Vollweib - Reena Hera - E-Book

Vollweib E-Book

Reena Hera

0,0

Beschreibung

Nachdem die Hauptdarstellerin das siebente Mal in ihrem Leben von einem Blitz heimgesucht worden war trieb sie nun, wenige Meter von ihrer in Flammen stehenden Yacht entfernt, in den tosenden Fluten des indischen Ozeans. Tausende Seemeilen vom Festland getrennt, den wohl unvermeidlich scheinenden Tod vor Augen, gehen ihr von ihrer Geburt bis zur Gegenwart zahlreiche Episoden ihres mehr als aufregenden Lebens durch den Kopf. Als Frühgeburt in den 60igern, für nicht überlebensfähig bezeichnet beweist sie in den folgenden Jahren - wie zum Trotz - unglaubliche Zähigkeit und Widerstandskraft. Von der Mutter von allen Abenteuern, besonders derer von erotischer Natur, ferngehalten, führt Rebecca später ein ausgesprochen exzessives Leben. Geprägt von extremen Abenteuern in der Natur und dem (Art de) Vivre einer spätberufenen. Während der Minuten, der Stunden und der Tage die sie, von allen Schifffahrtsrouten weit entfernt, im Wasser treibt, arbeitet sie gedanklich ihre Beziehungen auf. Noch einmal lässt sie ihre zahlreichen Nahtoderlebnisse beim Extremsport Revue passieren. Was läuft in so vielen Beziehungen falsch? Warum verstehen sich Frau und Mann immer weniger? Kann uns mehr Erotik und ein freieres Sexualverständnis vor Beziehungsmüdigkeit retten? Worauf beruhen die Wunderheilungen der zahlreichen Schamanen die Rebecca während ihrer Reisen und Weltumseglungen live miterlebt hat? Mehrmals im Leben wurde die Hauptdarstellerin in letzter Sekunde von Stimmen in ihrem Inneren oder aus dem Universum vor tödlichen Unfällen bewahrt. Kann die Energie und Kraft der Gedanken nicht nur Berge versetzen sondern auch ein Schiff zur Rettung herbeirufen? Kann außergewöhnliche sexuelle Energie und Liebe ein Satelliten-Telefon ersetzen? Oder können vielleicht ihre imaginären außerirdischen Besucher (mit ihrer außergewöhnlichen erotischen Aura) sie nicht nur mit den Weisheiten eines ganzen Menschendaseins beglücken sondern auch vor dem sicheren Tode retten?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 474

Veröffentlichungsjahr: 2015

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



REENA H E R A

DAS VOLLWEIB

„Manchmal muss man durch die Hölle, um zur Weisheit zu gelangen.“

Ich komme zu dieser Erkenntnis, da ich im tiefsten Inneren meiner Seele erfahren durfte, dass all die Esoterik-Seminaren und Weisheiten, mit denen ich mich beschäftigt hatte, mir das Gefühl vermittelten, ich müsste mich verändern.

Damit suggerierte ich meinem Unterbewusstsein, dass ich unvollkommen war. Ich durfte in meinem Leben schmerzhaft erlernen, was das für Folgen hat. Deshalb musste ich zuerst einmal durch die Hölle. Ich zensuriere in diesem Buch nichts, auch nicht die teils sehr erregenden erotischen Szenen. Sexualität ist etwas von Gott Gewolltes, also warum sollte ich sie unter den Tisch kehren.

Liebe Leserin, lieber Leser, sollte das für dich die Hölle bedeuten, dann wünsche ich dir, dass du nach dem Buch wie ein Phoenix aus der Asche steigst und fliegen kannst, denn was an Sexualität unterdrückt oder gar kompensiert wird, macht uns früher oder später krank. Solltest du aber nach diesen Zeilen die Erkenntnis erlangen, dass du die Venus in dir ausleben darfst, und dich das glücklicher macht als so mancher Esoterik Kurs und so mancher Gesundheitstrend, dann habe ich einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft geleistet.

Nicht nur ein Apfel, auch an orgasm a day, keeps the doctor away!

Tja … das war’s dann wohl …

Ich war vor wenigen Sekunden ins Wasser gesprungen und meine Yacht ging hinter mir mit Unmengen an schwarzem Rauch in Flammen auf. Ein ohrenbetäubender Krach hatte mir zunächst die Haare zu Berge gestellt. Oder war es nur die elektrische Ladung des Blitzes gewesen? Einerlei, der beißende Qualm, der vom Inneren meiner Yacht zu mir an den Steuerstand quoll, ließ keine Zweifel aufkommen.

»Schon wieder vom Blitz getroffen worden«, schoss es mir durch den Kopf.

Zuvor hatte ich es noch geschafft, aus dem Cockpit nach hinten zur Backkiste mit dem darin verstauten Feuerlöscher zu springen, und war gleich der Länge nach über den Traveller gestürzt. Mit einer blutigen Nase, den Feuerlöscher in der Hand, war ich Sekunden später zurück am Niedergang, doch die gewaltige schwarze Rauchwolke und die Flammen, die mir entgegenschlugen, erstickten meinen Löschversuch im Keim.

»Verdammt, das Handfunkgerät ist auch noch unten am Ladegerät«, ging es mir durch den Kopf. Ich ließ den Feuerlöscher in die Flammen fallen, warf den wasserfesten Notfallkoffer über Bord und sprang hinterher. Gerade noch rechtzeitig, denn unmittelbar hinter mir schoss eine gewaltige Flammenwand in die Höhe.

Ich war in etwa 1700 Seemeilen von der Küste entfernt, im indischen Ozean unterwegs, um über das Chagos Archipel nach Madagaskar zu gelangen.

Der Gewittersturm tobte jetzt schon seit weit mehr als einer Stunde über mir. Ich hatte die ganze Zeit die Yacht nur mit Mühe auf Kurs halten können, und versucht, das Boot bei Hand zu steuern. Wobei „steuern“ nicht der richtige Ausdruck war, für das, was ich in Wirklichkeit tun konnte.

Während ich mit meiner Yacht über die baumhohen Wellen ritt, und immer wieder in die dazwischen liegenden Täler hinab jagte, war es mir gerade noch möglich gewesen, das Ruder überhaupt zu halten.

Und nun trieb ich im aufgewühlten und brodelnden Wasser eines endlosen Ozeans. Alles andere als beruhigend in meiner Situation war auch die kurz zuvor blutig geschlagene Nase, ein Umstand, der so weit entfernt vom Ufer, sicher nicht zur Entspannung meiner Lage beitrug. Haie sollen Blut in millionenfacher Verdünnung noch über viele Seemeilen Entfernung wahrnehmen.

„Bloß nicht zu sehr strampeln“, ging es mir durch den Kopf, als ich versuchte mein Schlauchboot mit dem Notfallkoffer zu erreichen, um mich damit vom Flammeninferno zu entfernen. Das einzig Beruhigende an der dramatischen Situation war, dass ich die automatische Schwimmweste trug, die sich Sekunden nachdem ich im Wasser gelandet war aufgeblasen hatte. Obwohl ... einige Seeleute würden lieber schnell ertrinken, als...???

Im Augenblick war ich dankbar dafür, dass ich das Schlauchboot als Treibanker, eine Art Bremsfallschirm, hinter der Yacht hergezogen hatte, der verhindert, dass diese vom Sturm getrieben zu viel Fahrt aufnimmt, und man zu schnell die Wellentäler hinunter surft. Ich hatte gerade noch die Leine erwischt, mit der es an der Yacht festgezurrt war und versuchte jetzt verzweifelt, mich mit Hilfe dieses Taus zu dem kleinen Schlauchboot zu ziehen. Es kostete mich große Mühe, diese für mich lebenswichtige Verbindung in der aufgewühlten See nicht zu verlieren, und als ich es endlich geschafft hatte, hielt ich mich minutenlang an der Seitenwand des auf und ab hüpfenden Schlauchboot, auch Dingi genannt, fest. Das war kein leichtes Unterfangen, denn eine Welle nach der anderen brach zwischenzeitlich über mich herein. Meine Arme zitterten vor Erschöpfung, meine Hände waren gerötet und von der Leine aufgerissen. Die brennende Yacht wurde vom Sturm die Wellen rauf und runter getrieben und ich wurde mit dem Beiboot hinterher gezogen, wie ein gestürzter Wasserschifahrer, der die Schleppleine nicht loslassen will. Ein gewaltiger Windstoß entriss mir kurzzeitig die Leine und damit auch das Boot. Nur unter Aufbietung aller meiner Kräfte konnte ich sie wieder erreichen, bevor der Abstand zu groß geworden wäre.

Während ich immer wieder unter Wasser gedrückt wurde, und in der Gischt der Wellen kaum noch Luft bekam, wickelte ich die Leine um mein Handgelenk, damit sie mir nicht noch einmal entrissen werden konnte. Mit angehaltenem Atem beobachtete ich dabei auch die Yacht, die inzwischen nur mehr ein Meer aus Flammen und schwarzem Rauch war. Wie lange wird es wohl dauern, bis der Kunststoff geschmolzen war und das Wasser über die so entstandenen Löcher anfing, in die Yacht zu schießen. Die Yacht war wohl so oder so nicht mehr zu retten.

Ich sollte wohl die Leine, die das Dingi mit der Yacht verbindet, kappen, kam aber im Moment nicht an das Messer, das ich immer an meinem Unterschenkel angeschnallt hatte. Ich wollte das Boot, das von der wild gewordenen See gemeinsam mit mir herumgeschleudert wurde, unter keinen Umständen loslassen. Jede einzelne Welle drohte mich mehr davon loszureißen. Nach wenigen Minuten brannten meine Hände wie Feuer und ich konnte mich nur mit Mühe halten. So eine Welle von vier bis sechs Metern ist auf einer guten Yacht eigentlich nicht erwähnenswert, aber mit einem kleinen Dingi im Wasser treibend, ein Flammenmeer vor Augen, war das etwas anderes. Vom Hai gefressen werden, verdursten, ertrinken, gab es eine Alternative? Ich fühlte mich mit einem Mal so winzig klein, und so hilflos den Naturgewalten ausgeliefert. Dabei hatte dieses Horrorszenarium kaum länger gedauert als ein Schlag meines Herzens.

