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Ein schonungsloser Öko-Thriller. Die junge Journalistin Emmi sehnt sich zwischen Stress im Job und Beziehungskrise nach einer Auszeit. Stattdessen wird sie an den Ort einer Hochwasserkatastrophe gerufen, um von dort zu berichten. Doch vor Ort wird sie Zeugin mysteriöser Vorkomnisse im Wald. Unheimliche Männer in Schutzanzügen durchforsten das Dickicht. Und als der Forstaufseher ermordet wird, ist klar: Im Unterholz lauert Böses, und nicht nur Emmi läuft die Zeit davon ...
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Seitenzahl: 377
Veröffentlichungsjahr: 2025
Robert Preis wurde 1972 in Graz geboren. Nach dem Publizistik- und Ethnologiestudium in Wien lebt er heute mit seiner Familie wieder in der Nähe seiner Heimatstadt. Er ist Journalist, Autor zahlreicher Romane und Sachbücher und Initiator des FINE CRIME-Krimifestivals™ in Graz.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
© 2025 Emons Verlag GmbH
Cäcilienstraße 48, 50667 Köln
www.emons-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer
Lektorat: Julia Lorenzer
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-98707-232-1
Originalausgabe
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.
Für meine großartige Familie
Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.Achte auf deine Worte, denn sie werden zur Tat.Achte auf deine Taten, denn sie werden dein Schicksal.Was in Zukunft wächst, ist deine Saat …
»Das Leben bist du«, Udo Jürgens
Ohne Tod und Aussterben praktisch aller Lebewesen, die bisher gelebt haben, gäbe es uns nicht.
»Waldwissen«, Peter Wohlleben und Pierre L. Ibisch
Der Tag hatte sich wie Kaugummi angefühlt. Außerdem lag ein Knistern in der Luft, das Eva körperliches Unwohlsein verursachte. Sie war ausgelaugt und leer, hörte ihr eigenes Blut im Ohr rauschen und spürte, dass sich Kopfschmerzen anbahnten, die nur durch stundenlangen Schlaf zu verhindern waren.
Das war ihre Ausrede, die Kinder diesmal einfach vor den Fernseher zu setzen, anstatt gemeinsam zu Abend zu essen. Die Schwiegermutter hatte die beiden mittags vom Kindergarten abgeholt und den Nachmittag mit ihnen verbracht. Bei der Übergabe war Eva dann wortkarg gewesen. In Eile. Der Himmel war in düsterer Stimmung, baute kilometerhohe Wolkentürme und grummelte zornig vor sich hin. Eva hatte noch vor Ausbruch des Gewitters zu Hause sein wollen.
Sie gestaltete das Abendbrot für die Kleinen liebevoll. Die Streichwurstbrote unterteilte sie in mundgerechte Häppchen und verzierte sie mit Paprikastückchen und Essiggurken. Dazwischen lagen Gummibärchen als buntes Beiwerk auf den Tellern. Dazu gab’s je ein Glas kalten Kakao.
Ein freudig gedehntes »Ja-a« begrüßte sie im Wohnzimmer. Sie lächelte müde, setzte sich neben die beiden auf die Couch. Auf dem Bildschirm blökte »Shaun das Schaf«, und Eva fielen bald darauf die Augen zu.
Sie hatte nur kurz geschlafen, eine Minute vielleicht. Als sie die Augen wieder öffnete, hatte sich etwas verändert. Sie wusste nicht, was es war, aber das Gefühl nagte an ihr. Die Kinder glotzten selbstvergessen auf den Bildschirm und hatten kaum etwas von ihren Broten gegessen. Das Rauschen im Kopf war verschwunden. Nur der Fernseher und das leise Lachen der Kleinen durchdrangen die Stille.
Etwas stimmte nicht.
Eva stand auf, ging ans Fenster und legte die Handflächen an die kühle Scheibe. Sie suchte in der Dunkelheit einen Hinweis. Vergeblich. Nur Schatten. Aber da war doch noch etwas. Sie schloss die Augen und lauschte. Jetzt hörte sie es. Das Sirenengeheul der Feuerwehr drang an ihr Ohr.
Das war nichts Ungewöhnliches. Ein Fehlalarm oder ein harmloser Unfall, dachte sie zunächst, doch das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war, ließ sie nicht los. Die Kopfschmerzen kehrten wieder zurück.
Sie wollte ins Badezimmer gehen, um sich eine Tablette zu holen, hielt aber im Flur abrupt inne und fluchte. Sie spürte etwas Kaltes unter ihrem Fuß. Ihre Socken waren nass.
»Geh bitte, habt ihr schon wieder in der Badewanne geplanscht und alles überflutet?«
»Nei-in«, riefen die beiden fast unisono.
Eva runzelte die Stirn, denn sie bemerkte nun, dass die Wasserlache gar nicht aus dem Badezimmer kam. Sie folgte der Spur bis zur Haustür. Öffnete sie. Und erstarrte.
Gerade noch war »Shaun das Schaf« groß zu sehen, da fiel das Bild aus. Alles wurde von einem schwarzen Nichts verschluckt. Statt des Blökens war nur ein Grundrauschen aus dem Fernsehapparat zu vernehmen. Irgendwo in der Nähe rumpelte es, als wäre einer der riesigen Harvester, die hier manchmal auf dem Forstweg entlangfuhren, auf dem Weg in den Wald. Aber es war doch schon finster, da arbeiteten die normalerweise nicht mehr.
»Ma-ma. Das ist gemein. Der blöde Fernseher ist kaputt!«, rief der Junge, und seine zwei Jahre ältere Schwester stimmte ein. »Ja. Bitte mach, dass er wieder angeht.«
Durchs Fenster zuckte plötzlich ein greller Lichtschein, dem unmittelbar darauf ein lautes Krachen folgte. In diesem Moment stürmte Eva in den Raum. Sie brüllte die Kinder an, sie sollten aufstehen. Sofort. Eva lief zur Kommode, riss die Läden auf, hatte noch das surreale Bedürfnis, etwas einzupacken. Etwas, das Wert hatte. Reisepässe. Geld.
Ihr Herzrasen befeuerte ihre Kopfschmerzen. Ein seltsam lang gezogener Laut entkam ihr. Ausdruck unaussprechlicher Panik. Sie gab die Suche auf und stürmte, die beiden Kinder im Arm, durchs Haus. Im Vorzimmer rutschte sie aus und stürzte.
Sie rappelte sich hoch. Den Kindern war nichts passiert, aber sie weinten. Eva weinte jetzt auch. Sie stand an der offenen Haustür. Die Sirenen heulten ohrenbetäubend. Die ganze Welt schien zu brüllen. Nur Eva schwieg augenblicklich. Fassungslos starrte sie in die Schrecken dieser Nacht.
Das Unheil zog sie an wie die schwarze Magie eines Dämons. Denn was, wenn nicht Magie, hatte sie ausgerechnet in diesem Moment hierhergeführt? Und wer, wenn nicht ein Dämon, hätte einen derart perfiden Plan aushecken können?
