Walk in LOVE - Felicitas Brandt - E-Book

Walk in LOVE E-Book

Felicitas Brandt

5,0

Beschreibung

Das spannende Finale der romantischen Faith.Hope.Love-Serie von Faithful New Adult-Autorin Felicitas Brandt.Es war die große Liebe, bis er ohne ein Wort verschwand …Ein perfekter Sommer endet für Izzy mit einem gebrochenen Herzen, als Dante ebenso plötzlich aus ihrem Leben verschwindet, wie er zuvor darin aufgetaucht war.Es dauert, die Scherben aufzusammeln und etwas Neues daraus zu bauen. Ihr Job als Floristin und die Ostsee vor ihrer Haustür helfen ihr dabei, den Verlust zu verarbeiten. Zwischen Blumen, Pflanzen und weichem Meeresstrand lernt Izzy, die Vergangenheit loszulassen – bis zu dem Moment, als Dante plötzlich wieder auftaucht.Er hat seiner Familie den Rücken zugewandt, er will raus aus dem finsteren Schatten seiner Vergangenheit. Und er will einen Neuanfang. Mit Izzy! Aber obwohl sie sich noch immer zu ihm hingezogen fühlt, hat sie auch Angst, dass Dante sie wieder verlassen wird. Und dieses Mal für immer.

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Meiereli

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Dieser Band ist der spannendste der drei Bücher! Es hat mich total mitgerissen und ich wollte unbedingt wissen, wie es weiter ging... Die Geschichte von Tori oder Raik würden mich auch noch interessieren 😉
00

Beliebtheit




FELICITAS BRANDT

WALKIN

Love

Die Bibelverse aus 5. Mose 33,27; Jesaja 43,1; Jesaja 55,8; Jeremia 31,3 und2. Timotheus 3,3 sind dem Bibeltext der Schlachter entnommen.Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicherGenehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

© 2021 Brunnen Verlag GmbH, Gießen

Lektorat: Carolin Kotthaus

Umschlagfoto: shutterstock

Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger

Satz: DTP Brunnen

Druck: FINIDR, s.r.o., Tschechien

ISBN Buch 978-3-7655-2116-4

ISBN E-Book 978-3-7655-7560-0

www.brunnen-verlag.de

Für Christian

Du hast die Welt angehalten und bist einfach abgesprungen.Und seitdem schlingert sie,weil du fehlst.Jeden Tag.

Inhalt

Triggerwarnung

Prolog

1 Milchshake und Seifenblasen

2 Neue Mitspieler

3 Sonnenblumenblätterabgänge

4 Deine Worte auf meiner Haut

5 Picknickdeckenzorngefühle

6 Unnütze Dinger, diese Tränen

7 Hinter verlorenen Fluren

8 Von Monstern und Auswegen

9 Entführungen und Sonnenblumenmelancholie

10 Wahrheitsflüstern um Mitternacht

11 Morgendliche Überfälle ohne Frühstück sind nicht okay

12 Der Bonsai – Erzfeind des Menschen

13 Übermütige Schmierfinken …

14 … und gefährliche Geschirrtücher

15 Abgründe

16 In guten Händen

17 Lass uns ein paar Pandas jagen

18 Zwischen Farn und Sukkulenten

19 Von Nachteulen und Hobbits

20 Gewitterfront

21 Auf die schrägen Dinge

22 Das Upgrade des Schwiegermonsters

23 Kein guter Tag für Lieblingskleider

24 Zerrissen

25 Unvollständiges Desaster

26 Normalität mit einer Prise Wahnsinn

27 Warteschleife

28 Don’t call it Schnitzel

29 Risse im Familienstammbaum

30 Nicht dein Remmidemmi

Epilog

Nachwort

Danksagung

Blumentrocknen mit Izz

Triggerwarnung

Hallo du,

dieses Buch enthält Elemente, die triggern können.

Diese sind: sexuelle Belästigung und Suizid-Gedanken.

Es ist nicht das Hauptthema dieser Geschichte, es betrifft nur wenige Szenen, aber ich möchte dich trotzdem darauf hinweisen, damit du dich schützen kannst.

Solltest du in dieser Hinsicht Bedenken oder Rückfragen haben, melde dich gerne bei mir oder anderen Lesern, die das Buch kennen.

Deine Felicitas

Prolog

Graue Wolken kämpften über dem Schwalbenhof mit einem kalten Wind, drängten vor und zurück in einem unentschiedenen Tauziehen.

Ich starrte auf meine Hände, als wären sie mir fremd. Mein Atem ging keuchend, meine Gedanken waren wirbelnde Fetzen. Die Flucht aus dem Haus. Der Motorradfahrer, der uns verfolgt hatte. Beißende Angst in meinem Innersten, die mich weitertrieb, obwohl meine Beine so müde waren. Und immer noch diese Nachricht vor Augen – von der Nummer, die ich schon vor Monaten gelöscht hatte. Ich wünschte, mein Handy hätte nicht den Geist aufgegeben, sodass ich jetzt nachsehen könnte, ob sie noch da war, doch der Bildschirm blieb schwarz.

Jetzt, Izzy!

Es waren nur ein paar Buchstaben und doch konnte ich förmlich seine Stimme hören. So vertraut, trotz all der Wut und der Tränen, die ich auf die Erinnerungen geschüttet hatte. Weil ich nur vergessen wollte.

Ein Grollen ertönte. Bösartig.

Ich hob den Kopf und sah sie kommen. Alle maskiert unter ihren Helmen, jede Bewegung eine Drohung. Jemand sog neben mir scharf den Atem ein. Raik. Ich blickte in seine moosgrünen Augen, in denen heute nichts Schelmisches lag, nichts Flirtendes, nicht mal ein Hauch davon. Da war nur Angst. Und in diesem Moment wurde mir klar, dass Raik Lenz eigentlich ein guter Kerl war.

Lia stand auf meiner anderen Seite und umklammerte den Arm ihres Freundes. Auf Milans Gesicht vermischten sich Furcht und Wut mit Resignation. Die Narben leuchteten schrecklich bleich auf seinem Gesicht. Ihn würde es am schlimmsten treffen. Dabei war er einer von den Guten, auch wenn ich eine Weile gebraucht hatte, um das zu erkennen.

Im nächsten Moment packten mich Hände und rissen mich zurück. Lia schrie und Twix sprang bellend an der vermummten Gestalt hoch, die mich gepackt hielt, doch er biss nicht zu! Warum nur biss er nicht zu?

„Izzy, ich bin es!“

Alles

erstarrte

zu

Stein.

Ich vergaß mich zu wehren, vergaß zu schreien, sogar zu atmen für diesen einen Moment. Seine Stimme. So vertraut und doch so unlogisch.

Dante.

Er lockerte seinen Griff, als meine Knie nachgaben und ich gegen ihn sackte. Ein stummer Befehl und Twix hörte auf zu bellen, er wirkte genauso verwirrt, wie ich mich fühlte.

„Bist du verletzt?“, flüsterte Dante, während vor uns Drohungen ausgetauscht wurden. Ich schüttelte den Kopf. „Wenn ich jetzt sage, dann läufst du weg“, fuhr er so leise fort, dass ich ihn kaum verstehen konnte. „Ich werde Milan helfen, aber du musst dich in Sicherheit bringen! Nimm Twix und hau ab!“

Ich schüttelte erneut den Kopf und wollte etwas erwidern, aber meine Lippen waren versteinert und die Worte darauf fanden keinen Ton. Niemals würde ich Lia im Stich lassen! Dante drückte meinen Arm. Ich wollte mich umdrehen, wollte das dumme Visier hochschieben und seine Augen sehen. Nur einmal.

Nur um sicherzugehen!

„Das reicht jetzt!“ Ein Klicken. Dann trat Grandma Tjebben wie aus dem Nichts hervor, ein Gewehr in den Händen. Die Mündung zeigte auf Dantes Brust, schwarz und endgültig. Ich hatte noch nie ein Gewehr im echten Leben gesehen. Es sah bedrohlicher aus, als ich erwartet hatte.

„Er war es nicht“, gellten die Worte in meinem Kopf. „Er hat doch nichts getan!“ Aber mein Körper war aus Stein und niemand hörte mich. Die Angreifer kehrten zurück, die Helme waren fort. Bösartigkeit prangte auf ihren Gesichtern, als sie uns einkreisten.

„Izzy, geh!“, rief Dante, doch ich klammerte mich an seiner Jacke fest und schüttelte krampfhaft den Kopf.

Im nächsten Moment ertönte ein scharfer Knall.

Mit einem erstickten Schrei fuhr ich aus dem Schlaf hoch und kämpfte panisch gegen die Arme an, die mich noch immer umklammert hielten. Twix bellte neben mir, seine Pfote kratzte über meine Haut. Ich riss die Augen auf, erkannte die vertrauten Umrisse meines Schlafzimmers und die Decke, in der ich mich verheddert hatte.

„Izzy!“ Lia richtete sich neben mir auf, die dunkle Mähne vom Schlaf zerzaust. „Ist schon gut, alles ist gut.“ Sie streckte die Hand nach mir aus. Ihre Berührung vertrieb den Traum, dessen Fetzen sich mit der Realität vermischten.

Twix sah verwirrt vom Boden zu mir hoch. Kaspian, unser Rottweiler, kam herangeschlichen und stieß ihn behutsam mit der Schnauze an.

„Tut mir leid“, flüsterte ich. Meine Stimme kratzte rau in meiner Kehle. „Twix.“ Ich streckte die Hand aus und der Australian Shepherd leckte tröstend über meine Finger. Blinzelnd richtete ich mich auf und lehnte mich ans Kopfende. „Was ist passiert?“

„Du hast geträumt“, sagte Lia mitfühlend. Das Licht der Nachttischlampe malte einen weichen Schein auf ihr Gesicht.

