Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt - Sebastian Schnoy - E-Book

Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt E-Book

Sebastian Schnoy

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Beschreibung

So unterhaltsam war Geschichte noch nie. Europa – kaum ein Thema, das die Gemüter mehr erregt. Gehören wir Europäer überhaupt zusammen? Sebastian Schnoy macht sich auf die Suche nach unseren europäischen Wurzeln, taucht hinab in die Geschichte und bringt Lehrreiches, Skurriles und Unterhaltsames an die Oberfläche, das uns die heutige Lage erklärt und Interessantes zur Zukunftsgestaltung beiträgt – z. B. lernen wir, warum man niemals ein politisches Amt an einen Mann vergeben sollte, der kleiner ist als 1,67 m.

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Seitenzahl: 231

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Sebastian Schnoy

Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drückt

Eine heitere Historie Europas

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Motto1946 bis 2007Als Europa noch verliebt warab 16000 v. Chr. bis 100 n. Chr.Nur Grunzen im EichenwaldDie «Hoden- und Tittenhalle» bei BambergDie Zeitschrift Schöner Wohnen war keine germanische ErfindungGermanisches Frühstück: Müsli«Sie wohnen in Slums!»800 v. Chr. bis 150 v. Chr. GRIECHISCHE ANTIKEGrandiose GriechenMerkels Rache für einen tausend Jahre alten KorbPriapos, Gott für Bienen, Fische, Blumen und GedönsImmer noch hipp: HippokratesAutomatische Türen und WasserhähneDer erste Buchclub der WeltDer Duft von Mandeln und Oliven500 v. Chr. bis 500 n. Chr. RÖMISCHE ANTIKEStau im Alten RomEiswürfel – die Szenedroge RomsGlatte 1 für römische StraßenNebelfaktor und SonnenfaktorKleopatra – das erste «Teppichluder» Europas410 n. Chr.Vandalen ohne SandalenEin Pferd wird zum Senator ernanntDie Bohnenmatschmaske von Neros FrauRom brennt, Nero pennt500 n. Chr. bis 1500 MITTELALTERAbstieg in die dunkle ZeitDie Lange Nacht der KirchenDie erste Lebensversicherung verkauft sich blendendNeu im Vatikan: Pornokratie – die Herrschaft der HurenDeutschlands erste Spendengala1524 – die erste Staffel von «Bauer sucht Frau»Mittelalter heuteFeuerstättenschau und Brandstättenverordnungvon 1500 bis heute NEUZEITZweifeln statt Glauben1455 ganz allein auf der Bestsellerliste: die BibelLuther war ein BloggerHalloween – die bessere PartyStradivari – Qualität aus ItalienFriedrich der KleineDie SchweinekroneTaxis zu BarrikadenRevolution im TheaterIdeen kann man nicht erschießenDie Erfindung des Schaffners1643 bis 1815Von Napoleon lernen, wie man sich vorm Abwasch drücktWählen ab 16? König ab 16!Thierse gegen CroissantsEmpört euch!Von Erhabenheit zu PeinlichkeitMoskau, unbekannt verzogen7000 v. Chr. bis heuteWenn Sachsen angelnDie TrauminselZu Fuß von Frankreich nach EnglandEin paar SteineBlind Date & PhotoshopPflegestufe IIIDas Hobbes-Locke-Team klärt auf1900 bis 1989Das verflixte 20. JahrhundertDer WeihnachtsfriedenEine Historikerin verhindert den WeltkriegFriedensengel Wassili Alexandrowitsch Archipow1918: Die Deutschen können auch RevolutionEin Sozi hasst die Revolution wie die PestDas Reich des BösenDer gewählte Diktator«Autobahn geht halt nicht»Die guten Jahre – das Happy EndSchon wieder: Führer gesucht2014Zurück in die ZukunftSilvesterraketen auf SteuerfahnderTaschenpfändungFrüher war alles besserSchwäbisch wird AmtsspracheYes we canAlles wird gut mit MutGeburtenförderung durch StromausfallDie Vereinigten Staaten von EuropaWas Macht mit uns machtBildnachweisTafelteil
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Der Historiker ist ein Reporter,

der überall dort nicht dabei war,

wo etwas passiert ist.

William Somerset Maugham

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1946 bis 2007

Als Europa noch verliebt war

Man muss sein Herz

über die Hürde werfen.

