Was Tiere wirklich wollen - Eva Meijer - E-Book

Was Tiere wirklich wollen E-Book

Eva Meijer

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Beschreibung

Tiere sind Wesen mit Gedanken und Gefühlen, nicht weniger intelligent oder weniger wert als der Mensch – ein einleuchtendes und mitreißendes Plädoyer für ein radikales Umdenken in unserem Verhältnis zu den nichtmenschlichen Bewohnern unseres Planeten.

Bienen diskutieren, wen sie angreifen sollen. Gänse haben territoriale Koflikte mit Menschen. Gefangene Orkas töten ihre Trainer. Kamele weigern sich, für die Armee zu arbeiten. Biber helfen Bauern bei Überschwemmungen. … Hochaktuell, wissenschaftlich fundiert und mit wunderbar anschaulichen Beispielen geht die Philosophin Eva Meijer der Frage nach, inwieweit Tiere als politisch handelnde Wesen betrachtet werden müssen und was das für unseren Umgang mit Tieren, für die Politik und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse bedeutet. Können wir sie als unsere nichtmenschlichen Mitbürger begreifen, eine neue Art von Demokratie schaffen? Müssen wir Fragen der Ethik und Moral neu definieren? Und was wollen Tiere wirklich?

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Zum Buch

Tiere sind Wesen mit Gedanken und Gefühlen, nicht weniger intelligent oder weniger wert als der Mensch – ein einleuchtendes und mitreißendes Plädoyer für ein radikales Umdenken in unserem Verhältnis zu den nichtmenschlichen Bewohnern unseres Planeten.

Bienen diskutieren, wen sie angreifen sollen. Gänse haben territoriale Konflikte mit Menschen. Gefangene Orcas töten ihre Trainer. Kamele weigern sich, für die Armee zu arbeiten. Biber helfen Bauern bei Überschwemmungen. … Hochaktuell, wissenschaftlich fundiert und mit wunderbar anschaulichen Beispielen geht die Philosophin Eva Meijer der Frage nach, inwieweit Tiere als politisch handelnde Wesen betrachtet werden müssen und was das für unseren Umgang mit Tieren, für die Politik und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse bedeutet. Können wir sie als unsere nichtmenschlichen Mitbürger begreifen, eine neue Art von Demokratie schaffen? Müssen wir Fragen der Ethik und Moral neu definieren? Und was wollen Tiere wirklich?

»Eva Meijer hinterfragt unsere eingefleischten Überzeugungen – genau dafür ist Philosophie da: Vorurteile und Meinungen kritsch zu beleuchten.« Knack-focus

Zur Autorin

EVA MEIJER, geboren 1980 in Hoorn, Niederlande, ist Philosophin, Schriftstellerin, Singer-Songwriter und bildende Künstlerin. Sie hat Romane, Kurzgeschichten, Gedichte und essayistische Bücher veröffentlicht und wurde zu einem Thema über die Sprachen der Tiere promoviert. Ihr Roman »Das Vogelhaus« gewann den Leserpreis des BNG-Literaturpreises und wurde für den Libris- und den ECI-Literaturpreis nominiert. Eva Meijer lehrt an der Universität von Amsterdam und an der Dutch Research School of Philosophy (OZSW). 2017 wurde Eva Meijer für ihr Gesamtwerk mit dem Halewijn-Preis ausgezeichnet, und »Was Tiere wirklich wollen« erhielt den Hypatia-Preis für das beste philosophische Buch, das von einer Frau geschrieben wurde.

Zur Übersetzerin

HANNI EHLERS, geboren 1954 in Ostholstein, studierte Niederländisch, Englisch und Spanisch am Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Heidelberg und ist die Übersetzerin von u. a. Renate Dorrestein, Anna Enquist, Connie Palmen und Leon de Winter.

