Vom Mut neu zu denken - Michael Karl Heidemann - E-Book

Vom Mut neu zu denken E-Book

Michael Karl Heidemann

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Beschreibung

Mut, Innovation und Vertrauen: Wie sieht der Führungsstil von morgen aus? "Echte Führungskräfte sind selten wie echtes Edelweiß." Mit dieser provokanten Aussage wollen die Autoren dieses Sachbuchs vor allem eines: zum Denken anregen. Was macht einen guten Chef aus? Wie gelingt es, eine zukunftstaugliche Unternehmenskultur zu entwickeln? "Vom Mut neu zu denken" ist keine Schritt-für-Schritt-Anleitung für Unternehmensführung. Hier werden keine vorgefertigten Erfolgsrezepte oder sensationell neue Managementmethoden angepriesen. Dieses Buch ist kein Lehrbuch, sondern eine Anregung zur Selbstreflexion für Chefs, aber auch für Mitarbeiter. Karl Heidemann, Thomas Kleinheinrich, Michael Lischka und Eugen Unger identifizieren maßgebliche Themen von Personalentwicklung über Konfliktmanagement bis Mitarbeiterführung und stellen kluge Fragen zu allen Aspekten des (Führungs-)Alltags: - Überholte Denkmuster durchbrechen und Innovation fördern: Das etwas andere Führungskräfte-Coaching - Unternehmenskultur gemeinsam gestalten: So sichern Sie die Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens - Welcher Führungsstil bringt nachhaltigen Erfolg? Wie Sie Neugier, Kreativität, Flexibilität, Resilienz und Varianz stärken - Vertrauen zeigen, Chancen erkennen, Raum für Ideen schaffen und Potenziale mobilisieren: So entwickeln Sie Antworten auf die Fragen der Zukunft - Herausforderung Digitalisierung: Warum Führungskräfte heute mehr denn je eine humane Orientierung brauchen Personalführung neu denken: Impulse für Führungskräfte und Entscheider Starre Hierarchien und überbordende Bürokratie sind Fossilien aus längst vergangenen Zeiten. Mehr noch: Sie verhindern die Entwicklung von zukunftsweisenden Qualitäten wie Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft. Vorgesetzte der alten Schule wollen ihre Mitarbeiter anleiten, kontrollieren und korrigieren. Selten fragen sie sich: "Was mache ich hier eigentlich?" oder: "Werde ich den mir anvertrauten Menschen noch gerecht?". Doch genau in der Fähigkeit zur Selbstreflexion liegt der Schlüssel für eine gelingende Unternehmensführung. Kenntnisreich und fundiert zeigen die Autoren in diesem unkonventionellen Leadership-Buch, wie Sie Ihre Führungskompetenz steigern und Ihr Unternehmen nach vorne bringen!

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Copyright: FAZIT Communication GmbHFrankfurter Allgemeine Buch, Frankenallee 71 – 81,60327 Frankfurt am Main

Umschlag: Zarka GhaffarGestaltung und Satz: Kerim DemirIllustrationen: Enis Aksoy/Getty Images

1. Auflage, Frankfurt am Main 2020eISBN 978-3-96251-091-6

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Inhalt

Einführung

01 Der Preis der Macht

02 Ich will so bleiben, wie ich bin

03 Was Angst macht

04 Neuronale Chancen

05 Wir sind nicht zum Vergnügen hier!

06 Steve Jobs Unternehmer

07 Vom Dienen

08 Innovation matters!

09 Nach fest kommt ab – Effizienz und ihre Folgen

10 Sandwichpositionen

11 Eignung und Neigung

12 Kapitulation vor dem eigenen Team

13 Resilienz nicht nur für mich!

14 Die Mechanik des Vertrauens

15 The Fast and the Furious

16 Verhandeln im Gleichgewicht

17 gleich|zei|tig

18 Generation Why

19 Führung braucht Ethik

20 Üben muss der Meister

Literatur

Die Autoren

Einführung

Jedes Unternehmen ist anders. Jedes Unternehmen hat seine eigene Geschichte. Doch irgendetwas sagt uns, dass sich alle Unternehmen auch gleichen. Zum Beispiel in der Leidenschaft für Regeln und Vorschriften. Oder der Lust an bürokratischen Prozessen, die mit Hingabe gepflegt werden. Oder in der Liebe zu hierarchischen Strukturen, durch die Menschen endlich Bedeutung bekommen und manchmal mehr Einfluss, als ihrer Umgebung guttut. Bei Licht besehen wirken Bürokratie und Hierarchie wie Fossilien aus längst vergangenen Zeiten. Und man fragt sich, wieso es sie immer noch gibt. Vor allem, weil wir alle wissen, dass sie keine guten Bedingungen für die Entwicklung zukunftsweisender Qualitäten wie Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft schaffen. Statt Ideenreichtum zu fördern, begünstigen sie eine ungesunde Normierung von Prozessen, Strukturen – und, was schlimmer ist, Denkweisen.