„Es hat geknallt“, murmelte ich und versuchte den Anblick der Waffe aus meinem Kopf zu verdrängen, die mich noch immer anzustarren schien.

„Das Fenster. Ich fürchte, es hat einen deiner Kakteen erwischt.“

Ich folgte Lias Blick und entdeckte ein Trümmerfeld aus Erde und Scherben auf dem Boden. Kaspian schnupperte an den verstreuten dunkelroten Blättern und der kleinen Knospe, die erst vor zwei Tagen aufgegangen war. Bedauern stach als spitzer Dolch durch mein Herz und plötzlich hatte ich Tränen in den Augen. „Das ist kein Kaktus, sondern eine Sukkulente“, flüsterte ich. „Und sie ist kaputt. Einfach kaputt.“ Ein Schluchzen brach aus mir hervor, das rein gar nichts mit meiner verstorbenen Pflanze zu tun hatte.

Lia rutschte zu mir herüber und drückte mich an sich. „Es ist gut“, flüsterte sie und strich mir übers Haar, während Tränen aus meinen Augen kullerten und ich gar nicht wirklich wusste, warum. „Alles wird gut.“

„Ich habe geträumt“, krächzte ich. „Vom Hof. Und von Rose Tjebben.“

„Du verarbeitest, was heute passiert ist, das ist doch klar. Jeder würde das.“

„Also ist es wahr?“, fragte ich langsam und drehte den Kopf, um sie anzusehen. „Ich habe es nicht geträumt.“

„Nein“, sagte Lia leise. „Hast du nicht. Es ist wahr. Dante ist zurück.“

„Und ich dachte, das zwischen uns wäre etwas Ernstes, Larry.“ Seufzend schaute ich den Lavendel an. Larry wirkte weder schuldbewusst noch sonst irgendwas, er ließ nur traurig seine lila Triebe hängen wie schon in den letzten drei Tagen, seit ich ihn zu meinem persönlichen Rettungsobjekt erkoren hatte. Stirnrunzelnd prüfte ich die Erde und den Lichteinfall, doch es war alles perfekt. Nichts erklärte, warum Larry so trübselig aussah.

„Izzy?“, hörte ich die Stimme meiner Chefin Flora und rappelte mich hoch.

„I’ll be back“, verkündete ich Larry und stürmte in unseren Verkaufsraum hinüber. Okay, na gut, es war nur ein halbherziges Stürmen. Ich war so müde, dass ich heute schon zweimal gegen einen Tisch gelaufen war. Der Nachteil daran, wenn man sich nachts in der Gegend herumtrieb. Aber gegen die wuchernden Rosen von Frau Kunze hatte einfach endlich mal jemand was unternehmen müssen.

Vorne im Laden kam Flora mir schon entgegen, der lange Blümchenrock schwang ihr um die Beine und die haselnussbraunen Haare hatte sie zu einem Dutt zusammengebunden. Der Sommer war in Lokvard eingezogen und hatte einige warme Tage mitgebracht. Als ich ihre Miene sah, war Larry vergessen. „Was haben sie diesmal getan?“

„Ich bin mir noch nicht sicher, aber aus irgendeinem Grund sind sie blau. Und damit meine ich wirklich blau! Meine Kinder haben sich in Schlümpfe verwandelt.“ Flora seufzte. „Ich fürchte, diesen Babysitter bin ich auch los.“

„Schade, sie hat bisher wirklich gut durchgehalten.“

„Wem sagst du das. Bei dir alles in Ordnung?“

„Larry macht mir Sorgen, aber sonst ist alles gut“, gab ich unschuldig zurück und versuchte, nicht an den Grünschnitt von Frau Kunze zu denken, den ich im Abfall versteckt hatte.

„Du weißt, ich liebe dich, aber manchmal bist du ein bisschen verrückt.“

„Nicht so verrückt wie deine Kinder“, gab ich zurück und Flora verdrehte die Augen. Sie war Mutter von neunjährigen Zwillingen, die sich ständig in Schwierigkeiten brachten. Ich konnte die Anrufe von entsetzten Babysittern oder Lehrern gar nicht mehr zählen, die ich im Vergissmeinnicht schon entgegengenommen hatte. „Geh ruhig, es ist doch nur noch eine halbe Stunde, bis der Laden schließt, und heute war es ruhig. Ich schließe ab.“

„Danke, das ist lieb von dir. Aber der Truck müsste auch noch umgesetzt und ausgeladen werden.“

„Okay, ich übernehme das“, versprach ich, obwohl mir bei dem Gedanken an das unberechenbare Monstrum auf vier Rädern die Knie weich wurden. „Wirklich, geh nach Hause, Mama Schlumpf.“

Flora hob mahnend den Zeigefinger, doch ihr erleichtertes Seufzen schmälerte die Drohung. „Bist du sicher? Du hattest doch Pläne heute.“

Behutsam begann ich, sie durch den Raum und Richtung Kasse zu bugsieren. „Skypen mit meinen Eltern um halb sechs, danach skypen mit Lia um halb sieben. Sie hat ein neues Rezept und will es gemeinsam mit mir kochen. Bei ihr in Frankenberg soll es heute übel gewittern, ich hoffe die Verbindung hält.“

„Das hoffe ich auch für euch!“, nickte Flora. „Soll ich dich Freitag mit zum Einkaufen nehmen? Dann kannst du alles besorgen, was schwer zu tragen ist, und ich fahre dich nach Hause.“

„Das klingt toll.“ Sie bot mir das nicht zum ersten Mal an. Ich besaß kein Auto, was nicht schlimm war – ich fuhr eh viel lieber Rad. Aber ein Wocheneinkauf inklusive Milch und Wasserflaschen war mit dem Fahrrad nicht gerade leicht zu befördern. Ich hatte den heimlichen Verdacht, dass meine Mama Flora gebeten hatte, ein Auge auf mich zu haben, und dass dies ihre Art war, die Bitte umzusetzen.

Ich lächelte still in mich hinein. Flora war die großartigste Chefin der Welt. Noch in meiner Probezeit hatte sie mir das Du angeboten und seit meine Eltern ans andere Ende der Welt gereist waren, ging ihre mütterliche Sorge auch auf mich über. Dass ich bereits 24 und damit deutlich älter als ihre Zwillinge war, störte sie dabei nicht. Obwohl unser Umgang freundschaftlich war, respektierte ich sie vollkommen als meine Vorgesetzte. Ich liebte meinen Job und sie war einer der Gründe dafür. Entschlossen führte ich Flora zum Tresen, schnappte ihre Handtasche und drückte sie ihr in die Arme. „Und jetzt raus hier.“

„Ich gebe dir morgen eher frei, als Ausgleich. Du bist ohnehin zu viel hier.“

„Bis dann, Boss!“ Ich winkte eifrig und Flora schulterte mit einem entschuldigenden Lächeln ihre Tasche und hastete aus dem Laden.

Ich warf einen Blick zur Uhr und kümmerte mich dann darum, unseren Verkaufsraum aufzuräumen, ehe ich das Geschlossen-Schild an die Tür hängte und gleichzeitig überlegte, was ich mit meinem freien Nachmittag morgen anfangen würde. Vielleicht hatte Eske Zeit – morgen war Dienstag, also gab es im Cup&Cake mit Sicherheit eine neue Eissorte, die ich probieren musste.

Ein kurzer Blick auf meine Handy-App, mit der ich die Kameras am Haus abrufen konnte, zeigte mir meinen Australian Shepherd, der friedlich schlafend auf der Terrasse lag. Twix war als Welpe ausgesetzt worden. Meine beste Freundin Lia und ich hatten ihn gefunden, aufgepäppelt und nach Rücksprache mit dem örtlichen Tierheim adoptiert. Seither lebte er bei mir und liebte das Meer genauso sehr wie ich. Wir hatten mehrere Hundetrainings absolviert und jetzt durfte Twix sich, wenn ich arbeiten war, auf unserem Grundstück und dem angrenzenden Strand frei bewegen. Anfangs war ich nervös gewesen, doch er hatte jeden noch so netten Lockvogel ignoriert, und mittlerweile war ich es gewöhnt, dass mein Hund mich abends sand- und salzverkrustet an der Tür empfing und offensichtlich einen großartigen Tag gehabt hatte.

Ich schnappte mir meine Sachen, schloss ab und verließ den Blumenladen am Rande der Innenstadt Lokvards. Folgte man der Straße, gelangte man in einen kleinen Park, in dem gerade die Enten laut losschnatterten. In die andere Richtung lagen eine Buchhandlung und ein Bäcker, dann folgten die restlichen Geschäfte. Lokvard war nicht groß, aber es hatte alles, was man brauchte. Für eine ausgiebige Shopping-Tour fuhr man lieber weiter nach Lübeck oder Kiel, und manchmal waren mir hier zu viele Touristen, aber nichtsdestotrotz hatte ich diesen Ort, der jetzt seit fast einem Jahr mein Zuhause war, sehr lieb gewonnen.

Ich wich einer Eiscremepfütze aus und winkte Frau Hasse, der Besitzerin des Buchladens, zu, die ebenfalls dabei war, ihren Laden zu schließen. Wegen den von der Gemeinde angelegten Grünflächen, auf denen stolze Bäume ihre Zweige in den Himmel reckten, war vor dem Vergissmeinnicht nicht viel Platz. Man musste den richtigen Zeitpunkt abpassen, um nicht die gesamte Straße zu versperren, wenn man den Truck zum Ausladen vor den Laden stellte.

