Wabi-Sabi - Beth Kempton - E-Book
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Wabi-Sabi E-Book

Beth Kempton

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Beschreibung

Wabi Sabi ist ein jahrhundertealtes Konzept, das Schönheit in der Unvollkommenheit erkennt und die Vergänglichkeit aller Dinge akzeptiert. Damit ist es das ideale Gegengift zu unserer perfektionistischen, konsumorientierten Zeit. Die Japanologin Beth Kempton zeigt, wie sich Wabi Sabi bei uns zu Hause, bei der Arbeit und in unserer Haltung zu uns selbst umsetzen lässt. Die Wertschätzung alter Gebrauchsgegenstände, die Wahrnehmung des Augenblicks und der respektvolle Umgang mit Natur und Mitmenschen gehören ebenso zu Wabi Sabi wie die positive Umdeutung vermeintlicher Makel und das Friedenschließen mit sich selbst.

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Seitenzahl: 287

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungAnmerkung zur Verwendung des Japanischen in diesem BuchVorwort von Hidetoshi NakataEinführungKapitel 1: Ursprünge, Merkmale und Bedeutsamkeit von Wabi-SabiKapitel 2: Vereinfachen und VerschönernKapitel 3: Leben im Einklang mit der NaturKapitel 4: Akzeptieren und LoslassenKapitel 5: Das Scheitern umdeutenKapitel 6: Beziehungen hegen und pflegenKapitel 7: Die berufliche Reise genießenKapitel 8: Die Momente wertschätzenNachwort: Die Fäden laufen zusammenAnmerkungenTipps für Ihre eigene JapanreiseLiteraturDank

Über das Buch

Wabi Sabi ist ein jahrhundertealtes Konzept, das Schönheit in der Unvollkommenheit erkennt und die Vergänglichkeit aller Dinge akzeptiert. Damit ist es das ideale Gegengift zu unserer perfektionistischen, konsumorientierten Zeit. Die Japanologin Beth Kempton zeigt, wie sich Wabi Sabi bei uns zu Hause, bei der Arbeit und in unserer Haltung zu uns selbst umsetzen lässt. Die Wertschätzung alter Gebrauchsgegenstände, die Wahrnehmung des Augenblicks und der respektvolle Umgang mit Natur und Mitmenschen gehören ebenso zu Wabi Sabi wie die positive Umdeutung vermeintlicher Makel und das Friedenschließen mit sich selbst.

Über die Autorin

Beth Kempton studierte Japanologie und lebte und arbeitete mehrere Jahre in dem Land. Zu der Zeit lernte sie die Traditionen der Teezeremonie, des Blumenarrangements, der Papierherstellung, der Keramik und des Webens kennen – und sie wurde zu einer Vertrauten der Kultur in all ihren feinen Nuancen. Beth Kempton hat mehrere Unternehmen gegründet und engagiert sich für den west-östlichen kulturellen Austausch.

Beth Kempton

Wabi-Sabi

Die japanische Weisheitfür ein perfektunperfektes Leben

Übersetzung aus dem Englischen von Viola Krauß

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Titel der englischen Originalausgabe:»Wabi Sabi«

  

Für die Originalausgabe: Copyright © 2018 by Beth Kempton Published by arrangement with Piatkus, an imprint of Little, Brown Book Group

  

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln Textredaktion: Regina Carstensen, München Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Unter Verwendung eines Motivs von © FinePic / shutterstock

eBook-Erstellung: Dörlemann Satz, Lemförde

  

ISBN 978-3-7325-7218-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

 

Für meine Familie.

Ich liebe euch genau so, wie ihr seid.

Anmerkung zur Verwendung des Japanischen in diesem Buch

Zur leichteren Lesbarkeit sind die japanischen Personennamen in der im Deutschen üblichen Reihenfolge geschrieben (erst Vorname, dann Nachname), mit Ausnahme historischer Persönlichkeiten, die in der traditionellen japanischen Namensreihenfolge bekannt sind (Nachname an erster Stelle), wie zum Beispiel Matsuo Bashō (Matsuo ist hier der Familienname).

Die japanische Schrift wurde mittels des Hepburn-Systems romanisiert. Lange Vokale werden dabei mit einem Makron gekennzeichnet; so steht ū für ein in die Länge gezogenes »uu«. Das beinhaltet auch Ortsnamen, selbst wenn diese üblicherweise ohne Makrons geschrieben werden, wie etwa Tōkyō und Kyōto.

Bei Personennamen wird teilweise die Endung -san verwendet, die Höflichkeitsform für »Herr« oder »Frau«. Die Endung -sensei zeigt eine Lehrerin oder einen Lehrer, eine Professorin oder einen Professor an.

Vorwort vonHidetoshi Nakata

前書き

Mit einundzwanzig verließ ich Japan, um meinen Weg in der großen, weiten Welt zu machen. Meine acht Jahre in der italienischen Serie A und der englischen Premier League waren die wichtigsten meiner Karriere als Profifußballer. Im Privaten hat mir meine Zeit im Ausland gezeigt, wie das Verlassen des vertrauten Terrains uns Augen und Herz öffnen kann.

Im Lauf dieser Jahre habe ich hart gearbeitet, um mir erst Italienisch und anschließend Englisch anzueignen. Je mehr ich lernte, desto mehr erkannte ich, dass die Sprache einem Einblicke in fremde Kulturen gewährt und das Tor zu lebenslangen Freundschaften sein kann.

Nachdem ich mich im Anschluss an die Weltmeisterschaft 2006 aus dem Fußball zurückgezogen hatte, bin ich in den darauffolgenden Jahren rund um den Globus gereist und habe Menschen quer durch alle Gesellschaftsschichten kennengelernt. Wo ich auch war, die Menschen sagten mir, sie interessierten sich für Japan. Sie stellten mir jede Menge unterschiedliche Fragen, von denen ich viele nicht beantworten konnte. Damals wurde mir klar, dass meine Kultur eine Tiefe und Fülle besaß, die ich bislang nicht ausreichend gewürdigt hatte. Ich wollte wissen, was genau es war, das die Menschen überall auf der Welt so reizvoll fanden. Deshalb beschloss ich, zurück nach Japan zu gehen und es herauszufinden.

