Von der Impffront - Rainer Jund - E-Book

Von der Impffront E-Book

Rainer Jund

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Beschreibung

Es ist der Frühling 2021. Das noch immer alles beherrschende Thema ist Corona – und vor allem die vermeintliche Rettung vor dem Virus: die Impfung. Doch es ist nicht genügend Impfstoff da und so muss ein knappes Gut verteilt werden. Ab April beteiligen sich in Deutschland niedergelassene Ärzte an der Impfkampagne und kämpfen mit den praktischen, psychologischen und ökonomischen Dimensionen. Sie kämpfen auch mit ihren Patienten, ihren Mitarbeiterinnen und gegen sich selbst. In diesem Spannungsfeld, in dem sich die Medienbotschaften überschlagen, greift der Arzt Rainer Jund zum Stift und notiert die Geschehnisse in seiner Praxis. Er schreibt von den Gesprächen mit seinen Patienten, vom Anspruch und vom Druck, von der Angst und der Aggression. Von den tragikomischen Ereignissen inmitten dieser zugespitzten Extremsituation. Die Erlebnisse enthüllen das ganze Panorama des Menschseins, von tiefen menschlichen Gefühlen, verzweifelter Hoffnung, unweigerlichem Vergehen und dramatischen Erfahrungen. Jund fährt mit uns in seine Praxis, hört im Autoradio die täglichen Hiobsbotschaften und erlebt für uns einen Teil der Wirklichkeit, die wir so noch nicht gesehen haben. Er nimmt uns hinter seine Kulissen mit. Als Leser hat man final das Glück, dass man nicht selbst hin muss – an die Impffront.

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Seitenzahl: 123

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Rainer Jund

Von derImpffront

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Von derImpffront

Aus dem Alltag eines Arztes

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe, 1. Auflage 2021

© 2021 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Dr. Daniel Bussenius

Korrektorat: Manuela Kahle; Silvia Kinkel

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch, München

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Lissandra Melo

Satz: Christiane Schuster | www.kapazunder.de

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-522-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-882-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-888-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

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INHALT

#

TAG MINUS 1

TAG 0

TAG 1

TAG 2

TAG 3

TAG 4

TAG 5

TAG 8

TAG 9

TAG 11

TAG 12, 13 UND 15

TAG 16

TAG 17

TAG 18

TAG 19

TAG 22

TAG 23

TAG 25

TAG 26

TAG 27

TAG 30

TAG 31

#

Medizin als Wissenschaft ist ständig im Fluss. Die beschriebenen Prozesse entsprechen dem Vorgehen zu diesem Zeitpunkt im Frühjahr 2021, ebenso die diskutierten Nachrichten und Meldungen. Ein Allgemeingültigkeitsanspruch ist nicht gerechtfertigt.

Alle Gespräche haben sich so ereignet oder könnten sich so ereignet haben.

Sie sind nicht alle auf tatsächlich lebende Personen zurückzuführen, in einzelnen Fällen aber durchaus.

Äußerungen und Dialoge in dieser Art können in jedem anderen Themenbereich (Tempolimit, Tatort, Transferleistungen) ebenso vorkommen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt.

 

Nur wenn wir verstehen, können wir uns kümmern.

Nur wenn wir uns kümmern, können wir helfen.

Nur wenn wir helfen, können wir das Leben retten.

Jane Goodall (Verhaltensforscherin)

TAG MINUS 1

Als ich von der Praxis nach Hause fahre, höre ich auf einem Nachrichtenkanal des Bayerischen Rundfunks ein Interview mit einem Politiker. Er spricht über den Beginn der Impfkampagne. Wie toll alles gelaufen ist und es jetzt weitergehen wird.

Er spricht über unsere Lage. Die Geduld der Menschen wird auf eine harte Probe gestellt. Die Gastronomie ist geschlossen und die Menschen – das sagt er, als ob er außerhalb unseres Biotops stünde und uns nur beobachten würde – sehnen sich nach sozialen Kontakten. Seine Stimme soll entschlossen klingen, das hört man bis hierher, in meinen Golf hinein, vor dessen Fensterscheiben eine Welt vorbeigleitet, die wir uns selbst so gemacht haben.

