Äußerungen aufgefallen, in welchen er beispielsweise dazu aufrief: «Russensäue, Judenschweine und andere Unarten» zu bekämpfen und gegen die «Moskauer Juden-Mafia, die die Ukraine regiert» hetzte.14 Sein Anwalt, der ihn wegen dieser Aussagen damals vor Gericht vertrat, wurde nach dem Putsch zum neuen Generalstaatsanwalt berufen.

Auch der Rechte Sektor von Dimitri Jarosch, der Ende 2013 aus einem Zusammenschluss mehrerer rechtsextremer Organisationen entstand, spielte auf dem Maidan eine entscheidende Rolle. Auf den Internetseiten von Euromaidan Press hieß es bereits am 30. November 2013 «Junge Aktivisten der rechtsextremen Bewegungen und Fußballfans versammeln sich vor dem Eingang der Diplomatischen Akademie am St.-Michaels-Platz. Sie hängen ein Banner des Rechten Sektor auf, rüsten sich mit Stöcken aus und beginn en Widerstand gegen Polizeiangriffezu trainieren…».15

In Videoreportagen der ersten Tage der Maidan-Proteste sind deutlich die Flaggen mehrerer rechtsextremer Organisationen und das Banner des ukrainischen Wehrmachtsbataillons «Nachtigall»16 aus dem Zweiten Weltkrieg, sowie Bilder des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera zu sehen. N-TV berichtete im März 2014: «Der Westen unterstützt die neue Regierung in der Ukraine. Dabei koaliert Premier Arseni Jazenjuk in Kiew mit einer skrupellosen rechten Partei, die auch vor Waffen-SS-Nostalgie und öffentlicher Gewalt nicht zurückschreckt».17

Auch die ARD berichtete zu Beginn noch über den Einfluss ukrainischer Rechtsextremer auf die Proteste und bemängelte das Wegschauen europäischer Politiker.18

Der deutsche Journalist Ulrich Heyden beschreibt in seinem Buch «Ein Krieg der Oligarchen» sein Treffen mit der Ukrainerin Nina Potarskaja. Die Mitarbeiterin des Kiewer Zentrums für Sozial- und Arbeitsforschung bestätigte ihm gegenüber, dass «die Rechten» von Anfang an die Initiative auf dem Maidan gehabt hatten.19

Nur wenige westliche Politiker regten sich darüber auf oder kommentierten die offene Sympathie der Demonstranten mit den Rechtsextremen. Einer von ihnen war der ehemalige EU-Kommissar Günther Verheugen, der in einem Interview bezüglich der Regierung in Kiew sagte, dass das Problem weder in Moskau noch in Europa, sondern in Kiew liege, «… wo wir die erste europäische Regierung des 21. Jahrhunderts haben, in der Faschisten sitzen.»20

Mit der offensichtlichen Unterstützung der westlichen Staaten für die neue Regierung in Kiew änderte sich auch die Berichterstattung der westlichen Medien innerhalb kurzer Zeit und lenkt seither die Aufmerksamkeit auf Russland als angeblichen Auslöser des Konfliktes.

Bei einem Deutschlandbesuch des neuen ukrainischen Premierministers Arseni Jazenjuk, sprach dieser in einem ARD-Interview am 07. Januar 2015 von der «russischen Aggression» gegen die Ukraine. Aus den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges könne man sich noch gut an die «sowjetische Invasion in der Ukraine und Deutschland erinnern», so Jazenjuk wörtlich. Weder die Wortwahl noch die offensichtliche Geschichtsfälschung wurde von Journalistin Pinar Atalay kommentiert. Auch die Bundesregierung sah keinen Grund, sich von ihrem Staatsgast zu distanzieren oder dessen Interviewäußerungen zu kommentieren. Der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, sagte: «Der ukrainische Ministerpräsident hat wie jeder andere – ob Politiker, Bürger oder Sportler – bei uns in Deutschland die Möglichkeit, in den deutschen Medien zu sagen, was er für angemessen hält. Das ist Ausdruck der uns sehr wichtigen Meinungsfreiheit.»21

Auch das von westlichen Medien unterstützte Narrativ, dass sich die Proteste auf dem Maidan spontan entwickelt haben sollen, lässt sich nicht halten. Bereits von Beginn an wurden die Proteste von bekannten Politikern wie zum Beispiel Vitalij Klitschko und dem früheren Innenminister Jurij Luzenko unterstützt. Sie traten bereits nach kurzer Zeit als Wortführer vor den Demonstranten auf.

