You Are My WAY - Felicitas Brandt - E-Book

You Are My WAY E-Book

Felicitas Brandt

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Beschreibung

Der erste Band der neuen dreibändigen Way-Truth-Life-Serie von Felicitas Brandt im Genre Faithful New Adult bringt viel Romantik und Humor sowie einen Hauch Spannung in die Gegend der Sächsischen Schweiz. Bisher hatte Emma noch nie einen Ort, den sie Zuhause nennen konnte. Nun führt ihr Weg sie nach Bibertal, in einen kleinen Buchladen und einen gemütlichen Bungalow unter dichten Tannen. Was Emma nicht weiß: Die Unterkunft wurde ihr ohne Zustimmung des Besitzers vermietet und der empfängt sie nun nicht gerade freundlich. Seit ein Unfall seine Karriere zerstört hat, lebt Finn zurückgezogen, widmet sich seinen Pferden und seiner kleinen Nichte und versucht innerlich zu heilen. Doch durch Emma und ihren Kater Shakespeare wird sein Ruheort ordentlich durcheinander gerüttelt und bald fliegen zwischen Teetassen, Büchern und Pferdehufen nicht nur lautstarke Fetzen, sondern auch bunte Funken. Doch während Finn seine Vergangenheit hinter sich lassen will, wird Emma von eben dieser eingeholt gerade als sie spürt, dass sie in Bibertal vielleicht das finden wird, was sie immer gesucht hat

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Felicitas Brandt

You are my Way

Die Bibelstellen sind der Übersetzung Hoffnung für alle und Schlachter entnommen.

Hoffnung für alle®, Copyright © 1983, 1996, 2002 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung von Fontis – Brunnen Basel.

Bibeltext der Schlachter. Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

© 2023 Brunnen Verlag GmbH Gießen

Lektorat: Carolin Kotthaus

Umschlagfoto: Adobe Stock

Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger

Satz: Brunnen Verlag GmbH

ISBN Buch 978-3-7655-2154-6

ISBN E-Book 978-3-7655-7836-6

www.brunnen-verlag.de

Es gibt so viele Mama-Songs

Aber das hier ist für meinen Superhelden ohne Umhang

Meinen Laugenbrötchen-Verbündeten

Meinen „Wo bist du, ich hole dich ab“-Retter

Meinen Dad ♥

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Prolog

Der Regen prasselte unbarmherzig auf das Auto. Es schien, als würden die dicken Tropfen mit aller Macht versuchen, ins Innere zu gelangen. Dahinter ballten sich dunkle Wolken zu einer undurchdringlichen Wand zusammen. Finn Iversen blickte konzentriert in das Unwetter hinaus und drehte das Radio leiser. Vom Rücksitz duftete es verführerisch nach geschmolzenem Käse und Oregano.

Bei seinem Aufbruch und auch bei der letzten Rast vor etwa zwei Stunden war von diesem Szenario hier nichts zu erahnen gewesen. Jetzt ging es bereits gegen Abend. Die Sonne war gänzlich hinter schwarzen Wolken verschwunden und die Bäume am Rand der Straße bogen sich unter dem Wind.

Finns Magen knurrte, doch bei seiner momentanen Geschwindigkeit würde die Pizza kalt sein, ehe er zu Hause ankam. Bei dem Gedanken an das enttäuschte Gesicht seiner Nichte zog Finns Magen sich zusammen.

Ein langjähriger Freund hatte ihn um Hilfe gebeten, weswegen Finn ohne zu zögern eine Tasche gepackt und die 600 Kilometer nach Österreich gefahren war. Sein Aufenthalt hatte länger gedauert als geplant, doch das hatte ihm überraschend wenig ausgemacht. Ganz im Gegenteil. Die ruhige Gegend, in der Christopher und seine Frau lebten, und der Tapetenwechsel hatten ihm gutgetan, ebenso wie die Arbeit mit dem Pferd, das Christopher Sorgen bereitete. Der Palomino war noch jung und wunderschön, doch sein voriger Besitzer hatte ihn nicht gut behandelt und das Tier war bissig. Finn hatte einige Zahnabdrücke auf seiner Haut davongetragen, aber inzwischen vertraute der Wallach seinem Besitzer und war auf einem so guten Weg, dass Finn sich entschlossen hatte, die Heimreise anzutreten.

Ein Blitz zuckte über den Himmel und Finn schickte eine stille Bitte zum Himmel, dass er sicher zu Hause ankommen möge. Hoffentlich hatte Aylin die Pferde rechtzeitig von den Weiden geholt. Bestimmt hatte Lexie ihr geholfen und –

Etwas Helles tauchte am Straßenrand auf.

Finn stutzte. War das ein … Koffer? Er nahm den Fuß vom Gas und spähte angestrengt durch die Scheibe, auf der sich die Regentropfen drängten. Da stand eindeutig ein Koffer am Straßenrand!

Finn warf einen Blick in den Rückspiegel, doch er war schon seit einer ganzen Weile keinem anderen Auto begegnet. Er befand sich mitten im Wald, das nächste Haus ein gutes Stück entfernt, von einem Hotel oder Bahnhof ganz zu schweigen. Und warum sollte bei diesem Wetter –

In diesem Moment registrierte er die Bewegung vor ihm auf der Straße und trat auf die Bremse. Der Wagen rutschte ein Stück auf der nassen Fahrbahn und kam dann ruckartig zum Stehen. Erschrocken starrte Finn auf die Frau, die mit ausgebreiteten Armen mitten auf der Fahrbahn stand und ihn aus aufgerissenen Augen anstarrte. Rotes Haar klebte an ihrem Gesicht, ihre Kleidung war völlig vom Regen durchnässt und nicht im Geringsten wettertauglich. Hinter ihr lag ein dunkler Umriss auf dem Asphalt.

In Finns Bauch ballte sich ein ungutes Gefühl zusammen.

Diese Pizza würde definitiv nicht warm bei Auri ankommen …

48 Stunden vorher und einige Kilometer weit weg

Yuna:

Wir vermissen dich! Grace guckt sich die ganze Zeit suchend um und Tacco wartet an der Tür, dass du kommst. Sogar die Eichhörnchen vor dem Haus vermissen dich.

Rahel:

Grace ist ein Baby! Guten Flug, Em ♥

Deutschland war laut.

Laut und wuselig und irgendwie … anders. Kühler, als ich es in Erinnerung hatte. Niemand hatte eine Sonnenbrille im Haar, keine Cappys. Dafür Handys, die an bunten Kordeln um den Hals baumelten, und um die Hüften geknotete Pullover. Die Sprache begrüßte und irritierte mich gleichzeitig. Es war eine Weile her, dass ich jemanden Alter, krass! hatte brüllen hören. Und ich hatte es auch eigentlich nicht vermisst.

Irgendwie hatte ich mir Heimkommen anders vorgestellt. Glanzvoller. Vielleicht in Zeitlupe wie im Film. Stattdessen schwappte ich ziemlich müde mit einer ganzen Horde plappernder Menschen auf die Schiebetüren zu, die uns hinaus in die Welt entlassen würden. Shakespeare bewegte sich unruhig in seinem Katzenkorb, den ich auf dem Koffer festgeschnallt hatte. Die Konstruktion schien eine ganze Tonne zu wiegen, bewegte sich aber ziemlich geschmeidig über den frisch gewischten Boden.

Die Türen öffneten sich für uns und ich erhaschte einen Blick nach draußen. Hellblauer Himmel mit grauen Wolken verziert.

Frankfurt, Deutschland.

Ich war zurück.

Vor fast genau einem Jahr war ich durch diese Türen in ein Abenteuer aufgebrochen. Und jetzt war ich wieder da. Mein Herz machte einen aufgeregten Satz, den mein Magen mit einem hungrigen Grummeln kommentierte. Das Abschiedsessen mit Yuna, Dylan und der kleinen Grace lag viel zu weit zurück. Ich schob den Gedanken beiseite, ehe mir die Tränen in die Augen schießen konnten. Der Abschied von den dreien war schrecklich schwer gewesen.

Zügig bewegte ich mich mit der Menge, durchquerte die Türen und landete in der von Stimmengewirr erfüllten Halle. Begrüßungsschreie wurden laut, ein Junge neben mir brüllte „Opa!“ und wetzte, so schnell er konnte, zu einem grauhaarigen Mann herüber, der mit breitem Grinsen in die Knie ging, um den Knirps aufzufangen.

Mein Innerstes zog sich bei dem Anblick wehmütig zusammen. In meiner Hosentasche vibrierte mein Handy wie verrückt. Ich würde versuchen, mir irgendwo in diesem Getümmel eine ruhige Ecke zu suchen, meine Nachrichten checken, etwas essen und dann überlegen, wie ich weiter vorgehen wollte. Vielleicht –

Moment … was war das?

Während ich meine innere To-do-Liste geschrieben hatte, war mein Blick über die Wartenden gehuscht und saugte sich jetzt an einer Gestalt fest.

Der Mann stand ganz still neben einer wild winkenden Familie. Seine Haare waren kürzer als auf dem letzten Foto und ich konnte selbst auf die Entfernung die Ringe unter seinen Augen erahnen. Er hielt ein Schild aus gelbem Fotokarton in den Händen, wie der, den man in der Schule bekam, wenn es darum ging, ein Plakat zu gestalten. Hi Nervensäge stand in akkuraten Buchstaben darauf. Er hatte eine wunderschöne Handschrift, während es bei mir nur für schiefes Gekritzel gereicht hatte. Gideon fing meinen Blick ein und grinste breit, während er das Schild umdrehte. Du hast mir gefehlt!