Die Moderatorin im Radio bleibt an einer Stelle hartnäckig, an der der Politiker meint, bald könne hoffentlich wieder Normalität einkehren. In unser Leben. Da unterbricht sie den Mann, dessen Satz gerade zu Ende gehen sollte, und fragt ihn: »Wie sähe die Normalität denn für Sie aus?«

Er atmet ein, es ist ihm kurz unangenehm, das spürt man, und er meint dann, dass man eben sehen würde, wie eine Herdenimmunität in der Gesellschaft zustande kommt. Alle sagen das: Herdenimmunität, die Floskeln und Begriffe werden Millionen Mal ausgetauscht und umgewälzt, es klingt redundant und doch aufregend. Genau als er das sagt, fahre ich an einem Lieferwagen vorbei, der am Straßenrand abgestellt ist. Auf der Ladefläche befindet sich eine Plakatwand. In großen Buchstaben steht darauf »Impfzwang – nein danke!« An diesem Abend recherchiere ich mit meinem Mobiltelefon, wer hinter dieser Aktion steht. Im Vorstand dieser Gruppe ist neben Juristen, Pädagogen und EDV-Leuten auch ein Arzt.

Wie ich.

TAG 0

Anfang eines Monats 2021. Es ist kalt am Morgen, ich winke meinem Nachbarn zu, der das dünne Eis von der Windschutzscheibe reibt. Da wir unsere Autos in diesem Winter selten benutzt haben, hat keiner einen Eiskratzer und wir wischen mit den Ärmeln über die Stelle, hinter der der Fahrer sitzt. Wir haben uns seit Monaten nur morgens kurz gesehen. Früher saßen wir regelmäßig zusammen, probierten die Weißweine, die er aus seiner pfälzischen Heimat mitgebracht hatte und diskutierten bis spät in die Nacht in unserer Küche. Alle zusammen.

Unglaublich lange her.

Vor ein paar Tagen unterhielten wir uns über den Zaun, aber irgendwie war auch das anders. Als ob die Oberflächlichkeit eine wichtige Hygienemaßnahme sei, hat keiner von uns etwas Schönes oder Lustiges gesagt.

»Wird schon wieder besser werden, nützt ja nichts« ist eine sehr gängige Floskel, mit der wir uns gegenseitig bestätigen, dass keiner von uns etwas Konkretes weiß, wir aber zuversichtlich bleiben wollen.

Schließlich kommen jetzt die Impfungen.

Schon am Beginn der Sprechstunde spüre ich die Nervosität, die manche Patienten befällt, und auch mich. Aufregung ist ein Dauergast bei mir, ich kann sie anfassen, packen und wieder in die professionelle Tonne stopfen. Da wummert sie ein paar Mal gegen die armierten Wände, dann ist wieder Ruhe. Meine Mitarbeiterinnen lassen sich nichts anmerken. An einem Computer an der Rezeption ist eine Nachrichtenseite offen, auf der steht, dass heute die Coronaimpfungen beginnen. Daneben geht das Leben weiter, die Mitarbeiterinnen holen sich Kaffee in großen Bechern mit einem Ohr als Henkel und teilen ihre Schichten ein. Ich schaue auf die Instrumente in meiner Behandlungseinheit, die das Resultat vieler Versuche und Leidensgeschichten sind, bis sie diese Form erlangt haben. Wahnsinn! Eine Impfung, tatsächlich.

Den meisten Menschen, da bin ich mir sicher, ist überhaupt nicht bewusst, was das bedeutet. Ein Lichtstreif am Horizont, ein Ausweg, besser noch: konkret gerettete Leben. Die ersten Patienten treffen ein und stehen mit einem Sicherheitsabstand vor unserer Plexiglasscheibe an der Rezeption. Die Gesichter wirken dahinter noch etwas müder, als hielte das Ding nicht nur Aerosole ab, sondern auch Emotionen. Ein paar nicken mir zu.

In der engen Küche hole ich mir gerade einen Kaffee, als Angelika hereinschleicht, eine meiner Hauptkräfte.

»Darf ich dich was fragen?«

»Natürlich.«

»Wegen der Impfung. Eine Freundin von mir meint, ich soll mich ja nicht impfen lassen, das ist ganz schlecht. Für mein Immunsystem. Und sie ist Kinderkrankenschwester. Sie hat mich total fertiggemacht.« Ich sehe sie fragend an, der Kaffee in meiner Hand ist ölschwarz und sehr heiß.

Ich stelle ihn ab und meinen guten Morgen auch. Noch bevor ich etwas sagen kann, meint sie: »Ja, ich weiß schon, du siehst das anders, aber wenn sie Recht hat? Was weiß ich, was wir uns da spritzen, genau weiß man es nicht, oder?«

Das stimmt. Die meisten Menschen wissen es nicht. Genau weiß man aber auch nicht, warum man überhaupt hier ist. Sie winkt mir zu und sagt: »Ach, ich bin mir unsicher …«, dann dreht sie sich um und geht an die Arbeit. Das mache ich auch, ich gehe in mein Behandlungszimmer. Irgendwas stimmt mit dem Sono nicht, die Lüftung ist sehr laut, ich schalte es aus, das Problem kann ich jetzt nicht lösen und nehme stattdessen einen bitteren Schluck Kaffee. Ein Blick auf die Patientenliste an diesem Tag zeigt mir: Es wird hart werden. Manche sind zum vierten Mal in diesem Quartal da. Mit denselben Beschwerden wie beim ersten Besuch. Sie berichten mir, und ich sitze da, höre zu, sage dann, was zu sehen ist, versuche zu klären und klarzustellen, was ich diagnostizieren kann.

