Vom Querdenken zur Querfront? - Lucius Teidelbaum - E-Book

Vom Querdenken zur Querfront? E-Book

Lucius Teidelbaum

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Beschreibung

Als die deutsche Bundesregierung im April 2020 drastische Maßnahmen zum Schutz vor der Corona-Pandemie erließ, löste das landesweit wütende Proteste aus. Richteten sich die Demonstrationen anfangs noch hauptsächlich gegen diese Maßnahmen, entwickelte sich bald ein Marktplatz der alternativen Fakten. Unter den Gegner*innen der Maßnahmen breiteten sich rasend schnell Annahmen und Krisenerzählungen mit verschwörungsideologischem Unterbau aus, die sich als Fundament einer neuen, rechtsoffenen Online- und Straßen-Bewegung entpuppten. Lucius Teidelbaum geht der Entwicklung dieser diffusen Bewegung nach, beleuchtet ihre Inhalte und Motive und erklärt, was daran so gefährlich ist. Er stellt unterschiedliche Akteur*innen vor, zeigt auf, welche Rolle die klassische extreme Rechte in den Protesten spielt, wirft einen Blick auf den aktuellen Stand dieser Gruppe Gleichgesinnter und fragt nach einem sinnvollen Umgang mit den ›Querdenker*innen‹, die nicht der extremen Rechten angehören und die noch kein geschlossenes Verschwörungsweltbild haben.

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Seitenzahl: 78

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Lucius Teidelbaum

Vom Querdenken zur Querfront?

Corona-Proteste von rechts

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Lucius Teidelbaum:

Vom Querdenken zur Querfront?

unrast transparent

rechter rand

Band 21

1. Auflage, April 2023

eBook UNRAST Verlag, September 2023

ISBN 978-3-95405-164-9

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: UNRAST Verlag, Münster

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Inhalt

I. Einleitung

Begriffe

II. Entstehung und Verlauf

Bewegungen im Vorfeld

Anfänge im April und Mai 2020

Zweite Hochphase Ende 2021, Anfang 2022

Heißer Herbst und Wutwinter 2022/23?

III. Inhalte und Themen

Trumpismus und andere autoritäre Sehnsüchte

Gemeinsamer Untergangssound

Postideologische Selbstverortung

Sozialdarwinismus

Verschwörungsideologien

Antisemitismus

Diktatur-Relativierungen

Feindbild Establishment

Grundgesetz-Bezug und Souveränismus

Feindbild Antifa

Ist der Ukraine-Krieg das neue Corona?

Rechter Antiamerikanismus bzw. Feindbild Westen

Antifeminismus

IV. Strömungen und Gruppen

Impfgegner*innen

Alternativmedizin für Deutschland?

Esoteriker*innen

Anthroposoph*innen

Christliche Pandemie-Leugner*innen

Die Sasek-Sekte

Reichsbürger*innen

Die Anastasia-Bewegung

V. Organisationen, Medien, Parteien und Einzelpersonen

Bewegungsunternehmer*innen

»Freie Linke«

Der Soundtrack der Bewegung

Alternativmedien für Deutschland

Parteien

VI. Fazit

Lebensreform-Bewegung 3.0?

Hier marschiert der irrationale Widerstand!

Marsch nach rechts

Querfront?

Gefahren

VII. Was tun?

Differenzierte Kritik statt pauschaler Schelte

VIII. Ausblick

I. Einleitung

Die Krise durch die Corona-Pandemie war anders als andere Krisen. Sie ging einem näher und verursachte Verwerfungen oft bis ins persönliche Umfeld. In Familien, alternativen Wohnprojekten oder in selbstverwalteten Freiräumen kam es zu Brüchen, weil Freund*innen, Mitbewohner*innen, Verwandte und Bekannte sich den Corona-Protesten anschlossen bzw. sich in Richtung der Verschwörungsideologien entwickelten. Dieses Buch ist der Versuch einer Analyse und Einordnung durch sachliche Kritik. Denn es herrscht in der Zivilgesellschaft und der Linken eine gewisse Rat- und Orientierungslosigkeit in Bezug auf die Bewegung der Pandemie-Leugner*innen. Zeitweise schien im Angesicht der massenhaften Corona-Proteste, die Gegenbewegung geradezu erstarrt.

Während die einen sie als neue Variante von Faschismus sehen, schauen andere eher auf ihre Wurzeln in der alternativen Bewegung. Für Verwirrung sorgte dabei auch, dass sich beide Seiten gegenseitig Faschismus vorwarfen und es damit durchaus ernst meinten.

Ursache für die verschiedenen Einschätzungen waren auch unterschiedliche Beobachtungen und Erfahrungen. Im sächsischen Erzgebirge sind erkennbar mehr stiernackige Männer mit rechtem Szene-Outfit bei den Protesten mitgelaufen als in westdeutschen Hochschulstädten, wo es dagegen einen höheren Anteil von alternativ gekleideten Personen gab.