Helmut Schmidt

Man sagt, das Paradies sei da, wo die Polizisten Briten sind, die Mechaniker Deutsche, die Köche Franzosen, die Liebhaber Italiener und alles von den Schweizern organisiert wird. Und die Hölle sei dort, wo die Köche Briten sind, die Polizisten Deutsche, die Mechaniker Franzosen, die Liebhaber Schweizer und alles von den Italienern organisiert wird.

Heute scheint unser guter, alter Kontinent eher auf dem Weg in die Hölle zu sein. Und wie sieht es speziell bei uns Deutschen aus? Hat nicht auch unser Abstieg längst begonnen? Schauen wir doch mal genauer hin: 1450 hat Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden – eine Glanzleistung, denn bis dahin mussten nahezu alle Bücher mühselig mit der Hand abgeschrieben werden. Nur fünfhundert Jahre später führt ein anderer Guttenberg das Abschreiben wieder ein.

Und: Wir Deutschen sterben langsam, aber sicher aus. Inzwischen stellen Luxemburger und Chinesen zusammengerechnet ein Viertel der Weltbevölkerung! Mit dieser Zahl schreckt der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker gerne seine Zuhörer auf, wenn diese der Meinung sind, sein Land sei ein sehr kleines Land, auf dessen Vertreter man nicht hören müsse. Was die Größe angeht, stimmt das natürlich. Juncker hat, streng genommen, weniger Untertanen als der Hamburger Bürgermeister. Aber man kann die Dinge eben auch anders sehen und damit am Ende vielleicht sogar mehr vom Wahren, Guten und Schönen entdecken.

Wussten Sie zum Beispiel, dass Deutschland in seiner Geschichte bereits sieben Mal bankrott war und Griechenland erst fünf Mal? Die haben also noch zwei Mal gut!

Die gängige Meinung, die man momentan allerorten über Europa hören kann – hier fleißige Deutsche, dort faule Griechen, wehleidige Italiener, konsumsüchtige Spanier und besoffene Iren –, ist mit einem Blick in die Geschichte plötzlich gar nicht mehr so belastbar. Gerade die oft gescholtenen Südeuropäer hatten schon vor mehreren tausend Jahren eine Hochkultur mit Verkehrsstaus, Parkverboten, Fußbodenheizungen und Blind Dates – zu einem Zeitpunkt also, zu dem man aus unseren Eichenwäldern lediglich das Grunzen unserer Urururgroßväter hörte, die sich gegenseitig die Schädel einschlugen. Wenn man ganz genau hinhört, grunzen einige von uns noch immer – aber das ist ein anderes Thema. Fest steht: Unsere germanischen Vorfahren haben in Europa einst als Barbaren angefangen und dann auf Banausen umgeschult. Dass sie in Schlachten mitunter nackt auf ihre Gegner zustürmten, hat diese sehr verstört. Wer an einem FKK-Strand schon mal gesehen hat, wie ein älterer Herr am Volleyballnetz hochspringt, wird das nachvollziehen können. Da erhält das Wort «Fliehkraft» ganz neue Dimensionen. Auch die Römer sind angesichts dieses Schreckens stets geflohen.

Von den banausenhaften Germanen damals bis zum deutschen Exportweltmeister im Maschinenbau heute war es ein sehr weiter Weg – das sollten wir uns immer vor Augen halten, wenn wir mal wieder abschätzig über unsere europäischen Nachbarn urteilen. Aber Vorurteile sind für ihre Besitzer natürlich ausgesprochen komfortabel und nur schwer abzubauen. Albert Einstein kommentierte das einmal so: «Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.» Ein solches Vorurteil lautet: Italiener sind verschwendungssüchtig – nicht zuletzt haben sie das teuerste Parlament Europas. Dabei ist der neue Präsident, Giorgio Napolitano, schon 87 Jahre alt. Wenn der mal später eine lebenslange Präsidentenrente bekommt, dann ist das um einiges ökonomischer als bei uns in Deutschland! Wir sollten also besser nach Informationen Ausschau halten, die unsere Meinung zertrümmern können. Allein das relativiert sie und macht sie damit ausgewogener. Dafür lohnt sich auch immer ein Blick in die Vergangenheit.

Eigentlich sind ja Historiker für die Erforschung unserer Geschichte zuständig, aber allzu großen Respekt braucht man nicht vor ihnen zu haben. Das fand auch der britische Schriftsteller William Somerset Maugham, als er ätzte: «Der Historiker ist ein Reporter, der überall dort nicht dabei war, wo etwas passiert ist.» «Geschichte» ist nichts weiter als eine Sammlung von Geschichten, die erzählt werden. Warum machen wir uns also nicht selbst auf die Suche nach diesen Geschichten? Und versuchen, die wirklich spannenden unter ihnen zu finden? Mein Wunsch ist es, dass Sie im Laufe des Buches zum History-Fan werden, zum Hobbyforscher.

