Warum Gott Mensch geworden - Über die Menschwerdung Gottes - Anselm von Canterbury - E-Book

Warum Gott Mensch geworden - Über die Menschwerdung Gottes E-Book

Anselm von Canterbury

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Beschreibung

Dieses eBook: "Warum Gott Mensch geworden" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Entstanden zwischen 1094 und 1098 in mittellateinischer Sprache unter dem Titel "Cur deus homo". Die Menschwerdung Gottes stellt eine theologische, dogmatische Lehre des Christentums dar. Sie gehört zum Kern aller christlicher Glaubenstraditionen. Sie heißt auch Fleischwerdung Gottes (Inkarnation, von lat. caro, Fleisch) und trennt das Christentum von den zwei anderen abrahamitischen Religionen Islam und Judentum. Das Judentum sieht darin eine Verletzung der zehn Gebote (Du sollst neben mir keine anderen Götter haben) und bezeichnet es als Avoda sara (wörtlich: "falscher Dienst", hebräisch: Götzendienst). Im Islam wird diese Vorstellung als eine der möglichen Formen von Sünde (Schirk) gesehen.

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Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden - Über die Menschwerdung Gottes

e-artnow, 2018
ISBN 978-80-268-0568-7

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Die Kapitel
1. Buch
2. Buch
Erstes Buch
Kapitel I.
Kapitel II.
Kapitel III.
Kapitel IV.
Kapitel V.
Kapitel VI.
Kapitel VII.
Kapitel VIII.
Kapitel IX.
Kapitel X.
Kapitel XI.
Kapitel XII.
Kapitel XIII.
Kapitel XIV.
Kapitel XV.
Kapitel XVI.
Kapitel XVII.
Kapitel XVIII.
Kapitel XIX.
Kapitel XX.
Kapitel XXI.
Kapitel XXII.
Kapitel XXIII.
Kapitel XXIV.
Kapitel XXV.
Zweites Buch
Kapitel I.
Kapitel II.
Kapitel III.
Kapitel IV.
Kapitel V.
Kapitel VI.
Kapitel VII.
Kapitel VIII.
Kapitel IX.
Kapitel X.
Kapitel XI.
Kapitel XII.
Kapitel XIII.
Kapitel XIV.
Kapitel XV.
Kapitel XVIa.
Kapitel XVIb.
Kapitel XVII.
Kapitel XVIII.
Kapitel XIX.
Kapitel XX.
Kapitel XXI.
Kapitel XXII.

Vorwort

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Gegenwärtige Arbeit mußte sich, weil schon von ihrer Vollendung und Sichtung einige ohne mein Wissen die ersten Partieen für sich abschrieben, eiliger als mir gelegen und gedrängter als mir lieb war zum Abschlusse bringen. Ich würde nämlich mehreres, was ich jetzt verschwiegen, hineinverwoben und beigegeben haben, wäre es mir vergönnt gewesen, in Ruhe und längerer Zeit daran zu arbeiten. Aber so habe ich inmitten schwerer Herzensbedrängnis, deren Ursprung allein Gott bekannt, auf fremde Anregung hin in England das Werk begonnen, in der Provinz Capua auf der Reise es vollendet. Ich gab ihm nach seinem Inhalte den Titel: »Warum Gott Mensch geworden?« und teilte es in zwei kleine Bücher. Das erste enthält die Einwürfe jener Ungläubigen, welche die christliche Lehre zurückweisen, weil dieselbe nach ihrem Dafürhalten der Vernunft widerstreitet, sowie die Entgegnungen seitens der Gläubigen; und zuletzt erweist es durch zwingende Vernunftgründe, wie, wenn man Christus auch einen Augenblick hinwegdenken könnte, unmöglich ein Mensch ohne ihn gerettet würde. Im zweiten Büchlein soll auf ähnliche Weise, indem von Christus völlig abgesehen wird, auf eine nicht weniger einleuchtende Art der Begründung gezeigt wer den, wie die menschliche Natur dazu erschaffen sei, daß dereinst der ganze Mensch, d.h. mit Leib und Seele, einer seligen Unsterblichkeit sich erfreue; und daß notwendigerweise in Betreff des Menschen das eintrete, um dessen willen er geschaffen worden; daß jedoch ein solches Eintreten nur durch den Gottmenschen herbeigeführt werde, so daß mit Notwendigkeit Alles, was wir von Christus glauben, auch mit der Wirklichkeit sich begegne. Dieses kurze Vorwort nebst Angabe sämtlicher Kapitel wollen alle, die das Buch kopieren werden, demselben an die Spitze stellen, auf daß jeder, der es in die Hand bekömmt, sogleich gewissermaßen an der Stirne sehe, ob ihm der ganze Leib gefallen möge.

