Warum machen wir es nicht einfach? - Isabella Uhl-Hädicke - E-Book

Warum machen wir es nicht einfach? E-Book

Isabella Uhl-Hädicke

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Beschreibung

Dürrebrände, Hitze bis zu 50 Grad und Sturmfluten vor unserer Haustür. Der Klimawandel ist bei uns angekommen. Wir wissen, dass wir mit unserer Art zu leben, zu wirtschaften und Politik zu machen, die Ursache sind. Wir haben Angst vor dem, was noch kommt. Wir wissen, was zu tun ist. Warum machen wir’s nicht einfach? Die Umweltpsychologin und Wissenschaftlerin Isabella Uhl-Hädicke widmet sich in ihrem ersten Buch dieser Frage. Wieso klaffen bei der Klimakrise Wissen und Handeln so oft auseinander, obwohl die Kosten des Nicht-Handelns um ein Vielfaches höher sind? Welche oft unbewussten Faktoren beeinflussen unser Umweltverhalten und wie schafft man es trotzdem, den inneren „Umweltschweinehund“ zu überlisten? Endlich Antworten auf eine der brennendsten Debatten der Stunde: überraschend, hoffnungsvoll und mit vielen konkreten Anwendungsbeispielen.

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Für all die Mutigen,

die die Welt verändern und

(trotz allem) dranbleiben

Für Helena,

mein Grund dranzubleiben

Erklären

Die Psychologie der Klimakrise

Kapitel 1Warum machen wir es nicht einfach?

Kapitel 2Umweltpsychologie?! Therapierst du Blumen?

Kapitel 3Einblicke in meine Forschung: Hemmen uns Klimawandelinformationen?

Kapitel 4Klima- und umweltfreundliches Handeln: Die psychologische Perspektive

Verstehen

Darum machen wir es einfach nicht

Kapitel 5Kognitive Dissonanz: Der Konflikt in mir

Kapitel 6Individuelle Werteinstellungen: Was ist mir wichtig?

Kapitel 7Soziale Normen: Warum spare ich erst Strom, wenn meine Nachbarin es macht?

Kapitel 8Gewohnheiten: Die meiste Zeit machen wir das, was wir die meiste Zeit machen

Kapitel 9Modelle für umweltfreundliches Verhalten: Welche Faktoren müssen zusammenspielen?

Verändern

Was braucht es, dass wir es doch einfach machen?

Kapitel 10Motivation zur Verhaltensänderung

Kapitel 11Akzeptanz von politischen Maßnahmen

Kapitel 12Nur mal kurz die Welt retten … durch Anreize oder Verpflichtungen?

Kapitel 13Von Nay zu Yay: Wie kommt es zur Veränderung?

Kapitel 14Wer gewinnt: Umweltschweinehund vs. SuperheldInnen

Anhang

Quellen · Empfohlene Literatur · Über die Autorin · Danke · Impressum

Erklären: Die Psychologie der Klimakrise

Warum machen wir es nicht einfach?

Der erste Geburtstag meiner Tochter im Sommer 2021. Eine besondere Stimmung liegt in der Luft – Dankbarkeit darüber, wie groß unser Kind mittlerweile geworden ist und wie viel Glück sie tagtäglich in unser Leben bringt. Aber auch eine Brise Wehmut, wie schnell die Zeit vergeht. War es nicht erst gestern, dass ich mit dem winzigen Menschen, der ganz leicht in meinen beiden Händen Platz hatte, wenn ich sie zu einer Art Halbkugel formte, aus der Klinik nach Hause kam? Ein Gefühl innerlicher Zerrissenheit zwischen dem Wunsch, die Zeit anhalten zu können, und der Vorfreude auf die vielen zukünftigen schönen Momente und Abenteuer, die da noch kommen werden.