Eine Mischung aus Quietschen und Schluchzen kam über meine Lippen, während ich meine Schritte beschleunigte und mich schließlich in die Arme meines Zwillingsbruders warf. Lachend fing Gideon mich auf und drückte mich so fest an sich, dass mir die Luft wegblieb. Mein Bruder umarmte immer auf diese Art – fest und warm –, und er löste damit jedes Mal ein Gefühl purer Geborgenheit in mir aus.

„Was tust du hier?“, japste ich und drückte, so fest ich konnte, zurück.

„Na was wohl? Meine kleine Schwester vom Flughafen abholen!“

„Klein?“ Das Wort verlor sich in einem Quietschen, als Gideon mich hochhob und einmal im Kreis schwang. Ich war genau eine Minute älter als dieser Angeber, aber körperlich hatte ich ihm nicht so viel entgegenzusetzen. Als meine Füße endlich wieder den Boden berührten, klammerte ich mich an ihm fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

„Du hast mir auch gefehlt!“, nuschelte ich in seine Schulter. Die wild winkende Familie neben uns begann zu klatschen und ich drehte neugierig den Kopf, nur um festzustellen … „Meinen die uns?“

„Sieht so aus.“ Mein Bruder löste sich ein Stückchen von mir und winkte grüßend. Ich schmunzelte in den Kragen meines Hoodies und machte einen Knicks. Die Familie wirkte einen Hauch enttäuscht, hatten sie etwa einen spektakulären Filmkuss erwartet? Dass wir Zwillinge waren, war ja wohl kaum zu übersehen. Gideon und ich teilten uns unsere Gesichtszüge und die grünen Augen. Da er seine Haare kurz trug, waren sie nicht so auffällig wie meine kastanienrote Mähne und wirkten viel dunkler, aber damals als Kind hatten sie mit den meinen um die Wette geleuchtet.

„Ist das alles an Gepäck?“ Gideon beäugte meinen Koffer und bückte sich dann, um in Shakespears Korb zu spähen. „Hey, Plüschie.“ Mein Kater fauchte und Gideon verzog das Gesicht. „Er mag mich immer noch nicht.“

„Könnte daran liegen, dass du ihn Plüschie nennst“, gab ich mit einem Achselzucken zurück. Der Maine Coon und ich pflegten schon seit knapp fünf Jahren eine Wohngemeinschaft, in der ich das Essen heranschleppte und er mich dafür mit Zuneigung überschüttete. Wir teilten unsere Abneigung zu Schlagermusik und die Liebe zu Büchern (er in dem Sinne, dass er gerne auf ihnen schlief oder sich den Bauch kraulen ließ, während ich durch die Buchwelten streifte) und eine Vorliebe für Lachs.

Allerdings hatte er eine Schwäche – er konnte meinen Bruder nicht leiden, den ich wiederum über alles liebte. Gideon schob es auf eine gewisse Eifersucht, ich jedoch argwöhnte, dass es vielleicht etwas mit Männern an sich zu tun hatte. Er hatte auch Dylan nicht gerade mit Zuneigung überschüttet, sondern seine Nähe gemieden, was meine Theorie untermauerte.

„Ist es“, beantwortete ich etwas verspätet Gideons Frage. „Yuna schickt mir meine Bücher nach und alle Sachen, die ich hoffentlich nicht direkt brauche.“ Der Moment, als ich mein kleines Bücherregal voller Schätze auf der anderen Seite des Ozeans hatte zurücklassen müssen, hatte mein Herz noch ein bisschen schwerer gemacht, als es ohnehin schon gewesen war.

Gideon schenkte mir einen wissenden Blick und schnappte sich meinen Koffer. „Irgendwelche Wünsche für die nächsten zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten, bis dein Zug kommt?“

„Irgendwas mit viel Essen, aber wenig Aufmerksamkeit?“ Ich hatte keine große Hoffnung. Der Flughafen wirkte völlig überlaufen. Eine ruhige Ecke würden wir hier wohl kaum finden. Gerade in diesem Augenblick wurde eine weitere Welle Neuankömmlinge in die Halle gespült.

„Keine Sorge.“ Gideon griff nach meiner Hand und blinzelte mir zu. „Ich weiß da genau das Richtige.“

Rahel:

Laut der Website deiner Fluggesellschaft bist du schon gelandet. Willkommen zurück in meiner Zeitzone, Schwester! ♥

Yuna:

War der Flug okay? Ich vermisse dich in meiner Zeitzone!

Rahel:

Wir wissen, dass Gideon dich abholt, wo steckt ihr?

Emma:

Auf der Feuerwache des Flughafens, angeblich der einzige ruhige Ort in diesem Zirkus

Emma:

Was soll das bitte heißen, ihr wusstet davon???

„Die Mädels sagen Hi“, richtete ich meinem Bruder aus, streckte meine Beine und drückte den Rücken durch. Flugzeuge mochten ja praktisch sein, aber sie waren ganz und gar unbequem.

Gähnend schielte ich zu dem gewaltigen Feuerwehrwagen hinauf. Gideon hatte mich zu der Feuerwache am Frankfurter Flughafen gebracht. Eine blonde Frau hatte uns mit breitem Lächeln begrüßt und sich als Kyra vorgestellt – anscheinend hatten Gideon und sie vor wenigen Jahren zusammengearbeitet. Unter freundlichem Nicken von allen Seiten hatte sie uns in eine geräumige Garage geführt. Hier stand Betsy, ein Löschfahrzeug, das nur noch für Übungszwecke benutzt wurde. Zwei Stühle und ein einfacher Klapptisch, daneben der größte Picknickkorb, den ich je gesehen hatte – Gideon hatte an alles gedacht.

Ich hielt nach Shakespeare Ausschau. Gideons ehemalige Kollegin hatte ihn voller Verzückung bewundert und gleich mit Wasser und Futter versorgt. Warum sie das hier hatten, hatte mich zwar gewundert, aber ich nahm es dankbar an.

Gideon beobachtete mich. „Bereust du es?“

„Wieder hier zu sein?“ Ich schüttelte den Kopf, zuckte mit den Schultern und schüttelte wieder den Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Ich freue mich auf etwas Neues, aber …“

„Aber Neuanfänge haben auch immer etwas mit Überwindung zu tun“, beendete Gideon meinen Satz, als ich es nicht tat. Er hatte inzwischen den kleinen Tisch mit einer bunten Mischung aus Snacks gefüllt, bei dessen Anblick mein Magen umso lauter knurrte.

„Du hättest das wirklich nicht tun müssen“, wiederholte ich. „Das alles hier und die lange Fahrt … du musst doch irre früh aufgestanden sein.“ Gideon wohnte und arbeitete außerhalb von München bei der dortigen Feuerwehr. Ich hatte nach einem Flug nach München gesucht, aber keinen guten gefunden. Mein Budget ließ da nicht gerade großen Spielraum zu. Was auch der Grund war, warum ich eine Woche eher zurückgeflogen war, als ursprünglich geplant. Die Preise waren so in die Höhe geschossen, dass ich quasi den nächstbesten hatte nehmen müssen, der einigermaßen bezahlbar gewesen war.

„So früh war es gar nicht“, wehrte er ab. „Außerdem bist du meine Lieblingsschwester.“

Ich verdrehte die Augen, doch Gideon streckte mir grinsend seine Hände entgegen. Ich ergriff sie und wir senkten die Köpfe. „Vater, ich danke dir, dass du Emma heile zurückgebracht hast“, betete Gideon. „Dass du sie bewahrt hast in dem letzten Jahr und mit ihr warst. Bitte hilf ihr auch jetzt bei dem Neuanfang, hilf Yuna und Dylan, ohne sie zurechtzukommen, und segne die kleine Grace. Danke für das Essen und bitte schenk uns eine gute Zeit. Amen.“

„Amen“, wiederholte ich und ein warmer Schauer rieselte durch mich hindurch. Gideon und ich teilten unseren Glauben seit unserer Kindheit und ich war froh, inmitten dieser großen Welt in ihm einen treuen Verbündeten zu haben in allen Fragen und Gedanken.

Schweigend machten wir uns über das Festmahl her. Ich betrachtete Gideon. Er trug ein langärmeliges Shirt, in einem schlichten Blau, das seine Augen leuchten ließ. Die Müdigkeit überdecken konnte es aber nicht.

„Viel los auf der Arbeit?“

„Bei uns geht so ein Virus um, ich habe Extraschichten geschoben.“ Mein Zwilling fuhr sich über das Gesicht. „Gerade sind viele Kollegen krank. Darum kann ich dich auch nicht bringen, wie ich es vorhatte.“

„Das ist okay, ich bin ewig nicht mit dem Zug gefahren und freue mich auf die Lesezeit.“

„Natürlich.“ Gideon schüttelte belustigt den Kopf. „Wirst du die erste Buchhandlung überfallen, die dir begegnet, oder wartest du bis zu der, in der du arbeiten willst?“

„Das ist gut möglich.“ Bei dem Gedanken an Regale voll mit Büchern juckte es in meinen Fingerspitzen. „Wie ist es zu Hause? Wie geht es Nora?“

„Gut, sie lässt dich grüßen. Die Muffins sind von ihr.“ Er wies auf die kleinen Schokoküchlein, die mit bunten Perlen verziert waren.