Emmi Beinhart war eine Silhouette, die am Fenster des dreizehnten Stockwerks eines Büroturms stand und gebannt auf das nächtliche Wien starrte. Das Wochenende war zum Vergessen gewesen, vor allem nach Yvettes Ausbruch. Ihre Freundin hatte sich bei ihr ausgeweint, weil sie wieder einmal der Weltschmerz geplagt hatte. Ohne Alkohol ging das nicht, die Folgen spürte Emmi jetzt noch. Die abendlichen Lichter der Stadt schimmerten feierlich, und aus dem Flur waberte Udo Jürgens’ »Ich weiß, was ich will« zu ihr ins Halbdunkel. Die Redaktion feierte den Geburtstag ihres Starjournalisten August Schwarz, doch Emmi war alles andere als zum Feiern zumute. In ihr war es so dunkel wie die schweigenden Strömungen des Donaukanals, der jetzt schwarz wie Öl zu ihren Füßen lag.
Sie wollte nach Hause, doch es war immer irgendetwas. Entweder sie arbeitete bis spät in die Nacht, oder einer der Kollegen organisierte einen Umtrunk. Dabei wusste doch jedes Kind, dass die Medien gar nichts zu feiern hatten. In dem Chaos an Nachrichten, das ständig über Displays flitzte, waren recherchierte Artikel von hysterisch hinausgeplärrten Gerüchten kaum noch zu unterscheiden. August Schwarz war im Grunde nur eine gut gemischte Variante von beidem. In seinen Leitartikeln drehte er sich nach dem Wind, seine Berichte glichen allzu oft Kommentaren und waren einseitig. Mal forderte er die Politiker auf, endlich härter für den Klimaschutz einzustehen, dann wieder brach er eine Lanze für die Häuslbauer, die trotz aller Förderungen nicht das Geld hatten, um von heute auf morgen ihre Ölheizungen ausbauen zu lassen. In Wahrheit ging es ihm nie um Lösungen, er wollte als Berichterstatter keinen Beitrag leisten, um alles wieder ins Lot zu bringen. Im Gegenteil, er profitierte von einer Welt, die aus den Fugen geriet. Sie alle würden davon profitieren, schwadronierte er manchmal. Emmi konnte sich die Tiraden nicht anhören, denn es endete immer damit, dass August ihnen die Welt erklärte.
Außerdem hatte er eine regelrechte Marketingmaschinerie an seiner Seite. Willfährige Eiferer, die in ihm den Heilsbringer gegen den Untergang des Medienhauses sahen. Seine Visage steigerte die Quoten, und noch schrecklicher, als ständig mit ihr konfrontiert zu werden, fand Emmi seinen Spitznamen »Zack-Zack«. Er hatte ihn verpasst bekommen, weil alles immer so schnell gehen musste, wenn er das Ruder in die Hand nahm. Und tatsächlich riefen ihn die Leute im Haus genau so: August »Zack-Zack« Schwarz. Kein Scherz.
Der Punkt war, dass natürlich kaum jemand das Recht hatte, schlecht über »Zack-Zack« zu denken, geschweige denn zu sprechen, außer Emmi. Immerhin war sie nun schon seit einigen Monaten mit diesem Mann liiert. Ein Umstand, der ihr Ansehen bei manchen Kollegen nicht gerade gehoben hatte, denn sie wusste natürlich, dass sie sich das Maul über die junge, hübsche Aspirantin zerrissen, die sich den Star geangelt hatte, um selbst die Karriereleiter hochzuklettern. Die Wahrheit jedoch war, dass Emmi seinem Charme genauso erlegen war wie die meisten anderen. Sein überwältigendes Lachen, seine Klugheit und seine überragende Eloquenz hatten sie schlichtweg überrollt. Es war nicht so, dass sie von Anfang an in ihn verliebt gewesen wäre, sie hatte nur einfach seine Nähe genossen. Nein, falsch, sie war stolz darauf gewesen, in seiner Nähe sein zu dürfen. Und jetzt? Sie hörte seine Stimme durch die Wände der Redaktionsräume hindurch. Jetzt fand sie ihn einfach nur noch langweilig. Einen überheblichen Egozentriker, der sie zu einer Art Marionette gemacht hatte. Zu einem subalternen Anhängsel, das jeden Augenblick damit rechnen musste, fallen gelassen zu werden.
Sie rieb sich die Schläfen. Was für dumme Gedanken sie doch hatte. Was war nur los mit ihr? Und was machte sie hier noch?
Sie sollte sich irgendwo dort draußen in der Stadt vergnügen oder wenigstens mit einem Buch in ihrer Maisonettewohnung verkriechen. Sie musste wieder an Yvette denken. Vielleicht sollte sie zu ihr nach Hause fahren und nach dem Rechten sehen. Man konnte in Zeiten wie diesen doch nie wissen, wozu die Leute fähig waren.
Sie nahm einen langen Atemzug und presste die Luft geräuschvoll wieder hinaus. Im nächsten Moment wurde es stockfinster. Vor ihren Augen gingen die Lichter der Stadt aus. Völlige Dunkelheit umgab sie. Wien war verschwunden. Einfach weg.
Emmi klappte der Mund auf. Sie machte einen Schritt auf das Fenster zu. Zog die Augenbrauen zusammen. Blinzelte. Doch es blieb finster. Sie glaubte, das Hupen der Autos zu hören, obwohl das unmöglich war, weil die Fenster alle Geräusche der Außenwelt abschirmten. Dann erkannte sie, dass das Hupen aus ihr selbst kam. Es war das Blut, das in ihr rauschte und die Ohren zum Dröhnen brachte.
Die plötzliche Dunkelheit der Stadt war verwirrend und beängstigend zugleich.
»Emmi? Was machst du hier?«
Erschrocken fuhr sie herum. Sie erkannte die Silhouette von Simon Sandberg, der draußen auf dem Gang stand und vom Licht seines Handys theatralisch beleuchtet wurde. Von den anderen Redaktionsräumen drangen Johlen und aufgeregte Rufe zu ihnen herüber, und wer weiß, ob nicht die einen oder anderen Bürokollegen den Moment der plötzlichen Dunkelheit nutzten, um einander näherzukommen. Emmi selbst befand sich in einem der Büros, in die zehn Arbeitsplätze in zwei Fünferreihen gequetscht worden waren. Die Monitore wirkten wie glotzende schwarze Augen, Headsets lagen auf den Tastaturen. Es schwebte zudem ein seltsam süßlicher Klimaanlagenduft in der Luft, der die mannigfachen Körpergerüche des Tages noch nicht ganz absorbiert hatte.
Mit einem Mal wurde Emmi bewusst, wie merkwürdig das aussehen musste: sie allein in einem dunklen Raum, aus dem Fenster starrend, während anderswo gefeiert wurde. Fast unheimlich. Wenn jetzt ein Fenster offen stünde – wenn das überhaupt möglich gewesen wäre –, dann hätte man denken können, sie sei im Begriff, sich hinabzustürzen auf den asphaltierten Boden der Stadt.
