Wegweiser für Beziehungszweifler - Agnes-Isabel Pahl - E-Book

Wegweiser für Beziehungszweifler E-Book

Agnes-Isabel Pahl

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Beschreibung

Ist unsere Liebe noch zu retten? Jeder Zweite spielt gelegentlich mit dem Gedanken, sich von seinem Partner zu trennen, so die Statistik. In Zeiten der "seriellen Monogamie" steht also jeder Mensch im Laufe seines Lebens mehrfach vor der Entscheidung, den Lebensgefährten zu verlassen oder zu bleiben. Dieses Buch wendet sich an Beziehungszweifler und begleitet sie durch alle Phasen des Beziehungszweifels: Es untersucht die Ursachen, zeigt Möglichkeiten der Entscheidungsfindung auf und beleuchtet die möglichen Wege: Trennung oder Neuanfang. Dazu dienen Fallbeispiele aus der paartherapeutischen Praxis sowie Techniken, mit denen die Betroffenen für sich selbst die richtige Richtung finden können. Dabei ist das Buch ergebnisoffen: Es rät nicht zum Gehen oder Bleiben, sondern dazu, sich in Bewegung zu setzen, um am Ende glücklich zu sein.

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Seitenzahl: 285

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www.herbig-verlag.de

© für die Originalausgabe und das eBook: 2016 in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

eBook-Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-7766-8251-9

Inhalt

Willkommen in der Krise!

Sich mit Zweifeln auseinandersetzen

Nachdenken über sich selbst und die Beziehung

»Drum prüfe, wer sich ewig bindet …«

Davor

(Gute) Gründe für die Krise

Liebe ist …

»Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust«

Zu wenig Liebe füreinander

Die Biochemie der Liebe

Die Psychologie der Liebe

Zu viel Liebe für andere

Wir passen einfach nicht zusammen: Kompromiss & Co.

Sprachlosigkeit

Warum Männer nicht zuhören und Frauen immer reden

Gewalt, Abhängigkeit und andere wirklich gute Gründe

Dabei

Wie man mit Beziehungszweifeln zurechtkommt und den richtigen Ausweg findet

Strukturierte Selbstreflexion

Beziehungsdimensionen

Perspektivwechsel

Der Grund für die Gründe: killt die Killerargumente

Wann es richtig ist, den Partner wie mit ins Boot zu holen

Kommunikation mit anderen

Trennung auf Zeit

Die Entscheidung

Danach

Trennung: wie sie gelingen kann

Wer? Verlassen oder verlassen werden?

Wann? Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende?

Wie? Zwischen Rosenkrieg und Kuscheltrennung

Wie andere helfen können

Und dann? Vom Getrennten zum Single

Sex mit dem Ex

Beste Freunde statt Liebespaar?

Getrennt sein, Eltern bleiben

Neuanfang: wie die Beziehung eine neue Chance bekommt

Vom Verstehen zum Vergeben

Neues Spiel, neues Glück

Die Bequemlichkeitsfalle

Neugestaltung des Beziehungsraums

Neue Lust statt alter Frust

Gemeinsame Rituale

Prophylaxe: das Frühwarnsystem

Das Ende des Tunnels: warum Beziehungszweifler immer recht haben

Dank

Literaturverzeichnis

Willkommen in der Krise!

»Eine rechte Überzeugung fängt mit dem Zweifel an.«

LEOPOLD VON RANKE

Sie zweifeln an Ihrer Beziehung? Herzlichen Glückwunsch!

Ganz im Ernst: Der erste Schritt dazu, diese Zweifel zu überwinden und gestärkt aus ihnen hervorzugehen, ist, diese Zweifel zuzulassen. Zu ihnen zu stehen, sich nicht dafür zu schämen, Trennungsgedanken zu haben. Nicht als Makel zu betrachten, was eigentlich eine Chance ist. Nämlich die Chance, sich zu entscheiden. Egal ob für oder gegen die Beziehung, jede bewusste Entscheidung kann Ihnen die Möglichkeit geben, stärker und gereifter aus der Krise hervorzugehen, als Sie es im Augenblick sind.

Sich mit Zweifeln auseinandersetzen

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Sie sich mit den Zweifeln wirklich auseinandersetzen. Weder in einer Übersprunghandlung alles hinschmeißen und im Affekt aus der Beziehung (und vor den Zweifeln) weglaufen, noch sie so weit zu verdrängen und ins nagende Unterbewusstsein zu verbannen, dass sie scheinbar nicht mehr vorhanden sind, in Wirklichkeit aber unterschwellig Ihr Leben und Ihre Beziehung immer weiter belasten.

Der Anfang zur Enttabuisierung dieser Zweifel ist die Erkenntnis, dass man nicht allein damit ist. Fast jeder hat sich schon mal gefragt: Ist der Partner noch der Richtige für mich? Fast jeder kennt die Müdigkeit nach immer wiederkehrenden Beziehungskämpfen, Diskussionen und Auseinandersetzungen. Fast jeder hatte schon mal dieses Gefühl, sich im Kreis zu drehen und gleichzeitig im Nebel umherzuirren, das mit einem Verlust von klaren Zukunftsperspektiven und einer Orientierungslosigkeit einhergeht. »Ich weiß nicht mehr, was gut und richtig ist und bin deswegen unsicher, wie es weitergehen soll.« Das ist keine Ausnahme, kein Manko, keine Schande, sondern ganz alltägliche Beziehungsrealität, der man sich besser stellt, als sie zu negieren.

Wenn Sie dazu bereit sind, dann ist dieses Buch für Sie absolut richtig, denn es ist eine Einladung an alle Beziehungszweifler, sich auf eine Reise zu sich selbst aufzumachen, um die eigene innere Klarheit wiederzufinden. Denn nur, wer in sich selbst klar ist und weiß, was er will (oder auch nicht), kann das auch in einer Beziehung vertreten.