Die Aufregung beschränkte sich hauptsächlich auf uns Erwachsene. Für das Geburtstagskind selbst war es ein Tag wie jeder andere. Bis auf die Geschenke. Auch wenn wir versucht haben, das Ausmaß gering zu halten, durfte eine kleine Aufmerksamkeit doch nicht fehlen. Schließlich musste gefeiert werden, dass sie vor einem Jahr beschlossen hatte, das Licht der Welt zu erblicken. Von einer Freundin bekam sie einen Bildband mit dem vielversprechenden Titel: „Mein erstes Umweltbuch“. Ganz nach dem Motto „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ könne so das kleine Mädchen bereits von Kindesbeinen an dazu beitragen, ebendiese Welt zu schützen. In bunten Farben mit ansprechenden Illustrationen werden Seite für Seite leicht umsetzbare Verhaltensweisen dargestellt. Der Clou daran – das Kind kann auf interaktive Art und Weise diese Handlung im Buch gleich „üben“. Mit der Hilfe von einem Finger wird etwa eine Fläche bewegt, die dem illustrierten blonden Jungen dabei hilft, das Licht aus- und einzuschalten. Dasselbe Prinzip findet auch für alle weiteren Themenbereiche Anwendung. Ein achtsamer Umgang mit der Ressource Wasser soll dadurch vermittelt werden, dass das Kind mit seinen kleinen Fingerchen den Regler des Wasserhahns rauf- und runterbewegt und dadurch das Wasser zu- bzw. abdreht. Daneben ist ein fröhlich badendes Kind zu sehen. Gepaart ist das Ganze mit der Aufforderung: „Drehe beim Zähneputzen immer den Wasserhahn zu. So verbrauchst du nur so viel Wasser, wie du wirklich brauchst.“ Spielerisch wird das Kleinkind auch an die weiteren umweltfreundlichen Handlungen Mülltrennung und Schutz von Insekten durch den Bau eines Zuhauses herangeführt. Meine Tochter war von Beginn an Feuer und Flamme für das Buch. Auch wenn sie anfänglich noch nicht ganz den Dreh mit den Bewegungen raushatte und Unterstützung benötigte, ging es ihr nach ein paar Versuchen leicht von der Hand. Seitdem wird das Buch mehrmals täglich angesehen. Sie fordert es ein. Und immer wieder die gleiche Begeisterung. Auch wenn wir Erwachsene uns schon ein wenig sattgesehen haben, ist ihre unverfälschte, pure Begeisterung für die kleinen Dinge des Alltags auch ein Vorbild und Anstoß für uns, eingefahrene Routinen mit einem frischen Blick zu betrachten. Der Verlag wirbt im Klappentext des Kinderbuches damit, durch diese kleinen Alltagshandlungen gemeinsam die Welt retten zu können, da Umweltschutz – angeblich – kinderleicht sei. Dieses Buch regt auch mich zum Denken an. Ist das allerorts beschworene und plakative „Weltretten“ tatsächlich so einfach? Benötigt es nicht mehr, als im Alltag den Umweltschutz mitzudenken und dies in unterschiedliche einfache fließen zu lassen? Und falls ja, warum machen wir es dann nicht einfach?