In meinem Kopf trug ich die Frage: »Was bedeutet Kultur?« Esskultur, Kleiderkultur, die japanische Kultur … Ihr wollte ich nachgehen. Mit dem Begriff »Kultur« meint man normalerweise eine bestimmte Lebensweise, die über einen gewissen Zeitraum von einer Anzahl Menschen befolgt wird – etwas, das wir durch unsere Art zu leben erschaffen. Also beschloss ich, Menschen anstelle von Orten aufzusuchen.

In den nächsten sieben Jahren erkundete ich jeden Winkel Japans, besuchte sämtliche der siebenundvierzig Präfekturen, um Zeit mit Kunsthandwerkern, Bauern, Sake-Braumeistern, Zen-Mönchen, Shintō-Priestern und Einheimischen zu verbringen. Auch wenn ich gekommen war, um etwas über die japanische Kultur zu erfahren, so erfuhr ich letzten Endes viel über das Leben selbst.

Jedes Mal, wenn ich vor Sonnenaufgang aufstand, um bei den Reisbauern zu hospitieren, die Luft vor dem Regen zu riechen oder den Handwerkern dabei zuzuschauen, wie sie den in ihrem Schatten wachsenden Rohstoffen Schönheit entlockten, lernte ich, was es bedeutet, im Einklang mit der Natur zu leben. Die saftige Frucht, die soeben vom Rebstock gepflückt worden war, der frisch gefangene Fisch, der sorgfältig gebraute Sake – mit jedem Bissen und jedem Schluck erfuhr ich mehr darüber, wie Schmecken wirklich geht.

Im Lauf der Zeit merkte ich, wie ich den Rhythmus des Landlebens annahm, das heißt den Rhythmus der Jahreszeiten und der Natur in Japan. In der Stadt haben wir Zugang zu vielen guten Dingen, gleichzeitig sind wir abgeschnitten von der Natur und lassen uns oftmals von der künstlichen Umgebung die Energie absaugen. Erst nachdem ich Monat um Monat auf dem Land gelebt hatte, merkte ich, wie viel besser ich mich fühlte. Vitaler, wacher, zufriedener.

Wenn wir uns von der Natur abspalten, wird sie zu etwas, das wir lenken und kontrollieren möchten. Dabei kann sie ihre großartige Macht jederzeit entfesseln. Wenn wir im Einklang mit der Natur leben, sie respektieren und uns in ihrem Rhythmus bewegen, fühlen wir uns meiner Meinung nach am besten und wissen jeden einzelnen Tag zu schätzen, Augenblick für Augenblick.

Wabi-Sabi ist eng verflochten mit dieser innigen Beziehung zur Natur. Es bezieht sich auf die Annahme der Vergänglichkeit allen Seins sowie das Erleben mit allen Sinnen. Möge dieses Buch Sie dazu inspirieren, Ihren eigenen sanften Rhythmus zu finden und das Glück genau dort zu entdecken, wo Sie gerade stehen.

Ich kenne Beth seit über zwölf Jahren und weiß um ihre Hingabe beim Studieren der japanischen Lebensweise, daher kann ich sagen: Sie ist die Richtige, um Sie auf diese Reise mitzunehmen.

Hidetoshi Nakata

Tōkyō, 2018

Einführung

はじめに

Es ist ein kalter Dezemberabend in Kyōto, der alten Hauptstadt Japans. Ich bin durch die Dunkelheit zu Shōren-in geradelt, einem kleinen Tempel jenseits der Touristenpfade am Fuße der Higashiyama-Berge. Heute Abend sind die Tempelgärten sanft beleuchtet, und das schwache Licht spinnt geheimnisvolle Fäden über die schemenhaften Kiefern und die schimärischen Bambushaine.

Ich streife meine Schuhe ab und trete ein auf einen Boden, der achthundert Jahre lang von schlurfenden Schritten und raschelnden Gewändern auf Hochglanz poliert worden ist. Die breiten, mit dem Alter fleckig und dunkel gewordenen Holzdielen stammen aus dem kaiserlichen Palast. Ich nehme auf der hinten ringsherum laufenden Veranda Platz, die Zehen taub vor Kälte, der Atem sichtbar vor meinem Gesicht.

Der Duft von Räucherstäbchen erfüllt die Luft. Er riecht wie die Farbe Purpur, auf eine Art und Weise, die ich nicht erklären kann. Winzige, über den Garten verstreute Lichter gehen an und wieder aus, eintausend im Gleichklang atmende Sterne. Nur zehn Minuten von hier brodelt das Vergnügungsviertel Gion mit der Energie aufgeregter Touristen, betrunkener Geschäftsmänner und gefälliger Geishas. Doch hier, eine enge, abschüssige Straße am östlichen Stadtrand hinauf, habe ich die Stille gefunden.

Droben späht ein Mond aus Chenille durch die Bäume, wirft seinen silbernen Zauber über den Teich. Hinabgefallene Blätter ziehen über die Oberfläche hinweg, während Koi-Karpfen durch das darunterliegende milchige Gewässer schleichen. In einer Woche werden die Zweige vieler dieser Bäume kahl sein. In einem Monat vielleicht schon schneebedeckt.

Ich hebe ein hinabgefallenes Momiji-Blatt auf, burgunderrot und mit gekräuselten Rändern. Es ist ein Schatz, geknittert und papieren wie der Handrücken meiner Großmutter. Mein Herz öffnet sich ein Stück weit. In diesem Augenblick habe ich alles, was ich brauche. Ich verspüre stille Zufriedenheit und einen Hauch Melancholie in dem Wissen, dass dieser flüchtige Moment niemals wiederkehren wird.