Die Kapitel

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1. Buch

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I. Die Frage, um welche sich die ganze Abhandlung dreht.

II. Wie man das aufzunehmen habe, was gesagt werden muß.

III. Die Einwendung der Ungläubigen und die Entgegnungen der Gläubigen.

IV. Daß diese Entgegnungen den Ungläubigen willkürlich und gleichsam Vorspiegelungen zu sein scheinen.

V. Daß die Erlösung des Menschen durch niemand andern erfolgen konnte, als durch eine göttliche Person.

VI. Wie die Ungläubigen es rügen, daß wir behaupten, Gott habe durch seinen Tod uns losgekauft und so seine Liebe gegen uns an den Tag gelegt, und er sei gekommen, um statt unser den Satan zu besiegen.

VII. Daß der Satan kein Recht hatte gegenüber dem Menschen, gleichwohl aber ein solches zu haben schien, und weshalb Gott solchergestalt den Menschen befreite.

VIII. Wie es den Ungläubigen nicht schicklich er scheine, daß wir vom Menschen Christus jene Verdemütigungen aussagen, welche ja zu seiner Göttlichkeit außer Bezug stehen; und weshalb ihnen Christus als Mensch nicht freiwillig gestorben zu sein scheint.

IX. Daß er freiwillig starb, und was das bedeute: »Er ist gehorsam bis zum Tode, und darum hat ihn Gott auch erhöht;« sodann: »Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu thun;« ferners: »Seines eigenen Sohnes hat er nicht geschont,« und endlich: »Nicht wie ich will, sondern wie du willst.«

X. Nochmals dieselben Schriftstellen, wie sie auch in anderer Weise richtig erklärbar sind.

XI. Was es heiße, sündigen und für die Sünde genugthun.

XII. Ob es sich für Gott zieme, in Kraft bloßer Erbarmung, ohne jegliche Sühnung, die Sünden nachzulassen.

XIII. Daß in der Ordnung der Dinge nichts mehr unzulässig sei, als daß das Geschöpf dem Schöpfer die gebührende Ehre entziehe, ohne die entzogene zurückzuerstatten.

XIV. Wiefern Gottes Ehre die Strafe des Sünders sei.

XV. Ob Gott nur auch im geringsten seine Ehre verletzt sehen wollte.

XVI. Der Grund, weswegen die Zahl der gefallenen Engel aus den Menschen zu ergänzen.

XVII. Daß nicht hinwieder andere Engel für jene gefallenen eintreten können.

XVIII. Ob es fortan mehr heilige Menschen geben werde, als böse Engel.

XIX. Daß der Mensch nicht erlöst werden kann ohne Genugthuung für die Sünde.

XX. Daß die Genugthuung dem Sündenmaße entsprechend sein müsse, und daß der Mensch aus eigener Kraft sie nicht zu leisten vermöge.

XXI. Welche Bedeutung der Sünde zukomme.

XXII. Welche Beleidigung der Mensch Gott zufügte, da er sich vom Satan überwinden ließ, ohne für diese Beleidigung Genugthuung leisten zu können.

XXIII. Was er, ohne erstatten zu können, durch die Sünde Gott entzog.

XXIV. Daß der Mensch, so lange er Gott seine Schuld nicht abgetragen, unmöglich selig sein könne, und daß auch seine Unvermögenheit ihn nicht entschuldige.

XXV. Daß der Mensch notwendig durch Christus erlöst werde.

2. Buch

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I. Daß der Mensch gerecht von Gott erschaffen wurde, um im Genuße Gottes selig zu sein.

II. Daß der Mensch nicht sterben würde, wenn er nicht gesündiget hätte.

III. Daß der Mensch mit demselben Leibe, womit er in diesem Leben bekleidet war, wiederum auferstehen wird.

IV. Daß Gott vollenden wird in betreff der Menschennatur, was er angefangen.

V. Daß er das, wiewohl es geschehen muß, doch nicht infolge zwingender Notwendigkeit thun werde; und welche Notwendigkeit die Gnade aufhebe oder wenigstens schwäche, und welche sie vermehre.

