Weckruf an Europa - Volker Gold - E-Book

Weckruf an Europa E-Book

Volker Gold

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Beschreibung

Europa in drei Gesängen...! Der erste Teil dieses ungewöhnlichen Buches besteht aus einem langen Gedicht in gebundener Sprache, changierend zwischen freudiger Ode und lastender Elegie. In ihm wird gleich schon auf den zweiten Teil verwiesen, der leicht zu lesende Anmerkungen zum Werdegang Europas enthält. Von der Antike zur Renaissance, von der Barockzeit bis zur Moderne, vom Ende des zweiten Weltkriegs über die Gründung und Entwicklung der Europäischen Union bis zur 2022 verkündeten "Zeitenwende" schreiten wir im Buch voran. Am Ende erwacht die Mythengestalt Europa, berichtet von schweren Träumen, ruft zu Besinnung und Umkehr auf. Auf solche Weise kann Europa in Gehalt und Gestalt wieder positiv wahrgenommen, aber auch kritisch gewürdigt werden. Im Unterschied zu bloß nationalen Epen spiegelt dieses Poem die für Europa typische Vielheit in der angestrebten Einheit und lässt Misserfolge, aus denen zu lernen wäre, auf dem Weg dahin nicht aus. Aus der Fülle von Ereignissen und Begriffen, Personen und Orten formt sich ein Panoptikum der politischen und kulturellen Geschichte Europas. Durch einen alphabetischen Index und eine chronologisch geordnete Aufstellung der wichtigsten Ereignisse kann sich jede/r das Buch nach Belieben erschließen. Ergänzt wird das Gedicht durch einen sozialpsychologisch fundierten Vortrag des Autors, in dem er eruiert, wie wir endlich zu europäischen Bürgern werden können, was wir selbst dazu beitragen könnten und wie dies durch nationale und europäische Politik besser gefördert gehörte. Letztlich käme es darauf an, dass durch europaweite Kommunikation der Bürger untereinander europäisches Bewusstsein/Identität wurzeln kann. Der Weg dahin ist zwar noch lang und störbar, aber auch lohnend, denn eines ist nun klar: Die aktuell wieder aufblühenden Nationalismen oder gar Faschismen führen einmal mehr ins Abseits, wenn nicht gar ins Verderben.

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„Ach Europa!“H.-M. Enzensberger, 1987

„Wir brauchen ein neues Wirtschaftsmodell für Europa. Was 70 Jahre lang Wohlstand geschaffen hat, war die Kombination von gut ausgebildeten Arbeitskräften, Forschung und Entwicklung innerhalb Europas plus billigen Rohstoffen und billiger Energie, die von außerhalb der EU kam. Und dazu noch von billiger Arbeitskraft bei Zulieferern außerhalb der EU. Doch Rohstoffe, Energie und Lieferketten werden künftig teurer sein. Denn wir haben festgestellt, dass wir für diese billigen Einfuhren de facto einen hohen Preis gezahlt haben: Wir sind ein Risiko eingegangen, haben uns abhängig gemacht und leiden nun darunter.M. Vestager, Komm.-Vizepräsidentin, SZ 250/2022, S. 26

Einst lebte in alt-kalten Zeiten das Mastodon,

dünkt‘ stark sich, fraß Laub und Gezweige von Bäumen.

Die Erde wurd‘ wärmer, das Urvieh wollt‘ träumen

Und wer diesen Wandel verschlief - ihr wisst es schon.

Viel fittere Wesen gedieh'n im Savannenland,

verhielten sich klug, gaben ab und gut Schutz einand‘.

Ich fürcht‘ nun, wie einst diesen Kraft-Mastodonen

geschieht’s wohl auch bald stolzen Volks-Nationen.