Trieb ich hier wirklich in einem endlosen Ozean? Brannte meine Yacht in meiner unmittelbaren Nähe lichterloh? Der brüllende Sturm und die Blitze um mich herum waren die erschreckende Wirklichkeit und kein Traum! Eine gewaltige Welle riss mich samt Schlauchboot zuerst nach oben, und begrub uns Augenblicke später unter sich. Wasser peitschte mir ins Gesicht und drang mir in Mund und Nase. Ich bekam keine Luft mehr. „Das ist mein Ende, das war`s dann wohl“, schoss es, wie die Blitze um mich herum, durch mein Gehirn.

Wieder schlug eine Welle über das Dingi und ich musste mich mit aller Kraft daran festhalten. Noch war ich am Leben mit nichts als einem kleinen Schlauchboot, an das ich mich im Moment noch klammern konnte.

Der Sturm und die Wellen hatten für diesen hervorragenden Yachttyp eigentlich kein Problem dargestellt, doch zum dritten Mal innerhalb von einem Jahr war ich nun vom Blitz getroffen worden.

Ich hatte die Warnung nicht ernst genommen. Jene Warnung, die mir ein bestimmtes Gefühl einen Abend vor dem Kauf der Yacht übermittelt hatte. Wir waren mit Freunden beim Abendessen gesessen. Während sich die Erwachsenen nach dem Essen über Gott und die Welt unterhielten, hatte ich den zwei Kindern Zeichenblöcke und Farben gegeben, damit sie sich mit Malen die Zeit vertreiben konnten. Als ehemalige Lehrerin für Kunst beschäftigte ich Kinder gerne kreativ, um ja keine Langeweile aufkommen zu lassen. Das Ergebnis dieses Kinderprogramms waren an jenem Abend jedoch nicht die üblichen Kinderzeichnungen gewesen. Die 7-jährige Susanne hatte eine schöne Yacht aufs Papier gebracht, wohl ein Resultat der Gespräche während dieses Abendessens. Darüber jedoch hatte sie schwarze Gewitterwolken angeordnet, aus denen unzählige Blitze auf die Yacht herunterfuhren. Aus der Yacht schlugen feuerrote Flammen. Beim Betrachten dieses schaurigen Bildes liefen mir schon damals kalte Schauer über den Rücken.

»Susanne, warum hast du keinen Sonnenuntergang hinter der Yacht gezeichnet, oder einen Regenbogen?« entfuhr es mir.

Die Antwort des kleinen Mädchens ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, und das bei einer Abendtemperatur von über 28 Grad.

»Ich sehe das im Moment so, ganz einfach«, war ihre Erwiderung. Sehr ungewöhnlich für eine Sieben-Jährige blickte sie mir dabei tief in die Augen.

»Und was passiert mit mir?« fragte ich sie, und ein weiterer kalter Schauer lief mir über den Rücken. Gleichzeitig zogen sich meine Eingeweide zusammen. Susanne gab mir jedoch keine Antwort. Sie schaute mir nur noch tiefer in die Augen. In der folgenden Nacht fand ich keinen Schlaf, und wälzte mich unruhig im Bett herum.

»Du wirst dich doch von so einer infantilen Kinderzeichnung nicht von deinem jahrelangen Wunsch abhalten lassen «, hatte mich mein damaliger Lebensgefährte am Morgen überzeugt. »Das ist doch nur ein Zufall, was soll das schon bedeuten?«

Wir kauften die Yacht am nächsten Tag. Und jetzt trieb ich hier im Meer, 1700 Seemeilen von der Küste entfernt. Ich spürte an der Wasserströmung, wie sich eine neue Welle über mir zusammenbraute und das Dingi wieder am Wellenkamm empor steigen ließ. Sekunden später stürzten Tonnen von Wasser auf mich nieder und das Boot wurde mir schon wieder aus der Hand gerissen. Ich wurde unzählige Male herumgewirbelt, und dabei immer wieder unter Wasser gedrückt. Als ich endlich zurück an die Oberfläche gelangte, sah ich, wie das Boot an der Wand der nächsten großen Welle klebte. Ich ruderte und paddelte mit beiden Händen im Wasser wie wild, aber als ich das Dingi fast erreicht hatte, wurde es erneut hochgerissen und kam erst viele Meter weiter wieder auf. Ich schrie vor Verzweiflung auf und bekam den Mund voll von Salzwasser.

„Nur keine Panik aufkommen lassen.“ War das mein Gedanke? In meinen Gliedmaßen begannen sich die Muskeln zu verkrampfen. Nach Luft schnappend bekam ich schließlich eine der Bordleinen, die um das Boot liefen, mit meinen Fingern zu fassen. Eine neue Welle wollte mich erneut fortreißen, aber diesmal konnte ich mich mit eisernem Willen festhalten. Tausende Gedanken jagten durch meinen Kopf. Was hatte die Kleine inspiriert? Warum hatte sie mit so sicherer Stimme erklärt:

»Ich sehe das genau so«.

Was hatte das Mädchen damals zu dieser Zeichnung bewogen? Was hatte sie wirklich gesehen? Konnte sie dieses Ereignis tatsächlich ›vorher sehen‹? Mich jedenfalls wollte wohl damals eine besondere Energie im Universum mit Hilfe des Mädchens warnen, wie schon des Öfteren in meinem bisher durchaus aufregenden Leben.

„Leider überhörte ich diese Stimmen aus meinem Bauch, die Botschaften meiner Intuition sehr gerne. Ich war meistens viel zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt. Dabei sollte ich wohl mehr auf meine Körperempfindungen achten!“, ging es mir durch den Kopf.

„Ach ja, es ist so einfach!“

Ich verspüre immer augenblicklich ein sehr beklemmendes Gefühl in der Brust, wenn ich an etwas Negatives denke. Als ob ein starrer Schildkrötenpanzer mir das Atmen erschwerte, das war einfach nicht zu übersehen.

„Im Moment erschwerte mir etwas Nasskaltes und Flüssiges das Atmen!“

Wenn ich jedoch an etwas überaus Positives, wie zum Beispiel romantischen Sex und Abheben beim Orgasmus dachte, fühlte sich mein Körper sehr weich und weit an. Positive Gedanken lassen mich wie eine Feder fliegen, auch ohne Energie Drink, negative Gedanken hingegen wie ein Fels im Wasser versinken.

„Im Moment sollte ich wohl eher nicht ans Versinken denken!“

„Also hier und jetzt, als Spielball der Wellen, brauche ich dafür keine Intuition, das war ganz einfach Sch… !!! In mir kommt hier eher ein Gefühl der Tiefe auf! Woher das wohl kommt?“

Die richtige Entscheidung war immer die, die mir meine Gefühle mitteilten. Wenn ich auf meine Intuition vertraute, war ich in jedem Fall erfolgreicher, als wenn ich kopfgesteuert agierte.

„Wozu also hier Sorgen machen???“

Leider hatte ich am besagten Morgen auf meinen Lebensgefährten, und nicht auf die Intuition des kleinen Mädchens und meine Gefühle geachtet. So kam, was kommen musste. Während mich die Wellen wie einen Spielball im Meer auf und ab hüpfen ließen, wurde das Flammeninferno in einiger Entfernung, nachdem die Leine auf der Yachtseite durchgebrannt war, immer größer. Ich schüttelte ungläubig den Kopf.

»Hätte nie gedacht, dass Aluminium brennt«, war einer meiner Gedanken, als sich selbst der Mast in Flammen auflöste. Ein beinahe Herzstillstand war die Folge, als er sich auch noch in meine Richtung neigte. Nicht weit von mir entfernt stürzte der Rest des 25 m Mastes ins Wasser. Da kämpfe ich nun hier alleine und weit draußen gegen die Gewalt der Wellen. Gedanken über Gedanken jagen durch meinen Kopf. Ich spürte, wie alle Energie aus meinem Körper wich, und gleichzeitig die Kraft aus meinen Beinen schwand, mit denen ich strampelte, um die Arme und Hände zu unterstützen, die sich verzweifelt ans Boot klammerten. An Haie dachte ich schon lange nicht mehr, ich hatte andere Sorgen.

„Ich muss irgendwie ins Boot kommen, so macht das keinen Sinn“, dachte ich, während ich schon wieder nach unten in den Wirbel einer Welle gezogen wurde.

„Das Dingi schlägt sowieso andauernd um“, war der nächste Gedanke, „und vielleicht ist es ja im Wasser angenehmer, als draußen“?

„Ich bekomme keine Luft in dieser Gischt, ich muss da rein.“

Im nächsten Moment wurde das Dingi von den Wassermassen und dem Sturm umgedreht und schlug mir von oben auf den Kopf. Ich war mit einem Mal unter dem Boot und alles war viel ruhiger, es war stockdunkel. Ich hörte nur mehr das Wasser gegen das Boot klatschen. Hier drinnen herrschte tückischer Friede, wie im Auge eines Hurrikans. Die Wellen klangen, als seien sie kaum kräftiger, als die meines Gebirgsbaches zu Hause. Nach Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, geriet das Boot wieder auf einen Wellenkamm, schlug erneut um, und der Sturm schüttelte mich von neuem gewaltig durch. Im Moment war mein größter Feind der Wind. Er trieb Millionen kleiner Wassertropfen bis in einer Höhe von einem halben Meter über dem Wasser vor sich her und machte es mir ausgesprochen schwierig, zu atmen. Je mehr ich mich bemühte, tief einzuatmen, umso stärker wurde mein Gefühl, keine Luft zu bekommen. Dabei hatte ich schon einmal eine ähnliche Erfahrung gemacht.

°

Es war während eines meiner ersten Aufenthalte am Meer. Als ein Kind der Berge hatte es achtzehn Jahre gedauert, bis ich das erste Mal mit Salzwasser konfrontiert wurde. Mein Bruder Jo und ich waren von unserer reichen Cousine in deren Villa am Meer in Portugal eingeladen worden. Fast jeden Tag fuhren wir einige Kilometer weit an einen nahezu menschenleeren Strand. Es gab dort eine wunderschöne ca. 100 m breite Sandbucht zwischen zwei Felsformationen.