Das Buch ist eine Ermutigung, Punkte in Ihrer Beziehung bewusst zu betrachten, bei denen Sie (bisher) am liebsten weggeschaut haben, weil sie sich unangenehm anfühlen oder weil Sie sich selbst noch nicht erlaubt haben, Beziehungszweifel zuzulassen und konkret darüber nachzudenken. Aber den Kopf in den Sand zu stecken hilft wenig, denn Beziehungsprobleme, Divergenzen und Quellen der Unzufriedenheit in Beziehungen lösen sich selten oder gar nicht von allein in Wohlgefallen auf.

Nachdenken über sich selbst und die Beziehung

Das Buch will Sie zum Nachdenken über sich selbst anregen, über die Qualität Ihrer Beziehung und an welchem Punkt der Beziehung Sie sich gerade befinden. Dabei nehmen wir nicht an, dass Sie sich bisher keine Gedanken gemacht haben und nicht schon unzählige Überlegungen in schlaflosen Nächten und an trüben Tagen gewälzt haben. Ganz im Gegenteil, bestimmt haben Sie bereits viel Vorarbeit in diese Richtung geleistet, heute aber trotzdem zu diesem Buch gegriffen, weil Sie immer noch ratlos und unsicher sind.

Das Buch möchte Sie wie ein guter Freund zu bewussten und differenzierten Überlegungen ermutigen, was für Sie selbst und für Ihre Beziehung richtig ist. Das Buch möchte Sie einladen, Zweifeln, die Sie stumm in sich tragen, eine Stimme zu verleihen und sie so zu beseitigen.

Noch aus einem anderen Grund sollte man heute Beziehungszweifel und die Entscheidungsmöglichkeit für oder gegen eine Partnerschaft als Luxus begreifen: Viel zu lange war diese Entscheidungsmöglichkeit in viel zu vielen Gesellschaften nicht vorhanden. Teilweise ist dort eine Trennung heute noch zwar sicher nicht undenkbar, aber unsagbar. Die Zweifel gibt es trotzdem, jede Wette. Aber wie soll man sich gut und richtig mit ihnen auseinandersetzen, wenn sich letztlich keine Handlungsoptionen daraus ergeben, weil die Schicksalsgemeinschaft, auf die man sich in der Beziehung eingelassen hat, als Totschlagargument alle anderen Möglichkeiten nicht zulässt?

Das ist erfreulicherweise heute bei uns anders. Je mehr die Beziehung nicht mehr in erster Linie eine Versorgungsfunktion hat und damit eine Abhängigkeit zementiert, desto leichter ist es möglich, sich daraus zu verabschieden. Das zeigt auch ein Blick in die Scheidungsstatistik: 1960 gab es eine Scheidung pro 1000 Einwohner in Deutschland. 1976 hatte sich dieser Wert schon verdoppelt und stieg bis 2004 auf 2,6. Seitdem ist er wieder leicht rückläufig, auf 2,1 Scheidungen pro 1000 Einwohner 2014. Und nachdem die leichte Mehrzahl der Scheidungsanträge von Frauen gestellt wird, ist hier inzwischen vielleicht ein Normalzustand erreicht, der zum Ausdruck bringt, wie oft Beziehungen nun mal scheitern und es im Zweifel für beide Beteiligten besser ist, in Zukunft nicht mehr miteinander zu leben.

Das alles soll kein Plädoyer gegen die Ehe oder lebenslange Beziehungen sein, ganz im Gegenteil. Denn die Schlagzeile »jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden« bedeutet doch auch: zwei von drei Ehen halten, mit hoffentlich mehr guten als schlechten Tagen.

Wir unterscheiden in diesem Buch nicht weiter zwischen der Ehe und anderen Beziehungsformen. Denn die Zweifel und Fragen, die sich im Laufe der Zeit stellen, sind die gleichen. Die Hemmschwelle ist vielleicht höher, eine Ehe zu verlassen als eine Beziehung. Das kann gut oder schlecht sein, je nachdem. Leichtfertig verabschieden sollte man sich genauso wenig, wie in einer stoisch schicksalsergebenen Nibelungentreue zu verharren, nur weil man mal unterschrieben hat, »bis dass der Tod euch scheidet«. Soziologen sprechen längst vom Konzept einer seriellen Monogamie, das die Beziehungswirklichkeit wesentlich besser beschreibt als die Idee einer lebenslangen Schicksalsgemeinschaft. Auch wenn sich eine Ehe auf Zeit bei uns sicher noch lange nicht als konsensfähiges Modell etablieren wird: Die Idee, sich alle paar Jahre neu und frei füreinander (oder auch gegeneinander) entscheiden zu können, entspricht unserer Realität heute mehr, als mancher zugeben mag. So gesehen ist jede Ehe eine Ehe auf Zeit, wenn auch mit leichtem Etikettenschwindel.

»Drum prüfe, wer sich ewig bindet …«

Es prüfe also nicht nur, wer sich ewig bindet, sondern auch, wer ohne Trauschein zusammenlebt, ob sich das Herz zum Herzen findet, frei nach Schiller. Denn wer würde die Entscheidung treffen, zusammenzuleben, ohne es ernst zu meinen. Das sollte für die Entscheidung, zusammenzubleiben oder eben auseinanderzugehen, genauso gelten. Schließlich ist jede Liebe in ihrer aktiven Phase eine große Liebe. Erst in der Rückschau kann man relativieren und feststellen, dass sie vielleicht doch eine kleinere Rolle im Leben gespielt hat, als man ursprünglich dachte.

