Walk through HOPE - Felicitas Brandt - E-Book

Walk through HOPE E-Book

Felicitas Brandt

5,0

Beschreibung

Freundinnen für immer – Izzy und Lia sind seit Kindertagen unzertrennlich! Selbst nach Izzys Umzug bleibt ihre Freundschaft bestehen. Doch dann zieht sich Izzy plötzlich im Laufe eines Sommers immer weiter zurück und der Kontakt bricht beinahe ab. Besorgt und fest entschlossen, ihre beste Freundin zurückzugewinnen, reist Lia zu Izzy an die Ostseeküste. Dort, inmitten von Dünen und Meeresrauschen, trifft sie auf Milan, der nicht nur tiefe Narben im Gesicht, sondern auch auf der Seele zu tragen scheint. Ohne zu ahnen, dass Milans und Izzys Geschichte fest miteinander verwoben ist, kommen Lia und Milan sich näher. Doch die Vergangenheit wirft ihre Schatten voraus ...

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Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Super Fortsetzung! Kuhl wie bekannte Personnen und Neue zusammenfinden!
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FELICITAS BRANDT

WALKTHROUGH Hope

Die Bibelstellen sind folgenden Übersetzungen entnommen:Bibeltext der Schlachter. Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen.Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicherGenehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

© 2021 Brunnen Verlag GmbH, GießenLektorat: Carolin KotthausUmschlagfoto: shutterstockUmschlaggestaltung: Daniela SprengerSatz: DTP BrunnenISBN Buch 978-3-7655-2115-7eISBN E-Book 978-3-7655-7559-4www.brunnen-verlag.de

Widmung

Für Sissi, Steffi und Becca,heute, morgen und übermorgen.

Inhalt

1 Der Zug des Unaussprechlichen

2 Das Gespenst im Gewächshaus

3 Das blaue Haus

4 Ein unerwarteter Boxenstopp

5 Pizza gut, alles gut

6 Ein Sandwich und ein Job

7 Noch gibt es Hoffnung

8 Furchtlos

9 Backen statt brüllen

10 Ab jetzt Freunde?

11 Wahnsinn im Supermarkt

12 Cha-Cha-Cha und Erste Hilfe

13 Summer is coming

14 Gewitterzorn

15 Fluchtversuche

16 Ruinenmomente

17 Ein Freund liebt zu jeder Zeit

18 Pizzaschnecken-Bündnisse

19 Abwärts

20 Teeorgien

21 Muffinschlachten und Glücksgefühle

22 Flammen, Verzweiflung und Freunde

23 Date ohne Hindernisse

24 Was sind Träume?

25 Von Mistkerlen und Smoothies

26 Reunited

27 Vielleicht das Happy End

28 Komm, wir stehlen ein Boot

29 Lichterkettengefühle

30 Katastrophe im Anflug

31 We do it for the pizza

32 Ein letzter Abgrund

33 Lokki

34 Ein Königreich für eine Wärmflasche

35 Ansatzweise im Happy End

36 Missverständnisbeseitigungstherapie

37 Trotz all der Wolken und Regen …

38 … vielleicht doch der Sommer unseres Lebens

Epilog

Danksagung

1

Der Zug des Unaussprechlichen

Ich klappte mein Notizbuch zu, schob das beinahe bis zum Zerreißen gespannte Gummiband darüber und verstaute es behutsam in meinem Rucksack.

Ein Ruckeln ging durch den Zug, als er in irgendeine unsichtbare Kurve einbog, und ich umklammerte den Rucksack, während ich gleichzeitig versuchte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Lokrzpffx“ ertönte es wohlwollend aus dem Lautsprecher über mir und ich unterdrückte ein Seufzen – einfach, weil ich heute schon viel, wirklich sehr viel geseufzt hatte. „Dir auch“, murmelte ich stattdessen und starrte weiterhin auf mein Problem, das sich riesengroß und ziemlich unüberwindbar vor mir auftürmte. „Ausxpfz in Fahrtrixzz ioeutngs“, erwiderte die Ansage beinahe freudestrahlend und ließ mich einen nervösen Blick auf meine Uhr werfen. Noch vier Minuten bis zum Ausstieg. Eigentlich Zeit genug, um meinen Koffer zu schnappen und zur nächsten Tür zu eilen, dem Ende meiner fast siebenstündigen Reise quer durch Deutschland entgegen. Jenseits des Ausstiegs wartete eine Welt voll mit unverbrauchtem Sauerstoff, eine Welt, in der es heißen, köstlichen Tee gab und diese verrückte Sache namens Beinfreiheit.

Aber zwischen mir und dieser Welt stand mein Koffer. Beziehungsweise der Mensch, der meinen Koffer ganz oben auf die Gepäckablage gewuchtet hatte und damit außerhalb der Reichweite meiner 1,60 m.

Noch drei Minuten bis zum Ausstieg.

„Brauchst du vielleicht Hilfe?“

Ich wirbelte zu der Stimme herum und bemühte mich, den jungen Mann hinter mir nicht zu freudig anzustrahlen, was mir angesichts der Tatsache, dass er mich um ein gutes Stück überragte, ziemlich schwerfiel. „Hilfe wäre toll! Ich muss hier raus und ich komme nicht an meinen Koffer heran“, sprudelte es aus mir heraus, gefolgt von einem hektischen Deuten, als wäre es nicht auch so offensichtlich, dass ich hier ein Problem hatte. Mein Gegenüber wirkte unter seiner kunstvoll zerzausten blonden Mähne eine Spur amüsiert. Er trug ein weißes Hemd, das ziemlich zerknittert aussah, aber es stand ihm irgendwie, als wäre er für Hemden geboren.

„Was darf’s denn sein?“, fragte er und musterte die Auswahl. „Spießigen Businesskoffer oder buntes Ungetüm?“

„Einmal Ungetüm bitte.“

Er nickte und reckte sich nach meinem Koffer. Noch zwei Minuten bis zur Ankunft – ich spürte, wie mir der Schweiß ausbrach! „Lokrzpffx“, flötete es aus der Ansage. Im nächsten Moment wurde mein Koffer vor mir abgestellt und mein neuester Held fuhr sich durch die Haare, was den Zustand seiner Frisur erklärte. Eine leichte Röte lag auf seinen Wangen. „Es sind ein paar Bücher drin“, sagte ich entschuldigend.

„Natürlich“, nickte er. „Und keine überflüssigen Schuhe oder Klamotten.“

„Wie könnten Schuhe denn überflüssig sein?“, gab ich unschuldig zurück. „Danke für die Hilfe.“

Er grinste mich breit an. „Bleibst du länger?“

Ich hob die Schultern. „Das wird sich noch zeigen.“ Möglicherweise würde ich auch gleich heute Abend den Zug zurück nach Frankenberg nehmen, falls mir mein genialer Plan um die Ohren flog. Durch die von Graffiti verunzierte Scheibe konnte ich bereits das Gleis sehen. Noch eine Minute bis zum Ausstieg. „Ich geh dann mal. Vielen Dank für deine Hilfe!“

„Gern geschehen.“ Er sah aus, als würde er noch etwas sagen wollen, doch ich wandte mich beinahe fluchtartig um und hastete zur Tür, gerade als der Zug zum Stehen kam. Ein riesiger Griff ragte vor mir auf, dekoriert mit wohl hilfreich gemeinten Pfeilen und Linien. Einen Moment erstarrte ich, packte dann beherzt zu und schob. Der Riegel gab ein höchst empört klingendes Quietschen von sich – und rührte sich kein Stück. Mit all meiner von Panik gesteuerten Kraft, nie wieder aus diesem Zug herauszukommen und auf ewig mit labberigen Sandwiches und unverständlichen Ansagen hin und her fahren zu müssen, stemmte ich mich dagegen und endlich gab der Riegel nach. Die Tür zur Freiheit schwang auf!

Ich warf meinen Koffer förmlich auf den Bahnsteig und hechtete hinterher, mitten hinein ins grelle Sonnenlicht. Ein kühler Wind umarmte mich stürmisch und wehte mir meine provisorisch zusammengeknotete Langstreckenzugfahrerfrisur ins Gesicht. Ich brauchte einen Moment, um mich zu orientieren, doch da ließ auch schon das energische Schrillen einer Trillerpfeife mein Trommelfell vibrieren.

Ein weiteres Mal ergriff ich die Flucht und rollte meinen Koffer auf die Treppen zu, plötzlich von einer schnatternden Schulklasse umschlossen, spülte es mich einfach hinaus vor das kleine Bahnhofsgebäude. Und da lag es vor mir: Lokvard – ein kleines Städtchen am Rande der Ostsee und die Heimat meiner besten Freundin Izzy. Für einen Moment bildete ich mir ein, das Salz des Meeres schon riechen zu können, doch eigentlich roch es eher nach Waffeln.

Ich beschattete meine Augen und sah mich nach einem Hinweis für den Taxistand um. Vergeblich. Etwas gebremst in meinem Enthusiasmus wanderte ich von links nach rechts und wieder zurück, bis ich schließlich einen älteren Herrn ansprach. „Entschuldigung? Wo finde ich denn hier ein Taxi?“

„Um diese Zeit gar nicht, junge Dame. Das Taxiunternehmen gehört den Schmidts und Libby holt gerade ihre Tochter von der Schule ab. Das wird eine Weile dauern, bis sie wieder auf Tour ist. Die Nummer steht dort vorne, Sie können ihr ja eine Nachricht hinterlassen. Ich empfehle Ihnen, im Waffelhaus zu warten. Heute ist Kirschtag.“ Er tippte sich freundlich an die Mütze und zog seines Weges.