Es wehte ein angenehmer Wind, und die Luft roch nach Meer, ein Duft, den ich in den folgenden Jahren überaus lieben lernte.

An einem unserer Urlaubstage erfreuten Jo und ich uns an zwei bis drei Meter hohen, glasklaren Wellen mit großen Gischtkronen, die es uns angetan hatten. Wir fanden Gefallen daran, die Wellen ganz unten anzutauchen, um durch sie hindurch hinter den Wasserberg zu gelangen.

Es war uns beiden nicht aufgefallen, dass sich die einheimischen Burschen nicht an diesem Spaß beteiligten. Wir Kinder der Berge fanden es einfach toll mit den Naturgewalten zu spielen.

»Typisch blöde Touristen«, werden sich die Natives gedacht haben.

Ich hätte besser, mit meinen Gedanken an die vergangene Nacht, die Zeit am Strand liegend verstreichen lassen sollen. Eine Nacht, in der es mir gelungen war, meiner erotisch sehr erfahrenen Cousine nach ausgiebigem, zärtlichem Streicheln ihres Rückens, ihres Bauches und ihres Megabusens, einen selbst für sie überraschenden Orgasmus zu bescheren.

Obwohl ich sicher nicht lesbisch war, und eigentlich auf Jungs stand, war ich nach einigen Gläsern Wein irgendwie in ihrem Bett gelandet. Ich selbst hatte ein großes Bedürfnis nach Kuscheln, und so konnte ich mich nicht zurückhalten, mit meinen feinfühligen Händen diese ausgesprochen fraulichen Rundungen zu erforschen. Das alles war für mich Neuland, wohl auch für meine Cousine, und so nahmen wir uns entsprechend viel Zeit. Mit viel Geduld erforschte ich langsam und sehr intensiv jeden Zentimeter der immer wärmer werdenden Haut meiner Gespielin. Meine Cousine atmete dabei immer heftiger und genoss offensichtlich meine intensive zärtliche Zuwendung. Immer öfter konnte ich an ihrem lauter werdendem Stöhnen erkennen, dass sie diese Erkundungsreise meiner Hände wohl überaus liebte. Sie hatte dann sehr plötzlich und überraschend und nur für Sekunden meine Hand zwischen ihre Beine geführt. Gott, war die dort nass gewesen! Wie der Nektar aus einer Honigschleuder floss es aus ihrem Lustgarten hervor. Wenige Sekunden vergingen und dann war sie mit: »Ich glaub es nicht, ich glaub es nicht, ein Orgasmus nur durch Streicheln an er Brust«, schreiend und aufstöhnend gekommen.

Sie hatte mir danach mit ihrem Ausspruch: »Du darfst dir etwas darauf einbilden. Wenn du einmal einen Mann ins Bett bekommen hast, wirst du ihn nie wieder los«, keinen Gefallen getan. Ich hatte daraus eine Notwendigkeit gemacht und das kam bei den jungen Männern nicht gut an. Die meisten Männer mögen keine Frauen, die selbstbewusst die Initiative übernehmen. Die meisten Männer mögen überhaupt nicht gestreichelt werden. Sie wollen möglichst schnell nur das Eine! Bei mir kam nicht gut an, dass mir diese Cousine danach nicht ebensolche Freude verschaffte, und ich es mir in dieser Nacht noch selbst machen musste. Ich hab ihr das bis heute nicht verziehen.

So war ich aber, voller überschwänglicher Lebenslust, beim Kampf mit den Wasserelementen schon damals weit von einem nächsten Mal entfernt. Denn plötzlich erwischte ich eine Welle nicht genau, sondern leicht schräg, anstatt gerade hindurch, und die Wasserwalze hatte mich schon in ihrem Strudel gefangen. Ich wurde am Boden im Kreis herumgewirbelt, Sand schmirgelte über meine Haut, ich schaffte es noch einmal an die Oberfläche um Luft zu holen, da war auch schon die nächste Megawelle über mir. Wie ein Ball wurde ich von den Wassermassen unter die Oberfläche gedrückt und hin und her gezogen, es zog mir sogar den Bikini aus. Ich hatte sehr bald kein Gefühl mehr für oben oder unten. Alles drehte sich nur mehr. Weiße Wasserbläschen waren überall, und eine unglaubliche Kraft schmiss mich unbarmherzig hin und her. Meine Lungen schrien verzweifelt nach Luft, aber da war keine Luft, sondern nur Wasser um mich herum. Ich verspürte noch, wie ich die Besinnung verlor, tausende Gedanken über mein bisheriges Leben und meine Familie im Kopf. Dann war nur mehr das Summen der Wasserblasen, das leiser werdende Rauschen der Brandung zu hören. Plötzlich ein Aufprall, ich verspürte unglaubliche Schmerzen und unbewusst krallte ich mich an alles, was die Finger an scharfkantigen Felsen fassen konnten. Blut, überall Blut, vor Schmerzen torkelnd wie im Rausch, versuchte ich auf allen Vieren, Stein um Stein, mich über muschelbesetztes Gestein von der Brandung zu entfernen. Als ich halbwegs bei Besinnung war, hörte ich Schreie um mich herum.

»Da! Da vorne, da oben ist sie!« »Rebecca!!!«

Eine Welle hatte mich auf die Klippen geworfen, damit letztendlich raus aus dem Wasser. Den Rest hatte ich wohl unbewusst und kriechend geschafft. Von den Haarwurzeln bis zu den Zehen, überall aufgerissene, blutig abgeschürfte Haut, wurde ich, immer noch stark vibrierend, ja beinahe hyperventilierend, in Handtücher gewickelt und zum nächsten Krankenhaus gebracht.

°

Diesmal trug ich eine Schwimmweste und die nächsten Felsen waren etwa 1700 Seemeilen entfernt, in östlicher Richtung. Inzwischen wurde das Licht am Himmel spärlicher und schon bald herrschte völlige Dunkelheit um mich herum. Gespenstisch untermalt von meiner brennenden Yacht, die zum Glück immer weiter von mir wegtrieb. Ein lauter Krach ließ mich beängstigt zum Flammeninferno blicken. Offensichtlich war eine der Gasflaschen an Bord explodiert. Verschieden große Trümmer flogen durch die Luft. Hervorgerufen durch mehrere Explosionen, schossen viele kleinere Stücke, umhüllt von schwarzem Rauch, eine Leuchtspur hinter sich herziehend, gegen den Himmel. Ich liebe Feuerwerke, aber dieses hier war nicht nach meinem Geschmack. Dann, Minuten vergingen und es herrschte wieder Stille. Ich hatte aufgrund meiner Gedanken, meiner Rückblicke auf Episoden meines Lebens, die Feuerbrunst neben mir schon fast vergessen.

Jetzt musste ich zuallererst versuchen, endlich ins Schlauchboot zu kommen. Wieder und wieder versuchte ich mein Glück. Das war normalerweise in einer ruhigen Bucht nicht so schwer, auch wenn manche Menschen schon da Probleme hatten. Hier draußen mit Wind und Wellen in einer tosenden und aufgewühlten See, war das etwas ganz anderes. Hoffentlich war ich inzwischen nicht zu schwach geworden, für diesen Kraftakt. Das Schlauchboot drehte sich und knallte schon wieder mit der Unterseite gegen meinen Kopf. Ich wurde wiederholt unter Wasser gedrückt. Prustend und keuchend an der Oberfläche angelangt, zog, strampelte und stöhnte ich jedes Mal, gelangte aber nicht weit genug aus dem Wasser. Langsam geriet ich in Panik. Ich kam keinen fingerbreit nach oben. Immer wieder klatschte ich zurück ins Wasser. Was war, wenn ich überhaupt nicht ins Boot kam? Was war, wenn mich jetzt Haie angriffen? Es wurde inzwischen dunkel und Haie waren Nachtjäger. Diese zusätzliche Angst machte offensichtlich meine letzten Energien frei. Ich schrie mir das Wasser aus den Lungen und die Vorstellung von einem Hai unter mir verlieh mir letztendlich beinahe Flügel! Es gelang mir, mich über den Seitenwulst aufs Boot zu wälzen. Wie tot plumpste ich hinein, und lag für Minuten keuchend auf dem harten Holzboden. Meine Lage erschien mir dadurch schon weniger aussichtslos.

Obwohl, jetzt wurde ich mitsamt dem Dingi von den Wellen wie ein Weinkorken auf und ab getragen. Weit und breit nur Wasser um mich herum, weißer Schaum und ein Flammeninferno mit einer Rauchsäule, die wohl mindestens 100 Meter nach oben reichte.

„Hoffentlich sieht den Qualm jemand. Diese unglaubliche Rauchwolke kann man doch nicht übersehen! Und hoffentlich hat dieser Jemand das Bedürfnis, da mal nach dem Rechten zu sehen. Oder ist einfach nur neugierig.“

Es sollte mir so oder so sehr recht sein. Die Yacht … oder was davon noch übrig war, wurde aufgrund ihrer größeren Windangriffsfläche weiter von mir weggetrieben. War das jetzt beruhigend oder sollte ich mir auch darüber Gedanken machen?

Auch die Dunkelheit wurde für mich inzwischen unerträglich, und mein Gefühl der Verlassenheit wuchs ins Unermessliche. Selbst wenn mich jemand suchen würde, war es jetzt so gut wie unmöglich geworden, mich zu finden. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, die nächsten Minuten durchzuhalten. Ich wusste, dass ich mindestens die Zeit bis zum Sonnenaufgang überstehen musste. Erst am nächsten Tag, ab dem nächsten Morgengrauen, durfte ich wieder darauf hoffen, von einem Schiff gesichtet zu werden. Das war alles andere als beruhigend. War mein chaotisches Leben überhaupt jemals beruhigend gewesen?

°

Das fing schon bei meiner traumatischen Geburt an. Ich wurde in einer dunklen Bauernstube, im hintersten Grailtal, einem der aktivsten Täler der Welt, wie die Einheimischen gerne behaupten, geboren. Ich trug dieses nach vorne bzw. nach außen Streben wohl schon vor der Geburt in mir, noch bevor ich auf der Welt war. So erklärt sich wahrscheinlich auch meine Eile.