Volker Gold, 2022

„...Fluch des Nationalen, der auf Europa lastet“Stefan Kornelius, SZ 291/2022, S. 4

Aufmunternder Marsch als Erkennungsmelodie bei Übertragungen der Europäischen Rundfunkunion und der Eurovision aus dem Te Deum von Marc-Antoine Charpentier in D-Dur vom Ende des 17. Jahrhunderts (Wiki)

Autor Volker Gold, Kriegsjahrgang 1941, ist gebürtiger Oberschwabe. Als sein Erzeuger spät aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heimkehrte, verschlug es ihn ins "Vaterland" Ost-Alb. Dem Vater nach ging es weiter ins Werdenfelser Land, wo es bei der neu aufgestellten Bundeswehr für diesen wieder Amt und Sold gab. Der Sohn hingegen studierte ab 1961 in München und Hamburg Psychologie, forschte erst an sozialpsychologischen Themen, versuchte sich dann praktisch an der Verbesserung der psychologischen Ausbildung der Lehrer an bayerischen Realschulen. Nach der Pensionierung 2003 betätigte sich Volker Gold gerne als Reiseschriftsteller im portugiesischen Süden, dokumentierte in mehreren Schriften Schicksale der Juden in seinem Heimatlandkreis Landsberg am Lech und befasste sich in Aufsätzen und Vorträgen mit der Entwicklung des "europäischen Projekts". (www.sotavent.de)

Der Illustrator Fabian Gold, geb. 1973 arbeitet vorwiegend im Bereich Bühnen- und Kostümbild für unterschiedliche Theater des deutschsprachigen Raumes. Für die Illustrationen dieses Buches bündelte er bewährte Erfahrungen der kontextbezogenen Recherche mit der Technik der grafischen Erstellung von Figurinen. (www.fabiangold.de)

Inhaltsverzeichnis

Teil I

Weckruf fürs Herz

Europa kommt auf, korrumpiert sich, blüht und fruchtet, wirkt letztlich jedoch sehr mitgenommen

Ein

Sprechgesang

in drei Teilen mit eingestreuten Ritornells und abschließendem Klage- und Mahnlied Europas

Teil II

Weckruf zum Handeln

Europa als Projekt der Europäische Union droht ohne Neubesinnung und grundlegende Reformen zu zerfallen

Ungehaltener

Vortrag

am Tag des Einmarsches der Russen in die Ukraine - Paradebeispiel verfehlter nationalistischer Politik

Teil III

Weckruf ans Gehirn

Europa in langer Rückschau, in wacher Präsenz kommt weiter nur mit klugem, visionärem Mut

Ein bild- und unterhaltsames Europa-

Glossar

in 182 Inputs

Index

als Panoptikum europäischer Kulturgeschichte

Europa

Chronologie

zur guten Ordnung

Kommentierte Auswahlliteratur

„Europa ist ein nüchternes Projekt geworden, man kann es nicht singen.“ (H. Prantl, 2021)

Zur Einstimmung

Europa ist es wert, auch einmal in gebundener Sprache gewürdigt zu werden.1 Friedrich Hölderlin sah Lyrik als starkes Gefäß, um Großes zu fassen. Pablo Neruda2 oder Amanda Gorman3 haben diese Form bei der Huldigung ihrer Kontinente, Hélia Correia4 für ihre mythische Heimat Europa auch schon genutzt. Das Ergebnis muss kein Loblied sein, eher ein herber Gesang aus reifer Liebe, das Bittere beim Süßen...

„Ach, Europa!“ hat H. M. Enzensberger5 nach seinen Ländervisiten früh schon geseufzt und abgewunken, als er herausfand, wo es klemmte.6 Robert Menasse7 hingegen kam nach seiner einjährigen Hospitation zwar belehrt aus „Brüssel“ zurück, ohne jedoch den Glauben an ein besseres Europa verloren zu haben.

Dies auch will der rezitierende Autor seinen Hörern oder Lesern vermitteln - nicht aufzuhören, trans-nationale Lösungen weiter zu unterstützen. Das kann nur gelingen mit Verwurzelung in einer Region und der überwölbenden Identität eines Kontinents. Nationen hingegen, „völkische“ zumal, greifen zu kurz, sind aus der Zeit gefallen. Auf einen Beweis in Gestalt der europäischen Kriege auf dem Balkan und in der Ukraine hätte wohl jeder gerne verzichtet.