Entmutigt ließ ich mich auf dem Bordstein nieder und studierte für einen Moment das Grau des Asphalts jenseits meiner Schuhe. Ich hatte die Option eines fehlenden Taxis nicht bedacht, denn bei meinem letzten Besuch war ich mit einer Mitfahrgelegenheit hergekommen. Ein Blick auf mein Handy und Google Maps verriet mir, dass es bis zu Izzys Haus ein ganz schönes Stück zu Fuß war. Und das mit Koffer und Rucksack … Ehe die Verzweiflung ihre spitzen Finger nach mir ausstrecken konnte, hielt eine schwarze Limousine vor mir und mit einem Sirren wurde das hintere Fenster heruntergelassen. „Warum so mutlos, Koffermädchen?“ Der Hemdträger lächelte mich mit einem breiten Zahnpastalächeln an. „Hat man dich sitzen gelassen?“

„Ich wollte ein Taxi nehmen, aber –“

„Um die Zeit hast du da schlechte Karten.“ Er musterte mich für einen Moment und stieß dann die Tür auf. „Na, komm. Frank und ich fahren dich, wohin du willst.“

Misstrauisch sah ich ihn an, während ein Funken Hoffnung in mir aufkeimte. „Frank?“

„Der Chauffeur meines Vaters. Er hat hier auf mich gelauert, damit ich auch ja zu Hause ankomme.“ Seinem Grinsen fehlte plötzlich jegliche Freude. „Aber keine Sorge, er fährt sehr anständig, ganz im Gegensatz zu mir.“

Ein wenig steif rappelte ich mich auf und hielt den Griff meines Koffers fest umklammert.

„Nicht zu Fremden ins Auto steigen, Emilia!“, mahnte mich die Stimme meiner Mutter. Aber hatte ich denn eine Wahl? Vorsichtig näherte ich mich dem Beifahrerfenster, das in diesem Moment herunterglitt. Auf dem Fahrersitz saß ein Mann mittleren Alters in einem schicken dunklen Anzug, ergrauten Haaren und kleinen Falten um die Augen, der mich freundlich anlächelte.

„Ist er ein Serienkiller?“, fragte ich und winkte mit dem Daumen zur Rückbank.

„Nicht, wenn ich dabei bin“, erwiderte der Mann höflich. „Wenn Herr Lenz es wünscht, werde ich Sie gerne an ein Ziel Ihrer Wahl bringen.“

„Ich muss zu dieser Adresse.“ Ich reichte ihm mein Handy und er studierte Google Maps für einen Moment mit der Miene eines Profis, ehe er mir mein Handy zurückreichte. „Ich weiß, wo das ist. Darf ich Ihr Gepäck in den Kofferraum räumen?“

„Bleib nur sitzen Frank, ich mache das schon.“ Zahnpastalächeln stand plötzlich neben mir und sah mir tief in die Augen. „Na, was sagst du, Koffermädchen? Stürzen wir uns in ein Abenteuer?“

Ich blickte Hilfe suchend zu Frank, der mich beruhigend anzulächeln schien. „Meine Eltern haben nicht viel Geld. Eine Lösegeldforderung wäre absolut nicht dienlich“, stieß ich hervor.

Erst als Frank ein Lachen als Husten tarnte, wurde mir klar, dass ich das gerade laut gesagt hatte.

„Keine Sorge, mein Bankkonto schreit momentan nicht nach der Entführung einer schönen jungen Dame.“ Zahnpastalächeln zwinkerte mir zu und löste behutsam meine Finger vom Griff des Koffers. „Hüpf rein.“ Er wuchtete das Ungetüm ohne sichtliche Anstrengung ins Innere des Wagens und reichte mir galant die Hand.

„Moment noch!“ Ich hob mein Handy, schoss ein Bild von Frank, seiner Begleitung und vom Nummernschild des Wagens. Die Bilder schickte ich an meine Mutter mit der Nachricht:

Hab eine Mitfahrgelegenheit. Wenn ich mich in einer halben Stunde nicht melde, schick die Kavallerie.

Mit klopfendem Herzen stieg ich in den Wagen, der duftete, als hätte er eben erst den Autohändler verlassen. Die Autotür schloss sich mit einem Rums und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Zahnpastalächeln beugte sich zu mir und berührte sanft meine Hand. „Hey, Koffermädchen, schau nicht so. Niemand tut dir was! Ich bin übrigens Raik.“

„Lia“, erwiderte ich und griff nach dem Anschnallgurt, während Frank den Wagen anrollen ließ. „Emilia Winters, aber Lia reicht völlig.“

„Freut mich sehr, Lia.“ Raik ließ sich in seinen Sitz zurückfallen und öffnete ein kleines Fach. „Süß oder salzig?“

„Süß“, bat ich und wurde mit Schokokeksen belohnt, während Raik selber eine Tüte Brezeln aufriss. Ich winkte mit meiner Packung fragend zu Frank, doch der lehnte mit einem Kopfschütteln ab. Unter leisem Geknusper strich die Landschaft an uns vorbei.

„Also Lia“, Raik sah mich an. „Was führt dich zu unserem bescheidenen Fleckchen Erde?“

„Ich besuche eine Freundin“, gab ich zurück und versuchte, dabei ganz locker zu klingen. „Ich habe ein paar Tage frei und dachte, ich nutze die Chance.“

„Schön, Mädelszeit. Am Strand liegen und Cocktails schlürfen. Das klingt gut.“ Raik nickte zustimmend und ließ das Thema fallen. Ich atmete auf, erleichtert, dass er es dabei beließ. Denn die Wahrheit konnte ich ihm ja schlecht sagen.

Hi, ich bin Lia und ich bin hier, um den wichtigsten Menschen in meinem Universum zurückzugewinnen, weil sie nicht mehr auf meine Nachrichten antwortet!

2

Das Gespenst im Gewächshaus

Das Haus, das irgendwann zu unserer Linken auftauchte, war das erste seit bestimmt zwei oder drei Minuten. Ein Traum aus Blau und mit hellen Fensterläden hob es sich von der Küste ab. Im Hintergrund war das Meer zu sehen, gesäumt von weißen Wellenkämmen. „Das ist es!“ Meine Stimme stockte ein wenig. Ich war wirklich hier! „Sie können mich hier rauslassen.“

Raik, der sich bis eben auf seinem Sitz gelümmelt und von seinem Handy Musik abgespielt hatte, saß plötzlich ganz still da und betrachtete das blaue Haus, vor dem wir jetzt anhielten. Etwas lag in seinem Blick – etwas, das mich an Furcht erinnerte. „Alles okay mit dir?“, fragte ich verunsichert.

„Ich … Du …“ Er fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht, als könnte dies die Spuren seiner Gefühle einfach fortwischen. „Warum bist du noch mal hier?“

„Ich besuche meine Freundin.“

„Und wie heißt die?“ Seine Stimme gewann an Schärfe und ich widerstand nur mühsam dem Drang, vor ihm zurückzuweichen.

„Warum willst du das wissen?“

„Antworte mir, Lia!“ Seine Hand schnellte vor und packte mich am Arm. Sein Griff war viel zu fest. „Was willst du hier? Woher kommst du? Haben sie dich geschickt? Ist das hier eine kranke Fortsetzung oder –“

„Raik, du tust mir weh!“, sagte ich deutlich in seinen völlig konfus klingenden Wortschwall hinein. „Raik!“

In diesem Moment öffnete der Chauffeur, der nach hinten gegangen war, um meinen Koffer zu holen, die Wagentür und blickte zu uns hinein. „Ist hier alles in Ordnung?“

Raik ließ mich los, als hätte er sich verbrannt. Seine Wangen waren bleich geworden. Stumm kletterte ich aus dem Auto, sprang neben Frank zu Boden und brachte damit Abstand zwischen Raik und mich. Meine Beine zitterten. „Vielen Dank fürs Herbringen, Herr –“

„Frank genügt“, fiel mir der Chauffeur ins Wort. „Und es war mir ein Vergnügen.“ Er reichte mir die Hand und schob mir dabei eine Visitenkarte zwischen die Finger. „Wenn Sie noch einmal von irgendwo nicht wegkommen, rufen Sie mich gerne an.“

„Vielen Dank“, erwiderte ich perplex und schob die Karte in meine Hosentasche.

„Brauchen Sie Hilfe mit dem Koffer?“

„Nein, danke. Das schaffe ich schon.“

„Dann wünsche ich Ihnen eine schöne Zeit hier bei uns.“ Frank nickte mir zu, richtete sein Jackett und ging zurück zur Fahrerseite. Zögernd sah ich zu Raik, der aus dem Wagen zu mir spähte. Seine Haarspitzen hingen ihm kläglich wild in die Stirn. „Es tut mir leid, Lia.“ Er hielt mir die Kekse entgegen. „Es ist mit mir durchgegangen.“

„Und was genau?“, fragte ich, nicht bereit, mich von einem hübschen Gesicht einfach abspeisen zu lassen.

Er schüttelte den Kopf. Die Geste wirkte viel zu müde für jemanden, der nicht viel älter sein konnte als ich. „Das ist kompliziert.“

„Okay … Danke jedenfalls fürs Herbringen, Raik“, sagte ich, als keinem von uns irgendwelche anderen Worte einzufallen schienen. Dann griff ich demonstrativ nach meinem Koffer und drehte mich um.

