Weg von hier! Teil II - Detlef Zeiler - E-Book

Weg von hier! Teil II E-Book

Detlef Zeiler

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Beschreibung

In "Weg von hier! Teil II" wird anhand einer Reise im Jahre 1978 aus subjektiver Sicht das Ende einer Jugendbewegung beschrieben, die ungefähr zehn Jahre früher, also Ende der 60er Jahre begonnen hatte.

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Weg von hier!

Teil II

Und

Der „amerikanische Salzsee“ in Heidelberg

Im Juli 2021

Detlef Zeiler

Gegenwartsforscher

© 2021 Detlef Zeiler

Weg von hier

Teil I

ISBN: 978-3-347-34898-1 (Paperback)

ISBN: 978-3-347-34899-8 (Hardcover)

ISBN: 978-3-347-34900-1 (e-Book)

1. Auflage 2021

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenstraße 40-44,22359 Hamburg

www.tredition.de

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für elektronische und sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte biografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Unsere Reise durch Süd-, Mittel- und Nordamerika findet statt in einer Zeit, die durch den Abgesang der extremistischen Ränder unserer Jugendbewegung geprägt ist:

- Ein „Kommando Ulrike Meinhof ‘ erschießt am 7. April 1977 den Generalbundesanwalt Siegfried Buback; am 30 Juli wird Jürgen Ponto, Vorstandssprecher der Dresdner Bank, erschossen. Die Angst vor dem Terror ist groß.

- 1977, das ist das Jahr des „Deutschen Herbstes“. Was war passiert: - Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer durch die Rote-Armee-Fraktion („RAF“),

- Entführung der „Landshut“, eines Flugzeugs der Lufthansa, die von der GSG 9 in Mogadischu gestürmt wird; - der Tod/Selbstmord der ersten Generation der RAF im Stammheim-Gefängnis bei Stuttgart.

Mir wird im Frühsommer 1977 ein Flugblatt mit einem Text über die Isolationshaft der RAF-Anführer im Stammheim-Gefängnis in die Hand gedrückt, das ich nachlässig auf den Rücksitz meines VW-Käfers werfe. Daraufhin werde ich an der Schweizer Grenze – auf der Fahrt nach Nizza – festgehalten und muss einen halben Tag im Gefängnis warten, bis sich herausstellt, dass in dem Kindergarten, in dem ich als Zivi gearbeitet habe, die Frau eines RAF-Häftlings zwei Kinder betreuen lässt, ich aber nichts mit ihrem Sympathisantenkreis (oder was man dafür hält) zu tun habe. Ich bin für die Schweizer am Ende eine Art Hippie, dessen Kreise sich nur zufällig mit dem Umkreis der RAF-Leute überschneiden.

Was auch stimmte.

Kurz vor unserem Abflug nach Lima, d.h. am 6. März 1978, wurde schließlich das CA („Collegium Academicum“), ein selbstverwaltetes Studentenwohnheim, im Morgengrauen in einer großen Polizeiaktion geräumt. (Über 1500 Polizisten waren im Einsatz!) Dort gab es zuvor einen coolen Musikkeller, den ich oft besucht hatte. Das CA war zudem ein Treffpunkt der sogenannten „Spontis“, also der Studenten, die sich zwar als Teil einer Jugendbewegung sahen, aber nichts mit der kommunistischen Hochschulgruppe zu tun hatten.

- In Italien wurde am 16 März 1978 der Präsident Aldo Moro (De- mocrazia Christiana) von den „Roten Brigaden“ entführt und wenig später erschossen.

Es herrschte also eine aufgeheizte Stimmung im politischen Leben Europas, als wir uns nach Südamerika aufmachten. Johannes fragte mich einmal scherzhaft, wann ich denn mit dem Übergang zum Sozialismus rechnete. Ich grinste ihn an. Keine Antwort ist auch eine Antwort.

„Weg von hier – Teil I“ endet in einer entlegenen Gegend Kolumbiens. Johannes und ich, wir waren von Frankfurt nach Lima geflogen, dann über Cuzca nach „Machu Picchu“ gereist. Zurück in Lima beschließen wir, die Galapagos Inseln in Ecuador zu besuchen. Von Ecuador sind wir dann weiter nach Norden gezogen, um dann zufällig in einer entlegenen Gegend auf zwei Gruppen Deutscher zu treffen, die auf verschiedenen Wegen auch genau dorthin gelangt waren.

Weg von hier! – Teil II

Bevor wir weiterfahren, laufen wir, es wird schon dunkel, an einer Bretterbude vorbei, aus der laute Stimmen zu hören sind. Johannes meint, es höre sich an, als ob dies Deutsche seien, die sich da unterhalten. Und da wir an diesem letzten Tag hier in der Wildnis sowieso nichts mehr Vorhaben, treten wir ein in diese Herberge, wo zu unserem Erstaunen zwei Gruppen junger Deutscher ihr Zusammentreffen feiern.