Ich lief um die Ecke in die Seitenstraße und die ungefähr 500 Meter zum Parkplatz, wo das Monstrum auf mich wartete. Es handelte sich um einen eigentlich ganz süßen Lieferwagen mit dem Schriftzug des Ladens darauf, den wir sowohl zum Transportieren als auch als Verkaufsstand nutzen konnten. Das Führerhaus war hellblau angestrichen und im Inneren roch es immer nach Erde und Grün. Doch trotz seines hübschen Äußeren blieb er ein Monstrum mit undefinierbaren Macken, die sich immer nur bei mir entfalteten und niemals in Floras Gegenwart. Ich fuhr den Truck nicht gerne, schon wegen seiner Größe nicht. Aber manchmal hatte ich keine Wahl. So wie heute.

Ausnahmsweise klemmte die Tür mal nicht. Ich wertete das als gutes Zeichen … und verwarf diesen Gedanken im nächsten Moment wieder, denn als ich den Motor startete, erwachten die Boxen zum Leben und schmetterten mir einen Helene-Fischer-Song um die Ohren. Hastig stellte ich die Lautstärke herunter und winkte entschuldigend einem älteren Herrn zu, der mich entsetzt musterte. „Ja ja, die Jugend“, seufzte ich, ließ die Fenster herunter und legte den Rückwärtsgang ein.

Behutsam lenkte ich das Monster um die Schlaglöcher auf dem Parkplatz herum, von denen einige als Kinderplanschbecken getaugt hätten. Mit zweimal Abwürgen schaffte ich es zum Vergissmeinnicht – und starrte entsetzt auf das glänzende Motorrad, das meinen Parkplatz belegte. „Nein“, ächzte ich. „Nein, nein, das darf einfach nicht sein!“ Kurz entschlossen sprang ich aus dem Wagen und sah mich hektisch nach dem Besitzer des Motorrades um. Doch die Straße war wie leer gefegt, bis auf zwei Radfahrer, die sich um den Truck herumschlängelten, der jetzt mitten auf der schmalen Straße stand. So wie dieser Volltrottel von Biker geparkt hatte, würde ich den Truck nicht wenden können, sondern rückwärts zurücksetzen müssen – und davor graute mir jetzt schon!

In diesem Moment begann das Handy in der Tasche meines Kleides zu summen. Ich griff danach und sah die Nummer meiner Eltern. Eine Stunde zu früh. In der Regel bedeutete das immer dasselbe. „Hey Mama“, meldete ich mich.

„Izadora!“ Die Stimme meiner Mutter klang blechern und unendlich weit weg. „Das Baby kommt! Wir müssen sofort …“ Ein fieses Rauschen unterbrach ihre Stimme.

„Die Verbindung ist schlecht, Mama.“

„… können nicht … uns wirklich leid.“

Und dann war die Leitung tot. Seufzend ließ ich das Handy sinken. „Ja sicher“, murmelte ich. „Ist überhaupt kein Problem. Ich komme schon klar.“ Im nächsten Moment kniff mich mein schlechtes Gewissen und schimpfte: Sei nicht so selbstsüchtig! Meine Mutter hatte mir von der hochschwangeren Frau berichtet, die für ihre Unterstützung so dankbar war. Soweit ich wusste, war es ihr erstes Baby und meine Mutter kümmerte sich Tag und Nacht um sie.

Traurig schob ich das Handy wieder in meine Tasche. Ich hatte mich auf dieses Telefonat gefreut. Ich vermisste meine Eltern. Und ich vermisste Lia. Ich vermisste mein ganzes altes Zuhause.

„Aber Lia ist dir geblieben und unser Date für heute Abend steht, also kein Grund, zum Trauerkloß zu werden“, sagte ich mir leise und straffte die Schultern. Jetzt hatte ich sowieso erst mal andere Sorgen. Da ich das Motorrad nicht einfach wegbeamen konnte, würde mir nichts anderes übrig bleiben, als den Truck irgendwie davor zu positionieren, und zwar schnell, denn gerade näherte sich das Geräusch eines weiteren Motors. Ich schwang mich hinter das Steuer, rammte den Schlüssel ins Schloss, drehte und – der Motor blieb stumm.

Entsetzt probierte ich es ein weiteres Mal. Nichts.

Hinter mir ertönte ein Hupen und ein frustrierter Schrei flog über meine Lippen. „Du miese, fiese Fehlkonstruktion!“, beschimpfte ich den Wagen. „Nicht jetzt und nicht hier, bitte!“

„Alles in Ordnung?“ Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung war. An meinem Fenster war eine Gestalt aufgetaucht. Ein junger Mann, der nicht viel älter zu sein schien als ich, gekleidet in eine schwarze Motorradkluft, nickte mir zu. „Hi.“

„Hi“, gab ich völlig verdattert zurück.

Hinter mir hupte es erneut, doch der Fremde zeigte sich davon völlig unbeeindruckt. Er trat noch einen Schritt auf mein offenes Fenster zu. Zerzauste rote Haare umrahmten ein kantiges Gesicht mit katzengrünen Augen, die mich belustigt musterten. „Brauchst du hier vielleicht Hilfe?“

1

Milchshake und Seifenblasen

Die Schaukel quietschte leise, ein altvertrautes Geräusch. Es erzählte von warmen Nächten und langen Gesprächen. Und von dem Gefühl der Freiheit, das man verspürte, wenn man sich nur fest genug vom Boden abstieß und die Welt einfach hinter sich zurückließ.

Auf der Schaukel neben mir saß meine Freundin Mayla. Sie hatte ihre blonde Mähne zu einem eleganten Dutt hochgebunden und ihre Haut schien von Sekunde zu Sekunde brauner zu werden. Wir hatten uns mit Milchshakes auf den vergessenen Spielplatz neben ihrer Wohnung zurückgezogen, während über uns die Augustsonne glühte. Ich genoss den kühlen Luftstrom an meinen Beinen, wo die Shorts mir nicht an der Haut klebten. Es war so warm. Für meinen Geschmack zu warm. Ich vermisste den Mai und freute mich gleichzeitig schon auf den September, auf seine bunten Blätter und die kühleren Nächte.

„Hast du was von Milan und Lia gehört?“ Maylas frisch manikürte Fingernägel fuhren gemächlich über ihren Becher.

„Nur ein paar Nachrichten. Berlin scheint sehr aufregend zu sein.“ Ich trank einen Schluck von meinem Milchshake und köstliche Schokolade brachte meine Geschmacksnerven zum Jubeln. „Es ist okay“, kam ich ihrer nächsten Frage zuvor. „Es geht mir gut. Klar, es ist still. Aber dafür ist jetzt Kaspian da und beschäftigt Twix. Die zwei verstehen sich wirklich gut. Milan hat Kaspian gechipt, er frisst und fühlt sich wohl. Es geht mir gut.“

Mayla sah mich unter hochgezogenen Brauen an. „Meinst du, es wird wahr, wenn du es nur oft genug wiederholst?“

„Ich habe fast ein Jahr lang alleine gewohnt, Mayla. Lia ist gerade mal eine Woche weg, das ist nun wirklich kein Problem.“

„Ich rede nicht von Lia. Ich rede von Dante und der Tatsache, dass er hier war, nur um dann erneut zu verschwinden. Und die Art, wie du guckst, wenn jemand seinen Namen sagt, spricht Bände.“ Mayla rollte mit den Schultern. „Hast du einen Plan?“

„Wofür?“

„Dante.“ Sie klang angewidert, als hätte sie Erde im Mund. „Was, wenn –“

„Ich will nicht über Dante reden, Mayla“, sagte ich müde und lehnte den Kopf an das Seil der Schaukel. Plötzlich war der Milchshake zu kalt zwischen meinen Fingern, die Sonnenstrahlen zu warm auf meiner Haut und mein Herz viel zu schwer in meiner Brust. Ich blickte auf die Hecke, die über den Zaun wucherte und bald auch den schmalen Weg zu unserem kleinen Versteck verschlingen würde. Vielleicht sollte hier mal jemand eingreifen, wenn die Gemeinde es schon nicht für nötig hielt. Aber Robin Wood war schon lange nicht mehr gesichtet worden.

„Schön.“ Mayla klang eher geschäftsmäßig, als beleidigt. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie nicht noch einmal mit Dantes Rückkehr rechnete.

Dante.

Der Typ mit den roten Haaren und den grünen Augen, an den ich im letzten Sommer mein Herz verloren hatte. Und der spurlos aus meinem Leben verschwunden war, nur um vor ein paar Wochen ebenso plötzlich wieder darin aufzutauchen. Ich schob die Gedanken weg – darin hatte ich Übung.

„Was ist mit dir?“, fragte ich und kratzte die Traurigkeit von meiner Stimme. „Wie war dein Tag?“

„Gut. Viel los. Ich habe endlich diesen riesigen Vertrag vom Tisch bekommen. Es hat ewig gedauert, ihn zu prüfen. Aber es hat sich gelohnt, die Schlussklausel war ein Witz.“

„Und wenn du keine langen Ärmel anhättest, Mayla?“, fragte ich leise. „Wäre dann auch noch alles gut?“

„Was hast du Lia gesagt?“ Maylas Stimme nahm die Schärfe von zerbrochenem Eis an. Sie war niemand, der gerne über die eigenen Schatten sprach.

„Gar nichts“, erwiderte ich ruhig. „Aber dass der Kerl dich neulich am Strand belästigt hat, war ja wohl offensichtlich. Er hat es verdient, dass Lia ihm ihre Bowle übergeschüttet hat. Und noch mehr.“

„Eske hat nichts bemerkt.“

„Eske ist auch zu gut für diese Welt.“ Ich hätte gerne den Kopf geschüttelt, doch ich wollte mich nicht abfällig über Eske äußern. Sie war eine gute Seele. So gut, dass sie nicht sah, wie Mayla litt, weil ihr Vorgesetzter ein übergriffiges Monster war, das sich von einem Nein nicht aufhalten ließ.