»Das könnte ich dich auch fragen«, versetzte sie und zauberte damit einen amüsierten Ausdruck in Simons Gesicht. Wobei das nicht sonderlich schwer war, wenn man dessen Lachfalten und die stets zum Ansatz eines Schmunzelns geformten Lippen betrachtete. Simon Sandberg hatte die sechzig längst hinter sich, und man sah ihm an, dass er die Welt um sich herum nicht mehr ganz ernst nahm. Er hatte die Gelassenheit eines Pensionisten, und im Grunde war er das auch fast schon. Erst vor ein paar Tagen hatte der Redaktionsmanager der Zeitung – er schrieb seit Jahren keine Artikel mehr selbst, sondern teilte die Mannschaft ein, kümmerte sich um Organisatorisches und dergleichen mehr – zu seiner »Ausstand«-Feier geladen, und Emmi und die anderen waren bedrückt gewesen, da kaum vorstellbar war, wie es ohne Sandberg, das Gedächtnis der Redaktion, weitergehen sollte. Aber wie immer hatte Sandberg die kurz aufkeimende Melancholie mit seiner guten Laune weggewischt. Jeder sei schließlich ersetzbar. Alles fließe weiter. Mit solchen Sätzen überspielte er stets trübe Gedanken. Glas heben, zuprosten, weiter geht’s. Seinen stillen Nachsatz hatte nur Emmi hören können. »Je weniger Zukunft einem bleibt, desto weniger sollten wir die Zeit damit verplempern, zurückzuschauen.«
Sandberg neigte jetzt den Kopf, ließ seine Hände in den Hosentaschen verschwinden und kam näher. Die Gummisohlen seiner Schuhe raunzten auf dem Laminatboden.
»Sag schon, was hast du?«, blieb er beharrlich, und Emmi wunderte sich, dass er fragte.
»Sieh doch selbst«, erwiderte sie und machte eine ausladende Handbewegung. »Die Stadt. Sie ist völlig dunkel. Kein Licht, nichts. Auf einmal …«
Sandberg blickte sie besorgt an.
»Emmi …« Im Halbdunkel war die Freundlichkeit in seinem Gesicht nicht mehr zu erkennen, und in seiner Stimme schwang unüberhörbar Besorgnis mit. »Du solltest dich wirklich ausruhen.«
»Was? Aber sieh doch, das ist nicht …«, sie fuhr herum und schaute aus dem Fenster, »… normal.«
Das nächtliche Wien leuchtete wie eh und je. Ein pulsierendes Schimmern.
»Aber gerade eben war es doch noch stockdunkel gewesen«, hörte sie sich sagen. Sie merkte selbst, wie weinerlich das klang.
»Na und?«, sagte Sandberg. »Jetzt ist es ja wieder hell.«
Einen grotesken Atemzug lang fragte sich Emmi, wie es sich wohl anfühlte, den Verstand zu verlieren.
Wenig später saßen sie etwas abseits der Geburtstagsparty und nippten an viel zu starken Gin Tonics ohne Eis. Der Alkohol lähmte ihren Gaumen, und Emmi konnte nicht fassen, dass sie Sandberg soeben ihr Herz ausgeschüttet hatte. Sie hatte sich über ihre Rolle in der Redaktion beklagt, die eher darin bestand, Aussendungen zu kleinen Artikeln zu verarbeiten. Manchmal durfte sie auch Pressekonferenzen besuchen, die sonst niemanden in der Redaktion interessierten.
Sandberg hatte wieder sein typisches Lächeln aufgesetzt, das so wirkte, als könnte ihm niemand etwas vormachen. Aber es war nicht etwa so, als würden ihn die Beschwerden einer jungen Aspirantin amüsieren. Nein, im Gegenteil, er strahlte eine Freundlichkeit aus, eine Güte, die Emmi das Gefühl gab, gut aufgehoben zu sein. Ja, sie fühlte sich gut aufgehoben bei Sandberg. Er hatte etwas Väterliches an sich.
Sandberg hatte das mit dem angeblichen Stromausfall offenbar als eine leichte Verwirrung Emmis abgetan und war nicht weiter darauf eingegangen. Er lächelte immer noch, als er sagte: »Weißt du, manchmal denke ich, es wäre einfacher, wenn wir weniger wären.«
Emmi blinzelte. Was sollte das jetzt heißen?
»Na, ich meine, auf der Welt.« Und nach einer Pause fuhr er fort: »Dann bräuchten wir uns nicht zu fürchten vor solchen Stromausfällen. Dann würde der Strom ja in jedem Fall ausreichen.«
Jetzt verstand Emmi. Oder doch nicht. Egal. Sie zwang sich, ein freundliches Gesicht zu machen, und Sandberg tat es ihr gleich.
Mehrere Tische waren auf die Seite gerückt worden, und der freie Platz diente nun als Tanzfläche. Schwarz spielte Luftgitarre und wurde von zwei Kolleginnen angehimmelt und umtanzt wie ein Pfau. Die eine arbeitete in der Anzeigen- oder Werbeabteilung. Eine stets nach Douglas-Filiale duftende Rothaarige, die auf Schmuck stand. Die andere war Steffi, die Chefsekretärin, eine graue Maus, die bei Schlagermusik offenbar keine Hemmungen kannte. Oder es lag an August, denn sie versuchte sich immer wieder an dessen Hals zu hängen, was der durch geschickte Drehungen seiner Tanzeinlage jedoch stets abwehrte. Gut zwei Dutzend weitere Mitglieder der Redaktion standen um Stehtische und Computer herum, lachten, schwitzten und tratschten.
»Und was ist mit euch beiden? Kommt ihr klar?«
Emmi schaute zwischen Schwarz und Sandberg hin und her.
Sandberg schmunzelte. »Komm schon. Jeder weiß, dass er ein unmöglicher Kerl ist. Bist du glücklich mit ihm?«
Emmi starrte wieder in ihr Gin-Tonic-Glas und zuckte mit den Schultern. Eigentlich empfand sie Sandbergs Frage als ungebührlich, ja geradezu unverschämt. Warum sollte sie mit ihm über ihre Beziehung sprechen? Sie kannten einander viel zu wenig, um sich über solche Dinge auszutauschen. Andererseits hatte sie bei dem älteren Kollegen plötzlich ein verwirrendes Gefühl der Geborgenheit. Seine Nähe fühlte sich in diesem Augenblick an, als wäre er ein guter alter Freund. Dennoch wollte sie ihm nicht erzählen, wie gemein August oft sein konnte. Erst gestern hatte er am Telefon das vereinbarte Treffen am Abend abgesagt. Als sie sich darüber beklagt hatte, hatte er ihr vorgeworfen, naiv zu sein. Er war aufbrausend geworden und hatte ins Telefon gemault: »Es gibt Wichtigeres, siehst du das nicht? Die Welt brennt, und du denkst nur ans Fortgehen.«
Sie hatte den Fehler gemacht, sich auf die Debatte einzulassen. »Ach, wo denn?«, rief sie. »Wo geht sie denn unter? Das ist doch alles nur aufgebauscht.«
Sie konnte hören, wie er tief einatmete, um dann seinen Ärger wegzupusten. Aber es gelang ihm nicht ganz. »Also gut, dann hör jetzt genau zu: Hast du schon einmal etwas von der 2019 veröffentlichten Studie des Breakthrough National Centre for Climate Restoration gehört? Offenbar nicht. Also, diese Leute – und ich kann dir sagen, das sind nicht irgendwelche Typen, sondern solche, die sich wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzen –, diese Leute sagen, dass die Welt – und ich hoffe, das geht jetzt in dein kleines Hirn –, dass die Welt ab 2050 untergeht. Bis 2050 steigt die globale Erwärmung um drei Grad Celsius. Bis 2100 steigt der Meeresspiegel um zwei bis drei Meter. Fünfunddreißig Prozent der globalen Landfläche und fünfundfünfzig Prozent der Weltbevölkerung sind mehr als zwanzig Tage im Jahr tödlicher Hitze ausgesetzt. Mehr als eine Milliarde Menschen müssen aus der tropischen Zone umgesiedelt werden. Weltweit sind zwei Milliarden Menschen von Wasserknappheit bedroht. Landwirtschaft wird in den trockenen Subtropen unmöglich. Lebensmittel reichen nicht mehr für die gesamte Menschheit aus, und die Preise explodieren. Und du willst ausgehen? Du bist manchmal wirklich wie ein dummes Kind.«
Natürlich wusste er, dass er manchmal übers Ziel hinausschoss. Und natürlich wusste Emmi, dass er sich irgendwann dafür entschuldigen würde. Mit einer teuren Flasche Wein. Oder einem Surprise-Dinner in einem schicken Innenstadtlokal. Aber abgesehen davon, dass er diese Wiedergutmachungsessen ohnehin meist aus der Redaktionskasse finanzierte, hatte sie diesmal die Nase gestrichen voll.