Dies ist die Welt von Wabi-Sabi.

Auf der Spur von Wabi-Sabi

Wabi-Sabi ist grundlegender Bestandteil der Ästhetik und der sanften Natur der Japaner. Es ist eine Weltanschauung, die ihre Lebenserfahrung lenkt, auch wenn kaum darüber gesprochen wird. Sein Einfluss ist überall und ist doch nirgends sichtbar. Die Menschen wissen instinktiv, was der Begriff Wabi-Sabi bedeutet, aber nur wenige können ihn auch in Worte fassen. Wabi-Sabi ist ein faszinierendes Mysterium, welches denjenigen große Weisheit verheißt, die sich weit genug entschleunigen, um sich mit offenem Herzen auf Spurensuche zu begeben.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten bin ich regelmäßig in Japan und habe ein gutes Drittel dieser Zeit auch dort gelebt. Die Verbundenheit, die ich für die Menschen in Japan stets empfunden habe, straft die Tatsache Lügen, dass ich am anderen Ende der Welt groß geworden bin. Ich habe mich in die Kultur vertieft, habe mit japanischen Familien gelebt, die kein Wort Englisch sprachen, und habe mich in den vielschichtigen Arbeitswelten japanischer Geschäfte und Gemeindeverwaltungen bewegt, habe weit mehr als zehntausend Stunden mit dem Studieren Japans verbracht und ausgedehnte Reisen im gesamten Land unternommen. Und trotz alledem hat sich mir eine echte Definition des intuitiven Begriffs Wabi-Sabi entzogen. Ich konnte ihn fühlen, doch mir fehlten die Worte, um ihn zu beschreiben.

Eine Reihe anderer nicht japanischer Leute sind bereits vor mir in die Welt von Wabi-Sabi eingetaucht und haben sich dabei weitestgehend auf die physischen Charaktereigenschaften der Objekte und Umgebungen konzentriert, die sie mit dem Begriff verbinden. Für mich waren diese Erklärungen allerdings immer unzureichend. Ich hatte schon lange das Gefühl, dass Wabi-Sabi ein viel umfassenderes Phänomen ist, als man uns glauben gemacht hat, und dass es sich über viele Lebensbereiche erstreckt. Erst als ich mit den Recherchen für dieses Buch begonnen habe, wurde mir klar, wie weit und tief dieser Fluss reicht.

Warum Wabi-Sabi?

In den vergangenen Jahren hat unser Lebenstempo stark zugenommen. Unser Stressempfinden hat sich wahnsinnig gesteigert, und wir sind immer versessener auf Geld, Status, das äußere Erscheinungsbild sowie die grenzenlose Anhäufung von Kram geworden. Unsere Unzufriedenheit wächst, während wir uns immer härter pushen und immer mehr Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten versuchen. Wir sind überarbeitet, überspannt und überfordert.

Den Großteil eines Jahrzehnts habe ich damit verbracht, Menschen beim Umschichten ihrer Prioritäten zu helfen, damit ihr Leben wieder mehr im Einklang mit den Dingen ist, die ihnen wirklich am Herzen liegen. Und ich habe gesehen, wie viele von uns sich krank machen durch übermäßige Verpflichtungen, ständiges Vergleichen, innere Kritik und negative Selbstgespräche. Wir schlafwandeln mit benebelten Sinnen durch unsere Tage, sind viel zu sehr eingesperrt in irgendwelchen Boxen, schenken Promis, Werbung und sozialen Medien mehr Beachtung als der Erkundung des eigenen Lebens in all seiner Fülle.

Seit geraumer Zeit vernehme ich das lauter werdende Rumoren einer Revolution der Langsamkeit, einer Sehnsucht nach einem einfacheren, sinnhafteren Leben. Je mehr erschöpfte, hilflose und unglückliche Menschen mich erreichten, desto mehr wuchs mein Bedürfnis nach einer neuen Herangehensweise an solche Probleme und nach leicht zugänglichen Werkzeugen, die uns helfen, ein authentischeres und erfüllteres Dasein zu führen.

Das rief mir die tief liegende Anmut, Ruhe und Wertschätzung in Erinnerung, die ich nirgendwo außerhalb Japans angetroffen habe und die auf im kulturellen Kimono versteckte Lebensweisheiten hindeuteten. Ich hegte den Verdacht, dass das Ganze etwas mit dem schwer greifbaren Konzept von Wabi-Sabi zu tun hatte, also begab ich mich auf die Suche nach der verborgenen Wahrheit.

Wie lässt sich das Undefinierbare definieren?

Wie bereits erwähnt, ist eine Begriffsbestimmung von Wabi-Sabi ein schwieriges Unterfangen. Es ist ein bisschen wie mit der Liebe – ich kann Ihnen sagen, was ich glaube und wie sich das Ganze für mich anfühlt, doch erst wenn Sie es am eigenen Leib erfahren, wissen Sie wirklich, worum es geht. Die Gespräche, die ich mit Japanern zu diesem Thema geführt habe, begannen beinahe ausnahmslos mit den Worten: »Wabi-Sabi? Hmmm … Schwer zu erklären.« Im Grunde genommen haben die meisten nie versucht, den Begriff zu beschreiben, und sehen auch keine Notwendigkeit dafür. Sie sind damit aufgewachsen. Es ist ihre Art, durchs Leben zu gehen und das Schöne zu begreifen. Sie ist ihnen regelrecht eingepflanzt worden.