Ich wusste es schon eine Weile. Eines Tages hatte ich Mayla nach der Arbeit getroffen. Sie war völlig aufgelöst und versuchte, ihren Wagen aufzuschließen, aber ihre Hände zitterten zu sehr. Ich fuhr sie zu ihrer Wohnung, während sie auf dem Beifahrersitz nach Luft rang und sich weigerte, irgendeine Frage zu beantworten. Erst zu Hause zerbrach ihre Fassade und ich reimte mir aus den gestammelten Fetzen alles zusammen.

Sie redete von dem Job, den sie endlich bekommen hatte, und dem Vorgesetzten, der sie seit dem ersten Tag seltsam angeschaut hatte. Und der es jetzt nicht mehr bei Blicken beließ. Die Kleidung von diesem Tag hatte sie weggeworfen. Der blaue Fleck auf ihrem Oberschenkel war verblasst. Aber innerlich war Mayla noch immer voller blauer Flecken und es kamen stetig neue hinzu.

„Es muss aufhören, Mayla“, sagte ich in das Schweigen. „Bitte. Geh zu deinem Chef. Deinen Eltern. Der Polizei.“

„Und wenn sie mir nicht glauben?“ Ihre Worte klangen hohl. „Du weißt, wie hoch er angesehen ist. Er hat mit meinem Vater studiert. Sie sind Freunde, Izzy. Niemals würden sie glauben, dass …“ Sie brach ab und holte tief Luft. Die Fassade der Eiskönigin, die sie nur zu gerne trug, schmolz dahin und darunter kam ein verwundetes Mädchen zum Vorschein, voller Angst.

„Ich kann es bezeugen“, beharrte ich. „Und Lia, denn am Strand –“

„– hat er mich bloß zum Tanzen aufgefordert! Das ist kein Kapitalverbrechen.“

Ich schluckte die wütende Erwiderung hinunter. Mit Mayla zu streiten war grauenhaft. Und aussichtslos. „Ich mache mir Sorgen“, sagte ich leise.

„Das Gefühl kenne ich.“ Sie warf mir einen Blick zu und hob leicht die Mundwinkel. Ein Friedensangebot. „Wollen wir vielleicht in das Restaurant, wo –“

Im nächsten Moment bahnte sich eine Gestalt einen Pfad durch den zugewucherten Weg, platzte in unsere kleine Seifenblase und mitten hinein in Maylas Vorschlag. „Braucht ihr Mädels jemanden, der euch anschubst?“, fragte Raik, Sohn des reichsten Mannes an diesem Teil der Küste, der in seinem weißen Hemd ganz und gar unbeeindruckt von der Hitze wirkte.

„Was machst du denn hier?“, fragte ich verdutzt und umklammerte meinen Becher. Raiks Anblick verhieß nicht immer schlechte Neuigkeiten. Aber manchmal schon.

„Ich habe dich gesucht.“ Raik schob seine Designersonnenbrille hoch und blinzelte mich aus moosgrünen Augen an. „Ich habe Milans Klapperkiste auf der Autobahn überholt. Sie sind zurück.“

2

Neue Mitspieler

Raik bot an, mich nach Hause zu fahren, aber ich lehnte ab. Mein Fahrrad hätte nie im Leben in seinen lächerlich kleinen Sportwagen gepasst. Außerdem versprach ich mir, dass die zwanzig Minuten mit dem Rad meinen Herzschlag beruhigen würden. Taten sie aber nicht.

Als ich das Blaue Haus erreichte – mein Zuhause, das sich wunderschön vor dem Meer erhob –, raste mein Puls immer noch, als wolle er jedes EKG im Umkreis einfach in die Luft jagen. Ich versuchte, diesem dummen Organ klarzumachen, dass es nichts gab, wovor wir uns fürchten mussten, doch es lachte mich schallend aus und schlug gleich den nächsten Salto. Denn die Wahrheit war, dass ich mich sehr wohl fürchtete. Vor dem Anblick eines Mannes mit roten Haaren und tiefgrünen Augen.

Dante.

Der meine beste Freundin Lia und ihren Freund Milan nach Berlin begleitet hatte, und von dem ich nicht wusste, ob er auch mit ihnen zurückkommen würde.

Als ich Milans Auto vor dem Blauen Haus stehen sah, rutschte mein Fuß beinahe vom Pedal und ich machte einen wenig eleganten Schlenker über die Straße. Zwei Männer und zwei Frauen standen neben dem Wagen, die kleinste davon – Lia, ihres Zeichens meine Seelengefährtin und beste Köchin der Welt – lief mir entgegen und ließ mir kaum Zeit, von meinem Rad zu steigen, ehe sie mir um den Hals fiel und mich an sich drückte.

„Willkommen zurück“, flüsterte ich und fühlte, wie meine Schultern sich entspannten. Lia hatte diese Wirkung auf mich, diesen Zauber aus Vanilleduft und warmer Schokolade, der mich glauben ließ, dass alles gut werden würde, weil nichts gegen sie ankam. Nicht einmal meine Schatten.

„Er ist nicht hier“, wisperte sie an meinem Ohr. „Ich weiß nicht, wo er ist. Der Typ ist schwieriger zu knacken als ein Sack Walnüsse.“

Ich lachte über den Vergleich, aber es klang erstickt, schwankte zwischen Erleichterung und Vermissensschmerz.

Du willst ihn nicht sehen, schrie ich mein Herz an. Er hat dich gebrochen! Aber Herzen sind sture Wesen.

„Schön, dass du zurück bist“, sagte ich schließlich und löste mich von Lia. „Ist alles in Ordnung?“

„Alles ist gut.“ Lia griff nach meiner Hand und drückte sie freudestrahlend. „Milan und Jayden konnten alles klären. Komm, ich stell dich vor!“ Sie zog mich auf die kleine Gruppe zu.

Milan nickte mir zu, die Narben auf seinem Gesicht verzogen sich, als er mich anlächelte. Auch wenn er oft bei uns ein und aus ging, seit er meine beste Freundin und Mitbewohnerin datete, so zog sich in mir immer noch etwas zusammen, wenn ich die Narben sah, die er im letzten Sommer erhalten hatte.

Der junge Mann neben ihm war groß, aber zierlicher und doch unverkennbar Milans Bruder. Jayden. Ihre Familienzugehörigkeit stand ihnen ins Gesicht geschrieben, sprach aus jeder ihrer Bewegungen. Ich hatte Jayden schon einmal auf einer Party gesehen, kurz nachdem ich hergezogen war. Wie damals trug er Schwarz und mehrere Lederbänder schlangen sich um sein Handgelenk. Er strich sich die dunklen Haare aus der Stirn und reichte mir die Hand. „Hallo Izadora, ich bin Jayden Tjebben.“

„Freut mich.“ Ich schüttelte ihm die Hand und irgendwie war es seltsam, eine Person, die immer am Rande meiner Gedanken herumgewandert war, plötzlich vor mir zu sehen.

„Und das ist Valerie.“ Die junge Frau, auf die Lia gezeigt hatte, machte einen großen Schritt auf mich zu, verfehlte jedoch die Bordsteinkante und geriet ins Straucheln. Beinahe beiläufig legte Jayden einen Arm um sie und zog sie an seine Seite, wo sie mit roten Wangen ihre Brille zurechtrückte. „Hi. Val reicht.“

„Izzy auch“, gab ich zurück. Sie sah nett aus und trug einen Pullover mit der Aufschrift Hakuna Matata. Ich beschloss, sie zu mögen. Gerade als der Moment in Verlegenheit umschlagen wollte, kam die Liebe meines Lebens auf vier Pfoten vom Haus herangerast und sprang an mir hoch, um mir einen feuchten Kuss zu geben. Lachend beugte ich mich zu Twix hinunter. „Hallo mein Guter. Wie war euer Tag so?“

Kaspian folgte ihm etwas langsamer, begrüßte Lia aber nicht weniger freudig. Milans Familie besaß einen Hof, auf dem vernachlässigte Tiere aufgenommen und nach Möglichkeit weitervermittelt wurden. Zwischen dem riesigen Rottweiler und Lia hatte es gleich am Anfang gefunkt und seit einigen Wochen lebte er nun ebenfalls im Blauen Haus. Twix war hellauf begeistert über seinen neuen Spielgefährten.

Lia zupfte an meiner Hand, bis ich mich ihr zuwandte, während der Rest sich um die Hunde scharte. „Kann Val ein paar Tage hier übernachten?“, fragte sie leise. „Jay und sie wollen eine Weile bleiben und ich will sie wirklich nicht in Milans winzige Hütte mit den zwei Kerlen einpferchen.“

„Du meinst die winzige Hütte, in die du vorhast einzuheiraten?“, flüsterte ich gespielt verwirrt zurück. Lia kniff mich so gemein, dass ich aufschrie und ihr hastig auswich.