„Sie backt dir Muffins??“

„Die sind für dich.“ Gideon verdrehte die Augen und deutete mit einem Stück Gurke auf mich. „Spar dir den Unterton.“

„Wann lerne ich sie kennen?“

„Wenn du mich auf der Arbeit besuchst vermutlich. Wir sind Kollegen, Emma, nichts weiter.“

„Du verbringst Zeit mit ihr.“

„Weil sie ein wundervoller Mensch ist.“

„Ach wundervoll?“ Im nächsten Moment prallte eine kleine Tomate gegen meine Stirn und ich duckte mich hastig, aber viel zu spät zur Seite. „Hey! Man wirft nicht mit Essen!“

„Dann hör auf, so einen Blödsinn zu reden! Du klingst wie die Tanten in meiner Gemeinde. Und wie mein Chef.“

„Ich bin deine Schwester, ich habe ein Recht darauf zu erfahren, wenn es etwas zu erfahren gibt.“

„Gibt es aber nicht. Wenn dem so wäre, würde ich es dir sagen.“ Gideon sammelte die Tomate ein und warf sie sich in den Mund. „Was ist mit dir? Einen netten Cowboy getroffen?“

„Nö, auch keinen Ölbaron, Tellerwäscher oder angehenden Musikstar. Amerika ist nicht das, was die Filme sagen.“

Gideon lachte in sich hinein, stützte die Ellenbogen auf den wackeligen Tisch und musterte mich über seine verschränkten Hände. „Du hast mir gefehlt. Skypen ist nicht das Gleiche wie das hier.“

„Ich habe dich auch vermisst.“ Ich sagte es mit einem Augenzwinkern, aber es war so viel mehr als nur Spaß. Er hatte mir unendlich gefehlt! Die Entscheidung, zu Yuna in die USA zu gehen, war innerhalb einer Woche gefallen. Wir kannten uns seit der zehnten Klasse, als ein Austauschprogramm uns zusammengewürfelt hatte. Sie, meine beste Freundin Rahel und ich waren schnell zu einem Trio verwachsen, das bis heute Bestand hatte.

Als Yuna schwanger wurde, waren Rahel und ich vor Freude beinahe ausgeflippt. Doch relativ schnell ging es ihr schlechter und der Arzt verordnete strenge Bettruhe. Yuna rief mich an und weinte so sehr, dass ich kein Wort verstand. Ich verbrachte eine schlaflose Nacht und einen verregneten Morgen im Zwiegespräch mit meinem himmlischen Vater. Und dann buchte ich einen Flug. Job und Wohnung zu kündigen war alles andere als einfach und ohne Gideon, der mir sofort zu Hilfe eilte, hätte ich besonders mit Letzterem große Schwierigkeiten bekommen. Überhaupt war der Papierkram ein Albtraum, aber wir bekamen es hin und ich durfte für ein Jahr bei Yuna sein, durfte miterleben, wie Grace geboren wurde und die Welt ein Stückchen wundervoller machte.

Oh, wie ich dieses kleine Wesen vermisse!

„Hast du mal nach meinen Sachen gesehen?“

„Ich war vor zwei Wochen in dem Lagerraum. Sah alles gut aus.“

„Danke, das ist lieb.“

„Tut mir leid, dass ich keinen Keller habe und du Lagerkosten bezahlen musst.“

Ich schnaubte. „Hat dein Vermieter dich schon rausgeworfen wegen deinem Urwald?“

Gideon verzog missbilligend das Gesicht. „Zimmerpflanzen verbessern das Raumklima. Das ist erwiesen.“

„Natürlich.“ Ich nickte mit großer Geste. „Wer braucht schon Möbel, wenn man Pflanzenkübel aufstellen kann.“

„Du bist ganz schön frech geworden.“

„Und du kannst mich nicht mehr stummschalten.“

Gideon grinste, doch es verlor rasch an Kraft und mit einem Mal sanken seine Schultern nach unten. „Wann werden wir darüber reden?“

„Worüber genau?“ Ich gab mich ahnungslos, doch ich wusste, worauf er anspielte, und mein Magen zog sich augenblicklich zusammen.

„Bibertal.“

„Bibertal.“ Ich nickte langsam. Der Name klang, als wäre er eine Erfindung von C. S. Lewis. Ein Kribbeln ging davon aus, glitt meine Wirbelsäule hinunter und entzündete kleine Funken überall an meinen Nervenenden. „Wie heißt der Typ noch mal, den du da kennst?“

„Finnegan Iversen. Es ist ziemlich lange her. Weißt du noch, als ich ein Jahr bei diesem Projekt gearbeitet habe, nach der Unwetterkatastrophe an der polnischen Grenze? Daher kenne ich ihn. Ich hatte dir damals ein Foto von ihm gemailt.“

„Stimmt, ich erinnere mich. Er hat dort gearbeitet?“

„Nein, er war einer der Geldgeber. Er war damals im Reitsport ziemlich erfolgreich. Mehr als erfolgreich, er war … krass! Jedenfalls sagt man das – ich habe davon keine Ahnung. Aber sie haben so eine Wohltätigkeitsveranstaltung gemacht und da ist er auch geritten. Sein Hotelzimmer lag neben meinem, keine Ahnung, wir haben öfter mal geredet. Ich mochte ihn und wir sind ganz lose in Kontakt geblieben. Dann hatte er einen ziemlich schlimmen Unfall und ist von der Bildfläche verschwunden.“

„Okay, also so richtig nach besten Freunden klingt das nicht gerade.“

„Das habe ich auch nie behauptet.“

„Aber du kennst Bibertal?“

„Ich war einmal dort, auf der Rückreise. Finn hat mich mitgenommen und ich wollte von da aus weiter. Dann haben wir uns verquatscht und ich bin noch eine Nacht geblieben. Wenn du ihn irgendwann treffen solltest, dann frag ihn, ob das Baumhaus noch steht. Er wollte es für seine Nichte bauen, aber der Typ ist wirklich kein Handwerker.“

„Im Gegensatz zu dir.“

Gideon drohte mir mit der nächsten Tomate. „Ich hab ihm bloß ein paar Tipps gegeben.“

„Aber klar doch.“

„Ich habe übrigens nicht nur Essen für dich.“ Gideon bückte sich zu seinem Picknickkorb und zog einen schmalen Stapel Umschläge hervor. Beim Anblick des schicken Papieres lag mir mein Brötchen plötzlich schwer im Magen. „Der Umschlag ganz oben kam an deinem Geburtstag.“

Recht grob riss ich das Papier auf. Eine hübsche Geburtstagskarte lag darin. Rasch überflog ich den Inhalt. Floskeln und leere Worte – wie jedes Jahr. Darunter eine verschnörkelte Unterschrift wie die eines Filmstars. Ich warf einen Blick auf den Scheck und verdrehte die Augen. Es war dieselbe Summe wie seit Jahren. „Sie hat sogar selbst unterschrieben.“

„Und für dich angerufen.“

„Ich weiß, hab ihre Mail gelesen.“

Sabine Keller war eine Reporterin, die unter dem Pseudonym Fleur Martine eine beeindruckende Karriere hingelegt hatte. Angefangen hatte sie als Praktikantin, dann hatte sie sich die guten Artikel geschnappt, wichtige Interviews geführt und war innerhalb von fünf Jahren ein bekanntes Gesicht geworden. Egal wie heiß die Story war, sie scheute sich nicht, sie anzufassen.

Außerdem war sie die Frau, die uns geboren hatte.

Damit hatte es sich aber auch schon mit den Familienbanden.

Ich suchte Shakespeare und entdeckte ihn auf einer Fensterbank, wo er sich die Sonne aufs Fell scheinen ließ. Er wirkte ziemlich entspannt, scheinbar hatte ihm der Flug nichts ausgemacht. Hoffentlich traf das auch auf die Zugfahrt zu, wir hatten noch ein paar Stunden vor uns.

„Emma.“ Gideon lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf sich. „Du musst das nicht tun.“

„Was meinst du?“

„Direkt dorthin ziehen. Du kannst erst mit zu mir kommen. Dich einleben.“

„Und auf deiner Couch schlafen? Wohnt da nicht immer noch dieser Typ?“

„Er wohnt im Gästezimmer. Aber ich könnte ihn auf die Couch umquartieren.“ Gideon rieb sich über die kurzen Haare. „Adri hat sich fast wieder gefangen, das wird.“

„Und dann willst du dir ein neues Häufchen Elend zulegen?“ Ich schüttelte den Kopf und trank von meinem Wasser. „Du weißt, ich verabscheue Großstädte.“

„Ich kann mich wegbewerben. Wir können uns gemeinsam etwas Neues suchen.“

„Du liebst die Wache. Und was würde aus Nora werden? Und Adri? Sie brauchen dich.“

„Und du?“

Ich auch, wollte ich sagen, doch ich biss mir auf die Zunge und schluckte die Worte hinunter. Ein Jahr ohne Gideon zu sein war der Horror gewesen. Aber ich hatte es geschafft.

Die Wahrheit war, ich war eine Nomadin. Ziellos. Meine letzten Jobs hatte ich nie länger als sechs Monate gehabt. Dazwischen viel zu lange gar nichts. Mein Lebenslauf war ein Albtraum. Es lag nicht daran, dass ich faul war, ich war nur … unstetig? Unsicher? Eine Pflanze, ohne Halt. Seit Jahren suchte ich einen Platz, an dem ich Wurzeln schlagen konnte. Doch es trieb mich immer wieder fort.