Dieses Buch kann und will Ihnen die Entscheidung, in der Partnerschaft zu bleiben oder zu gehen, nicht abnehmen. Aber es kann Ihnen Wege weisen, wie Sie zu der für Sie richtigen Entscheidung kommen.

Dazu werfen wir erst einen Blick auf die häufigsten Ursachen, die zu existenziellen Beziehungskrisen führen. Denn nur wer seinen Feind kennt, kann richtig mit ihm umgehen.

Dann entwerfen wir eine Strategie für den Kampf gegen den Beziehungszweifel, indem wir Ihnen Techniken und Methoden vorstellen, mit denen Sie Ordnung in Ihr Gefühlschaos bringen und den richtigen Weg für sich finden können.

Im letzten Teil geht es darum, wie Sie sich dann am besten konkret auf diesen Weg machen. Egal, ob Sie sich für das Bleiben oder das Gehen entscheiden – in beiden Situationen kann man viel richtig machen, um in der Zukunft besser mit Beziehungszweifeln umzugehen, die garantiert irgendwann mit irgendwem wieder kommen werden.

Auch wenn Sie in der glücklichen Lage sind, im Augenblick nicht von Beziehungszweifeln geplagt zu werden, kann Ihnen dieses Buch eine Anregung sein, über sich und Ihre Vorstellung von Beziehung nachzudenken und darin klarer zu werden.

Wenn eine Paartherapeutin und ein Journalist zusammen so ein Buch schreiben, liegt es auf der Hand, dass beide ihre jeweiligen Stärken einbringen. Auf der einen Seite jahrzehntelange therapeutische Praxiserfahrung mit vielen Fallbeispielen, auf der anderen Seite die mediale Aufbereitung in einer Form, die zum Mitdenken und Nachvollziehen anregen soll. Vor allem aber sind wir beide auch ein Paar in einer wundervollen Partnerschaft, in der Beziehungszweifel nicht negiert, sondern als unvermeidbare Tatsache und Möglichkeit, daran zu wachsen, anerkannt werden. Bis jetzt haben wir uns immer wieder füreinander entschieden und hoffen, dass das auch noch lange so weitergeht.

Im Sinne der Lesbarkeit verzichten wir auf politisch korrekte Formulierungen wie »Partner/in«, sondern verwenden weitgehend die maskuline Form. Die verstehen wir hier als geschlechtsneutral. Gemeint sind selbstverständlich immer beide Geschlechter.

Wo es spezifisch männliche und weibliche Perspektiven gibt, schreiben wir aus Männer- bzw. Frauensicht, die die jeweilige Frage aus einer der Perspektiven darstellt.

IHRE SICHT

Ganz egal, an welchem Punkt Ihrer Beziehung Sie jetzt stehen, das Buch möchte Sie genau dort abholen und begleiten, möchte die in Frage gestellte Liebe für Sie wieder lebenswert machen und Auswege zeigen. Wenn Sie neugierig geworden sind und einen Weg aus dem Dschungel der Zweifel finden wollen, lassen Sie sich auf das Abenteuer dieser Reise zurück zu ihrer eigenen Klarheit ein!

SEINE SICHT

Trotzdem bleiben wir mit dem Buch wie in jeder guten Therapie ergebnisoffen. Denn am Ende ist weder die Entscheidung für oder gegen ein Bleiben in einer Beziehung an sich falsch oder richtig. Was immer quält, belastet und nervt, ist das Hadern damit. Die Unsicherheit sich selbst, dem Partner und der Umwelt gegenüber. Gegen die können wir angehen, indem wir das Buch schreiben und Sie, indem Sie es lesen. Als Team sind wir unschlagbar.

Davor

(Gute) Gründe für die Krise

»Das Glück besteht nicht darin, dass du tun kannst, was du willst, sondern darin, dass du immer willst, was du tust.«

LEO TOLSTOI

Um sich sinnvoll damit zu beschäftigen, wie schlecht eine Beziehung ist, sollte man erst mal wissen, wie gut sie sein könnte. Viele Paare leben jahrelang zusammen, ohne je wirklich festgestellt zu haben, ob sich beide überhaupt das Gleiche von Liebe und Partnerschaft erhoffen und wie sie damit umgehen können, falls die Vorstellungen ganz unterschiedlich sind. Aber bevor man sich die Sterne vom Himmel holt, sollte man erst mal wissen, wo genau sie hängen.

Liebe ist …

Seit mehr als 40 Jahren unterhält die Cartoonserie »Liebe ist …« Millionen Leser in 25 Sprachen. Über 8500 Folgen zeigen über 8500 verschiedene Facetten davon, was Liebe und Partnerschaft sein können.

Es ist tatsächlich auch jenseits der Pubertät hilfreich, sich damit zu beschäftigen, was genau man sich eigentlich von Liebe und Beziehung erwartet. Deswegen: Finden Sie Ihre eigene Definition! Allerdings ein bisschen ausführlicher als in einem Cartoonbild.

Hören Sie am Ende dieses Absatzes auf zu lesen und nehmen Sie sich danach mindestens eine halbe Stunde Zeit, um diese Frage für sich zu beantworten: Was ist meine Vorstellung von Liebe? Halten Sie diese Ansicht fest, schreiben Sie sie auf. Wenn Ihnen spontan nichts einfällt, schauen Sie im Internet oder in Lexika nach, was Sie dort finden. Das hilft allein schon, um sich dagegen abgrenzen zu können.