Oder vielleicht kam alles so, weil meine Mutter immer schon so schreckhaft war? Es war ›Teufeltag‹ im Tal. Das war ein alter Grailtaler Brauch am 5. Dezember, den die Einheimischen so gerne zelebrierten. Bevor am nächsten Tag zu den sogenannten braveren Kindern der Nikolaus kommt, müssen die Schlimmeren noch einen Tag lang zittern. Einige Männer dürfen nämlich an diesen Tagen, zumindest für kurze Zeit, Teufel spielen. Sie müssen ja sonst das ganze Jahr über so manchen Trieb unterdrücken. Na ja, jedenfalls – ob jetzt Schock oder meine Neugierde, es war viel zu früh und eine schlimme Geburt. Mehr als siebzehn Stunden versuchte ich da rauszukommen, wo ich dann später wieder viel zu lange brauchte, um das erste Mal jemanden reinzulassen. Noch schlimmer aber waren die ersten Sätze, die in mein Unterbewusstsein drangen.

»Die kommt nicht auf«, waren die Worte meines Großvaters, sprach es und rannte um den Priester, damit wenigstens meine Seele an diesem teuflischen Tag gerettet würde. Ich muss schon einen erbärmlichen Eindruck hinterlassen haben. Es wurde ganz umsonst eine Menge Wasser vergossen, ich meine damit Tränen. Ich übertönte jedenfalls das Geheul der Weiber, der Priester musste mir wohl irgendwie unsympathisch gewesen sein. Eine Abneigung, die sich in meinem weiteren Leben nicht gelegt hat.

»Denen zeig ich’s jetzt aber« … Ich tue das bis heute.

Der Fehlstart hat sich dann doch in einigen Bereichen sehr lange bemerkbar gemacht. Abgesehen von einer lebensbedrohenden Bronchitis, deren Auswirkungen ich lange in Form eines leicht deformierten Brustkorbs als sichtbare Erinnerung mit mir trug, verschlief ich die ersten Monate ganz einfach und einige Jährchen dazu. Ich habe inzwischen einen sehr schön geformten Busen, der dieses Manko zum Glück kaschiert.

lang=DE style='color:black'>Selbst die sekundären weiblichen Geschlechtsorgane, sprich Busen, bei allen Männern ja Lieblingsthema Nummer Eins, konnten mich damals nicht aus meinen Träumen holen. Zum Saugen bzw. Trinken musste ich jedes Mal mit einigen kräftigen Klapsen gezwungen werden. Ich wäre sonst ganz einfach im Schlaf verhungert. An das Schlagen habe ich mich später ohnehin gewöhnt. Es war also wirklich ein katastrophaler Fehlstart. Selbst die Kleinste meiner im Jahresabstand nach mir geborenen Schwestern, von den Brüdern ganz zu schweigen, überholte mich körperlich noch während der Schulzeit. Von den gleichaltrigen Nachbarskindern und Cousinen wurde ich schon bald mehrfach in jeder Hinsicht überrundet. Besonders meiner Cousine Petra verdanken meine Eltern und ich einige lehrreiche Überraschungen, was kindliche Phantasie betrifft. Das eine Mal waren es meine mit Spucke verklebten Haare. Ich hatte Locken wie ein Barockengel und von allen Seiten tönte es:

lang=DE style='color:black'>»Ach schau nur, was für wunderschöne Locken, wie süß.«

lang=DE style='color:black'>Ich konnte es ja selbst nicht mehr hören und dagegen musste man, nämlich Petra, etwas unternehmen. Ein anderes Mal war es der Versuch, möglichst viele Kirschen in einem menschlichen After – sprich Darm – unterzubringen, das meine wissbegierige Cousine an mir ausprobieren wollte. Die Welt war für mich schon bald voll von Überraschungen und Entdeckungen. Meinem kleinen Bruder Jo erging es dabei mit der frühreifen Petra noch schlimmer. Obwohl dieser sicherlich nicht homosexuell orientiert war, wollte Petra an einem Loch, in diesem speziellen Fall war es der verlängerte Rücken meines Bruders, die Wirkung eines Vibrators ausprobieren, bevor sie diesen in ihre Vagina stecken wollte. Und das ohne entspannendes Vorspiel, entsprechende Cremes und einfühlsames Einführen. Jo war nicht besonders begeistert.

lang=DE style='color:black'>Weil sich mein Vater immer einen sportbegeisterten Burschen gewünscht hatte, wurde ich ausgesprochen burschikos und sportlich erzogen. Meine schon damals vorhandene und leicht erkennbare Feinfühligkeit und Sensibilität wurde dabei schlichtweg ignoriert und verdrängt. Als Folge dieser „Umerziehung“ fühlte ich mich sehr bald bei den ständig raufenden und um sich schlagenden Burschen wohler, als bei den zickigen, mit Puppen und Barbie spielenden Gören. Auch war mir das laute, männliche, ellbogenstoßende Imponiergehabe sympathischer, als das weinerliche – „rühr mich nicht an Gehabe“ der gleichaltrigen Artgenossinnen. Das hatte dann aber auch wieder den Spott der gleichaltrigen Mädchen zur Folge und sehr häufig wurde ich von meinen weiblichen „Mitstreitern“ gemieden.

lang=DE style='color:black'>Für die gleichaltrigen Mädchen war ich viel zu aufgeweckt und burschikos – sehr lange übrigens. Sie beteiligten sich daher auch nicht an meinen häufigen Fehlversuchen, dem männlichen Geschlecht mit sogenannten Zwickaküssen näher zu kommen. Zwickaküssen sind erotische Annäherungen, bei denen man sich beim Küssen mit beiden Händen links und rechts vom Mund in die Wangen zwickt.

lang=DE style='color:black'>Sicher als sexueller Filter von der damals krankhaft prüden Damen-sprich Tanten-Welt erdacht, weil das in die Wange zwicken wohl jeden Verdacht auf Erotik im Keim ersticken sollte. Wäre ja auch noch schöner, sollten schon Kinder in den Genuss eines erotisch lasziven Kusses kommen, wo doch selbst die Erwachsenenwelt sich jeden stärkeren Gedanken an Erotik verkneifen musste.

Konträr zum Verhalten meiner Mutter versuchte mein Vater verzweifelt aus seiner Tochter einen „ganzen Mann“ zu machen. War er doch seit seiner Kindheit der Inbegriff eines sportlich durchtrainierten Elite-Machos gewesen. In seinem Jahrgang auserkoren unter den 24 intelligentesten und sportlichsten Schülern Österreichs, durfte, oder besser musste er auf eine besondere Eliteschule in Wien gehen. Starkes Heimweh nach seinen geliebten Bergen rettete ihm nach dem zweiten Schuljahr das Leben. Er flüchtete zurück in die Alpen. Sein gesamter Jahrgang jedoch kam in den letzten Wochen des zweiten Weltkriegs in einem Schützengraben ums Leben. Es wäre wohl nichts geworden aus mir, ohne meinen Erzeuger.

So bereitete ich ihm große Freude, indem ich als kleines Mädchen recht schnell und auch besonders gut das Schifahren erlernte. Hier hatte ich sogar gegenüber meinen gleichaltrigen männlichen Mitstreitern meistens die Nase vorn, und fuhr ihnen als Mädchen sogar auf und davon. Und das schon im frühen Alter von drei Jahren. Wohl auch in Unwissenheit der damit verbundenen Gefahren. Ich hatte sehr lange einfach das sprichwörtliche Glück des Anfängers und die übertrieben ehrgeizigen Ziele meines Erziehers blieben deshalb ohne negativen Beigeschmack. Bis eines Tages ein fünffacher Salto Mortale, nach einer für mein Alter von vier Jahren viel zu langen und zu steilen Schussfahrt, diese Euphorie etwas trübte.

»Sag es bloß nicht Mama !«, waren die Worte meines Vaters.

Brauchte ich gar nicht, denn nach diesem Kapitalsturz wurde ich für eine Woche ohnehin zum Gesprächsthema des ganzen Dorfes. Meine Leidenschaft für Schnee und Skifahren konnte dadurch aber nicht getrübt werden und das sollte sich noch als gewaltiger Vorteil erweisen. Schwimmen lernte ich noch schneller. Sogar innerhalb von wenigen Sekunden. Nach einigen anfänglichen Fehlversuchen meinerseits, lockte mich mein Vater einfach auf den Sprungturm und stieß mich mit den Worten: »Schau mal, ein großer Fisch«, einfach vom Springturm des Badesees. Ich kann mich heute noch an meinen ersten unfreiwilligen Tauchversuch erinnern, an das einzigartige Rauschen, die vielen Sauerstoffbläschen und das ungewohnte Gefühl der Schwerelosigkeit. Ich bin dann doch wieder aufgetaucht und damit war meine erste Schwimmlektion beendet.

°

Im Moment steckte ich schon wieder unfreiwillig in so einer nassen, kalten Hölle, und erst am nächsten Morgen würde es, wenn überhaupt, eine Möglichkeit geben, ihr zu entkommen. Wann würde man ein Flugzeug losschicken, um nach mir Ausschau zu halten?

°

Obwohl mein Vater als Schuldirektor nachmittags sozusagen vom Dienst befreit war, hatte er wahrscheinlich Nerven für alle Bereiche, nur nicht für seine Kinder zu Hause. So war nicht nur er mit mir als burschikosem Mädchen, meinen sechs weiteren Geschwistern, und all dem damit verbundenen finanziellen Desaster überfordert, sondern, wie man sich denken kann, vor allem meine Mutter. Und ausgerechnet ich – man stelle sich das vor – sollte immer wieder den Part des Aufpassers für meine Brüder übernehmen. Ausgerechnet ICH … sollte das mangelnde Durchsetzungsvermögen meiner Mutter ersetzen, ihre Nerven schonen, und einen Sack voll Flöhe hüten. Ich stand also zwischen meinen Geschwistern und den Eltern auf verlorenem Posten. Von den Brüdern verhauen, von den Schwestern gemieden, wenn ich Erzieher spielen sollte. Von den Eltern gescholten, weil ich offensichtlich unfähig war, für Ordnung zu sorgen. Und wenn dann alles in ein Chaos ausartete, wurden wir von unserer Mutter, ja auch ich, obwohl ich selten etwas dafür konnte, regelrecht verprügelt. Manchmal ging dabei sogar der Holzstock kaputt, so heftig waren diese Übergriffe auf unsere Hinterteile!