„Ich dachte, du fändest die Idee gut, dass ich nach Bibertal gehe. Du hast gesagt, die Stelle passt zu mir.“

„Ich …“ Gideon seufzte. „Das tut sie! Du liebst Bücher, ich kann mir gut vorstellen, wie du in einem Buchladen arbeitest, Bücher empfiehlst, Kunden zwingst, all deine Lieblinge zu kaufen und all das. Du wirst das gut machen. Und du wolltest es schon immer.“

Wollte ich. Ich hatte eine Ausbildung als Bibliothekarin gemacht und auch einige Zeit in dem Beruf gearbeitet. Bis sie die Bibliothek geschlossen hatten. Vielleicht war das der Zeitpunkt gewesen, an dem ich es vermasselt hatte. Den Absprung. Den Übergang. Oder was auch immer.

Vielleicht war es mir aber auch immer bestimmt gewesen.

Ich warf einen Blick auf den Umschlag auf dem Tisch und wollte ihn gerne anzünden. Alles, was diese Frau anging, trieb trübe Gedanken in mein Gehirn. Gedanken, von denen ich eigentlich frei war.

„Hey.“ Gideon streckte einen langen Arm über den Tisch und tippte mir gegen die Nasenspitze. „Noch da?“

„Klar.“ Ich rieb mir über die Augen. „Hör zu, ich liebe dich und ich habe dich vermisst. Aber ich kann nicht mit nach München. Ich muss mein eigenes Ding finden. Irgendeinen Ort, wo ich bleiben kann. Es wird langsam Zeit. Vielleicht ist es Bibertal, vielleicht auch nicht. Aber ich kann nicht den Rest meines Lebens zwischen dir, Rahel und Yuna hin und her pendeln und mich in eure Leben drängen. Ich möchte selbst etwas aufbauen. Ich möchte …“ Hilflos hob ich die Hände und ließ sie zurück in meinen Schoß sinken. „Ich möchte jemand sein. Irgendwo. Und irgendwie. Und außerdem habe ich lange darüber gebetet und bin mir sicher, das Richtige zu tun.“

Gideon musterte mich ernst. Die Sorgenfalte über seinem linken Auge war mir vertraut. Ich mochte es nicht, wenn sie wegen mir auftauchte. „Dein Lebenslauf definiert dich nicht, Emma. Du bist wundervoll. Ganz egal, ob du kellnerst oder die Finanzwelt eroberst. Das ist es nicht, was dich ausmacht.“ Während er sprach, wählte er jedes Wort mit Bedacht und legte sein Herz hinein.

„Ich respektiere deine Wünsche. Und ich träume deine Träume. Das weißt du. Fahr nach Bibertal. Ich werde noch einmal versuchen, Finn zu erreichen, damit er dich empfängt. Ich besuche dich in ein paar Wochen. Und wenn irgendetwas ist, genügt ein Anruf und ich hole dich da raus.“ Er lächelte schief. „Meine Couch wird immer dir gehören.“

„Awww.“ Ich drückte die Hände gegen meine Brust und schmolz dahin. „Hast du das vor dem Spiegel geübt?“

„Mach dich nur lustig“, brummte Gideon und bückte sich erneut nach seinem Picknickkorb. „Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass uns nur ein paar Bundesländer trennen und kein Ozean.“

Im nächsten Moment warf er mir etwas zu, das ich nur in allerletzter Sekunde aus der Luft fischen konnte. Entgeistert starrte ich auf das Trinkpäckchen in meiner Hand. „Ist das Capri-Sonne?!“

„Orange. Deine Lieblingssorte.“

„Du bist der beste Bruder, den es gibt!“ Behutsam pfriemelte ich den Strohhalm aus seiner Hülle. Der erste Schluck schmeckte nach Kindheit, Sonne und süßen Erinnerungen. Und nach sehr, sehr vielen künstlichen Zusatzstoffen.

„Ich ekle mich ein bisschen vor mir selbst, weil mir die immer noch schmeckt“, gestand ich.

„Beruhigend“, kommentierte mein Gegenüber trocken, schnappte sich sein eigenes Trinkpäckchen und hielt es mir entgegen. „Auf Neuanfänge?“

„Auf Neuanfänge“, bestätigte ich. „Und auf kleine Städtchen mit hübschen Namen, deren Google-Fotos wirklich beeindruckend sind. Und auf Buchladen-Jobs.“

„Auf dich. Darauf, dass du sehr viel mutiger bist als ich.“

Kopfschüttelnd drückte ich mein Trinkpäckchen gegen seines.

Bibertal.

Es klang nach Narnia.

Und nach einem Neuanfang.

Finn

Geistesgegenwärtig schaltete Finn das Warnlicht ein und stieg aus dem Wagen. Der Regen war kälter als erwartet und raubte ihm für einen Moment den Atem, während er auf die Frau zuhastete. „Sind Sie verletzt?“

Sie schüttelte den Kopf und deutete hinter sich. „Sie aber!“

Sie war in dem Fall ein Reh. Das Tier lag auf der Straße und bemühte sich aufzustehen. Erfolglos. Finn zog sich der Magen zusammen angesichts dieser verzweifelten Hilflosigkeit.

„Ich weiß, man darf sie nicht anfassen, aber …“ Die Frau klang verzweifelt und gleichzeitig wild entschlossen. „Ich habe hier kein Netz. Haben Sie ein Handy dabei?“

„Die funktionieren in diesem Teil des Waldes meistens nicht.“ Finn wandte sich zurück zum Wagen und rief über die Schulter. „Ich rufe Hilfe!“ Sein Bein protestierte, als er zum Wagen zurückrannte. Die letzten Tage war alles gut gewesen, aber Wetterumschwünge machten ihm immer zu schaffen. Er stieg ein und griff nach dem Funkgerät. „Hier ist Finn. Ich befinde mich auf der alten Waldstraße. Hier sind eine Frau und ein verletztes Reh. Hört mich jemand?“

„Finn, ich höre dich.“ Die Stimme seines besten Freundes Amal drang umgeben von Rauschen aus dem Gerät. „Ist die Frau verletzt?“

„Nein“, erwiderte Finn und spähte durch die Windschutzscheibe. Die Frau stand dicht bei dem Tier. Es sah beinahe aus, als würde sie mit dem Reh sprechen. Sie war klatschnass und eindeutig nicht aus der Gegend. Was machte sie hier? Hatte er also wirklich einen Koffer gesehen? Ihren?

„Hier ist Ian, was kann ich tun?“, ertönte eine zweite Stimme aus dem Funkgerät. „Ich habe den Anhänger der Schmidts am Wagen. Hilft das?“

„Negativ“, erwiderte Amal. „Der Doc und ich sind auf dem Weg. Wo genau bist du, Finn?“

„Kurz vor dem Graben, wo du deinen Fiat damals versenkt hast“, gab Finn zurück.

„Alles klar. Wir kommen. Haltet euch von den Bäumen fern, dieser Sturm ist übel.“

Wie um seine Worte zu bestätigen, krachte ein gewaltiger Donner, der Finn bis in die Knochen zu gehen schien. Er beugte sich zum Rücksitz, griff nach seiner Jacke und stieg erneut aus dem Wagen. „Setzen Sie sich in mein Auto“, rief er der Frau zu, die noch immer neben dem Reh stand. „Sie müssen aus diesem Regen raus.“

„Kommt jemand?“, rief sie zurück, ohne auf sein Angebot einzugehen. „Ich glaube, sie wird schwächer.“

Finn folgte ihrem Blick. Das Reh lag zitternd auf dem Asphalt. Zu gern hätte er versucht, das Tier durch Berührung zu beruhigen, doch er wusste, dass davon streng abgeraten wurde, weil die Tiere in ihrer Angst meist um sich bissen und noch mehr in Panik gerieten. Er ertappte sich bei dem Wunsch, Lexie an seiner Seite zu haben. Er hatte vielleicht Ahnung von Pferden, immerhin arbeitete er seit seiner Kindheit mit ihnen, doch er war nur Reiter, kein Arzt. Seine Nachbarin hatte zwar auch kein Medizinstudium, aber ein unglaublich umfangreiches Wissen durch ihre Arbeit und ihre bunte Vergangenheit. Lexie war eine Herausforderung, laut und unaufhaltsam. Aber gerade jetzt hätte er ihre Gegenwart wirklich zu schätzen gewusst.

„Ich konnte keine Wunde finden“, sprach die Frau weiter. „Aber ich denke, ihr Bein ist gebrochen.“

Er konnte sehen, dass sie zitterte. Ihre Jacke war vielleicht mal warm gewesen, aber dem Regen hatte sie nicht standhalten können. „Hey.“ Er tippte ihr gegen die Schulter, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ihr Blick ging ihm bis ins Mark. Ihre Augen waren weit aufgerissen und so grün wie Frühlingsblätter. Tiefrote Haarsträhnen klebten an ihrem Gesicht und sie hatte sich die Unterlippe zerbissen. „Wie heißen Sie?“

„Emma.“

„Hi, Emma, Sie sollten sich wirklich in meinen Wagen setzen. Dort ist es wärmer.“

Die Frau – Emma, verbesserte er sich innerlich – schüttelte den Kopf und sah wieder zu dem Reh. „Ich lasse sie nicht allein.“

Irgendetwas in ihrer Stimme sagte ihm, dass sie sich nicht würde umstimmen lassen, also nickte er. „Haben Sie gesehen, was passiert ist?“, fragte er vorsichtig weiter und sie verzog das Gesicht.

