Weihnachtsreise zum Nordlicht - Sarah Morgan - E-Book
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Weihnachtsreise zum Nordlicht E-Book

Sarah Morgan

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Beschreibung

Unterm Nordlicht wartet das große Glück

In Lappland heiße Schokolade trinken, den Schnee und die besondere Winterstimmung genießen - Christy hatte sich das Fest bei ihrer Tante so schön vorgestellt. Doch als ihr Mann nachkommen will, weil er noch arbeiten muss, spürt sie, dass sie ihre Ehe retten muss. Deshalb reisen ihre beste Freundin Alix und sein bester Freund Zac zuerst nach Lappland, um Christys Tochter Holly dort den Traum zu erfüllen, ein echtes Rentier zu sehen. Am ersten Feiertag treffen sich schließlich alle unterm Nordlicht wieder - und ihre Beziehungen sind nicht mehr, wie sie waren. Ob der Nordlichtzauber ihnen allen dennoch ein unvergesslich schönes Weihnachtsfest beschert?

»Morgans neuester Weihnachtsroman wird die Leser erfreuen und liefert den perfekten Vorwand, sich für ein paar Stunden mit einer Tasse heißem Kakao einzukuscheln.« Booklist

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Seitenzahl: 540

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Zum Buch:

Mit Weihnachtsgeschenken kennt Alix sich aus. Seit der Auszeichnung ihrer Werbekampagne wird sie sogar die Weihnachtskönigin genannt. Nun freut sie sich auf entspannte Feiertage in Lappland, die sie sicher zu neuen Ideen inspirieren werden. Dass sie dort allerdings vorerst allein für Holly, die Tochter ihrer besten Freundin, verantwortlich sein soll, macht Alix nervös. Auf den ersten Blick wirkt sie vielleicht, als hätte sie alles fest im Griff, aber bei Beziehungen und Familienthemen fühlt Alix sich unsicher. Das ändert sich nicht gerade, als der beste Freund von Hollys Vater anreist, um sie zu unterstützen. Denn er ist furchtbar attraktiv – und bringt Alix nun völlig aus dem Konzept!

»Morgans neuester Weihnachtsroman wird die Leser erfreuen und liefert den perfekten Vorwand, sich für ein paar Stunden mit einer Tasse heißem Kakao einzukuscheln.« Booklist

Zur Autorin:

Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.

Lieferbare Titel:

Weihnachtsreise zum Nordlicht

Die Reise der Sommerfrauen

Das Fest der Weihnachtsschwestern

Sommerleuchten am See

Eine Weihnachtshochzeit im Schnee

Sommerzauber in Paris

Die Zeit der Weihnachtsschwestern

Die Stunde der Inseltöchter

Schlaflos in Manhattan

Für immer und ein Leben lang

Sommerzauber wider Willen

Winterzauber wider Willen

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel The Christmas Escape bei HQ Books, London.

© 2021 by Sarah Morgan

© 2021 für die deutschsprachige Ausgabe

by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Published by arrangement with

HarperCollinsPublishers Ltd., London

Covergestaltung von zero-media.net, München Coverabbildung von Lidiia, Vectorpocket, Elvetica, Merggy, Sensvector, BigMouse, GoodStudio / Shutterstock E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783749905201

www.harpercollins.de

Widmung

Für Dawn, voller Liebe

1. KAPITEL

Robyn

Sie hätte nie zu hoffen gewagt, dass sie diesen Tag einmal erleben würde.

Ein weniger zynischer Mensch hätte es womöglich für ein Weihnachtswunder gehalten, aber Robyn glaubte nicht mehr an Wunder. Außerdem hatte sie panische Angst. Unter dem Grauen, mit dem sie der nahen Zukunft entgegenblickte, blitzte allerdings ein schmaler, schimmernder Streifen Hoffnung hervor. Das Gefühlskaleidoskop in ihrem Inneren spiegelte den farbenfrohen Wirbel aus Licht wider, der den Himmel über ihr durchzog. Hier, im schwedischen Teil von Lappland, nördlich des Polarkreises, waren die Nordlichter dank der klaren, sauberen Luft und der wolkenlosen Winternächte regelmäßig zu sehen.

Hinter ihr wurde die Tür geöffnet, gefolgt vom weichen Knirschen des Pulverschnees. Gleich darauf schlang Erik die Arme um sie.