Auch westliche Politiker besuchten sehr schnell den Maidan und sicherten ihre Unterstützung zu. Bereits am 04. Dezember 2013 sprach der frühere deutsche Außenminister Guido Westerwelle vor der Menge davon, dass er ein Zeichen dafür setzen wolle, dass die Ukraine in der EU willkommen sei.22

Sechs Tage später besuchten Catherine Ashton, die Außenbeauftragte der EU, und Viktoria Nuland, die stellvertretende US-Staatssekretärin für europäische und eurasische Angelegenheiten, den Maidan.

Unter den prominenten Unterstützern war auch der bekannte US-Senator John McCain, der die Aktionen der Demonstranten offen unterstützte und teilweise auch organisierte. Von der Bühne neben dem Rechtspopulisten Tjangnibok stehend, sprach er zu den Demonstranten: «Ukrainer! Jetzt ist eure Stunde gekommen! Es betrifft euch, niemanden sonst! Es geht um eure Zukunft, um die Zukunft, die Ihr verdient! Die Zukunft in Europa! Die Zukunft in Frieden! Die Zukunft eurer Nachbarn! Die freie Welt ist mit euch! Amerika ist mit euch! Ich bin mit euch! Die Ukraine wird Europa besser machen, und Europa wird die Ukraine besser machen!»23

Wir sollten versuchen, uns vorzustellen, dass ein russischer oder chinesischer Politiker auf einer Kundgebung vor dem Deutschen Bundestag zu den Demonstranten redet, die dort gegen die Bundesregierung demonstrieren.

Man sollte äußerst skeptisch sein, wenn die Demonstrationen auf dem Maidan als eine reine Bürgerbewegung dargestellt werden.

Auch das Narrativ der Medien und deren sogenannter Ukraine-Experten, dass die gesamte Bevölkerung der Ukraine die Proteste auf dem Maidan bzw. die neue Übergangsregierung breit unterstützte, entspricht ebenfalls nicht der Wahrheit. Die Analyse, wonach der Westen und der Südosten der Ukraine tief gespalten ist, wird dabei oft als russische Desinformation und Propaganda abgetan. Dass dies falsch ist, bestätigte eine Umfrage vom April 2014, die vom Kiewer Internationalen Institut für Soziologie (KIIS) durchgeführt worden war. Demnach ist deutlich zu erkennen, dass die Bürger speziell im Süden und Osten des Landes eine andere Sicht auf die Ereignisse hatten. Die Zustimmung zu den Protesten auf dem Maidan nimmt deutlich ab, je weiter man nach Osten kommt. Die geringste Unterstützung erhielten die Demonstranten auf dem Maidan demnach in den Oblasten Donezk und Lugansk. Die Bürger im Osten der Ukraine unterstützen viel mehr die alternative Zollunion mit Russland, Weißrussland und Kasachstan anstelle des Abkommens mit der Europäischen Union. Auch ist in der Umfrage deutlich zu erkennen, dass die Bürger in Lugansk und Donezk die Gefahr eines Bürgerkriegs und die Angst vor Kriminalität weit höher bewerten als die Bevölkerung in den westlichen Landesteilen.24

Diese tiefe Spaltung der Ukraine in West und Ost lässt sich auch an den Wahlergebnissen der Präsidenten- und Parlamentswahlen in den Jahren vor dem Staatsstreich deutlich erkennen.

Zusammenfassend muss man daher feststellen, dass es sich bei den Ereignissen in Kiew und anderen Städten der Ukraine 2014 um einen illegalen Staatsstreich handelte, der sowohl von radikalen und nationalistischen Kräften der Ukraine, als auch von westlichen Politikern breit unterstützt wurde.