Und, jetzt kommt es, dann versuche ich zu erklären, was relevant ist. Das ist ein entscheidender Punkt, den viele Patienten und Ärzte offenbar schwer benennen können. Wir sehen etwas, es taucht auf, und wir wissen manchmal nicht um die Relevanz dieser Beobachtung.

Der sympathische ältere Herr schluckt zweimal, als ich ihm das aufzeigen möchte. Seine Augen sagen mir, dass das nicht hierhin passt, zu ihm, zu seinem Problem und seiner gewünschten Lösung. Ein Rezept wäre besser. Aber wir unterhalten uns sehr nett. Über Schleim. Der läuft ihm hinten runter, aber woher kommt denn das?

Kein Problem, jeder Mensch bildet eine Tasse davon am Tag. Ein praktischer Vergleich mit einem bekannten Alltagsgegenstand steigert die Verständlichkeit.

Er kann seinen Arm nicht heben, der hängt schlaff am Körper. »Diesem Arm habe ich mein ganzes Glück zu verdanken«, sagt er leise und bestimmt. »Einem Franzosen, den ich nie kennengelernt habe. Denn der hat mir im Krieg in die Schulter geschossen, in einem Dorf, in dem Partisanen waren, und dann musste ich zur Behandlung nach Straßburg. Ins Spital. Die Rotkreuzschwester, die mich dort gepflegt hat, war der beste Mensch, den ich überhaupt kennengelernt habe. Eine große Frau, ich bin immer ein kleiner Mann gewesen. Die habe ich geheiratet. Das war mein größtes Glück, dass ich meine Frau dort getroffen habe. Hätte der Franzose danebengeschossen, wäre ich entweder tot oder nie so glücklich mit meiner Frau geworden. Für mich war der Krieg aus und ich habe die Liebe gewonnen.« Er lächelt, ich muss auch lächeln, eine schöne Geschichte, so weit weg und immer gültig. Der Schleim ist vergessen, wir waren woanders abgetaucht, er ist stolz darauf und geht gebessert aus der Praxis.

Auf einmal – ich sehe gerade in den Gehörgang einer Mittvierzigerin – vernehme ich durch die geschlossene Tür Aufregung in der Praxis. Stühle werden schnell zurückgeschoben, ein Telefon klingelt unentwegt, ohne dass jemand abnimmt. Laute Stimmen werfen mit Fragen um sich. Die Tür geht auf und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Elisa, meine langjährige medizinische Fachangestellte, mit hochrotem Kopf im Rahmen steht. Ich muss mich ihr zuwenden und unterbreche meine Untersuchung. Die Patientin bleibt starr sitzen.

Elisa sagt verschwörerisch: »Er ist da«, und geht dann wieder. Ich mache mit meiner Patientin weiter, die sich seitlich wegdreht. Vielleicht ist sie noch unsicher, ob ihr Tinnitus tatsächlich verschwunden ist und wegbleiben würde. Vielleicht ahnt sie, dass etwas Ungewöhnliches eingetroffen ist, worüber an diesem Tag alle sprechen werden.

Ich gehe mit ihr raus, keine Angestellte ist an der Rezeption, an der drei Telefone protestieren. Alle stehen im Labor vor dem Kühlschrank. Sie sehen mich an, als ob wir etwas Verbotenes beschafft haben, und Elisa sagt – und sie muss sich Mühe geben, dies leise zu tun, unbemerkt, es sind doch Patienten in der Praxis, die uns hören könnten –, sie sagt völlig monoton: »Der Impfstoff ist da!«

»Gut, das ist ja toll, also haben wir doch etwas bekommen.« Wir hatten uns bei sämtlichen Portalen als Impfärzte gemeldet. Selbstverständlich wollen wir dazu beitragen, dass unsere Kinder wieder in die Schule gehen können, dass es vorbeigehen möge. Auf keine einzige Anmeldung bei einem Impfzentrum, einem Gesundheitsamt oder einer Behörde erhalten wir eine Antwort. Stimmt nicht ganz, eine automatisierte E-Mail-Antwort haben wir bekommen, die schon. »Wir danken für Ihre Anfrage« und so weiter, adstringierende kleine Textbausteine, und sonst kommt nichts und wir warten auch nicht weiter darauf. Und jetzt erscheint tatsächlich in einer von 1300 Praxen, die nach einem geheimen Prinzip ausgewählt worden waren – keiner sagt es weiter, wer und wer nicht –, der Impfstoff.