Szenenwechsel: Ein Sommerabend in der Stadt. Alle sind sichtlich erleichtert, dass die Luft langsam abkühlt und die teilweise unerträgliche Hitze des Tages allmählich doch schwindet. Zum Glück bleiben die Temperaturen angenehm genug, um im Beisein von FreundInnen einen lauen Abend im Gastgarten des Lieblingsrestaurants genießen zu können. Nach einem kurzen Update zur bisher erfolglosen Wohnungssuche von Karin und Jakob und den neuen Eskapaden des Vorgesetzten von Marie schwenkt das Gespräch zum aktuellen Weltgeschehen. Allen sitzen noch die omnipräsenten Bilder zu dem unbegreifbar schrecklichen Ausmaß von Dürrebränden in der einen Ecke der Welt und Hochwasserkatastrophen (fast) vor unserer Tür im Sommer 2021 in den Knochen. Die schrecklichen Szenen von in Flammen stehender Natur, so weit das Auge reicht, samt einem verschreckten und (leider oft zu spät) flüchtenden Tierreich; Häuser, die entweder in Sekundenschnelle vom Feuer verschluckt werden oder von der schier von der ungeheuren Kraft des aus den Regenmassen entstehenden Stroms mitgerissen werden. Für immer verschwunden. Für immer verschwunden und ruiniert ist auch das sich darin befindende Hab und Gut der darin wohnenden Personen und somit auch gefühlt ein Teil ihrer Geschichte; bis hin zu trauernden Angehörigen, die über den Verlust ihrer Liebsten verständlicherweise unter Schock stehen und es nicht begreifen können. Von den häufiger auftretenden Naturkatastrophen und dem damit verbundenen menschlichen Leid ist der Bogen ganz schnell zur Klimakrise gespannt. Die Gruppe ist sich einig, dass die Zeichen eindeutig sind und mittlerweile wirklich niemand mehr deren Existenz sowie den maßgeblichen menschlichen Beitrag dazu von der Hand weisen kann. Jakob echauffiert sich über das Totalversagen der Politik, Marie erzählt von der letzten Umweltsünde eines großen Lebensmittelproduzenten und Sebastian prangert das fehlende Umweltbewusstsein seines Nachbarn an. Der scheint noch nie etwas von Mülltrennung gehört zu haben und wirft ohne Scham seine schier unglaublichen Mengen an Plastikmüll gepaart mit noch genussfähigen Lebensmitteln in den Restmüll. Die Empörung ist groß! Die Schuldigen sind ausgemacht und die Gruppe kurz entlastet. Wir wissen, dass sich etwas ändern muss. Warum machen wir es dann nicht einfach? Das hitzige Gespräch wird durch die Kellnerin unterbrochen, die die bereits sehnlichst erwarten Speisen serviert. „Steak?“ – „Hier!“ – „Ossobuco?“ – „Hier! Mmmh! Lecker!“ – „Pizza mit extra Salami?“ – „Ich bitte.“ Die Vorfreude aufs Essen ist allen ins Gesicht geschrieben. Ein kurzes „Lasst es euch schmecken, ihr Lieben!“ kann man noch vernehmen und dann startet das fröhliche Schaufeln …

Zwei Szenen aus dem Alltag gegriffen, die in abgewandelter Form den meisten von uns wohl bekannt vorkommen. Die Themen Klimakrise und Umweltschutz sind zum Dauerbrenner geworden. Auch wenn sie durch die Coronakrise in den Hintergrund gedrängt wurden, waren sie – zu Recht – natürlich nie ganz weg. Das Bewusstsein in der Gesellschaft ist so groß wie noch nie. Umweltfreundliche Produkte kommen im Mainstream an und setzen sich immer mehr durch. Während man beispielsweise vor fünfzehn Jahren die vegetarischen und veganen Produkte im Supermarkt erst nach intensiver Suche im letzten Eck versteckt finden konnte, wird einem heutzutage eine reichliche Auswahl geboten. So ziemlich jede Person kann eine Bandbreite an Handlungen aufzählen, um den Alltag so umweltfreundlich wie möglich zu gestalten. „Jeder noch so kleine Schritt“ zählt – so hört man oft in diesem Zusammenhang – genau so wie im anfangs erwähnten Kinderbuch meiner Tochter. Darum werden der eigene Alltag beleuchtet und spezifische Bereiche auserkoren, die nachhaltiger gestaltet werden sollen. Beispielsweise schnell das Wasser ausmachen während des Zähneputzens; Licht abdrehen, wenn man den Raum verlässt – vielleicht sogar der Einbau von Bewegungsmeldern; das gewissenhafte Trennen von Müll; das Pflanzen von bienenfreundlichen Blumen bei der alljährlichen Gartengestaltung. Oder nach dem Motto „Plastik pfui, Mehrweg hui!“ eine Stofftasche im Kampf gegen die Klimakrise stolz vor der Brust tragen, um dem Umfeld klar zu signalisieren: „Ich habs verstanden! Ich gehöre zu den Guten!“ Im Supermarkt greift man zum Bio-Obst, das in den mitgebrachten Gemüsenetzen verstaut wird. Ein inneres wohliges Gefühl macht sich breit. Seien wir uns ehrlich, es fühlt sich auch ein wenig befriedigend an, auf der „richtigen“ Seite zu stehen und der Klimakatastrophe und dem riesigen Plastikmeer den Garaus zu machen. Klimaschutz kann so einfach sein! Wenn jede Person im Alltag ein paar kleine Schritte berücksichtigt, wären wir in Summe doch schon viel weiter, oder? Warum machen wir es dann nicht einfach?