Wir sollten über die Europäische Union nicht beginnen, wie früher üblich, verschämt zu sprechen über ein uneheliches oder missratenes Kind. Die EU - immer noch in der Adoleszenz - bleibt Hoffnungsträger für eine großartige Gestalt, zu der Staatswesen kommen müssten, um in einer globalisierten, marktradikalen Welt bestehen und eine menschliche Marke setzen zu können. Helfen wir Europa aus der Klemme heraus, in die es sich hinein manövriert hat, bewahren es aber auch vor einer leichtfertigen Utopie von Vergemeinschaftung!

Mit werthaltiger Wesensgestalt dürfte Europa - nach Heribert Prantl - durchaus besungen werden. Was nun angestimmt wird, ist jedoch keine reine Ode, sondern ein „Lehrgedicht“ mit elegischer Zweitstimme.

Zur Beschäftigung mit diesem Buch

Um dem Leser das gesangliche Lesen des Gedichtes8 zu erleichtern, wurden im Text einige Hilfen eingebaut. Wenn abweichend vom jeweiligen Versmaß eine bestimmte Silbe gehoben werden soll, wurde sie mit Unterstrich versehen. Wenn am Ende einer Zeile die Stimme nicht abgesetzt werden, sondern sich gleich mit dem Anfangswort der nächsten Zeile verbinden soll, wurde ein dezenter Doppelpfeil gesetzt: »

Ein Wort noch zu den eingestreuten, dreizeiligen Ritornells (rechtsbündig und kursiv gesetzt). Zwei Zeilen sollen sich reimen, eine ist „verwaist“. Das Ritornell dient, wie schon bei Monteverdi, der Auflockerung (was allein schon durch den jambischen 5-Heber erreicht wird) und kann, wie im Brecht’schen Theater, Distanz zum Stück bewirken, Witz einbringen, kommentieren und zum Perspektivwechsel beitragen.

Sollten Namen, Begriffe oder Zusammenhänge dem Leser nicht ganz klar sein, wird dem Leser dafür umfassende Hilfe angeboten. Unmittelbar im Gedicht verweisen Endnoten dezent auf kurze, nicht zu trockene Erklärungen im rückwärtigen dritten Teil, einem gewissermaßen bildsamen Europa-Glossar, das leicht mit eingelegtem Lesezeichen aufgeschlagen werden kann; ein weiteres erleichtert die Rückkehr zum Gedicht. Die geschlossene Lektüre dieses Anmerkungsteils von vorn bis hinten ist nicht angedacht. Wer gezielt nach relevanten Begriffen suchen möchte, wird mit einem alphabetisch geordneten Index bedient.

Danksagungen

Meine Frau Gia Degenhart-Gold hat mein Schaffen nicht nur kritischkundig begleitet, sondern auch Verständnis gezeigt bei gelegentlichen Verstiegenheiten und aufgeholfen bei Abstürzen; mein Sohn Fabian Gold legte gerne sein künstlerisches Geschick mit passenden Illustrationen in die Ausstattung des Buches; mein Freund Oswald Neuberger hat mich ermutigt und einigen Strophen beispielhaft zu letztem Schliff verholfen. Beim Zusammenfügen der Buchteile gab mir Wolfgang Schönfeld wertvolle Office-Tipps. Ihnen allen sei ganz herzlich gedankt! Der Lohn, ein politisch vereintes Europa, steht für uns alle noch aus...

Weckruf fürs Herz

Europa -

kommt auf, korrumpiert sich, treibt neue Blüten und wirkt letztlich doch sehr mitgenommen.

Ein Sprechgesang

in 76 vierzeiligen Strophen und 24 Ritornells,

gegliedert in drei Gesänge

mit einem zusätzlichen Liedvortrag Europas beim Erwachen

Alter Gesang

Die Sprache, mit der wir Europa besingen, gehört zur

sehr alten Gemeinschaft der Zungen von Indus

bis Tagus9, gemeinsam verwurzelt, dann eigens entfaltet

im näheren Osten10 seit tausenden Jahren.