Unmittelbar vor meiner Geburt fingen auch die gesundheitlichen Probleme meines Vaters an, die unser Familiendasein noch über Jahrzehnte belasten sollten. Nach meiner Geburt legte uns der Storch noch sechs weitere Kinder ins Nest, und wir wechselten drei Mal in fünf Jahren die Wohnung. Da kam meinem Vater die glorreiche Idee, dem Grailtal mit seinen sturen und eigensinnigen Weibern den Rücken zu kehren. Wir übersiedelten ins gelobte Inntal. Und das, obwohl genau zu diesem Zeitpunkt Vaters kultureller Wert für meinen Geburtsort am höchsten war, man uns sogar ein Haus schenken wollte, nur damit er der Gemeinde erhalten bliebe. Stur und eigensinnig nenne ich die Weiber deshalb, weil sie mit ihrem herrschsüchtigen und zickigen Gehabe den jungen und zugezogenen Schuldirektor des Öfteren bis zur Weißglut geärgert und gestresst hatten, und damit wohl auch zu seiner, uns später so belastenden Krankheit, beigetragen hatten.

Obwohl mein Erzeuger zu diesem Zeitpunkt im Grailtal sozusagen in den Himmel gehoben wurde, kehrten wir meinem Geburtsort den Rücken zu und zogen in das Elternhaus meines Vaters in Reutling ein. Das heißt, weg von meinem geliebten Großvater mütterlicherseits, zu der von uns Kindern nach Kräften gemiedenen Mutter meines Vaters. Nicht nur ich, sondern auch meine jüngeren Brüder erinnern sich noch heute nur mit Zorn an die wohl arbeitsscheueste, egoistischste und selbstsüchtigste Frau, die ich bis heute kennen gelernt habe. Ihre Kochkünste sollten uns Kindern kulinarische Erlebnisse voller Pein und Schrecken bereiten. Wenn sie für uns kochte, wagte sie es doch tatsächlich, uns mit Abfällen aus ihrem Haushalt zu versorgen. Dazu gehörte auch der Kragen des Sonntagshuhns, um den wir uns dann auch noch rauften. Ich bin mir nicht sicher, ob dem normal Bürger bewusst ist, wie viel Fleisch an so einem Hühnerkragen … NICHT dran ist. Wenn mein Bruder Werner mal zu viel Bier getrunken hat, heult er heute noch und meint:

»Ich würde ihr eigenhändig den Kragen, sprich Hals umdrehen, wäre sie noch unter den Lebenden.«

°

»Hm ja, apropos Essen, ob ich jetzt schon einen der sieben Müsli Riegel genießen sollte, den mein Notfallkoffer beinhaltet?« Ich hatte im Dingi bei solchen Überseefahrten immer eine Notausrüstung festgezurrt. Mein winziges Schlauchboot erklomm gerade einen Wellenberg, und da sah ich es plötzlich. Es war ein weißer Lichtfleck, der sich im starken Seegang mit den Wellen hob und senkte. Ich versuchte, das schwache Licht nicht aus den Augen zu verlieren, während das kleine Dingi in ein Wellental hinunter sank. War das ein Fischerboot, das sich hier durch den Sturm kämpfte? Egal, was auch immer, Hauptsache ein Schiff. „Die werden mich nicht sehen, wie sollten sie auch.“ Wie zur Bestätigung verschwand ich mitsamt dem Dingi wieder in einer Wasserschlucht. Es gelang mir, auf dem Rücken liegend, trotz des heftigen Seegangs den Notfallkoffer zu öffnen. Vorsichtig versuche ich, ihn waagrecht zu halten, um ja nicht den kostbaren Inhalt an das Meer zu verlieren. Ich hatte den Koffer mit einer Leine an meiner Schwimmweste befestigt. Jetzt entnahm ich ihm eine der Rettungsraketen und verschloss ihn sofort wieder, bevor er sich mit Wasser füllen konnte. Dann zerbiss ich die Plastikfolie, welche die Rakete vor Feuchtigkeit schützen sollte.

»So … mit einer Hand halten, mit der anderen am Seil ziehen. Verdammt, verdammt, Scheiße!«

Wir hatten das zwar in der Segelschule und vor meiner ersten Atlantiküberquerung dutzende Male geübt, mir war richtig langweilig dabei geworden.

»Was soll das, ist doch Kinderkram«, hatte ich damal gedacht.

Und jetzt hatte ich mich, wohl vor Aufregung, beinahe selbst erschossen und samt Schwimmweste versenkt. Soviel zu Theorie und Praxis.

»Tief durchatmen, tief atmen «, redete ich mir selbst gut zu. Ich hatte nicht so viele Raketen und war noch zu lebenshungrig, um mich selbst zu erschießen. Also versuchte ich, mich zu konzentrieren, diesmal mit Erfolg. Die nächste Rakete stieg zischend und heulend gegen den Himmel.

»Na ja, zumindest sollte man bemerken, dass hier noch ein Mensch lebt. Falls die überhaupt in Sichtweite sind.« Ich verschwand mitsamt dem Schlauchboot schon wieder in einem Wellental.

„Verdammt noch mal!“, entfuhr es mir. Als ich nach einer Ewigkeit wieder hoch kam, war das schwache Licht ganz verschwunden. Meine Euphorie schwand augenblicklich und die Stimmung fiel ins Bodenlose. So bodenlos, wie die See unter mir. Es war unschwer, sich klarzumachen, wie meine Situation in Wirklichkeit ausschaute. In dieser beängstigenden Dunkelheit konnten die mich sogar überfahren, ohne etwas von mir zu bemerken. Die Wellen waren inzwischen so unvorstellbar riesig und brachen sich zudem ständig über mir. Es schien mir deshalb zu riskant, den Koffer noch einmal zu öffnen. Womöglich würde ich noch den ganzen Inhalt in der nächsten Minute ans Meer verlieren, sowohl Notfallraketen, als auch Müsli Riegel. Ich musste wohl noch länger durchhalten und zuerst den Sturm abwettern. Ich verwarf daher den Gedanken an weitere Signalraketen sofort wieder. Und jetzt schon meine Energiereserven anzugreifen wäre sicher gedankenlose Verschwendung gewesen. Auch die zwei Dosen Energy Drink wollte ich so lange wie möglich aufbewahren. Vielleicht verliehen sie ja wirklich Flügel, sollte keine andere Hilfe auftauchen. Träumen darf man ja. Hätte ich bloß als Kind schon so eine Dose gehabt.

°

Ich wollte schon damals in meinen Tagträumen immer zur Kirchendecke hoch fliegen und Wunder nicht nur Jesus überlassen. An einen Ort fliegen, der weit entfernt wäre von meiner verrückten Kindheit. Einen Ort, an dem es nur mein wahres, kindliches Selbst gäbe, wo mein inneres Licht herausfinden konnte, wer ich wirklich war. Damals war ich von diesem Traum sehr weit entfernt, und im Moment wohl auch.

Die täglichen Kirchenbesuche, zu denen wir Kinder gezwungen wurden, werden uns wohl diese Institution für immer vermiest haben. Meine Oma sang, wie so viele Verwandte auch, fast täglich im Kirchenchor. Ein Grund mehr, davon zu fliegen. Wir mussten sie jedes Mal begleiten, in die Kirche, nicht beim Singen.

Zwei meiner Brüder waren ja auch noch zu Ministranten ausgebildet worden. Das war damals eine sehr wichtige Funktion für Burschen in diesem Alter und von einer gewissen Bedeutsamkeit.

An mir ging dieser Kelch leider vorüber. Mädchen wurden damals in dieser patriarchalischen Welt noch nicht geduldet, auch wenn sie noch so burschikos waren wie ich. Ich schmollte, wollte ich doch lieber in der Sakristei mit den Burschen albern, als brav mit meinen Artgenossinnen in der Kirchenbank sitzen.

So nebenbei wurden mir durch den Umzug nach Reutling, und dem damit verbundenen Kulturschock, gleich einige weitere Tiefschläge versetzt. Dazu zählten neben dem sprachlichen Schock eines für Reutlinger fast unverständlichen Grailtaler Dialekts, der kulturelle, kulinarische und auch finanzielle Schock. Wir waren aufgrund der Übersiedelung und dem Bau eines Hauses wirklich arm wie Kirchenmäuse geworden. Vom gesicherten Nest waren wir sozusagen in die Slums abgerutscht. Wie auch die gesamte Hausmauer, die während der Umbauten am großelterlichen Hexenhaus, sprich der umgebauten Waschküche des Bauernhofes meiner Urgroßeltern, während des Kartoffelsiedens an meiner Mutter und mir vorbei in das Kellerloch rutschte bzw. stürzte.

Um Geld und Zeit zu sparen hatte mein Onkel, als verantwortlicher Baumeister, die Wand des alten Hauses einfach nicht entsprechend abgestützt und gesichert. Heute würden wir mit dieser Aktion sicher auf der Titelseite einer Tageszeitung stehen. Und das ist ja inzwischen gar nicht mehr so einfach – zumindest nicht mit etwas Positivem. Damit hatte ich schon wieder eine ›Beinahe-Katastrophe‹ überlebt. Während wir Kinder – ich wiederhole Kinder – mit den Aufräumungsarbeiten beschäftigt waren, musste mein Vater mit unserer Großmutter, wie des Öfteren, wenn Arbeit angesagt war, Karten spielen. Meine Mutter hat, so glaube ich, badewannenweise Tränen wegen dieser greisen Tyrannin vergossen. Sehr lange war deshalb das Grailtal für mich die idyllische Heimat, die man mir genommen hatte. Meine Grailtaler Großmutter wusste diese Vorliebe von mir auch bei jedem meiner Besuche ganz gewaltig zu unterstützen. Mein Vater hatte es gewagt, ihr die Tochter, damit die Familie und auch die Enkel zu nehmen. Jetzt musste ich herhalten. Um Jo und Werner war sie ja nie sehr bemüht, die waren zu wild und rüpelhaft, aber ich hatte es ihr als Mädchen unter einer Horde von Wilden angetan. Hier gab ich mir ausnahmsweise Mühe und hielt die Hexe in mir versteckt. ›Verräterin‹ wurde ich dafür von meinen Brüdern genannt.