„Nein, aber ich habe den Knall gehört. Es war schlimm.“ Sie schauderte und diesmal nicht nur vor Kälte.

„Ist das Ihr Koffer vorne an der Straße?“

Sie nickte erneut, Regen tropfte von ihrer Nasenspitze. „Ich hab doch kein Warndreieck und irgendwie musste ich aber auf uns aufmerksam machen.“

„Ich werde Ihren Koffer holen und stattdessen ein Warndreieck aufstellen. In Ordnung?“

Sie nickte. Ihr Blick hing weiter an dem Reh, dessen Bewegungen immer schwächer wurden. Finn schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Amal und Noah schnell hier sein würden. Bitte rechtzeitig, Vater!

Scharfer Schmerz schoss auf den wenigen Schritten zum Wagen durch sein Bein. Finn presste eine Hand gegen die Hüfte und versuchte nicht zu humpeln. Das Warndreieck in der Hand ging er zu dem Koffer und wünschte, er hätte seinen Stock dabei. Gleichzeitig hatte er keine Lust auf neugierige Fragen. Aber vermutlich würde es Emma in ihrem Zustand gar nicht auffallen. Sie stand eindeutig unter Schock. Finn stellte das Warndreieck auf und zog an dem Koffer. Er war schwer. Ein Blitz zuckte über den Himmel, doch der Donner brauchte einige Herzschläge. Das Gewitter entfernte sich. Fragt sich nur, in welche Richtung, dachte Finn missmutig und öffnete den Kofferraum. Es war gar nicht so leicht, den tropfenden Koffer hineinzuwuchten, sein Bein protestierte energisch und Finn unterdrückte ein Stöhnen. Im nächsten Moment huschte ein Schatten an ihm vorbei und sprang in den Kofferraum. Finn zuckte zurück und starrte die riesige Katze an, die tropfnass und schlecht gelaunt seinen Blick erwiderte. „Und wer genau bist du?“, brummte Finn und erntete ein unfreundliches Maunzen. „Emma!“, rief Finn zu der Frau hinüber. „Gehört die Katze zu Ihnen?“

„Ja“, rief sie zurück und machte einen Schritt in seine Richtung. „Geht es ihm gut?“

„Nass, aber gesund würde ich sagen.“ Finn fischte eine Jacke von der Ablage, schloss vorsichtig den Kofferraum und ging mit eingezogenem Kopf zurück. Vielleicht war es Wunschdenken, aber der Regen schien nachzulassen.

Bei Emma angekommen, reichte er ihr die Jacke. „Der Kater sitzt im Kofferraum neben Ihrem Koffer. Haben Sie noch mehr Sachen?“

„Mein Rucksack.“ Sie nickte zum Straßenrand. „Shakespeares Katzenkorb habe ich unterwegs stehen lassen. Er war einfach zu schwer.“

„Der wird sich schon wiederfinden lassen.“ Finns Herz machte einen Satz, als Scheinwerfer vor ihnen über die Straße huschten. Endlich. Danke, Vater! „Da kommt unsere Hilfe.“

Emma blinzelte, sah ihn an, schien ihn erst jetzt richtig wahrzunehmen. Ihr Blick tastete über sein Gesicht und sie legte ein bisschen den Kopf schief. Rote Haarsträhnen klebten an ihrer Wange. „Sie sind Finn Iversen, oder?“

Finn zuckte zurück. Eisige Kälte explodierte in seinem Magen und breitete sich in alle Richtungen aus. Plötzlich wünschte er mit aller Macht, er hätte sich von Christopher nicht noch zu einem letzten Ausritt überreden lassen und wäre schon wie geplant morgens aufgebrochen. Dann wäre er Emma nie begegnet. Ohne zu antworten, ging er auf Noahs heranrollenden Jeep zu. Amal folgte gleich dahinter in seinem Polizeiwagen. Noah schenkte Finn nur ein schnelles Nicken, dann kniete er auch schon neben dem Tier nieder und begann Emma Fragen zu stellen. Amal dagegen schlug seinem Freund auf die Schulter. „Hättest du nicht still und heimlich zurückkommen können, ohne Drama?“ Finn warf ihm einen säuerlichen Blick zu, doch Amal war dagegen immun. „Wer ist die Frau?“

„Ihr Name ist Emma.“

„Und was treibt sie hier, mitten im Wald?“

„Frag sie selbst“, gab Finn unwirsch zurück. „Was dagegen, wenn ich verschwinde?“

„Hey.“ Amal schob sich in sein Blickfeld. „Wer hat dir in die Suppe gespuckt?“

„Es ist ziemlich nass hier, falls dir das noch nicht aufgefallen ist.“ Schlagartig fiel ihm ein, dass er Emmas Koffer im Wagen hatte. Er saß fest. Mist!

„Finn.“ Amal war unerbittlich. „Rede mit mir.“

Finn knirschte mit den Zähnen. Sein Blick huschte zu Noah, der dem Reh gerade eine Spritze verabreichte, und zu Emma, die irgendetwas für ihn festhielt. Ihre Kapuze war nach hinten gerutscht. Das Gesicht darunter war recht blass, mit feinen Zügen. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor und das ungute Gefühl in seinem Bauch wurde immer stärker. Sorgfältig verborgene Erinnerungen drängten an die Oberfläche und der Schmerz in seinem Bein nahm zu. „Sie weiß, wer ich bin.“

Amals Augen weiteten sich. „Woher weißt du das?“

„Sie hat meinen Namen gesagt.“

„Also denkst du, sie ist ein alter Fan oder …?“

„… eine Schnüfflerin.“ Der Fluchtreflex wurde immer stärker. „Kannst du sie aus der Stadt werfen?“

„Wie bitte? Finn, sie ist nicht mal richtig angekommen. Und dass sie dich erkannt hat, muss gar nichts bedeuten.“

Finn schüttelte unwillig den Kopf. „Bitte sag, dass euer Gästezimmer frei ist und du sie mitnehmen kannst.“

Amal sah aus, als müsste er ein Lachen unterdrücken. „Du meinst das Gästezimmer, das jetzt ein Kinderzimmer ist? Wo soll sie schlafen – auf der Wickelkommode?“

„Zum schlafenden Biber wird immer noch renoviert und bis nach Kiefernberg ist es zu weit!“

„Lass mich mal mit ihr reden, okay? Geh du Noah helfen. Du kannst besser mit Tieren als ich.“

Finn zerbiss eine wütende Antwort und humpelte zu Noah hinüber. Das Reh war noch jung und nicht voll ausgewachsen, sodass sie es mit vereinten Kräften schafften, das betäubte Tier in den Pferdeanhänger an Noahs Jeep zu hieven. Finn lief der Schweiß den Rücken runter, doch wenigstens hatte der Regen beinahe aufgehört.

„Es ist gut, dass du wieder da bist“, sagte Noah. Er war ein stiller Typ, aber Finn mochte ihn gerade deswegen gerne.

„Ist zu Hause alles in Ordnung?“

„Archie ist in ein Kaninchenloch getreten, aber es geht ihm gut. Der kleine Kerl ist so unverwüstlich wie seine Reiterin.“

„Ist Auri gestürzt?“ Entsetzen wallte in Finn hoch.

„Ja. Aber es geht ihr prima. Lexie war bei ihr. Ich sehe mir Archie morgen noch einmal an.“

„Danke, Noah.“

„Jederzeit.“ Der junge Mann tippte sich grüßend an die Stirn und stieg in seinen Jeep. Finn verzichtete darauf, ihn zu fragen, ob er Emma mitnehmen könnte. Noah würde mit dem Reh alle Hände voll zu tun haben und die Wohnung über seiner Praxis war winzig.

Es blieb ihm wohl keine andere Wahl, als sich in sein Schicksal zu ergeben. „Wir sollten los“, sagte er, als er Emma und Amal erreichte. Emma hatte ihren Rucksack in der Hand. „Ich nehme Sie mit nach Bibertal, Emma.“

„Ganz sicher?“, fragte Amal, doch die Dankbarkeit in seinen Augen war kaum zu übersehen.

Finn nickte knapp und steuerte ohne ein weiteres Wort auf seinen Wagen zu. Den Kater hatte er völlig vergessen. Er sah ihm von der Rückbank entgegen und fauchte, sodass Finn eine prächtige Anzahl von nadelspitzen Zähnen bewundern konnte. „Keine Sorge“, brummte er, schälte sich aus seiner Jacke und hängte sie hinter sich an den Sitz. Wasser tropfte aus seinen Haaren. „Ich bin davon genauso begeistert wie du.“

Die Beifahrertür öffnete sich und Emma schob sich mitsamt Rucksack hinein. Sie bot einen ziemlich erbärmlichen Anblick, ihre Lippen liefen bereits blau an – sie musste dringend unter eine heiße Dusche. Und doch breitete sich ein liebevolles Lächeln auf ihrem Gesicht aus, als sie den Kater entdeckte und sich zu ihm beugte. Finn startete den Motor und drehte die Heizung hoch, dann fuhr er Noahs Rücklichtern hinterher.

Das Schweigen hing im Wagen und zehrte an ihm, so wie die gruseligen Erinnerungen in seinem Kopf, die sich einfach nicht unterdrücken lassen wollten. Wenn Emma wirklich eine Reporterin war … Nein, dieser Albtraum durfte nicht noch einmal losgehen! Er würde das nicht zulassen!