Das Licht bringt Erleuchtung und Leben vom Orient her,

quert segnend das Land, den Atlantik vor Augen.

Als Prachtstück vor Asiens Weiten erstreckt sich Europa,

mit Flüssen, Gebirgen, viel urbaren Böden.11

Aus Sage und Schrifttum der alten phönizischen Völker

Europa als Bild und Begriff ist entstanden:

Die Tochter des Königs aus Tyros macht Zeus sich gefügig,

entführet Prinzessin Europa nach Kreta.12

Hebräer13 bestreiten als erste die Vielzahl der Götter;

sie opfern dem Einen, in Furcht ihn verehrend.

Die Führer zieh‘n Macht aus dem ewigen Bunde mit Jahwe,

nicht duldend die Nachbarn des Altgötterglaubens.

Verzaubernd wirkt‘s aus Mythos, Fama schöpfen;

doch Logos erst löst Angstsmief aus den Köpfen.

Der Sonne Helle - Wahrheit stets zu Tag bringt.

„Europa“ die hellwachen Stämme der Griechen bezeichnen,

was nördlich des mediterranischen Weltkreis‘.

Sie streuen den Samen des offen-wissgierigen Geistes

in Städten am Meere, von ihnen gegründet.

Sie treffen auf Völker, die lange zuvor hier schon jagen»

und sammeln, beackern die Erde und schmieden:

Iberer, Ligurer, Etrusker, Illyrer und Kelten,

auch Thraker und Skythen im Norden und Osten.

Statt Blutrache tagen Gerichte nun, Totschlag zu sühnen.

Antigone ragt aus der Sippe als eignes Subjekt.

Die Polis Athenes, bedroht durch despotische Perser,

beteiligt die Bürger im Ringen um Macht schon.

Da alles fließt, in Lebens schierem Schein,

ein Fuß zweimal im selben Fluss kann nicht sein;

so lehrten Vor- und Nach-Sokrat‘er einstmals. 14

Von Sokrates wissen wir nur über Platon und dessen»

gelehrtem Adept15 Aristoteles bisher.

Wer wären wir, ohne die Kunst, Dialoge zu führen,

der Logik und Ethik der Vordenker folgend?

Ein Weltreich zu bilden, Alexander bricht auf, alles wagend;

er stirbt, das Phantasma zerfällt nach Dekaden.

Was kulturell bleibt, übernehmen nun Römer sehr gerne:

Die Sprache, Begriffe von Mensch und Naturwelt.

Sie achten darauf, die politische Macht ihrer Konsuln

zu bannen auf mehrfache Weise – vergebens!

Das Heer imponiert, Verwaltung und Straßenbau klappen;

„Barbaren“ gar gliedern die Römer ins Reich ein.

Des Caesars Taten, Asterix‘ List, teils heiter,

so wirkt der Alten Denken heute weiter

in Dramen, Lyrik, Prosa, Reden, „klassisch“. 16

Inmitten des römischen Reiches lebt Jesus, ein Jude,

ganz neu lehrt er Gleichheit vor Gott und die Liebe.

„So gebet dem Kaiser, was Kaisers und Gott, was Gottes.“

Kein Entweder-Oder, denn beides ist möglich.

Das große Reich Roms ging nicht unter in wenigen Jahren,

wie Rom auch nicht wurde erschaffen in einem.

Dem Druck junger Völker nicht Stand halten spätere Kaiser17.

Nicht Lebensart ist‘s – Lebensraum ist gefragt jetzt.

Ganz dunkel die Zeiten man nennt, da viel‘ Völker von Osten18

in Wellen, Europa verändernd, durchziehen.

Manch Zeugnis sich findet von gotischen Völkern19 noch heute,

Al‘mannen, Lang‘barden, Mark‘mannen nur spärlich.

Aus dieser Zeit gibt’s Heldenepen etlich‘:

Durch Hunnen enden Gunthers Mannen schrecklich.

Wofür denn Etzels Gemetzel? Gold unterm Rhein ruht.20

In Rom und Byzanz21 sich gründen gleichmächtige Kirchen.

