Von Krösus lernen, wie man den Goldesel melkt - Sebastian Schnoy - E-Book

Von Krösus lernen, wie man den Goldesel melkt E-Book

Sebastian Schnoy

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Beschreibung

Als der Historiker und Comedian Sebastian Schnoy die vergangenen Jahrhunderte nach den besten Finanzstrategien durchsuchte, wurde er selbst zum Goldgräber. In fast jeder Epoche schlummern für ihn versteckte Anlagetipps: Ludwig der XIV. erfindet im Barock das »must have«, der Vatikan versichert seit dem Mittelalter Unglücke, die im Sündenfall garantiert erst nach dem Tod eintreten und derer zu Thurn und Taxis hätten aufmüpfige Konkurrenten wie Uber einfach hinrichten lassen. Schnoy seziert die Geschichte des Geldes mit so großem Spaß an der Provokation, dass man dabei fast nicht merkt, wie viele fundierte Antworten auf aktuelle Wirtschaftsfragen dieses Buch bereithält.

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

ISBN 978-3-492-97566-7

September 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016

Covergestaltung: Favoritbüro, München

Covermotiv: Martin Haake

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

»Über Geld redet man nicht.«

Großmutter

1Warum denken die Deutschen öfter ans Geld als an die Liebe?

»Als ich klein war, glaubte ich,Geld sei das Wichtigste im Leben.Heute, da ich alt bin, weiß ich, es stimmt.«

Oscar Wilde

Umzüge waren die letzte Sache in meinem Leben, die noch ohne Geld ablief. Zog ich um, waren rund acht Freunde zur Stelle, meine Mutter machte Kartoffelsalat, es wurde geschleppt, gelacht und am Ende Bier getrunken. Als ich vor einem Jahr erneut den Stadtteil wechselte, stöhnten auch meine treuesten Kumpel am Telefon: »Wieso lässt du das nicht eine Spedition machen?« Dabei ging es doch nur um vier Stunden Arbeit für einen Freund. Sehnsüchtig dachte ich an die Familie meines Nachbarn Dimitri, der aus Russland stammt. Als er in die Wohnung neben mir einziehen wollte, erschienen zunächst zahllose Cousins und Freunde, die ihm alle Zimmer strichen und eine neue Küche einbauten. Für den Umzug selbst hatte er nicht nur unzählige Helfer, einer war sogar im Besitz eines Lkw. Das Buffet seiner Mutter reichte selbst für mich als nicht helfenden Nachbarn, der nur zufällig durchs Treppenhaus gegangen war. »Komm, Sebastian, iiiiß was«, sagte er mit dem spitzen »i«, das er aus Jekaterinenburg mitgebracht hatte.

Dimitri sparte sich aber nicht nur die Maler, die Spedition und den Cateringservice – in der Zeit nach seinem Einzug bemerkte ich, dass er sich auch in anderen Lebensbereichen weitgehend aus dem Geldsystem raushielt. Wenn seine Tochter mit Fieber zu Hause bleiben musste, zogen vorübergehend die Großeltern ein. Wenn mein Sohn erkrankt war, mussten meine Frau und ich ein kostspieliges Kindermädchen engagieren, da meine Eltern am Telefon sagten: »Wir fahren doch morgen nach Martinique, das Essen soll sehr gut sein auf der Queen Mary.«

Wenn Dimitri in den Urlaub fuhr, besuchte er stets irgendeinen seiner Verwandten, die sich über ganz Europa verteilt hatten. Sogar in London wohnte ein Schwager. Ich musste dort für viel Geld ein Hotelzimmer buchen. Er hatte Freunde, die ihm das Auto reparierten. Ich muss bis heute zum Audi-Händler und hasse ihn für Gespräche wie dieses: »Die Inspektion lief tadellos, Herr Schnoy, Ihr Wagen hat nichts.«