„Ich liebe dieses Häuschen“, betonte sie. „Aber trotzdem ist es winzig. Und die Küche ist es kaum wert, als solche bezeichnet zu werden.“ Sie warf einen hastigen Blick zu ihrem Freund, doch der war abgelenkt. „Mit zwei Typen darin bleibt kaum Platz zum Atmen. Aber ich habe es noch nicht vorgeschlagen, ich wollte erst mit dir reden. Val ist unglaublich lieb, du wirst sie mögen!“

Irgendwie war ich mir unsicher, was ich von einer Fremden im Haus halten sollte. Doch genau in diesem Moment leckte Twix Valerie einmal quer übers Gesicht und sie quietschte lachend auf. „Okay“, hörte ich mich sagen. „Wir haben Platz genug, sie kann gerne bleiben.“

„Du bist die Beste.“ Lia fiel mir um den Hals. „Dafür koche ich dir etwas ganz Großartiges.“

„Darauf wette ich.“ Lia war, im Gegensatz zu mir, ein Ass in der Küche und hatte in unserer Heimat Frankenberg in einem bekannten Restaurant gearbeitet. Jetzt führte sie das Cup&Cake hier in Lokvard, weil die Besitzerin, Betty, ein Baby bekommen hatte. In den beinahe drei Monaten, die sie jetzt bei mir wohnte, waren meine Geschmacksnerven wahnsinnig verwöhnt worden, so sehr, dass ich überlegte, wieder mit Eske zum Spinning-Kurs zu gehen, bevor ich in keins meiner Kleider mehr passte.

Ein leichter Wind erhob sich vom Meer, strich über meine Haut und brachte den Geruch von Salz und Wellen mit sich. Ein Haus mit Meerblick war etwas, von dem die meisten träumten. Und ich lebte diesen Traum. „Es tut mir leid, dass er nicht hier ist“, sagte Lia leise in meine Gedanken hinein. „Ich dachte irgendwie …“ Sie hob die Schultern. „Ich weiß auch nicht.“

Ich versuchte, den Schmerz zu ignorieren, der durch mich hindurchzuckte. Ich war doch darüber hinweg. Ich war stärker als das! „Ist schon okay.“

„Ist es nicht.“

„Nein.“ Ich seufzte. „Aber es hilft nichts.“ Lia war klug genug, nichts zu sagen. Stattdessen hakte sie sich bei mir ein und wir wandten uns wieder der Gruppe zu. Val lächelte mich an. „Deine Hunde sind toll. Alles hier ist toll, dieses Haus …“ Sie wedelte mit den Händen herum. „Es ist einfach irrsinnig schön!“

Stolz regte sich in mir. Ich liebte dieses Haus unheimlich, ganz egal wie einsam es sich dort an manchen Tagen angefühlt hatte. „Hast du vielleicht Lust, bei uns zu übernachten statt bei den Tjebbens?“, fragte ich. „Wir haben Platz genug und du bist von hier aus schnell auf dem Hof.“

Val strahlte mich an. „Wirklich?“

„Ja, warum nicht? Das Haus hat zwei Gästezimmer, plus Lias Zimmer. Meine Eltern sind in Ruanda, noch mindestens bis Ende des Jahres. Wir machen eine Mädels-WG.“

„Das wird super“, jubelte Lia. „Sag ja, Val. Ich weiß, du willst das.“

„Auf jeden Fall.“ Val streckte eine Hand nach mir aus und ich bemerkte ein Snoopy-Tattoo an ihrem Handgelenk. „Kann ich dich umarmen?“

„Sicher.“ Im nächsten Moment stand sie schon vor mir. Sie roch nach Pfirsichshampoo und etwas Schokoladigem und ihre Umarmung war fest, aber auch irgendwie zögernd, als hätte sie nicht viel Übung im Umarmen.

„Das ist sehr großzügig.“ Jayden lächelte mich dankbar an. „Dann können wir den Rest des Gepäcks ja hierlassen.“

„Hey, so viel habe ich gar nicht dabei!“, protestierte Valerie und schlug nach ihrem Freund, der sich lachend wegduckte. Milan schob sich an mir vorbei zum Kofferraum und drückte stumm meine Schulter. Wir waren nicht wirklich Freunde. Noch nicht. Ich hatte ihn lange für die Dinge gehasst, die letzten Sommer geschehen waren. Aber wir liebten dasselbe Mädchen, wenn auch auf unterschiedliche Art, und das schweißte uns zusammen.

Gemeinsam luden wir den Kofferraum aus, wobei Valerie einen Violinenkasten umklammert hielt, als berge er alles Glück der Welt. „Keine Sorge“, sagte sie schnell, als sie meinen Blick bemerkte. „Ich spiele nicht zu schrecklichen Uhrzeiten und halte das ganze Haus wach oder so.“

Als bunter Haufen mit zwei aufgeregten Hunden im Schlepptau liefen wir die Einfahrt zum Blauen Haus hinunter. Twix hielt sich dicht neben mir, als spürte er, dass trotz der heiteren Stimmung nicht alles in Ordnung war. Denn auch, wenn ich glücklich war, Lia zurückzuhaben, und Valeries Lachen ansteckend wirkte, so blieb ein Teil von mir noch immer still und zerbrochen. Und die Angst war groß, dass er nie wieder heil werden würde …

Dante

„Und hier wäre die Terrasse.“ Die Vermieterin wandte sich mit einem Strahlen auf dem Gesicht zu ihm um, das all ihren Stolz widerspiegelte. Mit einem höflichen Lächeln trat Dante an ihr vorbei und blickte auf den dichten grünen Rasen, auf dem sich die Gänseblümchen tummelten. Hohe Tannen und Kornfelder rahmten das Gelände ein, ein friedlicher Ort, abgeschieden und still. Genau, was er gesucht hatte.

„Es gefällt mir, danke schön.“ Er drehte sich zu seiner Vermieterin um. „Auch dafür, dass die Buchung so kurzfristig möglich war.“

„Gar kein Problem, Herr O’Shea. Sind Sie geschäftlich hier?“

„Tatsächlich ist es eine private Mission.“ Er lächelte unverbindlich. In diesem Moment bewegte sich etwas im Schatten der Tannen. Dante blinzelte. Doch auch beim zweiten Blick änderte sich das Bild nicht. Dort stand ein Schwein! Ein kleines graues Schwein mit rosa Schnauze und Füßen, die unter seinem dicken Bauch hervorblitzten.

„Sokrates!“ Die Vermieterin lief rot an. „Es tut mir so leid, er findet immer wieder einen Weg auszubüxen. Das Paar, das hier vor Ihnen Urlaub gemacht hat, hat ihn sehr verwöhnt. Ich werde ihn sofort einfangen und einen Handwerker kommen lassen, damit …“

„Er stört mich nicht.“ Dante betrachtete das Schwein amüsiert, das sich langsam dem Haus näherte. „Wirklich, machen Sie sich wegen mir keine Umstände.“

„Nun gut.“ Noch immer mit roten Wangen reichte sie ihm einen Schlüsselbund und eine Mappe. „Für das Haus und den Schuppen. Meine Telefonnummer haben Sie ja und mein Grundstück liegt gleich nebenan hinter den Tannen, wenn Sie etwas brauchen. In den Unterlagen ist Ihr Mietvertrag, eine Karte der Umgebung und ein paar Flyer von Restaurants und Freizeitaktivitäten.“

Er spürte, wie ihr Blick über ihn hinwegglitt, und glaubte die Bestandsaufnahme in ihren Augen zu sehen. Tattoos und eine unordentliche Mähne, die dringend mal einen Haarschnitt gebrauchen könnte, dazu die dunklen Ringe unter seinen Augen und das Motorrad in der Einfahrt. Neben ein paar Stunden Schlaf brauchte er außerdem dringend eine Rasur. Neulich war er so müde gewesen, dass er auf dem Weg ins Bad eine offene Schranktür übersehen hatte. Der Bluterguss verblasste zwar bereits, war aber immer noch gut genug zu erkennen, um ihm ein draufgängerisches Aussehen zu verleihen. Vermutlich nicht gerade, was sie nach ihrem Telefonat erwartet hatte.

Das Haus war schön, geräumig und modern, aber wegen seiner Lage nicht unbedingt begehrt. Seine Anfrage für einen längeren Aufenthalt war ihr gelegen gekommen, das war deutlich zu spüren. Und doch ahnte er, dass sein Äußeres Zweifel in ihr säte, die nicht mal sein charmantes Auftreten auslöschen konnte.

„Danke schön für Ihre Mühe und den freundlichen Empfang.“ Er legte jeden Funken Herzlichkeit in das Lächeln, während die hinter ihm liegende Fahrt seine Glieder schwer machte. „Sie werden mich kaum bemerken, versprochen. Und Sokrates kann gerne vorbeischauen, wenn ihm danach ist.“

„In Ordnung, dann lasse ich Sie mal auspacken.“

Und dann war Dante allein. Mit einem Schwein.

Er ließ sich auf einer der zwei breiten Stufen der Terrasse nieder, die zum Garten hinunterführten, und streckte die Beine aus. Sokrates beäugte ihn aufmerksam und schlug einen kleinen Bogen, kam aber immer weiter auf ihn zu. In diesem Moment begann das Handy in Dantes Jacke zu vibrieren. Er griff danach und sah Gabriels Namen auf dem Display leuchten. Dantes Daumen schwebte über dem Ablehnen-Button, aber dann ging er doch dran. Warum das Unvermeidliche weiter aufschieben?

„Die Antwort lautet ‚Nein.‘“

„Du weißt doch gar nicht, was ich fragen will“, lachte Gabriel am anderen Ende der Leitung. „Soll das heißen, du hast heute Abend keine Zeit für deinen besten Freund?“

„Du hast es erfasst.“ Dante streckte vorsichtig die Hand nach Sokrates aus, der ebenso behutsam daran schnüffelte. Er war in seinem ganzen Leben noch keinem lebenden Schwein begegnet und etwas unsicher, wie man sich verhalten sollte. Doch schon im nächsten Moment drückte Sokrates den Kopf gegen Dantes Hand und Dante streichelte dem Schwein zögernd über den Kopf. Seine Haut war rau und die Borsten kratzten unter seinen Fingern. „Du bist nicht gerade einer von der kuscheligen Sorte, hm?“

„Nein, heute Abend eher nicht.“ Die Hintergrundgeräusche klangen, als säße Gabriel im Wagen. „Also, rate mal, wer einen Tisch im begehrtesten Restaurant Berlins ergattert hat!“

„Will ich wissen, wie du das angestellt hast?“

„Weißt du noch, diese Flugbegleiterin, die –“

„Warte, ich ziehe diese Frage zurück.“ Dante rieb sich über die Augen. Er sehnte sich nach einer Dusche. Und einem kühlen Bier und etwas zu essen. Das Schwein ließ ein missmutiges Grunzen hören, anscheinend hatten ihm die Streicheleinheiten gefallen.