Während eines Smalltalks mit der Person an der Kasse werden die Einkäufe in der mitgebrachten Stofftasche verstaut. Beschwingt, vielleicht kaum wahrnehmbar ein Lied summend, wird der Einkaufswagen souverän über den vollen Parkplatz manövriert. Hin zum eigenen fossil betriebenen Gefährt, wo alles schnell verladen wird. „Puh! Heute ist aber wieder viel los auf der Straße“, wird mit leicht genervtem Unterton festgestellt, während darauf gewartet wird, sich in den Verkehrsfluss der Hauptstraße einordnen zu können …

Diese Szene oder auch die von dem eingangs geschilderten Sommerabend im Restaurant zeigen, dass wir trotz vorhandenem Umweltbewusstsein immer wieder (oder öfter) gegensätzlich handeln. An dieser Stelle ist mir wichtig festzuhalten, dass es nicht darum geht, Fleischessende oder Autofahrende an den Pranger zu stellen. Im Gegenteil, diese Diskrepanz, dieses Paradoxon im Alltag begleitet uns alle in unterschiedlicher Form. Weil es eine wirklich komplexe und schwierige Situation ist! Bei genauerer Betrachtung zeigt sich nämlich: Natürlich sind die oben aufgezählten umweltfreundlichen Alltagshandlungen wichtig und richtig. Es braucht jedoch mehr. Viel mehr! Die wissenschaftlichen Belege sind seit Jahrzehnten klar: Wir Menschen sind die Hauptursache für die rasant fortschreitende Klimaveränderung – an der Stelle heißt es dann immer: menschengemacht – und neben der gesellschaftlichen kommen wir nicht ohne wirtschaftliche und politische Kursänderungen aus. Wir können zwar weiterhin Licht und Wasser in unseren eigenen vier Wänden abdrehen, aber ohne politische Rahmenbedingungen wird etwa eine weitreichende Veränderung unserer Mobilität kaum gelingen: Wenn es beispielsweise einen Billigflieger zur gewünschten Urlaubsdestination gibt, aber nur eine schlecht ausgebaute Alternative auf der Schiene, die noch dazu das Zehnfache kostet; oder wenn für den täglichen Weg zur Arbeit die Wahl eines öffentlichen Verkehrsmittels die Fahrtdauer vervierfacht, während man stattdessen mit seinem Auto gemütlich über die breit ausgebaute Schnellstraße gleiten könnte. Unsere Alltagsmobilität ist einer von vielen wichtigen Bausteinen, der gesamtheitlich angegangen werden muss, wenn wir den Konsequenzen der Klimakrise tatsächlich entgegenwirken wollen.

Vielleicht rollen Sie jetzt beim Lesen die Augen. Denn geflügelte Sätze wie diese sind in der Klimadebatte fast omnipräsent. Aber was bedeuten sie? Mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen im Falle eines Nicht-Handelns? Werfen wir einen Blick darauf, wie sich ein Anstieg von 1,5 Grad der Globaltemperatur seit Beginn der Industrialisierung von 2 Grad plus hinsichtlich der zu erwartenden Auswirkungen unterscheidet. Plus 2 Grad bedeutet (im Vergleich zu plus 1,5 Grad), dass heutige Hitzerekorde Normalität werden. Die Wahrscheinlichkeit für die Wiederholung eines Hitzejahres wie 2016 liegen bei 88 % (versus 52 %). Das heißt, bei 1,5 Grad mehr wären wir im Schnitt jedes zweite Jahr davon betroffen, bei einer globalen Erhöhung um 2 Grad bereits in 9 von 10 Jahren. Dies bedeutet auch, dass mehr als 2 Milliarden Menschen (vs. 700 Millionen) unter extremen Hitzewellen leiden werden, die auch immer eine Vielzahl an Todesfällen fordern. Das halbe Grad entscheidet darüber, ob jeder zehnte oder jeder vierte Mensch auf der Erde betroffen ist. Die Hitze hat auch Konsequenzen für den Nordpol. Bei plus 2 Grad ist zu erwarten, dass das Nordpolarmeer im September, also zum Ende des arktischen Sommers, alle 3 bis 5 Jahre (versus alle 40 Jahre bei 1,5 Grad) eisfrei ist.