»Klasse!«

»Das macht dann 623,56 Euro. Zahlen Sie mit Karte?«

Dimitri vermied jede Art von Ausgaben. Das akzeptierte sogar der Mann von der GEZ, deren Geldeintreiber in Deutschland eigentlich als besonders hartnäckig gelten. Als dieser bei ihm klingelte, wurde ich von empörtem Russisch aufgeschreckt, das durch den Hausflur tönte. Durch den Spion sah ich, dass er den Mann durch den Flur führte und rief: »Heizung kaputt! Wann Sie machen heil?« Das waren dann auch die einzigen deutschen Wörter, die er in diesem Gespräch benutzte. Später sagte er mir dazu lächelnd: »Jetzt habe ich wieder Ruhe.«

Er war weder in einem Sportclub Mitglied noch im ADAC. Buchte keine Pauschalreisen und bestellte nichts im Internet. Als an sich marktliberal eingestellter Bürger machte ich im Geiste eine Liste. Auf die notierte ich Dimitris Partys, die ohne DJ und Cateringervice auskamen, die Tochter, die Klavier bei seiner Schwester lernte, und die Oma, die gegen alle möglichen Krankheiten ein Mittel »von zu Hause« anfertigen konnte. Alles zusammen belief sich der volkswirtschaftliche Schaden, den allein die Familie von Dimitri Jahr für Jahr anrichtete, auf mindestens 30 000 Euro. Man muss kein Volkswirt sein, um diese Summe auf alle ähnlich lebenden Familien hochzurechnen und dabei auf einen Millionenschaden zu kommen. Ein Heer von Erzieherinnen, Heilpraktikerinnen, Mechanikern, Musiklehrern und Handwerkern blieb arbeitslos, weil ein Teil der Bevölkerung einfach alles selbst machte. Ein Skandal!

Als Dimitris Ehe kriselte, hörte ich erst laute Wortwechsel durch die Wand, dann verschwand Dimitri mehrere Tage mit einem Kumpel. Als es in meiner Ehe kriselte, suchten wir Rat bei einer Beziehungstherapeutin. Ihre astronomischen Rechnungen ließen die von Audi wie einen Freundschaftsdienst aussehen, aber wir wollten professionelle Hilfe. Später zog Dimitri wieder ein und meine Frau aus. Ich hatte daraufhin einen Anflug von Depressionen.

»Wodka hilft, und russische Frauen auch!«, grinste Dimitri, aber ich zog eine Psychologin vor. Als ich dieser meine Geschichte erzählte und die Frage aufwarf, ob der Nachbar mit einem Freund als psychologischem Beistand nicht vielleicht besser dran sei als ich, sagte sie, dass gerade diese Äußerung zeige, wie sehr ich an einem ernst zu nehmenden Syndrom leide. Ich konnte mir den Namen meiner Störung nicht merken, aber sie schlug vor, besser noch fünf weitere Termine auszumachen.

Einige Jahre und viele erhellende Dimitri-Momente später zog ich in ein anderes Viertel, nach Hamburg-Othmarschen. Es war jener Umzug, bei dem mir niemand mehr ohne Bezahlung helfen wollte. Hier in den sogenannten Elbvororten waren auch Bereiche vom Geldsystem befallen, bei denen ich es bis dahin für völlig undenkbar gehalten hatte. Dienstleister suchten nicht nur die Möbel und Vorhänge aus, mein neuer Nachbar Marc bezahlte sogar jemanden, der mit ihm joggen ging. An meinem ersten Wochenende am Elbstrand sah ich große Range Rover in dunkelgrüner Lackierung, aus denen Windhunde sprangen, die zweisprachig erzogen wurden. Natürlich nicht von den Eigentümern der Hunde, sondern von Leuten, die Geld damit verdienten, anderer Leute Hunde auszuführen. Hier gab es sogar einen Poloclub, wobei man nicht selbst Polo spielte, sondern spielen ließ.