VI. Daß die Genugthuung, wodurch der Mensch erlöst wird, allein der Gottmensch zu leisten vermag.

VII. Daß derselbe notwendig vollkommener Gott und vollkommener Mensch sein müsse.

VIII. Daß Gott notwendig aus Adams Geschlecht und aus einer Jungfrau menschliche Gestalt annehmen mußte.

IX. Daß notwendigerweise das Wort allein und der Mensch zu Einer Person sich zusammenschlossen.

X. Daß dieser selbe Mensch nicht schuldbar sterbe, und inwieferne er sündigen könne oder aber dies nicht könne; und endlich weshalb eben derselbe oder ein Engel in betreff seiner Gerechtigkeit Anerkennung verdiene, nachdem es doch für beide zu sündigen unmöglich.

XI. Daß er aus eigener Machtvollkommenheit sterbe, und daß die Sterblichkeit der reinen Natur des Menschen außerwesentlich sei.

XII. Daß er, wenn schon unserer Gebrechen teilhaft, darum doch nicht unglücklich sei.

XIII. Daß ihm mit unseren übrigen Gebrechen nicht zugleich die Unwissenheit gemein sei.

XIV. Daß sein Tod die Zahl sowohl als auch die Größe aller Sünden überwiege.

XV. Daß dieser selbe Tod sogar die Sünden der Tötenden tilge.

XVIa. Wie Gott aus der Masse der Sünder einen sündelosen Menschen genommen; auch von der Erlösung Adams und Evas.

XVIb. Wie derjenige nicht gezwungen starb, der nicht mehr leben konnte, weil er sterben wollte.

XVII. Davon, daß bei Gott weder ein Müssen, noch ein Nichtkönnen denkbar sei; und was für ein Unterschied obwalte zwischen zwingender und nicht zwingender Nötigung.

XVIII. Wie Christi Leben für die Sünden der Menschen Gott dahingegeben wurde, und inwieweit Christus leiden mußte und inwieweit er nicht leiden mußte.

XIX. Auf welchen Grund hin aus seinem Tode die Erlösung der Menschheit folge.

XX. Wie groß und gerecht die Erbarmung Gottes sei.

XXI. Daß der Satan unmöglich wiederversöhnt werden könnte.

XXII. Daß durch das hier Gesagte die Wahrheit des alten und des neuen Testamentes bestätiget werde.

Erstes Buch

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Kapitel I.

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Oft und angelegentlichst ward ich von vielen angegangen, mündlich wie schriftlich, daß ich die Beweisgründe, welche ich in Bezug auf einen bestimmten Punkt unseres Glaubens den Fragenden gewöhnlich entgegenstellte, durch ein Werkchen noch späteren Zeiten zugänglich mache; denn, so meinen sie, dieselben gefielen ihnen und wären zugleich ausreichend. Indes leitet sie bei ihren Bitten keineswegs die Vorstellung, als ob man mittelst der Vernunft zum Glauben gelange; vielmehr möchten sie bloß durch das nähere Verständnis und die Betrachtung des Glaubensinhaltes erquickt, und soviel möglich gerüstet sein, jedem, der da Rechenschaft fordert über den Gegenstand unserer Hoffnung, Rede zu stehen. Die große Frage pflegen nämlich die Ungläubigen, während sie die christliche Einfalt als Thorheit verhöhnen, aufzuwerfen, und auch die Gläubigen beschäftiget diese Frage in ihrem Innern vielfach: welches die bewirkende oder nötigende Ursache gewesen, um deren willen Gott Mensch wurde und, wie wir glauben und bekennen, durch seinen Tod der Welt das Leben gab; während er das nämliche ja auch durch eine andere Persönlichkeit: durch einen Engel, einen Menschen; oder auch durch seinen bloßen Willen erreichen konnte. Nicht bloß Gebildete, sogar Ungebildete denken viel über diese Frage nach und wünschten ihre Begründung zu kennen. Und da nun also viele an dieser Frage Interesse zeigen, und ihre Beantwortung auch, so erheblich die entgegenstehenden Bedenken scheinen, für alle faßbar und wegen der Förderung und Ausschmückung durch den Vernunftbeweis geradezu anziehend ist, so will ich, wiewohl die heil. Väter bereits Hinlängliches ausgeführt, dennoch auch meinerseits, was Gott mir in Gnaden eingibt, für alle sich Rats Erholenden bekanntgeben. Und weil zumal die Form des Zwiegesprächs namentlich der langsameren Fassungskraft mehr entgegenkömmt, so wähle ich mir aus der Zahl meiner Mahngeister einen besonders Ungestümen heraus, in der Weise, daß Boso frägt und Anselm antwortet.