Die weltlichen Herrscher zwar halten dagegen,

doch Bischöfe wahren Respekt nur im Völkergemenge;

nach Reichsverfall besser bewährt sich Byzanz noch.

Europa als Topos der Christen sieht Mönchspapst Gregorius,

bei „heidnischen“ Völkern er wirbt - waffenmächtig.22

Muslimische Heere mitführen verscholl’ne Antike;

Ihr‘n Vormarsch nach Norden stoppt Karl, der „Martello“ 23.

Der große Carolus, zum Kaiser gekrönet zu Roma24,

bemüht sich zwar christlich, doch durchaus auch fränkisch,

Byzanz nicht den „Fürst der Barbaren“ zu geben, sondern»

vielmehr als der „Leuchtturm Europas“ zu protzen.

Vom Mönchstum allein stammt moralisch Kredit noch»

der Kirche, den Papst legitimierend, zu fordern,

dass er nur den Hochklerus einsetzen kann. Doch

Canossa25 dem Status der Kaiser nicht gut tut.

Der Christen Papst hat einst viel Macht begehrt,

doch Kaiser hab’n ihm das erregt verwehrt.

Und – Schüler aufgemerkt! – wo gab‘s die Schlichtung?

Zu Worms26 wird verhandelt der leidige Streit um den Vorrang

von dies- oder jenseitig gründender Herrschaft.

Gleichauf und dogmatisch entspannt, bietet Halt Ius civilis27,

befällt aristotelisch Denken Theologen.28

Bedroht stark im Osten, benommen der heiligen Stätten,

der Heilige Vater ruft blutigen Krieg aus.29

Das Abendland bindet zusammen zu Einheit der Kampf gen»

muslimische Mächte, die starken Seldschuken.30

Doch zeigt es wieder die unchristlich hartherzige Fratze:

Verachtung erleiden die Menschen im Mindern;

die Kirche misstraut weisen Frauen, droht Ketzern und Juden,

träumt Einheit und Reinheit im „richtigen“ Glauben.

An Höfen Europas stimmt Minnesang, Troubadour an»

der Walter,31 auch Oswald32, ein Kriegslied der Bertran.33

Zu Lieb und zum Weh ihrer Zeit viele Klagen sie führen;

Vasallen die Treue des Lehnsherrn erflehen.34

„Ich hân mîn lêhen, al die werlt, ich hân mîn lêhen.

nû enfürht‘ ich nicht den hornunc 35 an die zêhen,

und will all‘ boese hêrren deste minre flêhen.“

Ein Weh auch durchs Herz geht, dess‘ Augen Granada gesehen,

denn rundum im wunderbar blühenden Lichtland

gelinget illustren Muslimen und auch weisen Juden,

was reitenden Tölpeln des Nordens noch fremd ist.36

Allmählich kommt Licht in die Trübnis. Der englische Adel

kratzt erstmals an gottgleichen Rechten des Königs.37

Ein König im Süden38 kommt aus mit Christ wie mit Muslim,

zum „Staunen der Welt“ – so nennt er sich gar selbst gern.

Um Staufer Friedrich Zwo gibt’s viel Legenden;

es blüht der Wahn, wenn wenig Fakt zu Händen,

dass groß stets sei ein König deutschen Blutes.

Die Reiter des Dschingis-Khan, gottlos zwar nicht, aber grausam,

bis Liegnitz39 sie siegen, doch weiter gottlob nicht.

Entlastet der Westen, Kulturen und Weltwissen aufblüh‘n.

Das Papsttum verweltlicht, Konzile40 soll’n’s richten.

In Blüte inzwischen steht voll da die Hanse im Norden.41

Viel Kaufleute einen die Kräfte zum Vorteil

des wirksamen Bundes von weit über zweihundert Städten,

mit Koggen die Waren gewinnreich verbreitend.

Fast einhundert Jahre entkräftet die Pest42 ganz Europa,

erstickt neues Wissen in Klöstern und Schulen.43

Florenz und Venedig jedoch, als Republiken44 verfasst schon,

versetzen vom Rand in die Mitte den Menschen.