Nach nur wenigen Schritte hörte ich, wie der Motor ansprang und sah, wie der Wagen in einer eleganten Kurve über die Straße rollte, um in die Richtung zu verschwinden, aus der wir gekommen waren.

„Wow“, flüsterte ich und richtete den Blick gen Himmel. „Das war ja mal gar nicht unheimlich, nicht wahr?“ Ich schleppte meinen Koffer die Einfahrt hinunter und zur Haustür.

Alles war still.

Aber kein Wunder – Izzy war vermutlich auf der Arbeit und ihre Eltern waren vor etwas mehr als einem Jahr nach Ruanda gegangen, um dort beim Bau einer Schule zu helfen. Seitdem wohnte sie hier allein. Ihre Eltern lebten schon seit etwa drei Jahren hier an der Küste, Izzy war erst später zu ihnen gezogen, als sie ihren Job verloren und nach einiger Zeit keinen neuen gefunden hatte. Das war nur ein paar Monate vor der Ausreise gewesen.

Hier in Lokvard hatte Izzy sofort bei einer Floristin anfangen können und war dort, soweit ich wusste, überglücklich.

Doch die Entfernung nach Izzys Umzug war nicht leicht für uns gewesen, spontane Besuche waren schwierig geworden, zumal sich meine Arbeitszeiten zu dieser Zeit immer mehr in die Länge gezogen hatten. Wir hatten trotzdem versucht, uns über Skype auf dem Laufenden zu halten – aber auf eine seltsame Art und Weise war der Kontakt eingeschlafen. Und darum war ich jetzt hier!

Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich auf die blühende Außenanlage, die eindeutig Izzys Handschrift trug: Dünengras, Oleander, Rosen – es gab nichts, was unter ihren Händen nicht wuchs und gedieh und selbst jetzt in den ersten Tagen des Mais, die sich noch etwas kühl anfühlten, waren schon farbenfrohe Blüten zu sehen. Ich ging zur Haustür und klingelte – nur um sicherzugehen. Doch nichts rührte sich.

Also bückte ich mich zu den Blumentöpfen an der Tür hinunter. Aus Izzys Erzählungen wusste ich, dass sie hier einen Schlüssel versteckt hatte. Ein plötzliches Rascheln ließ mich aufsehen und bereits im nächsten Moment schoss etwas um das Haus herum genau auf mich zu und flog mir förmlich in die Arme! „Twix!“, rief ich und der große Australian Shepherd mit den leuchtend blauen Augen bellte zur Bestätigung, während er schwanzwedelnd über mich herfiel. Sein Fell war an Brust und Bauch schneeweiß, während im Rücken noch Grau und Schwarz hinzukamen. Zusammen mit einigen braunen Stellen war er eine bunte Mischung aus Fell und Farben – und für mich einfach der schönste Hund der Welt. „So viel zu der Frage, ob du dich wohl noch an mich erinnern wirst“, lachte ich und ging unter dem Ansturm beinahe zu Boden. „Hallo, mein Hübscher.“

Ich versuchte Twix ausgiebig zu streicheln, doch er sprang so aufgeregt um mich herum, dass ich ihn kaum zu fassen bekam. Sand rieselte aus seinem Fell und seine Beine waren nass. „Warst du wieder am Strand?“, fragte ich ihn und brachte ihn endlich dazu, sitzen zu bleiben. Twix liebte den Strand und tobte trotz seines steigenden Alters durch flaches Wasser und Wellen. Ich wusste, dass Izzy ihn nicht im Haus einsperrte, wenn sie zur Arbeit ging, sondern er die Möglichkeit hatte, sich auf dem Grundstück zu bewegen – und das grenzte nun mal an den Strand. Mir bereitete der Gedanke irgendwie Unbehagen, aber Izzy war sich ihrer Sache sicher. Sie hatte mehrfach Fremde gebeten, am Strand vorbeizugehen und Twix mit sich zu locken, doch er hatte sich nie beirren lassen. Also blieb ihm sein Privileg erhalten.

Ich fand den Schlüssel, öffnete die Tür und stellte meinen Koffer in den Flur. Ein seltsamer Geruch, den ich nicht ganz einordnen konnte, kam mir entgegen. „Izzy?“, rief ich versuchsweise ins Haus. „Bist du zu Hause?“

Als mir nichts als Stille, durchbrochen vom Hecheln eines freudigen Hundes, antwortete, schulterte ich meinen Rucksack, nahm mir eine bereithängende Leine vom Haken und trat wieder nach draußen. Dann zog ich die Tür sorgfältig zu und versteckte den Schlüssel erneut. „Kommst du mit, Izzy suchen?“, fragte ich Twix, der wie ein Flummi zur Einfahrt hinüberschoss. Das hieß dann wohl Ja.

Im Ortskern von Lokvard tummelte sich das Leben, hervorgelockt von dem herrlichen Wetter. Verlockende Düfte hingen in der Luft und besonders die Auslage einer Eisdiele machte es mir ganz schön schwer, mich auf meine Mission zu konzentrieren. Die Bilder, die mich umgaben, taten ihr Übriges. Kleine Häuschen mit bunten Fensterläden und weißer feiner Sand auf den Gehwegen – es war, als wäre ich auf der Szenerie einer Postkarte gelandet, und ich verliebte mich mit jeder Sekunde mehr!

Das Vergissmeinnicht lag an einer belebten Ecke. Dutzende Blumensträuße reckten ihre bunten Köpfe in Richtung Sonne. Wie aus dem Hinterhalt begann mein Herz zu klopfen. Gleich würde ich Izzy wiedersehen und ich hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde. Twix drückte sich an meine Beine, als könnte er meine Sorge spüren. „Schon gut, mein Hübscher“, murmelte ich und tätschelte seinen Kopf. „Gleich wissen wir, woran wir sind.“

Ein kleines Glöckchen ertönte, als ich die Ladentür öffnete. Drinnen war nicht sehr viel Betrieb. Eine Dame mittleren Alters mit einem freundlichen Gesicht sah zu mir herüber, in den Händen einen bunten Strauß. „Kann ich … Twix?“ Der Hund trabte zu ihr herüber und stieß ihr vertrauensvoll die Schnauze gegen das Bein. Erstaunt sah sie mich an. „Haben Sie ihn hergebracht? Er ist kein Streuner und eigentlich folgt er auch niemandem …“

„Oh nein, nein, ich weiß!“ Hastig trat ich auf sie zu und streckte ihr mein Handy entgegen, in dessen Hülle ein Foto von Izzy und mir steckte. „Ich bin eine Freundin von Izzy. Twix kennt mich, wir haben ihn damals zusammen gefunden. Sehen Sie? Ich bin –“

„Lia.“ Die Frau lächelte mich so strahlend an, als wollte sie mich im nächsten Moment umarmen. „Ich weiß, wer du bist. Izzy hat dieses Foto auch in ihrem Handy. Sie hat mir nicht erzählt, dass du herkommst, sonst hätte ich ihr doch freigegeben …“

„Sie weiß es gar nicht.“ Ich zog die Schultern hoch und fühlte mich seltsam. „Es war ganz spontan und ich wollte sie überraschen.“

„Ah.“ Verständnis leuchtete in ihrem Gesicht auf. „Na, dann geh nur nach hinten. Izzy muss dort irgendwo sein. Der Hund kennt den Weg. Und sag ihr, sie kann gerne für heute Schluss machen, damit ihr euer Wiedersehen feiern könnt.“

Als hätte Twix jedes Wort verstanden, lief er schwanzwedelnd los in den hinteren Bereich des Ladens und auf eine Schwingtür zu. Dahinter lagen ein gepflasterter Innenhof und ein penibel angeordnetes Labyrinth aus Tischen, auf denen die unterschiedlichsten Pflanzen und Gestecke auslagen. Es roch frisch nach Gräsern und Blüten. Ja, das hier war definitiv ein Platz, an dem Izzy sich wohlfühlen würde.

Mein Herz begann wieder, wie verrückt zu klopfen. Ich freute mich, meine beste Freundin wiederzusehen, wir waren viel zu lange getrennt gewesen! Aber ich hatte auch Angst – Angst davor, dass sie mich nicht hierhaben wollte, weil irgendetwas im letzten Sommer geschehen war, das sie verändert hatte.

Während ich noch grübelte, kam Twix zurück und stieß auffordernd die Schnauze in meine Hand. Anscheinend war ich ihm nicht schnell genug. „Ist ja gut“, lachte ich unwillkürlich und erntete einen amüsierten Blick von einem Mann mit einem Kaktus in der Hand. „Ich komme ja schon.“ Ich hastete dem Hund hinterher, der zielstrebig nach rechts abbog. Am Ende eines langen Ganges, links und rechts gesäumt mit kleinen Bäumen, von denen ich glaubte, dass man sie Bonsai nannte, hockte eine junge Frau vor einer beeindruckenden Palme. Die langen blonden Locken hatte sie auf dem Kopf zu einem Knoten aufgetürmt und mit einem bunten Band fixiert. Sie trug eine grüne Schürze und farblich passende Gummihandschuhe, die ihr fast bis zu den Ellenbogen reichten. Ein Streifen Erde zierte ihre Schläfe. Als Twix auf sie zurannte, schaute sie auf und lächelte verwirrt – und dann fand ihr Blick mich. Für einen Moment schien die Zeit völlig stillzustehen. Izzys Augen, die aussahen, als hätte man ein Stück karibikblaues Wasser eingefangen und in ihr schmales Gesicht gesetzt, weiteten sich ungläubig. „Lia?“

„Hey.“ Ich formte etwas mit meinen Lippen, das womöglich als Grinsen hätte durchgehen können, und trat zögernd einen Schritt nach vorne. „Überraschung.“

Stumm starrte sie mich an und ich versuchte, die Gefühle auf ihrem Gesicht zu deuten. Außer purer Verblüffung fand ich dort aber nichts. Ehe ich irgendetwas sagen konnte, sprang Izzy plötzlich auf und flog mir im nächsten Moment schon um den Hals. „Ich fasse es nicht, dass du hier bist!“, wisperte sie an meinem Ohr und drückte mich so fest, dass ich glaubte, meine Rippen knacken zu hören. Reflexartig umarmte ich sie und stellte erschrocken fest, dass sie abgenommen haben musste – meine Arme passten viel zu leicht um sie herum.