EVA MEIJER

WAS TIERE WIRKLICH WOLLEN

Eine Streitschrift über politische Tiere und tierische Politik

Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers

Inhalt

Einleitung

1. Von Tierrechten zu Tierpolitik

2. Politische Tiere und die Menschenpolitik

3. Wir sind alle nichts anderes als Tiere: mehrartige Gemeinschaften und neue Richtungen

Quellennachweis

Anmerkungen

Einleitung

Der Delphin Takoma wurde nach umfassender Ausbildung vom amerikanischen Militär als Soldat im Irak eingesetzt. Nachdem sein Kamerad Makai schon von einer ersten Mission im Persischen Golf zurückgekehrt war, erwartete der Ausbilder, dass auch Takoma binnen vierundzwanzig Stunden wieder da sein würde. Doch Takoma blieb weg. Da die Gewässer als sicher galten, nimmt man an, dass er desertiert ist.1Delphine sind für ihre Intelligenz, Sensibilität und ausgeprägte Kultur bekannt. Es ist also denkbar, dass sich Takoma abgesetzt hat, weil er dagegen aufbegehrte, für Menschen arbeiten zu müssen, ja vielleicht sogar gegen die Art der Arbeit, die er hätte verrichten sollen. Bei einem Menschen könnte man da von einem politischen Akt sprechen. Weil Takoma ein Delphin ist, halten wir das für weniger selbstverständlich.

»Tiere« und »Politik«, dabei denken die meisten wohl zuerst einmal an die politische Partei »Partei für die Tiere«. Vielleicht auch noch an Tierrechte oder an Stiftungen und Organisationen, die sich darum bemühen, das Los von Tieren zu verbessern. Darin äußert sich ein bestimmtes Bild von Tieren und von Politik. Viele Menschen meinen, Politik sei etwas, das sich nur in formellen Institutionen wie Parlament oder Stadtrat abspielt. Politik wird als etwas für Menschen und von Menschen gesehen, das sich weitgehend auf Sprache stützt und die Fähigkeit zu abstraktem Denken voraussetzt. Nichtmenschliche Lebewesen seien nicht zu politischem Handeln imstande, und genau das mache, so die verbreitete Meinung, den Unterschied zwischen Menschen und allen anderen Lebewesen aus.

Die Ansicht, dass nur Menschen politisch handeln können, ist tief in der Geschichte des Denkens verwurzelt. Schon der altgriechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) schrieb in seiner Politik, dass der Mensch das einzige politische Wesen sei, da Menschen sprechen und in diesem Sprechen zwischen Gut und Böse differenzieren könnten. Andere Lebewesen könnten seiner Meinung nach zwar zum Ausdruck bringen, ob sie Schmerzen hätten oder Freude empfänden, doch ihnen fehle die moralische Einsicht, die es brauche, um der politischen Gemeinschaft anzugehören. Für Menschen sei die Bildung einer solchen Gemeinschaft wichtiger Bestandteil eines erfüllten Lebens, für die meisten anderen Lebewesen sei sie ohne Bedeutung. Aristoteles zog die Grenzen der politischen Gemeinschaft somit um die menschliche Art. Auch heute noch herrscht sowohl in der politischen Philosophie als auch in der praktischen Politik der Gedanke vor, dass Tiere nicht sprechen können, nicht politisch handeln können und somit nicht der politischen Gemeinschaft angehören.

Dieses Bild von nichtmenschlichen Lebewesen ist inzwischen nicht mehr haltbar. Nichtmenschliche Lebewesen können viel mehr, als wir bisher dachten, und eine harte Scheidelinie zwischen Menschen und Tieren lässt sich nicht ziehen. Menschen haben vielfältige Beziehungen zu Tieren; das erstreckt sich vom Verjagen oder dem Verzehr von Tieren bis zum Zusammenwohnen unter einem Dach und dem gemeinsamen Leben mit ihnen. In diesen Beziehungen sind Tiere keine Sachen: Sie verschaffen sich Gehör und bestimmen die Ausgestaltung der Beziehung, ja manchmal sogar der Gemeinschaft mit. Seit Aristoteles hat sich auch stark gewandelt, wer als politisches Wesen angesehen wird – Frauen und Sklaven erwiesen sich als durchaus zu politischem Handeln fähig. Zudem umfasst Politik, wie Bürgerrechtsbewegungen zeigen, mehr als nur die formelle Interaktion in offiziellen Institutionen; auch Protest und Widerstand spielen eine Rolle, ebenso wie in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft angestellte Überlegungen. Diese neuen Ansichten über Politik und über Tiere werfen viele Fragen auf: ob Tiere politisch handeln und was darunter zu verstehen ist, wo die Grenzen der politischen Gemeinschaft liegen, Fragen nach Gerechtigkeit und Macht, nach Lebensräumen und Land oder die Frage, was uns trennt und was uns verbindet.