Doch entscheidend ist vor allem, was in den Köpfen an Gedankengut mitgeführt wird. Dieses Buch unternimmt den Versuch einer Einordnung der Corona-Proteste, der Benennung relevanter Inhalte als Bindeklammern sowie von beteiligten Projekten und Strömungen. Außerdem werden einzelne maßgebliche Personen kurz vorgestellt. Am Schluss wird ein vorläufiges Fazit gezogen, denn die Entwicklung war bei Niederschrift des Buches noch nicht abgeschlossen. Was sind die Proteste und was vielleicht auch nicht? Daran anschließend wird der »Was tun?«-Frage nachgegangen, um die Leser*innen nicht einfach nur mit einer Problem-Beschreibung zurückzulassen.

Begriffe

Der Protest gegen die Corona-Beschränkungen war kein per se rechtes Thema. Wenn im Folgenden von Corona-Protesten die Rede ist, dann sind damit die nach rechts offenen Proteste gemeint, auf denen zumindest ohne Distanzierung Verschwörungserzählungen präsentiert werden konnten, sehr oft auch von den Organisator*innen selbst.

Ausdrücklich nicht gemeint sind die Proteste von z.B. Gastronom*innen oder auch linke Proteste unter Einhaltung der Hygiene-Regeln und bei Ausschluss von Rechten.

Es sind zwei Arten von Begriffen für die Beteiligten an den Corona-Protesten im Umlauf. Zum einen Eigenbegriffe wie »Corona-Rebellen«, »Querdenker« oder »Maßnahmenkritiker«. Zum anderen Versuche von analytischen Einordnungen von außen wie »Corona-Leugner« oder »Corona-Verharmloser«, die von den derart Bezeichneten meist abgelehnt werden.

In diesem Buch soll vor allem der Begriff ›Pandemie-Leugner*innen‹ verwendet werden, da er am treffendsten erscheint. Viele der Demonstrierenden leugnen nicht die Existenz von Corona, aber doch den Charakter einer gefährlichen Pandemie.

II. Entstehung und Verlauf

Die Corona-Proteste hatten keine gleichbleibende Entwicklung, sondern unterlagen Konjunkturen. Nach einem ersten Hoch im April und Mai 2020 flachte die Kurve der Beteiligung wieder ab, um im Herbst 2020 wieder etwas anzusteigen. Ein kleineres Hoch gab es im Frühjahr 2021, danach stiegen die Zahlen der Teilnehmenden erst im November und Dezember wieder richtig an. Dieser Trend wurde durch die Weihnachtszeit und Silvester nicht gebrochen, sondern setzte sich etwa bis in den März 2022 fort. Die im Herbst 2022 erneut einsetzenden Proteste von Pandemie-Leugner*innen, die nur anfänglich das Schwerpunktthema Corona hatten und sich dann auf Themen wie Gaspreise und Ukraine-Krieg fokussierten, haben sich auf Ostdeutschland beschränkt.

Bewegungen im Vorfeld

Vom Charakter her ähnelten die Corona-Proteste am ehesten den Friedens- oder Montagsmahnwachen von 2014/2015. Ausgangspunkt der damaligen Mahnwachen war eine Kritik an der Darstellung der Unruhen in der Ukraine 2014, die als zu prowestlich bzw. angeblich westlich gesteuert und antirussisch kritisiert wurden.

Die Medien-Feindlichkeit, die Rechts-Offenheit und die Verschwörungserzählungen ähnelten den späteren Corona-Protesten. Auch damalige Protagonist*innen tauchten im Zuge der Corona-Proteste wieder auf, wie beispielsweise Jürgen Elsässer, Ken Jebsen oder die Hip-Hop-Crew die Bandbreite.

Der Journalist Ivo Bozic nannte die Friedensmahnwachen 2014 ein »Pegida für Linke«, da sich viele Personen mit linkem Selbstverständnis an ihnen beteiligten. Tatsächlich hatten laut einer Befragung der Teilnehmer*innen der Mahnwachen, bei der Bundestagswahl 2013 rund 40% die Partei Die Linke gewählt und nur 15% die AfD. Zu diesem Schluss kamen auch Priska Daphi, Dieter Rucht, Wolfgang Stuppert, Simon Teune und Peter Ullrich in ihrer Untersuchung »Occupy Frieden« von 2014: »Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bewegung der Montagsmahnwachen nicht als rechte Bewegung zu verstehen ist. In weiten Teilen ist sie klar links orientiert, was sich in Wahlverhalten und politischer Selbsteinschätzung zeigt. Zugleich gibt es das starke Bestreben, sich der Rechts-links-Einordnung zu entziehen, also ein Selbstbild, das die Einteilung in rechts und links zurückweist. Dazu kommen relevante Anteile der Befragten, unter denen nicht weltbildhaft ausgeformte rechtsextreme Ideologeme zustimmungsfähig sind. Besonders antiamerikanische und verschwörungstheoretische, aber auch antizionistisch-antisemitische und autoritäre Einstellungen haben eine teils große Verbreitung. Diese Koexistenz von zumindest aus Beobachterperspektive widersprüchlich erscheinenden Inhalten wird aber anscheinend kaum als problematisch empfunden. Das in der Diskussion vielfach thematisierte Szenario der Herausbildung einer Querfront-Bewegung, die linke und rechte Inhalte integriert, erscheint vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Daten durchaus plausibel.«

Diese Einschätzung unterstützte auch die Empirie. Demnach hielten 85,5% der befragten Teilnehmer*innen die Bundesrepublik für keinen souveränen Staat und 47% glaubten, dass »die Zionisten an den Hebeln der Macht« seien. Knapp die Hälfte hing somit einer antisemitischen Verschwörungserzählung an.