Kapitel II.

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BOSO: Sowie die rechte Ordnung heischt, daß wir die Geheimnisse des christlichen Glaubens annehmen, bevor wir dieselben mit unserer Vernunft zergliedern; so erschiene es mir auf der anderen Seite als Denklässigkeit, wenn wir, nachdem wir einmal im Glauben befestiget sind, uns nicht die Mühe gäben, das, was wir glauben, nun auch mit der Vernunft anzufassen. Denn eben weil ich gewiß bin, daß die dem Glauben an unsere Erlösung vorauseilende Gnade mich so sicher halte, daß ich in diesem Glauben nicht wanke, auch wenn ich mit keinem Vernunftgrund dessen Inhalt zu fassen vermöchte; so bitte ich dich, wie dir wohlbekannt, zugleich als einer im Namen vieler, sage mir, welche nötigende oder wirksame Ursache konnte Gott, der doch allmächtig ist, haben, daß er die niedrige und schwache Menschennatur behufs deren Wiederherstellung an sich nahm?

ANSELM: Was du mich da frägst, übersteigt meine Fassungskraft; und ich nehme deshalb Anstand, mich an allzu Erhabenes zu wagen, damit nicht ein anderer, wenn ich seine Erwartungen unbefriedrigt lasse, glaube, daß die Wahrhaftigkeit der Thatsache mir nicht zu hinlänglich feststehe, da doch nur mein Verstand zu schwach ist, um selbe zu begreifen.

BOSO: Das hast du weniger zu fürchten; im Gegenteile wirst du dich erinnern, wie Gott uns oftmals bei Besprechung einer Frage Dinge aufdeckt, welche zuvor verborgen lagen; und wirst du darum getrost auf Gottes Gnade bauen, weil, indem du das umsonst Empfangene bereitwillig mitteilst, dich würdig machst, auch noch Höheres zu empfangen, was du bisher noch nicht erlangt.

ANSELM: Sodann obwaltet noch ein anderes Hemmnis, weshalb es kaum oder vielleicht gar nicht zu einer vollständigen Abhandlung über dieses Thema zwischen uns kommen mag, soferne die Vorkenntnis von Möglichkeit, Notwendigkeit, Wille und anderen derartigen Begriffen erforderlich ist, die so innig unter einander zusammenhängen, daß sie sich nicht trennen lassen. Die Behandlung dieser aber fordert wiederum einige, wie ich übrigens gerne glaube, leichte und äußerst nutzbringende Mühewaltung; denn ausgerüstet mit dieser Kenntnis finden wir unschwer, was uns außerdem sehr schwer erschiene.

BOSO: Du wirst auch hierüber gegebenen Ortes dich kurz verbreiten können, indem du das für unseren Zweck Nötige anführst, alles Weitere aber auf gelegenere Zeit versparst.

ANSELM: Auch das noch schreckt mich von Gewährung deiner Bitte ab, daß der Gegenstand unserer Abhandlung nicht allein an sich ein erhabener ist, sondern daß derselbe, wie er (concret gedacht) hinsichtlich des Glanzes der Form die übrigen Menschenkinder übertrifft, so (abstract gefaßt) hinsichtlich der glänzenden Vernunftbegründung den menschlichen Verstand übersteigt. Und wie ich mich selbst über die ungeschickten Maler ärgere, welche unsern Herrn in unschöner Form darstellen, so fürchte ich, könnte es mir ergehen, indem ich einen so erhabenen Gegenstand meinem schmucklosen, unbeholfenen Räsonnement unterwerfe.

BOSO: Auch das dürfte dich nicht abschrecken, weil du ja einem jeden, der es besser machen kann und dem dein Räsonnement nicht genügt, die Möglichkeit offen läß‘st, eine vollendetere Darstellung zu veröffentlichen. Uebrigens, um alle deine Einreden abzuschneiden – du hast es ja nicht mit Gelehrten aufzunehmen, sondern mit mir und mit den von mir vertretenen Bittestellern.