Im vorliegenden Essay erörtere ich diese und andere Fragen zu Politik und Tieren und untersuche, wie wir mit Tieren gemeinsam unsere Beziehungen zueinander anders gestalten könnten. Neuere Arbeiten in der politischen Philosophie legen nahe, dass Tiere als politische Wesen betrachtet werden sollten. Die Geschichte von Tierrechten und dieser sogenannten »politischen Wende« in der Tierethik untersuche ich im ersten Kapitel. Dabei gehe ich auch auf die Frage ein, inwieweit die herrschenden Machtverhältnisse unser Bild vom Menschen und von Tieren prägen, und befasse mich mit Bezügen zwischen nichtmenschlichen Lebewesen und sonstigen marginalisierten Gruppen. Im zweiten Kapitel lege ich dar, wie Tiere politisch handeln und was das für unsere Auffassung von Politik bedeutet, und beleuchte Zusammenhänge zwischen diesem Handeln und der bestehenden liberalen Demokratie. Im letzten Kapitel unterbreite ich anhand der Begriffe »Demokratie« und »Deliberation«, wie wir neue politische Beziehungen zu Tieren aufbauen können, und zeige, was wir darüber hinaus tun können, um die heutige Situation zu verbessern.

Politische Tiere

Neuere wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass es keine scharfe Trennlinie gibt, die Menschen von Tieren scheidet, und dass nichtmenschliche Lebewesen weit komplexere Geschöpfe sind, als wir bisher dachten. Gorillas können zum Beispiel in Gebärdensprache von ihrer Vergangenheit erzählen; die Sprachen von unter anderem Präriehunden und Kalmaren verfügen über eine Grammatik; Ameisen, Elstern und Schweine erkennen sich selbst im Spiegel; Ratten helfen Fremden; Fische benutzen Werkzeuge; Hunde riechen, wie spät es ist; Paviane besprechen Zukünftiges; Pferde können Menschen mittels Zeichen zu verstehen geben, ob sie eine Decke wollen oder nicht; Raben und Elefanten kennen ausgesprochene Trauerrituale.2Alle diese Untersuchungen zeigen, dass Tiere Individuen mit jeweils eigenen Lebensanschauungen sind, dass sie eigene Vorstellungen von einem guten Leben haben und anderen diese auf ihre jeweils eigene Weise verdeutlichen. Dass sie anders sind als Menschen und sich anders ausdrücken, heißt nicht, dass sie weniger klug wären oder weniger wertvoll.

Die Leben von Menschen und Tieren sind auf vielfältige Weise miteinander verwoben. Wir alle teilen uns einen Planeten, und menschliche und nichtmenschliche Lebewesen teilen Haushalte, Städte, Lebensräume. In diesen Beziehungen sind Menschen nicht die Einzigen, die Entscheidungen treffen und danach handeln: Tiere üben ebenfalls Einfluss aus und verschaffen sich Geltung. Tiere widersetzen sich und begehren gegen menschliche Vormacht auf, arbeiten und leben aber auch mit Menschen zusammen. Orang-Utans machen zum Beispiel gemeinsame Sache, um aus Tiergärten auszubrechen, weshalb man sie stets wieder umquartieren muss.3 Bienen beratschlagen, wo sie wohnen und wen sie angreifen sollen. Polizeihunden steht in manchen englischen Städten nach ihrem berufstätigen Leben eine Altersrente zu. Schweine entfliehen dem Schlachthof. Elefanten zertrampeln menschliche Behausungen. Delphinsoldaten desertieren. Gänse tragen Gebietsstreitigkeiten mit Menschen aus. Orcas in Gefangenschaft töten ihre Trainer. Biber helfen Bauern beim Schutz vor Überflutungen. Nutztiere arbeiten mit Menschen zusammen oder verweigern sich.4