Bei meinen Aufenthalten im Grailtal musste ich immer wahre Schimpforgien auf meinen Vater, der ja Talflucht begannen hatte, über mich ergehen lassen. Ich kann ihn inzwischen voll und ganz verstehen und es akzeptieren. Aber was hätte ich damals als 8-jährige schon verstehen sollen? Ich erinnere mich noch genau an einen Besuch zwischen Weihnachten und Neujahr. Wir sollten ganze zwei Wochen, bis nach Dreikönig, bleiben. Meine Großmutter war glücklich und führte Regiment. Mein Vater ging mit uns Schifahren, um ihr auszuweichen. Es kam, dass mein Bruder Werner sich den Fuß brach. Wir mussten deshalb unseren Urlaub abbrechen. Da lernte auch ich meine bisher geliebte Großmutter so richtig kennen. Werner mit seinen sieben Jahren wurde von ihr regelrecht in der Luft zerrissen. Und das, obwohl er mit einem frischen Beinbruch und den damit verbundenen gewaltigen Schmerzen in der Bauernstube lag.

Leicht abgeschwächt klang das in etwa so: »Muss sich der saublöde Bua a no den Fuaß brechn. Du depperta Bua, iatz miaßn alle wegn dia hoam forn. I kennat di glei no derschlagn, so was bledes.« Und damit verbannte sie den 7-Jährigen trotz seines Schocks und starker Schmerzen zur Strafe auch noch in die Speisekammer.

Ich bin danach weniger gerne in den Ferien zur Grailtaler Oma gefahren. Das war nämlich bis dato mein Privileg gewesen. Inzwischen weiß ich auch, warum mein Großvater, der mich wirklich sehr gerne mochte, meine Besuche gar nicht so sehr schätzte. Meine Großmutter wollte nämlich immer, dass ich im gemeinsamen Schlafzimmer schlafen sollte.

»Das arme Mädchen hat ja so Angst, alleine in einem anderen Raum.«

Ich konnte mich zwar nicht daran erinnern, vor etwas Angst gehabt zu haben, getraute mich aber nicht, dem Hausdrachen zu widersprechen. Ich habe es dann irgendwann einmal geschnallt. So brauchte der frigide Hausbesen wenigstens für zwei bis drei Wochen keine Angst vor sexuellen Übergriffen ihres Ehemannes zu haben. Sex war ja ab einem bestimmten Alter – ich glaube auch schon früher – ohnehin nur zum Kinder machen gut.

„Auf diese 6 närrischen Minuten kann ich gerne verzichten“, bekam ich immer wieder einmal zu hören, und das nicht nur von meiner Oma.

Die einzige Aktion im gemeinsamen Schlafzimmer war also, wenn die Hühner im Stall wild gackerten, Opa mit Schlafrock und Zipfelmütze – ja tatsächlich – und der Pistole aus dem Nachttisch, aus dem Schlafzimmer hinausstürzte, um den Fuchs zu erwischen. Es ist ihm nie gelungen. Wir Kinder folgten dann am nächsten Tag anhand der Federn, die das Huhn verloren hatte, den Spuren des Fuchses. Und wieder gab´s ein Suppenhuhn weniger. Was dem Huhn wohl lieber gewesen wäre, hätte es die Wahl gehabt?

Man kann sich vorstellen, dass das aktuelle Anschauungsmaterial – ich meine die Grailtaler Frauenwelt – nicht gerade geeignet war, einem Mädchen als Vorbild für eine moderne, offene und ausgereifte Beziehung zu dienen. Außerdem wurde mein erotisches Empfinden, meine Venus, in dieser Umgebung sicher nicht geweckt.

Aber es gab für mich in diesen Jahren auch noch andere, tiefgreifende Erlebnisse. An einem dieser Tage hatte mein Onkel Franz eine Bergtour mit zwei deutschen Urlaubern geplant. Um dem Gegacker der Tanten zu entfliehen, bettelte ich einen Tag lang, dass sie mich mitnehmen sollten. Meine Hartnäckigkeit wurde belohnt. Ich durfte mit auf die Bergtour.

Dafür musste ich, wie so oft, Zigaretten besorgen gehen. Jeden Tag einmal in die benachbarte Bar. Ich weiß noch die Sorte, „H.B.“! Die Männer fanden es lustig „ Hänge-Busen“ daraus zu machen. Ich wurde damals noch rot bei dem Gedanken. Aber um der Großmutter für einige Zeit zu entfliehen, nahm ich das gerne auf mich.

Wir fuhren, soweit die Straße damals ausgebaut war, ins Tal hinein. Von dort ging es zu Fuß über zwei Pässe auf einen wunderschönen Aussichtsberg, das Schönbachler Horn. Obwohl knapp 3000 Meter hoch, konnte man diese Bergspitze mit normalen Bergschuhen erreichen, also ohne die sonst übliche Ausrüstung mit Seil, Pickel und Steigeisen.

Die Aussicht war faszinierend, ja überwältigend. Rundherum waren Gletscherflanken und riesige Eisfelder. Ich war fasziniert von den vielen Spalten im Eis. Die letzte halbe Stunde unseres Abstiegs zogen immer mehr schwarze, düstere Wolken auf. Die Bergspitzen wurden von Nebel eingehüllt und wir fingen an, den Rest des Weges zu laufen. In den Bergen aufgewachsen, ist man es ja gewohnt, wie eine Gemse über Steine und Felsen zu springen. Mir kam es dennoch endlos vor. Endlich beim Auto angelangt, schlief ich, kaum dass ich am Rücksitz Platz genommen hatte, auch sofort ein. Die Männer erzählten sich Blondinenwitze, und da konnte ich ohnehin in meinem Alter nichts dazu beitragen. Außerdem fehlte mir oft das Verständnis dafür, was daran so lustig sein sollte.

Ich wurde von einem ohrenbetäubenden Krach geweckt. „Jetzt ist der besoffene Kerl mit dem Auto in die Schlucht gefahren“, war mein erster Gedanke. „Ich lebe noch!“, mein zweiter. Obwohl meine Augen geschlossen waren, war ich geblendet von dem grellen Licht, das den Krach begleitet hatte. Das Auto stank nach Schwefel. Unser Fahrer hatte es mit Mühe zum Stillstand gebracht. Jetzt bemerkte ich den wolkenbruchartigen Regen und die Blitze um uns herum. „OOOhhh Sch… wir sind vom Blitz getroffen worden. Das Auto ist einen halben Meter in die Luft gesprungen“, schrie einer der Männer. Es dauerte Minuten, bis jemand darauf antwortete. Mir hatte es ohnehin die Sprache verschlagen. Aus dem Schlaf gerissen, zitterte ich wie Espenlaub. Der Motor des Autos lief sogar noch. Damals hatten die Autos noch keine Elektronik wie heutzutage, wir konnten daher unsere Fahrt ungehindert fortsetzen. Unser Fahrer fuhr den Rest der Strecke sehr langsam. Außerdem war meinen Begleitern das Witzeerzählen vergangen. „Das kommt davon, man lästert nicht über Frauen“, hatte ich mir damals gedacht. Dieses Erlebnis sollte mich, so wie die Frauen in meiner familiären Umgebung, noch länger bei meinem Verhalten dem männlichen Geschlecht gegenüber beeinflussen.

Man lästert nicht über Frauen und lässt ihnen ihre Meinung, war für mich damals die Konsequenz und Botschaft daraus.

Die Männer begossen, wieder zu Hause angekommen, unser Überleben mit viel Bier und Schnaps in der Bar um die Ecke. Die mit den „Hängebusen Zigaretten“. „Erzähl nichts davon den Weibern“, hatte man mir vorher noch eingetrichtert.

°

Aber zurück ins Inntal, in das vom Vater gelobte Reutling mit ähnlichen Hexen. Mein erstes Erlebnis mit gleichaltrigen männlichen Wesen muss mein Unterbewusstsein nachhaltig und auf Dauer beeinflusst haben. Vor allen Dingen was den Umgang mit dem anderen Geschlecht und die Handhabung von Karriere und Erfolg betrifft.

Meine erste kindliche Verliebtheit und der erste unglaubliche Ausbruch meiner kaum zu bändigen Wildheit, der in einem Heiratsantrag an meinen gleichaltrigen Nachbarn gipfelte (wir waren beide ca. 7 Jahre alt) wurde mit den Worten abgeschmettert:

»Dich würde ich nie heiraten, du bist nämlich nur die Tochter eines armen Schuldirektors und mein Vater ist der Dorfrichter. Ich heirate einmal nur eine „Studierte“.«

Was bin ich heute froh darüber, dass dieser Kelch an mir vorüber ging. Mein Kindheitsschwarm hat sich zu einem riesigen Arschloch entwickelt. Trotzdem, das saß und es tat weh. Noch dazu, weil man zu Hause ja nichts erzählen konnte, um die Eltern zu schonen.

Mein Selbstbewusstsein war auf den absoluten Tiefpunkt gesunken. Das alles hat sich auch in meinen schulischen Leistungen bemerkbar gemacht. Obwohl, dumm war ich nie gewesen. Ich kann mich sogar daran erinnern, dass ich mich immer gewundert hatte, warum der Lehrer etwas fünfmal erklärte, wenn es ohnehin schon alle begriffen hatten, oder eben doch nicht alle? Dass man Verstandenes auch verinnerlichen muss, nämlich wiederholen und damit lernen, hat mir damals keiner erklärt. Deshalb habe ich, so glaube ich inzwischen, zwei Drittel meiner Schulzeit verschlafen. Das andere Drittel raufte, kratzte und biss ich mich mit den gleichaltrigen Burschen. Und so fehlte mir die Konzentration, mein Wissen an den Lehrer zu bringen.