Da Wetterextreme allgemein ansteigen, macht sich die Veränderung auch bei der Zunahme an Kälteextremen bemerkbar. Diese werden öfter auftreten – konkret um rund 80 % (vs. 50 %) öfter. Auch Überschwemmungen nehmen zu: Das Risiko für Hochwasser durch Flüsse wird weltweit auf 21 % (versus 11 %) der Landflächen steigen. Auch wenn sie zunächst wie nüchterne Zahlen klingen, das halbe Grad verdoppelt die Anzahl an Risikozonen. In diesem Zusammenhang nimmt auch die Gefahr für Sturmfluten, die ansonsten etwa alle 500 Jahre zu erwarten sind, zu – im Vergleich auf im Schnitt alle 33 Jahre (versus 100 Jahre). Sie lieben es, im Meer zu schnorcheln oder zu tauchen? Dann bringt die folgende Veränderung leider schlechte Nachrichten: Bei einem Plus von 2 Grad werden fast gänzlich alle Korallenriffe (versus 70–90 %) weltweit einem Risiko von Korallenbleiche ausgesetzt sein und in der Folge abzusterben.1

Klingt beängstigend? Für mich definitiv. Vor allem, da wir mit unserem aktuellen CO2-Ausstoß, also mit unserer momentanen Art zu leben, zu wirtschaften und Politik zu machen, es nicht mal schaffen würden, das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Momentan liegen wir eher bei einem Anstieg von 3–4 Grad oder sogar mehr. Da bereits jedes halbe Grad einen gravierenden Unterschied macht, können Sie sich vorstellen, dass in diesem Szenario die Konsequenzen sich nochmals massiv verschärfen. Der Großteil von Inselstaaten und Küstenregionen verschwindet bzw. wird geflutet. Direkt betroffen sind Milliarden von Menschen unter anderem aus Metropolen wie New York, Hamburg, Shanghai oder Mumbai. Durch die noch weitere Zunahme an Wetterextremen und -katastrophen sowie Dürren werden immer mehr Teile der Erde unbewohnbar und Lebensmittel knapp. Das Ausmalen der Folgen für das menschliche Zusammenleben in einer Welt mit fehlenden Ressourcen und begrenztem Wohnraum überlasse ich Ihrer Fantasie2 … Aber bitte schlagen Sie jetzt nicht demonstrativ dieses Buch zu und laufen davon, die Frage ist noch immer: Warum machen wir es nicht einfach?

Wollen wir diese dramatischen Auswirkungen abfedern, braucht es Taten in vielen – eigentlich so gut wie allen – Lebensbereichen. Auch wenn man es nicht gern hört, Dinge wie beispielsweise das Setzen auf Mehrweg und Reduktion des Wasserverbrauchs im Haushalt fühlen sich oft ausreichend an – gepaart mit dem (trügerischen) positiven Gefühl, nicht untätig zu sein. Doch wir setzen nicht nur unsere Lebensqualität und -grundlage, sondern auch die zukünftiger Generationen – sprich: konkret deiner, meiner, unserer Kinder und Kindeskinder – aufs Spiel. Auch wenn diese ganzen Zukunftsbilder gefühlt weit weg zu sein scheinen, sind sie näher als gedacht. Auch wenn mir das Schreiben der nachfolgenden Zeilen als Mutter einer kleinen Tochter innerlich das Herz zerreißt: Statistisch gesehen wird meine Tochter (geboren 2020) eine Zunahme von 3–4 Grad noch erleben3 und die geballten Konsequenzen zu spüren bekommen. Nun würde ich am liebsten davonlaufen …

Doch warum fällt es uns trotz dieser mehr als beängstigenden Zukunftsvision so schwer, dieses Wissen und Sorgen in entsprechende Handlungen zu übersetzen? Warum weichen die diffusen Schuldgefühle und noch so gut gemeinten Vorsätze oft schneller, als man bis drei zählen kann, fest eingefahrenen, oft klimaschädigenden Routinen? Warum kommt beim Umsetzen eines klimafreundlichen Lebensstils so oft der Alltag dazwischen? Warum lösen die vorgestellten Zukunftsszenarien eher ein Gefühl von Lähmung aus und lassen es uns erst gar nicht versuchen, Klimaschutz in den Alltag zu integrieren. Angesichts dieser Situation drängt sich hier zum wiederholten Mal die Frage auf: Warum machen wir es nicht einfach?