Obwohl auch Tiere fühlen und denken können, gelten sie in den meisten Ländern vor dem Gesetz als Sachen. Sie haben keinen Einfluss auf politische Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, oder auf konkrete Maßnahmen, die ihre Bewegungsfreiheit regulieren. Das mag logisch erscheinen: Menschenpolitik ist für Menschen da und wird nach Menschenart gemacht. Doch unsere politischen Entscheidungen haben eben auch große Auswirkungen auf das Leben von Tieren. Menschen bestimmen darüber, wo sie leben, wie sie leben, und oft auch, wann und wie sie sterben.

Diese tief in unserem Denken und unserer Kultur verankerte Hierarchie zwischen Menschen und Tieren zieht große gesellschaftliche Probleme nach sich. In den Niederlanden leben und sterben jährlich mehr als 500 Millionen Tiere5 für die Fleischindustrie – unter erbärmlichen Bedingungen; zahllose andere Tiere kommen in Versuchslaboren zu Tode und werden für das Wohlergehen des Menschen getötet. Wieder andere leiden als Haustiere unter Vereinsamung oder Verwahrlosung. Eine derart intensive Nutzung von Tieren ist für unseren Planeten und somit für zukünftige Generationen untragbar. Die Viehwirtschaft ist einer der Hauptverursacher der Klimaproblematik6, und deren Folgen betreffen vor allem arme nichtwestliche Menschen.7 Es ist also nicht nur im Interesse der Tiere, dass in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ein Umdenken stattfindet und anders gehandelt wird.

Tierpolitik

In der Tierrechtsphilosophie wird, wie ich im folgenden Kapitel eingehender erörtern werde, seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dargelegt, dass Tiere auch moralisch eine Rolle spielen. Weil sie Gefühle hätten und ihr Leben als »Selbst« lebten, hätten sie genauso wie der Mensch ein Recht darauf, in Freiheit zu leben und nicht für die Nutznießung anderer herhalten zu müssen. Es ist noch längst nicht so weit, dass Tieren dieses Recht eingeräumt wird, doch seine Notwendigkeit scheint meiner Ansicht nach hinlänglich bewiesen. Schweine, Fische, Hunde, Schlangen, Pferde, Eisbären, Schmetterlinge, Maulwürfe und alle anderen nichtmenschlichen Geschöpfe haben ein Leben, an dem ihnen mehr als an allem anderen gelegen ist. Es steht dem Menschen daher nicht zu, Taschen aus ihrer Haut zu machen, sie bei lebendigem Leib zu rupfen, sie zu essen oder in zu kleinen Käfigen zu halten.

Die Tierrechtsphilosophie befasst sich vor allem mit der Frage, wie Ausbeutung und »Vernutzung« von nichtmenschlichen Lebewesen beendet werden können, und weniger damit, wie wir die Beziehungen zu ihnen stattdessen gestalten sollten. Die Neugestaltung der Beziehungen ist freilich eine wichtige Frage, denn wir alle teilen uns schließlich einen Planeten, und da ist es unvermeidlich, dass wir miteinander in Berührung kommen. Gute Beziehungen sind auch durchaus machbar, und es gibt sie bereits, man kann also auf sie verweisen, um Menschen dazu anzuregen, ihr Verhalten zu ändern. Wenn wir Tiere als Individuen mit eigenen Interessen ernst zu nehmen gedenken, müssen wir in Erfahrung bringen, was sie selbst eigentlich wollen, und dürfen nicht von vornherein den Kontakt zu ihnen als unerwünscht abtun. Sonst würden wir ihnen nur erneut unsere Regeln aufdrücken.8 Nichtmenschliche Lebewesen sind nicht dumm; sie haben ihre eigenen Sprachen und Kulturen, die wir in vielen Fällen verstehen oder kennenlernen können. Tiere in dieser Weise ernst zu nehmen, setzt mehr voraus, als nur ihre Interessen in ein bestehendes System aufzunehmen: Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir ihnen bei den Angelegenheiten, die ihr Leben betreffen, eine Stimme verleihen können.