Da ich mich jedoch nicht so leicht abschrecken lasse, machte ich weiter. Na ja, das heißt, ich wartete, ich schaute und ich lauschte. Je mehr Raum ich den Menschen für das Erkunden dieses Unausgesprochenen ließ, das ihnen so vertraut war, desto interessanter wurde es. Es folgten Metaphern und Handgesten und geneigte Köpfe. Hände auf dem Herzen und lange Pausen und wiederholte Hinweise auf Tee und Zen und die Natur. Das Gespräch endete fast immer mit den Worten: »Ihr Buch muss ich unbedingt lesen.«

Tatsache ist, es gibt in der japanischen Sprache keine allgemeingültige Definition für Wabi-Sabi. Jeder Versuch, diesen Begriff zu beschreiben, wird notgedrungen subjektiv sein.

Meine eigene ungewöhnliche, subjektive Wahrnehmung ist die einer Japanologin und Lebensberaterin. Bei meinem Versuch, aus den Prinzipien von Wabi-Sabi eine Reihe zugänglicher Lebensweisheiten zu ziehen, habe ich mit Menschen quer durch die Gesellschaft gesprochen, habe Bücher in alten Bibliotheken gewälzt, Museen besucht, in schattigen Tempeln meditiert, Teeschalen in Händen gehalten, Zeit in der Natur verbracht und bin durch jahrhundertealte japanische Architektur spaziert. Nach Hunderten Gesprächen und umfassenden Recherchen habe ich eine Reihe von Leitbildern entworfen, von denen wir alle hoffentlich Wertvolles lernen können. Sie alle stecken in diesem Buch.

Das Geheimnis von Wabi-Sabi

Als ich die Schichten dieses Rätsels langsam und behutsam abgetragen habe, ist mir Folgendes klar geworden: Die wahre Schönheit von Wabi-Sabi liegt nicht in irgendwelchen Dingen, sondern in der Natur des Lebens.

Wabi-Sabi ist die intuitive Reaktion auf eine Schönheit, die die wahre Natur des Lebens widerspiegelt.

Wabi-Sabi ist die Akzeptanz und Wertschätzung des unbeständigen, unperfekten und unvollkommenen Wesens allen Seins.

Wabi-Sabi ist die Würdigung einer einfachen, langsamen und natürlichen Lebensweise.

Wabi-Sabi ist ein Zustand des Herzens. Ein tiefes Einatmen und langsames Ausatmen. Man spürt es in einem Augenblick tiefer Wertschätzung – in einem perfekten Augenblick in einer unperfekten Welt. Wir können dieses Gefühl nähren, indem wir bereitwillig Details wahrnehmen und Entzücken kultivieren. Und wir erfahren es, wenn wir so authentisch und inspiriert wie möglich leben.

Es geht darum, die Welt zu begreifen, indem wir wahrhaft in ihr sind, anstatt sie nur als unbeteiligter Außenstehender zu beobachten. Es geht darum, dem Feingefühl den Vortritt vor dem Berechnenden zu lassen. Es geht darum, sich die Zeit fürs Achtgeben zu nehmen.

Die Prinzipien, die Wabi-Sabi zugrunde liegen, können uns beibringen, wie wir uns von der Perfektion verabschieden und uns so akzeptieren, wie wir sind. Sie geben uns Werkzeuge an die Hand, mit denen wir dem Chaos und den materiellen Zwängen des modernen Lebens entkommen und dadurch mit weniger zufriedener sein können. Und sie erinnern uns daran, das Schöne im Alltäglichen zu suchen, uns von ihm anrühren zu lassen und dadurch Dankbarkeit für das Leben selbst zu spüren.

Zur Nutzung dieses Buchs

Damit sich uns die Tiefe und Vielfalt von Wabi-Sabi erschließen kann, beginnen wir mit einer kurzen Geschichtsstunde, die den Rahmen für alles Nachfolgende abstecken wird. Zwar enthält dieses Buch keinen ausführlichen Diskurs zu den Themen Ästhetik, Geschichte, Kultur, Philosophie und Religion in Japan, doch sie alle werden insoweit kurz gestreift, als dass sie wichtige Bausteine im Gefüge des japanischen Lebens sind. Wenn Sie mehr Lesefutter oder Inspiration für Ihre eigene Entdeckungsreise wünschen, werfen Sie einen Blick in die Bibliografie sowie auf die Tipps für Ihre eigene Reise nach Japan auf Seite 256.

Das Geheimnis von Wabi-Sabi liegt im Betrachten der Welt mit dem fühlenden Herzen, nicht mit dem logischen Verstand.

Sobald wir ein Gespür für die Ursprünge von Wabi-Sabi entwickelt haben, werden wir uns den Charaktermerkmalen dieses Begriffs widmen, damit wir über eine Sprache verfügen, mit der wir darüber nachdenken und reden können. Anschließend werden wir uns mit den Gründen dafür befassen, dass diese uralten Weisheiten von so großer Bedeutung für unser heutiges Leben sind. Das alles wird in Kapitel 1 abgedeckt, daher empfehle ich Ihnen, dieses Kapitel zuerst zu lesen.

Ab Kapitel 2 gibt es dann Geschichten, Inspirationen und Ratschläge, mit denen sich das Konzept auf jeden Bereich Ihres Lebens übertragen lässt. Hier können Sie entweder der Reihe nach lesen oder mal hier, mal da reinschnuppern, je nachdem, was Sie gerade am meisten anspricht. Die perfekte Art, dieses Buch zu lesen, gibt es natürlich nicht. Sie ziehen sich einfach das heraus, was Sie persönlich brauchen.

Kommen Sie mit!

Mit diesem Buch lade ich Sie auf eine Entdeckungsreise in ein fremdes Land ein. Bei mir sind Sie gut aufgehoben. Die von mir abgesteckte Route wird uns jenseits der ausgetretenen Wege, entlang gewundener Pfade, durch alte Holzpforten, in uralte Wälder, entlang mäandernder Flüsse und tief in die Berge hineinführen.