Von wegen »dummes Kind«. Was glaubte er, wer er war? Seit Wochen tat August nichts anderes, als sich auf Katastrophen zu konzentrieren und schlechte Nachrichten zu verbreiten. Er bauschte alles auf, die »zunehmend besorgniserregende Wirtschaftslage«, das »mieseste Wetter seit Beginn der Aufzeichnungen«, drohende Pandemien, dazu Mord und Totschlag, Krisenherde auf der ganzen Welt, und betonte immer wieder: »Die Zahlen geben mir doch recht. Das wird gelesen. Die Leute brauchen das. Sie wollen das«, dabei wurde er selbst immer unausstehlicher. Als färbte all das Schlechte dieser Welt auf ihn ab.
»Ich weiß nicht«, sagte Emmi und merkte, wie sich ihr Blick trübte. Sie versuchte, die Tränen wegzublinzeln, und stellte den Gin Tonic beiseite. »Fragst du dich nie, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, hier zu arbeiten?«
Über Sandbergs Gesicht huschte Erstaunen. Er blähte die Backen, runzelte die Stirn und blickte dann aus schmalen Augen auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. »Du kannst Fragen stellen.«
»Du musst nicht antworten, wenn du nicht –«
»Nein, schon gut. Ich wurde gewissermaßen überrumpelt. Ich habe Chemie studiert. War eigentlich schon ziemlich weit, und nebenbei, in den Ferien und an den Wochenenden, habe ich mir etwas Geld bei der Zeitung dazuverdient. Dann kam plötzlich aus heiterem Himmel das Angebot einer Anstellung. Du weißt ja, wie schwer es ist, heutzutage in einem Medienhaus einen fixen Job zu bekommen. Da ist Geduld gefragt. Das war damals nicht anders. Das ist meine Geschichte. Das Studium hab ich schnell vergessen und lieber die Scheine gezählt.«
Sie lachten beide, und Emmi zog eine Schnute. »Chemie? Ernsthaft?«
Sandbergs Lächeln verschwand. »Ja. Und was ist mit dir? Wirst du bleiben, oder reißt dir bald der Geduldsfaden?«
Als wäre das ihr Stichwort, erhob sie sich. Sie merkte selbst, dass das viel zu abrupt kam. »Ich geh dann mal – auf die Toilette.«
Sandberg nickte. »Ich verstehe, du verziehst dich. Aber hoffentlich nur für heute.«
Natürlich war ihr klar, wie unhöflich sie in diesem Moment war. Da nahm sich ein Kollege Zeit, ihr zuzuhören und mit ihr über alte Zeiten zu reden, und sie brach das Gespräch einfach ab und lief davon. Aber es gab Dinge, für die sie keine Erklärung hatte. Momente, in denen sie sich selbst fremd war.
Emmi lief geduckt aus dem Raum und war erleichtert, dass niemand sie ansprach. Mit einer schnellen Handbewegung wischte sie sich eine Träne von der Wange. Sie glaubte, Schwarz zu hören, wie er ihr halbherzig etwas nachrief, aber da war sie schon um die Ecke verschwunden.
Eine Minute später rannte sie aus dem Büroturm in eine laue Nacht hinaus. Der Wind strich ihr zart durch die Haare. Plötzlich überkam sie eine unendliche Müdigkeit, die sie beinahe über einen losen Pflasterstein stolpern ließ. Einen Moment lang glaubte sie, ein Wispern aufzuschnappen, das ihr die Brise von irgendwoher zugetragen hatte. Es erinnerte sie an das Flüstern von Bäumen, was seltsam war, denn hier gab es gar keine Bäume. Weit und breit nicht. Schon lange nicht mehr. In der Stadt gab’s nur Ampeln, Häuser und Verkehrsschilder. Doch das Flüstern blieb.
Am nächsten Tag saß Emmi in einem Lokal im vierten Wiener Gemeindebezirk ganz in der Nähe des Belvederes und tippte mit den Fingern den Takt einer unhörbaren Melodie auf die Tischplatte. Da ihr in der Früh der Kopf gebrummt hatte, hatte sie sich krankgemeldet. Sie hatte sich jedoch rasch besser gefühlt, und so hatte sie beschlossen, mit ihrem Hund Raul, einem stets lustig hoppelnden Rauhaardackel, einen Spaziergang zu machen und bei dieser Gelegenheit ihre Mutter zu treffen. Das kurze Hochgefühl, dem täglichen Einerlei ein Schnippchen geschlagen zu haben, geriet aber bald in Vergessenheit, denn Emmis Mutter war am Telefon einsilbig und machte ihr klar, dass sie derzeit keine Kontakte zur Außenwelt haben wolle, aus Angst, sich mit einem der zahlreichen Viren anzustecken, die wie jedes Jahr um diese Zeit kursierten.
Die Ausreden ihrer Mutter wurden immer schlechter. Emmi stellte bedrückt fest, dass sie offenbar kein Bedürfnis hatte, ihre Tochter zu sehen.
»Oh, mein Kind«, gab ihre Mutter zurück, und die Schärfe in dieser Ansprache war nicht zu überhören, »ganz so ist es nicht. Aber ich habe das unbestimmte Gefühl, dass du mir wieder einmal dein Leid klagen willst. Über den Job bei der Zeitung und über deinen sogenannten Freund.«
»Mama …«
»Ist es nicht so? Weißt du, Emmi, in letzter Zeit nimmt das zu. Und ehrlich gesagt belastet es mich. Ich bin gern für dich da, aber ich finde, ich sollte auch da sein, um dir einmal die Meinung zu sagen. Dieser Schwarz …«
Die Tirade führte dazu, dass Emmi gar nicht mehr richtig zuhörte. Sie betrachtete ihre Umgebung, schweifte mit ihren Gedanken ab. Sie saß mit Raul zu ihren Füßen im Schanigarten, der im Grunde nur aus einigen schmucklosen Tischen am Gehsteig bestand, zog an ihrem gläsernen Trinkhalm und sah zu, wie der Bellini im Glas weniger wurde.