„Was war das denn?“, fragte Gabriel verwirrt.

„Sokrates“, erwiderte Dante und streichelte gehorsam weiter.

„Ist das ein Code für irgendetwas?“

„Nein, es ist ein Schwein.“

Eine Weile war es still am anderen Ende der Leitung. Dann: „Dante, sei ehrlich zu mir. Hast du den Verstand verloren?“

„Das kann ich nicht abstreiten.“ Dante lachte leise in sich hinein. „Tut mir leid, aber du wirst ohne mich essen müssen. Ich bin eine Weile nicht in der Stadt.“

„Du bist gar nicht hier?!“

„Kluges Kerlchen.“

„Wo steckst du?“

„Im Urlaub.“

„Du lässt uns hier einfach führungslos zurück?“

„Oh, warte, das hatte ich vergessen: Gabriel, ich bin eine Weile weg. Du hast das Sagen.“

„Du hast sie nicht mehr alle, Prinz. Wo bist du?“

„Die Verbindung wird schlecht.“

„Die Verbindung ist super, verarsch mich nicht!“

„Bye, Gabe.“

„Dante!“

Gabriels empörter Schrei endete mit dem Klicken der Leitung. Sokrates wirkte amüsiert. Doch als er Anstalten machte, seine Zähne an Dantes Schuhen auszuprobieren, brachte Dante seine Füße hastig in Sicherheit.

Gedankenverloren griff er nach der Mappe, die seine Vermieterin ihm dagelassen hatte. Ein Flyer rutschte heraus und segelte zu Boden. Das Logo leuchtete in hellen Farben zu ihm hoch. Die Erinnerung schlang einen Arm um seine Brust und zog ihn tief hinunter in die Vergangenheit.

„Du musst das wirklich nicht tun!“ Die junge Frau, die sich als Izzy vorgestellt hatte, hievte die Kiste in ihren Armen schwungvoll in das Regal vor sich. Mit dem Handrücken wischte sie sich über die Stirn und verteilte dadurch Erde darauf. Zusammen mit den wilden blonden Locken, die sie zu einem unordentlichen Knoten zusammengebunden hatte, dem knielangen Kleid und den Cowboyboots bot sie einen unvergleichlichen Anblick.

„Schon okay.“ Dante schob seine Kiste neben ihre und klopfte sich Erde von den Händen. „Hab gerade nichts Besseres vor.“

„Als Kisten zu schleppen?“ In ihren blauen Augen funkelten Humor und Unverständnis neben einer Prise Dankbarkeit. „Du bist seltsam.“

„Man hat mich schon Schlimmeres genannt“, gab er leichthin zurück und ließ ihr mit einer kleinen Verbeugung den Vortritt. Die Bedeutung seiner Worte hallte in den dunklen Schatten nach, die seine Seele umschlossen, doch er schob die Gefühle fort und konzentrierte sich auf das Jetzt, auf das Geräusch von Boots auf dem Holzboden und das Wippen der Blumen auf ihrem Kleid.

Izzy schritt zurück zum Truck, den sie seit einigen Minuten gemeinsam entluden. Keine Ahnung, wie genau er in diese Situation geraten war. Eigentlich hatte er nur eine kurze Rast einlegen, etwas essen und sich die Beine vertreten wollen nach der langen Fahrt auf dem Bike.

Aber dann war da plötzlich dieses Mädchen gewesen, das einen Truck beschimpfte. Irgendetwas hatte ihn wie einen Magnet zu ihrem Seitenfenster hingezogen, wo sie seinen Blick einfing mit Augen, in denen blaues Feuer loderte und sich bis in seine Seele brannte. Und jetzt trocknete Erde auf seinem Shirt und sein Magen hing ihm bis in die Kniekehlen. Dennoch wollte er keine Sekunde davon missen.

Izzy schnappte sich gerade eine weitere Kiste, ihre Arme spannten sich an und wiesen fein definierte Muskeln auf, während sie hörbar mit den Zähnen knirschte.

„Ich hoffe, das hier ist auch wirklich dein Laden“, witzelte Dante und hob etwas hoch, das an einen mutierten Kaktus erinnerte. „Und dass ich hier nicht gerade irgendetwas Illegales tue.“

„Ich habe einen Schlüssel, du Witzbold.“

„Das beweist ja wohl gar nichts.“

Izzy schnaubte. „Noch drei Runden, dann haben wir es geschafft.“ „Und dann reißt du mit einer Horde genmanipulierter Kakteen die Weltherschafft an dich?“

„Das ist kein Kaktus, sondern ein Bogenhanf“, belehrte sie ihn. „Ist gut für die Luftfeuchtigkeit in Räumen.“

„Das klingt wirklich illegal.“

„Du spinnst.“ Sie lachte und es fühlte sich wie ein Triumph an. Elegant schob sie sich an ihm vorbei und er folgte ihr erneut quer durch den nach Blumen und Erde duftenden Verkaufsraum in einen kleineren Raum, der ein bisschen wie ein Lager wirkte. Ein riesiger Holztisch nahm neben Regalen den meisten Platz ein und Izzy lud ihre Kiste dort ab. Dante konnte sich nicht daran erinnern, je einen Blumenladen betreten zu haben, doch dieser hier gefiel ihm. Vielleicht lag es aber auch an der Besitzerin, die ihm gerade ihren Ellenbogen in die Rippen stieß. „Machst du schlapp?“

Dante lachte laut auf, erstaunt über seine eigene Unbeschwertheit. „Träum weiter, Blumenmädchen.“ Im nächsten Moment hatte er sie zur Seite geschubst und eilte mit langen Schritten zurück. Hinter ihm ertönte ein empörter Laut, dann jagte sie ihm nach, schlug lachend vor ihm auf die Seitenwand des Lieferwagens.

„Bist du so ein Sci-Fi-Typ?“, fragte sie. „Wegen Mutation und Weltherrschaft und so.“

„Du sagst das, als wäre es etwas Schlechtes.“

Sie hob die Schultern und schnappte sich eine weitere Kiste. „Ich weiß nicht. In unserem Abi-Jahrgang gab es so einen Kerl, der pausenlos Comics gelesen und daraus zitiert hat. Er trug immer zu kleine T-Shirts mit Comic-Aufdrucken. Und hatte die Hosen in seine Socken gesteckt.“

Dante verzog das Gesicht. „Und dieses Bild zerstöre ich gerade?“

Izzy drehte sich zu ihm um und bei dem Blick, mit dem sie ihn bedachte, und der leichten Röte, die ihr in die Wangen kroch, zog sich sein Magen zusammen. Himmel, selbst verschwitzt und mit Erde im Gesicht war sie wunderschön. Er ertappte sich bei dem Wunsch, mit dem Finger die kleine Falte über ihrer Nasenwurzel nachzufahren und sie zu glätten. Blinzelnd rief er sich zur Ordnung.

„Ein wenig“, sagte Izzy leise. Ihre Stimme war nicht mehr ganz so fest und neckend wie zuvor. Ein feiner Unterton hatte sich eingeschlichen, bei dem sich seine Nackenhaare aufrichteten.

Als endlich die letzte Kiste verstaut war, riss Izzy dramatisch die Hände in die Luft, schwankte aus dem Raum und ließ sich neben einem der hohen Verkaufstische zu Boden plumpsen. Ächzend streckte sie die Beine aus und lehnte den Rücken an das Tischbein. „Das wird Muskelkater geben.“

„Vielleicht hätten wir uns vorher dehnen sollen“, meinte Dante und lehnte sich an den Türrahmen.

„Ich verabscheue Dehnen“, brummte Izzy. „Ich komme mir albern dabei vor und bei der Hälfte der Bewegungen muss ich aufpassen, nicht umzufallen.“

Dante lachte leise, sein Blick schweifte durch den Laden. Geschwungene Tischbeine, offene Schubladen, aus denen Pflanzen ragten, und überall bunte Vasen mit noch bunterem Inhalt. Es war eine Mischung aus chaotischem Wohnzimmer und professioneller Warenauslage – alles passte perfekt zusammen. Und zu ihr. „Was ist hinter der Glastür?“

„Eine Halle mit den Pflanzen für den Außenbereich. Dahinter kommen dann noch das Büro und die Zuchtstation.“ Sie grinste ihn an. „Keine Sorge, nicht für Experimente. Da werden Pflanzen wieder aufgepäppelt, die den Transport nicht überstanden haben, und wir bauen ein paar Sachen selber an. Nicht viel, dafür reicht der Platz nicht. Nur dieses und jenes.“

„Ziemlich cool. Aber du kümmerst dich nicht ganz allein um das alles, oder?“

„Nein, zusammen mit meiner Chefin. Und auch für uns wird es oft ganz schön viel, weil ja immer jemand im Laden sein muss. Ihre Schwester springt oft ein. Außerdem ist meine Chefin ein totales Organisationsgenie und hat einfach alles im Griff.“ Sie kicherte über irgendeinen Gedanken, den sie aber nicht mit ihm teilte.