Die gewaltsamen Ausschreitungen, sowie die politischen Vorschläge und Beschlüsse der neuen rechtslastigen Putschregierung, wie z.B. das geplante Verbot der russischen Sprache als Amtssprache, führten zu einer breiten Ablehnung der Maidanproteste sowie der neuen Regierung in den südlichen und östlichen Teilen der Ukraine. Die hauptsächlich russischsprachige Bevölkerung der Ostukraine hatte Angst vor diesen Nationalisten und Angst davor, dass es in ihren Städten zu denselben Szenen wie auf dem Maidan in Kiew kommen könnte. Hier entstanden bereits im Januar 2014 die ersten Anti-Maidan-Demonstrationen und die meisten Menschen glaubten, dass Russland nun der einzige Orientierungspunkt als Rettung vor einem drohenden Chaos sei.

Die Aufstände im Osten der Ukraine waren demnach eine Reaktion auf die gewaltsame Machtübernahme in Kiew und keinesfalls der Auslöser des Konfliktes in der Ukraine.

Die in den letzten Jahren von Kiew und ihren westlichen Unterstützern betriebene Politik trägt noch immer dazu bei, dass es eine breite Unterstützung für die Unabhängigkeit und Souveränität in den Volksrepubliken gab und heute immer noch gibt.

«Während wir arbeiteten, haben die in Kiew demonstriert!» Bergarbeiter aus Makijevka - 2018

DIE UKRAINE ALS GEOPOLITISCHER SPIELBALL

Die Unzufriedenheit der ukrainischen Bürger mit der eigenen Regierung wird oft als Hauptursache für die Proteste auf dem Maidan genannt. Es ist jedoch wichtig, auch die gewaltigen internationalen Einflüsse auf die Ukraine und deren Bevölkerung zu beleuchten.

Seit ihrer Unabhängigkeit 1991 rückt die Ukraine in regelmäßigen Abständen in die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Der strategisch wichtigen Lage des Landes im Süden von Europa kommt eine Schlüsselrolle als Pufferstaat zwischen Europa und Russland zu.

Sowohl der 2017 verstorbene Sicherheitsberater und Geostratege des US-Präsidenten Jimmy Carter sowie außenpolitischer Berater von Barack Obama, Zbigniew Brzezinski als auch der einflussreiche Chef des US-Think-Tanks Stratfor, Georg Friedman, haben in Vorträgen und Büchern immer wieder deutlich gemacht, wie wichtig die Ukraine für die USA ist, um Europa und Russland voneinander zu trennen. Nur auf diese Weise könne die USA ihre Vormachtstellung in der Welt behalten. In einem Interview im Dezember 2014 sagte Friedman: «…Darüber hinaus wäre das gefährlichste potenzielle Bündnis aus Sicht der Vereinigten Staaten ein Bündnis zwischen Russland und Deutschland. Dies wäre ein Bündnis deutscher Technologie und Kapital mit russischen natürlichen und menschlichen Ressourcen…». Auf die Frage, ob die Krise in der Ukraine eigentlich das Resultat einer Konfrontation zwischen den USA und Russland ist, antwortete er: «…Hier haben Sie zwei Länder: Das eine möchte eine Ukraine, die neutral ist. Das andere will, dass die Ukraine Teil einer Linie der Eindämmung gegen die russische Expansion wird…».25