„Könnten Sie mir erklären, was Sie bei diesem Wetter ganz allein auf der Straße gemacht haben?“

„Ich war unterwegs nach Bibertal.“ Emma bemühte sich sichtlich, das Klappern ihrer Zähne zu unterdrücken. Falls sie den unfreundlichen Unterton in seiner Stimme bemerkte, reagierte sie auf jeden Fall nicht darauf. „Der Zug hatte eine Panne und wir mussten raus. Es gab nicht genug Taxen und ich saß fest.“

„Also sind Sie einfach losgelaufen?“

„Der Schaffner sagte, es wäre nicht so weit und unterwegs sollte eine Bushaltestelle sein.“

Finn schnaubte angesichts dieses Blödsinns. „Bei diesem Wetter fährt der Bus nicht durch den Wald. Es gibt eine Ausweichroute. Die Straße ist gut, aber nichts für Fußgänger, und es ist für Fremde viel zu leicht, sich zu verlaufen. Eine Touristin in den Wald zu schicken, ist absolut unverantwortlich!“

Emma schien überrascht angesichts seines Ausbruchs und schwieg einen Moment, ehe sie sagte: „Also war ich ziemlich dämlich.“

Finn gab einen überraschten Laut von sich, mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. „Damit waren Sie aber nicht allein.“ Er warf einen Blick in den Himmel. Es sah aus, als wären sie dabei, das Unwetter einzuholen, die Regentropfen wurden wieder dicker und prasselten mit neuer Wucht auf die Scheibe.

„Danke.“ Emma wandte ihm ihr Gesicht zu und als Finn ihren Blick erwiderte, schenkte sie ihm ein Lächeln, das ihn bis ins Mark erschütterte und etwas berührte, von dem er lange geglaubt hatte, es vergessen zu haben. „Fürs Anhalten. Und Hilfeholen. Und Mitnehmen.“

Enge umklammerte seine Kehle. „Gern geschehen“, brachte Finn hervor und wandte sich rasch wieder der Straße zu. Hör auf, sie sympathisch zu finden, fauchte er in Richtung seines Herzens. Sie ist der Feind!

Aber das weißt du doch gar nicht, flüsterte eine leise Stimme in ihm.

„So hatte ich mir meine Ankunft in Bibertal nicht vorgestellt“, seufzte Emma, die von seinem inneren Konflikt nichts mitbekam. „Ich finde, es klingt nach einem Ort, wo immer die Sonne scheint.“

Finn lachte auf. „In welcher Broschüre stand das denn?“

„In keiner“, gab Emma zu. „Aber es klingt doch danach, finden Sie nicht?“

„Ich würde sagen, Sie wurden schnell eines Besseren belehrt.“ Vor ihm setzte Noah den Blinker und ließ grüßend die Rücklichter aufleuchten. Finn erwiderte und sah Emma fragend an. „Haben Sie ein Zimmer gebucht? Ich setze Sie dort ab.“

„Ich habe einen Bungalow gemietet, aber ich bin ein paar Tage zu früh und habe noch keine Antwort von der Vermieterin, dass ich schon anreisen darf. Können Sie mich an einem Hotel rauslassen?“

Finn umklammerte das Lenkrad etwas fester. Das durfte doch alles nicht wahr sein!

„Ich habe gelesen, dass es ein Hotel am Hafen gibt“, fuhr Emma fort, die seine Stimmung zu spüren schien. „Zum schlafenden Biber. Können Sie mich dort absetzen?“

„Das hat geschlossen wegen eines Wasserschadens. Es gibt ein Bed & Breakfast auf dem Weg in den nächsten Ort, aber bei dem Unwetter können wir die Brücke nicht passieren und müssten einen Umweg fahren. Das dauert knapp eine Stunde und ich habe nicht den Eindruck, dass einer von uns beiden das will.“

„Oh.“

Er glaubte zu sehen, wie sich ihre Schultern anspannten. Er dachte an Aylin und wie er es hassen würde, wenn sie in so einer Situation wäre. Darum fügte er hinzu: „Bei mir am Haus ist ein Bungalow, den Sie heute Nacht nutzen können. Er ist klein, hat aber alles, was man braucht. Außerdem wohnt meine Schwester bei mir. Sie wären also nicht allein mit einem fremden Kerl. Aber wenn Sie darauf bestehen, bringe ich Sie rüber nach Kiefernberg.“

Emma dachte einen Moment nach, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, schon gut. Ich meine, ein Polizist war dabei, als Sie mich eingeladen haben. Das sollte reichen, oder?“

„Amal hat keinen Platz für Gäste und auf der Wache hätten Sie die Nacht auf einem unbequemen Bürostuhl verbracht. Und Noah ist nur auf tierische Besucher eingestellt. Es ist keine optimale Situation, aber ich konnte –“

„Mich ja schlecht im Wald lassen?“, ergänzte sie und lustige Funken sprühten von ihren Worten. Sie tasteten nach ihm, kratzten an der Mauer, die er um sich erbaut hatte. „Schon gut. Ich steige nicht zu jedem in den Wagen, wissen Sie? Selbst bei Unwetter nicht.“

„Wollen Sie jemanden anrufen? Ihren Standort senden oder so etwas?“

„Es gibt Leute, die wissen, wo ich bin. Und ich kann auf mich aufpassen.“ Von der Rückbank ertönte ein Fauchen. Finn hatte den Kater schon wieder vergessen. Er konnte das Grinsen in Emmas Stimme hören. „Und ich bin in der Überzahl.“

Das ließ er lieber unkommentiert.

Etwa eine Viertelstunde später erreichten sie die Einfahrt zum Haus der Iversens. Der Regen fiel noch immer ziemlich stark, aber dafür grollte der Donner bereits in einiger Ferne. Das Licht im Haus war kaum zu erkennen, kleine Lichtpunkte, die immer wieder durch die vom Scheibenwischer befreite Frontscheibe blitzten.

Finn hielt den Wagen auf der Einfahrt an, ungefähr auf der Höhe des Bungalows, den er von hier aus nicht mal erkennen konnte. Von den Hunden war nichts zu sehen, sicher waren sie im Haus und schliefen verbotenerweise wieder in Auris Bett. Es war inzwischen reichlich spät.

Im Wagen war es mittlerweile angenehm warm und er hatte keine große Lust, wieder nass zu werden, doch es half nichts. „Näher kommen wir nicht ran. Nehmen Sie Ihren Rucksack und den Kater, ich hole Ihren Koffer und dann bleiben Sie dicht bei mir.“

Sie nickte langsam, ihr Blick huschte über die Umgebung und eine kleine Falte war zwischen ihren Brauen aufgetaucht. Sie sah nicht gerade aus, als würde sie sich sicher fühlen, und Finn fühlte sich wie ein Schuft. „Ich bin kein Axtmörder, keine Sorge.“

„Oh gut, dass Sie das sagen. Weil das ja auch gar nichts ist, was ein wirklicher Axtmörder sagen würde“, gab sie zurück und in ihren Augen funkelte es.

Er schluckte das Lachen hinunter, ein Lachen, das ihm schon lange nicht mehr so leicht gefallen war in Gegenwart einer Fremden. Wer war sie nur? „Sie sind hier sicher“, wiederholte er noch einmal, weil er wollen würde, dass es jemand anders auch zu Aylin oder Auri sagen würde. „Alles ist gut.“

„Ich weiß.“ Sie sagte es mit so einer Gewissheit, dass sein Magen sich zusammenkrampfte. Wie viele Artikel sie wohl über ihn gelesen hatte, um zu diesem Schluss zu kommen? Wie viele Interviews und Zusammenschnitte hatte sie auf YouTube gesehen?

Augenblicklich kochte Wut in ihm hoch. Er war nicht das, was die Reporter über ihn geschrieben hatten! Und er würde auch nicht das sein, was Emma wahrscheinlich über ihn schreiben würde: Wie der gescheiterte Olympia-Reiter mich vor dem Unwetter rettete – Hat Finn Iversen doch ein Herz? Er konnte die Überschrift förmlich sehen und sie löste einen heftigen Würgereiz in ihm aus.

Er wartete nicht weiter, sondern sprang aus dem Wagen und hechtete los. Emmas Schritte platschten hinter ihm über das nasse Gras. Es war rutschig und viel zu dunkel, aber dann tauchte der Bungalow vor ihnen auf und Finn hastete unter das schützende Vordach, wischte sich das Wasser aus den Augen und drückte die Tür auf. Der Kater drängte sich an ihm vorbei ins Innere, als er den Lichtschalter betätigte und den kleinen Wohnraum in warmes Licht tauchte. Etwas verwirrt bemerkte er den frischen Duft von Waschmittel und die Schüssel Snacks auf dem Tisch. Er musste Auri sagen, dass sie hier kein Essen stehen lassen sollte. Ansonsten wirkte alles erstaunlich aufgeräumt, nirgendwo lag Spielzeug herum.