„Ich wollte mal nach dir sehen“, murmelte ich zurück und drückte sie so fest ich konnte, während der Geruch nach Erde und Blumen mich einhüllte. „Ich habe dich vermisst!“

„Ich habe dich mehr vermisst.“ Ich glaubte, Tränen in ihrer Stimme zu hören, und als Izzy sich von mir löste, glänzten ihre Augen. „Aber wie … ich meine … wie kannst du einfach hier sein?“

„Zwangsurlaub. Im Madeleine gab es wohl einen Wasserschaden.“

Izzy riss die Augen auf und grinste breit. „Hat die schleimige Schnecke vergessen, den Wasserhahn zuzudrehen? Oder sind bei einem seiner Divenanfälle zu viele Tränen geflossen?“

„Hey!“, lachte ich. „Du bist gemein.“

„Gemein? Der Typ ist gemein! Ich bin gar nichts dagegen.“ Izzy streichelte Twix, der um uns herumhüpfte und an unserer Wiedersehensfreude teilhaben wollte. „Warst du schon am Haus?“

„Ja, ich wollte erst nachsehen, ob du da bist und meinen Koffer irgendwo lassen. Twix hat mich begrüßt.“ Ich lächelte auf den Hund hinunter. „Er sieht großartig aus.“

„Er ist mein großer Schatz.“ Izzy lächelte ebenfalls, doch ich bemerkte die Ringe unter ihren Augen und die Erschöpfung in ihrer Haltung. Sie hatte wirklich abgenommen und ihr Haar wirkte stumpf. Als sie die Handschuhe abstreifte, kam ein abblätternder Nagellack hervor. „Okay, also ich muss heute bis fünf bleiben, aber ich kann dir –“

„Oh nein, musst du nicht!“ Ich grinste breit wie der Weihnachtsmann. „Die nette Dame vorne, die, wie ich vermute, deine Chefin ist, hat dir den Rest des Tages freigegeben.“

„Oh!“ Izzy strich sich überrascht die Haare zurück. „Okay, dann …“ Unentschlossen sah sie zurück zu der Palme und dem Eimer voll Erde, an dem sie eben hantiert hatte. „Dann gib mir fünf Minuten, um hier aufzuräumen, und dann treffe ich dich draußen, ja?“

„Klingt nach einem Plan. Aber hau nicht wieder durchs Klofenster ab!“, neckte ich sie und dieses Mal glitt doch ein anderes Gefühl über ihr Gesicht.

Wehmut.

Izzys Schultern sackten ein winziges Stück herab, ihr Lächeln verrutschte. Mit einer vagen Geste, die alles und doch nichts bedeuten konnte, schnappte sie sich ihre Sachen und ging davon. Ich stand da, als hätte mich ein plötzlicher Regenschauer erwischt, während Twix winselte und seine Schnauze gegen meine Hand drückte. Beinahe reflexartig streichelte ich seinen Kopf und sah seufzend auf den Hund hinab. „Ach Twix, du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich mir wünschte, du könntest sprechen. Dann würdest du mir erzählen, was hier los ist, nicht wahr? Das wäre so einfach.“ Twix jaulte leise, sein Schwanz schlug auf den Boden – zu mehr Sprache war er leider nicht fähig. Ich würde selber herausfinden müssen, was mit meiner besten Freundin passiert war. Und das, bevor mein Arbeitsplatz seinen Schwimmbadstatus verlor!

3

Das blaue Haus

„Warum zupfst du so an dir rum?“ Izzy sah mich von der Seite an. Sie schob ihr Fahrrad neben mir her, während Twix mit flatternden Ohren um uns herumlief. Solange wir in der Innenstadt gewesen waren, hatte sie mir eine Führung gegeben, doch jetzt konnte ich das blaue Haus schon erahnen.

„Lach nicht, aber ich habe seit Ewigkeiten keine Jeans mehr getragen. Also zum Einkaufen und für den Weg zur Arbeit schon … Aber im Restaurant immer Arbeitskleidung.“ Unsicher steckte ich die Hände in die Hosentasche. „Sehe ich irgendwie seltsam aus?“

„Du siehst wunderbar aus, Lia. Im Ernst, ich habe keine Ahnung, wie du es schaffst, in so einem noblen Schuppen zu arbeiten und nicht zehn Kilo zuzulegen. Ich würde immer nur naschen!“

Ich lachte auf. „Die Gäste werden sich bedanken, wenn nur halb gefüllte Teller auf ihren Tischen landen. Und Arnoud würde mir die Finger abhacken! Einmal ließ ein Gast einen Teller zurückgehen, weil er meinte, er hätte etwas anderes bestellt. Einer der Hilfsköche hat sich eine Krokette vom Rand geschnappt und gegessen.“

„Oh oh!“ Izzy sah mich aus großen Augen an. „Hat er ihn skalpiert?“

„Eher filetiert, zumindest beinahe.“ Ich schauderte bei dem Gedanken an den Wutanfall, den mein Chef an diesem Tag bekommen hatte. „Das war wirklich unschön. Der arme Kerl arbeitet auch nicht mehr bei uns.“

„Kann ich mir vorstellen“, schnaubte Izzy. „Arnoud ist ein Monster. Ich verstehe nicht, wie du es schon so lange mit ihm aushältst.“

„Ach, er ist nicht immer so“, verteidigte ich den kauzigen Küchenchef. „Er hat auch gute Seiten.“

„Hast du nicht erzählt, dass er euch im ersten Jahr der Ausbildung nur den Müll hat rausbringen lassen? Und Tische putzen durftet ihr. Sonst nichts.“ Izzy rief die Worte über die Schulter, während sie ihr Fahrrad in der Einfahrt einfach an die Hauswand lehnte und in ihrer Tasche nach dem Haustürschlüssel zu kramen begann.

„Na ja, zusehen ist ja auch wichtig“, sagte ich vorsichtig und erinnerte mich daran, wie sehr ich mich im ersten Jahr aufgeregt hatte. „Ich habe da schon viel gelernt.“ Izzy sah mich an, eine Augenbraue hochgezogen, und ich seufzte. „Schön, na gut, es war ätzend und manchmal ist es das noch. Trotzdem ist Arnoud ein Genie und das Madeleine ein wunderbares Restaurant. Und er beachtet mich viel mehr als früher. Bestimmt kriege ich bald mehr Verantwortung und dann ist alles wunderbar.“

Izzy sagte nichts, aber ich konnte schon an der Haltung ihres Kopfs erkennen, dass sie mir kein Wort glaubte. Sie schubste die Haustür auf und ich folgte ihr ins Innere. Achtlos flogen ihre Schuhe unter die Garderobe, die Jacke landete auf dem Haken, nur um nach wenigen Sekunden Richtung Boden zu rutschen. Ich fing sie auf, hängte sie fein säuberlich mit meiner auf und wunderte mich ein bisschen. Izzy war eigentlich eher ordentlich.

„Wow!“ Meine beste Freundin schaute auf meinen Koffer hinunter. „Wie lange, hast du gesagt, willst du hierbleiben?“

„In dem kleineren war zu wenig Platz“, verteidigte ich mich. „Ich habe dir einen Granatapfelessig mitgebracht, den du lieben wirst, aber die Flasche ist eben recht groß. Und außerdem hatte ich gehofft, auf dem Heimweg etwas von deiner Salatkräutermischung mitnehmen zu dürfen. Meine ist schon vor fast vier Wochen ausgegangen.“

„Stimmt, das hattest du geschrieben“, sagte Izzy gedankenverloren. Nur ein kleiner Satz, ganz alltäglich. Aber bei mir schlug er ein wie eine Bombe. „Also liest du meine Nachrichten doch?“ Ich sah an der Art, wie Izzy sich versteifte, dass wir unsicheres Terrain betraten. „Du hast kaum geantwortet, Iz“, sagte ich leise und wünschte, sie würde mich ansehen. „Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht.“

„Für so was hast du doch gar keine Zeit. Arnoud beschäftigt dich Tag und Nacht.“

Ihre Worte trafen mich wie kleine Hagelkörner, die aus großer Höhe auf mich herabstürzten. Es tat weh. „Das ist nicht fair.“

„Nein.“ Izzy schüttelte den Kopf und das Lächeln auf ihrem Gesicht war so zersprungen wie die Teetasse, die ich bei meinem letzten Besuch hier hatte fallen lassen. „Das ist es wohl nicht.“ Sie trat weiter in den Flur und rieb über die Blätter einer großen Pflanze. „Lass uns das nicht jetzt tun. Komm erst mal an. Weißt du noch, wo dein Zimmer ist?“

Ich war nicht sicher, ob ich das Friedensangebot annehmen sollte oder nicht. Ich war hier, um Izzy zur Rede zu stellen, um sie zurückzubekommen. Doch ich spürte, dass sich, wenn ich sie jetzt bedrängte, der Abgrund zwischen uns nur noch vergrößern würde. „Du meinst das vom letzten Mal? Darf ich es wiederhaben?“

Izzy verdrehte die Augen und sah mir endlich ins Gesicht. „Lia, ich habe dir doch gesagt, dass es deins ist.“

Ich flüchtete mich in ein lässiges Schulterzucken. „Na ja, aber vielleicht hat dein Dschungel die Macht übernommen.“

„Entschuldige, wer von uns hat noch mal die Hälfte seiner Klamotten weggeworfen, weil ihr der Platz für ihre Kochbücher ausgegangen war?“ Izzy schnappte sich meinen Rucksack und begann die Treppe zum Obergeschoss hinaufzusteigen.