Umweltpsychologie?! Therapierst du Blumen?

Dies ist eine Frage, die mich schon lange intensiv beschäftigt. Sogar so intensiv, dass ich mich tagtäglich auch beruflich damit auseinandersetze. Wer ich bin? Erlauben Sie, dass ich mich kurz vorstelle. Ich bin Isabella Uhl-Hädicke, Umweltpsychologin an der Universität Salzburg in Österreich. Nein, zu mir kommen nicht Blumen und Pflanzen mit ihren Problemen auf die Couch. Ich beschäftige mich in meiner Arbeit mit dem Menschen und wie er sich in der Umwelt verhält, und warum er sich so verhält, wie er sich verhält, kurz: mit menschlichem Umweltverhalten. Wichtige Fragen, die sich meine KollegInnen und ich stellen, sind etwa: Warum verharren wir so oft lieber in umweltschädigenden Verhaltensmustern und lassen den inneren Umweltschweinehund wieder mal gewinnen – obwohl wir es eigentlich besser wüssten? Wie wichtig sind finanzielle Anreize bei der Motivation von umweltfreundlichem Verhalten? Hat das Verhalten meiner Nachbarschaft Einfluss auf meinen eigenen nachhaltigen Lebensstil? (Spoiler: Ja – mehr dazu aber später.)

Keine klassische oder konventionelle Laufbahn nach einem abgeschlossenen Psychologiestudium – ich weiß. Aber für mich die perfekte Wahl. Wie es dazu kam und womit sich die Umweltpsychologie genau beschäftigt, dazu möchte ich Ihnen jetzt einen kurzen Einblick geben.

Von Sex and the City zu Öko in the City …

Mit Anfang zwanzig malte ich mir mein Leben als Erwachsene wie eine Folge der berühmten Fernsehserie „Sex and the City“ aus – mit den engsten Freundinnen in den trendigsten Bars und Restaurants abhängen, bunte Cocktails schlürfen, mit dem To-go-Becher in der Hand zum beruflichen Meeting eilen, erfolgreich sein – natürlich top gestylt. Nur schnell das Studium abschließen und dann einfach das Leben genießen. Ich war felsenfest überzeugt, daran konnte nichts falsch sein. Immer öfter sah ich mich jedoch mit Informationen konfrontiert, die meine ersehnte und heile „Sex-and-the-City-Welt“ mehr und mehr ins Wanken brachten. Dazu zählten die Inhalte des Films „Plastic Planet“, der auf das schier unfassbare Ausmaß an Plastik in unserem Leben samt den potenziell gesundheitsschädigenden Folgen von Weichmachern, die in einigen Kunststoffprodukten enthalten sind, aufmerksam macht. Erkenntnisse aus dem Buch „Schwarzbuch Markenfirmen“, das Geschäftspraktiken allseits bekannter und beliebter Marken genauer unter die Lupe nimmt und aufzeigt, dass so manchem Unternehmenserfolg Ausbeutung, Kinderarbeit, Finanzierung von Kriegen und Umweltzerstörung zu Grunde liegt. Oder auch Vorträge zum Thema Produktionsbedingungen und fairer Handel und insbesondere der Austausch mit Personen, die sich vor Ort ein Bild über die Lage machen und aus erster Hand weitergeben können, wie viel Menschenleid mit den Lieblingsprodukten in unseren Supermärkten verbunden ist (zum Beispiel Schokolade). Außerdem setzte ich mich zum ersten Mal wirklich mit dem Thema Klimawandel und was dies konkret bedeutet auseinander. Tatsachen und Begriffe, die vorher abstrakt und ehrlicherweise auch leicht zum Ausblenden waren, wurden plötzlich greifbar. Früher scheinbar irrelevant für den eigenen Alltag, wurden sie mit Leben gefüllt und führten mir vor Augen, dass ich mit meinen täglichen Entscheidungen sehr wohl einen Einfluss habe. Plötzlich sorgten der Biss in die beliebte Markenschokolade oder das Ergattern eines Modeschnäppchens nicht mehr nur für einen Ausstoß von Glücksgefühlen, sondern auch für einen fahl-bitteren Beigeschmack. Wie geht es eigentlich den Menschen, die die Kakaobohne angebaut oder das Kleidungsstück hergestellt haben? War er noch ein Kind? Musste er leiden, nur damit ich für wenige Sekunden Genuss erleben kann oder mir mehrmals im Monat im Shoppingrausch Shirts kaufen kann, die ich dann gar nicht wirklich oft trage. Kurz gesagt: Wie viel Leid ist damit verbunden, dass ich ein scheinbar schönes Leben mit schönen Dingen führen kann?