Vergessen Sie bei Ihrer Antwort alle konkreten Umstände, mit denen Sie in Beziehungen jetzt oder früher zu kämpfen hatten. Lassen Sie alles Negative weg und beschreiben Sie nur positiv, wie Sie sich Ihr persönliches Liebesglück vorstellen, ganz losgelöst von ihrer momentanen Situation. Und stapeln Sie dabei nicht zu tief, denn wünschen und erträumen kann man sich schließlich alles. Erwarten Sie aber auch nicht, dass Sie genau dieses Glück zu hundert Prozent erreichen werden. Denn dazu gehören immer zwei, und die Wahrscheinlichkeit, dass sich beide Partner exakt das Gleiche wünschen, ist sehr gering. Deswegen: Wenn Sie Ihre Definition der Liebe gefunden haben, schreiben Sie eine zweite Seite: Was ist die Vorstellung Ihres Partners von der Liebe? Versuchen Sie auch dabei, Stress und Nörgeleien, unter denen Sie im Augenblick leiden, außen vor zu lassen. Wie würde Ihr Partner diese Frage beantworten? Auch dafür sollten Sie sich mindestens eine halbe Stunde Zeit nehmen. Los gehts – wir lesen uns dann später wieder …

Wenn Sie jetzt diese beiden Seiten nebeneinanderlegen und vergleichen und die Antworten ehrlich gegeben haben, haben Sie bereits einen ersten Eindruck, wie groß Ihr Beziehungsglück eigentlich werden kann. Es ist dabei gut möglich, dass Ihr Partner selbst die Frage anders beantwortet hätte als Sie für ihn. Aber schon Ihr Versuch, sich in ihn hineinzuversetzen, kann Ihnen helfen, die Unterschiede zu erkennen und einzuordnen. Wenn es der aktuelle Zustand Ihrer Beziehung erlaubt, können Sie ihn einladen, diese beiden Fragen umgekehrt aus seiner Sicht schriftlich zu beantworten. Vielleicht werden Sie verblüfft sein, wie unterschiedlich oder auch ähnlich Ihre Zielvorstellungen sind. Aber auch ohne über diese Frage sofort miteinander ins Gespräch zu kommen, können diese beiden Blätter, die Sie gerade geschrieben haben, der Ausgangspunkt dafür sein, einen Ausweg aus den Beziehungszweifeln zu finden.

Denn es zeigt sich immer wieder, dass unterschiedliche Definitionen der Liebe zu Konflikten führen, die auf den ersten Blick auf ganz andere Gründe zurückzuführen sind. Auch in der Paartherapie ist das häufig ein Thema.

Heike (36) und Peter (43) sind seit drei Jahren ein Paar. Peter hat aus erster Ehe eine achtjährige Tochter, die jedes zweite Wochenende bei ihm und Heike verbringt. Von der Mutter der gemeinsamen Tochter hat Peter sich vor fünf Jahren getrennt. Heike hat keine leiblichen Kinder. Beide behaupten von sich, eine glückliche und erfüllte Beziehung zu führen.

Trotzdem kommen sie in die Praxis zur Paarberatung, weil es immer wieder zu Konflikten und Streit kommt, wenn es um die Kommunikation von Peter mit seiner Exfrau zur Planung der Besuchswochenenden und der Übergabezeiten der Tochter geht. Das Verhältnis, sowohl zwischen Peter und seiner Exfrau als auch zwischen Heike und Peters Exfrau, ist alles andere als entspannt und freundschaftlich.

Heike: »Ich wünsche mir, dass du mich viel mehr in die Kommunikation und Planung mit deiner Ex einbeziehst, schließlich betrifft uns das beide und unsere gemeinsame Zeit an den Wochenenden, an denen deine Tochter da ist. Aber irgendwie funktioniert das nicht. Ich habe das Gefühl, dass diese Gespräche immer hinter meinem Rücken stattfinden und ich dann vor vollendete Tatsachen gestellt werde. Das ärgert mich jedes Mal maßlos und ich habe immer wieder den Eindruck, dass du nicht wirklich zu mir stehst.«

Peter: »Das stimmt doch so gar nicht. Natürlich spreche ich diese Termine bereits im Vorfeld mit dir ab, damit wir die Möglichkeit haben, sowohl die Wochenenden mit meiner Tochter als auch die ohne miteinander zu planen. Ich verstehe nicht, wie du dazu kommst, zu behaupten, du würdest immer nur vor vollendete Tatsachen gestellt werden.«

Heike: »Ja, schon, aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass du deiner Ex gegenüber viel zu oft Kompromisse eingehst und unsere gemeinsamen Abmachungen brichst.«

Peter: »Diese Kompromisse und kleinen Planänderungen sind aber manchmal nötig, um zu einer Einigung zu gelangen. Ich versuche doch nur, eine einigermaßen friedliche Lösung zu finden und nicht noch mehr Konflikte zu schüren. Außerdem versuche ich, dich so gut wie möglich aus den ganzen Streitigkeiten mit meiner Ex rauszuhalten, um dich und unsere Beziehung damit nicht mehr als unbedingt notwendig zu belasten.«

Heike: »Nein, du schließt mich aus und stehst nicht zu mir, denn würdest du mich wirklich lieben, würdest du all diese Dinge mit mir teilen.«

Peter: »Nein, ich liebe dich und du bist die Frau, mit der ich zusammen sein will. Ich möchte dich eben mit diesen ganzen Konflikten, die aus meiner Vergangenheit kommen, nicht belasten.«

In einer Reihe von Paargesprächen zeigt sich, dass bei Heike und Peter in diesem Punkt ein sehr unterschiedliches Selbstverständnis herrscht: Für Heike ist es ein »Liebesbeweis« und ein Zeichen dafür, dass Peter zu ihr steht, wenn er alles mit ihr teilt, auch die unangenehmen und konflikthaften Themen. Aus Peters Sicht ist es im Gegenteil ein Zeichen der Liebe, dass er versucht, Heike nicht übermäßig in die Konflikte mit seiner Exfrau einzubeziehen, sondern sich bemüht, eine Lösung zu finden, die so reibungslos wie möglich für alle Beteiligten ist. So definiert Heike die Liebe als bedingungslose Offenheit, in der alles miteinander geteilt wird. Peters Definition der Liebe dagegen beinhaltet, seine Partnerin vor unangenehmen Situationen und Konflikten zu bewahren, um ein harmonisches Miteinander zu ermöglichen.