Sein Blick fiel auf die hohe Wand, die mit bunter Kreide beschriftet war. Flower Cocktail – pick it stand dort in kunstvollen Buchstaben und darunter wartete eine ganze Armee aus Blumen. „Was ist das? So was wie ein Do-it-yourself-Ding?“

„Du warst noch nie in einem Blumenladen, oder?“

„Ist das so offensichtlich?“

„Ein bisschen.“ Sie grinste zu ihm hoch. „Wir haben fertige Sträuße, aber wir stellen auch gerne welche zusammen, genau nach Wunsch der Kunden. Ich liebe es, es inspiriert mich.“ Wieder leuchtete dieses Feuer in ihren Augen auf. „Ich denke, die Art, welche Blumen man wählt, sagt viel über jemanden aus.“

„Und hast du eine Lieblingsblume?“

„Sonnenblumen.“ Izzy sagte es, ohne zu zögern, dann streckte sie die Hand aus zu einer lilafarbenden Pflanze über ihrem Kopf, pflückte einen Stängel und roch daran. „Und Lavendel.“

Erst jetzt sah er die roten Spuren auf ihrem Oberarm. „Du blutest!“

Sie spähte an sich hinunter und verzog das Gesicht. „So ein Mist.“

„Hier.“ Er zog eine Packung Taschentücher hervor und hielt sie ihr entgegen, aber Izzys Blick klebte an ihrem Arm. „Alles okay?“

„Hm …“ Die Wahrheit hing in der Luft wie eine gigantische, leuchtende Wolke und Dante begriff.

„Kannst du kein Blut sehen?“

„Ähm … nein. Nicht so wirklich.“ Sie schauderte.

„Okay, schau mich an.“ Dante kniete sich vor Izzy, die seinen Blick erwiderte. Behutsam wischte er die Blutspuren von ihrer Haut und drückte auf den kleinen Riss. „Ist nicht tief, das hört gleich auf.“

„Ich bin keine Mimose.“

„Das hat auch niemand behauptet.“ Aus der Nähe fielen ihm die dunklen Schatten unter ihren Augen auf. Zeichen einer schlaflosen Nacht? Etwas, das ihm durchaus vertraut war. „Wenn es dir hilft – ich verabscheue Spinnen.“

„Im Ernst?“ Ihre Mundwinkel zuckten nach oben. „Ich bin auch kein Fan, aber meine beste Freundin Lia hat sie immer gerettet. Seit ich hergezogen bin, muss ich meine Kämpfe selber führen.“

„Du bist nicht von hier?“

„Nein, ich kam vor einem halben Jahr her.“

„Einfach so oder bist du zum Studieren hergezogen? Oder für deinen Freund? Freundin?“, fragte er weiter und sie ging auf sein Ablenkungsmanöver ein.

„Ein Jobangebot und wegen meiner Eltern. Aber die sind vor drei Monaten nach Ruanda gegangen. Jetzt gibt es nur noch Twix und mich.“

„Dein Goldfisch?“

„Der tollste Hund der Welt.“ Ihr Lächeln zog ihm beinahe den Boden unter den Füßen weg, dann legte sie die Stirn in Falten. „Warum erzähle ich dir das alles?“

„Du erliegst meinem unheimlichen Charme.“

„Aber du könntest ein Superschurke sein.“

„Für gewöhnlich helfen die ihren Opfern, glaube ich, nicht beim Kistenschleppen.“ Er nahm das Taschentuch weg. „Ich hoffe, du bist gegen Tetanus geimpft. Oder gegen was auch immer die Pflanze so verbreitet, die dich angegriffen hat. Vielleicht wirst du jetzt zu Posion Ivy und entwickelst grüne Superkräfte.“

„Du bist ein Nerd.“

„Durch und durch.“ Mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie nahe sie sich waren. Auch ohne Berührung spürte er die Wärme, die von ihrer Haut strahlte. Zwischen ihnen war kaum genug Platz für einen klaren Gedanken. Izzys Blick verfing sich in seinem und löschte alle sonstigen Gedanken aus seinem Kopf.

„Hallo?“

Ruckartig fuhren sie auseinander und Izzys Kopf krachte gegen den Tisch, während Dante um sein Gleichgewicht kämpfte.

„Iz? Dein Fahrrad steht draußen, wo steckst du?“ Im nächsten Moment tauchten ein paar lange Beine in Jeans und hohen Schuhen in Dantes Sichtfeld auf. Er legte den Kopf in den Nacken und zu den Beinen gesellten sich ein enges Top mit Fransen und ein verblüfftes Frauengesicht mit langen schwarzen Haaren. Der rot geschminkte Mund öffnete sich zu einem runden Oh. „Ähm … hi, Iz.“

„Hey, Rieke.“ Izzy lehnte sich zurück, eine Hand gegen ihren Hinterkopf gedrückt. „Was gibt’s?“

„Ich wusste nicht, dass du Besuch hast.“ Die Augen der jungen Frau blitzten. „Wer ist dein Freund?“

„Dante“, übernahm Dante seine Vorstellung und hob grüßend die Hand. „Hi.“ Sitzen zu bleiben war vermutlich ziemlich unhöflich, aber er traute der Konsistenz seiner Beine gerade nicht wirklich über den Weg. Außerdem machte Izzy keine Anstalten aufzustehen, was die Situation nicht gerade entkomplizierte.

„Ich bin Rieke.“ Sie strahlte ihn an. „Schön, dich kennenzulernen.“

Dante beließ es bei einem Nicken und sah aus den Augenwinkeln, wie Izzy die Augen verdrehte. „Was ist los, Rieke? Hast du den Bonsai deiner Mutter schon wieder ertränkt? Ich habe dir erst letzte Woche einen neuen besorgt.“

„Der sieht ziemlich kränklich aus, du solltest ihn dir mal anschauen, wenn du Freitag da bist. Aber deswegen bin ich nicht hier: Er hat wieder zugeschlagen!“

„Wer?“, fragte Izzy, klang aber nicht im Mindesten so verwirrt, wie Dante sich bei dieser mysteriösen Ankündigung fühlte.

„Na wer schon“, stöhnte Rieke. „Robin Wood! Er hat bei Frau Kunze die Rosen geschnitten! Sie ist völlig außer sich und erzählt es im ganzen Ort. Ihr Enkel macht doch Praktikum bei der Zeitung. Morgen gibt’s bestimmt direkt auf der Titelseite einen Bericht über die neueste Heldentat des geheimnisvollen Gärtners, der überall einsteigt und den armen alten Damen ihre Tulpen umpflanzt.“

„Grad hieß es noch Rosen.“

„Das war sinnbildlich gemeint!“

„Kann es nicht sein, dass es ihr Nachbar war oder so?“, wandte Izzy ein, deren Gesichtsausdruck irgendwie merkwürdig geworden war. „Jeder weiß doch, dass sie das mit ihrer Hüfte nicht mehr schafft. Vielleicht wollte jemand nett sein.“

„Nun, der Meinung ist sie nicht. Sie will eine Belohnung aussetzen für jeden Hinweis, der zur Aufklärung führt. Die Lady hat zu viel Nachmittagsfernsehen gesehen, wenn du mich fragst.“ Ein Zwitschern ertönte und Rieke zauberte ihr Handy hervor. „Ich muss los.“ Sie zwinkerte Dante zu. „Lasst euch nicht stören, bei was auch immer ihr zwei hier getrieben habt.“

„Bye, Rieke“, rief Izzy genervt, doch Rieke lachte nur und verschwand ebenso plötzlich, wie sie aufgetaucht war. Mit einem Stöhnen ließ Izzy den Kopf gegen den Tisch sacken und verharrte für einen Moment mit geschlossenen Augen.

„Ich bin verwirrt“, sagte Dante in die Stille.

„Diese Wirkung hat Rieke öfter.“

„Ihr habt einen Unbekannten, der Tulpen pflanzt?“

„Es gibt Gerüchte darüber, dass jemand hier und da mit Kleinigkeiten ausgeholfen hat, aber immer nachts und immer unerkannt. Das ist mehr Getratsche als alles andere.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen. „Wir sollten hier Schluss machen.“

„Hast du noch was vor?“, fragte er und weigerte sich, das leise Bedauern wahrzunehmen, das ihre Worte bei ihm auslösten.

„Jep, kochen mit Lia. Wir skypen in … oh!“ Ihr Blick flog zur Uhr über der Tür. „Mist, ich komme zu spät!“ Sie rappelte sich auf, hastete zur Kasse hinüber und begann, in einer Schublade zu kramen.

Dante erhob sich. Ein wenig unschlüssig schob er die Hände in die Hosentaschen. Was jetzt? Weiterfahren? Etwas zum Übernachten suchen? Er war ohne einen großen Plan aufgebrochen, was ihm ein Gefühl von Freiheit gegeben hatte. Endlich durchatmen. Der Decke entkommen, die ihm in den letzten Tagen immer wieder auf den Kopf gefallen war.

„Soll ich dir noch helfen, den Monstertruck wieder zurückzubringen?“, fragte er Izzy. Als ihm nur Stille antwortete, sah er zu Izzy hinüber. Sie lehnte am Tresen, ein Handy in der Hand, Enttäuschung auf dem Gesicht. „Alles okay?“

„Klar. Lia hat abgesagt. Ihr Chef zwingt sie mal wieder, länger zu arbeiten.“ Izzy seufzte. „Er ist ein fieses Monster und hält sie als Sklavin.“

„Das tut mir leid.“

„Ich sollte mich dran gewöhnen. Es ist nicht das erste Mal.“ Sie wandte sich von ihm ab und hob einen bunten Rucksack auf. Ihre Schultern waren nach unten gedrückt, die Leichtigkeit und das Feuer schienen verschwunden zu sein. „Was soll’s, meine Tiefkühlpizza ist legendär.“ Sie stapfte an ihm vorbei und Richtung Ladentür.