Der mehr oder weniger subtile Druck, gefälligst auf ausgetretenen Pfaden zu bleiben, fällt Menschen, die neu in ein Unternehmen eintreten, meist nicht sofort auf. Für sie findet ja alles zum ersten Mal statt. Das ist aufregend. Aber dann kommt ein zweites und drittes Mal – und schon wird Routine daraus. Wenn sie sich wenig später an die herrschenden Umstände gewöhnt haben, ist es bereits zu spät. Nahezu unmerklich sind sie formatiert worden. Das beginnt mit dem Erlernen der vorherrschenden Sprache, geht zügig in die Nachahmung bewährter Handlungsmuster über und endet mit der Adaption konservierter Denkmuster. Wer diesen Prozess überlebt, gehört dazu. Was auf den ersten Blick ein notwendiger Anpassungsprozess zu sein scheint, erweist sich auf den zweiten Blick als schweres Handicap für die Entwicklung von Neugier, Kreativität, Flexibilität, Resilienz und Varianz. Werden unterschiedliche Begabungen und Fähigkeiten durch An- oder vielmehr Einpassungsprozesse nivelliert, so wird aus potenzieller Vielfalt reale Einfalt.

Die Frage nach den Ursachen dieser Entwicklung führt direkt zu den verantwortlichen Führungskräften, zu ihrem Selbstverständnis und letztlich zu ihrem Menschenbild. Glänzend eingeübt ist in Deutschland ein Führungsverständnis, das sein Selbstbewusstsein aus fachlicher Kompetenz ableitet. Vor allem in technischen Bereichen fühlt man sich durch ein Amalgam aus traditionellem Ingenieurs-Stolz, latentem Überlegenheitsgefühl und einem Mindestmaß an kultureller Ortskenntnis für jede Position gewappnet und für jede Verantwortung geeignet.

Haben sie erstmal eine Position erklommen, so neigen aber nicht nur technische Führungskräfte dazu, ihre vermeintliche fachliche Überlegenheit als Weisungsbefugnis und diese als Weisungspflicht zu verstehen. Als Folge davon wimmelt es in unseren Unternehmen von Vorgesetzten. Echte Führungskräfte sind selten wie echtes Edelweiß. Echte Führungskräfte begreifen ihren Führungsauftrag nicht als fachliche, sondern als soziale, kulturelle und vor allem persönliche Herausforderung. Sie sehen ihre Aufgabe nicht darin, andere durch detaillierte Vorgaben lustvoll zu entmündigen, sondern darin, Räume zu öffnen, Chancen zu erkennen, Hindernisse zu beseitigen und, wenn es darauf ankommt, den Fähigkeiten ihres Teams über die eigene Schmerzgrenze hinaus zu vertrauen. Wer ihnen im Alltag begegnet, erlebt „Persönlichkeiten, die artikulationsfähig sind, die sich selbst ein Urteil bilden können, die Ich-Stärke haben und sich auf verschiedene kulturelle Situationen einstellen können.“* Mit diesen Worten hat der Philosoph Julian Nida-Rümelin uns ein Anforderungsprofil geschenkt, dass Sie eins zu eins in Ihre Stellenanzeigen für Führungspositionen übernehmen könnten. Wer sich traut, darauf beherzt zu antworten und, wie Rupert Lay sagt, auch noch die Begabung mitbringt, Menschen zu mögen, ist auf jeden Fall einen zweiten Blick wert. Denn diese Kandidatin oder dieser Kandidat könnte den Führungsauftrag als lebenslangen Lernprozess begreifen. Was die Fähigkeit voraussetzt, sich selbst in Frage stellen zu können. Was will man mehr?