Es ist keineswegs so, dass eine glückliche Beziehung nur denkbar ist, wenn beide Partner für sich eine gleiche oder weitgehend gleiche Definition von Liebe haben. Umgekehrt bedeuten unterschiedliche Definitionen auch nicht, dass die Beziehung zwangsläufig im Fiasko enden muss. Die Liebe spricht viele Sprachen – manchmal braucht sie allerdings einen Dolmetscher. Man sollte aber wissen, welche unterschiedlichen Vorstellungen und Ziele der andere konkret hat, um damit gut umgehen zu können. Sei es, um ihm entgegenzukommen, ohne sich selbst dabei zu sehr zu verbiegen, oder um die eigenen Ideale zu verteidigen und mit dem (nicht gegen den) anderen zu verwirklichen.

Die unterschiedlichen Liebesdefinitionen zu kennen und anzuerkennen ist auch ein wichtiger Schritt dahin, den Partner als Person ernst zu nehmen und ihm nicht wider besseres Wissen die eigenen Werte überzustülpen, was vermutlich der häufigste Trennungsgrund überhaupt ist. Natürlich wird dieser Grund so nie genannt, da spielen an der Oberfläche ganz andere Punkte die vermeintlich ausschlaggebende Rolle. Aber letztlich geht es immer darum, vom Partner nicht so gesehen, geschätzt und behandelt worden zu sein, wie es die eigene Definition von Liebe und Partnerschaft verlangen würde.

Die Annahme, nur vollkommene und bedingungslose Liebe sei die richtige, ist falsch. Ebenso dass es, wenn man sich wirklich liebt, keine Meinungsverschiedenheiten, sondern nur Harmonie und Gleichklang gibt. Denn zwei Menschen, die sich zu einer Beziehung zusammenfinden, sind nun mal zwei unterschiedliche Individuen, die verschiedene Lebens- und Beziehungserfahrung, sowie unterschiedliche Wertevorstellungen in ihr Zusammensein einbringen. Insofern ist auch ein gewisses Maß an unterschiedlichen Vorstellungen, Haltungen, Erwartungen in und an eine Beziehung durchaus legitim, genau wie ein gewisses Maß an Ambivalenz. Wenn dieses Maß allerdings zu groß wird, wird aus der normalen Ambivalenz ein elementarer Beziehungszweifel und eine tiefe Krise.

»Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust«

Ambivalenz beschreibt einen Zustand des Nebeneinanders von zwei oder mehreren Gefühlen, Gedanken und Erwartungen, der zu einem Hin- und Hergerissensein zwischen den verschiedenen Alternativen führt. Dieser Zustand wird von den meisten Menschen als sehr aufreibend, quälend und teilweise schmerzhaft empfunden, weil eine gleichzeitige Bereitschaft für zwei unterschiedliche Verhaltensweisen vorhanden ist. Eine Entscheidung – die »richtige« Entscheidung – wird dadurch erschwert. Man hat das Gefühl, handeln zu müssen, fühlt sich aber trotzdem wie gelähmt, weil man nicht weiß, in welche Richtung man aufbrechen soll.

Ambivalenz hat allerdings auch einen positiven Nebeneffekt: Sie bewahrt uns davor, überstürzte und nicht ausreichend durchdachte Entscheidungen zu treffen. Sie ermöglicht es, alle Punkte pro und contra abzuwägen, mit Zeit zu durchdenken, und so zu einer gereifteren und klareren Schlussfolgerung zu gelangen. Und genau diesen Aspekt möchten wir Ihnen schmackhaft machen und Sie ermutigen, ihn sich zunutze zu machen, statt ihn zu bekämpfen, zu verdrängen und weiterhin gefangen in Ihrer Unzufriedenheit zu verharren.

Stattdessen sollten Sie diese Ambivalenz anerkennen und sie zulassen. Denn sie ist kein Zeichen dafür, dass Sie Ihren Partner nicht genug lieben, im Sinne einer verklärten Illusion von einer perfekten, aber nicht realitätstauglichen Liebe. Sondern sie ist einfach nur ein Zeichen, dass sowohl Sie als auch Ihr Partner zwei eigenständige Charaktere sind und konkrete, eigene Vorstellungen von Ihrer Beziehung haben.

Was letztlich den Ausschlag dafür gibt, diese Ambivalenz zu überwinden und sich für oder gegen die Beziehung zu entscheiden, ist individuell höchst unterschiedlich. Es gibt keine Statistiken, nur Erfahrungswerte, die Gründe für das Bleiben in der Partnerschaft nennen. Dabei stehen oft pragmatische Argumente wie das Bewahren des zusammen Erreichten, gemeinsame Kinder, langjährige Vertrautheit, soziale Gemeinsamkeiten oder auch finanzielle Abhängigkeit im Vordergrund.

Zu den Gründen, eine Beziehung zu verlassen, gibt es dagegen einige Untersuchungen.[1] All die Gründe, die da genannt werden, lassen sich letztlich in zwei große Kategorien zusammenfassen: zu wenig Liebe füreinander und zu viel Liebe für andere.

Wenn wir uns jetzt mit diesen vermeintlichen Trennungsgründen beschäftigen, wollen wir Sie dabei aber auch ermutigen, an Ihren Zweifeln zu zweifeln, indem Sie vielleicht feststellen, dass manches von dem, was da an Trennungsgründen auftaucht, ganz normale Entwicklungen in einer Beziehung sind.