Außerdem dachte sie daran, dass sie August heute Morgen zweimal angerufen hatte, doch er hatte nicht abgehoben. Jetzt ärgerte sie sich über sich selbst. Wieso hatte sie das gemacht? Sie hatte es doch nicht nötig, einem Mann hinterherzurennen. Und schon gar nicht einem, der sich lieber selbst im Spiegel sah als seine Freundin.
»… das war schon immer so bei deinen Liebschaften. Sie zehren dich aus, und du merkst es gar nicht. Das ist auch bei diesem Schwarz so. Es geht mich ja nichts an, aber …«
Die Stimme ihrer Mutter im Hintergrund, schlürfte sie den Bellini aus. Ihr Blick fiel auf die Straße. Sie beobachtete ein seltsames Paar, das mit einem Einkaufswagen über den Parkplatz zum Auto rannte. Der Einkaufswagen war schwer beladen mit Klopapier, Mineralwasserkisten und irgendwelchen Konservendosen. Die beiden warfen die Sachen ins Auto, als raste ein Tsunami auf die Stadt zu. Emmi betrachtete die Fassaden ringsherum, deren gewaltige Fensterreihen Himmelsflecken widerspiegelten. Sie konnte keine Unwettervorboten in den Himmelsteilen entdecken, die die umliegenden Häuser freigaben. Als sie wieder zurückschaute, war das Auto mit den beiden weg. Nur der Einkaufswagen stand noch einsam auf dem Parkplatz und rollte ein paar Meter, bis er von selbst zum Stehen kam.
»Mama … wo bist du jetzt?«, unterbrach sie den Redeschwall ihrer Mutter.
»Zu Hause, wo denn sonst?«
»Ich meine, ist alles in Ordnung bei dir?«
Es dauerte eine Weile, bis ihre Mutter antwortete. Emmi glaubte zu hören, wie sie den Vorhang zur Seite schob und aus dem Fenster blickte.
»So in Ordnung, wie eine Welt, die bald vorüber ist, nur sein kann, Liebes«, antwortete ihre Mutter in einem plötzlich fast liebevollen Tonfall, der aber den mitschwingenden Zynismus nicht verbarg.
Emmi fand, dass sie wieder einmal einen Pessimismus an den Tag legte, der nicht angebracht war. Dass die Welt unterging, war eine Binsenweisheit. Natürlich würde sie das eines Tages tun. Sie wollte ihrer Mutter sagen, dass die Welt kanadischen Forschern zufolge frühestens 2290 unterging – mit fünfprozentiger Wahrscheinlichkeit. Andere Studien belegten, dass es fünfhundert Jahre später passieren würde. Aber Emmi hütete sich, ihrer Mutter jetzt mit Statistiken zu kommen. Zumal sie genau wusste, worauf sie anspielte: auf die Panikmache der Medien, die seit Monaten von nichts anderem mehr berichteten als von Wetterkapriolen, Ernteausfällen und Schäden in Milliardenhöhe, dazu Kriegen, politischen Krisen, Wirtschaftsdefiziten und kontinuierlich steigender Kriminalität auf den Straßen.
Und das Schlimme war, dass Emmi wusste, was das mit ihrer Mutter machte. Obwohl sie stets die Starke spielte, Lieder trällernd durch den Tag hopste, wusste Emmi, dass die Fassade nichts als dünne Haut war. Ihre Mutter weinte manchmal, wenn die Sonne unterging, und meist hatte sie dann schon so viel getrunken, dass sie sich in den Schlaf wimmerte. Emmi wusste, dass sie damit nicht allein war. Die ganze Siedlung, in der ihre Mutter wohnte, besoff sich beinahe täglich, während sich die Leute die neuesten Meldungen aus dem Netz vorlasen: Kriege, die immer näher zu rücken schienen, Krankheiten, die plötzlich aus dem Nichts auftauchten, dazu Sturmfluten, Dürren, Unwetter, Hagel, Orkane …
Kein Wunder, dass Emmi irgendwann das Weite gesucht hatte. Als junger Mensch mit einer so geballten Ladung negativer Energie belastet zu werden, konnte nur zum Rückzug führen. Sie hatte sich vorgenommen, ihre Mutter eines Besseren zu belehren. Und heuerte in einem Medienhaus an. Ausgerechnet.
Damals, vor zwei Jahren, als sie ausgezogen war, hatte sie fast alles in ihrem Kinderzimmer zurückgelassen. Ja, es war noch immer ein Kinderzimmer. Nur den Hund ihrer Mutter hatte sie mitgenommen, denn der Rauhaardackel hatte ihr leidgetan. An der ständigen Weltuntergangsstimmung musste ja sogar das treueste Wesen zugrunde gehen.
»Ich hab dich auch lieb, Mama.«
Ihre Mutter gluckste in den Hörer. »Na, das will ich doch hoffen, Süße! Das ist doch wohl das Mindeste, was man von dieser beschissenen Welt erwarten kann. Dass man lieb zueinander ist, nicht wahr? Obwohl, vom eigenen Kind hört man so etwas ja nur noch selten, aber das ist wohl normal heutzutage.«
Emmi seufzte tief. Wieder kam die zynische Seite ihrer Mutter zum Vorschein. Und die mochte sie am allerwenigsten.
»Ja, da hast du recht, Mama. Sag, willst du Raul eigentlich wieder einmal sehen?«
»Wen?« Und nach einer Pause fügte sie hinzu: »Tut mir leid, Liebes. Ich wollte dich nur ärgern.«
»Ach, die Welt geht unter, und du willst deine Tochter ärgern?«
»Sie geht sowieso unter. Egal, was wir tun oder lassen.«
Emmi ging so gebeugt zurück in ihre Wohnung, als bestünde die Gefahr, die grauen Betonwände der Stadt könnten jeden Moment auf sie einstürzen. Kalter Lärm drang auf sie ein, und die Einsamkeit umklammerte ihr Herz wie eine dürre Hexenhand. Als sie völlig erschöpft zu Hause ankam, beschloss sie, den restlichen Tag zu nutzen und genau das zu tun, was ihr in den letzten Tagen abgegangen war: auf der Couch liegen und ein Buch lesen, und zwar einen Roman, eine Geschichte, die von einer unbeschwerten Liebe handelte und in einer unbeschwerten Gegend in einer unbeschwerten Zeit spielte. Für dieses Vorhaben machte sie sich eine Tasse Thymiantee, denn wider Erwarten schien sich nun tatsächlich so etwas wie eine Erkältung einzustellen. Außerdem legte sie sich einen Krimi bereit, denn es konnte ja sein, dass ihr die unbeschwerte Liebesromanze irgendwann doch zu langweilig wurde.
Den Tee trank sie schnell, denn sie mochte ihn nur heiß, danach war die Konzentration plötzlich verschwunden. Sie klappte das Buch zu. Was war das gestern nur für ein merkwürdiger Tag gewesen? Und erst der Abend mit den verschwundenen Lichtern Wiens und diesem widerlichen Brunfttanz von August.