„Ich habe aussortiert!“, rief ich ihr hinterher und beeilte mich, ihr mit meinem Koffer zu folgen. „Das hatte überhaupt nichts miteinander zu tun!“

„Aber klar doch.“ Izzy spähte über das Geländer zu mir herunter, während ich mich abmühte, im Knick, den die Treppe machte, nicht einer weiteren Pflanze in die Quere zu kommen. „Bisschen schwerer als ein Kochtopf, hm?“

„Schwerer als deine Gänseblümchen auf jeden Fall“, spottete ich und folgte ihr in den langen Flur hinauf, an dessen Ende meine Freundin gerade eine Tür öffnete.

„Hättest du was gesagt, hätte ich gelüftet!“

„Ich werd’s wohl überleben“, brummte ich und trat ein. Der Raum war die pure Definition von Gemütlichkeit! Die bunte Tagesdecke auf dem Bett hatte Izzys Mutter für mich genäht. Den Kleiderschrank hatten wir in der gleichen Farbe lackiert, wie sie auch der zerknautschte Sessel hatte, nämlich Himmelblau mit ein ganz bisschen Grün darin. Wir hatten ewig für die richtige Nuance gebraucht und ich hatte noch drei Tage später Farbe in meinen Haarspitzen gefunden. Aber das Schönste waren die Flügeltüren neben einer riesigen Palme, die Izzy gerade öffnete. Sie führten hinaus auf einen kleinen Balkon, von dem man direkt aufs Meer sehen konnte. Ich eilte an Izzy vorbei und legte die Hände auf das von der Sonne erwärmte Geländer. „Ich habe dich vermisst“, flüsterte ich dem Meer zu. Die kleinen Schaumkronen auf den Wellen hüpften lustig auf und ab und schienen mich näherzuwinken. Später, versprach ich ihnen.

„Ich werde dir noch etwas Hübsches hierherstellen“, überlegte Izzy laut, drehte sich um sich selbst und prüfte dann die Erde einer rankenden Pflanze, die auf der Fensterbank stand. „Frische Bettwäsche ist im Bettkasten und wenn dir sonst noch etwas fehlt, sag Bescheid oder nimm es dir einfach. Hier sind nur wir beide und mich stört es nicht, wenn es nicht gerade mein Kopfkissen ist.“

„Und dabei hätte ich das doch am allerliebsten“, blödelte ich und strich über den weichen Sesselbezug. „Deine Eltern sind also wirklich noch in Ruanda? Ich war mir nicht hundertprozentig sicher.“

„Jep, unterwegs, um die Welt zu retten.“

„Und wann kommen sie zurück?“

„Keine Ahnung, es gab Schwierigkeiten in dem Dorf, wo sie sind. Die Regenzeit hatte die Straßen unpassierbar gemacht und sie mussten lange auf das Material warten. Und wegen der entstandenen Schäden haben einige der Arbeiter nun an ihren eigenen Häusern genug zu tun und können nicht helfen. Sie wollten eigentlich nächsten Monat herkommen, haben das aber verschoben, weil die Fluggesellschaften gerade wieder streiken.“ Izzy hob die Schultern. „Sturmfrei, Darling. Das ist es doch, wovon alle träumen, oder?“

„Vermutlich“, erwiderte ich vorsichtig und setzte das Thema auf die Liste der potenziellen Fettnäpfchen. „Mein Traum ist gerade eine Woche Urlaub. Und keine Fische ausnehmen müssen. Es sei denn, du bestehst darauf.“

„Heute nicht.“ Izzy schüttelte angewidert den Kopf und ging zur Tür. „Wir belassen es erst mal einfach bei Fischstäbchen.“

„Oh, ja klar“, rief ich und ging ihr nach. „Oder wir teilen einfach mit Twix das Hundefutter, wie wäre es damit?“

Der Hund bellte, als er seinen Namen hörte, und erwartete uns schwanzwedelnd am Fuß der Treppe. Wieder fiel mir dieser seltsame Geruch auf, aber Izzy schien nichts zu merken. „Lia, ich habe es dir schon tausend Mal erklärt. Deine Abneigung gegen Fischstäbchen ist albern! Und wag es ja nicht mit der Multivitaminsaft-Thematik anzufangen, hörst du?“

Ich stieß ein undefiniertes Brummeln aus, streichelte Twix und strebte dann an Izzy vorbei, die gerade kritisch eine Pflanze mit hängenden Blättern ins Visier nahm.

„Ich bin am Verhungern“, verkündete ich über die Schulter und betrat die wohl schönste Küche der Welt: blau lackiertes Holz, helle Arbeitsflächen, ein liebevoller Landhausstil und ein Ofen, der nur so darum bettelte, benutzt zu werden! Dazu kamen eine riesige Anzahl von Blumentöpfen, in denen jedes Küchenkraut wuchs, dessen Samen Izzy je in die Finger bekommen hatte.

Außerdem fand ich hier auch die Quelle des merkwürdigen Geruchs: Schmutziges Geschirr stapelte sich im Spülbecken sowie auf beinahe jeder freien Fläche und neben dem Mülleimer lagen mehrere Pizzakartons. Ein noch halb volles Exemplar lag auf der Kücheninsel. Es tat mir in der Seele weh, diesen wunderbaren Ort so vernachlässigt zu sehen, und in Gedanken suchte ich bereits nach Putzzeug.

„Tut mir leid, ich bin in letzter Zeit nicht wirklich zum Aufräumen gekommen.“ Izzy kletterte auf einen der Barhocker am Thekenbereich der Kochinsel. Ihre Wangen färbten sich leicht rosa und erleichtert erkannte ich etwas von meiner alten Izzy in ihr.

„Viel los gewesen?“, fragte ich möglichst harmlos.

„So ungefähr“, murmelte sie.

Einen Moment lang wartete ich auf eine weitere Erklärung, doch da keine kam, verlegte ich mich auf das, was ich wesentlich besser konnte, als Geheimnisse aufdecken. „Ich räume einfach etwas auf und mache uns was zu essen, okay?“

„Ich fürchte, ich habe nicht sehr viel da.“

„Macht nichts, wie wäre es mit einem Omelette?“ Ich öffnete den Kühlschrank und blickt überrascht in gähnende Leere. „Oh.“

„Mhm ja“, sagte Izzy hinter mir. „Wie ich schon sagte, ich habe nicht viel da. Du kannst die Pizza haben, ich habe ohnehin nicht so viel Hunger. Auf Arbeit gab es heute Kuchen.“

„Izzy, du hast nichts hier drin, wirklich gar nichts, von was lebst du denn?“

„Von dem, was drin war, bevor ich ihn leer gegessen habe.“ Izzy kicherte und zog ein Stück Pizza aus dem Karton. Nach einem Bissen legte sie es jedoch zurück. „Ich glaube, von der lässt du doch lieber die Finger. In der Vorratskammer sind bestimmt noch Nudeln. Wäre es okay, wenn ich ein Bad nehme? Der Tag war hart. Falls du keine Lust auf Kochen hast – an dem Brett da vorne hängt die Nummer vom Lieferservice.“

Verdutzt folgte ich ihrem ausgestreckten Finger und entdeckte einen bunten Pizzaflyer auf einem Korkbrett, gleich neben einem Foto ihrer Eltern.

„Bestell dir, was du möchtest und für mich einfach das Gleiche oder so. Aber nimm nichts mit Pilzen, von denen ist mir schon zwei Mal schlecht geworden.“ Sie rutschte von ihrem Hocker, gab Twix, der neben ihr gelegen hatte und jetzt schwanzwedelnd aufsprang, einen Kuss auf die Schnauze und verschwand im Flur.

„Izzy …“, sagte ich verwundert, aber sie reagierte nicht. Ihre Bewegungen waren müde und ich spürte, wie sich eine schwere Hand um mein Herz legte und es zusammendrückte.