Der Unterschied zwischen Dimitris Kunst, aus der Not eine Tugend zu machen, und der Tugend meiner neuen Nachbarn, ohne Not viel Geld auszugeben, wird anhand dieser Erlebnisse sehr deutlich. Dimitris geldloses Leben war schlicht dem Umstand geschuldet, dass er nur wenig Geld hatte und den Rest anders organisieren musste. Seine Freunde waren solidarisch, weil die Mittel knapp waren. Diese Solidarität ist genau das, was viele Menschen, die in der DDR lebten, in guter Erinnerung haben, man half sich, war füreinander da. Aber wieso hilft man sich nicht mehr gegenseitig beim Tapezieren, wenn alle in Wohlstand leben? Wieso hatte Dimitri Freunde, die für ihn alles machten, und ich nicht? Ich hatte ihn einmal darauf angesprochen, ihm sinngemäß gesagt, ich beneide ihn dafür, dass er für jeden Fall jemanden kenne, der ihm helfe. »Du hast Geld, ich habe Freunde«, antwortete er lapidar und ließ mich mit meinen Rechnungen zurück.

Geld bestimmt inzwischen so unser Denken, dass wir völlig überrascht sind, wenn es bei anderen auch ohne geht. Ich hatte eine Begegnung, die mich immer noch peinlich berührt, wenn ich daran denke. Eine Freundin aus Griechenland, die in Hamburg lebt, erzählte mir, sie wolle ihr Ferienhaus an der Ägäis aufgeben. Es lohne sich nicht, sie fahre einfach zu selten hin. Ich wandte sofort ein: »Du kannst es doch an Freunde vermieten.« Sie schaute mich einen Moment lang still an und sagte dann: »Ich kann doch von Freunden kein Geld nehmen.«

Und das sollten wir auch nicht. Geld erobert schon so immer größere Bereiche unseres Lebens. Meine Oma hat sich immer dagegen gewehrt und gesagt: »Über Geld redet man nicht.« Ich werde in diesem Buch dagegen fast nur über die Macht und den Siegeszug des Geldes reden und sehe sie förmlich vor mir, wie sie die Augenbrauen hochzieht und ihre Dose mit Bohnenkaffee zurück ins Regal stellt. In Büchern hat man die Zeit, gründlich zu sein, und so sei gesagt, dass meine Oma durchaus ihren Grundsatz, nicht über Geld zu reden, brach, wenn sie hin und wieder rief: »Ich bin doch nicht Krösus!«

Wenn Sie dieses Buch gekauft haben, um zu erfahren, wie man endlich reich wird, werden Sie es nicht bereuen. Es gibt dafür unendlich viele Möglichkeiten, es bleibt nur die Frage, ob Sie bereit sind, alles zu tun, um reich zu werden, auch Dinge, die man nicht tun sollte. Ich mache mich in diesem Buch daher auch auf die Suche nach Alternativen, Lebensentwürfen und Gegenden, die es schaffen, ohne Geld zu leben. Welche drei Dinge würden Sie zum Beispiel auf eine einsame Insel mitnehmen? Hoffentlich kein Geld – wozu auch? Vielleicht ein Buch? Oder besser gleich drei Bücher? Ich persönlich habe tatsächlich mal eine unbewohnte Insel in der Karibik betreten. Sie ist winzig, namenlos und liegt in der Nähe von St. Martin. Hier die drei Sachen, die ich dorthin mitgenommen habe: eine Schnorchelbrille, eine Badehose und rund 1800 Gäste der »Aida Luna«, die an diesem Tag ebenfalls eine einsame Insel kennenlernen wollten. Stundenlang wurden sie mit Tenderbooten übergesetzt. So konnte ich am Strand an einer von der Crew aufgebauten Bar einen Caipirinha trinken, und der Bordfotograf machte ein Foto von mir. Für das Foto wurden mir später 8 Euro, für den Cocktail knapp 6 Euro in Rechnung gestellt. Und das auf einer Insel, auf der es vorher noch nie Geld gegeben hatte und danach wohl nie wieder geben würde. Dieses kleine Beispiel zeigt, zu welchen Eroberungszügen Geld fähig ist. Die ganze Welt war einst so friedlich wie diese Insel, doch dann hat das Geld nicht nur unsere Arbeit, nein, auch unsere Beziehungen zu anderen Menschen und schließlich unsere Gedanken erobert.