Auch Brzezinski beschreibt in einem seiner wohl bekanntesten Bücher, The Grand Chessboard (Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft) von 1997 die Wichtigkeit der Ukraine für die US-amerikanische Außenpolitik. «…Am wichtigsten allerdings ist die Ukraine. Da die EU und die NATO sich nach Osten ausdehnen, wird die Ukraine schließlich vor der Wahl stehen, ob sie Teil einer dieser Organisationen werden möchte…». Er sah damals auch bereits einen zeitlichen Horizont «…das Jahrzehnt zwischen 2005 und 2015 als Zeitrahmen für eine sukzessive Eingliederung der Ukraine ins Auge fassen». Weiter analysiert Brzezinski, «…Die USA sind zwar weit weg, haben aber starkes Interesse an der Erhaltung eines geopolitischen Pluralismus im postsowjetischen Eurasien. Als ein zunehmend wichtiger, wenn auch nicht direkt eingreifender Mitspieler, der nicht allein an der Förderung der Bodenschätze in der Region interessiert ist, sondern auch verhindern will, dass Russland diesen geopolitischen Raum allein beherrscht, halten sie sich drohend im Hintergrund bereit. Neben seinen weiterreichenden geostrategischen Zielen in Eurasien vertritt Amerika auch ein eigenes wachsendes ökonomisches Interesse…». Wie Brzezinski in seinem Buch beschreibt, geht es den USA nicht allein um Absatzmärkte und Rohstoffe im postsowjetischen Raum, sondern auch um langfristige geostrategische Interessen. Seiner Ansicht nach wird Russland am deutlichsten geschwächt, wenn die Staaten der ehemaligen Sowjetunion aus dem Einflussbereich Russlands herausgerissen werden.

Die Idee, eine Linie der Eindämmung bzw. einen Gürtel aus Ländern als Pufferstaaten gegen Russland zu bilden, ist keineswegs neu, sondern wird bereits seit dem Ende des Ersten Weltkrieges verfolgt. Der polnische Generalstab erließ 1937 die Richtlinie 2304/2/37 in welcher die «Zerstörung ganz Russlands» als Ziel genannt wird. Eines der wirksamen Instrumente, um dies zu erreichen, sei die Anstiftung zum Separatismus im Kaukasus, in der Ukraine und in Zentralasien. In den Jahren 1942-1943 entwickelte die britische Regierung unter Premierminister W. Churchill Pläne, unter westlicher Aufsicht kleine Staaten in Nord-, Mittel- und Südeuropa zur Eindämmung Sowjetrusslands zu schaffen.

Aus Sicht der transatlantischen Geostrategen ist der letzte Baustein im Süden Europas, der noch fehlt, um diesen Gürtel zu schließen, die Ukraine. Diese geostrategischen Überlegungen und Planungen als russische Propaganda abzutun, zeugt entweder von Unwissenheit oder Naivität.

Der ehemalige Bundeswehroffizier und Autor Wolfgang Effenberger beschreibt in seinem Buch «Schwarzbuch EU & NATO» das Strategiepapier «Tradoc 525-5» des Hauptquartiers des US-Army Trainings- und Lehrkommandos aus dem Jahr 1994. Dort werden die verschiedenen Eskalationsstufen beschrieben, die notwendig sein können, um eine unerwünschte Regierung auszuwechseln und so ein Land dazu zu bewegen, eine andere Agenda zu verfolgen.

Die erste Stufe dabei ist der «Aufruhr» gefolgt von der «Krise» und dem «Konflikt» bis hin zum «Krieg». Vor diesem Hintergrund werden die Aktivitäten der USA nach dem Ende des Kalten Krieges erkennbar, schreibt Effenberger. Im Fall der Ukraine sind die Stufen dieser Eskalation demnach besonders offensichtlich. Bereits 2004 ist es durch westliche Unterstützung zur Orangenen Revolution gekommen, aus welcher der prowestliche Viktor Juschtschenko als Präsident hervorging. Damals war die ukrainische Studentenorganisation Pora als Instrument des Westens benutzt worden. Ihr Vorbild wiederum war die serbische Studentenbewegung Otpor, die 2000 am Sturz von Präsident Slobodan Milosevic beteiligt war und Pora unterstützt haben soll. Gelder für Pora kamen unter anderem von «Freedom of Choice», einer Koalition von ukrainischen NGOs (Nichtregierungsorganisationen), die wiederum vom westlichen Ausland vor allem über Stiftungen wie der Konrad-Adenauer-Stiftung, Freedom House, National Democratic Institute, The National Endowment for Democracy (NED) und des Open Society Institute finanziell unterstützt wurden, um eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu schaffen.26 Wie groß dieser Einfluss letzten Endes war, kann diskutiert werden.