Zugegeben, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen nach dem Arzt, der versucht, Ihnen die Spritze schmackhaft zu machen: «Nur ein ganz kleiner Piks, macht gesund, schon vorbei!» Ich weiß, dass «Geschichte» ein schlechtes Image hat, ein staubiges: Als ich in Hamburg einmal in eine Straße zog, in der gleich mehrere Geschichtslehrer wohnten, färbte deren Image mit der Zeit auf mich ab. Eines Morgens, als ich meinen Kapuzenpullover anzog, musste ich feststellen, dass er sich in ein Tweedsakko mit Lederellenbogen verwandelt hatte.

Ich weiß, viele haben in der Schule Geschichte und das mit ihr häufig verbundene Auswendiglernen von Jahreszahlen gehasst. Bei mir war das nicht anders. 333? Wenn man bei dieser Zahl keine hektischen Zuckungen bekommt, ist die Ausgangslage gut. Wer bei 333 in Gedanken sofort «Bei Issos Keilerei» schreit, hat wahrscheinlich Abitur und musste sich in quälenden Stunden mit einer von mehreren tausend Schlachten der Antike beschäftigen. Bleibt nur die Frage: Wozu? Wenn man einen Krieg verstanden hat, versteht man alle, denn sie laufen immer nach demselben, furchtbaren Muster ab. Dieses Muster, und die Umstände, die zu Kriegen führen können, sollte man sich zwar genau anschauen, um die Mechanismen dahinter zu erkennen und sie zukünftig vielleicht vermeiden zu lernen. Doch vergessen wir darüber nicht die guten Seiten der Menschheitsgeschichte – vor allem jetzt nicht, wo wir uns überwiegend mit Krise und finanziellem Untergang beschäftigen, wenn es um unsere Nachbarn geht.

 

Deshalb widme ich mich lieber den Erkenntnissen, die uns beflügeln, von denen wir Gutes lernen und über die wir vielleicht auch lachen können. Das ist ebenso einfach wie aufregend, wenn man sich die folgenden Prämissen zu Herzen nimmt:

Jeder kann Historiker werden. Einige der besten Historiker, mit den lichtesten Beobachtungen, waren gar keine studierten Historiker.

Die Weltgeschichte wird viel sympathischer, wenn man die Kriege einfach mal beiseitelässt. Und es ist sinnvoll, es zu tun, um den Blick für das große Ganze zu öffnen.

Jahreszahlen sind überflüssig. Selbst heute weiß niemand genau, in welchem Jahr wir uns eigentlich befinden.

History helps! Das Wissen um ihre eigene Geschichte bringt die Menschheit weiter. So verhinderte eine kleine Historikerin einmal den Dritten Weltkrieg. Wie? Mit einem Buch.

Wären alle Nationen Europas Schüler einer Klasse, bekämen wir Deutschen heute beste Noten und säßen in der ersten Reihe, zwischen den Schweden, den Dänen und den Holländern. Derweil flögen aus der letzten Reihe Wurfgeschosse auf uns Streber, abgeworfen von italienischen und griechischen Mitschülern, deren Versetzung höchst gefährdet wäre. «Nehmt euch ein Beispiel an Michel hier vorne!», würde die Lehrerin nach hinten schreien, «und wehe, ihr macht noch mal Feuer unter den Tischen!»

Lange Zeit jedoch hätte das Szenario mit umgekehrten Vorzeichen stattgefunden. Vor dreitausend Jahren hießen die Streber in den ersten Reihen noch Julius, Archimedes und Platon. An der Tafel stand der kleine Pythagoras und dachte sich Formeln aus, die wir heute noch lernen. Die letzte Reihe war damals unser Stammplatz. Als die anderen schon fließend schreiben konnten, brauchten wir noch tausend Jahre bis zum ersten leserlichen Buchstaben. Dafür haben wir Julius auf dem Schulhof so verkloppt, dass er uns die Kontrolle über den nördlichen Teil (Germanien) zugesichert hat. Und als die Macht der römischen Clique endlich gebrochen war, haben wir die Schule in Brand gesteckt. Im Teenager-Alter (Mittelalter) lebten wir in ihren Ruinen und wurden Mitglieder einer christlichen Sekte. Wir haben im Vergleich zu anderen Völkern wahrlich spät unseren Schulabschluss gemacht und studiert. Zwei Versuche, die Welt zu erobern, scheiterten – glücklicherweise. Seitdem sind wir ausgesprochen brav, fleißig und sparsam. Wir erfanden die Glühbirne, den Dieselmotor und Aspirin. Jetzt sind alle stolz auf uns.