Mit Geld ist es wie mit Chips, hat man einen im Mund, will man alle! Geld regiert nicht nur die Welt, es unterwirft sie. Die einen vergöttern es, die anderen verteufeln es als schmutzig und Grund für alles Elend auf dieser Welt. Mein Ansatz ist ein anderer: Es kann gut sein, Schulden zu haben. Kredite können Fluch, aber auch Segen sein. Und im Geld zu schwimmen kann auch trostlos sein. Das mussten die Deutschen im Jahr 1923 feststellen, als eine Badewanne voll Geld billiger war als eine Badewanne voll Wasser. In jenem Jahr wurde auch die 10-Millionen-Mark-Briefmarke ausgegeben – für einen Standardbrief. Nach der Krise waren dann wieder diejenigen reicher, die schon zuvor die Reichsten waren, und dieser Effekt, dass Krisen Reiche reicher und Arme ärmer machen, gilt bis heute. Wir sollten das im Hinterkopf behalten, wenn wir uns nach den Ursachen von Krisen fragen. Es ist überraschend, dass ausgerechnet ein Fabrikant wie Henry Ford sagte: »Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution, noch vor morgen früh.«

Und wer nicht rauben kann, wer keine Gefolgschaft hat, die für irgendeine Idee Mitgliedsbeiträge bezahlt, wer nichts zu verkaufen hat, der kann es immer noch machen wie Viktor Lustig im Jahr 1925. Ihm gelang es, in Paris den Eiffelturm an einen Alteisenhändler zu verkaufen. Über den Abriss war zuvor schon oft diskutiert worden. Nach der Weltausstellung rostete er, und man fand, er passe nicht in die Stadt. Das brachte Viktor Lustig auf eine geniale Geschäftsidee. Er lud die sechs größten Schrotthändler ins feine Hotel de Crillon am Place de la Concorde ein. Im Auftrag der Stadt Paris wolle er Gebote für die Verwertung des Turms einholen. André Poisson bot 50 000 Franc, verlangte aber einen Beweis dafür, dass Victor Lustig die Stadt Paris vertrat. Als dieser daraufhin ein zusätzliches Schmiergeld von 3000 Franc für die Vermittlung forderte, gab ihm der Händler anstandslos das Geld und sagte später: Er habe gedacht, wenn sich der Mann bestechen lässt, muss er ein echter Politiker sein.