Emmi gab das Lesen schließlich auf und stellte sich stattdessen unter die Dusche. Manchmal half es gegen die innere Unruhe, sich einfach heißes Wasser auf den Kopf klatschen zu lassen. Sie legte den Kopf in den Nacken, strich sich das lange Haar aus dem Gesicht und schloss die Augen. Das warme Wasser fühlte sich gut an. Ein paar Sekunden lang. Dann versiegte der Strahl. Sie öffnete die Augen, und im selben Moment fiel ihr ein letzter Tropfen auf die Stirn.
Als sie sich abgetrocknet hatte, öffnete sie den Wasserhahn in der Küche und betätigte die Klospülung. In der Küche tat sich nichts, und nachdem das im Spülkasten gespeicherte Wasser verbraucht war, blieb auch die Toilette ohne Wasser.
Sie griff zum Handy und wählte einige Nummern. Ohne Erfolg. Das Netz war tot. Dann schaltete sie den Fernsehapparat ein. Vergeblich. Auch im Radio war nur ein Störgeräusch zu hören.
Was war denn hier los? Seit wann ging in Wien das Licht aus? Und seit wann brach das Handynetz zusammen, ach was, das gesamte Kommunikationsnetz? Und das Wassernetz?
Emmi öffnete die Balkontür und trat hinaus, obwohl ihr Haar noch nicht ganz trocken und die Luft schon kühl war. Sie hörte, wie die Leute auf der Straße fluchten. Irgendwo ging eine Alarmanlage an. Sie fühlte sich wie in einem Endzeitfilm. Sie zitterte, aber es war nicht wegen der Kälte.
Wenn einen Tausende Fragen marterten, war es am besten, an die frische Luft zu gehen. Das mochte in einer Großstadt zwar wie ein Widerspruch klingen, doch im Park waren wenigstens die Autos kaum noch zu hören. Emmi saß auf einer Bank, Raul ihr zu Füßen, als sich die Augenlider der alten Frau öffneten, die mit dicken Strümpfen, einem Walkrock und einer Strickweste bekleidet ebenfalls auf der Bank ruhte.
»Na, ist das schön, dass die jungen Leute einmal kein Handynetz haben. Da sitzen sie dann auch im Park und genießen die letzten Reste der Natur, solange sie noch da ist. Nicht wahr?«
Emmi wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, doch es hatte den Anschein, als erwartete die Frau gar keine Antwort von ihr. Bevor Emmi ihrem Impuls, aufzustehen, nachkommen konnte, sprach sie weiter.
»Meine Liebe, uns Alten hört ja keiner mehr zu. Aber wissen Sie was? Wir haben es gut. Wenn wir sterben, werden wir begraben. Wenn ihr sterbt, dann gibt es keinen mehr, der euch begräbt. Ihr sterbt nämlich alle gleichzeitig.«
Bei den letzten Worten war ihr die Alte ganz nahe gekommen. Ihr Atem stank nach Kuchen, und ihr Mund war ein schwarzes Loch, das die trockene Haut rundherum zum Knistern brachte.
Emmi sprang auf und verließ die Parkbank, ohne sich umzublicken.
»Hast du gehört?«, krächzte ihr die Alte nach. »Ihr sterbt alle gleichzeitig!«
Durch ihr Geschrei aufgeschreckt, flatterte eine Taubenschar aus einem Gebüsch und verlor sich in den Kronen der Kastanienbäume, deren welke Blätter im Dämmerungsgrau schimmerten. Wien kam Emmi mit einem Mal fremd und unwirklich vor. Wie eine Stadt der Geister.
Jugendliche jubelten ganz in der Nähe, doch Emmi blickte sich auch diesmal nicht um, um herauszufinden, ob sie wegen der Alten lachten oder wegen etwas anderem. Sie rannte jetzt beinahe durch den Park zurück nach Hause. Die Worte »Ihr sterbt nämlich alle gleichzeitig« hallten wie ein Mantra in ihrem Kopf nach. Drehten denn jetzt alle durch? Sie selbst auch?
Als Emmi ihre Gasse erreichte, hörte sie jemanden »Es geht wieder« rufen. Pfiffe ertönten. Irgendwo brüllten ein paar junge Männer wie bei einem Tor im Stadion.
Als Emmi in ihre Wohnung trat, liefen auf dem Bildschirm des Fernsehapparats Zombies hinter Brad Pitt her, und aus dem viel zu laut aufgedrehten Radio knallte die Stimme des Wetterfroschs. »Und morgen wird es wechselhaft. Aprilwetter im Oktober eben …«
Sie drehte die Stimme weg, schaltete die Zombies ab und ließ sich auf die Couch fallen. Raul, der sich in eine Ecke gelegt hatte, schaute sie aus großen braunen Augen an, als ahnte er etwas. Etwas ging tatsächlich vor. In der Stadt der Geister. Und in Emmi selbst. Und in diesem Moment beschloss sie, etwas zu ändern. Sie musste dringend hier raus. Aus der Wohnung. Aus ihrem Job. Aus der Stadt. Am besten aus sich selbst.
»Na, Raul, was sagst du? Verschwinden wir?«
Die Schiebetüren öffneten sich schmatzend, nachdem Emmi ihre Zutrittskarte gegen den Sensor gehalten hatte. Sie hatte ein seltsam wehmütiges Gefühl, denn ihre Entscheidung war gefallen. Sie würde die Karte in wenigen Minuten abgeben, sich bei den Sekretärinnen verabschieden und Sani einen Zettel auf den Tisch legen, denn die war bestimmt nicht da.
Sani, so nannten sie die Chefredakteurin Sandrina Kovacic, eine kleine Frau mit bombastischem Auftreten. In der Redaktion bekam man sie zwar selten zu Gesicht, weil sie meist in Sitzungen mit der Konzernführung oder dem Betriebsrat saß oder Interviews für TV-Stationen und Branchenzeitschriften gab. Emmi konnte sich auch nicht erinnern, jemals mehr als eine Handvoll knapper Sätze mit ihr gewechselt zu haben, und doch hatte sie stets das Gefühl gehabt, von ihr wahrgenommen zu werden. Zweifellos hatte Sani ihre Einflüsterer und Zuträger, den Redaktionsmanager, die Ressortleiter und die Mitglieder der Chefredaktion, zu denen auch August gehörte. Aber egal, der ganze Tross dieses Nachrichtenhauses konnte ihr gestohlen bleiben. Emmi war raus. Leer. Ausgelaugt.
Dennoch stellte sich nun eine Aufregung ein, die sie bisher selten erlebt hatte. Sie würde eine Erklärung abgeben müssen, die Kollegen würden Fragen stellen. Warum? Und was jetzt? So dumm das klang, Emmi hatte sich noch keine plausiblen Antworten, geschweige denn kurze, straffe Sätze, die ihre Entscheidung erläuterten, zurechtgelegt, so wie man das von Journalisten gewohnt war.
Sie huschte die lange Gangreihe entlang, an deren Ende sich Sanis Büro befand – hinter den Tischen zweier Sekretärinnen, die sie schon von Weitem mit flüchtigen Blicken erfasst hatten. Ob sie an ihrem Gang bemerkten, was Emmi vorhatte? Ihre Hände waren schwitzig, und sie wischte sich die Handflächen an den Jeans trocken. Komm schon. Einfach die Karte abgeben, ein paar Sätze wechseln, Sani die Hand schütteln, falls sie doch da war, und weg.