Schaut her, da kommt Le’nardos Geist aus Vinci45,

auch William Shakespeares46 Gestalten uns nahen;

gen Himmel starren Kopernik47 und Brahe48.

Das Denken der Wissenschaft ändert die Richtung nun wieder,

statt ab- von erdachten Ideen zu leiten,

gilt‘s nun, von Erfahrbarem auszugeh’n, Fakten zu prüfen

für höhere Einsicht in Experimenten.

Die reichen Erträge des Handels mit Pfeffergewürzen49

befördern die Künste, erneuern die Technik.

Der Weltmensch, befeuert, hält Ausschau über die Meere.

Im Nahraum hält Stand er dem Druck der Osmanen.

Gold gierig bedient sich der Westen unlauterer Mittel,

gewaltsam erobernd die fremden Gestade.

Wie Konquistadoren und Siedler Indigene behandeln,

´s ist anrüchig, Mensch und Natur nehmen Schaden.50

„Franz Drake51 hieß der brave Mann“ – jetzt ehrlich?

Nach Sklaven, Gold, Kartoffeln sehr begehrlich...

Man sollt‘ ein eignes Denkmal ihm verwehren!

Gediegen katholisch ist bislang Europas Bekenntnis.

Nun geißelt sehr mutig Mönch Martin52 Sankt Peter,

der Geldgier und Prunksucht schmählich verfallen. Umstürzend»

der Vorgang, verbreitet durch Buchdruckerkünste.53

Das Drängen der Fürsten auf klarem Bekenntnis führt leidvoll

zu grimmig geführten und grausamen Kriegen.54

Von jeher vergriff sich die Herrschaft am Glauben der Menschen,

zu sichern sich wirksamst geschloss‘ne Gefolgschaft.

Die Kämpfe der Herren Europas bedrücken die Völker,

das schändliche Schachern erst endet zu Münster.55

Galt bisher: Wer größer und mächt‘ger, diktiert das Geschehen,

sei‘s so nun, dass Herrschergewalt gleichen Rangs ist.

Wem’s noch nicht reicht, der kriegt es gleich zu Ohren:

Was wurd‘ in Gottes Nam‘ schon falsch geschworen,

seit je auf blut’gem Felde irr gestritten!

Moderner Gesang I

Jahrzehntelang währen schon Hunger und Krieg, Pestilenzen;

man sticht sie als Reiter der Apokalypse in Kupfer.56

Der Reichsbund fehlt nun beim Schlichten und Stiften von Frieden»

und Ordnung; Besitz raffend zeigen sich Fürsten.

´S wär‘ besser, Verträge zu suchen, zu mahnen, vertrauend

verblieb’ner Vernunft und gesetztem Recht doch.

Der Adel Europas verheiratet klug sich und erbt gut57,

doch weiter geht ewiges Kämpfen um Vormacht.

Bedroht ist Europas Südosten durch türkische Heere;

die stehen vor Wien58. Auch zu Hilfe eilt Habsburg

Savoyens Eugén, kluger Feldherr und Pol bei der Stärkung

des weiter erschrockenen Reiches und restlichen Westens.

Im Süden schloss Graf Schomberg59 Portugals Pforten

da Habsburgs Kastilier wollten sich einrichten dorten.

Ein Söldner aus Kurpfalz , des Calvins Glauben!

Des Ludwigs Sonne60 presst Pracht und gloire aus dem Volke,

die Häuser von Öst‘reich und England imitier’n das.

Bourbonen und Bayern – auch gieren nach spanischem Erbe.

Als Albion61dagegen vorgeht, gibt‘s weltweiten Krieg.62

Übersehen wird dabei, was Aufklärer63 aufspießen derzeit:

Die gottgleiche Stellung des Kings über‘m Naturrecht.64

Ein jeder Mensch Würde und Adel hab‘, fließend aus Arbeit;

zu Recht so beschafftes Besitztum sei richtig.65

Thom. Hobbes66 sieht im Staat Leviathan67 als potenten Garanten,

zu schützen das Wohl aller vor Selbstsüchtig-Gierigen.