Ein Chef, der einen Schritt zurücktreten und sein Handeln, ja sogar sein Denken zum Gegenstand eigener Reflexion machen kann, wird sich selbst nicht ohne Hemmungen zum Maßstab für andere erklären. Er wird sich vielmehr der eigenen Grenzen bewusst bleiben. Gute Chefs stellen gelegentlich Fragen wie: „Was mache ich hier eigentlich?“ oder: „Werde ich den mir anvertrauten Menschen noch gerecht?“ Dafür bleibt Vorgesetzten im oben genannten Sinn natürlich keine Zeit. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, anderen zu sagen, wo sie langzugehen haben und vor allem auch, wie sie das tun sollen. Sie sehen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem als Menschen, die angeleitet, kontrolliert und korrigiert werden müssen.

Dabei hängt die Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen mehr denn je von der Fähigkeit ihrer Führungskräfte ab, Potenziale und Kräfte im Unternehmen zu mobilisieren, mit denen neue Antworten auf neue Fragen gegeben werden können. Aber wie soll das gehen mit Chefs, die ihre eigene Limitierung zur Limitierung des Unternehmens werden lassen? Die Frage, die sich ein Chef heute stellen muss, lautet: Gibt es in meinem Verantwortungsbereich genügend Raum für Gedanken, Ideen und Initiativen, die in meinem eigenen Kopf leider nicht vorkommen?

Eine Unternehmenskultur, in der nicht nur exekutiert, sondern auch reflektiert wird, entsteht erstaunlicherweise nicht von allein. Sie muss gezielt entwickelt werden. Sogar mit Hilfe der Sammelsurien, die man in Unternehmen mit dem Etikett Personalentwicklung veredelt. Wer einen Blick darauf riskiert, findet – ach ja, vor allem eine Menge Fortbildungsmaßnahmen: Kommunikation 1 und 2, Präsentationstechniken, Beurteilungsgespräche führen, Agiles Arbeiten usw. usw. Nun ist es ratsam, sein Handwerk zu beherrschen – aber bevor die Hand tätig wird, sollten vielleicht noch Kopf und Herz zu Rate gezogen werden. Personalentwicklung verdient ihren Namen nur, wenn sie weit mehr ist als eine Vermittlung von Toys and Tools. Es muss auch um Denkansätze, Modelle und Thesen gehen, die man, wie der Erziehungswissenschaftler Andreas Gruschka schreibt, zu eigenen Fähigkeiten und Gewohnheiten in Beziehung setzen kann, so dass es gelingt, „Erfahrungen neu zu bewerten und zu deuten und die gewonnenen Erkenntnisse in das Kontinuum des eigenen Bewusstseins zu integrieren“. Besser kann man nicht auf den Punkt bringen, wie Selbstreflexion geht, oder?

Jedenfalls wollen wir Sie mit unseren Texten anregen, über ein paar Aspekte Ihres (Führungs-)Alltags nachzudenken. Dabei geht es uns weniger darum, kluge Antworten zu geben, als darum, maßgebliche Themen zu identifizieren und Fragen zu stellen. Dieses Buch ist kein Lehrbuch, kein Rezeptbuch und schon gar nicht der Versuch, Führungskräfte in Deutschland mit einer neuen sensationellen Lehre oder Managementmethode zu beglücken. Die Texte sollen helfen, die Qualität der Führung, der man ausgesetzt ist oder die man selbst anderen zumutet, besser würdigen zu können. An ihrem Ende schlagen wir jeweils ein paar Fragen vor, die zum Weiterdenken anregen – und ein paar Hinweise darauf, wie es aus unserer Sicht besser laufen könnte, gibt es hier und da auch …

Wir sind überzeugt, dass Führungskräfte in Zeiten zunehmender Digitalisierung unserer Arbeitswelt mehr denn je eine humane Orientierung brauchen, der sie sich verpflichtet fühlen. Akzeptierte Maßstäbe, die es wahrscheinlicher machen, dass die Qualität der Zusammenarbeit nicht nur von individuellen Vorlieben einer Chefin oder eines Chefs abhängt, sind dafür unverzichtbar. Damit sie Gegenstand des innerbetrieblichen Diskurses werden können, müssen sie verständlich und nachvollziehbar sein. Erst wenn die Menschen im Unternehmen einer gemeinsamen Orientierung mit dem Wissen folgen, sie bewusst gewählt zu haben, kann man von der Bereitschaft sprechen, Verantwortung auch für die Gestaltung der Unternehmenskultur zu übernehmen. Diese Bereitschaft gilt es zu fördern.