In den Glaskojen waren die Redaktionsräume untergebracht. In einem von ihnen hatte Emmi gestern Abend auf das nächtliche, kurzzeitig finstere Wien hinabgestarrt. Jetzt war viel los. In Augusts Büro – er hatte natürlich als einer der wenigen ein eigenes – saßen zwei Personen ihm gegenüber. Als Emmi vorbeilief, blickte er kurz auf. Seine Augenbrauen hoben sich, und er hob auch den Zeigefinger, wie man es machte, wenn man die Aufmerksamkeit eines Kellners erregen wollte. Doch Emmi reagierte nicht und verringerte ihr Tempo keineswegs. Sie ließ ihn einfach sitzen. Augusts Augenbrauen wirkten mit einem Mal bedrohlich.
»Ich müsste zu Sani«, sagte sie zu Steffi, einer der beiden Sekretärinnen. Sie war es, die sich gestern an Augusts Hals geklammert hatte. Man sah an ihren geröteten Augen, dass die nächtliche Sause länger gedauert hatte. Dass sie auch viel zu viel getrunken hatte, war an ihrer Stimme zu hören.
»Keine Chance«, sagte sie um eine Nuance tiefer als sonst. »Sie ist beschäftigt.«
»Es ist dringend.« Emmi hatte plötzlich das Bedürfnis, die Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
»Schätzchen, bei Sani ist alles dringend. Ich sagte doch, sie ist beschäftigt. Komm später wieder.«
Es gab eine unumstößliche Hierarchie in Redaktionen: Ganz oben stand der Chefredakteur, dahinter folgten seine Sekretärinnen. Das war auch dann nicht anders, wenn der Chefredakteur eine Chefredakteurin war. Sanis Sekretärinnen waren die Pufferzone, die wahrscheinlich auch dringend nötig war, um spontane Drängler wie Emmi in die Warteschleife zu schieben.
»Es ist aber …«
In diesem Moment tippte ihr jemand auf die Schulter, und als sie sich umdrehte, stand Sandberg vor ihr und lächelte entschuldigend. Sanis Tür hinter ihm war offen, die Chefredakteurin blickte munter zu Emmi herüber und winkte sie zu sich. Sandbergs Lächeln wirkte unsicher. Er schien überrascht. »Lustig, dass du vor der Tür stehst. Wir haben gerade von dir gesprochen.«
Emmi blickte irritiert zwischen ihm und Sani hin und her. Sie hatte keine Ahnung, was er meinte, und schob sich an ihm vorbei. »Sorry, ich muss zu Sani.«
Als sie das Büro der Chefredakteurin erreicht hatte und die Tür hinter sich schließen wollte, war Sandberg plötzlich abermals hinter ihr. Er übernahm das Türeschließen und wies Emmi an, sich auf eines der senffarbenen Sofas zu setzen, die um einen gläsernen Couchtisch gruppiert waren. Sani schaute abwesend auf ein Blatt Papier, nahm die Brille ab und kam um den Schreibtisch herum auf sie zu, ohne dabei den Blick von dem Schreiben abzuwenden.
»Das ist ja ein Zufall, dass du gerade zu mir wolltest, Emmi. Wir haben soeben von dir gesprochen, und ich habe Simon gebeten, dich zu holen. Hättest du etwas Dringendes gebraucht?«
»Ja, also ich wollte –«
»Weißt du was, sag es mir nachher. Vielleicht ist es ja nicht mehr so dringend, wenn du erfahren hast, was ich dir zu sagen habe.«
Konnte das sein? War das einer dieser berüchtigten Momente, von denen sie schon so oft gehört hatte? Wenn Sani Leute zu sich ins Büro holte, dann meist, um sie vor die Tür zu setzen. Alle wussten, dass diese Kündigungsgespräche eine Qual für sie waren, jedenfalls vermittelte sie nach außen hin diesen Eindruck, aber der Druck der Konzernspitze war in den letzten Monaten immer größer geworden, die Zahlen in den Bilanzen waren längst blutrot. Die einzige Lösung, die den Managern einfiel, um Kosten zu sparen, war, Personal zu reduzieren. Emmi dachte manchmal, dass sie das auch könnte. Zehnmal so viel Gehalt kassieren, um dann Leute zu entlassen.
Okay, Kündigung also. Das kam nun doch etwas unerwartet. Hatte Sani etwa bemerkt, dass Emmi sich seit Wochen in der Redaktion unwohl fühlte? In Zeiten wie diesen konnte man nur Mitarbeiter gebrauchen, die ganz bei der Sache waren. Sie verstand die Chefin sogar. So konnte es nicht weitergehen.
Emmi streckte den Rücken und saß stocksteif in dem Couchsessel. Sie würde die Nachricht mit Fassung tragen und ganz sicher nicht in Tränen ausbrechen. Sandberg machte immer noch ein entschuldigendes Gesicht. Was hatte er eigentlich damit zu tun? Warum war er auch da? Durfte er das überhaupt? Sollten solche Angelegenheiten nicht besser unter vier Augen geregelt werden? Nein, das ging natürlich nicht. Er war bestimmt als Zeuge geladen, das war seine Rolle. Heutzutage konnte man ja nie wissen, ob einer Kündigung nicht eine Klage folgte. Sani wollte sich absichern, sonnenklar.
»Emmi«, hörte sie Sani nun sagen, musste sich aber konzentrieren, um die nächsten Worte wahrzunehmen. Sie hatte so etwas wie eine Panikattacke. Soeben hatte sie zwar noch selbst kündigen wollen, aber rausgeworfen zu werden, das war etwas ganz anderes. Nicht gut genug zu sein. Nicht zu genügen. Die Mauer, die ihr ohnehin nicht gerade ausgeprägtes Selbstvertrauen umgab, bröckelte. Reiß dich zusammen.
»… bist du damit einverstanden?«
Emmi wurde rot bis hinter die Ohren. Sie hatte kein Wort mitbekommen. Sani und Sandberg wechselten vielsagende Blicke. Emmi entschuldigte sich, rieb sich die Nasenwurzel.
»Noch einmal, Emmi«, hob die Chefredakteurin an. »Traust du dir zu, Wien für einige Zeit zu verlassen? Wir brauchen dich an der Front.«
Jetzt verstand Emmi jedes Wort. Und kapierte trotzdem nichts. Das musste an ihrem Gesicht abzulesen sein.
»Ich möchte, dass du von der Unwetterkatastrophe im Höllgraben berichtest. Hautnah und bei den Menschen. Zwei, drei Tage direkt vom Ort des Geschehens. Von hier aus fehlt uns die Authentizität. Wir wollen Interviews, Analysen, nicht nur plumpen Betroffenheitsjournalismus, sondern mitfühlende und aufklärende Berichte. Ich dachte dabei an dich, weil ich der Meinung bin, dass du so weit bist.« Sani musterte Emmi, die sie mit offenem Mund anstarrte.