Emma sah sich mit großen Augen um, während er ihren Koffer abstellte und den Pizzakarton, den er aus einem Impuls heraus aus dem Wagen mitgenommen hatte, auf die Küchenzeile legte. Dann überprüfte er Wasser und Strom, drehte die Heizung auf und warf einen Blick ins Bad. „Es ist alles da. Bedienen Sie sich bei dem, was Sie finden. Für eine Nacht wird es gehen.“

„Vielen Dank“, sagte Emma und schlüpfte aus seiner Jacke. „Das ist wirklich sehr freundlich.“

Finn sah sie an und biss die Zähne zusammen. „Hören Sie, ich weiß nicht, was Sie von mir wissen und was Sie hier wollen, und es ist mir auch egal. Schreiben Sie, was Ihnen passt. Aber spionieren Sie hier nicht herum und lassen Sie vor allem alle anderen da raus, klar?“

Emmas Augen weiteten sich einen Moment, dann verengten sie sich blitzartig. „Wovon genau reden Sie?“

„Spielen Sie nicht die Unschuldige. Sie wussten, wer ich bin, noch ehe ich mich vorgestellt habe. Sie wollten etwas über den gescheiterten Finn Iversen herausfinden? Da gibt es nichts, gar nichts, worüber ich mit Ihnen sprechen werde. Sie saßen in der Patsche und ich habe Ihnen geholfen und ich verlange nichts dafür, außer, dass Sie morgen verschwinden und nicht wiederkommen.“

„Finn.“ Emma machte einen Schritt auf ihn zu. Ihre Miene war völlig unbeeindruckt von seinem Ausbruch. „Ich denke, Sie verstehen hier etwas falsch, und es tut mir leid, ich hätte mich längst vorstellen sollen. Ich bin keine Reporterin oder sonst etwas, für das Sie mich halten. Mein Name ist Emma Keller. Und ich weiß, wer Sie sind, weil mein Bruder Gideon es mir gesagt hat.“

Rahel:

Schlaf nicht wieder im Zug ein, Emma, sonst wachst du in der Schweiz auf.

Emma:

Das ist nur einmal passiert und es war nicht die Schweiz!!

Dieser Tag lief definitiv nicht wie erwartet! Dabei hatte es doch so gut angefangen mit dem Picknick und einem Erste-Klasse-Ticket, was Gideon mir gesponsert hatte.

Ich hatte sogar die ersten zwei Anschlusszüge problemlos erreicht!

Doch dann war es bergab gegangen. Zugausfall, Alternativroute und schließlich Endstation mitten im Nirgendwo wegen einer Panne. Ich war eingeschlafen und von einem leicht entsetzten Zugbegleiter geweckt worden, der mich darauf hinwies, dass ich eigentlich gar nicht mehr in diesem Zug hätte sitzen dürfen. Mangels einer Alternative war ich kurzerhand zu Fuß losgezogen – was sich als Fehler erwiesen hatte. Das Unwetter hatte mich völlig überrascht, der einzige Wagen, der mich überholt hatte, hatte auf mein Handzeichen nicht reagiert.

Und dann der Knall.

Niemals würde ich dieses Geräusch vergessen, die Panik, die plötzlich in mir aufstieg, als ich das Reh auf der Straße gefunden hatte.

Und jetzt stand ich völlig durchnässt in einem mir fremden Bungalow und Finn Iversen starrte mich an, als hätte er einen Geist gesehen. Ich konnte förmlich sehen, wie sein Gehirn auf Hochtouren arbeitete und versuchte, die soeben erhaltene Information einzuordnen. „Gideon Keller“, wiederholte er schließlich. Von seiner bärbeißigen Art war einiges verloren gegangen.

Ich nickte stumm und bemühte mich, nicht zu offensichtlich mit den Zähnen zu klappern. Die Wut, die eben noch um ihn herumgeflackert hatte, erlosch. Zurück blieb ein Mann mit braunen Augen und scharfen Gesichtszügen, aus dessen Haaren das Wasser tropfte. Ich war ziemlich froh, dass Gideons Name ihm etwas sagte und er mich nicht im nächsten Moment nach draußen jagte.

„Idiot.“ Er stieß es zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, sodass ich ihn kaum verstehen konnte. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass er sich selbst meinte und nicht meinen Bruder. „Es tut mir leid“, schob er hinterher. „Ich …“ Er rang die Hände in einer Geste der Hilflosigkeit und ich lächelte vorsichtig.

„Ist schon okay, wirklich.“ Gleichzeitig fragte ich mich, was für schlimme Erfahrungen er gemacht haben musste, um so auf Fremde zu reagieren. „Ich hätte mich vermutlich eher vorstellen sollen, aber auf der Straße …“ Jetzt war ich es, der die Worte ausgingen für das grausige Gefühl, was mich im Wald befallen hatte. Erst Finns Ankunft hatte es langsam verschwinden lassen.

Mir lief ein Schauer über den Rücken, der ein so lautes Zähneklappern zur Folge hatte, als säße irgendwo ein Specht unter dem Tisch. „Du solltest heiß duschen“, sagte Finn und wich ein Stück Richtung Tür zurück. „Die Pizza ist zwar kalt, aber lecker und besser als nichts. Brauchst du –“

„Nichts, danke, ich komme wirklich klar“, erwiderte ich und versuchte, das sanfte Herzklopfen zu ignorieren, das sein plötzlicher Umschwung zum Du in mir auslöste.

„Okay, dann … sprechen wir morgen in Ruhe?“

„Klingt gut.“ Mein Lächeln verkrampfte etwas, als meine Zähne erneut aufeinanderschlugen. „Gute Nacht?“

„Gute Nacht.“

Und damit blieb von Finn Iversen nicht viel mehr als eine Spur aus Regentropfen auf dem Fußboden und ein ganz seltsames Gefühl in meiner Brust.

Die Kälte trieb mich in das kleine Bad und unter die Dusche. Zuvor schnappte ich mir aber noch Shakespeare und rieb ihn trotz seines Protests mit einem Handtuch trocken. Reichlich zerzaust sprang er auf die Fensterbank und begann sich zu putzen, während ich den Raum mit heißem Wasserdampf füllte.

Wie sich herausstellte, war der Inhalt meines Koffers leider von dem Unwetter ebenfalls sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, und es dauerte eine Weile, bis ich einen trockenen Pullover und eine Jogginghose gefunden hatte. Beim Anblick der sich teilweise wellenden Bücher brach mein Herz ein bisschen.

Aufgewärmt und mit halbwegs geordneten Gedanken, aber immer noch gemischten Gefühlen nahm ich meinen Aufenthaltsort in Augenschein. Shakespeare folgte mir auf dem Fuß und ich war dankbar für seine Nähe. Die Tür, durch die wir gekommen waren, gehörte zu einer Glasfront, die die gesamte Vorderseite des Häuschens ausmachte. Der Wohnbereich war gemütlich, mit einer Couch und einem Sessel, der förmlich danach rief, in ihm zu lesen. Eine Essecke und ein paar schmale Regale vervollständigten den Raum. Dahinter lagen Küche und Badezimmer, an der Wand führte eine schmale Treppe empor. Gemeinsam mit Shakespeare stieg ich hinauf und fand mich nach Betätigung des Lichtschalters in einem kleinen Flur wieder, von dem zwei Türen abgingen. Hinter der einen wartete ein wahres Chaos an Umzugskisten, doch hinter der anderen lag ein süßes Schlafzimmer. Auch hier gab es eine große Glasfront mit eingelassenem Fenster und dichten Vorhängen. Davor stand ein Bett aus Paletten unter der Dachschräge, die andere Seite bildeten ein eingebauter Kleiderschrank nebst einer Reihe Regalfächer.

Shakespeare huschte an mir vorbei, sprang auf die dicke Matratze und schnupperte an dem Bettbezug. „Sieht aus, als könnten wir es hier eine Nacht aushalten, nicht wahr?“, murmelte ich und drehte mich einmal um mich selbst. Vermutlich hatte ich da draußen irgendwo meinen Verstand verloren, aber dieses Häuschen kam mir bekannt vor. Konnte es dasselbe sein wie jenes, das ich ab nächste Woche gemietet hatte?

Aber das war nicht möglich! Niemals würde der Finn Iversen, den ich heute kennengelernt hatte, seinen Grund und Boden Fremden zur Verfügung stellen. Oder nur keinen Fremden, die er für Journalisten hielt? Auf der Airbnb-Seite hatte nur der Vorname des Hosts gestanden, der im Übrigen eine Frau war, aber Finn wüsste ja wohl, wenn hier jemand als Gast geplant wäre.

Ich trat neben das Bett und sah nach draußen. Vor den Fenstern herrschte nichts als Schwärze und leise Beklommenheit beschlich mich. Da bemerkte ich den Stecker am Boden und hockte mich hin, um ihn in die Steckdose zu stecken. Die Lichterkette, die im nächsten Moment aufleuchtete, entlockte mir ein erleichtertes Lachen. Shakespeare sprang zu mir auf den Boden und rieb sich schnurrend an meiner Hüfte.

„Wo sind wir hier nur gelandet, hm?“ Liebevoll zerzauste ich sein Fell. „Ein verregnetes Narnia und ein überaus mürrischer Herr Tumnus.“

Ich sammelte meine Gedanken ein, die schon wieder zu meinem unfreiwilligen Gastgeber wanderten, drehte die Heizung im Schlafzimmer hoch und ging zurück in den Wohnraum, um mein Handy zu suchen. Leider blieb der Bildschirm trotz meiner Bemühungen dunkel. Das Ladekabel steckte in meinem Kulturbeutel, einer der wenigen trockenen Orte in meinem Koffer, und eine Steckdose war schnell gefunden. Während das Handy lud, füllte ich den Wasserkocher und stöberte unverfroren durch die Schränke, wobei ich zu meiner Freude ein altes Radio entdeckte. Kurze Zeit später erfüllte leise Folkmusik den Raum, immer mal wieder unterbrochen durch Knistern und Rauschen, aber es half gegen das Gefühl, ganz allein in der undurchdringlichen Schwärze zu sein.