»Komm rein, es ist kalt.«

»Gib mir nur noch einen Augenblick, ich muss nachdenken.« Hier draußen, in diesem wilden, ungezähmten Land, in dem die Natur Herr der Dinge war und die Weite des rosafarbenen Himmels den Menschen ihre eigene Bedeutungslosigkeit vor Augen rief, war ihr das Denken vom ersten Moment an besonders leichtgefallen. Jede unbedachte, selbstsüchtige, riskante Entscheidung, die sie je getroffen hatte, kam ihr im Angesicht der Arktis nur noch halb so tragisch vor. Der Arktis waren ihre vergangenen Fehler schlichtweg egal.

Die Bäume neigten sich unter dem Gewicht des Neuschnees, der in zartem Silber und Blau schimmerte. Robyns Wangen waren taub vor Kälte, die Wimpern gefroren, und doch hatte sie nur Augen für die Schönheit ihrer Umgebung. Aus Reflex wollte sie zur Kamera greifen, obwohl sie die Szene bereits mehrfach fotografiert hatte.

Viele Jahre war es inzwischen her, dass sie auf der Flucht vor sich selbst und vor ihren Taten hierhergekommen war. Wer hätte damals ahnen können, dass sie sich in diesen Ort und den dazugehörigen Mann verlieben würde?

Wie sich herausgestellt hatte, konnte man tatsächlich ein neuer Mensch werden. Man brauchte nur ausreichend Entfernung zu all jenen zu wahren, die einen kannten.

Erik zog ihr die Kapuze ihrer Daunenjacke tiefer ins Gesicht. »Falls du gerade über die Vergangenheit sinnierst, lass es einfach.«

Wie könnte sie nicht? Manche Dinge ließen sich nicht vergessen.

Robyn, die Rebellin.

Ihr altes Ich kam ihr heute vor wie ein ferner Traum. Als würde sie ein jahrzehntealtes Foto betrachten, auf dem sie sich selbst nicht erkannte. Wer war diese Frau?

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie wirklich herkommt. Sie war drei, als ich sie das letzte Mal gesehen habe.«

Ihre Nichte. Die Tochter ihrer Schwester.

In ihrer Erinnerung war Christy ein lächelnder kleiner Puttenengel mit rosigen Wangen und blonden Locken. Für sie war ihre Nichte ein Symbol der Unschuld gewesen. Der Akzeptanz. Die flüchtige Hoffnung auf einen Neuanfang. Aber dann hatte sie alles ruiniert. So wie sie damals immer alles ruiniert hatte.

Ihre Schwester hatte ihr verboten, jemals wieder Kontakt aufzunehmen. In Elizabeths perfekter kleiner Familie war kein Platz für jemanden wie sie. Selbst heute noch, all die Jahre später, wurde Robyn beim Gedanken an die letzte Begegnung mit ihrer Schwester und ihrer Nichte flau im Magen.

Sie versuchte, sich die Frau vorzustellen, die aus dem kleinen Mädchen von damals geworden sein mochte. Ob sie nach ihrer Mutter kam? Der Gedanke an Elizabeth löste in ihr jedes Mal ein Gefühlskuddelmuddel aus Liebe und Hass, Neid und Wut aus. Wie so oft staunte Robyn auch diesmal wieder, wie viele Gefühle man gleichzeitig für ein und denselben Menschen hegen konnte. Elizabeth war die perfekte Tochter gewesen. Eine Bilderbuchprinzessin. Und – zumindest kurz – ihre allerbeste Freundin.

Die Zeit hatte den nagenden Schmerz in ihrem Herzen zu einem dumpfen Pochen abgestumpft.

Alle Brücken zwischen ihnen waren abgerissen. Bis die E-Mail eingetroffen war.

»Warum sie sich jetzt wohl gemeldet hat? Nach so langer Zeit? Sie ist dreißig. Erwachsen.«

Der Teil von ihr, der nicht verängstigt war, wollte in Jubel ausbrechen. Aber das Leben hatte sie gelehrt, vorsichtig zu sein, und sie wusste, dass es ihrer Nichte um mehr gehen musste als um ein einfaches Wiedersehen. Was, wenn sie auf der Suche nach Antworten war? Und was, wenn sie dabei Dinge erfahren würde, die ihr nicht gefielen?

War das Wiedersehen mit ihrer Nichte ihre zweite Chance oder bloß die nächste emotionale Massenkarambolage?

»Frag sie doch einfach. Von Angesicht zu Angesicht«, sagte Erik. »Auch wenn ich natürlich verstehe, dass du nervös bist.«

»Oh ja, das bin ich.« Robyn hatte längst keine Geheimnisse mehr vor ihm. Allerdings hatte es lange gebraucht, bis sie so weit gewesen war, darauf zu vertrauen, dass ihre Beziehung nicht an der Wahrheit zerbrechen würde. »Sie ist eine Fremde. Und gleichzeitig mein einziges lebendes Familienmitglied.«

Ihre Schwester war vor zwei Jahren beim Überqueren der Straße von einem Auto erfasst worden. Elizabeth war sofort tot gewesen. Nun gab es keine Möglichkeit mehr, die Vergangenheit zu kitten. Diese Tür blieb für immer verschlossen.