Zu wenig Liebe füreinander

Bei Tanja (32) ist bereits beim ersten Gespräch ein großer Leidensdruck spürbar. Sie befürchtet, »mal wieder eine ziemlich große Dummheit« begangen zu haben und schwankt zwischen Ratlosigkeit, »dass ich wohl immer an die falschen Männer gerate« und Selbstzweifeln, ob das mit ihr zu tun hat.

Was hat Tanja in ein solches Gefühlschaos gebracht?

»Das Gefühl lässt mich einfach nicht los, dass ich vielleicht einen riesengroßen Fehler begangen haben könnte, der sich jetzt leider nicht mehr rückgängig machen lässt, obwohl ich es immer wieder versucht habe. Ich habe meinen Freund Robin schon mehrfach angerufen, weil ich es bereue, vor zwei Wochen, nach einem heftigen Streit, mit ihm Schluss gemacht zu haben. Aber er will unserer Beziehung keine weitere Chance geben, weil ich sein Vertrauen durch diese plötzliche Trennung zu tief erschüttert habe. Und je mehr ich nachdenke, umso mehr frage ich mich, ob ich nicht doch zu überstürzt und unüberlegt gehandelt habe. Dabei hat mit uns beiden vor eineinhalb Jahren alles so großartig angefangen: Am Anfang war Robin so süß und vor allem so romantisch. Er hat regelrecht um mich geworben und hat sich total verrückte Dinge einfallen lassen, um ›seine Prinzessin‹ zu beeindrucken. Wie hätte ich dem widerstehen können? Nach wenigen Wochen waren wir ein Paar und hatten eine unglaublich gute Zeit miteinander. Wie viele laue Sommernächte haben wir bei einer Flasche Wein und Kerzenschein durchgeredet? Wir waren verrückt aufeinander, haben mehrmals am Tag und überall miteinander geschlafen. Wir haben Zukunftspläne geschmiedet und die ganze Welt wissen lassen, wie sehr wir uns lieben. Wenn wir ein paar Stunden voneinander getrennt waren, haben wir es vor lauter Sehnsucht kaum ausgehalten. Weil wir uns unserer Liebe so sicher waren, sind wir vor einem Jahr dann auch zusammengezogen und waren so stolz, unser eigenes, kleines Reich zu haben. Das war aber auch die Zeit, als sich die ersten kleineren Streitigkeiten eingeschlichen haben, meistens gings um banale Meinungsverschiedenheiten im Alltag, was allerdings Folgen hatte. Denn ich bin ein sehr nachtragender Mensch und in solchen Situationen sehr emotional. Dann kann ich niemanden mehr an mich ranlassen. Deswegen, oder weil wir abends einfach manchmal auch nur zu müde und lustlos waren, ist irgendwann der Sex auch weniger geworden. Das ist doch nach einem Jahr Zusammenleben nicht normal, oder?

Ich habe mich einfach als Frau nicht mehr begehrt gefühlt, ich wollte weiterhin Robins ›Prinzessin‹ sein. Wollte weiterhin umworben werden, aber er hat mir in letzten Monaten kaum mehr dieses Gefühl geben können, wie es am Anfang war. Und geredet haben wir auch immer weniger miteinander. Als ich mich vor zwei Wochen mal wieder über etwas beschwert habe und Robin nicht reagiert hat, sondern sich weiter auf das Fußballspiel konzentrieren wollte, ist die Situation komplett eskaliert. Wir haben gestritten und ich habe ihm gesagt, dass ich ihn nicht mehr liebe und enttäuscht von ihm bin und mich deswegen trennen möchte. Aber ich denke, dass das ein Fehler war, denn mit etwas Abstand merke ich, wie schmerzlich ich Robin vermisse.«

Am Beispiel von Tanja und Robin ist ein Wandel in einer Beziehung gut erkennbar. Ein Wandel, den beide auf ihre eigene Art und Weise wahrnehmen und der beide in einem gewissen Maße verunsichert. Wie sich in weiteren Gesprächen herauskristallisieren sollte, war es Tanja nicht bewusst, dass es sich dabei nicht um ein Verschwinden der Liebe, sondern um eine ganz natürliche Veränderung handelt, die jede Beziehung früher oder später betrifft. Diese Veränderung ist sowohl psychologisch als auch naturwissenschaftlich erklärbar.

Die Biochemie der Liebe

Wenn zwei Menschen sich verlieben, dann sind es nicht »nur« die Gefühle, die verrücktspielen und die Schmetterlinge, die im Bauch tanzen, sondern auch biochemisch herrscht Ausnahmezustand. Verantwortlich dafür sind die sogenannten Liebeshormone, die wissenschaftlich korrekter Neurotransmitter genannt werden. Hier ein Blick auf einige davon:

In der Phase der Verliebtheit steigt die Produktion von Dopamin deutlich an, was zu einer verstärkten Aktivität in den Hirnregionen führt, in denen sich das Motivations- und das Belohnungszentrum befinden. Bekannt ist allerdings auch die suchterzeugende Wirkung von Dopamin im Belohnungszentrum, die einen rauschähnlichen Zustand bewirkt. Nur, dass es sich hierbei nicht um einen Drogen- oder Alkoholrausch handelt, sondern die »Droge« der Verliebten ist das Objekt der Begierde, von dem man in dieser Phase gar nicht genug bekommen kann.

Während der Verliebtheitsphase produziert der Körper außerdem im Nebennierenmark deutlich mehr von den Stresshormonen Adrenalin und Noradrenalin, sowie in der Nebennierenrinde mehr vom Stresshormon Cortisol. All das führt dazu, dass man impulsiver und aktiver ist, das Gefühl hat, voller Energie und Kraft zu sein, weniger Schlaf und Essen braucht (»von Luft und Liebe leben«). Auch das Herzklopfen, die Unruhe, sowie das berühmte Kribbeln im Bauch sind der Wirkung der Stresshormone zuzuschreiben, die sich wie ein Aufputschmittel auf unseren Körper auswirken.