Anfangs hatte ich ja noch eine sehr nette Lehrerin. Sie akzeptierte und beschützte das ungewöhnliche Mädchen. Sie nahm mein wildes Wesen, die Hexe, in Kauf, und sie setzte sich fürsorglich für mich ein. Ich liebte sie dafür. Besonders praktisch war der gemeinsame Schulweg. Heute würde man sie in dieser Funktion Bodyguard nennen. Ich hing beim Nachhauseweg immer an ihrem Rock oder an ihrer Hand, um vor Übergriffen meiner Mitschüler sicher zu sein. Von meinen zickigen Freundinnen hatte ich ja keine Hilfe zu erwarten und gegen die Übermacht der Burschen war selbst ich Wildfang machtlos.

Die ersten 3 Jahre der Schulzeit waren deshalb noch einigermaßen erträglich. Dann bekamen wir Husti, auch Smokie genannt, als Lehrer. Ein in der Klasse kettenrauchender und andauernd von Husten – nein, Erstickungsanfällen - gepeinigter Riese, der sich ein Drittel einer Unterrichtsstunde vorm Ersticken retten musste und die anderen zwei Drittel rauchte. Husti war dabei als Lehrer so fehl am Platze, wie ein Delphin in der Wüste. Auch meinen Schutzengel auf dem Nachhauseweg hatte ich durch diesen Lehrerwechsel verloren. Immerhin fand Husti heraus, dass ich Legasthenikerin war, also in Rechtschreiben eine absolute Null. Viel mehr wusste man darüber damals nicht. Das einzig Positive aus dieser Schulzeit war folgender Ausspruch von Husti: »Ihre Aufsätze sind sensationell, die wird noch einmal Schriftstellerin, aber sie braucht eine Sekretärin mit guten Rechtschreibkenntnissen.«

Tja, wenn der gewusst hätte, dass man dazu inzwischen nur einen guten Laptop und das entsprechende Programm mit Korrekturmodus braucht. Damit wäre mir damals einiges Leid erspart geblieben. So kam es denn auch, dass ich zwar als recht intelligente Schülerin eingestuft wurde, aber:

„Mit diesen Rechtschreibproblemen kann man sie beim besten Willen nicht aufs Gymnasium schicken.“ Ich konnte meinem Vater die Enttäuschung anmerken. Mein ganzes Leben hatte ich später davon geträumt, Bücher zu schreiben, mit meinen eigenen Texten über die wahre Liebe und Leidenschaft und den von mir selbst erlebten und gelebten Lebensweisheiten.

°

Wird wohl nichts mehr daraus werden, dachte ich, von den Wellen hin und her geschleudert, während der Sturm um mich herum sein Bestes gab. Ich war so entsetzlich müde, und wollte schlafen, hatte aber Angst, nicht mehr aufzuwachen, wenn ich es zuließ, dass ich eindöste.

°

Während meiner Schulzeit war mir das ziemlich egal gewesen. Ich verschlief den Großteil der Schulstunden, sie waren mir einfach zu langweilig. Dies wurde auch zähneknirschend von den Eltern hingenommen, denn vorerst hatten sie ohnehin nicht das Geld, um zwei der sieben Kinder auf eine höhere Schule zu schicken. Meine Schulprobleme waren also eine willkommene Ausrede. Ich gab auf, tat nur mehr das Allernotwendigste und nicht einmal mehr das. Man kann sich vorstellen, dass das trotz der Umstände für eine Direktorentochter ein Desaster bedeutete. Vom Vater wurde ich als Tochter fallengelassen, von der Mutter verhätschelt. Eine Superkonstellation, wie man sich vorstellen kann. Von den Mitschülern wegen meiner schlechten Noten immer mehr gehänselt, so konnte man den Schulfrust ja wenigstens am Kind des Lehrers und Direktors auslassen. Und für mich galt für viele Jahre der Spruch: „Wenn das Selbstvertrauen schon auf dem Nullpunkt ist, tut die Umgebung das Übrige dazu.“

Ich kann mich erinnern, dass ich nach einem Unterschenkelbruch, damals fuhr man noch mit Riemenbindungen aus Metallspiralen, immer wieder Schmerzen vorgetäuscht hatte. Meine uralten Skier mit flachen bzw. kaum gerundeten Spitzen und diesen museumsreifen Bindungen waren mir zum Verhängnis geworden. Ich hatte wieder einmal einen Kapitalsturz gerissen, und dafür war diese Ausrüstung einfach nicht geeignet. Ich trug danach die übliche Zeit lang einen Gips, fand aber heraus, dass ich in dieser Zeit mehr Zuwendung bekam, und von Brüdern und Mitschülern umsorgt wurde. Mein Gips war übersät mit Autogrammen von männlichen Fans. Meine Mutter und damit auch der Arzt mussten auf meine vorgetäuschten Schmerzen reagieren. Mit dem Resultat, dass ich in der Wachstumsphase acht Wochen Gips trug. Ein verkürzter Unterschenkel und eine gekrümmte Wirbelsäule geben heute Zeugnis von der medizinischen Unwissenheit unseres damaligen Hausarztes. Ich war wohl selbst daran schuld, oder doch nicht? Gab es so etwas wie ein Schicksal? Wozu war das wieder gut gewesen?

Inzwischen hielt mich meine Mutter auch erfolgreich von allen pubertären, männlichen Aktivitäten, die ich selbst als Mädchen ja so sehr liebte, fern. Ich durfte weder mit den Gleichaltrigen Fußball spielen, noch der Alpenvereinsjugend beitreten. Ein vermeintlicher Herzfehler diente ihr als Erklärung – genetisch war ich ja ihre Tochter. Trotzdem hatte ich bis zu meinem 10. Lebensjahr beim Skifahren alles geschlagen, was später sogar im österreichischen Nationalteam Rang und Namen hatte. Man wollte mich, die Raubkatze, und meine Brüder sogar in einem Team fördern und finanziell sponsern, denn unsere Familie hätte ja für diese Extraausgaben kein Geld gehabt. Meine Mutter jagte jedoch eine dörfliche Abordnung, die mit einem diesbezüglichen Angebot zu uns gekommen war, mehrmals aus dem Haus. Im Nachhinein trotz allem irgendwie verständlich, war doch mein Vater als Rennfahrer mit dem Motorrad an einen Baum gefahren. Man bedenke, dass es damals nur Lederhelme gab. Er lag danach mit einem Schädelbasisbruch bewusstlos im angrenzenden Feld und ein Freund rettete ihm schon an Ort und Stelle das Leben, indem er all das gestockte Blut mit bloßen Fingern aus seinem Rachen holte. Mein Vater wäre sonst an seinem eigenen Blut erstickt! Endlich im Krankenhaus angelangt, zu dieser Zeit gab es noch kein Rettungssystem, lag er zehn Tage im Koma und war mehr tot als lebendig. Das ganze Tal und besonders auch die Ärzte, bezeichneten es als medizinisches Wunder, dass er diesen Unfall überlebte. Wenn man bedenkt, wie viel Glück man selbst heute, sechzig Jahre danach, in einem solchen Fall braucht, war es damals wirklich das sprichwörtliche Wunder gewesen, dass unser Vater danach überhaupt wieder das Krankenhaus auf eigenen Füßen verlassen konnte. Selbst Jahrzehnte danach sterben genug Spitzensportler an solchen Unfällen. Dennoch, unsere Familie, aber besonders wir Kinder, litten dafür an den Spätfolgen dieses Unfalls noch Jahrzehnte. Selbst positive Erlebnisse wie das Skifahren, das ich wirklich beherrschte, versagte mir meine Mutter deshalb aufgrund dieser Erfahrungen. Man kann ja auch mit Skiern gegen den Baum fahren, nicht nur mit dem Motorrad.

Mit Erfolg verhinderte meine Mutter dann auch noch meine Teilnahme an allen außerschulischen Veranstaltungen wie Skischul-, Landwoche oder andere diverse Ausflüge, die für das Erlernen von gesellschaftlichen Prozessen notwendig gewesen wären. So wurde ich auch nicht an den pubertären sexuellen Lernprozessen beteiligt bzw. dazu eingeladen. Ich war ja in den geeigneten Momenten aufgrund meiner gluckenhaften Mutter verhindert. Man machte also die ersten Erfahrungen mit Masturbieren und anderen erotischen Spielen ohne Rebecca. Ich wusste, man hörte ja so einiges nach der Schulskiwoche auf der Alm oder der Wienwoche im Jugendheim, dass da fast jede Göre bei einer Freundin ihre Hand zwischen die Beine legte, harmlose Mädchenspiele eben. Da ich nie bei diesen Spielen dabei war, man aber doch neugierig war, ob die da überhaupt ein Mädchen oder vielleicht doch ein Bursche war, passten mich einmal vier Mitschülerinnen in der Gerätekammer ab, und unten war mein Rock.

Ich kann mich noch erinnern, dass ich zwischen Entrüstung und Weinen, Frechheit und man interessiert sich ja doch, Aufbegehren und einem gewissen sexuellen Empfinden geschwankt bin.

Als vermeintlich braves Direktoren-Töchterchen musste ich Entrüstung vortäuschen und hätte es doch nicht ungern gesehen, wenn auch bei mir eine Mitschülerin ihre Finger, oder gar ihre Zunge, in meine Möse gesteckt hätte. Wie man sich das eben in der Klasse so gegenseitig vergönnte. Also hielt sich meine Gegenwehr in Grenzen. Und als im Eifer des Scheingefechts die für mich netteste der Mitschülerinnen ihre Finger zwischen meinen heißen Schenkeln versenkte, war es mit meiner Zurückhaltung vorbei.