Hier und da werden wir an einem Teehaus am Straßenrand Halt machen, um uns ein wenig auszuruhen und nachzudenken, uns von Fremden mitnehmen und mit der überraschenden Klugheit neuer Freunde segnen zu lassen. Es wird Zeiten geben, da wir während des Gehens singen, und es wird Zeiten geben, in denen wir uns lustlos und müde fühlen. Dann legen wir eine Pause ein, um unseren schmerzenden Körper in einer heißen Quelle zu baden oder beim Anblick des hinabfallenden Schnees zur Ruhe zu kommen. An manchen Tagen werden wir bei Sonnenaufgang aufstehen, an anderen unter den Sternen wandeln.

Lassen Sie sich in die Schönheit Ihres Lebens hineinfallen, schaffen Sie das Unwichtige beiseite und entdecken Sie das, was darunterliegt.

Unterwegs werden Sie auf Vertrautes und auf Unbekanntes stoßen, auf Altes und Neues. Manches wird an den Grundmauern dessen rütteln, was man Ihnen bislang beigebracht hat. Doch ich werde Sie auf Schritt und Tritt begleiten.

Lassen Sie uns zum langsamen Reisen bekennen, zum weitläufigen Erkunden, zum Tiefergehen, während ich diese uralten Weisheiten mit Ihnen teile.

Die Suche nach Wabi-Sabi ist eine Reise zum inneren Kern des Lebens. Öffnen Sie die Augen und heißen Sie das Mysterium der nachfolgenden Zeilen willkommen.

Beth Kempton

Kyōto, 2018

Kapitel 1

Ursprünge, Merkmaleund Bedeutsamkeitvon Wabi-Sabi

「侘び寂び」とは

Sie könnten Ihr ganzes Leben in der Gesellschaft von Japanern verbringen und Wabi-Sabi kein einziges Mal laut ausgesprochen hören. Wenn Sie das maßgebendste Wörterbuch des Japanischen aufschlagen, das Kōjien, werden Sie Wabi-Sabi nicht finden.1 Lange Einträge zu den einzelnen Wörtern Wabi und Sabi gibt es sehr wohl, aber keinen für den zusammenhängenden Ausdruck. In der mündlichen Sprache existiert er, und eine kleine Anzahl japanischsprachiger Bücher befasst sich mit ihm. Im Allgemeinen aber ist er eher in den Herzen und Köpfen beheimatet als auf dem Papier. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wann ich zum ersten Mal darauf stieß. So, als ob die Philosophie von Wabi-Sabi während meiner Zeit in Japan durch Osmose in mich eingedrungen wäre.

Wenn Sie eine Japanerin oder einen Japaner bitten, Wabi-Sabi zu erklären, so wird sie oder er sich damit schwertun. Nicht, dass sie den Begriff nicht verstünden; das Verständnis ist intuitiv und spiegelt eine uns fremde Art des Denkens und Lernens wider. Jenseits des stumpfen akademischen Auswendiglernens nehmen die Japaner die Dinge hauptsächlich durch Beobachten und Erleben in sich auf. Wir logisch und rational denkenden Westler können das nur schwer begreifen. Wir wünschen uns exakte Anleitungen und genaue Übersetzungen. So laufen die Dinge in Japan aber nun mal nicht. Um der Weisheit dieser Kultur wirklich auf die Spur zu kommen, müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass die wahre Botschaft oftmals im Unausgesprochenen liegt.

Die Ursprünge von Wabi-Sabi

Wabi-Sabi (was sowohl 侘寂 als auch 侘び寂び geschrieben werden kann2) ging aus zwei unterschiedlichen Wörtern hervor, die beide von ästhetischem Wert durchdrungen und in Literatur, Kultur und Religion verwurzelt sind. Bei Wabi geht es um das Entdecken des Schönen im Schlichten sowie um das Entdecken einer spirituellen Fülle und Gelassenheit, Es geht weniger darum, was wir sehen, als darum, wie wir die Dinge sehen.indem man sich von der materiellen Welt löst. Sabi hingegen hat eher mit dem Lauf der Zeit zu tun, wie alles gedeiht und wieder vergeht und wie das Altern die Optik von alledem verändert.

Beide Begrifflichkeiten sind für die japanische Kultur von Bedeutung. Noch faszinierender ist wohl aber die Bedeutung, die sie erlangen, wenn sie zu Wabi-Sabi zusammengesetzt werden.

Der Rahmen

Stellen Sie sich die Welt zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts vor – die Zeit der großen Entdeckungsreisen seefahrender Europäer, in der die Spanier und die Portugiesen weltweite Handelsrouten erschlossen haben. Es war die Zeit des Kolonialismus und Merkantilismus, in der die Wirtschaftspolitik vieler Länder darauf ausgerichtet war, so viel Gold und Silber wie möglich anzuhäufen.

Die Farbe von Leonardo da Vincis Mona Lisa war noch nicht lange getrocknet, und David war erst ein paar Jahrzehnte vorher, um die Jahrhundertwende, aus Michelangelos Marmorblock entstanden. Drüben in England schrieb Shakespeare gerade sein neuestes Meisterwerk.

China war unter der Ming-Dynastie am Florieren und dem Westen technologisch haushoch überlegen. Auch der Kultur wurde eine enorme Bedeutung beigemessen, und Gerüchten zufolge waren die chinesischen Regierungsbeamten dazu angehalten, zwischen den Amtssitzungen Gedichte zu verfassen und sich in der Kalligrafie zu üben.

Das spätmittelalterliche Japan war indes in einem Jahrhundert aus Krieg und Zerstörung gefangen. Die Nation wurde von Hungersnöten heimgesucht und hatte unter hohen Steuern und bitterer Armut zu leiden. Die Gesellschaft war derart zerrissen, dass große Teile des gewöhnlichen Volkes Trost im Buddhismus suchten, was wiederum enormen Einfluss auf ihre Lebensweise hatte.