Eine anregende Lektüre wünschen Ihnen

Michael Karl Heidemann

Thomas Kleinheinrich

Michael Lischka

Eugen Unger

* Literaturangaben finden Sie auf S. 238

DENKANSTOSS 01

Der Preis der Macht

Die von vielen sogenannten „weichen Faktoren“ sind in Wirklichkeit harte Faktoren und entscheiden letztlich über den Erfolg des Unternehmens.

Nennen wir ihn einfach Dr. K. Ich bin ihm vor einigen Jahren begegnet. Er beherrschte ein großzügiges Büro und eine Riege von zwanzig Direktoren, die er monatlich zum Rapport einbestellte. Im Organigramm stand unter seinem Namen COO (Chief Operating Officer), und er nahm alle drei Buchstaben ernst, vor allem den letzten. Seine Sprache war autoritär, oft martialisch. Zusammenkünfte unter seiner Leitung begannen in sachlichem Ton und endeten regelmäßig in einem Fiasko. Seiner bedrohlichen Ungeduld, die rasch in detailbesessene Verhöre und dann in erniedrigende Beschimpfungen ausartete, war kaum einer der Direktoren gewachsen. So geriet der monatliche Rapport zu einem Tribunal, das bei den Beteiligten mit der Zeit psychische Blutspuren hinterließ.

„Die wirkliche Erniedrigung“, erzählte einer der Direktoren im vertraulichen Gespräch, „besteht darin, dass ich mich dabei ertappe, auf den Tisch vor mir zu starren, mit einem einzigen Gedanken im Kopf: Hoffentlich komme ich heute nicht dran! Verstehen Sie?“, sagte er. „Ich bin 48 Jahre alt geworden, trage Verantwortung für ein paar Tausend Mitarbeiter und entwickle Empfindungen, von denen ich dachte, ich hätte sie mit 18 hinter mir gelassen.“ Er war deprimiert darüber, dass er sich eingeschüchtert fühlte. War er selbst unfähig, mit dem Führungsstil seines Chefs innerlich angemessen umzugehen, oder war sein Chef schlichtweg unfähig zu führen? Für ihn, der hohe Anforderungen an sich selbst stellte, war das nicht eindeutig. Das Klima in der Führungsmannschaft wurde jedenfalls zunehmend verdruckster. Wer konnte, hielt sich zurück oder möglichst ganz raus und litt still mit denen, die es erwischte. Mitarbeiter, die ihre Angriffsfläche reduzieren wollen, sparen gern an Informationen, vor allem an schlechten. So geriet der COO in einen rasch zunehmenden Nebel, der ihn mit Recht beunruhigte und von Monat zu Monat gereizter werden ließ. Er ahnte, dass es Dinge gab, die man ihm vorenthielt. Nicht, indem man sie rundheraus verschwieg, eher indem er chemisch gereinigte Versionen zu hören bekam. Sie wirkten sauber, aber er spürte, dass der daraus entfernte Unrat noch irgendwo lag.

Vielleicht ist Dr. K. mit seiner extrem autoritär vorgetragenen Dominanz ein Beispiel, das sich mit leichter Hand beiseiteschieben lässt: Wer verhält sich denn schon so brutal? „Ich jedenfalls nicht“, behaupten fast alle Führungskräfte. Unsere Erfahrungen in zahlreichen Unternehmen zeigen: Die, die sich in ihm wiedererkennen müssten, sind meist nicht dazu in der Lage. Nur wenige bringen einen sozialen Gewaltherrscher in ihrem Selbstbild unter. Und diejenigen, die meinen, niemals laut zu werden, wähnen sich allesamt in sicherem Abstand. Oft zu unrecht. Viele von ihnen würden zu deprimierenden Einsichten kommen, wenn sie die Frage: „Wer redet eigentlich noch offen und unverstellt mit mir?“ beantworten müssten – unter Aufbringung eines Mindestmaßes an Aufrichtigkeit, versteht sich.

Macht erzeugt Anpassungsdruck. Mit Macht konfrontiert, lernen wir schnell, was geht und was nicht – und passen uns unversehens an.