»Aaah« … tat irgendwie gut, im Kreise der Feministinen aufgenommen zu sein. Schockiert, lieber Leserin? Das war bei Mädchen damals ganz normal und eigentlich harmlos. Verhielt sich bei Buben wohl ähnlich. Ich hatte des Öfteren meine Brüder heimlich beobachtet, wie sie gegenseitig Hand anlegten und an ihren Schwänzen rieben, bis da etwas herausspritzte. Für mich war es besonders interessant, wenn meine Brüder das Motto ausgaben: „Wer spritzt am weitesten!“ Immer wieder schlich ich mich an sie heran, um diese männlichen Ergüsse zu beobachten. Auch aus diversen Klosterschulen und Internaten hatte man ja immer die tollsten Geschichten zu solchen erotischen Spielen vernommen, und nicht nur in entsprechenden Filmen. Zu Hause und an den Nachmittagen wurde die Schwester dann mit den Jahren stolz den Freunden präsentiert. Altersbedingt hatte ich ja schon recht frauliche Rundungen an den entsprechenden Stellen.

lang=DE style='color:black'>Das galt in der Runde dieser um ca. 2 - 3 Jahre jüngeren Clique als Sensation. Mädchen, die mit den Jungs ohne Hemmungen und Scheu herumspielten, waren nicht alltäglich. Und dass da ein Loch unter der bereits sprießenden Schambehaarung war, statt eines Schwanzes, machte mich für einige Wochen, Monate ja sogar Jahre interessant. Später erfanden die Jungs ein Spiel, bei welchem sie sich mit mir und zwei meiner weniger zickigen Cousinen im Kreis aufstellten. Der Anführer gab die Kommandos: „Eins, zwei, drei, Hosen runter … eins, zwei, drei Hand angelegt … eins, zwei, drei losgewichst.“ Wir Mädchen hatte nichts zum Handanlegen in diesem Sinne, also konnte wir nur die Finger in unsere Mösen stecken und die Hand wie die Jungs vor und zurück bewegen. Weil das damals irgendwie langweiliger war, als so einen Schwanz in der Hand zu halten, bettelten wir sogar darum, es den Jungs zu besorgen. Nach einiger Zeit war ich so in die Gruppe integriert, dass ich immer öfter den Schwanz eines der Jungen massieren durfte. Eines meiner täglichen Highlights in dieser Zeit. Erst viel später fand ich es auch geil, sich von einem der Jungs da eine Rübe, Banane, Gurke oder etwas Ähnliches hineinstecken zu lassen, mehr getrauten wir uns dann doch nicht, und ich hatte täglich mindestens einmal Lust darauf.

Ich kann mich noch an einen, heute recht prominenten Nachbarsjungen erinnern, bei dem ich als Mädchen Hand anlegen durfte, um da auch etwas Saft hervor zu holen. Er war am Verzweifeln, weil da bei ihm noch nichts herausspritzte und gab seiner mangelnden Technik die Schuld. Und so rieb und wichste ich seine Männlichkeit, bis diese rot und blau wurde. Wir sind dazu immer in unsere Schilfhütte am Inn gegangen. Nur dort fühlten wir uns ungestört. Bei Isidor scheiterte aber auch meine gefühlvolle weibliche Handtechnik. Kein Tropfen des männlichen Saftes kam aus dem geschundenen Aal unseres Freundes, obwohl dieser sogar besonders hart und standhaft war. Ich hatte am nächsten Tag sogar immer einen Muskelkater im Arm, beinahe wie vom zu viel Holz hacken. Das schafft man also auch mit Onanieren und ohne Holzarbeit.

Bei einer dieser Begebenheiten wurde mein Bruder von einer Biene am steifen Penis gestochen. Gott, was haben wir anfangs darüber gelacht. Auch ich, die als einziges Mädchen natürlich live am Geschehen teilhaben durfte und etwas beklommen dieses monströse Ungeheuer betrachtete. Erst als dieses ohnehin schon erigierte Glied wie ein Luftballon anschwoll und Othmar vor Schmerzen kaum noch stehen konnte, eilten wir zurück ins Elternhaus, um einen Arzt zu rufen. Als Erklärung hatte sich die Biene einfach in seine Hose verirrt. Wir schwankten zwischen „vor Lachen am Boden kugeln“ und blankem Entsetzen.

»Kann dieses männliche Instrument der Lust bei einer solchen Gelegenheit sogar platzen?« brachte ich als beteiligtes Mädchen meine Mutter, angesichts einer derart zu Megagröße angeschwollenen Männlichkeit, zur sprachlosen Verzweiflung. Auch der Arzt konnte oder wollte uns darauf keine Antwort geben. Nach dem Motto: »Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen«, war Othmar noch eine Zeit lang Anlass für viele Späße in Richtung ›Ballon-Schwanz‹.

Er konnte sich erst nach Tagen wieder an unseren jugendlichen Sexspielen betätigen und musste doch um einiges größere Hosen anziehen. Seine imposante Männlichkeit brauchte an diesen Tagen mehr Platz. Trotz dieser seltenen, spaßigen Highlights war die Mittelschule für mich ein einziger Angstschrei. Ich frage mich heute noch, wie man es überlebt, vier Jahre jeden Morgen mit Angst und Schrecken vor Schularbeiten und Prüfungen in die Schule zu fahren. Es war besonders der Stress mit meinen Lehrern, der mir Sorgen machte! Hervorgerufen durch das daraus resultierende extreme Unlustgefühl waren ja meine schulischen Leistungen alles andere als „Selbstwertgefühl steigernd“.

Es war sicher kein Zufall, sondern eine Fügung des Schicksals, dass ich Jahre danach wieder in eine Männerwelt eindrang, Martial Arts studierte, und sogar den 7. Dan in Kidokan machte. Ganz sicher würde ich jetzt mit 99 % meiner ehemaligen Mitschülerinnen und sogar mit den dickbäuchigen, biertrinkenden Ex-Mitschülern wahrscheinlich, nein sicher – »hau’ den Watschenmann« spielen. In einer Zeit jedoch, in der andere pubertierende Mädchen noch erste Erfahrungen mit Jungs machten, wie schüchtern Händchen halten, Kuss auf die Wangen und Küsschen auf den Mund, hatte ich alle Hände voll zu tun, meinem Rudel die Schwänze zu wichsen.

°

Im Moment musste ich trotz meiner Situation über diesen Rückblick lachen. Eine riesige Welle rollte brüllend über mich hinweg, warf mich aus meinen Gedanken und aus dem vermeintlich sicheren Boot. Verzweifelt schrie ich auf, als die Sturzsee über mich hereinbrach. Ich hatte mich in der Zwischenzeit zum Glück mittels einer starken Rettungsleine mit meinem kleinen Schlauchi verbunden, und hing glücklicherweise immer noch daran, als die Mega-Welle mich wieder ausspuckte. Ich zitterte am ganzen Leib und zog mich an der Leine mit klopfendem Herzen wieder ans Boot heran. Am ganzen Körper verspürte ich, wie die Kräfte mich langsam aber sicher verließen. Jeder Zug an der Leine erforderte eine größere Überwindung, bei jedem Kraftaufwand schmerzten die Hände und die Arme mehr. Ich hatte das beklemmende Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen. Kam ich dem Dingi überhaupt näher, oder warf mich jede Welle wieder um Meter zurück? Ich war schon froh, die Leine, die es mir immer wieder fast aus der Hand riss, nicht endgültig zu verlieren. Das verzweifelte Klammern, das Reißen, Abrutschen und Zerren hatte zur Folge, dass die Haut meiner Hände immer mehr aufriss. Wie Fetzen hing sie in Streifen von meinen geschundenen Handflächen. Konnte ich den Schmerz überhaupt noch real verspüren oder waren die für den Schmerz zuständigen Nerven bereits abgestorben. Wurde mein Gehirn von einem Phantomschmerz gequält? War ein Teil meines geschundenen Körpers schon so gut wie tot? Wann würde der Rest folgen? Wann meine Seele? Ich driftete ab in einen Zustand der Gleichgültigkeit und Besinnungslosigkeit.

„Aua! Verdammt!!!“ Plötzlich hatte ich das Gefühl, von etwas getreten zu werden. Hier draußen? Unmöglich!!! Ich steckte den Kopf unter Wasser, um die Stelle sehen zu können, wo meine Beine waren. Ich öffnete die Augen, und da mich das Salzwasser brannte, musste ich warten, bis ich etwas erkennen konnte. Als ich endlich verschwommen sah, verkrampfte sich mein ganzer Körper. Wie ein Blitz durchfuhr mich die Angst. Ein eiskaltes Schwert durchschnitt meine Brust und verbreitete Kälte, die mich unkontrolliert erzittern ließ, über meinen ganzen Körper. Jetzt begriff ich, was mich gestoßen hatte. Was ich entsetzt erkennen konnte, war unglaublich, aber wahr. Der Wirklichkeit gewordene Alptraum. Was so ein Herz alles aushalten kann? Herzrasen war der falsche Ausdruck für das, was sich in meinem Brustkorb abspielte. Das glich schon mehr einem Herzflimmern. Zuerst hatte ich nur Schatten gesehen, aber schnell wurde es in meinem Großhirn zur Gewissheit und mein Emotionalgehirn schrie vor Verzweiflung. Überall unter mir waren Haie. Nicht ein Hai, es waren dutzende Haie, unzählige dieser fresslustigen Raubfische. Und sie waren so nahe, dass ich ihre Augen sehen konnte. Sekundenbruchteile später warf ich mich, getragen von einem gewaltigen Adrenalinschub ins Boot. Mit rasendem Herz lag ich für Minuten, alle vier Gliedmaßen ausgestreckt am Boden.

„Bloß nicht wieder umkippen, auf keinen Fall noch einmal kentern und ins Wasser fallen. Ooohhh … mein Gott, bitte lass den Sturm aufhören.“

Ich zitterte derart am ganzen Körper, dass sogar das Schlauchboot vibrierte. Eine Welle packte das Boot und hob es erneut hoch. Ich verlagerte sofort das Gewicht meines Körpers, um das Dingi zu stabilisieren. Mein Leben hing jetzt davon ab, dass ich das Boot in einer stabilen Lage hielt. Ich wollte auf keinem Fall, nein, ich durfte unter keinen Umständen noch einmal ins Wasser fallen. Nicht, solange diese mörderischen Ungeheuer um mein winziges Boot kreisten. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ich jetzt noch einmal kenterte. Beunruhigend war vor allem, dass der Wind immer stärker wurde und damit auch die Wellenhöhe zunahm. »Ob ich aus dieser brodelnden Badewanne jemals wieder lebend herauskomme«?

°