Es fühlte sich an wie ein Dominoeffekt. Je mehr Lebensbereiche ich genauer betrachtete und hinterfragte, desto größer wurde mein Bewusstsein für weitere Problemfelder. Oft fühlte es sich an wie ein Fass ohne Boden. Wie kann es sein, dass der für uns so normal gewordene Lebensstil, der niemandem etwas Böses möchte, so viele negative Konsequenzen für Mensch und Natur mit sich zieht? Ich war überfordert und verfluchte, um ehrlich zu sein, das neu gewonnene Wissen auch teilweise. Wieso soll ich mir die Anstrengung antun, jeden Lebensbereich zu beleuchten und zu ändern? Warum soll ich aktiv werden, während mein soziales Umfeld gleich bleibt? Und die große Frage: Kann ich als Einzelperson überhaupt irgendwas bewirken? Trotzdem wollte und konnte ich meine veränderte Sichtweise und die damit verbundenen Schuldgefühle nicht rückgängig machen. Schritt für Schritt ging ich es an – natürlich weit weg davon, alles perfekt zu machen. Einige Bereiche fielen mir leichter, einige schmerzten sehr, zum Beispiel die Reduktion des regelmäßigen Kaufs von konventioneller Mode. Es war insgesamt ein langer und schwieriger Prozess, bis ich mein Leben und meine gewohnte Art zu leben tatsächlich verändert habe. Und ehrlich gesagt ist diese Veränderung mehr ein Weg als ein Ziel. Auch heute gibt es noch Felder, die mir trotz meiner mittlerweile jahrzehntelangen Anstrengungen, ein umwelt- und klimafreundliches Leben zu führen, schwerer fallen.

Neben den Veränderungen in den persönlichen Lebensbereichen wollte ich mich aber auch beruflich den Themen Umwelt- und Klimaschutz und lebenswerte Zukunft zuwenden. Während meines Psychologiestudiums konnte ich als studentische Hilfskraft Einblicke in den Forschungsprozess erlangen und war fasziniert von den Erkenntnissen und der wissenschaftlichen Vielfalt. Gerade rund um den Themenbereich Psychologie ranken sich oft Mythen, da schließlich jede und jeder Erfahrungen mit Menschen macht – und gern allgemeingültige Regeln davon ableitet. Wie oft höre ich: „Ja, Menschen sind eben so, denn meine Freundin hat in der Situation auch so gehandelt.“ In der wissenschaftlichen Psychologie werden aber scheinbar allgemeingültige Annahmen der Gesellschaft empirisch hinterfragt und überraschend oft auch widerlegt. Studien zeigen zum Beispiel, dass ein in der Praxis oft eingesetzter externer Anreiz wie Geld oder Belohnung eine Verhaltensänderung motiviert – jedoch nur solange er da ist. Gibt es keinen externen Grund mehr, wird die gewünschte Handlung sogar noch weniger häufig gezeigt als vor der Einführung des Anreizes.4 Oder, dass die gut gemeinte Warnung auf Zigarettenpackungen, dass Rauchen schädlich für die Gesundheit ist, unter den Rauchenden sogar für mehr Widerstand sorgt.5

Diese Welt gefiel mir und diese Art des Arbeitens fand ich hochinteressant. Ich plante nach dem Studium ein Doktorat und wollte der Forschungsfrage: „Wann handeln Menschen umweltfreundlich und wann tun sie es nicht?“ nachgehen. Eifrig stürzte ich mich in die Literaturrecherche und stieß auf eine Reihe von relevanten Arbeiten, die vor allem eines gemeinsam hatten: Die meisten waren im Bereich der Umweltpsychologie angesiedelt.