Schließlich gilt in fast allen hierarchisch aufgebauten Systemen: Wer Karriere machen will, braucht Unterstützung. Am besten von oben. Da empfiehlt es sich, unter dem prüfenden Blick derjenigen, die über unser Schicksal entscheiden, so zu sprechen und so zu handeln, wie es erwartet wird. Manch einer bringt es in der Kunst des Fassadenbaus zu einschüchternder Perfektion und in der Folge zu einem schnellen Aufstieg und einem runderneuerten Selbstbewusstsein – leider ohne Selbsterkenntnis.

Wen wundert es noch, wenn ausgerechnet diejenigen, die nur dank ihrer exzellenten Anpassungsleistung Karriere machen, das Erreichen einer angestrebten Position als ultimativen Beweis ihrer umfassenden Befähigung werten? Nachhaltig in ihrem Selbstbild stabilisiert, kommen sie ohne großen inneren Aufwand zu der Überzeugung, tatsächlich so zu sein, wie sie es sich selbst (und andere) glauben machen. Von nun an zelebrieren sie das erreichte „Niveau“ als Anspruch an andere. Eine Investition erweist sich als Fehlschlag? Sie wurden nicht umfassend informiert. Ihre Strategie ging nicht auf? Es liegt an der Unfähigkeit ihrer Mitarbeiter, zu begreifen, worum es wirklich geht usw.

Mit der ausdauernd eingeübten Fähigkeit, Signale zu ignorieren, die ihr kostbares Selbstkonstrukt in Frage stellen könnten, schaffen diese Führungskräfte eine Atmosphäre der Unnahbarkeit um sich herum. Nur so fühlen sie sich sicher. Sie haben chronisch recht, sie hören selten zu und sie halten sich für unverzichtbar. Wie wir früher oder später meist in aller Öffentlichkeit nachvollziehen können: Je nach Position und Einfluss können solche Chefs zu einem durchaus limitierenden Faktor für die Existenz des Unternehmens werden.

Was hilft? Wenn wir die Illusion, man könne Menschen ändern, beiseitelassen, bleibt nur die Hoffnung auf Kompensation des destruktiven Einflusses durch andere. Durch Menschen, die einen aufrichtigen Blick in den Spiegel wagen. Vielleicht können Geführte, die keine Vorbilder finden, ja selbst welche sein? Wer in sich einen Maßstab zur kritischen Beurteilung seines Chefs findet, sollte auch in der Lage sein, diesen Maßstab für das eigene Handeln zu nutzen. Der Einfluss von Tyrannen kann letztlich nur durch Menschen eingedämmt werden, die auch unter den Bedingungen der hierarchischen Organisation auf der Fähigkeit zum eigenen Erleben insistieren. Die einen Umgang mit anderen wagen, durch den tatsächliches Leben spürbar wird und nicht nur die Leere hinter der Fassade.

Was Dr. K. angeht, so erzeugte er ein Klima, in dem seine Direct-Reports trotz wortreicher Ausführungen immer verschwiegener wurden. Sie sahen ihren Chef toben und gewöhnten sich daran, innerlich spontan umzudisponieren und unangenehme Nachrichten auf die jeweils nächste Tagesordnung zu verschieben. Das geschah zu oft. Als es unumgänglich wurde, die faulen Äpfel auf den Tisch zu legen, waren es zu viele geworden. Der Verlustnachtrag sprengte alle Grenzen. Die Banken gaben das Unternehmen auf. Heute existiert es nicht mehr.

//

+ Anregungen zur Reflexion

Als Chefin oder Chef

Bitte denken Sie an die Menschen in Ihrer unmittelbaren Umgebung:

Wer spricht noch wirklich offen und unverstellt mit Ihnen?

Würden Sie es überhaupt merken, wenn das niemand macht?

Als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter

Wie oft verzichten Sie darauf, sich Ihrer Führungskraft gegenüber kritisch zu äußern, weil Sie denken „Jetzt ist nicht der richtige Augenblick!“ oder „Das zu sagen, würde nicht ohne negative Konsequenzen für mich bleiben …“? Welchen Preis zahlen Sie für Ihr Ausweichen?

DENKANSTOSS 02

Ich will so bleiben, wie ich bin

Die Sehnsucht nach Authentizität ist groß,aber die an einen Menschen gerichtete Aufforderung„Sei authentisch!“ verleitet zu Missverständnissen.