Rein körperlich befinden wir uns also in der Zeit der Verliebtheit in einem Zustand von Dauerstress, der auch zu einem ständig erhöhten Energieverbrauch führt. Schließlich macht es für den Körper zunächst keinen Unterschied, ob wir ein Gefühlshoch erleben und »auf Wolke sieben schweben«, oder aus anderen Gründen vermehrt Stresshormone produzieren. Denn ob wir etwas als positiven oder negativen Stress empfinden, ist eine individuelle, rein mentale Zuordnung.

Interessant ist das Verhalten von Serotonin, das sich vor allem auf die Stimmung auswirkt. Wird ausreichend Serotonin im Körper produziert, führt das zu einem Zustand von Entspannung, innerer Ruhe und Gelassenheit, was im Volksmund auch zu der Bezeichnung »Glückshormon« geführt hat. Also würde man in der Verliebtheitsphase, bei all dem Glück, das Verliebte spüren, auch einen Anstieg von Serotonin erwarten. Aber paradoxerweise ist genau das Gegenteil der Fall, denn in dieser Zeit ist eine deutlich niedrigere Produktion von Serotonin im Körper zu verzeichnen. Ähnlich geringe Serotoninwerte werden bei Patienten mit Depression und Zwangsstörungen gemessen, bei denen Ängste oder eine Zwangshandlung das gesamte Denken dominieren. Auch wenn man verliebt ist, drehen sich alle Gedanken nahezu zwanghaft um die geliebte Person und man hat das Gefühl, »krank vor Liebe« zu sein.

Nicht nur, wenn man verliebt ist, sondern besonders in der späteren Zeit der Beziehung kommt dem Hormon Oxytocin durch seine Wirkung auf das Belohnungszentrum eine besondere Bedeutung zu. Es wird verstärkt bei Geburten und während des Stillens ausgeschüttet, ist aber trotzdem kein reines Frauenhormon. Es wird von Frauen und Männern gleichermaßen bei angenehmen Berührungen, beim Austausch von Zärtlichkeiten und beim Sex produziert und ist dafür verantwortlich, eine vertrauensvolle Bindung zu anderen Menschen aufzubauen. Außerdem wirkt es aggressionshemmend, stimmt positiv und festigt Vertrauen. Es ist das Hormon, das eine Bindung der Partner über den rauschähnlichen und aufgeputschten Zustand der Verliebtheitsphase hinaus festigt.

Sind also sowohl Verliebtheit als auch eine stabile Bindung und Treue nur eine Frage des entsprechenden Hormoncocktails im Gehirn? Oder steckt viel mehr dahinter? Berechtigt ist in diesem Zusammenhang auch die Frage: Was ist Ursache und was Wirkung? Entsteht der Hormoncocktail, weil wir uns verliebt haben oder verlieben wir uns, weil er gerade im Angebot ist? Könnte man dann darauf hoffen, dass es in Zukunft Liebestropfen gibt, die die Beziehung auf medizinische Art stabilisieren?

Es wäre falsch, ein so komplexes und vielschichtiges Phänomen wie die Liebe auf den wissenschaftlichen Teilbereich der Neurobiologie zu reduzieren, denn der psychologische Aspekt spielt hier mindestens eine genauso entscheidende Rolle.[2]

Die Psychologie der Liebe

Was biochemisch so einfach klingt und letztlich ein Naturgesetz ist, macht uns psychologisch in Beziehungen schwer zu schaffen. Es ist nun mal nicht angenehm, sich damit abfinden zu müssen, dass die Verliebtheit ein vorübergehendes Phänomen ist. Deswegen enden viele Beziehungen auch an diesem Punkt, wo es eigentlich erst richtig losgehen könnte.

Es gibt vier Phasen, die eine Beziehung durchlaufen kann. Kann, nicht muss – manche bleiben länger, andere kürzer in einem bestimmten Stadium. Keineswegs ist die letzte Phase ein Ziel, das man sich am Anfang setzt, aber in der logischen Abfolge des Zusammenlebens eine Option.

1. Verliebtheit

Adresse: Auf Wolke sieben.

Haustier: Schmetterlinge im Bauch.

Accessoire: Rosarote Brille.

Willkommen Glückshormone! Diese erste Beziehungsphase ist sicher die spektakulärste. Deswegen wird es auch als besonders schmerzlich empfunden, wenn sie irgendwann zu Ende geht. Aber das ist unvermeidlich und letztlich ebenso gut für die persönliche Entwicklung wie auch für die Beziehung. Denn in diesem Zustand ist man kaum in der Lage, den Partner oder die Beziehung realistisch zu sehen. Im Gegenteil, alles wird idealisiert und romantisiert. Herrlich – aber endlich. Man sollte auch nicht versuchen, sich mit dem Partner wieder zurück in die Verliebtheit zu beamen – das ist so gut wie unmöglich und Enttäuschung dadurch vorprogrammiert. Also einfach nur genießen – Glück inhalieren und konservieren für die späteren Phasen, in denen die Beziehungsarbeit erst losgeht.

Trennungsgründe gibt es in dieser Phase eigentlich nicht, außer die Verliebtheit ist einseitig.

2. Ent-Täuschung

Adresse: Am Scheideweg.

Haustier: Chamäleon.

Accessoire: Lupe.

Ent-Täuschung ist hier wörtlich gemeint und keineswegs negativ. Denn wenn die Liebe am Anfang noch buchstäblich blind macht, gehen einem jetzt die Augen auf und man entdeckt den anderen, wie er wirklich ist. Deswegen ist auch die Lupe so wichtig, unter die man die Eigenschaften des Partners ganz genau nehmen sollte. Denn jetzt entscheidet sich, ob die vermeintlich liebenswerte Individualität aus der ersten Phase nicht in Wahrheit doch eine nervige Macke des anderen ist, mit der man schwer leben kann.