 

Wieso geht es in Geschichtsbüchern eigentlich so oft um Kriege? Fast bekommt man den Eindruck, es hätten immer irgendwo Kriege stattgefunden. Es gibt eine Reihe von fragwürdigen Umständen, warum das so ist. Dazu gehört die Tatsache, dass Historiker früher von Königshäusern oder anderen Despoten beschäftigt worden sind, dementsprechend großartig fiel die Geschichte der Heldentaten ihrer Arbeitgeber in irgendwelchen Schlachten aus: Wes’ Brot ich ess, des’ Lied ich sing.

Wenn von vielen Tausenden kämpfenden Männern die Rede ist, von grandiosen Siegen, und Archäologen später nur ein Dutzend Schwerter ausgraben können, kann da etwas nicht stimmen. Trotzdem sind die Aufzeichnungen dieser Historiker bis heute oft die einzige uns verfügbare Quelle, und so orientieren sich auch aktuelle Geschichtsbücher an den Schlachten und Kriegen, ohne dass man erfährt, was die Leute gegessen, wie sie gewohnt und welche Spiele sie gespielt haben. Diese sogenannte Alltagsgeschichte ist erst in den 1980er Jahren in den Fokus der Historiker gerückt. Vorher war man der Meinung, das normale Alltagsleben der Menschen sei irrelevant.

Aber wieso gibt es noch heute die obsessive Fixierung von Historikern auf Kriegsschauplätze? Natürlich ist es unendlich traurig, wenn Menschen sterben. Meiner Ansicht nach werden Wissenschaftler aber auch von einer gewissen Sensationslust getrieben. Kriege sind packende Dramen. Bad news is good news, sagen Journalisten, schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, denn sie werden mehr gelesen. Hätte man in hundert Jahren nur die Zeitungen als Quelle über unser heutiges Leben, würden die Menschen zu der Auffassung kommen, dass wir Deutschen in einer schrecklichen Zeit gelebt haben müssen, in der es ausschließlich Greise und keine Kinder mehr gab, dazu explodierende Finanzmärkte, verseuchte Lebensmittel und Fernsehsendungen, in denen Menschen Melodien furzen.

Gerade Letzteres ist wirklich erschreckend, und deshalb habe ich seit zwei Jahren keinen Fernseher mehr. Es ist so schön, wie viel man dann lesen kann! Nein, im Ernst, die dokumentierten Ereignisse verzerren die Wirklichkeit. Wer erfasst schon unsere Radtouren entlang von Elbe oder Rhein? Das Glück der Menschen, die Drachen steigen lassen, mit Freunden gemeinsam kochen, die tanzen gehen oder einen Sport wie Gummistiefelweitwurf betreiben? Alles viel zu belanglos für die meisten Historiker. Was in Erinnerung bleiben wird, sind die Katastrophen. Das war schon immer so. Was war das berühmteste Kreuzfahrtschiff der Welt? Die Titanic. Der berühmteste Turm der Welt? Der schiefe aus Pisa.

Im letzten Sommer lernte ich in Großbritannien Reisende aus Mexiko kennen. Ich konnte nicht anders, schon mit meiner zweiten Frage erkundigte ich mich nach dem Drogenkrieg – das Einzige, worüber hierzulande berichtet wird, wenn es um Mexiko geht. Zum Glück klärten mich meine Mitreisenden freundlich auf: Die problematischen Regionen lägen ganz woanders, dicht an der Grenze zu den USA, sie hingegen lebten in der Hauptstadt, ohne Probleme. Ach so. Man kann in Mexiko leben, ohne in eine Schießerei verfeindeter Drogenkartelle zu geraten? Das ahnte ich nicht.