Ein anderes Zusammenleben mit Tieren ist nicht nur für diese selbst von Belang, sondern auch aus demokratischer Warte. Tierrechte, wie etwa das Recht, nicht getötet, gefoltert oder in Gefangenschaft gehalten zu werden, würden die Lage von Tieren erheblich verbessern und sind für viele von ihnen buchstäblich lebenswichtig. Aber mit solchen Rechten allein ist es noch nicht getan. In einer Demokratie geht es nicht nur darum, Zugang zu einem bestimmten System oder Rahmen zu erhalten, es ist ebenso wichtig, dass man die Möglichkeit bekommt, das System, das heißt die Bedingungen, unter denen man lebt, mit zu beeinflussen. Sonst bleibt man immer von denen abhängig, die für einen bestimmen, wie man sein Leben einrichten darf. Die Interessen nichtmenschlicher Wesen müssen demokratisch mitgewogen werden, weil sie in unserer Gesellschaft leben und weil unsere Entscheidungen ihr Leben maßgeblich beeinflussen. Gewährt man Tieren jedoch lediglich Zugang zu einem menschlichen System, indem man ihnen beispielsweise Rechte zubilligt, bleiben sie von den Menschen abhängig, die das System bestimmt haben und weiterhin bestimmen werden. Ein wirklich über die Menschenpolitik hinausreichendes Denken muss beinhalten, dass Tiere über die Gestaltung der Gesellschaft mitbestimmen können.

Menschen denken häufig, dass man, um politisch handeln zu können, über bestimmte Eigenschaften im Bereich von Kognition, Sprache und kultureller Organisation verfügen müsse und nichtmenschliche Wesen diese Eigenschaften nicht hätten. Das beruht auf einem stereotypen Bild von Tieren und von Politik. Bei Überlegungen zur politischen Partizipation von Tieren und der Neugestaltung einer Gesellschaft für alle wäre es daher wichtig, dass sowohl untersucht wird, wie Tiere handeln, als auch neu formuliert wird, was Politik in der Beziehung zwischen den Arten eigentlich beinhaltet und was sie beinhalten kann. Politik ist mehr als nur Ausdruck der herrschenden Macht. Das Politische umfasst auch alle Praktiken, mittels deren diese Macht hinterfragt und auf politische Entscheidungen und Handlungsweisen eingewirkt wird. Politik besteht nicht nur in der offiziellen Spitze, zu der nur wenige Zugang haben, sondern sie stellt ein ganzes System aus miteinander verwobenen Handlungen, Praktiken und Institutionen dar, worin Demonstrationen, Internetaktionen und politische Kunst genauso eine Rolle spielen wie Beratungen im Kabinett oder die Stimmabgabe bei Wahlen. Und hier üben Tiere verschiedener Arten Einfluss aus.

Viele Menschen denken, dass Tiere nicht zu politischem Handeln fähig seien, aber das wurde auch lange über Frauen gedacht und von Weißen über Schwarze, und diese Ansichten haben sich doch weitgehend gewandelt, wenn es auch nach wie vor Diskriminierung gibt und stereotype Denkbilder schwer auszumerzen sind. Nichtmenschliche Lebewesen sind auf vielen Ebenen anders als Menschen und stellen darüber hinaus keine homogene Gruppe dar, aber unter den Menschen gibt es auch sehr unterschiedliche Gruppen. Für den sozialen und politischen Fortschritt wäre es wichtig, über solche Unterschiede nachzudenken und auch darüber, was den Standard bestimmt, an dem wir andere messen.