Erik drückte sie fester an sich. »Deine Nichte hat eine Tochter, schon vergessen? Du hast also zwei Familienmitglieder. Drei, wenn du den Ehemann mitzählst.«

Eine Familie. Robyn hatte gelernt, ohne zurechtzukommen.

Hatte sich ferngehalten, wie man es ihr gesagt hatte. Hatte jeden Kontaktversuch unterlassen. Sich ein neues Leben aufgebaut. War eine andere geworden. Hatte die Vergangenheit hinter sich gelassen und so viel Distanz wie möglich zwischen sich und ihr altes Leben gebracht. In der Stadt hatte sie sich gefangen gefühlt, erstickt von der Vergangenheit. Hier, inmitten der verschneiten Wildnis, wo die Natur immer nur einen kleinen Schritt über die Türschwelle weit entfernt war, fühlte sie sich frei.

Bis die Vergangenheit plötzlich im Posteingang ihres E-Mail-Accounts aufgetaucht war: Ich bin deine Nichte Christy.

»Glaubst du, es war ein Fehler, sie einzuladen?« Es war das erste Mal, dass Robyn die Vergangenheit in ihre Gegenwart gebeten hatte. »Mal abgesehen davon, dass wir einander überhaupt nicht kennen – glaubst du, es gefällt ihr hier?« Für sie war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Die Stille. Der blau-grüne Farbwirbel am Himmel und das weiche Licht, in das die Landschaft um diese Jahreszeit gehüllt war. Für sie als Fotografin stellten die Lichtverhältnisse hier in der Arktis einen endlosen Quell der Faszination und Inspiration dar. Es gab Schattierungen und Töne, die sie an keinem anderen Ort der Welt je gesehen hatte – Mitternachtsblau und leuchtendes Jadegrün, eiskaltes Pink und warmes Rosa.

Manche sagten, das Leben hier sei hart und anstrengend. Aber wenn Robyn sich mit etwas auskannte, dann mit der Härte des Lebens, und das hier war weit entfernt davon. Kälte war mehr als eine Zahl auf dem Thermometer. Sie war ein Gefühl. Und ihr war kalt gewesen. Sie war erfüllt gewesen von der Art Kälte, die das Innere erstarren ließ. Einer Kälte, gegen die Thermokleidung und Daunenjacken machtlos waren.

Aber es gab auch Wärme. Und die empfand sie hier und jetzt mit Erik an ihrer Seite.

»Weihnachten in Lappland?« Er klang amüsiert. »Was sollte ihr daran nicht gefallen? Zumal sie ein Kind mitbringt. Wo sonst könnte ihre Tochter im Schnee spielen, Rentiere füttern und mit dem Schlitten durch den Wald jagen?«

Robyn musterte die Bäume unter ihren dicken weißen Wintermänteln. Er hatte recht. Ihre Umgebung war das reinste Paradies für jedes weihnachtsbegeisterte Kind, auch wenn dieser Aspekt nicht den Kern ihres Geschäftskonzepts bildete. Sie hatte kaum Erfahrung mit Kindern und nie das Bedürfnis verspürt, selbst welche zu bekommen. Erik war ihre Familie. Die Hunde. Der Wald und der Himmel. Diese strahlend schöne, brutale Wildnis war ihr mehr zum Zuhause geworden als jeder Ort sonst, an dem sie bisher gelebt hatte.

Das Haupthaus befand sich bereits seit Generationen im Besitz von Eriks Familie, und er hatte es erweitert, um auch höchsten Ansprüchen gerecht zu werden. Bei ihren Gästen handelte es sich größtenteils um gut betuchte Reisende, die eine Zeit lang komplett abschalten wollten. Menschen mit einem Hang zum Luxus, gleichzeitig aber abenteuerlustig genug, um sich nicht davor zu scheuen, auf Skiern oder Schneeschuhen den verschneiten Wald oder die weiten Ebenen zu erkunden.

Auf Wunsch der Gäste begleitete Erik sie als Guide, und Robyn zeigte ihnen, wie sie die Nordlichter mit der Kamera einfangen konnten. Es ließ sich nie genau vorhersagen, wann das bunte Farbenspiel am Himmel auftauchen würde, also hatte sie Geduld gelernt. Hatte gelernt zu warten, bis die Natur ihr gab, worauf sie hoffte.