Übrigens schreibe ich dieses Buch ohne jeden ideologischen Ansatz. Ich bin weder Globalisierungsgegner noch Wirtschaftsenthusiast. Ich bin kein Kommunist und auch kein FDP-Wähler, weder konservativ noch grün oder Sozi. Aber wahrscheinlich von allem etwas. Das Besondere an meinem Leben als Autor und Künstler ist, dass ich ständig auf Reisen zwischen den gesellschaftlichen Schichten bin. Ich kenne das Leben in Arbeitervierteln, in denen des Sommers ein Sofa aus dem dritten Stock geworfen und vor ihm ein Feuer aus Pressspanplatten gemacht wird. Ebenfalls zu Gast war ich beim Grillfest eines Hamburger Reeders in Blankenese, der einmal jährlich zu einem solchen unter das Blätterdach der alten Kastanien in seinem Garten einlädt. Ich kenne das Geräusch, das Kies macht, wenn er in der Auffahrt von den Reifen eines Wiesmann-Cabrios aufgewühlt wird, ebenso weiß ich, wie es klingt, wenn jemand mit den Zähnen eine Flasche Astra öffnet. Ich treffe regelmäßig Menschen, die mehr als eine Million Euro in der Wirtschaftskrise 2008 verloren haben und trotzdem noch reich sind, und solche, die sich beim Kauf einer Waschmaschine für Ratenzahlung entscheiden. Der Blick auf die Welt ist vom Blankeneser Elbhang hinab auf Segler und Containerschiffe ideologisch ebenso geschärft wie in der mobilen Küche im G8-Camp der Attac-AktivistInnen. Am Kuchenbuffet im Gewerkschaftshaus ist die Meinung genauso gefestigt wie beim Neujahrsempfang der Handelskammer. Allerdings bleibt unsere eigene Haltung zum Wirtschaftssystem nur so lange unerschütterlich, wie wir es schaffen, uns konsequent in nur einem Milieu aufzuhalten. Wir passen uns unserer Umgebung an. Ein Punk unter Punks verhält sich genauso angepasst wie ein Banker unter Bankern. Reist man aber von einer Schicht in die nächste, passiert Folgendes, zumindest ist es mir passiert: Plötzlich erscheint einem auch das Weltbild der anderen irgendwie plausibel. Jeder erzählt eine Geschichte, die schlüssig ist. Ich erinnere mich an die Veranstaltung einer großen Bank für mittelständische Unternehmen, auf der mir der Inhaber einer Firma für Pumpen mit strahlenden Augen erklärte, wie wunderbar das Freihandelsabkommen TTIP für ihn wäre. »Schauen Sie, es dauert vier Jahre, bis wir eine Pumpe in Deutschland zugelassen bekommen. Wenn wir sie in den USA verkaufen wollten, ginge alles von vorne los. Es gibt da große rechtliche Risiken. Mit TTIP wäre alles anders, ist die Pumpe hier geprüft, ist sie auch da zugelassen, perfekt!« Mir fiel kein Argument ein, warum man seinen Pumpen unnötig das Leben schwer machen sollte, und das, obwohl ich auch viel Zeit mit linken Kulturredakteuren und Journalistinnen der taz verbringe, für die das Wort TTIP aus vielerlei Gründen ein Synonym für das Böse ist. Zwischenzeitlich beunruhigte mich dieser Vorgang sogar. Habe ich etwa keine belastbare Meinung?, fragte ich mich. Bin ich ein Fähnchen im Wind? Doch dann stieß ich auf einen Satz des Schriftstellers Jonathan Franzen. Er sagte sinngemäß, dass niemand ein gutes Buch schreiben könne, der eine gefestigte Meinung hat. Das beruhigte mich. Aber nicht nur für ein gutes Buch, auch für die ganz private Suche nach der Wahrheit braucht es diese Unsicherheit. Ich empfehle allen, ihr Milieu, soweit möglich, ebenfalls mal zu verlassen. Das ist schon bei kleinen Themen hilfreich. Wer täglich mit dem Auto zur Arbeit fährt und über Radfahrer flucht, die sich angeblich rücksichtslos verhalten, der erweitert seinen Horizont, wenn er nur drei Tage aufs Rad umsteigt. Man wechselt schneller das Lager, als man es jemals für möglich hielt, und flucht ab sofort über rücksichtslose Autofahrer.

Wenn ich in diesem Buch die Macht des Geldes beleuchte, geht es immer auch um Wirtschaft, Arbeit und Jobs, bei denen Geld erwirtschaftet wird. Und auch hier gibt es Fahrrad- und Autofahrer. Wer Unternehmen schon an sich für dreist und egoistisch hält, sollte einfach mal ein kleines Café eröffnen. Dann wird er sehen, wie schnell es sich über die Regelungswut des Staates fluchen lässt.

In welches Lager gehören Sie? Sie können das mit folgender Frage klären: »Wer zahlt den Arbeitnehmeranteil an den Sozialabgaben? Der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber?« Eine in Deutschland verwirrende Regelung suggeriert, dass Arbeitnehmer die Hälfte der Sozialbeiträge selbst bezahlen. Das unterstreicht zumindest die Lohnabrechnung, auf der, sagen wir mal, 3800 Euro brutto steht, wovon dann die immensen Beiträge abgezogen werden. Doch so wie alle Angestellten nur interessiert, was sie netto mit nach Hause nehmen, interessiert den Unternehmer nur, was die Angestellten brutto kosten, denn diese Summe, inklusive der gesamten Sozialabgaben, muss er auf deren Konto überweisen. Ist es also nicht doch das Unternehmen, das alles bezahlt? Kommunisten antworten darauf, der Arbeiter würde den Mehrwert schaffen, also das, was ein Auto mehr wert ist als die Summe seiner Rohstoffe. Um diesen Mehrwert würden die Fabrikanten die Arbeiter betrügen, wenn sie Reichtum anhäufen und keine anständigen Löhne zahlen. Henry Ford hatte noch eine andere, besonders brillante Theorie zu dieser Frage, als er sagte: Nicht der Arbeiter, nicht der Unternehmer, sondern allein das Produkt zahlt die Löhne und auch den Gewinn, den der Chef einstreichen kann. Und natürlich: Es ist das Geld der Kunden, die eine Pumpe kaufen, das auf dem Konto der Pumpenfirma landet. Von diesem Geld wird alles bezahlt, auch der Lohn der Arbeiter.