Hier das „Hotel am Ende der Welt“

Und das war die Dusche

Sie hatten sich, aus verschiedenen Richtungen kommend, hier getroffen. In irgendeinem Reiseführer für Globetrotter waren dieser Ort und dieses Lokal verzeichnet.

Aber was das Verrückteste war: Sie kamen alle vor kurzem aus Heidelberg und wollten in die Richtung Weiterreisen, aus der wir gekommen waren. Und so hatten wir uns einiges zu erzählen. Für mich ist hier nur die Geschichte interessant, die sich eine Woche nach unserem Abflug aus Frankfurt in Heidelberg ereignet hatte: Meine damalige Freundin, Gila, hat sich kurz nach unserer Abreise aus Deutschland mit Georg zusammengetan, in einer Zeit also, als ich in Peru noch lange von einem späterem Zusammentreffen auf unserer Reise in den Norden geträumt habe. Der Witz bei den Beschreibungen der Tramper aus Heidelberg war der, dass sie genau den Abend der Fete in aller Ausführlichkeit darstellten, an der die beiden Turteltauben, Gila und Georg, das erste Mal zusammenkamen! Und das erfahre ich ausgerechnet hier draußen in der kolumbianischen Wildnis, wo es schon ein Zufall ist, überhaupt auf Deutsche zu treffen. Ich glaube, unser Lachen und Wiehern hat man noch weit im nahegelegenen Dorf gehört. Ich habe mitgelacht, obwohl mich der ganze Spaß auch ein wenig verwirrt hat. Weg von hier!

Am nächsten Tag sind wir, Johannes und ich, dann ganz früh aufgebrochen, um den Bus in Richtung Bogotá zu erreichen. Von den Heidelbergern können wir uns nicht mehr verabschieden. Die haben in der Nacht davor noch lange weitergefeiert.

Auf der langen Fahrt nach Bogotá habe ich weiter in „Hundert Jahre Einsamkeit“ gelesen – und dabei die verrückte Geschichte der Familie Buendia mit der von meiner Familie verglichen, die bis zu unserem Einzug in ein eigenes Haus in Freudenberg etwa genauso verrückt gewesen sein musste, wenn ich den Erzählungen meiner Eltern und Großeltern glauben kann. Mein Großvater war Lehrer und Pastor im Süden Russlands, einer „Kulaken“-Gegend, als die Revolution 1919 dahin gelangte. Ein Stoßtrupp der Roten Armee, ein ziemlich wilder Haufen, wollte ihn aufknüpfen, aber irgendwie hat meine Oma Alma es erreicht, dass sie ihn laufen ließen, wenn er am frühen nächsten Morgen mit Sack und Pack verschwände. Mehrere Dörfer in der Umgebung waren schon von Rotarmisten umstellt gewesen. Das wussten meine Großeltern. Man hatte dort die Scheunen angezündet und auch einige Häuser – und auf alles, was dann zu fliehen versuchte, wurde geschossen. Und so kam es, dass sie mit ihrer kleinen Tochter Nadja (Nadine) tags darauf in aller Herrgottsfrüh loszogen und mit wenig Gepäck an dem Lager der Rotarmisten vorbeischlichen. Zum Glück verhielt sich das Baby ruhig, als sie durch ein schon hohes „Kukuruz“-Feld liefen und über einige Umwege bis nach Noworossijsk gelangten, von wo aus sie einen Zug erreichten, mit dem sie über Polen nach Leipzig gelangten. Ihre kleine Tochter ist unterwegs gestorben und wurde irgendwo neben den Bahngleisen begraben.