Meine Izzy war nicht müde, sie war nie müde! Meine Izzy war die, die mich im Urlaub in aller Früh aus dem Bett schleifte, um mit mir den Sonnenaufgang anzusehen, und meine Izzy war die, die mich zwang wach zu bleiben, damit wir auch den Sonnenuntergang beobachten konnten. Meine Izzy war bunt und fröhlich, sie wirbelte und sprühte vor Leben. Und meine Izzy würde sich niemals tagelang von Pizza ernähren und einen leeren Kühlschrank haben! Sollte ich ihr nachgehen? Und dann was? Ihr ein Gespräch aufdrängen, gleich heute Abend? Seufzend schob ich den Gedanken beiseite. So würde ich bei Izzy nicht weiterkommen …

Leise winselnd kam Twix zu mir herübergeschlichen. Ich ließ mich auf dem Boden nieder, zog den Hund in meine Arme und genoss das Gefühl seines weichen Fells zwischen meinen Fingern. Noch etwas, das ich vermisst hatte. Wie schon Dutzende Male zuvor griff ich an den Anhänger meiner Kette und fuhr mit dem Daumen über die gravierten Wörter: Be strong and courageous. Es war aus einem Bibelvers abgeleitet, den ich sehr liebte – Sei stark, und dein Herz fasse Mut. Die Kette hatten meine Eltern mir vor einigen Jahren geschenkt und sowohl sie als auch die Worte waren seither meine treuen Begleiter, die mir halfen, immer wieder Mut zu fassen. Und so auch jetzt. Ich krempelte die Ärmel hoch und machte mich daran, die Küche zu retten. Der Rest der Welt musste für heute Abend warten.

Milan

Die Sonne erhob sich majestätisch über der Welt und streckte ihre Strahlen nach seinem Gesicht aus. Um Milan herum war es still. Vom Meer her waren zwar ein paar Möwen zu hören, doch sonst war da nichts außer dem Rascheln des Grases unter seinen Füßen und dem Geräusch des Windes.

Sein Magen grummelte leise und Milan seufzte. Eins der Ponys war wieder einmal ausgebüxt. Grandma hatte die leere Box heute Morgen entdeckt und Alarm geschlagen. Mit Mühe und Not hatte er sie davon abhalten können, sich gleich auf die Suche zu machen, und war stattdessen selber losgezogen. Vor dem Frühstück – und vor dem Kaffee! Allein dafür würde er dem Vierbeiner schon Sympathiepunkte abziehen.

Sechs Ponys hatte seine Großmutter vor mehr als einem Jahr aus einem heruntergekommenen Zirkus gerettet. Hätte er gewusst, wie viele Nerven ihn die Bande kosten würde, hätte er sie vielleicht nicht so sehr darin unterstützt.

Ein Bellen ertönte, dann jagte Loki, sein sechsjähriger Schäferhund, in langen Sätzen auf ihn zu. „Na mein Guter, hast du ihn gefunden?“

Mit einem bestätigenden Bellen schoss Loki wieder los. Milan verfiel in einen lockeren Lauf und folgte ihm. Bald wurde der Boden sandiger und das Rauschen des Meeres lauter. Sollte es das Pony wirklich hierher ans Meer verschlagen haben? Tatsächlich! Milan erkannte in einiger Entfernung den wohlvertrauten Umriss. Aber das Tier war nicht allein …

Milan beschleunigte seine Schritte und rief nach Loki. Der Hund kam mit stolz gerecktem Kopf angetrabt.

„Gut gemacht“, lobte Milan den Hund. „Aber warte noch. Nicht dass wir die beiden erschrecken.“

Bei dem Pony befand sich, der Statur nach, eine Frau. Sie trug einen schlichten Kapuzenpullover und Jeans. Dunkles Haar fiel ihr offen über den Rücken und sie streifte dem Pony gerade einen bunten Schal über. Was tat sie hier so früh am Morgen?

Unentschlossen stand sie vor dem Tier und blickte sich suchend um, entdeckte Milan aber nicht. Schließlich schien sie einen Entschluss zu fassen, ging zwei Schritte und zog aufmunternd an der improvisierten Führleine. Der Kleine setzte sich voller Freude in Bewegung – und hielt direkt auf das Wasser zu. Wenige Augenblicke später planschte das Pony fröhlich durch die flachen Wellen, während die junge Frau hilflos dastand und der Schal wie eine bunte Trophäe im Wind flatterte. Milan unterdrückte ein Lachen. So klein und süß die Biester waren, an Hartnäckigkeit übertraf sie niemand.

Er rechnete damit, dass die Fremde aufgeben würde, doch sie ließ sich erst mal nur in den Sand fallen und behielt das Pony im Blick, offensichtlich darauf hoffend, dass es irgendwann schon wieder an Land kommen würde.

Das war nett und doch wünschte Milan sich, sie würde einfach verschwinden. Loki gab ein Jaulen von sich. „Hast recht“, stimmte Milan dem Hund mit einem Seufzen zu. „Wir sollten uns mal vorstellen gehen.“ Er zog seine Mütze tiefer ins Gesicht und kämmte die dunklen Haarspitzen über die rechte Gesichtshälfte. Sie waren inzwischen so lang, dass seine Grandma die Stirn darüber runzelte.

Die Fremde bemerkte ihn jetzt und zuckte leicht zusammen. Helle Augen musterten ihn aufmerksam, während ihr Körper sich anspannte und in eine Verteidigungshaltung verfiel.

„Guten Morgen“, grüßte Milan und versuchte, möglichst wenig bedrohlich zu wirken. Allerdings war hier niemand außer ihnen beiden und er konnte verstehen, dass sie vorsichtig war. „Dein Entführungsopfer ist dir wohl entwischt.“

„Ich hab sie nicht entführt“, gab sie zurück und die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich. Milan ertappte sich bei dem Gedanken, dass es süß aussah.

„Es ist ein er“, korrigierte er und versuchte seine Gedanken zu ordnen. „Und ich suche ihn schon seit fast einer Stunde.“

Das Misstrauen in ihrem Gesicht wich Verblüffung. „Kannst du beweisen, dass sie dir gehört?“

Seine Lippen zuckten. „Was möchtest du, ein Foto von uns beiden oder das Tattoo von seinem dicken Kopf auf meinem Rücken?“

Sie war sich augenscheinlich unsicher, ob sie ihn für den Spott anschnauzen oder lachen sollte. Ihr Blick huschte zu Loki, der brav zu seinen Füßen saß und zwischen dem Pony und dem Mädchen hin und her schaute. Milan vertraute darauf, dass er den Flüchtling im Blick behielt. Um selber hinsehen zu müssen, müsste er der Fremden seine linke Gesichtshälfte zuwenden und das wollte er gerne vermeiden. Sein Gegenüber zog die Beine an, bereit, jeden Moment aufzuspringen und Milans Herz wurde schwer. „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.“

„Hab ich nicht“, gab sie zurück und klang so, als würde sie es auch so meinen. Er ertappte sich dabei, dass er gerne ihren Namen wissen wollte. Er war sich ziemlich sicher, sie noch nie gesehen zu haben, wobei er in letzter Zeit nicht besonders viel unter Menschen gewesen war. „Du bist nicht von hier, oder?“, fragte er.

Loki, scheinbar gelangweilt, ließ sich mit einem Wuff auf den Bauch fallen und legte den Kopf auf die Pfoten. Die Fremde lächelte aus irgendeinem Grund und Milans Herz machte einen merkwürdigen Satz. „Was hat mich verraten?“

Er erwiderte das Lächeln, es war wie ein Reflex. „War nur geraten.“ Er zögerte einen Moment, doch dann ging er die letzten zwei Schritte auf sie zu. „Ich bin Milan.“

Sie sprang mit einer eleganten Bewegung auf die Beine und erstarrte, als sie jetzt sein ganzes Gesicht sehen konnte. Milan fühlte sich, als hätte man ihm in den Magen geboxt, und alles in ihm drängte dazu, sofort zu verschwinden. Doch anstatt entsetzt aufzukeuchen oder zurückzuweichen, ging sie ihm einen Schritt entgegen und sah ihm dabei fest in die Augen. „Ich bin Lia.“ Himmel, war sie klein – er überragte sie ein ganzes Stück!

„Lia“, wiederholte er und sein Magen entspannte sich. „Seltsamer Name.“

„Danke … denke ich.“ Sie runzelte leicht die Stirn und blickte dann zum Meer. „Sie … er“, korrigierte sie sich hastig, „ist einfach losgelaufen. Ich konnte ihn nicht festhalten.“

Er konnte es sich nicht verkneifen, sie zu necken. „Dann geh und hol ihn.“

Irritiert sah sie wieder zu dem Pony, ihre Wangen glühten regelrecht. „Und wie soll ich das bitte anstellen?“

„Also du meinst, es ist okay, mein Pony zu klauen, mit ihm durch die Gegend zu laufen und dann soll ich es selber wieder einfangen und dabei in dieses saukalte Wasser steigen?“

„Ich habe ihn nicht geklaut“, protestierte Lia. „Er hatte sich da hinten im Gebüsch verfangen. Ich habe ihn also quasi gerettet.“

„Verfangen?“

„Ja, aber nicht schlimm, er hat sich auch nicht verletzt, ich habe nachgeschaut.“

Sein Blick wanderte erneut über sie hinweg, anders jetzt. Es war offensichtlich, dass sie sich um das Pony gesorgt hatte, und das rechnete er ihr hoch an. Er hob zwei Finger an die Lippen und stieß einen schrillen Pfiff aus, der sie zurücktaumeln ließ. Mit freudigem Wiehern und wehender Mähne drehte das kleine Schlitzohr um und kam zum Strand.