„Geh mit mir essen.“

Izzy drehte sich zu ihm herum. „Wie bitte?“

„Essen. Du. Ich. Große Portionen. Und Nachtisch.“

Ihr Bick wanderte über sein Gesicht und da war wieder diese kleine Falte über ihrer Nasenwurzel. „Ich weiß nicht mal, wer du bist.“

„Ich bin Dante. Der Typ, der eben mit dir einen ganzen Berg Kisten geschleppt hat und der hier elendig verhungern wird, wenn du ihm nicht ein gutes Restaurant zeigst. Ich verspreche, ich bin kein Superschurke und habe nichts als ehrenhafte Absichten.“

Er konnte förmlich sehen, wie sie nachdachte, während sie ihn betrachtete – den fremden Kerl, der einfach so an ihrem Autofenster aufgetaucht war. Dante hatte nicht wirklich einen Bezug zu Gott, aber in diesem Moment schickte er trotzdem ein Gebet zum Himmel, das sie Ja sagen würde. Und aus irgendeinem verrückten Grund beschloss das Universum, das ihn eigentlich seit seiner Kindheit verflucht hatte, ihm diesen einen Gefallen zu tun.

Denn Izzy lächelte ihn an und nickte. „Okay.“

3

Sonnenblumenblätterabgänge

„Und jetzt haben wir die Genehmigung für ein Schulgebäude und nächste Woche sollen die ersten Materialien geliefert werden.“ Das Gesicht meiner Mutter spiegelte die Begeisterung in ihrer Stimme wider und füllte das Display meines iPad. Ich streckte meinen steifen Nacken und erwiderte ihr Lächeln.

Ich hatte das iPad auf meiner Werkbank positioniert, auf der ich noch zwei Blumensträuße zusammenstellte. Wir hatten bereits geschlossen, aber heute war so viel im Laden zu tun gewesen, dass keine Zeit dafür geblieben war und die Sträuße sollten morgen ganz früh abgeholt werden.

„Du solltest es wirklich sehen, Izadora. Es ist wundervoll, wie das Dorf aufblüht. Und du fehlst uns.“

„Du fehlst mir auch, Mama. Schön, dass ihr so erfolgreich seid.“

„Ohne Gottes Hilfe wäre das nicht möglich. Hier fühle ich mich ihm viel näher als zu Hause.“ Lächelnd fuhr sie sich durch die kurzen Haare, deren Farbe ich geerbt hatte. Die Locken jedoch stammten von meinem Vater. „Los, zeig mir den Strauß.“

Gehorsam hob ich die Blumen in die Kamera. „Ich fürchte, meine Liebe zu Schleierkraut ist nicht zu übersehen.“

„Ich denke, es gibt schlimmere Eigenschaften. Die Farbkombination ist wunderschön.“

„Kann ich das zitieren? Von einer glücklichen Mutter empfohlen, die absolut unvoreingenommen ist.“

Meine Mutter lachte auf und wechselte dann in einen liebevoll strengen Tonfall. „Geht es dir wirklich gut, meine Süße? Du wirkst müde.“

„Heute war viel los. Flora hatte einen Arzttermin und war schon ab mittags weg. Es war so viel zu tun, dass ich es nicht mal zur Mittagspause mit Eske geschafft habe. Aber ich mache gleich Schluss und gönne mir ein langes Bad und einen Abend auf der Couch.“

„Das klingt schön. Und bestimmt sorgt Lia für das Abendessen.“

„Vermutlich.“ Lachend warf ich die restlichen Blumenstängel in den Müll.

„Ich bin froh, dass ihr euch wiederhabt“, sagte meine Mutter. „Ihr zwei gehört einfach zusammen, das war schon immer so. Es ist schön, dass du glücklich bist.“

Meine Brust schnürte sich ruckartig zusammen, meine Finger krampften sich um einige abgetrennte Blätter.

Glücklich.

Das war ein großes Wort.

Meine Eltern waren fortgezogen, bevor mein Herz gebrochen worden war. Sie wussten nichts von Dante, nichts von der Gang, der er angehörte, und die Lokvard letzten Sommer ins Chaos gestürzt hatten.

Wie sagte man Leuten, die Tausende Kilometer weit weg waren, dass man nicht wusste, wie man morgens aus dem Bett aufstehen sollte? Dass sich alles so leer anfühlte und ich mich schon wieder am Abend in den Schlaf geweint hatte?

Meine Eltern waren am anderen Ende der Welt, um etwas Gutes zu tun. Ich hatte nicht das Recht, ihnen das zu nehmen, nur weil ich nicht auf mein Herz achtgegeben hatte. Ich atmete tief durch und zwang mein Gesicht in eine ruhige Maske, ehe ich mich wieder dem iPad zuwandte. „Ich denke, ich fahre jetzt heim, in Ordnung?“

„Sicher, mein Schatz, ich werde mal nach deinem Vater sehen, er bereitet sich auf den Gottesdienst heute Abend vor. Skypen wir am Wochenende?“

„Ich wollte vielleicht nach Lübeck auf den Markt fahren und Lia fragen, ob sie mitkommt. Wir machen das spontan, ja?“

„Okay. Ich habe dich lieb, Izzy.“

„Ich dich auch. Grüß Papa von mir.“ Mein Lächeln hielt, bis die Verbindung beendet war. Dann fiel es in sich zusammen. Ich hatte ein mieses Gefühl dabei, meiner Mutter nicht die Wahrheit zu sagen. Und doch war da diese kleine Stimme, die mich anflehte, ihr Glück nicht zu zerstören.

Seufzend räumte ich meine Sachen zusammen. Ein Blick durchs Fenster zeigte mir einige Wolken, die schnell über den Himmel zogen, als würden sie von etwas gejagt. „Hey“, sagte ich leise Richtung Himmel, ohne wirklich zu wissen, wieso. „Ich bin’s. Tut mir leid, das letzte Mal ist länger her. Es fällt mir einfach noch schwer, weißt du? Ich habe dich im letzten Sommer so oft um Hilfe gebeten, aber du hast nichts getan. Ich verstehe dich einfach nicht. Aber dann hast du Lia geschickt und alles wurde besser. Danke noch mal. Ich fühle mich ganz okay. Es tut nicht mehr so weh. Allerdings … weiß ich immer noch nicht, was jetzt werden soll. Werde ich ihn einfach vergessen können? Was hast du vor?“

Die Wolken zogen stumm ihrer Wege und hatten keine Antwort für mich, während die Stille im Laden sich langsam, wie eine Decke um meine Schultern legte. „Was immer es ist“, fuhr ich stockend fort, „lass es nicht noch einmal so wehtun, okay? Ich versuche ja, dir zu vertrauen. Aber ich kann nicht noch einmal so zerbrechen, das halte ich einfach nicht aus. Das wollte ich nur sagen.“

Noch immer geschah nichts, aber ich hatte das sichere Gefühl, dass meine Worte keineswegs ungehört verhallt waren. Egal, wie wütend ich auf Gott gewesen war, ich hatte nie daran gezweifelt, dass er existierte und mich sah. Vielleicht war es deswegen so schwer gewesen.

Still machte ich noch einen Kontrollgang und trat nach draußen. Der Schlüssel knirschte im Schloss und ich stellte mir vor, wie ich meine Sorgen hinter der Tür zurückließ. Ich würde auf dem Heimweg Eis besorgen, mit Lia eine große Eisschokolade zusammenrühren und sie dann überreden, einen Film mit mir anzusehen. Heute mal keine Kochsendung, sondern irgendetwas, wobei ich das Denken lassen konnte. Nach dem Bad selbstverständlich. Mit einem kleinen Lächeln drehte ich mich um … und gefror zu Schnee und Eis.

An der Laterne schräg neben dem Laden lehnte Dante. Er trug graue Jeans mit Löchern an den Knien und ein schlichtes weißes T-Shirt mit einem Emblem darauf, das ich nicht ganz einordnen konnte. Vermutlich hatte es etwas mit Superhelden zu tun. In der Hand hielt er eine Sonnenblume. „Hey Iz.“

Mein Magen machte einen Dreifachsalto und rumste dann mit voller Wucht in Richtung meiner Knie, während mein Herz, dieses verräterische Ding, ihm entgegenzuhüpfen drohte. Mit aller Macht presste ich meine Füße auf den Asphalt. „Was zum …“ Die Worte waren wie Asche in meinem Mund und ich schluckte. „Was machst du hier?“

„Ich habe auf dich gewartet.“ Er warf einen Blick auf die Uhr am Giebel der Buchhandlung gegenüber. „Du arbeitest zu viel.“

Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte, also schwieg ich und überprüfte sorgfältig, ob ich die Tür vom Laden zugeschlossen hatte, während ich gleichzeitig versuchte, nicht durchzudrehen. Aber zum Kuckuck, Dante war hier! Nicht der Dante, den ich vor ein paar Wochen auf dem Tjebben-Hof getroffen hatte – der mit eisiger Wut in den Augen und geballten Fäusten. Das hier war der Dante aus dem letzten Sommer. Der, der mich verraten hatte. Wenn es also einen Grund gab durchzudrehen, dann ja wohl jetzt.

Als es wirklich keinen Sinn mehr machte, auf die Tür zu starren, drehte ich mich wohl oder übel wieder um.

Dante war noch immer da.

Mist.

Eine Fata Morgana wäre mir gerade recht gekommen.

„Darf ich dich zum Abendessen ausführen?“

„Nein!“ Ruckartig wandte ich mich ab und eilte zu meinem Fahrrad hinüber, das einsam in dem Fahrradständer auf mich wartete. Warum, Gott, warum?