Es gab einen Kaiser und seinen Hofstaat, doch die wahre Macht besaß der Shōgun, der militärische Befehlshaber. Das Land wurde von militärischen Feudalherrschern regiert, den Daimyō. Diese errichteten ihre eigenen Fürstentümer, übten ihre Macht aus neu errichteten Schlössern aus und setzten in den umliegenden Städten Samurai-Krieger ein, die sie schützen und in ihren Armeen dienen mussten.

Die höherrangigen Samurai waren gebildet und einflussreich und ihrem Daimyō gegenüber extrem loyal und ergeben. Weil er auf Disziplin und Meditation seinen Schwerpunkt setzte, fand der Zen-Buddhismus unter ihnen viele Anhänger. Mehrere große Tempelbauten der Hauptstadt Kyōto beheimateten Karesansui (Steingärten), welche das Wesen der Natur widerspiegelten und zur tiefen inneren Einkehr einladen sollten.

Viele Samurai begannen, sich für die Teezeremonie zu interessieren, zum einen wegen des körperlichen Kicks – sie hielt sie während der langen Wachen vom Einschlafen ab –, zum anderen, weil sie ihrem Geist Momente der Ruhe und des Friedens in ihrem ansonsten brutalen Leben bescherte. Sie mussten jeden Tag dem Tod ins Auge sehen, deshalb nahmen sie jede Gelegenheit für die Würdigung des Schönen im Leben dankend an.

Die Stadtgebiete waren zur damaligen Zeit am Wachsen, und Japan sah den Aufstieg des handeltreibenden Stands. Als Geldverleiher für die Samurai machten die Händler ein Vermögen, denn Erstere erhielten lediglich eine gedeckelte Besoldung. Dieses Geschäft bewegte sich am Rande des Gesetzes, sodass den Händlern die Reichtümer jeden Augenblick entzogen werden konnten – was sie noch mehr motivierte, ihre Position ordentlich auszukosten.

Infolgedessen lebte ein Großteil des gewöhnlichen Volkes zwar in relativer Armut, die Herrscher und Kaufleute aber gaben das Geld gerne mit vollen Händen aus. An den pompösen Schlössern wurden Wände mit Gold verziert. Die Reichen brüsteten sich mit extravaganten gesellschaftlichen Anlässen, insbesondere mit Zusammenkünften zum Tee. Die Machthaber besaßen eine Vorliebe für Teeschalen und Geschirr aus China, und diese Dinge avancierten schnell zum Statussymbol. Scharfsinnigen Beobachtern fiel damals womöglich auf, wie widersprüchlich die Vorstellung von Tee als spiritueller Erfahrung und das Sammeln von Tee-Objekten als angeberische Zurschaustellung von Reichtum waren.

Behalten Sie das bitte im Hinterkopf, während wir einen kurzen Umweg über die Geschichte des Tees machen.

Die Tee-Connection

Um zu den Ursprüngen des Wortes Wabi zu gelangen, müssen wir uns in die Welt des Tees begeben. Der pulverige, grüne Matcha-Tee, den man heute mit der Teezeremonie verbindet, hat seinen Weg erst 1191 nach Japan gefunden. Der Mönch Myōan Eisai, der als Begründer der Rinzai-Lehrtradition des Zen-Buddhismus gilt, hat ihn unter der Song-Dynastie aus China mitgebracht. Seine Samen wurden an drei verschiedenen Orten angepflanzt, darunter Uji in der Nähe von Kyōto. Noch Jahrhunderte später sollte diese Gegend Tees von Weltrang hervorbringen. Zen und die Wertvorstellungen rund um den Tee haben sich damals schnell verbreitet.

Der große Teemeister und Mönch Murata Shukō hatte bereits im fünfzehnten Jahrhundert erkannt, dass sich im Akt des Zubereitens und Trinkens von Tee die Zen-Prinzipien widerspiegeln können. Er gilt heute als Mitbegründer der Teezeremonie. Der Shōgun Yoshimasa, ein Befürworter des kulturellen Zeitvertreibs, gab bei Shukō eine auf ihn zugeschnittene Teezeremonie in Auftrag,3 und Shukō nutzte die Gelegenheit, um die Sache mit dem Tee auf eine andere Ebene zu heben. Okakura Kakuzō beschrieb in seinem bahnbrechenden Buch vom Tee, wie Japan den Kult des »Teeismus« schon bald »zu einer Religion des Ästhetizismus« erhöht hat, »gegründet auf die Verehrung des Schönen mitten im Alltagsgrau der Dinge, wie sie sind«.4

Diese Vereinfachung wurde in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts von einem Mann namens Takeno Jōō, der Schüler zweier Anhänger Shukōs gewesen war, noch weiter vorangetrieben. Jōō war Dichter und besaß ein Talent dafür, die Wertevorstellungen des Tees in Versform zu bringen. Er brachte natürliche Materialien in den Teeraum hinein und hatte später großen Einfluss auf Sen no Rikyū, einen Geschäftsmann und Teemeister im Dienste von Toyotomi Hideyoshi, einem der berühmtesten Kriegsherren Japans.

Mit der Zeit hielt man Sen no Rikyū für den wahren Vater des Tees.

Schlichtheit als ästhetisches Ideal

In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts war die Teezeremonie zu einem wichtigen Gesellschaftsanlass geworden und eine Möglichkeit für die Wohlhabenden, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Hideyoshis prahlerisches Teehaus etwa war ganz aus Gold und voll von teurem, hauptsächlich aus China importiertem Krimskrams. Ungefähr zur selben Zeit führte sein eigener Teemeister still und leise einige Umwälzungen herbei. Er verkleinerte den Teeraum enorm und rüttelte damit an den Grundprinzipien der darauf basierenden ästhetischen Vorstellungen, indem er alles auf das Wesentliche reduzierte: einen Raum zur Zusammenkunft, eine Verbeugung vor der Natur, einen Teekessel und die wichtigsten Utensilien – eine Zeit für den Tee.