Bei Teheran denken wir sofort an Steinigungen, bei Afghanistan an Selbstmordattentäter, bei Afrika an einen ganzen Kontinent voller Aids und Armut. Doch der größte Teil der Menschen in diesen Teilen der Welt haben alle einen Alltag jenseits oder auch trotz dieser Themen. Und selbst wenn man sich mit der größten anzunehmenden Katastrophe, dem Krieg, befassen will, lernen wir kaum etwas über ihn, da auch dann der Fokus meist auf den Entscheidungen und Verlautbarungen der Machthaber liegt. Nicht so bei der Kriegsreporterin Janine de Giovanni; sie stellt die wichtige Frage, die beim Kriegsausbruch selten von Historikern beachtet wird: Wie fühlt es sich für den einzelnen Menschen an, wenn ein Krieg ausbricht? Woher weiß man, es ist an der Zeit, die Koffer zu packen und zu gehen? Denn selbst ein Krieg ist für den Einzelnen ein Ereignis, das vor dem Hintergrund des eigenen Alltags stattfindet. «Deutschland hat Russland den Krieg erklärt – nachmittags Schwimmschule», schrieb Franz Kafka schon 1914 in sein Tagebuch. Krieg im gleichen Atemzug mit dem Schwimmkurs zu nennen ist aus unserer heutigen Sicht verwunderlich, fast ungeheuerlich – aber genau darum geht es. Wie sein Leben angesichts des Krieges weiterführen, wie weiterhin wandern gehen, Gitarre lernen, seine jüdische Freundin treffen?

Viele scheuen sich in die Geschichte einzutauchen, weil sie annehmen, sie sei nur eine Aneinanderreihung von Kriegen und Gräueltaten. Aber diese Annahme ist falsch. Der Planet, auf dem wir es uns gemütlich gemacht haben, ist rund fünf Milliarden Jahre alt, und die allerlängste Zeit herrschte himmlischer Frieden. Die Kriege kamen erst mit den Menschen.

Gut, wer zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges geboren wurde und nur dreißig Jahre alt geworden ist, der hat wirklich Pech gehabt. Aber auch nur, wenn er in deutschen Landen lebte: Der Rest der Welt bekam von dem Gemetzel nichts mit.

Aber spätestens im 20. Jahrhundert herrschte doch ständig Krieg, oder? Tatsächlich: In diesem Jahrhundert kamen mehr Menschen in Kriegen um als je zuvor. Und trotzdem. Der amerikanische Psychologe Steven Pinker hat unter dem Titel «The better angels of our nature. Why violence has declined» (im Deutschen unter dem weniger treffenden Titel «Gewalt» erschienen) ein hoffnungsvolles Buch geschrieben. Auf über eintausend Seiten weist der Amerikaner nach, wie die Gewalt im Alltag und in der Gesellschaft über die Jahrhunderte hinweg stetig abgenommen hat. Noch vor hundert Jahren gab es bei uns mehr Morde, mehr Überfälle, mehr häusliche Gewalt als heute.

Wer dieser Tage einem Verlag ein Kinderbuch vorschlägt, wird nach der Story gefragt. Wenn man dann antwortet: «Tja, ich dachte an einen Jungen und seine Schwester, die von ihren Eltern im Wald ausgesetzt werden», ist es nicht unwahrscheinlich, dass man skeptische Blicke erntet: «Wie bitte, wollen Sie die Kinder traumatisieren?» – «Warten Sie: Die beiden werden im Wald von einer Frau gefangen gehalten, die den Jungen mästen und dann essen will. Zum Glück kann seine Schwester die Frau in den Ofen schubsen, wo sie verbrennt.» – «Und Sie meinen, das ist etwas, was Kinder lesen sollten?»

Das Beispiel zeigt, wie selbstverständlich früher Gewalt im Alltag der Menschen war; sie hielt sogar im Märchen Einzug. Ob man das gutheißt, steht auf einem anderen Blatt.

Selbst für das blutrünstige 20. Jahrhundert stellt Pinker nüchtern fest, dass die Menschen den größten Teil der Zeit in Frieden lebten: Vier Jahre dauerte der Erste Weltkrieg und knappe sechs Jahre der Zweite Weltkrieg. So verbleiben rund neunzig Jahre dieses Jahrhunderts, in denen die Menschen in Deutschland einigermaßen in Frieden lebten, selbst wenn man die gesamte NS-Zeit mit ihrem Terror abzieht, bleiben noch 84 Jahre Frieden.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte in keinster Weise Kriege verharmlosen, besonders nicht den Zweiten Weltkrieg. Doch ich bin der Ansicht, dass der Historiker nicht nur Kriegsberichterstatter sein sollte – sonst erfahren wir nie von den guten Kräften, die in den Menschen schlummern. Hoffnung und Optimismus sind das Einzige, was uns weiterbringt.