Eine weniger beachtete Wurzel der Corona-Proteste scheint in den ›Anti-5G-Protesten‹ zu liegen. Personen aus dem verschwörungsideologisch geprägten 5G-Protest tauchten auch bei den Corona-Protesten wieder auf. Anfangs bildeten sich auch spezifische Corona-Verschwörungserzählungen mit Bezug auf die 5G-Technologie. Da war die Rede von auffällig mehr Corona-Toten in Gebieten mit 5G-Funkanlagen oder mit Covid-19 solle eigentlich das »5G-Syndrom« vertuscht werden. Das wiederum löste Angriffe und sogar Anschläge auf 5G-Masten aus. Solche Anschläge begannen bereits vor Beginn der Corona-Pandemie. Beispielsweise attackierte ein Mann in Dresden ab Mai 2018 einen 5G-Sendemast im Stadtteil Trachau, teilweise mit selbst gebauten Sprengköpfen, und begründete sein Handeln vor Gericht mit einer Anti-5G-Verschwörungserzählung.

Anfänge im April und Mai 2020

Die Bewegung der Pandemie-Leugner*innen hatte zwei frühe Geburtsorte. Zum einen Stuttgart, die Landeshauptstadt von Baden-Württemberg. Hier begann, der bis dahin nicht politisch auffällig gewordene Michael Ballweg ab April 2020 unter dem Label Querdenken Demonstrationen zu organisieren. Der Stuttgarter IT-Unternehmer hatte Ende Februar 2020 seine Senior-Experten-Management Softwarefirma verkauft, um eine Weltreise zu machen. Corona machte ihm dabei aber einen Strich durch die Rechnung. Ballweg gab in einem Focus-Interview an, bereits 2015 mit der ›Schulmedizin‹ gebrochen zu haben und seitdem keine Medikamente mehr zu nehmen. Er glaube fest daran, »dass die Natur mich mit Fähigkeiten ausgestattet hat, die mir stets ein Überleben sichern werden. Ich weiß auch, wie ich mit dem, was die Natur mir bietet, mich ernähren kann.«

Bereits bei den frühen Groß-Demonstrationen von Querdenken in Stuttgart traten auch Rechte als Redner*innen auf. Zum Beispiel Max Otte, damals aktiv in der rechtskonservativen WerteUnion, der am 31. Mai 2020 in Stuttgart sprach.

Von den Medien wurden die personenstarken Demonstrationen als Ausdruck einer spezifischen schwäbischen Protestkultur gewertet. Der andere Ursprungsort der Bewegung war Berlin, wo eine Gruppe um den linken Künstler und Publizisten Anselm Lenz erstmals am 28. März 2020 eine sogenannte »Hygiene-Demo« organisierte. Das Orga-Team nannte sich »Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand«. Die Demonstrationen lockten schnell extreme Rechte wie den Holocaust-Leugner Nikolai Nehrling an.

Rechtsextreme waren nachweisbar von Anfang an an den Corona-Protesten beteiligt. Auch wenn es sich um eine Minderheit handelte, wurden sie als solche von den Veranstalter*innen im Regelfall geduldet. Es gab somit keine rechte Unterwanderung, sondern eher eine postideologische Ignoranz und Zusammenarbeit oder Beteiligung.

Auch die Mehrheit der Demonstrations-Veranstalter*innen kann nicht der klassischen extremen Rechten zugerechnet werden. Bundesweit gesehen wurden nur wenige der Corona-Proteste von AfD, Freie Sachsen und Co. veranstaltet.

Die Mobilisierung erfolgte über alle sozialen Netzwerke, aber schnell kristallisierte sich der Messenger Telegram als zentrale Plattform heraus. Stark beteiligt am Aufbau der Telegram-Netzwerke der Pandemie-Leugner*innen war Frank Schreibmüller, der sich selbst als »Frank der Reisende« bezeichnet. Dieser hatte schon vor Corona Berührungspunkte zu rechten und autoritären Kreisen und war im Dezember 2019 auf einer Doppelhochzeit der Familie des Sektenführers Ivo Sasek (siehe »Die Sasek-Sekte«) zu Gast.

Fotos in einem Artikel auf Belltower News zeigen Schreibmüller als Teilnehmer bei einem Fackelmarsch der Neonazi-Partei Der III. Weg in Plauen 2019. Er hielt dabei ein Transparent mit der Aufschrift »Multikulti tötet«.