Zwei Fläschchen Biontech. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, dass dieser Name in den nächsten Wochen zu den am meisten ausgesprochenen Worten gehören wird.

In der Mittagspause, als die Angestellten die Praxis gemeinsam laut redend verlassen und rauchend unten am Parkplatz über die Impfungen diskutieren, schleiche ich, als ich mir sicher bin, dass alle weg sind, ins Labor und sehe in den Kühlschrank. Neben den Hunderten von Hyposensibilisierungslösungen, dem Xylocain, Botulinustoxin und Adrenalin liegt ein Schächtelchen. Ganz unauffällig liegt es da. Ich nehme es heraus. Eine Luftpolsterfolie. Darin eingewickelt, nichts wiegend, winzig klein liegen sie.

Die Antworten.

Kleine Ampullen.

Comirnaty.

Ich konzentriere mich, um keine fallen zu lassen, berühre kurz die kalte, beschlagene Glasoberfläche und erschrecke, als an der Stelle das Glas aufklärt und ein dünner Spiegel einer trüben Flüssigkeit sichtbar wird. Eine Sekunde wage ich einen Blick hinein, hebe die Ampulle an und sehe genau hin, als ob mein Staunen die wirksamen Bestandteile aus dem Medikament extrahieren würde, dann lege ich es wieder zu seinem Geschwister, wickele die Folie vorsichtig um sie herum und bette sie weich in die Schachtel zurück. Schließe die Kühlschranktür.

Das ist sie also, die Reaktion, das konzentrierte Wissen der Menschheit als Antwort auf die größte Krise der Jetztzeit.

Die gekühlte Hoffnung.

Aber irgendwie tief drin in mir, und das kann ich nur schwer schärfer stellen, arbeitet eine diffuse Unruhe, die genau weiß, dass dies nicht einfach werden wird.

TAG 1

Heute werden wir anfangen.

Zur Begrüßung fragt eine Frau, ob wir sie heute gleich drannehmen könnten, sie fährt in den Urlaub, und davor müsse sie durchgeimpft sein. Als ich ihr mitteile, dass wir das nicht machen können, sagt sie: »Dann schau ich woanders«, und geht. Ich vermute, sie kommt auch wegen aller anderen Beschwerden nicht mehr zu mir. Am Ende des Vormittags ziehen wir die Spritzen auf. In der Anleitung steht, dass man die Ampullen nicht schütteln darf, auf GAR KEINEN FALL schütteln. Nur langsam und vorsichtig umdrehen, und zwar genau zehn Mal, wie in einem YouTube-Video demonstriert wird. Der Mann in Vollausrüstung im Video macht dabei ein sehr ernstes Gesicht, regungslos, er wirkt wie eine Maschine. Das können wir nicht von uns behaupten, denn wir sind alle aufgeregt.

Das erste Mal!

Wir machen sie. Die Impfung. Ich ziehe die Spritzen in unserem kleinen Labor auf, in dem eine Halogenlampe von der Decke so intensiv strahlt, dass man ein leichtes Stechen auf der Kopfhaut spürt. Als Angelika die Tür aufmacht, weil sie ein Tablett benötigt, wirkt sie sehr angespannt. Die Kandidaten sitzen schon da vorne rum, nichts darf mehr schiefgehen.

Irgendwann ist es so weit. Das Tablett mit den sechs Spritzen wird gebracht, mit beiden Händen trägt es eine Helferin in mein Zimmer und ich rufe den ersten Patienten auf. Triumphierend kommt die Frau herein, sie ist 70, sieht jünger aus, und bedankt sich als Erstes, dass sie kommen durfte. Ich danke ihr, dass sie sich impfen lässt, und freue mich. Ich freue mich wirklich; sonst, wenn ich eine Injektion verabreiche, ist Freude keine Leitemotion, aber hier kommt eine Aufbruchsstimmung auf und als die Nadel die knittrige alte Haut an der Schulter durchdringt und ich zuerst aspiriere und dann langsam, aber entschlossen abdrücke, habe ich ein adrenalinartiges Gefühl im Nacken.

Als ob es richtig sei, was wir hier tun, sehr richtig sogar. Die Frau sieht aus dem Fenster, ich klebe ihr ein Pflaster auf die Stelle, obwohl es nicht blutet.

»Danke.«

»Ich danke Ihnen«, sage ich nochmal und sie will gehen, ich sage: »Halt, Ihr Impfausweis«, und unterschreibe in der letzten leeren Zeile, unter all den vielen Schutzimpfungen, Havrix, Boostrix, Shingrix und anderen Namen, die dort seit Jahrzehnten dokumentiert werden. Da ist ein Stempel von einem Hausarzt drin, der schon seit zehn Jahren nicht mehr lebt.