Diese Disziplin beschäftigt sich mit der Wechselwirkung zwischen Mensch und der (bebauten) Umwelt. Das heißt, auf der einen Seite wird untersucht, welchen Einfluss verschiedene Umgebungen wie beispielsweise intakte, grüne Wälder, aber auch von Beton nur so strotzende Großstädte auf den Menschen haben. Insbesondere wie sich diese auf das menschliche Erleben, Verhalten und Wohlbefinden auswirken. Umgekehrt beschäftigt sich die Umweltpsychologie auch mit dem Einfluss, den der Mensch durch sein Verhalten auf ebendiese Umwelt hat. Dabei versucht diese Wissenschaftsdisziplin zu verstehen, wann und weshalb Menschen umweltfreundlich handeln – oder eben nicht. Das Erkennen von diesen entscheidenden Einflussfaktoren, die im Laufe dieses Buches noch genauer besprochen werden, ermöglicht es, noch einen Schritt weiter zu gehen – nämlich zu Möglichkeiten zum Fördern von umweltfreundlichen Verhaltensweisen.

Diese Bandbreite an Themen gab es nicht von Anfang an. Die Disziplin hat unterschiedliche Entwicklungsstadien durchlaufen. Ursprünglich beschäftigte sie sich primär mit dem ersten Schwerpunkt, also dem Einfluss, den die Umwelt auf das menschliche Verhalten und Wohlbefinden hat. Dabei wurde beispielsweise untersucht, wie Wohnhäuser, Büros, aber auch Krankenhäuser konzipiert und gebaut werden sollten, um das menschliche Wohlbefinden optimal zu unterstützen. Diese Phase wird deshalb als die der „archetektonischen Psychologie“ bezeichnet.

Im Laufe der Zeit verlagerte sich jedoch dieses Forschungsinteresse. Als Wissenschaftsdisziplin, die den Anspruch hat, für gesellschaftliche Herausforderungen Lösungen zu finden, reagierte sie auf das steigende Umweltbewusstsein in der Bevölkerung. Immer mehr Studien konzentrierten sich auf die negativen Auswirkungen von Umweltproblemen auf menschliche Gesundheit und Wohlbefinden. Langsam machte sich aber auch der heutige zweite Schwerpunkpunkt bemerkbar: Möglichkeiten, um die Ursache von Umweltproblemen, nämlich umweltschädigendes Verhalten, zu ändern, gewannen immer mehr an Bedeutung. Darum spricht man ab Ende der 1960er Jahre auch von der Phase der „grünen Psychologie“. Damals standen vor allem Phänomene wie Luftverschmutzung und Lärmbelastung im Zentrum des Interesses. Dieses verlagerte sich in den 1970er Jahren auf Themen wie Energieversorgung und -verbrauch und in den 1980er Jahren auf die Diskrepanz zwischen Einstellung und dem tatsächlichen Konsumverhalten.

Langsam, aber doch rückten der Klimawandel und die damit verbundene zentrale Rolle des menschlichen Verhaltens immer stärker in den Diskurs der Öffentlichkeit. Dies griff die Umweltpsychologie-Community auf und beschäftigte sich stärker mit Faktoren, die die Bereitschaft für einen klima- und umweltfreundlichen Lebensstil erklären und in der Folge auch Möglichkeiten, diesen zu fördern. Stück für Stück wurde dies zum Hauptinteressensgebiet der Umweltpsychologie, wodurch sich das Feld immer mehr zur „Psychologie der Nachhaltigkeit“ entwickelte.6