In Leipzig kam dann mein Onkel Emil auf die Welt – und sofort ging die Reise weiter nach Rumänien, wo es viele Deutsche gab. Dort hatte mein Opa eine Dorflehrerstelle angeboten bekommen, zunächst in Bessarabien und dann, nach dem Hitler-Stalin Pakt von 1939 und der Umsiedlung der Deutschen aus dem Russland zugeteilten Landstrich, in Siebenbürgen, nahe Hermannstadt, dem heutigen Sibiu. In Rumänien waren noch fünf weitere Kinder dazugekommen, darunter mein Vater Leopold, der nach einer Schneiderlehre in seinem jugendlichen Leichtsinn nach Deutschland aufbrach, um als Soldat in die Wehrmacht einzutreten und die Welt zu erobern. Es war wohl ein Protest gegen meinen Opa, der nur seinen älteren Bruder Emil, aber nicht ihn auf eine höhere Schule schickte. Da irgendein zuständiger Offizier meinen Großvater kannte, wurde mein Vater zum Glück nicht in Russland, sondern in Frankreich, an der Westfront eingesetzt. Ausgerechnet an seinem Frontabschnitt in der Normandie landeten die alliierten Truppen am sogenannten D-Day, dem 6. Juni 1944. Mein Vater wurde von mehreren Granatsplittern getroffen – und geriet in amerikanische Gefangenschaft, wo man ihn – auch medizinisch - gut behandelte. Weniger gut ging es ihm dann in einem französischen Gefangenenlager, wo er nur mit Glück einige blinde Racheaktionen junger französischer Soldaten gegen deutsche Gefangene überlebte. Von dort wurde er zurück in den Landesteil Deutschlands geschickt, in dem er einberufen worden war, d.h. er musste in den sowjetisch besetzten Teil Deutschlands fahren, nach Angermünde. Dort traf er auf meine Mutter, die auf der Flucht mit ihrer Mutter und ihrer Schwester aus dem Osten Deutschlands, das dann zu Polen kam, ebenfalls in Angermünde landete. Durch die Strapazen der Flucht und nach einer Typhuserkrankung ist die Schwester meiner Mutter gestorben. Als mein Vater einmal singend vor dem Haus, in dem meine Mutter lebte, vorbeilief, wurde sie auf ihn aufmerksam und nicht viel später heiratete sie den lustigen Vogel. Beide hatten Glück, dass sie sich trotz der unterschiedlichen Religionszugehörigkeit, er evangelisch, sie katholisch, so gut ergänzten: Mein Vater hatte damals als Schneider viel zu arbeiten und vermied Kneipengänge, seine Frau hielt zu Hause den Laden zusammen, führte die Haushaltskasse, brachte drei Kinder zur Welt – und hatte nichts dagegen, 1957 in den Westen Deutschlands zu fliehen, kurz bevor mein Bruder und ich in die Schule kommen sollten. Ein Onkel Franz, von Beruf Volkspolizist, hatte wohl vor, meinen Vater anzuzeigen, weil der gerne Westradio hörte. Wir waren kein Clan, der zusammenhielt. Ein Cousin von mir war z.B. für immer „verschwunden“, weil er nach dem Sieg der westdeutschen Fußballmannschaft 1954 gegen Ungarn öffentlich die westdeutsche Mannschaft feierte und nicht die ungarische, wie es von der SED gewünscht wurde.

Die Verstrickung der Menschen in Großereignisse und wechselnde Zusammenhänge, die man nicht beeinflussen kann, die sprunghaften Entscheidungen einzelner gingen mir durch den Kopf, während ich auf der Fahrt nach Bogotá den Roman von Gabriel Garcia Marquez las und nur wenig auf die wechselnde Umgebung achtete.

An einer Haltestelle in Bogotá steigen wir aus und laufen in Richtung Stadtmitte, d.h. wir fragen uns durch nach „Candelaria – centro historico“. In jedem Reiseführer für Rucksacktouristen wird La Candelaria als sehenswert und preisgünstig angegeben, obwohl es doch das eigentliche alte Stadtzentrum ist. Und das Stadtzentrum ist normalerweise ein teures Pflaster.

Zunächst geraten wir an die Falschen! Vermutlich weil wir inzwischen sehr lange Haare haben, fragt man uns, ob wir Drogen wollten, was auch immer, wir bekämen sie günstig. Als ich eine abfällige Handbewegung mache und ablehne, finden zwei der Männer das als unverschämt – und laufen drohend auf uns zu. Da wir beide aber trotz Rucksack schneller sind, schaffen wir es, die beiden auf Abstand zu halten – bis wir zufällig auf eine Militärpatrouille stoßen und uns dieser anschließen. Als unsere Verfolger den Soldatentrupp sehen, lassen sie von uns ab und gehen zurück. Glück gehabt.

Wir nehmen ein Taxi bis zum Plaza de Bolivar, dem Zentrum der Altstadt. Der Taxifahrer warnt uns vor Taschendieben, oft sind es kleine Jungens, die aber blitzschnell laufen können. Ich erwidere, ich laufe auch sehr schnell. Darauf er: „Die können fliegen!“ Wir lachen, zahlen und verabschieden uns von dem freundlichen alten Mann.

Der zentrale Platz ist riesengroß, auf einer Seite begrenzt durch eine beeindruckende Kathedrale und andere historische Gebäude. Wir fragen den nächstbesten jungen Mann nach dem Hostal, das uns bereits in Quito von anderen Rucksackreisenden empfohlen wurde. Er zeigt uns den Weg auf einem Stadtplan.

In ‚La Candelaria1 laufen wir zuerst durch verwinkelte Kopfsteinpflaster- Straßen, bis wir vor uns zwei Rucksacktouristen sehen, die aus einem Hauseingang kommen. Ich spreche sie an. Ja, das sei das kleine Hotel Platybus, alles sauber und sehr freundliche Leute! (Platybus heißt ,, Schnabeltier “ – und ich meine, so hieß das Hotel.) Sie zögen weiter nach Ecuador und zumindest ihre Zimmer würden jetzt frei. Wir erzählen ihnen noch von unseren Erfahrungen in Ecuador, verraten, wie man mit wenig Geld von der Hafenstadt Guayaquil aus auf die Galapagos-Insel kommen kann – und betreten das nächste Feldlager für Rucksacktouristen, wo man preisgünstig übernachten, duschen, Wäschewaschen und nette Leute treffen kann.