 

Neben der endlosen Abfolge von Kriegen gibt es einen weiteren Grund, warum viele Menschen sich scheuen, sich mit Geschichte zu beschäftigen: Es ist der Berg an Jahreszahlen, der zu jedem historischen Ereignis gehört. Lehrer lieben Jahreszahlen, da sie sich so schön abfragen lassen. Dabei verheimlichen sie, dass Jahreszahlen nur ein vermeintlich genaues Instrument für eine zeitliche Einordnung und oftmals viel vager sind, als wir gemeinhin annehmen. Nicht mal Jesus wurde an seinem Geburtstag geboren, sondern rund acht Jahre später, trotzdem baut unser ganzer Kalender auf seinem ersten Geburtstag auf. Eigentlich sind wir also alle acht Jahre jünger!

Jahreszahlen ergeben schon deshalb keinen Sinn, weil die längste Zeit überhaupt nicht klar war, was und wie lang ein Jahr überhaupt ist. Schon die alten Griechen wussten zwar, dass sich die Erde um die Sonne dreht und legten fest, dass ein Jahr die Zeit ist, die unser feiner, emsiger Planet für diese Runde braucht, ohne auch nur einmal für ein kleines Päuschen rechts ranzufliegen.

Allein, ein Kalenderjahr zu erfinden, das genau der Zeitspanne einer Erdfahrt um die Sonne entspricht, geriet schwerer als gedacht. Sie kennen das Problem: Ostern suchen wir Schokoladeneier im Schnee, im Winter fahren wir im Skigebiet über Matschwiesen ins Tal, dafür herrschen beim Grillfest im August derart frostige Temperaturen, dass man sich in Skiklamotten auf die Terrasse setzt. Im Sommer ist es zu kalt, im Winter zu warm. Es ist bis heute scheinbar nicht gelungen, einen Kalender zu erfinden, an den sich die Jahreszeiten halten.

Schon Julius Cäsar war von den ungenauen römischen Kalendern so genervt, dass er sich einen exakten Kalender schreinern lassen wollte, denn bis 56 v. Chr. hatten sich die Jahreszeiten so extrem verschoben, dass sich ein Jahr auf 445 Tage verlängert hatte. Dieses Jahr ist als Annus confusionis in die Geschichte eingegangen – und wir müssen nicht das große Latinum haben, um das Wort konfus herauszulesen.

Cäsars Idee kam dennoch gut an. Verständlich: Angenommen, man sitzt zum Ende des Jahres panisch zu Hause, sortiert Belege für die Steuererklärung, schreibt im Akkord Neujahrsgrußkarten und weiß noch nicht, auf welche Silvesterparty man überhaupt gehen soll – und dann erfährt man in der Tagesschau, dass das Jahr wegen grober Abweichung von den Jahreszeiten um elf Wochen verlängert wird. Ja Mensch, da kann man doch nur dankbar sein! Elf Wochen geschenkt, um endlich einmal alles zu schaffen, was man sich vorgenommen hat!

Das Problem mit allen Kalendern: Die Erde hat die schrullige Angewohnheit, die Sonne in einer sehr krummen Zeitspanne zu umfliegen, in 365 Tagen, 5 Stunden, 49 Minuten und zwölf Sekunden. Würde man die fünf Stunden und die paar Minuten einfach an jedes 365-Tage-Jahr ranhängen, bis die Erde ihre Runde endlich ganz beendet hat, müssten wir Silvester bei einem sehr frühen Frühstück die Raketen steigen lassen und einen Sekt trinken. Auch wenn das für einige ganz normal sein mag, sinnvoll ist es sicherlich nicht.

Zum Glück hatte schon Cäsars Kalenderbeauftragter Sosigenes die Idee, diese paar Stunden einfach zu sammeln, bis sie nach vier Jahren zusammengerechnet einen Extratag ausmachen: So entstand das Schaltjahr. «So, so, Sosigenes, du bist wohl ein ganz Schlauer», soll Cäsar gemurmelt haben. Also, falls Sie am 29. Februar Geburtstag haben und deshalb nur alle vier Jahre Geschenke bekommen: Cäsar ist schuld, er hat den Kalender beauftragt und ihm seinen Namen gegeben: Julianischer Kalender. Genau genommen müsste er zwar nach seinem Erfinder Sosigenischer Kalender heißen, aber wer zahlt, bekommt auch die Ehre.