John Locke68 sieht den Menschen rechtschaffen, bildsam und willig,

zu schützen sind Bürger vorm Moloch69 der Staatsmacht.

Bis heute herrscht der Streit um Einflussmächte

des Staats auf Rechte, Pflichten, Mängel, Kräfte,

der Menschen Geben, Nehmen, Schutz und Freiheit.

Enorm! Die Erfolge vernünftig-pragmatischen Denkens

verdrängen bisherigen Glauben an Hexen70,

die off‘nere Weltsicht rasch fruchtet in Zentren Europas!

Zu danken ist Denkern: Franzosen und Briten,

Descartes71 und Fermat72, Blaise Pascal73; Bacon74und Newton75,

auch Boyle76; deutschen Kepler77 und Kant,78 auch Leibniz79.

Sie alle, Spinoza80 dazu, steh‘n im Austausch, übersehen»

nationale Begrenzungen ganz – Europäer!

Wohl These und Antithes‘ öffnen Erkenntniswege,

bis Synthese Pole des Wettstreits zu Höher‘m biegt.

Nach Neigung des Geistes der Zeit zu dieser Vernunft hin,

schallt nun der romantische Ausruf: Gefühl zählt.

Vernunft und G’fühl, gewohnt getrennt zu denken,

kann wissenschaftlich heut‘ man gern sich schenken.

Primär Affekte wirken, Prüfen folgt dann.

Hume81 zweifelt am Anspruch auf Wahr- und Gewissheit, spricht von

Wahrscheinlichkeit eher; auch Anspruch auf Glück82 gäb’s.

Rousseau83 sieht den Weg zum Glück aller in Volkspädagogik,

verheißt neuen Völkern Charakter im Selbstsein.84

Schon länger treibt Zwecksinn Manufakturen flott an,

erzeugt ohne Hemmung viel Wirtschaftsdynamik,

gegründet auf technischem Wissen - doch Arbeiternot85 auch.

Vergoldet Vergang‘nes bringt Sehnsucht zum Vorschein86.

Gepresst wird die Arbeitskraft, Not gibt‘s und Elend en masse;

die Herrscher, Magnaten sind blind fürs Gemeinwohl.87

Der Unmut des Volkes bricht aus in Neu-England88, Franzosen

steh’n auf gegen Missbrauch und Unstern bei Hofe.89

Gar Großes verheißt eine Volksherrschaft; zwingend enthaltend:

Regieren gewaltteilend, Menschenrecht achtend.

Voran geht das Parlament Polens.90 Voraus sieht auch Kant schon:

Ein Recht wird die Völker der Erde harmonisieren.91

Ein Vakuum nutzt Napoleón92, General der Artillerie;

kanoniert sich, stets siegend, sein Europa zurecht.

Das alte Reich hier endet, doch auch der Parvenü strandet;

den Code Civil93 entkirchlichtem Kontinent schenkt er.

Zum König Frankreichs raunt‘s „Nach England fleuch!“94

und weiter heißt es korruptiv „Bereichert euch!“

Schwerreiche Gründer drehen auf und prunken.

Die Adelsmacht ungeschwächt - Bürger erstarkt erwachen.

In Diensten von gnädigen Herren erschaffen

Musik sie in Wien95, dichten und spielen Theater in Weimar96,

betreiben Maschinen mit Dampfkraft in Schottland97.

Recht selbstbewusst Bürger nun, kritisch die Obrigkeit dennoch;

die herrscht mit Gewalt gar, die Freiheit missachtend.98

Es kann so ein friedlich‘ Gerüst von Europa kaum glücken;

Hugo99ahnt das, anmahnt Vereinigte Staaten.

Verlacht wird er; Hoffnung allein bleibt dem Visionär, zählt»

doch eignen „Vaterlands“ eitel errungener Ruhm nur.

Konföderation, Fraternität fast geraten zum Fremdwort.

Auf Dauer fragil bleibt der Friede, die Rheinwacht.100

Wie Jesus kein Christ, war Karl101 kein Marxist(e);

in früher’n Jahren war er Humanist(e),

macht‘ Mut, vereint zur Internationale.