»Wenn du der Meinung bist, das wäre noch zu früh … Falls du dir das noch nicht zutraust, verstehe ich das natürlich voll und ganz. August steht Gewehr bei Fuß. Aber ich dachte, wir probieren mal etwas Neues. Na, was sagst du? Bist du bereit?«
In Emmis Kopf überschlugen sich die Gedanken. Gerade eben hatte sie noch kündigen wollen, dann hatte sie sich darauf eingestellt, gekündigt zu werden, und jetzt unterbreitete ihr die Chefredakteurin das Angebot einer Vor-Ort-Berichterstattung. Was für eine Wende. Was für eine Chance.
»Natürlich«, brachte Emmi gerade noch energisch genug über die Lippen. »Natürlich«, wiederholte sie. »Wann soll es losgehen?«
In Sanis Lächeln lag plötzlich etwas Gönnerhaftes. Sie wusste ganz genau, dass dieser Job ein Geschenk war, das man unmöglich ausschlagen konnte.
»Sofort«, antwortete sie. »Ich möchte, dass du uns noch heute Nachmittag den ersten Bericht übermittelst.« Sie schaute auf ihre Armbanduhr, eine schmucklose schwarze Laufuhr, die jeden Pulsschlag in eine Statistik lud, an der sie jederzeit ihren Fitnesszustand ablesen konnte. »Spätestens am Abend. Schaffst du das?«
»Natürlich«, sagte Emmi nun schon zum dritten Mal. Und wie um sich und Sani zu beweisen, dass ihr Wortschatz etwas umfangreicher war, fügte sie hinzu: »Ich werde dich nicht enttäuschen.«
Sanis Lächeln war augenblicklich verschwunden. »Selbstverständlich wirst du das nicht.«
Die kleine Pause, die entstand, nutzte Simon Sandberg, um räuspernd auf sich aufmerksam zu machen. »Ich habe dir auch einen Vorschlag zu machen, Emmi. Das Katastrophengebiet liegt ganz in der Nähe eines Dorfes, in dem ich ein kleines Wochenendhaus habe. Eine Hütte am Waldrand, nicht sonderlich komfortabel, aber in gutem Zustand. Ich möchte dir anbieten, dort für die Dauer deines Aufenthalts zu wohnen. Ich war schon lange nicht mehr da, und das Haus könnte es gut vertragen, wenn es wieder einmal beheizt würde. Und für die Zeitung … wäre es eine Ersparnis.«
Sani unterbrach die Sitzung, indem sie sich mit den flachen Händen auf die Knie schlug. »So. Ich muss jetzt leider weiter zum nächsten Termin – und du solltest dich auch auf die Socken machen. Ich bin froh, dass du das machst, Emmi. Alles Gute und grüß mir die Steiermark. Ein schönes Land …« Sie erhob sich. »Bleibt sitzen«, befahl sie. »Simon klärt dich über die Details auf, haltet bitte Kontakt zueinander. Alles klar?«
Emmi nickte. Als Sani bei der Tür war, drehte sie sich noch einmal um und wandte sich an Emmi. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, doch jemand auf dem Gang rief ihr im selben Moment etwas zu. Da verschwand die Chefredakteurin durch die Tür und war mit den Gedanken wohl schon wieder meilenweit fort.
»Steiermark?«
»Ja, der Höllgraben ist ein Graben, eigentlich eine Schlucht, nahe dem Dorf Rabenwald. In der nordöstlichen Steiermark. Urwaldgebiet quasi.« Simon Sandberg machte ein aufmunterndes Gesicht.
»Und dort wohnen Menschen?«
»Ja, die haben schon vor Jahrzehnten unter dem Staudamm gebaut. Ist an sich eine idyllische Gegend. Bis gestern.«
»Wem habe ich diesen Einsatz zu verdanken?«
Er schob die Unterlippe vor und machte ein unschuldiges Gesicht. »Da gibt es nichts zu danken. Du bist eine fähige Reporterin und sollst deine Chance bekommen. Das ist alles.«
Er erwiderte ihren forschenden Blick gelassen, strich sich die Hosenfalten glatt und schlug die Beine übereinander. »Konzentriere dich auf das Wesentliche. Angle dir so schnell wie möglich einen leitenden Beamten, der dir die Situation erklärt. Dann schnapp dir zwei, drei Betroffene. Und vergiss nicht, Fotos zu machen. Ein paar Videoschwenks. Und dann ziehst du dich ins Haus zurück zum Schreiben. Ach ja«, er holte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche, »hier ist der Schlüssel. Es ist eine Blockhütte, umgeben von einem Zaun, ein paar Apfelbäumen und einem Geräteschuppen. Mehr ist da nicht. Das Häuschen befindet sich am Ende des Dorfes, vorbei an der Taverne und dem Hauptplatz, bis die Straße zu einem Forstweg wird und in den Wald mündet.«
Emmi nahm den Schlüssel entgegen. »Und wo liegt das Dorf genau?«
»Wenn du in der Nähe des Höllgrabens bist, kannst du es praktisch nicht verfehlen. Ich würde dich aber trotzdem bitten, jemanden nach dem Weg zu fragen. Es gibt dort viele verwinkelte Straßen. Lass dir auf jeden Fall nicht zu viel Zeit im Katastrophengebiet. Wenn es dunkel wird, ist das Dorf noch schwerer zu finden.«
»Ich fahre also zum Höllgraben nach Rabenwald.« Emmi neigte abschätzig den Kopf.
»Exakt«, versetzte Sandberg. »Das Unglück ereignete sich in dieser Schlucht, in der eine Menge Häuser stehen, ganze Siedlungen. Das alles gehört zur Gemeinde Rabenwald, der Ort Rabenwald liegt aber etwas höher und soll von dem Unwetter nicht betroffen sein.«
»Hab ich WLAN im Haus?«
Sandberg nickte.
»Alles da. Sei unbesorgt. Es wird dir an nichts fehlen. Allerdings …«
Emmi machte ein fragendes Gesicht.
»Allerdings wirst du ein wenig Zeit brauchen, um mit den Menschen dort klarzukommen. Oder sie mit dir. Du musst Geduld haben. Sie leben in der Einschicht, am Rand der Welt, am Rand der Zeit. Da wird man manchmal sonderbar.«
Die Fragezeichen im Gesicht waren Emmi nun wohl noch deutlicher anzusehen. »Deine letzten Sätze verunsichern mich jetzt ein bisschen.«
Sandberg winkte ab. »Du wirst schon verstehen, was ich meine, wenn du erst mal dort bist. Aber es ist alles halb so wild. Vor allem der Wald wird dir gefallen. Ich sage immer, Rabenwald ist die Stadt der Bäume. Jetzt mach, dass du loskommst, Sani will ja noch heute einen ersten Bericht.«
Als Emmi sich verabschiedet hatte, blickte Sandberg ihr noch lange nach und seufzte. Dann griff er zum Telefon.
»Es wird jemand vorbeikommen. Eine junge, fähige Reporterin, die sich festbeißen wird … Ja, heute noch … Nein, sie wird nicht so leicht aufgeben … Keine Sorge … Aber du musst mir versprechen, dass du auf sie aufpasst. Wenn ihr etwas passiert, ist hier in Wien die Hölle los.«
»Hallo. Ich bin ein paar Tage weg. Sucht mich nicht. Ich komm bald wieder.«