ANSELM: Da ich nun einmal dein und deiner Gesinnunsgenossen Ungestüm sehe, welche sich dabei lediglich von Liebe und religösem Eifer leiten lassen, so will ich nach meiner schwachen Kraft versuchen (unter dem Beistande Gottes und im Vertrauen auf euer Gebet, das ihr mir zu diesem Ende so oft versprochen), nicht so fast eure Fragen aufzuzeigen, als zugleich mit dir selbst Fragen zu stellen, indes mit dem Vorbeding, wie ich das zu Sagende aufgenommen wissen möchte: Nämlich sobald ich etwas sage, was nicht eine höhere Autorität bestätiget, so soll es, mag es der Vernunft auch noch so einleuchtend dünken, doch mit keiner anderen Gewißheit aufgenommen werden, als dieses einstweilen meine persönliche Anschauung sei, bis daß Gott auf irgend eine Art mir Vollkommenes offenbaret. Sollte ich daher auch deine Fragen einigermaßen befriedigend lösen können, so bleibt doch immer gewiß, daß einem Einsichtsvolleren das noch besser hätte gelingen können; überhaupt stehe fest, was auch der Mensch äußern oder wissen mag, immer werden noch höhere Vernunftgründe verborgen bleiben.

BOSO: Gestatte denn, daß ich mich der Worte der Ungläubigen bediene! Denn billig müssen wir, wo es die Begründung unseres Glaubens anzustreben gilt, die Einwände derer kennen, welche erst nach dieser Begründung sich unserm Glauben nähern wollen. Wiewohl nun zwar jene eine solche Begründung verlangen, weil sie nicht glauben; wir aber, weil wir glauben; so bleibt es doch ein und dasselbe, was wir gemeinschaftlich verlangen. Im Falle du indes etwas antwortest, was einer heiligen Autorität scheinbar widerstreitet, wird mir diese Autorität vorzukehren gestattet sein, damit du Gelegenheit hast zu zeigen, daß es in Wirklichkeit jener Autorität nicht widerstreitet.

ANSELM: Laß denn hören, was dir auf dem Herzen liegt!

Kapitel III.

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BOSO: Unter Verspottung unserer Einfalt rücken uns die Ungläubigen vor, daß wir Gott ein Unrecht und die Unbill zufügen, wenn wir behaupten, er sei in den Schoß der Jungfrau herabgestiegen, vom Weibe geboren worden, durch Milch und menschliche Speisen ernährt herangewachsen und, um anderes, was sich für Gott nicht ziemt, zu verschweigen, der Erschöpfung, dem Hunger, Durst, den Geißelstreichen und zuletzt dem Kreuztode zwischen Verbrechern unterworfen gewesen.

ANSELM: Wir sind weit entfernt, Gott ein Unrecht oder eine Unbill zuzufügen, da wir vielmehr mit heißestem Herzensdanke die unaussprechliche Tiefe seiner Barmherzigkeit loben und preisen; denn je wunderbarer, je überraschender er uns aus dem schwersten und verschuldetsten Verluste, worin wir waren, zu den größten, unverdientesten Besitztümern zurückführte, welche wir verloren hatten; eine um so größere Liebe und Zuneigung hat uns bewiesen. Würden sie nur sorgfältig erwägen, wie angemessen auf diesem Wege die Wiedereinsetzung des Menschen erfolgt ist; sie hörten wahrlich auf, unsere Einfalt zu belächeln, und vereinigten sich mit uns zum Lobpreis der Weisheit und Güte Gottes. War es ja notwendig, daß, gleichwie durch den Ungehorsam eines Menschen der Tod in das Menschengeschlecht eingebrochen war, so auch durch den Gehorsam eines Menschen das Leben wiederum hergestellt würde; daß, gleichwie die Sünde, die Ursache unserer Verdammnis, vom Weibe ihren Ausgang genommen hatte, so der Urheber der wahren Gerechtigkeit und unseres Heiles vom Weibe geboren würde; daß schließlich der Satan, welcher den Menschen dadurch besiegt hatte, daß er ihn zu überreden vermochte, vom Baume zu genießen, dadurch besiegt würde, daß der Mensch am Baume ein Leiden erduldete, wovon gleichfalls der Satan die Schuld getragen. Übrigens gäbe es noch viel anderes, was näher betrachtet die ganze unsagbare Schönheit unserer auf diesem Wege veranstalteten Erlösung offenbarte.

Kapitel IV.