Mit etwas über drei Quadratmetern war Sen no Rikyūs intimer Teeraum weniger als halb so groß wie normalerweise üblich. Die winzigen Fenster reduzierten den Lichteinfall auf ein Minimum, sodass die Gäste mehr auf ihre anderen Sinne zurückgeworfen waren. Der Gastgeber und seine Gäste saßen so dicht beieinander, dass sie sich gegenseitig atmen hörten.

Rikyū ersetzte die teure Seladonvase durch ein Bambusgefäß und die kostspielige chinesische Schale durch eine des Fliesenherstellers Chōjirō.5 Er verwendete einen Schöpflöffel aus Bambus statt aus Elfenbein und nutzte einen bescheidenen Brunneneimer aus Holz anstatt eines extravaganten Wassergefäßes aus Bronze.

Außerdem wagte er den entscheidenden Schritt, sämtliche Utensilien zu Beginn der Zeremonie hereinzubringen und sie bei ihrem Ende wieder zu entfernen. Das hatte eine Klarheit und Schlichtheit des Raums zur Folge und ermöglichte es den Gästen, ihre Aufmerksamkeit auf die Zubereitung des Tees zu konzentrieren, auf die zarte natürliche Schönheit der sorgfältig ausgewählten saisonalen Blumen sowie die zum Nachdenken anregende lyrische Kalligrafie in der Nische. Das Hauptaugenmerk lag auf der gemeinsamen Erfahrung in diesem einen Augenblick.

Rikyū hatte damit die Teekultur auf einen Schlag von der Huldigung des Wohlstands zur Huldigung der Schlichtheit geändert. Und der Kontrast zu Hideyoshis Ästhetik hätte größer nicht sein können. Mutig hatte er sich von der Tradition und dem, was gemeinhin als erstrebenswert galt, abgewandt. In Zeiten der Entbehrung für die breite Masse der Bevölkerung wetterte Rikyū gegen die Kultur des Exzesses der herrschenden Klasse und brachte dabei die Ästhetik zurück zum Wesentlichen: zur einfachen, asketischen Schönheit, welche zum Nachdenken über die Natur des Lebens anregte.

Die Ursprünge von Wabi

Auch wenn Rikyū die Teezeremonie keineswegs erfunden hat, so hat er sie in seinen letzten Lebensjahren zurück zur Philosophie des Schlichten und der natürlichen Schönheit geführt, die im heutigen Japan noch immer Gültigkeit besitzt. Rikyūs Tee wurde bekannt als Wabi-Tee.

Wabi (welches 侘 oder 侘び geschrieben werden kann) bedeutet so viel wie »gedämpfter / zurückhaltender Geschmack«.6 Ursprünglich stammt das Wort vom Verb wabiru ab (侘びる – »sich sorgen, sich nach etwas verzehren«)7 sowie vom Adjektiv wabishii (侘びしい – »elend, einsam, arm«)8 und besitzt damit Anklänge an Armut, Unzulänglichkeit und Verzweiflung.

So kam es bereits viele Jahrhunderte vor Rikyūs Lebzeiten in der japanischen Literatur vor – beispielsweise im Man’yōshū (wörtlich: »Sammlung der zehntausend Blätter«) aus dem achten Jahrhundert, der ältesten existierenden Sammlung japanischer Lyrik, sowie in Kamo no Chōmeis berühmtem kurzen Werk Hōjōki (Aufzeichnungen aus meiner Hütte) von 1212 und in der Lyrik von Fujiwara no Teika (1162–1241).9 Erst mit Rikyūs Teezeremonie jedoch nahm Wabi die Bedeutung vom ästhetischen Wert des Schlichten an.

Ästhetisch betrachtet liegt die Schönheit bei Wabi in einer gewissen zugrunde liegenden Dunkelheit. Es ist die erhabene Schönheit inmitten der harten Lebensrealität. So schrieb der buddhistische Priester Kenkō vor sieben Jahrhunderten: »Sollten wir die Frühlingsblüten nur betrachten, wenn sie in voller Blüte stehen, und den Mond nur, wenn er wolkenlos und klar zu sehen ist?«10 Schönheit lässt sich nicht nur im Fröhlichen, im Lauten und im Offenkundigen finden.

Wabi impliziert eine gewisse Stille, und es übersteigt das Profane. Es bedeutet die Hinnahme dessen, was ist, und die Einsichten, die daraus folgen. Es lässt uns begreifen, dass sich die Schönheit stets irgendwo verbirgt, egal in welcher Situation wir uns befinden.

Wabi kann das Gefühl beschreiben, das durch das Erkennen des Schönen im Schlichten entsteht. Es ist die stille Zufriedenheit, die sich fernab der materialistischen Welt entdecken lässt. Der Geschmack hat sich im Lauf der Zeit gewandelt, und heutzutage gibt es jede Menge dekorative Teeutensilien in Japan, doch die Wertvorstellungen von Wabi sind Teil der Philosophie rund um den Tee geblieben.

Letztlich ist Wabi eine Geisteshaltung, die Menschlichkeit, Schlichtheit und Genügsamkeit als Wege zu Ruhe und Zufriedenheit begreift. Der Geist von Wabi ist eng verknüpft mit der Vorstellung, dass unsere wahren Bedürfnisse ganz einfach sind und dass wir voller Demut und Dankbarkeit gegenüber dem Schönen sein sollten, das in unserem Leben bereits existiert.

Die Ursprünge von Sabi

Sabi (welches 寂 oder 寂び geschrieben werden kann) bedeutet »Patina, antikes Aussehen, geschmackvolle Schlichtheit«.11 Dasselbe Schriftzeichen lässt sich auch mit »Stille« übersetzen.12 Das Adjektiv sabishii (寂しい) konnotiert »allein, einsam« oder »verlassen«.13 Matsuo Bashōs Haiku, die er im siebzehnten Jahrhundert verfasst hat und die von der ganzen Welt für ihre eindringliche Schönheit geliebt werden, waren von der Essenz von Sabi durchdrungen.