Sogenannte Farbrevolutionen sind dabei nichts Neues und mittlerweile ein gängiges Muster. Bereits in Jugoslawien (2000), in Georgien (Rosenrevolution 2003) und aktuell in Weißrussland (2020) wurde diese Strategie angewendet und oft durch Studentenproteste ausgelöst. In den meisten Fällen wurden diese Bewegungen von verschiedenen westlichen NGOs finanziert und zum Teil auch direkt koordiniert.

Nach der erfolgreichen Orangenen Revolution in der Ukraine unterschrieb der neue Präsident Viktor Juschtschenko bereits im April 2005 einen Vertrag zur Vorbereitung der Aufnahme des Landes in die NATO.27 Von einer Neutralität der Ukraine konnte ab diesem Zeitpunkt keine Rede mehr sein.

Präsident Juschtschenko und Premierminister Julia Timoschenko setzten auf eine vom Westen diktierte, liberale Wirtschaftspolitik und Privatisierungen nach westlichem Vorbild. Auch der Vertrag über Gaslieferungen mit Russland wurde revidiert, sodass die Ukraine ab 2009 ihr Gas zu wesentlich höheren Weltmarktpreisen einkaufen musste.

Im Wahlkampf 2010 setzte sich Viktor Janukowitsch von der «Partei der Regionen» knapp gegen Julia Timoschenko durch und wurde zum neuen Präsidenten der Ukraine. Janukowitsch und sein Ministerpräsident Nikolai Asarow veränderten den wirtschaftlichen und außenpolitischen Kurs und traten für eine blockfreie Ukraine ein. Mehrere Kredit-, Investitions- und Exportverträge wurden unter anderem mit China und Hugo Chavez in Venezuela geschlossen. Genau wie China war auch Indien an Verträgen mit ukrainischen Rüstungsfirmen interessiert.

Insgesamt muss die Außenpolitik Janukowitschs im Verhältnis zu seinem Vorgänger als ausgeglichener betrachtet werden, denn er positionierte sich weder eindeutig aufseiten der NATO und der EU noch auf der Seite Russlands oder Chinas. Noch im November 2013 unterzeichnete die Ukraine einen Vertrag für die Gewinnung von Schiefergas mit dem US-Konzern Chevron,28 um sich bis zum Jahr 2020 von russischen Gaslieferungen unabhängiger zu machen. Als Janukowitsch und Asarow jedoch die Teilnahme an einer Zollunion mit Russland diskutierten, machte die Europäische Union mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso 2013 unmissverständlich klar, dass ein Beitritt der Ukraine zur Zollunion nicht mit einer Annäherung an die EU vereinbar sei. Die ukrainische Regierung wurde so Ende 2013 wissentlich und absichtlich in eine schwierige Lage gebracht.

Am 21. November 2013 sprach sich Janukowitsch gegen die Unterzeichnung des EU Assoziierungsabkommens aus, das von der Ukraine unter anderem das Einfrieren von Löhnen, Pensionen und Sozialleistungen gefordert hatte. Janukowitsch wandte sich daraufhin an Russland, um einen Kredit für seine maroden Staatsfinanzen zu erhalten.

Nur wenige westliche Beobachter und Politiker sahen damals die Gefahr, dass die Ukraine auseinanderbrechen könnte. Der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen war einer derjenigen, der die Fehler in den vorangegangenen Verhandlungen aufzeigte. Man habe der Ukraine keine langfristige Perspektive geboten und das Land gleichzeitig vor die Wahl zwischen der EU und Russland gestellt.29

Der massive Einfluss der USA und der Europäischen Union ist schon Jahre vor dem Putsch im Februar 2014 und auch danach deutlich zu erkennen.