Schauen wir der Tatsache ins Auge: Keiner will einen authentischen Fulltime-Choleriker als Chef. Trotzdem sehen wir uns überall dem Imperativ „Sei authentisch!“ ausgesetzt, und selbst im Urlaub verfolgt uns der Begriff Authentizität, als wäre er auf Tournee. So wird in einer Apotheke in Westerland für das Sylter Meersalz geworben: „Ein authentisches Produkt der Insel“. Es gibt 125 Gramm für 12,90 €. Man erkennt sofort: Authentizität hat ihren Preis. Mit diesem Etikett lässt sich scheinbar alles aufwerten. Salz, Menschen oder eben auch die Art zu führen. Hauptsache authentisch.

Authentisch klingt erst einmal gut. Es klingt natürlich und rein. Authentizität leitet sich aus dem griechischen authentikós ab und meint „echt“. Im 16. Jahrhundert wurde der Begriff vorwiegend für spezielle Dokumente genutzt. Ein Schriftstück ist authentisch, wenn verbürgt ist, dass es unverfälscht ist. Auch heute spricht die IT-Sicherheit von „Authentifizierung“. Bei konkreten Eigenschaften wie Form, Farbe, Gewicht mag diese etymologische Annäherung noch funktionieren, weil sie objektiv verifizierbar sind. Echt, im Sinne der Herkunft, wird das Sylter Meersalz vermutlich sein. Bei der Anwendung des Begriffs auf Personen kommen wir jedoch sehr schnell auf vermintes Gelände.

// Authentizität ist Überforderung

Authentisch sein, im Sinne von „mich immer so zu zeigen, wie ich wirklich bin“, ist ein nicht gerade trivialer Anspruch, sofern man ihn tatsächlich ernst nimmt. Oder haben Sie spontan eine wirklich substanzielle Antwort auf die Frage: Wer bin ich? – ohne auf Beruf oder Familienstatus zu verweisen? Die viel zitierte Inschrift am Apollotempel von Delphi, gnothi seauton (erkenne dich selbst), deutet schon an, dass wir es hier mit einer lebenslangen und recht anspruchsvollen Forderung zu tun haben. Authentizität setzt also voraus, dass wir über uns selbst sehr viel und sehr gründlich nachgedacht haben. Psychoanalytiker müssen sich beispielsweise im Rahmen ihrer Ausbildung dazu verpflichten, mindestens 400 Stunden Lehranalyse zu absolvieren, um eigene Persönlichkeitsanteile oder unbewusste Konflikte nicht später in ihre therapeutische Arbeit einfließen zu lassen.

Und mit intensivem Nachdenken über uns selbst ist der Prozess der Selbsterkenntnis natürlich nicht abgeschlossen. Richard David Precht bringt mit seinem Titel „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ die Sache mit den unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen auf den Punkt. Wann bin ich authentisch: Wenn ich meinen Gefühlen Raum gebe oder wenn ich dem Verstand eine Chance einräume? Welchen Anteilen meiner Persönlichkeit soll ich in der konkreten Situation folgen? Wann bin ich wirklich echt? Es wird deutlich: Mit einem simplen Appell ist es nicht getan.

// Authentizität ist Fiktion

Was entscheidet darüber, wer echt oder gefälscht ist? Eben. Es gibt keine eindeutigen Kriterien für authentisches Verhalten. Authentizität als Eigenschaft einer Person ist eine rein subjektive Zuschreibung. Was Einzelne als authentisch empfinden, kann sehr wohl sorgfältig inszeniert und damit eben nicht mehr „echt“ sein. Insofern geht es häufiger um eine gefühlte Authentizität beim Adressaten als um die absolute Kongruenz zwischen dem innersten Selbst und dem gezeigten Ausdrucksverhalten. Ein gelungener Auftritt muss stimmig sein, ob er stimmt, ist eine ganz andere Frage. Perception is Reality ist das Credo vieler Branchen, und es wird viel Aufwand betrieben, um auf der Bühne des Lebens eine spezifische Wirkung zu hinterlassen. Das hat mit Authentizität wenig zu tun – erfreulicherweise.