„Respekt Pferdeflüsterer“, brummte sie anerkennend und vielleicht ein bisschen angefressen, weil er sie geneckt hatte. „Da bin ich ja beruhigt, dass du mich nicht ins Wasser geschickt hast.“

„Bist du wasserscheu?“ Er zupfte an ihrem Schal, der noch immer am Halfter festgeknotet war. „Deiner?“

„Nein zum Ersten, Ja zum Zweiten.“

„Hübsch.“

„Danke.“

„Tja, dann …“ Milan räusperte sich. „Der Ausreißer muss nach Hause und ich an die Arbeit.“

„Zurück auf die Ranch, Cowboy?“

Seine Mundwinkel zuckten, während das Pony herantrabte und den Kopf gegen seine Schulter stieß, als wären sie die besten Kumpels. „Wie heißt er denn?“, fügte sie hinzu.

„Der Gegenstand deines Diebstahls?“, fragte er zurück, doch die Ablenkung funktionierte bei ihr nicht.

„Ich habe ihn gefunden. Nicht gestohlen“, betonte sie und riet: „Es hat keinen Namen, oder?“

„Manchmal nenne ich ihn Moppel.“

„Wie kreativ.“

„Nenn mich Picasso.“

„Der hat gemalt.“

„Also war er kreativ.“ Er hatte lange nicht mehr so viel Spaß an einer einfachen Unterhaltung gehabt. Und mit Schrecken stellte er fest, dass es ihm missfiel, sie zu beenden. Stattdessen wollte er genau hier neben ihr stehen bleiben und Unfug reden – Hauptsache, sie blieb noch ein wenig. Doch das war natürlich völliger Irrsinn!

Lia schien das allerdings nicht so zu sehen, zumindest wischte sie sich die Haare aus dem Gesicht und griff nach dem Schal, der noch immer um den Hals des Ponys lag. „Na dann.“

In seinem Kopf blitzte die Erkenntnis auf, dass sie ihn zurück zum Hof begleiten wollte. „Es ist ziemlich weit. Bist du sicher, dass du das willst und nicht lieber nach Hause gehst?“

„Damit du ihn heimlich zum Metzger bringen kannst? Vergiss es.“

„Was, wenn ich ein Serienkiller bin?“

„Bist du nicht.“

„Das kannst du gar nicht wissen.“

„Doch, ich glaube schon“, sagte sie mit so viel ruhiger Sicherheit in der Stimme, dass ihm fast schlecht wurde. Sie vertraute ihm. Warum zum Geier vertraut sie ihm so einfach?! „Außerdem mache ich regelmäßig einen Selbstverteidigungskurs, also wenn deine Nase so bleiben soll wie jetzt, leg dich besser nicht mit mir an“, schob sie noch nach.

Milan schüttelte den Kopf. „Du bist wirklich nicht von hier.“ Mit einem Seufzer deutete er den Strand hinunter. „Da geht’s lang.“

4

Ein unerwarteter Boxenstopp

Wir sprachen nicht.

Kein einziges Wort.

Es war ein bisschen seltsam, aber gleichzeitig auch eine angenehme Stille. Keine, bei der man das dringende Bedürfnis verspürte, sie mit Worten zu füllen, sondern eher eine, in der ich darüber nachdenken konnte, was ich hier gerade tat. Ich konnte seinen Blick auf mir spüren, wenn er dachte, ich würde es nicht sehen. Vermutlich hielt er mich für verrückt und ich bedauerte langsam meinen genialen Einfall, mit einem wildfremden Kerl, seinem Hund und einem entlaufenden Pony durchs Niemandsland zu laufen. Wenn ich doch wenigstens Twix bei mir gehabt hätte. Andererseits machte Milan keinen seltsamen, psychopatischen Eindruck. Nicht viel seltsamer als ich jedenfalls. Warum war ich nur mit ihm mitgegangen? Ich war mir sicher, dass er das Pony an einen sicheren Ort bringen würde. Es war mehr … dass ich mich noch nicht von ihm hatte trennen wollen. Vielleicht, weil seine Augen traurig wirkten. Vielleicht aber auch wegen der Art, wie er mich ansah – offen, als gäbe es gerade nichts anderes für ihn auf der Welt.

Im ersten Moment hatte ich mich erschrocken, als er wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Milan war deutlich größer als ich und unter der dunkelbraunen Sweatshirt-Jacke ließen sich breite Schultern erahnen. Er hatte den Kopf ein wenig steif gehalten, bis er sich mir vorgestellt hatte. Dann hatte ich sie gesehen: Drei lange Narben zogen sich beinahe synchron über seine Wange. Eine von ihnen erreichte fast sein Auge und es sah aus, als hätte ein Tiger ihm seine Krallen über das Gesicht gezogen.

Sein Blick war dunkel geworden, als ich ihn einen Moment lang angestarrt hatte. Wer wusste schon, was er dahingehend bereits erlebt hatte? Ich hatte den Blick zu seinen Augen gerichtet, dunkelblau und aufgewühlt – wie ein kleines Stück Gewitter. Herausforderung hatte in seinem Blick gelegen, als würde er nur darauf warten, dass ich etwas wegen der Narben sagte. Auch jetzt hielt Milan sich immer links von mir, sodass seine verletzte Gesichtshälfte von mir abgewandt war – und zwar mit solch einer unterbewussten Selbstverständlichkeit, dass er mir leidtat. War er so oft angestarrt worden? Schon als Kind? Oder hatte er die Narben erst später bekommen? Und wie überhaupt? Es lag mir auf der Zunge, ihn zu fragen, aber ich beherrschte mich. Ich fand sie nicht abstoßend, mehr wie … ein Kriegsmal.

Der Schäferhund Loki kam schwanzwedelnd zu uns zurückgerannt und drückte seine Schnauze erst in Milans und dann in meine Hand. Er war ein Traum von einem Hund und seine Liebe zu Milan nicht zu übersehen. Dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte, auch nicht.

Mittlerweile befanden wir uns ein gutes Stück vom Strand entfernt im Landesinnern, aber noch behielt ich die Orientierung. Der Heimweg würde also kein Problem sein. Ein Schild tauchte jetzt vor uns auf: Schwalbenhof. Schlicht, aber einprägsam. Neben dem Schriftzug war ein Ponykopf abgebildet. Ich gab Moppel, der zwischen Milan und mir hertrottete, einen Stups. „Na, hast du dafür etwa Model gestanden?“

Das Pony wandte mir den Kopf zu und versuchte zum wiederholten Male, seine Nase in die Bauchtasche meines Pullis zu stecken, was ich ihm lachend verwehrte. Milan ruckte ein bisschen an dem durch meinen Schal improvisierten Zügel. „Er sucht nach Leckerlis. Du riechst wohl gut.“

Das lag dann wohl an den Pancakes, die ich Izzy heute Morgen aus den Resten zum Frühstück gemacht hatte. Weil ich nicht genau gewusst hatte, wann sie zur Arbeit musste, hatte ich nicht gewartet, sondern einen Zettel hingelegt, als ich mich zum Strand aufgemacht hatte. Das Meer war einfach zu verlockend gewesen. Mit diesem kleinen Abenteuer hier hatte ich jedoch nicht gerechnet.

„Vielen Dank, Moppel“, scherzte ich etwas verspätet und sah zu Milan. Wenn das Pony auf diesen Hof gehörte und Milan es suchte, hieß das dann, dass er hier arbeitete? Nach wenigen Minuten machte die Straße einen Knick und das Gelände fiel ein wenig ab. Dadurch bot sich mir ein perfekter Blick auf den Hof: Weidezäume und grüne Wiesen umrahmten einen geradezu verwunschenen Ort, an dem zwischen hohen Bäumen ein malerisches Blockhaus mit Veranda stand, so wie ich es eigentlich nur in Amerika erwartet hätte. Schräg gegenüber befanden sich Stallungen und auf der Weide davor entdeckte ich vier weitere Ponys. Die Spitze des Dreiecks bildete ein weiteres, längliches Gebäude, dessen Zweck sich mir noch nicht erschloss. Ein weiteres Schild verkündete, dass wir den Schwalbenhof erreicht hatten. Genau in diesem Moment drehte der Wind und trug Gebell zu uns herüber – womöglich der Grund für das dritte Gebäude.

„Alles okay?“ Milan musste noch meinen Namen hinzufügen, ehe ich bemerkte, dass ich wie festgefroren noch immer auf der Stelle stand, während er und Moppel schon ein paar Schritte weitergegangen waren und jetzt fragend zu mir zurücksahen.

„Das ist so schön!“

Seine Brauen hoben sich ein winziges Stück, ein kleines Zugeständnis, dass er verblüfft war. „Ach ja?“

„Ja!“ Ich wandte den Blick ab. „Wo kriegt man nur so ein Blockhaus her?“

„Das hat mein Großvater gebaut.“

„Unglaublich.“ Ich schüttelte den Kopf und ging endlich weiter. „Das ist so cool. Aber warum ‚Schwalbenhof‘?“

„Muss denn hinter allem immer eine Geschichte stecken?“

„Ich hoffe es.“

Ich war mir nicht sicher, ob das Geräusch, das er machte, ein Seufzen oder ein Lachen war. „Es heißt, dass hier ein Schwalbenpärchen genistet hat, als der Hof gebaut wurde. Und dass es jedes Jahr wiederkam. Dann gab es einen schweren Brand und der Hof wurde fast vollständig vernichtet. Die Familie, die hier lebte, stand vor der Entscheidung fortzugehen oder alles komplett neu aufzubauen. Sie haben lange darüber nachgedacht, bis sie eines Tages ein Schwalbenpärchen beobachteten, das sich zum Nisten einfand. Da haben sie beschlossen den Hof neu aufzubauen und ihm diesen Namen zu geben. Und den hat er bis heute.“

„Das ist eine wundervolle Geschichte“, lächelte ich. „Und gibt es die Schwalben noch?“

„Dieses Jahr habe ich sie noch nicht gesehen.“

„Schade. Und jetzt gehört der Hof deinen Großeltern?“

„Du stellst wirklich viele Fragen.“ Dieses Mal war es wirklich ein Seufzen. „Ja, er gehört ihnen.“

„Wow, du hast wirklich Glück.“

„Meinst du, ja?“ Seine Stimme hatte sich erneut verändert. Schmerz lag darin, so tief, dass ich beinahe zusammenzuckte. Ich sah zu Milan und seine Augen schienen förmlich in Flammen zu stehen.