Nur wenige Tage nach Beginn der Proteste in Kiew besuchten ranghohe Politiker und Staatsbeamte der USA und der EU den Maidan und unterstützten die Demonstranten. Viktoria Nuland, die stellvertretende US-Staatssekretärin für europäische und eurasische Angelegenheiten, hatte in einer Rede vor der US-Ukraine-Foundation davon gesprochen, dass die USA seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 5 Milliarden Dollar in die Ukraine «investiert» habe.30 Diese Gelder sind in den Jahren zuvor in die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen NGOs geflossen, welche die Ukraine auf einen westlichen Kurs bringen sollten.

Die Gründe dafür sind keine wilden Spekulationen, sondern liegen auf der Hand. Die EU war daran interessiert, die Ukraine durch das Assoziierungsabkommen an sich zu binden, und die USA wollten sich das Land als wirtschaftliche und militärische Ausgangsbasis im Kampf gegen Russland einverleiben, in die NATO integrieren und somit auf Konfrontationskurs gegen Moskau zwingen. Dabei ging es nicht um die Ukraine oder das ukrainische Volk selbst, sondern rein um geopolitische Überlegungen der USA.

US-Präsident Obama hatte sich nach dem Staatsstreich in einem Interview mit dem CNN-Moderator Fareed Zakaria zufrieden gezeigt und gesagt: «…Wir, [die USA] haben einen Deal zum Machtwechsel vermittelt…».

Westliche Staaten erließen 2014 auf Druck der USA Sanktionen gegen Russland und begründeten diese mit der vermeintlichen Destabilisierung der Ukraine durch Russland. Bundeskanzlerin Angela Merkel rechtfertigte diese am 10. September 2014 im Deutschen Bundestag mit der: «… Annexion der Krim, Unterstützung der Separatisten in Do nezk und Lugansk durch Russland und aktives Eingreifen durch russische Soldaten und Waffenlieferungen…».31

Die Sanktionen gegen Russland wurden seither in mehreren Schritten ausgeweitet und verschärft, was vor allem dem deutschen Mittelstand hohe Verluste zufügt, wohingegen die USA ihr Handelsvolumen mit Russland trotz der Sanktionen weiter erhöhen konnten. Europa und vor allem Deutschland werden auch in Zukunft die Hauptlast und die ökonomischen Konsequenzen der Sanktionspolitik tragen.

Die Regierungen, die seit 2014 in der Ukraine an der Macht waren, fahren aufgrund ihrer finanziellen Abhängigkeit einen demonstrativ prowestlichen Kurs und haben jede Zusammenarbeit mit Russland abgebrochen. In vielen Ministerien sitzen Berater aus den USA und nehmen seither direkten Einfluss auf die politischen Entscheidungen der Ukraine. Der damalige US-Vizepräsident Joe Biden hatte einen großen Einfluss auf die ukrainische Regierung in Sicherheits- und außenpolitischen Entscheidungen. Doch auch bei innenpolitischen Entscheidungen mischte sich Biden direkt in die innerstaatlichen Angelegenheiten der Ukraine ein. So unterstützte er trotz Rücktrittsforderungen Premierminister Jazenjuk und machte in Kiew unmissverständlich klar, dass die USA ihn nicht fallen lassen werde.

Biden ist in der Ukraine auch ganz persönlich in Korruption verwickelt und hatte unter anderem seinem Sohn Robert Hunter Biden Anfang Mai 2014 trotz fehlender Qualifikation eine lukrative Stellung im Aufsichtsrat des ukrainischen Gasunternehmens Burisma mit einem Monatsgehalt von rund 50.000 Dollar32 zugeschanzt. Zu dieser Zeit war Robert Hunter Biden jedoch alkohol- und drogenabhängig und mehr oder weniger arbeitsunfähig.33

Als der damalige ukrainische Generalstaatsanwalt Viktor Shokin 2015 Ermittlungen wegen Korruption gegen Burisma einleitete, machte Biden der ukrainischen Regierung unter Präsident Petro Poroschenko deutlich, dass der nächste Kredit der USA nicht eher ausgezahlt werde, bevor der Generalstaatsanwalt nicht entlassen sei. Dies hatte Biden bei einer Podiumsdiskussion 2018 selbst bestätigt.34