// Authentizität ist asozial

Wir dürfen wohl hoffen, dass eine Vielzahl der öffentlichen Auftritte nicht spontanen Impulsen und Gefühlen folgt. Zumindest wenn es um erhebliche Themen geht. Nichts gegen die unterhaltsamen Einlassungen eines Nationalspielers nach einem glücklichen Sieg, aber auf dem politischen oder unternehmerischen Parkett ist die Aufforderung, authentisch zu sein, eine der Lebenswirklichkeit zuwiderlaufende Empfehlung. In den meisten Situationen ist es sinnvoll, zwischen den Erwartungen an eine soziale Rolle und den eigenen Bedürfnissen sehr genau zu unterscheiden.

Berechtigterweise haben Rollen immer etwas mit Erwartungen zu tun. Sie definieren die Erwartungen einer Gesellschaft an ein geeignetes soziales Zusammenleben. Einerseits sorgen diese Rollenerwartungen für Klarheit und Sicherheit, auf der anderen Seite fordern sie teilweise erhebliche Anpassungsleistungen von uns ein. Da wir mit übertriebenen Anpassungsleistungen in der deutschen Geschichte nicht immer gute Erfahrungen gemacht haben, schlagen wir uns aktuell eher radikal auf die Seite des Individuums. Der Preis für diese „Sei-Du-selbst-Philosophie“ ist jedoch hoch. Jeder kennt sie in seinem näheren Umfeld: Menschen, die völlig irritationsfrei einen Bruch mit Konventionen pflegen und das Ganze mit dem Etikett „authentisch“ rechtfertigen. Besonders problematisch ist das Ausleben der individuellen Befindlichkeiten dort, wo es um Machtpositionen geht. Ein verantwortlicher Umgang mit Macht im politischen oder unternehmerischen Umfeld schließt aus, dass andere für therapeutische Befreiungsschläge des Chefs missbraucht werden, was, auch wenn man es authentisch nennt, schlicht asozial wäre.

// Authentizität ist ein Lernverhinderer

Der Philosoph und Unternehmensberater Rupert Lay definiert die psychische Reife eines Menschen durch die Anzahl der Rollen, die man sozial adäquat einnehmen kann. Je vielfältiger unser Repertoire, desto reifer unsere Persönlichkeit, unabhängig vom physischen Alter. Anspruchsvolle Aufgaben erfordern in der Regel ein hohes Maß an Rollenvarianz. Von der Rolle des empathischen Kollegen über den kühlen Analytiker bis hin zum pragmatischen Handanleger (und nicht nur Handaufleger) – Führenden wird heute so einiges abverlangt. Je größer die geforderte Rollenvielfalt, desto entscheidender ist die Fähigkeit, zeitnah die eigenen Rollenkonzepte und Verhaltensweisen anzupassen und nötigenfalls zu überarbeiten, kurz: zu lernen.

Gerade als Coach begegnen einem allerdings zuweilen Coachees mit einer leicht bräsigen „Ich-bin-halt-wie-ich-bin-Haltung“ oder mit festem „Ich-will-mich-nicht-verbiegen-Vorsatz“. Statt Vorfreude auf neue Rollen und das damit verbundene persönliche Wachstum werden neue Verhaltensangebote reflexhaft zurückgewiesen. Das beliebte Argument lautet: Bewusstes Aneignen neuer Handlungsstrategien ist unauthentisch, ich will lieber so bleiben, wie ich bin. Abgesehen von der Frage, in welchem Alter man als Persönlichkeit fertig ist (mit sich und der Welt), gibt es im Ergebnis keinen Unterschied zwischen bewusstem oder unbewusstem Lernen. Viele Rollen haben wir unbewusst gelernt und in der Regel wenig reflektiert. Im Laufe unseres Lebens bekommen wir natürlich auch die Chance, uns bewusst für neue Rollen zu entscheiden. Die Erwartungen, die mit einer neuen Rolle verbunden sind, mit den verschiedenen Anteilen unserer Persönlichkeit zu einem stimmigen Ganzen zu verschmelzen und dabei vielleicht sogar neue Handlungsstrategien zu entwickeln, ist bei entsprechendem Potenzial bis ins hohe Alter möglich.

Natürlich sind diese Gedanken kein Aufruf, sich Rollenkonzepte oder moralische Normenkataloge kritiklos anzueignen. Damit würde Selbstverleugnung zum Programm. Gleiches gilt aber auch für den emanzipatorischen Weckruf der „Sei-Duselbst-Bewegung“. Mit ihr wird nur Selbstbezogenheit kultiviert. Beides hilft nicht.

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