Ein Problem dieser entscheidenden und schwierigen Beziehungsphase ist, dass sie schleichend, aber automatisch mit dem Verlust der Verliebtheit einhergeht, sodass darüber der Gewinn an echter Nähe und Vertrautheit, der in der nächsten Phase winkt, leicht aus den Augen verloren wird. In dieser Findungsphase werden auch die Reviere abgesteckt und Spielregeln fürs Zusammenleben eingeübt und festgelegt, die für den weiteren Verlauf entscheidend sind.

Hier ist das eigentliche Zuhause des Beziehungszweiflers und damit auch ein durchaus erstrebenswerter Zustand, über das weitere Zusammensein mit dem Partner entscheiden und es auch gestalten zu können. Bestenfalls kommt man auch in späteren Beziehungskrisen immer wieder hierher zurück, um sich für- oder gegeneinander zu entscheiden.

Typische Trennungsgründe in dieser Phase wären »Wir hatten keine gemeinsamen Ziele«, »Wir waren zu unterschiedlich«, oder »mangelndes Vertrauen, Eifersucht«.

3. Alltag

Adresse: Auf dem Boden der Tatsachen.

Haustier: Innerer Schweinehund.

Accessoire: Hörgerät.

Auch Alltag klingt zunächst negativ, ist aber einfach eine Tatsache, ohne die keine Beziehung auskommt, die es bis hierher geschafft hat. Spektakulärer sind sicher die guten und die schlechten Zeiten, die man sich verspricht – aber tatsächlich sind es die Zeiten dazwischen, die ganz normalen also, die die Beziehungsrealität prägen.

Jetzt entscheidet sich, ob die Verliebtheit vom Anfang zusammen mit den Erkenntnissen aus der Findungsphase trägt, um in wahre Liebe überzugehen. Hier lauern die meisten Gefahren aus der Abteilung »zu wenig Liebe füreinander«. Denn gerade in dieser Phase, in der man sich des anderen und der Beziehung sicher zu sein scheint, ist die Versuchung groß, nachlässig zu werden. Man hat ja scheinbar auch morgen noch Zeit, nett zum anderen zu sein. Anfängliche Liebesbeweise und Liebesbekundungen gehen verloren. Aus kleinen Unachtsamkeiten werden schlechte Gewohnheiten, aus Gedankenlosigkeit Methode und aus dem selbstverständlichen Miteinander Stellungskriege um Kleinigkeiten und Prinzipien, auf die man sich offensichtlich doch nicht so klar geeinigt hatte.

»Wir haben uns auseinandergelebt«, »ungleiches Maß von Geben und Nehmen« oder »ungleiche Bedürfnisse nach Nähe und Freiraum« heißen hier oft genannte Trennungsgründe.

Dabei bietet umgekehrt aber auch keine andere Beziehungsphase so viele Chancen für ein gutes Miteinander wie dieser Alltag: Hier ist der Platz für wahre Vertrautheit und Nähe. Man kennt sich, weiß um die Stärken und Schwächen des anderen, kann einander optimal ergänzen und aufeinander eingehen, ohne wie in der Verliebtheit zu balzen oder in der Findungsphase superkritisch miteinander zu sein. Bestenfalls gelingt es, bei Beziehungskrisen im Alltag, zurück in die zweite Phase zu kommen, sich wieder neu für- oder gegeneinander zu entscheiden und daraus einen neuen Alltag zu gewinnen. Das kann auch ein immer wiederkehrender Prozess sein, in dem die Beziehung stärker und reifer wird, wenn sie hält. Oder sie geht irgendwann in die vierte Phase über.

4. Nebeneinander

Adresse: In der Wohngemeinschaft.

Haustier: Faultier.

Accessoire: Scheuklappen.

In dieser Beziehungsphase hat man sich endgültig miteinander eingerichtet. Das Ringen umeinander ist einer Interessensgemeinschaft gewichen, in der die Liebe eher pragmatische als romantische Züge trägt. Die Lebensgemeinschaft wird für beide Partner so gut wie möglich organisiert, man unterstützt sich gegenseitig, versucht dem anderen zu helfen, ohne sich selbst dabei mehr als nötig zu verbiegen. Konflikte finden trotzdem weiter statt, haben aber nicht mehr die existenzielle Bedeutung wie früher. Dadurch haben beide auch genug Freiraum für ihre eigene Entwicklung. Was sich zunächst vielleicht desillusioniert und wenig erstrebenswert anhört, kann für Beziehungen, in denen beide Partner sich darüber einig sind, eine beglückende, stabile und lange andauernde Phase sein. Allerdings vermutlich auch eine, die kaum einen Weg zurück zu den Schmetterlingen im Bauch möglich macht.

Trennungsgefahr besteht hier am ehesten, wenn nur einer der beiden Partner in diesem Status angekommen ist und der andere noch in einer anderen Phase der Beziehung steckt. Sobald sich aber beide einig sind, gibt es keinen Grund mehr, sich wegen mangelnder Liebe füreinander zu trennen, denn die steht hier eher im Hintergrund.

Zu viel Liebe für andere

Frank (52) ist IT-Experte und lebt seit zehn Jahren in einer festen Beziehung. Mit seiner Partnerin ist er nicht nur privat, sondern auch beruflich verbunden. Seit drei Jahren hat das Paar keinen Sex mehr.

»Das war ein schleichender Prozess, es gab immer zu viel anderes, das wichtiger war«, erinnert er sich. »Zwei Jahre lang ging das gut, darüber geredet haben wir zunächst eigentlich nie.«