Trotzdem war auch dieser Kalender nicht exakt, sondern elf Minuten zu lang. Das ist bei den alten Römern nicht mehr groß ins Gewicht gefallen. Doch viel später, im Mittelalter, fehlten die elf Minuten auf dramatische Weise. Wer jahrelang jedes Jahr elf Minuten verpulvert, die nicht ihm, sondern dem nächsten Jahr gehören, der hat nach einem Jahrtausend schon eine ganze Woche geklaut. Und tatsächlich: Bis zum Ende des Mittelalters waren wieder die Jahreszeiten verrutscht. Deshalb mussten die Bürger im Jahr 1582 eine ganz andere Kalendererfahrung machen als einst die Bürger Roms. Ihnen wurde mitgeteilt, dass auf Donnerstag, den 4. Oktober, Freitag, der 15. Oktober folgen würde. Zehn Tage einfach so futsch! Was für ein Stress! Zehn Tage, die holt man nicht einfach so auf, die Hektik vererbt man seinen Kindern, Generation für Generation. Ich glaube, diese 240 Stunden fehlen uns noch heute.

Aber im Ernst, durch das Überspringen von zehn Tagen und eine Verfeinerung der Schaltjahre ist der im Jahr 1582 erlassene Kalender so genau, dass er bis heute gilt. Gregorianischer Kalender heißt er, benannt nach Papst Gregor VIII. Wir benutzen ihn täglich. Seine verbleibende Ungenauigkeit beträgt nur noch vier Sekunden. Erst im Jahr 3000 kommt da ein Tag Abweichung zusammen.

Bei der Einführung des Gregorianischen Kalenders gab es in Deutschland schon Protestanten, die ihrem Namen alle Ehre machten und sofort aufbegehrten. Ohne uns, macht euren neuen Kalender doch alleine! So feierten Protestanten und Katholiken Ostern einige Jahre lang zu unterschiedlichen Zeiten. Gibt dann ja auch weniger Staus. Das hat man in Deutschland mit den versetzten Ferien beibehalten.

Die Chinesen haben sich noch länger verweigert und sind erst mehrere Jahrhunderte später zu dem neuen Kalender übergelaufen.

Natürlich ist es praktisch, wenn alle denselben Kalender benutzen, wenn man in einem Café den nächsten Termin absprechen möchte. Wobei ich als Geschichtsbesessener finde, dass es einen großen Reiz hat, im Jahr 2013 eine Lufthansa-Maschine in Frankfurt zu besteigen und nach fünf Stunden Flug auf dem Flughafen, dem Imam Khomeini Airport in Teheran, im Jahr 1435 zu landen. Denn nach dem islamischen Kalender befände ich mich in diesem Jahr. Hat man ein Faible fürs Technische, könnte man sich dann freuen, dass es bereits im Jahr 1435 Handys gibt.

Auch die Kommunisten fragten sich nach der Oktoberrevolution 1917, wieso sie einen Kalender benutzen sollten, der auf der Geburt des Sohnes Gottes beruht, wo man doch mit dieser Religion nichts zu tun haben wollte. Der Mut reichte allerdings nicht dafür, einen stalinistischen Kalender einzuführen, gäbe es ihn, befände sich die Linkspartei heute im Jahr 135 n. Stalins Geburt.

Warum erzähle ich das Kuddelmuddel um die Kalender, die mal hier, mal dort galten? Weil Jahreszahlen eben oftmals Schall und Rauch sind. Geschichtliches Wissen heißt nicht, viele Jahreszahlen auswendig zu wissen, sondern Zusammenhänge zu erkennen. Hätte ich das nur früher gewusst! Wie entspannt hätte ich in der Schule auf die Frage des Lehrers reagiert: «Sebastian, in welchem Jahr war die Französische Revolution?» – «Hm, meinen Sie jetzt nach dem burmesischen Kalender oder dem buddhistischen? Nein, ich denke das Jahr der Französischen Revolution sollten wir doch am besten im Französischen Revolutionskalender suchen. Nach ihm wurden die Jahre in Freiheit gezählt, sie fiel also an den Anfang des Jahres Eins.» Mit Glück bekommt man dann sogar selbst eine Eins.