Egal wohin uns diese Grundsatzdiskussion treibt, man wird sich darauf einigen können: Geld kann Wohlstand schaffen, und Geld kann Wohlstand zerstören. Wenn eine Frau Hoffmann Schuhe designt, die gut ankommen, dann kann sie sich mit dem verdienten Geld jemanden leisten, der mit ihren Hunden Gassi geht, während sie eben Schuhe designt. Und der Schüler Jakob, der mit ihren Hunden Gassi geht, kann sich mit dem verdienten Geld genau diese Schuhe kaufen. Doch was, wenn uns das davon abhält, Dinge zu tun, die wir wirklich tun wollen? Was, wenn die Schuhdesignerin ihre Hunde liebt, aber zu wenig Zeit hat, bei ihnen zu sein, weil sie zu viel arbeitet? Wirklich lachen musste ich, als mein neuer Nachbar Marc einen Schnupfen hatte und nicht mit seinem Personal Trainer joggen gehen konnte. Marc ließ ihn einfach allein die Strecke laufen, schließlich hatte er ja für die Stunde bezahlt.

Geld erobert auch Bereiche, in denen es nichts zu suchen hat. Es gibt heute viele Menschen, die geradezu geldverseucht sind. Sie können keinen einzigen Satz mehr sagen, ohne einen Preis zu nennen. Ich unterhielt mich einmal in einem Fitnessclub mit einer Frau, die dort auch trainierte. Wir trafen uns an der Proteinbar und kamen bei einem Eiweißshake ins Gespräch. Ich hob meinen Plastikbecher und sagte:

»Zum Wohl.«

»Danke. 3,20 Euro für 0,2 Liter, ganz schön happig.«

»Tja.«

»Gut, dafür ist die Grundgebühr hier echt in Ordnung. Da kann man nicht meckern.«

»Das stimmt«, pflichtete ich ihr bei und fand sie attraktiv. Ich habe eine Schwäche für Frauen, die ein Baseball-Cap tragen, aus denen hinten ihr Pferdeschwanz herausschaut.

»Warst du in New York?«, fragte ich und zeigte auf den NY-Aufdruck auf ihrem Cap.

»Ja, vor zwei Jahren, da war der Euro noch nicht so schwach. Aber die Hotels, Hölle, zum Glück habe ich im Internet die Seite lastcall.com gefunden, da werden so Kontingente vertickt, die erst spät freigegeben werden. 99 Dollar für ein Holiday Inn, und das in Midtown, das kriegt man sonst nirgendwo.«

»Als ich da war, war es sehr heiß«, sagte ich. »New York liegt ja auf demselben Breitengrad wie Rom, das wusste ich vorher gar nicht.«

»Nee, ich war im November da, da sind die Flüge günstiger.«

Es gelang mir, sie zum Essen einzuladen, auf ihren Wunsch ins Vapiano. Sie hatte dort eine Treuekarte und bat mich, auch wenn ich zahlte, die Bonuspunkte auf ihrer Karte eintragen zu lassen. So konnte sie irgendwann mal eine Pasta umsonst essen. Bis zu dem peinlichen Moment mit den Bonuspunkten hatte ich in aller Ausführlichkeit erfahren, dass es kein Thema gab, bei dem ihr nicht ein Preis einfiel und ein Kommentar, ob dieser gut oder zu hoch sei.