Erst spät kommen zwei Nationen verstörend hinzu noch;

Cavour102 fügt Italiens Länder zusammen.

Fürst Bismarck103, strategischer Gründer des Kleindeutschen Reiches,

verantwortet drei Kriege fürs Bau’n der Nationen.

Und ach! Erhört nicht wird das vielstimm’ge Rufen nach Frieden

und klirrend zerbricht junges Hoffen im Lande.

Im Pestdunst verstieg’nen dumpf-völkischen Dünkels versottet,

was reife Vernunft nur könnt’ heilen, verhindern.104

Dies büßen die anfangs noch jubelnden, jungen Patrioten,

verheizt dann in Lothringen105 gleich von Beginn an,

von stählernen Monstern zermalmt, von Maschinengewehren»

durchsiebt. `S bleibt allein die Gravur im Steindenkmal.

Der Krieg, - gefehlt! - kommt nicht aus Gottes Hand,

entsteht aus Machenschaft und Unverstand,

Nib’lungentreue, Wilhelms Eitelkeiten.106

Der Adel Europas kaum abgedankt - gleich wächst nach wieder

republikanischer Wille, unterdrückt seit Jahrzehnten.

Reformen woll‘n welche, den Aufruhr ein anderer Teil gar

und Dritte am liebsten beim Kaisertum blieben...

Vergeblich die waghals‘ge Freundschaft der Außenminister

Briand Aristide107 und Stresemann Gustav108.

Zwei Seher entgegen dem Hass ihrer Massen versuchen

Versöhnung und Frieden und Einheit den Rhein lang.

In Genf soll ein Völkerbund109 schlichten Konflikte auf Dauer;

recht alt die Idee, doch verhöhnt wird sie derzeit.

Faschisten zieh‘n Unheil nur stiftend umher, Völker befreiend

von Fremdem. Die eigne Nation über alles!

Europa, einst Lebensraum aller einwohnenden Menschen,

bestimmt nun für Träger rein arischen Blutes110.

Verjagt werden Juden; die Slawen geduldet als Sklaven:

Europa - „Germanisches Reich Deutscher Nation“ dann?

Die Spitze erklimmt ein Besessener111, menschliches Treibgut

aus Nachkrieg und Kränkung. Von ihm und den Seinen

das Volk lässt sich führen, Großtat und Beute vor Augen112,»

zu totalem Krieg, Genozid und Leid ohne Ende.

Man findet kaum Worte113 fürs Menschheitsverbrechen der Nazis:

dass Menschen ersinnen serielle Verfahren,

Millionen entwertete Juden wie Müll zu entsorgen.

Europa mit diesen Verbrechen muss leben...

Der Führer tot114, doch nicht in allen Köpfen;

aus brauner Brüh‘ will mancher weiter schöpfen.115

Es lasten aber Schuld und Schand‘ der Schoah.

Moderner Gesang II

Der erste verstörende Weltkrieg war einer zu viel schon.

Bedurft‘ es der Mega-Katastrophe des zweiten,

Europäern zu zeigen für immer, wie maßlos‘ Begehren

zum Scheitern verdammt ist, nur Tod bringen konnte?

Politische Seher auf Ventotene116 verfassten frühzeitig

ein Zukunftsgemälde: Europa der Bürger!

„Man sollt‘ im Erfolg des Ganzen den eignen erkennen“117!

Der Geist solcher fruchtbaren Jahre – verschwunden...

Es gab schon Impulse der Sieger, das Land des Aggressors

erheblich zu schwächen, es wehrlos zu machen.118

Doch Deutschland post bellum inmitten Europas ist wichtig

in Abwehr der Sowjetmacht als Partnerstaat wieder.119

Die Amis handeln clever, good boys sind sie,

nebst choc‘lates liefern sie demócracy.

Ein Grundgesetz gibt’s jetzt – wirklich leben müsst man‘s!

Statt Rache zu üben, traut neu man und plant jetzt gemeinsam,