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BOSO: All’ das hört sich gut an und mag so zu sagen als Ausmalung sogar wohl gefallen; allein wenn solche Ausmalungen nicht auf fester Grundlage ruhen, so werden sie den Ungläubigen nicht zugänglich erscheinen zum Erweis unseres Glaubens daran, daß Gott all’ das Gesagte habe leiden wollen. Wer ein Gemälde entwerfen will, nimmt doch eine feste Unterlage, worauf er malt, damit das, was er malt, bleibe. Denn niemand malt auf das Wasser oder in die Luft, weil alsdann das Gemalte sofort sich verflüchtigte. Und da wir die von dir angezogenen Congruenzgründe den Ungläubigen so zu sagen nur die Ausmalungen einer wirklichen Thatsache entgegensetzen könnten, so glauben diese, um so mehr als sie hierin nicht eine Thatsache, sondern bloß eine Dichtung erblicken, wir malten unsern Glauben gleichsam in die Wolken. Es wird darum vor Allem die Festigkeit der vernunftgemäßen Wahrheit, genauer die Notwendigkeit zu erweisen sein, daß Gott zu dem unsrerseits Behaupteten sich habe erniedrigen müssen oder können. Dann erst, um die volle Wahrheit in desto hellerem Lichte glänzen zu lassen, werden jene Congruenzgründe als ebensoviele Ausmalungen dieser Wahrheit die ihnen gebührende Würdigung finden.

ANSELM: Mithin schiene das kein genugsam nötigender Grund dafür, daß Gott das von uns behauptete thun mußte, weil sonst das Menschengeschlecht, das kostbare Werk seiner Hände, zu Grunde ging, und es sich doch gewiß nicht ziemte, das dasjenige vollends vereitelt würde, was Gott in betreff des Menschen vorhatte; dieses sein Vorhaben jedoch nur zu Ende geführt werden konnte, wenn das Menschengeschlecht durch seinen Schöpfer selbst befreit wurde?

Kapitel V.

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BOSO: Wäre ebendiese Befreiung nur nicht durch eine göttliche, sondern durch irgend eine andere Person (sei es durch einen Engel, sei es durch einen Menschen) auf irgendeinem Wege erfolgt, der Menschengeist könnte das begreiflicher finden. Denn Gott konnte ja auch einen sündelosen Menschen schaffen, den er also nicht aus der Masse der Sünder, noch von irgend einem Menschen hernahm, so wie er den Adam geschaffen hatte, um durch ihn alsdann jenes Werk vollbringen zu lassen.

ANSELM: Begreifst du nicht, daß, woferne irgend eine andere Person den Menschen vom ewigen Tode loskaufte, der Mensch mit Recht als deren leibeigener Diener anzusehen wäre? Das zugestanden, würde er aber dann nimmermehr in jene Würde zurückversetzt, die ihm zugedacht war, im Falle er nicht sündigte; da derjenige, der nur Diener Gottes und Ebenbürtiger der guten Engel in aller Zukunft sein sollte, nun zum Diener dessen würde, der nicht Gott ist, und dem die Engel nicht dienen.

Kapitel VI.

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BOSO: Ganz besonders erregt ihren Anstoß, daß wir diese Befreiung Erlösung nennen. In welcher Gefangenschaft, Haft oder Botmäßigkeit wurdet ihr denn, rufen sie uns entgegen, festgehalten, daraus euch Gott nicht anders befreien konnte, außer daß er durch so viele Leiden und endlich durch sein Blut euch erlöste? Entgegnen wir ihnen: Er hat uns von Sünden, von seinem Zorn, von der Hölle und der Gewalt des Satans erlöst, den er selbst an unserer Statt überwand, weil wir uns dessen zu schwach fühlten; auch hat er uns das Reich der Himmel erkauft, und uns, weil er all’ dies solcherweise gethan, seine hochgradige Liebe bewiesen; alsdann halten sie die Antwort bereit: Vermochte Gott all’ das nicht mit einem Machtworte zu erwirken, nachdem er, wie ihr sagt, mit einem Machtworte alles ins Dasein gerufen, so verfallt ihr in Widerspruch mit euch selbst, indem ihr ihn als Unmächtigen hinstellt. Oder im Falle ihr euch ausredet, daß er zwar auch auf andere Weise jenes wirken konnte, aber gerade auf diese Weise selbes wirken wollte; wie könnet ihr dann noch länger seine Weisheit verteidigen, da er nach eurer eigenen Behauptung so viel Unwürdiges ohne irgend einen vernünftigen Grund erdulden wollte? Denn auf seinem Willen beruht das alles, was ihr eben aufstellt; auch der Zorn Gottes ist ja nichts anderes, als sein Wille