»Auto oder Fahrrad in der Stadt?«

»Ich habe einen Einer-BMW geleast, konnte zum Glück einen Journalistenrabatt raushandeln.«

»Bist du Journalistin?«

»Nicht wirklich, aber …«

»Welche Musik magst du?«

»Alles querbeet. Ich lade die Songs immer von einer holländischen Seite runter, weißt schon, ist nicht ganz legal, aber …«

»Man muss nicht bezahlen …«, kam ich ihr zuvor.

Ich suchte händeringend nach Themenwelten, in denen es keinen Preis gab …

»Ist ja wirklich ein schöner, warmer Mai gerade …«

»Eigentlich zu warm, hab gelesen, dass uns der Klimawandel noch Milliarden Euro kosten wird.«

Dabei wird uns, wenn der Klimawandel wirklich so zerstörerisch sein sollte wie behauptet, auch eine Milliardenüberweisung nicht mehr helfen.

Die Frau aus dem Fitnessstudio war vielleicht extrem, doch ich treffe immer wieder solche Menschen und habe auch selbst Probleme damit, einen Tag lang nicht über Geld zu sprechen. Doch wie können wir verhindern, dass Geld Besitz von uns ergreift? Wieso lassen wir es zu, dass Feuerwehrleute, Krankenpfleger und Kindergärtnerinnen für wenig Geld viel schuften müssen, obwohl ihre Berufe bei Umfragen von der Bevölkerung stets als am wichtigsten und sinnvollsten angesehen werden? Wieso ist es trotzdem möglich, dass Immobilienmakler, Investmentbanker und Notare, die in denselben Umfragen nach dem Ansehen von Berufen auf den letzten Plätzen landen (noch hinter Zuhältern und Drogendealern), am allermeisten verdienen? Mit Tätigkeiten, die die meisten Menschen gering schätzen oder sogar verabscheuen? Zum Glück gibt es bis heute Grenzen des Geldsystems, vor allem bei allen, die nicht für jeden Preis zu haben sind. Es gab eine Zeit vor dem Geld, und es wird eine Zeit nach dem Geld geben. Es gibt Orte und Menschen, bei denen uns Geld schon heute nichts nützt, und ich hoffe, es gibt in den meisten Köpfen noch Bereiche, in denen Geld keine Kategorie ist. So wie bei Nicolas Berggruen. Der sagte: »Geld ist mir nicht wichtig.« Und das ist vorbildlich. Schließlich ist er Milliardär.

2Als die Welt zu klimpern begann

Es gibt ein Lachen, das sich wie der Klanggefälschter Münzen anhört.

Edmond Huot de Goncourt(1822 – 1896), franz. Schriftsteller

Es ging lange auch ohne Geld. Fast zwei Millionen Jahre haben Menschen, seit sie als solche bezeichnet werden, ohne Kreditkarten gelebt, es ist kaum zu glauben. In dieser Zeit herrschte nie Inflation, es gab keine Rezession und keinen Sparkassenberater, der bei den Höhlenmenschen anrief, um ihnen mitzuteilen, dass ihre auf Island angelegte Altersversicherung leider verschwunden ist. Ohne Geld müssen die Menschen unglücklich gewesen sein, meinen Ökonomen, die nichts mehr lieben als die Theorie, dass das Leben ohne Geld wahnsinnig kompliziert gewesen sein muss. Dafür erfanden sie die Geschichte vom Tauschhandel. Was sollten sie auch machen, die armen Leute ohne Geld? Möchte man den Ökonomen Glauben schenken, lief das so: Wenn der eine Dorfbewohner eine Speerspitze aus einem Stein schlug und ein anderer Dorfbewohner damit auf die Jagd ging, erhielt Ersterer als »Bezahlung« ein erlegtes Wildschwein. So machte man damals wohl Geschäfte. Nein, nur wenn man so einfältig ist, unser aus der Gegenwart bekanntes Wirtschaftssystem auf jede Urgesellschaft zu übertragen, weil man zu wenig Fantasie hat, sich vorzustellen, dass Dinge auch ohne Kommerz laufen können.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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