Poroschenko sicherte Biden zu, den Generalstaatsanwalt zu entlassen. In einem Telefongespräch zwischen den beiden sagte Poroschenko: «Gestern habe ich Generalstaatsanwalt Shokin getroffen. Und obwohl wir keine Hinweise auf Korruption gegen ihn haben und es keine Informationen über Fehlverhalten seinerseits gibt, habe ich ihn gebeten, seinen Rücktritt zu erklären… Vor einer Stunde hat er schriftlich seinen Rücktritt eingereicht».35

Im weiteren Verlauf holte sich Poroschenko von Biden sogar zunächst die Erlaubnis, um den neuen Generalstaatsanwalt der Ukraine, Juri Luzenko einzusetzen.

Seitdem Joe Biden 2021 als US-Präsident im Amt ist, geht diese Korruption, Bereicherung und Einflussnahme in die inneren Angelegenheiten der Ukraine auf höchster Ebene unvermindert weiter. Auch die Gefahr, dass der Krieg im Donbass sich wieder verschärft, hat mit Bidens Amtsantritt deutlich zugenommen. Erst im April 2021 bestätigte er in einem Interview die «unerschütterliche Unterstützung… gegen die anhaltende Aggression Russlands im Donbass und auf der Krim».36

Von ihrer Westbindung konnte die Ukraine selber bisher nicht profitieren. Das Land ist heute eines der ärmsten Europas. Der Durchschnittslohn liegt heute bei rund 300 Euro im Monat und somit nur knapp über dem, was ein Ukrainer 2014 verdiente. Infolge des Bürgerkrieges waren damals die Löhne und Gehälter 2014/2015 um mehr als die Hälfte eingebrochen. Somit liegt die Ukraine beim Pro-Kopf-Einkommen im Ländervergleich aktuell auf einer Ebene mit Marokko und Bolivien. Zusätzlich gibt es große regionale Unterschiede, wobei die Löhne in den ländlichen Regionen nochmal wesentlich geringer sind.37/38

Die Wohnnebenkosten wie Wasser, Gas und Strom sind in den letzten Jahren in dem von Kiew kontrollierten Teil der Ukraine kontinuierlich gestiegen, sodass jetzt für eine 3-Zimmer-Wohnung rund 90 Euro Nebenkosten anfallen, was zu einer weiteren Verarmung der Bevölkerung beiträgt.

Zusätzlich ist die Ukraine abhängig von immer neuen westlichen Krediten. Die Süddeutsche Zeitung meldete am 29. November 2019, dass die Ukraine rund 50 Milliarden Dollar an Auslandskrediten alleine für das Jahr 2020 benötigt.

Der IWF (Internationale Währungsfonds) hatte bereits 2015 einen Kredit in Höhe von 17,5 Milliarden Dollar über einen Zeitraum von vier Jahren gewährt. Allerdings kam der Kredit nicht den ukrainischen Menschen zugute, bedient wurden lediglich frühere Schuldenverpflichtungen gegenüber westlichen Staaten. Das könnte in Zukunft zu neuen Protesten gegen die Regierung führen, weil die Bevölkerung unter den mit den Krediten verbundenen Sparmaßnahmen noch weiter unter Druck gerät. Die Auflagen des IWF und der Geberländer sind hart und können die politische Stabilität aufs Neue gefährden. So musste das Rentensystem angepasst, also gekürzt werden und staatliche Angestellte mussten entlassen werden, um den vom IWF gewünschten schlanken neoliberalen Staat zu erhalten. Das Bildungs- und Gesundheitssystem musste reformiert werden, was heißt, privatisiert werden, und staatliche Betriebe und Subventionen für Gas mussten abgeschafft werden.

Auch von dem bereits unterzeichneten Assoziierungsabkommen mit der EU können sich die Ukrainer vorerst keinen wirtschaftlichen Aufschwung erhoffen. Wie bereits der Anfang 2014 zurückgetretene damalige ukrainische