„Ich wollte nicht …“ Ich geriet ins Stottern. „Tut mir leid. Ich finde nur, dass das hier nach einem wirklich schönen Hof aussieht, mit den Ponys und allem. Ich bin zwar auch auf einem Hof groß geworden, aber meine Eltern haben sich dem Gemüse verpflichtet. Tiere hatten wir nie, nur ganz früher mal zwei Kühe, weil bei einem Freund von Papa der Stall gebrannt hat, und dann haben sich mehrere Leute angeboten, seine Kühe aufzunehmen, bis alles repariert war. Früher gab es auf unserem Hof auch Kühe, also vor meinen Eltern. Deswegen war noch ein Stall da, den fand mein Vater zu schade zum Abreißen und wir haben ihn einfach als Lager benutzt, also …“ Ich merkte, dass ich zu plappern begann, und brach ab, während meine Wangen heiß wurden. „Das ist ja auch eigentlich alles total uninteressant.“

Wir hatten inzwischen den gepflasterten Platz zwischen Wohnhaus und Stallungen erreicht und ich entdeckte zu meiner Verzückung einen liebevoll angelegten Teich und eine Feuerstelle mit großen Holzstühlen davor. Wie konnte man bitte nicht finden, dass Milan Glück hatte, hier zu leben?

Von den Ställen kam jetzt ein Mädchen auf uns zugeschossen. Ich schätzte sie auf etwa sechzehn Jahre, sie trug eine verwaschene Latzhose und dazu schwere schwarze Boots. Ihre Haare waren eine wilde nussbraune Mähne, die ihr wie ein Vorhang ins Gesicht fielen und die eine Hälfte fast komplett verdeckten.

„Na endlich!“, keifte sie. „Wo warst du so lange?“

Milan seufzte. „Guten Morgen, Rahel, ich freue mich auch, dich zu sehen.“

Rahel setzte ein falsches Lächeln auf und streckte ihm den Mittelfinger entgegen. „Dann freu dich schon mal über den Anblick meiner Rückseite. Ich bin weg. Was denkt ihr euch eigentlich?“

„Dürfte ich erfahren, was deinen Unmut diesmal erregt hat?“

Die beiden beachteten mich gar nicht, was mir angesichts der unverhohlenen Feindseligkeit ziemlich recht war.

„Rose hat mir die Liste gezeigt, die sie für mich vorbereitet hat. Eine Liste, Milan – mit Aufgaben! Im Ernst? Ich bin doch kein Pferdeknecht! Ich habe ein Leben!“

Milan hob beschwichtigend die Hände, als würde er mit einem scheuen Tier reden. „Rahel, du weißt genau, dass jeder von uns seinen Teil –“

„Komm mir nicht wieder mit der Nummer, Milan! Wenn sie Hilfe wollen, sollen sie jemanden einstellen oder diesen Hof einfach wieder verkaufen.“

Und damit stapfte sie mit einem letzten funkelnden Blick an uns vorbei und auf einen weißen Roller zu, der mir vorher gar nicht aufgefallen war, stieg auf und brauste davon.

Das Pony wieherte nervös bei dem Lärm und stampfte mit den Hufen. Sanft griff ich nach meinem Schal und zog den dicken Kopf zu mir heran. „Ganz ruhig, mein Hübscher“, murmelte ich und tätschelte den weichen Hals. „Das wird schon wieder. Oder auch nicht, da fragst du echt die Falsche.“ Das Pony prustete in meine Haare.

Milan blieb einen Moment regungslos mit in den Nacken gelegtem Kopf stehen. Dann schnappte er sich das Halfter und zog das Pony mit sich. Da ich allerdings immer noch den Schal festhielt, beinhaltete dieses Tauziehen auch mich und so stolperte ich nicht sehr elegant hinter den beiden her.

Am Stall stand eine volle Schubkarre, daneben lag eine Mistgabel auf dem Boden. Eine der Boxentüren stand auf und machte klar, woher der Inhalt der Schubkarre stammte.

„Ach Rahel …“, glaubte ich Milan murmeln zu hören. „Tu mir das doch nicht an.“ Er steuerte nun um den Stall herum und auf eine Weide zu, wo sich neugierige Ponyköpfe in unsere Richtung drehten. Von irgendwoher erklang ein schrilles Wiehern, was unser Pony sofort freudig erwiderte. „Ja ja“, knurrte Milan. „Jetzt auf einmal ist es dir hier wieder gut genug. Schon klar.“

Mit einem geschickten Griff öffnete er das Gatter und gab dem Tier einen festen Klaps auf das Hinterteil, sodass es prompt davonjagte und von seinen Kumpels freudig begrüßt wurde. „Also.“ Milan drehte sich zu mir und stemmte die Hände in die Hüften. „Zufrieden? Hier wohnt der Knirps, zusammen mit noch ein paar anderen. Nein, er hat keinen Namen, aber er kriegt Futter, Wasser und ein Dach über dem frechen Schädel – was ihn allerdings nicht daran hindert, immer wieder auszubrechen und mich stundenlang nach ihm suchen zu lassen. Das war’s dann also, leb wohl und komm gut nach Hause.“

„Er hat noch meinen Schal.“

Milan stutzte. „Bitte?“

Hilflos deutete ich auf das flatternde bunte Band, welches das Pony noch immer um den Hals trug. Ich hörte Milan seufzen und stellte mir vor, wie er die Augen verdrehte. „Das tut mir leid. Er kommt sicher, wenn du ihn rufst. Ich habe jetzt zu tun. Der Traktor muss repariert werden und dank Rahel kann ich jetzt auch noch ein gutes Dutzend Boxen ausmisten.“ Und damit stapfte er ohne ein weiteres Wort an mir vorbei.

Ich starrte ihm mit offenem Mund nach. Was bildete der Kerl sich eigentlich ein? Unsicher sah ich zurück zu Moppel, der mit einem gescheckten Freund über die Wiese tollte und nicht den Anschein machte, als hätte er Lust, das spaßige bunte Dinge an seinem Halfter wieder abzugeben. Hinter mir gab es plötzlich ein lautes Scheppern – Milan war über einen Eimer gestolpert, der im Weg lag, und sah jetzt aus, als würde er das Ding kurzerhand auseinanderreißen. Wütend riss er die Schubkarre herum, dass die Räder ein protestierendes Geräusch von sich gaben und verschüttete einen guten Teil des Inhalts. Ich verdrehte die Augen und ehe ich wusste, was ich tat, stand ich schon neben ihm und umfasste einen der Schubkarrengriffe.

Milan warf mir einen Blick zu, der einen Grizzlybären in die Flucht geschlagen hätte. „Was genau tust du da?“

„Dir helfen. So, wie du dich anstellst, machst du eher etwas kaputt.“

„Ach, und du bist ein Profi? Ich dachte, ihr baut nur Gemüse an.“

„Ich bin aber nicht so aggressiv wie du“, gab ich bissig zurück, versuchte ihn beiseitezudrücken und mich nicht darüber zu wundern, dass er sich dieses Detail über mich gemerkt hatte. „Also, wohin damit?“ Ich wartete auf Widerrede, aber es kam nichts.

Als ich hochsah, traf mich der Blick aus seinen Augen mit voller Wucht. Das Gewitter darin tobte. Ich spürte die Wärme seiner Finger neben den meinen und die Härte seiner Rippen, gegen die ich meine Schulter gestemmt hatte. Plötzlich war Atmen eine hochkomplizierte Sache …

„Lia …“ Noch nie hatte sich mein Name so angehört wie von seinen Lippen.

„Lass mich dir einfach helfen, okay?“, murmelte ich und sammelte meine Gedanken wieder ein.

„Ist gut.“ Er wich zurück. „Du musst da vorne neben der Scheune entlang. Dahinter ist der Misthaufen.“

„Alles klar.“ Ich räusperte mich und stemmte mich mit aller Kraft gegen die Schubkarre, die sich nicht einen Millimeter zu bewegen schien.

„Die ist zu schwer für dich“, sagte Milan leise.

„Ist sie nicht!“ Zum Glück brachte ich in diesem Moment die Schubkarre endlich in Bewegung. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Milan den Kopf schüttelte. Und wenn schon – sollte er doch.

Ich schaufelte Mist und schob Schubkarren, bis meine Schultern müde wurden und meine Arme drohten vom Körper abzufallen. Aber sich nützlich zu machen, war ein ziemlich gutes Gefühl.

Milan war irgendwohin verschwunden, ich vermutete ihn im anderen Teil der L-förmigen Stallungen – zumindest hatte es von da gerade einmal