Es hat vielleicht den Anschein, als müsse der Mensch sehr zurückstecken, wenn er anders mit Tieren umgehen wollte; als sei es ein Opfer, Tiere nicht mehr zu essen, ihnen den Lebensraum nicht mehr streitig zu machen oder sich nicht mehr mit ihrer Haut zu bekleiden. Aber man kann es auch anders sehen. Zu begreifen, dass man Teil eines gemeinsamen Ganzen und mit allen anderen Bewohnern zusammen auf diesem Planeten zu Hause ist, und sorgsam mit diesen anderen umzugehen, kann vielmehr eine Bereicherung sein. Die Welt, in der wir leben, gewinnt an Farbe und Kontur, wenn wir besser auf Tiere hören, sie besser wahrnehmen.9 Lernen wir, auf der Grundlage von Gleichwertigkeit und Vertrauen anders mit Tieren zusammenzuleben, dann erfahren wir dadurch nicht nur viel mehr über diese Tiere, sondern auch über uns selbst und darüber, wie das Leben beschaffen ist; und unendlich viel Kummer und Leid blieben erspart.

Derzeit leben wir in einer von Menschen eingerichteten Gesellschaft, in der Tiere oft Leidtragende menschlicher Entscheidungen sind. Sie selbst haben kaum Möglichkeiten, ihre politische Lage zu verbessern, so dass gesellschaftliche Veränderungen beim Menschen beginnen müssen. Es ist aber auch nicht so, dass Tiere heute gar keine Stimme hätten: Sie verschaffen sich immer wieder Gehör. Neue Formen des Zusammenlebens müssen dort ansetzen, im Dialog miteinander.

1. Von Tierrechten zu Tierpolitik

Es hat Völker gegeben, die einen Hund zum König machten. Dort müssten die Menschen dann doch wohl Stimme und Bewegungen von Hunden verstanden haben, meinte der französische Philosoph Montaigne in seinen Essais (1595). Das stelle doch auch kein so großes Problem dar. Denn so unvollkommen unser Verständnis für Tiere sei, es genüge durchaus, um mit ihnen kommunizieren zu können.

Nichtmenschliche Lebewesen seien rationale Geschöpfe mit Gefühlen und einem guten Erinnerungsvermögen, so der griechische Denker Porphyrios (233 - ca. 305 n. Chr.) in seiner Schrift Über die Enthaltsamkeit von fleischlicher Nahrung, einem der ersten Plädoyers für den Vegetarismus. Sie seien vielleicht anders als Menschen, aber nicht grundlegend anders, und von Mensch zu Mensch gebe es ja auch große Unterschiede. Lebewesen verschiedener Arten, darunter Menschen, könnten einander verstehen lernen, und das Verständnis zwischen Lebewesen verschiedener Arten, die Lebensräume oder Gemeinschaften miteinander teilen, sei unter Umständen größer als das zwischen Menschengruppen, die weit voneinander entfernt lebten. Die Menschen aus Attica etwa könnten die Krähen dort besser verstehen als die Sprache der Perser, und Schafhirten und Schafe lernten, sich im Laufe der Jahre immer besser zu verständigen.

Montaigne und Porphyrios stellen die Gemeinsamkeiten von Menschen und Tieren heraus und die Möglichkeiten der Verständigung zwischen verschiedenen Arten. Damit bilden sie, zusammen mit einer Handvoll anderer Denker, die Ausnahme in der westlichen Philosophie, in der vor allem das Denken von Menschen über den Menschen Tradition hat. Das äußert sich sowohl in der Betonung der Verschiedenheit von Mensch und Tier – bedeutende Philosophen wie Aristoteles, Descartes und Kant sehen den Menschen als grundsätzlich verschieden vom Tier – als auch darin, dass der Mensch und die menschliche Erfahrung als Maßstab gelten, an dem alle anderen Lebewesen gemessen werden. Erst in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden Tiere so richtig in die philosophische Agenda aufgenommen, etwa gleichzeitig mit dem Aufkommen der Tierrechtsbewegung, wie wir sie heute kennen. Die moderne Tierethik nahm aber schon viel früher ihren Anfang, mit einer Fußnote aus dem Jahre 1789.