Zugegeben, die wichtigsten Epochen zu kennen und grobe zeitliche Einordnungen vornehmen zu können, schadet nicht, das bietet Orientierung. Zu der Meinung bin ich gekommen, nachdem ich jüngst bei ebay auf die Verkaufsanzeige für einen Tisch gestoßen bin, den jemand ernsthaft mit den Zeilen: «Esstisch von Ikea – wahrscheinlich Art déco» angeboten hatte. Nach dieser Tafel müsste jedes antike Möbel mindestens 1500 Jahre alt sein. Hier also ein kleiner Überblick:

800 v. Chr. bis 150 v. Chr.

Antike

Hochzeit der Griechen

500 v. Chr. bis 500 n. Chr.

immer noch Antike

Hochzeit der Italiener als Römer

500 n. Chr. bis 1500

Mittelalter

Auszeit für alle Europäer

1600 bis heute

Neuzeit

Europa bekämpft sich und wächst schließlich zusammen

1920 bis 1940

Art déco

1943

Ikea

Lassen wir aber nun genaue Jahreszahlen lieber Zahlen sein und suchen das Dahinter. Wer hat eigentlich wann Europa seinen Stempel aufgedrückt und mit welchen – positiven! – Folgen, von denen wir heute noch profitieren? In diesem Buch geht es genau darum, um dieses stetige Auf und Ab, die Erkenntnis, dass jedes Land vom hohen Ross in den Matsch fallen kann, aber auch jedes Land, das im Matsch liegt, die Chance hat, wieder in den Sattel zu steigen, wenn es nicht aufgibt.

Gerade die Akzeptanz des Letzteren fällt uns Deutschen schwer. Eine Einstellung, die mit «Yes we can!» beginnt und nicht mit «O Gott, o Gott!», sucht man bei uns oft vergebens. Bei uns überwiegt das Gefühl, dass in Sachen Europa Hopfen und Malz verloren sind.

Wieso fällt es uns nur so schwer, optimistisch zu sein? In dieser Hinsicht könnten und sollten wir uns ruhig eine Scheibe von den Amerikanern abschneiden. Wir erinnern uns: Kurz nach unserem gescheiterten Versuch, die Macht in Europa und auf der ganzen Welt zu übernehmen, lagen wir 1945 im Matsch. Und was sagten die Amerikaner, die wir noch kurz zuvor beschossen hatten und die um unsere Gräueltaten wussten? «Okay, ihr habt’s verbockt. Aber hier ist eure zweite Chance!»

Als die Heldentaten des Oberst Stauffenberg, der mit einer Gruppe Gleichgesinnter vergeblich versucht hatte, Hitler umzubringen, in die Kinos kam, spielte Tom Cruise die Hauptrolle. Das passt gut, er kennt sich schließlich mit totalitären Systemen aus. Ich habe den Film zufällig mit meiner amerikanischen Bekannten Cathy in New York gesehen, die mir einen Beweis des unerschütterlichen Optimismus der Amerikaner lieferte. Wir betraten den Kinosaal mit Popcorneimern, um das Stauffenberg-Drama zu sehen, und sie raunte mir zu: «… aber nicht verraten, wie’s ausgeht!»

Bis jetzt ist die europäische Geschichte noch immer gut ausgegangen, auch in meiner Familie. Mein Opa musste noch auf Franzosen schießen, ich bin mit einer Französin verheiratet – wenn das kein Happy End ist!

Aber im echten Leben gibt es kein letztes Kapitel, wir müssen immer an das nächste denken, in dem unsere Kinder die Hauptrollen spielen sollen. Ich hoffe sehr, dass es von einem Europa handeln wird, das noch mehr zusammengewachsen ist.

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ab 16000 v. Chr. bis 100 n. Chr.

Die Germanen warten auf ihren ersten Auftritt

Nur Grunzen im Eichenwald

Sie leben in stumpfer Trägheit dahin.

Tacitus, römischer Senator über die Germanen

Die längste Zeit der Menschheitsgeschichte sah es so aus, dass der Fortschritt in Europa grundsätzlich vom warmen Mittelmeer ausging und aus den deutschen Eichenwäldern nicht mehr zu hören war als gelebtes Banausentum.

In Frankreich, Spanien und Italien fand man zahlreiche Höhlenmalereien als Beweise von frühzeitlicher Hochkultur – und in Deutschland? Keine einzige. War es hier vielleicht zu kalt für Kunst? Nein, selbst die Russen haben es am Ural fertiggebracht, Farben zu mischen und Höhlenwände zu bemalen, und dort ist es bekanntlich noch kälter als in unseren Gefilden. Sechzehntausend Jahre sind die dortigen Zeichnungen alt. Was haben wir eigentlich zu dieser Zeit gemacht?