Außerdem gibt es ein Verb – sabiru (錆びる) –, das zwar ein anderes Logogramm aufweist, aber genauso gelesen wird. Es bedeutet »rosten«, »vergehen« oder »Alterungsspuren zeigen« und fügt dem Ganzen eine weitere Nuance bei.

Über die Jahre hat Sabi die Bedeutung einer tiefen und friedvollen Schönheit angenommen, die mit dem Fortschreiten der Zeit zum Vorschein kommt. Rein optisch nehmen wir sie als Patina, Verwitterung, Anlaufen und sonstige Altersspuren wahr.

Sabi ist ein Zustand, den die Zeit und nicht die Menschenhand kreiert, auch wenn er oftmals an hochwertigen Objekten sichtbar wird, die ursprünglich mit großer Sorgfalt angefertigt worden sind. Er spielt mit der kultivierten Eleganz des Alters. Er ist Schönheit, die sich im Verlauf von Nutzung und Abnutzung offenbart, wie etwa im müden Glanz des blank gewetzten Holzes eines vielgeliebten Bauernküchentisches.

In seinem streitbaren Klassiker Lob des Schattens hat der Autor Jun’ichirō Tanizaki beschrieben, wie die Japaner in Sabi das Schöne entdecken:

Wir besitzen keineswegs eine Abneigung gegen alles, was glänzt, jedoch ziehen wir den besinnlichen Schimmer dem geistlosen Leuchten vor, das düstere Licht, das den Schein des Antiken erkennen lässt … Wir lieben Dinge, welche Spuren von Schmutz, Ruß und Witterung aufweisen, und wir lieben die Farben und den Glanz, welche die Vergangenheit ins Gedächtnis rufen, die sie geschaffen hat.14

Auch wenn Sabi damit zu tun hat, wie der Lauf der Zeit sich rein physisch an den Gegenständen manifestiert, so deutet der tiefere Sinn – wie oft in der japanischen Ästhetik – auf etwas hin, das hinter der Oberfläche des jeweiligen Gegenstandes verborgen liegt. Es symbolisiert, wie die Dinge gedeihen und wieder zugrunde gehen und eine emotionale Reaktion in uns hervorrufen, die oft von Trauer geprägt ist, während wir über die Vergänglichkeit des Lebens sinnieren.

Der Sabi-Begriff des Schönen erinnert uns an unsere Verbindung zur Vergangenheit, an den natürlichen Kreislauf des Lebens und an unsere eigene Sterblichkeit.

Die Geburt von Wabi-Sabi

Das Wabi-Herz erkennt die Sabi-Schönheit, und die beiden gehören seit vielen Generationen zusammen.15 Ihre Lehren reichen Jahrhunderte zurück, als zusammenhängender Begriff jedoch ist Wabi-Sabi erst seit etwa einem Jahrhundert anerkannt, »um verstehen zu können, was sich hinter der japanischen Seele verbirgt«.16 Man brauchte also eine Bezeichnung für etwas, das die Menschen schon immer gekannt haben.

Wabi-Sabi liegt am Rande des Bewusstseins und ist zugleich tief im Herzen der Menschen beheimatet. Meine Freundin Setsuko, die mittlerweile in ihren Siebzigern steckt, meinte einmal, sie habe das Wort Wabi-Sabi noch nie laut ausgesprochen, bis ich sie danach fragte – obwohl es wesentlicher Bestandteil ihrer Identität ist und sie ein sehr gutes Gefühl dafür hat.

Wabi-Sabi übersteigt die Schönheit eines Objekts beziehungsweise einer Umgebung und bezieht sich auf das, was diese tief greifende Schönheit in uns zum Klingen bringt. Wabi-Sabi ist ein Gefühl, und es lässt sich nicht greifen. Was der eine unter Wabi-Sabi versteht, entspricht nicht dem, was ein anderer darunter versteht, denn wir erfahren die Welt auf unterschiedliche Art und Weise. Wabi-Sabi spüren wir, wenn wir in Kontakt mit dem Wesen echter Schönheit kommen – mit der unprätentiösen, unperfekten Schönheit, die genau deshalb umso größer ist. Das Gefühl wird durch die natürliche Schönheit hervorgerufen, die karge und schmucklose.

Am nächsten kommt dem die deutsche Sprache wohl mit dem Begriff des »ästhetischen Ergriffenseins«, doch selbst dabei geht es lediglich um die körperliche Reaktion, nicht um die tiefergehende Philosophie von Wabi-Sabi, die sich auf das Wesen des Lebens selbst bezieht.

Von Wabi-Sabi inspirierte Lebensweisheiten

Wabi-Sabi ist eng verknüpft mit der Art Schönheit, die uns an die Vergänglichkeit allen Lebens erinnert. Dies lässt sich auf die drei Daseinsmerkmale im Buddhismus zurückführen: Mujō (無常 Unbeständigkeit), Ku (苦 Leidhaftigkeit) und Kū (空 Nicht-Selbst, die Einheit allen Seins).

Die Lebensweisheiten, die wir aus Wabi-Sabi ziehen können und denen wir in diesem Buch nachgehen werden, haben ihre Wurzeln in den folgenden Gedanken:

•Die Welt erscheint in einem völlig neuen Licht, wenn wir sie mit dem Herzen sehen und erfahren lernen.

•Alles Sein, einschließlich des Lebens selbst, ist unbeständig, unperfekt und unvollendet. Die Perfektion ist daher ein Ding der Unmöglichkeit, und die Unperfektheit der natürliche Daseinszustand von allem, einschließlich uns selbst.

•Das Schlichte ist von großer Schönheit, Werthaftigkeit und Behaglichkeit.