In einem der Schränke fand ich eine Auswahl von Tees, Cappuccinopulver, bunte Streusel und eine Packung Nudeln mit Tomatensauce, bei deren Anblick mein Magen rumorte. In diesem Moment erinnerte ich mich an den Karton, den Finn auf dem Tisch hinterlassen hatte, und ich fiel beinahe über meine eigenen Füße, während ich hinüberhechtete. Die Pizza war kalt, aber sie war riesig und mit Tomatenscheiben bedeckt. Und es war keinerlei Fleisch darauf zu sehen. Beim ersten Bissen entwich mir ein genüssliches Stöhnen. Schnell füllte ich eine Schüssel mit Wasser für Shakespeare und holte etwas von seinem Futter aus meinem Koffer.

Beim zweiten Stück Pizza war mein Magen besänftigt, der Tee fertig und mein Handy erwachte wieder zum Leben. Ich wählte Gideons Kontakt an und trat an eins der Fenster.

Es regnete noch immer heftig, doch das Gewitter schien weitergezogen zu sein. Das Geräusch der Tropfen auf dem Dach zusammen mit der Radiomusik und dem warmen Licht sorgte für eine wunderbare Gemütlichkeit.

„Na endlich.“ Pure Erleichterung schwang in der Stimme meines Zwillings mit. „Ich war kurz davor, ins Auto zu steigen und dir nachzufahren.“

„Bring ein Regencape mit, es ist ungemütlich hier.“

„Geht es dir gut?“

In kurzen Sätzen schilderte ich ihm die letzten Stunden und spürte, wie nach und nach immer mehr Spannung von mir abfiel. Gideon lauschte schweigend und ich konnte förmlich spüren, wie sein schlechtes Gewissen, mich in diese Situation gebracht zu haben, wuchs und wuchs. „Und jetzt bin ich hier in diesem wunderschönen Häuschen und esse Pizza“, beendete ich meine Erzählung mit einem Happy End. Gideon schwieg einen langen Moment. „Du bist ein bisschen sprachlos, was?“, versuchte ich die Stimmung aufzulockern.

„Ein wenig“, gab er zu. „Es … läuft nicht ganz, wie ich erwartet hatte.“

„Das kann ich unterschreiben.“

„Ich habe Finn versucht anzurufen, aber ich erreiche ihn nicht. Vielleicht stimmt die Nummer auch gar nicht mehr.“ Gideon seufzte. „Was ist dein Plan?“

„Eine Nacht drüber schlafen und sehen, was der morgige Tag bringt.“ Ich hatte Gideon meinen Verdacht bezüglich des Häuschens verschwiegen. Wenn ich ihm sagen würde, dass ich ab morgen vielleicht ohne Bleibe war, könnte ihn nichts auf der Welt davon abhalten, zu mir zu kommen. Außerdem hatte ich schließlich eine Bestätigung auf meine Buchungsanfrage bekommen. Vielleicht irrte ich mich auch und die Wohnungen waren einfach von demselben Architekten entworfen worden. Es gab eine Menge Erklärungen. Und viele davon führten dahin, dass sich die Wege von Finn Iversen und mir morgen trennen würden.

Unwillkürlich tauchte sein Gesicht vor mir auf, wie er aus dem Wagen gesprungen und auf mich zugekommen war. Und wie seine Miene sich nach und nach verfinstert hatte, als hätte ein Teil des Gewitters sich darauf festgesetzt. Und doch hatte ich mich nicht unbedingt unwohl in seiner Nähe gefühlt. In seiner Miene hatte etwas gelegen, als er das angefahrene Reh angesehen hatte, das mich immer noch berührte. Er war kein unfreundlicher Mensch, nur … – ja was? Reiß dich zusammen, Emma!, ermahnte ich mich selber. Menschen zu analysieren ist nicht gerade dein Spezialgebiet.

„Emma!“, drang es aus dem Lautsprecher meines Handys und ich zuckte zusammen. „Bist du noch da?“

„Anwesend!“, meinte ich hastig. „Entschuldige, was hast du gesagt?“

„Lass mich mit Finn reden. Wenn er dir –“

„Mit dem werde ich schon fertig“, unterbrach ich die brüderliche Fürsorge schnell. „Keine Sorge.“

„Okay.“ Oh, er würde sich Sorgen machen. Und wie er das würde.

Ich sah zu meinem Kater, der mittlerweile auf der Couch lag und herzhaft gähnte. „Shakespeare sagt Hi.“

Gideon schnaubte belustigt. „Sind deine Bücher sehr mitgenommen?“

„Das wird schon, ich lege sie auf die Heizung.“

„Ich gehe mit dir einkaufen, wenn wir uns wiedersehen.“

„Darauf werde ich Sie festnageln, Herr Brandmeister!“ Endlich lachte Gideon und der Knoten in meiner Brust lockerte sich merklich.

„Gute Nacht, Emma.“

„Gute Nacht, Bruderherz.“ Die Verbindung wurde beendet. Einen Moment lang starrte ich in die Nacht hinaus und wieder wanderten meine Gedanken zu einem gewissen Jemand. Er hatte gehinkt. Erst nicht, aber dann war es stärker geworden. Woher war er überhaupt gekommen? Und für wen waren die Pizzen gewesen? Fragen über Fragen. Ich schob sie beiseite, nahm eine rasche Sprachnachricht für die Mädels auf und machte es mir dann mit meinem Tee neben Shakespeare auf dem Sofa gemütlich.

In einem Fach unter der Tischplatte lagen ein paar Kinderbücher. „Das ist doch jetzt nicht dein Ernst“, murmelte ich und zog eine Taschenbuchausgabe von Narnia hervor. Mit einer Mischung aus Belustigung und Irritation strich ich über das vertraute Cover und schloss die Augen. „Danke, dass du mich hergebracht hast, Vater. Danke, dass ich doch irgendwie angekommen bin, dass das Auto nicht mich oder Shakespeare erwischt hat. Bitte, lass das Reh überleben und …“ Ich seufzte und rieb mir über die Stirn. „Zeig mir, ob ich hier wirklich richtig bin. Ich will gerne den Weg gehen, den du für mich hast, aber gerade weiß ich ehrlich gesagt nicht, wie der sein soll. Aber danke dafür, dass du auch hier bei mir bist. Danke für deine Liebe, Vater.“

Rahel:

Hallo? Erde an Emma? Wo steckst du? Wie war die Nacht in der seltsamen Hütte von dem seltsamen Kerl?

Fünf verpasste Anrufe.

Sonnenlicht streichelte meine Wangen und ich drückte das Gesicht noch etwas fester in das weiche Kissen. Das Vogelgezwitscher war erstaunlich laut und von Grace noch nichts zu hören. Shakespeares Schnurren war –

Shakespeare schnurrte?

Verwirrt schlug ich die Augen auf und es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass ich nicht in Yunas Gästezimmer, sondern auf einer Couch lag, in einem kleinen Häuschen in einem Ort mitten im Nirgendwo, in dem ich gestern Nacht gestrandet war. Und mein sonst so griesgrämiger Kater lag in den Armen eines fremden kleinen Mädchens und schnurrte zufrieden.

„Guten Morgen“, sagte das Mädchen und musterte mich aus strahlend blauen Augen. „Du bist wach.“

Ich nickte benommen und richtete mich auf der Couch auf. Etwas stach in meine Hüfte und ich zog das Buch hervor, in dem ich gestern noch gelesen hatte. Die Tür stand einen Spalt offen und auf der hölzernen Veranda dahinter saßen zwei riesige Hunde und starrten mich an! Mein Herz machte einen Satz und ich griff unwillkürlich nach der Decke.

„Ich bin Auri“, fuhr das Mädchen fort. „Aurelia Iversen und ich wohnen in dem großen Haus da drüben. Das da draußen sind Nemo und Marlin und du brauchst keine Angst vor ihnen zu haben, weil du Onkel Finns Gast bist und Gäste werden nicht gefressen, sagt Onkel Finn. Nur Amal droht er das manchmal an, aber er meint es nicht ernst, das weiß ich.“

Der Schreck in meinen Gliedern verwandelte sich in ein überraschtes Auflachen über diese treuherzigen Worte. Auri war vielleicht sieben oder acht Jahre alt und wirkte ziemlich selbstbewusst. Außerdem schien sie ein Händchen für Tiere zu haben. „Ich bin Emma.“ Meine Stimme klang noch ziemlich verschlafen. „Hi, Auri.“

„Hat Onkel Finn dich wirklich im Wald gefunden??“

„Ja, das könnte man wohl so sagen.“

„Aber wer geht denn bei Gewitter in den Wald? Das ist nicht besonders schlau.“

„Nein, das ist es wohl nicht“, stimmte ich ihr schmunzelnd zu. „Es war auch nicht so wirklich mein Plan, weißt du?“

Auri kräuselte ihre süße Stupsnase und wirkte nicht sehr überzeugt. Dicke blonde Strähnen fielen ihr über die Schultern, sie trug eine verwaschene Latzhose und darunter ein pinkes Shirt. Ich versuchte Finns Gesichtszüge in ihr zu entdecken, aber es fiel mir schwer.

In diesem Moment meldete sich mein Magen mit einem lauten Knurren zu Wort und Auri kicherte. „Hast du Hunger? Onkel Finn macht gleich Frühstück. Ich wollte dich holen.“