Tierbefreiung und Tierrechte

»Der Tag mag kommen, an dem der Rest der belebten Schöpfung jene Rechte erwerben wird, die ihm nur von der Hand der Tyrannei vorenthalten werden konnte. Die Franzosen haben bereits entdeckt, dass die Schwärze der Haut kein Grund ist, ein menschliches Wesen hilflos der Laune eines Peinigers auszuliefern. Vielleicht wird eines Tages erkannt werden, dass die Zahl der Beine, die Behaarung der Haut oder die Endung des Kreuzbeins ebenso wenig Gründe dafür sind, ein empfindendes Wesen diesem Schicksal zu überlassen. Was sonst sollte die unüberschreitbare Linie ausmachen? Ist es die Fähigkeit des Verstandes oder vielleicht die Fähigkeit der Rede? Ein voll ausgewachsenes Pferd aber oder ein Hund ist unvergleichlich verständiger und mitteilsamer als ein einen Tag oder eine Woche alter Säugling, oder sogar als ein Säugling von einem Monat. Doch selbst wenn es anders wäre, was würde es ausmachen? Die Frage ist nicht: können sie verständig denken? oder: können sie sprechen?, sondern: können sie leiden?«10

Diese Fußnote, die der englische Philosoph Jeremy Bentham 1789 machte, fasse eigentlich die gesamte moderne Tierethik zusammen, wird manchmal scherzhaft behauptet. Benthams Argumentation ist simpel: Statt die Vernunft zum Ausgangspunkt dafür zu machen, wen wir als moralisch wertvoll erachten, sollte die Leidensfähigkeit das Kriterium sein, oder besser gesagt, das Vermögen, Schmerz und Freude zu empfinden. Ausgewachsene Pferde und Hunde seien vernünftigere Wesen als Menschenbabys, schreibt Bentham, doch aus ethischer Sicht solle es uns gar nicht darum gehen, ob ein Wesen sogenannte vernünftige Gedanken hegen kann oder nicht. Worauf es ankomme, sei, das Leiden weitestmöglich aus unserer Welt zu verbannen und das Glück für alle zu mehren.

Bentham war ein sogenannter Utilitarist. Er vertrat die Meinung, dass wir »the greatest good for the greatest number« anstreben müssten, also das größte Wohl für möglichst viele. Das Vorhandensein von Glück und die Abwesenheit von Leid seien die höchsten Werte im Leben, und moralisch gut handle demnach, wer dies beides anstrebe. Nicht nur für sich selbst, sondern für alle, um so das größtmögliche Wohlergehen in der Welt zu erreichen. Dementsprechend müssten alle Interessen berücksichtigt werden, ungeachtet dessen, wer sie hegt – bei der utilitaristischen Gleichung fällt jeder ins Gewicht, der leiden und Glück empfinden kann –, und auch ungeachtet, ob derjenige ein Fell trägt oder mehr als zwei Beine hat. Dass jeder ins Gewicht fällt, will übrigens nicht heißen, dass auch jeder gleich schwer wiegt.11 Unterschiedliche Individuen haben unterschiedliche Interessen, und würde man sie alle gleich gewichten, würde das zu einer Ungleichbehandlung führen.

Nichtmenschliche Wesen können genau wie menschliche Wesen Schmerzen leiden und Freude empfinden. Nicht nur Haustiere, sondern auch landwirtschaftliche Nutztiere, Versuchstiere, für die Pelzindustrie gezüchtete Tiere und diverse andere haben ein Leben, dem sie selbst den größten Wert beimessen, ein Leben, in dem sie gute und schlechte Erfahrungen machen können. Aus ebendiesem Grund stehen Menschen unserer Meinung nach unveräußerliche Rechte zu, was sich im Gedanken universeller Menschenrechte niederschlägt. Tiere aber sind in unseren Augen weniger wert. Komisch, denn es ist doch Zufall, als welches Lebewesen man geboren wird, und Schmerz ist Schmerz, egal, wer diesen Schmerz verspürt.

Speziesismus und Anthropozentrismus