Durch die schneebedeckten Zweige sah sie den sanften Lichtschimmer, der aus zwei der Hütten fiel, die sich in den Wald schmiegten. Insgesamt waren es fünf, benannt nach den großen Wildtieren der Arktis: Wolf, Rentier, Elch, Luchs und Bär. Jedes der gemütlichen Holzhäuschen verfügte über bodentiefe Fenster, die einen atemberaubenden Ausblick auf Wald und Himmel boten. Wer sich von Eis und Schnee erholen wollte, der konnte sich im Snow Spa verwöhnen lassen. Es war ihre Idee gewesen und erfreute sich großer Beliebtheit. Der Fokus der gesamten Hotelanlage lag auf Wellness und Naturerleben. Robyn und ihr Team nutzten regionale Produkte, wo sie nur konnten, und die Gäste wurden ermuntert, ihre Telefone und Uhren abzulegen.

Erik hatte recht. Für eine Familie mit kleinem Kind war ein Aufenthalt hier genau das Richtige. Die Frage, die sie sich eigentlich stellen sollte, lautete nicht: Glaubst du, es gefällt ihr hier? Sondern: Glaubst du, sie wird mich mögen?

Für einen Augenblick brandete Panik in ihr auf. »Als ich Christy das letzte Mal gesehen habe … Es war die reinste Katastrophe.« Die Sache mit dem Kätzchen. Die Erinnerung an jenen Besuch hatte sich tief in Robyns Seele eingebrannt. Einfach alles war schiefgelaufen, und das, obwohl sie ihrer Nichte eigentlich nur etwas Gutes hatte tun wollen. »Ab welchem Alter können sich Kinder erinnern? Glaubst du, sie weiß noch, was passiert ist?« Hoffentlich nicht. Sie dagegen erinnerte sich auch nach all den Jahren an jedes einzelne Wort, das ihre Schwester damals zu ihr gesagt hatte. Es war das letzte Mal, dass sie miteinander gesprochen hatten.

Du machst alles um dich herum kaputt. Ich will dich nicht mehr in meinem Leben haben.

Robyn drängte sich dichter an Erik, und seine Umarmung wurde fester.

»Das ist lange her, Robyn. Eine uralte Geschichte.«

»Aber uralte Geschichten vergisst man nicht so schnell, oder?« Was mochte ihre Schwester Christy erzählt haben?

Robyn, die Rebellin.

Sie fragte sich, was Elizabeth wohl gesagt hätte, wenn sie sie jetzt hätte sehen können. Glücklich. Mit einem festen Wohnsitz. Verheiratet mit einem Mann, den sie liebte. Ein gutes Auskommen. Wobei Elizabeth ihren Beruf mit Sicherheit für viel zu unkonventionell befunden hätte.

Auch Christy schien glücklich verheiratet zu sein und ein idyllisches Leben auf dem Land zu führen, so wie es vor ihr schon ihre Mutter getan hatte.

Ob Elizabeth es wohl gutgeheißen hätte, dass ihre Tochter sie besuchen kam?

Robyn schauderte und wandte sich dem Haupthaus zu.

Nein, Elizabeth wäre sicherlich nicht glücklich darüber gewesen und hätte alles in ihrer Macht Stehende getan, um es zu verhindern. Weil sie nicht gewollt hätte, dass sie, Robyn, das perfekte Leben ihrer Tochter kontaminierte.

2. KAPITEL

Christy

»Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt, meinen Traum zu leben.« Christy stellte einen Eimer unter die undichte Stelle im Badezimmer und warf einen verzweifelten Blick in Richtung des Wasserflecks an der Decke, der sich immer weiter ausbreitete. Manchmal glaubte sie, nicht in einem Cottage, sondern in einem Sieb zu wohnen.

Wie sollte sie Seb diese neueste Krise nur beichten? Wenn mit diesem Haus noch eine einzige Sache schiefläuft …

Vielleicht wartete sie besser ein paar Tage damit, ihm davon zu erzählen. Oder sie ließ das Leck reparieren, ohne dass er überhaupt etwas mitbekam. Ein bisschen Erspartes aus dem Erbe ihrer Mutter war noch übrig.

Sie ließ sich gegen die Wand sinken und kuschelte sich fester in ihren dicken Pulli.

Weihnachten war eigentlich ihre liebste Zeit im Jahr. Die Wärme, die Gemütlichkeit, der Tannengeruch und der Duft nach Plätzchen. Tradition und Beisammensein. Sie hatte gedacht, das Cottage würde diese Gefühle verstärken. Stattdessen aber drohte es sie zu ersticken.

Dabei war das alles ganz anders geplant gewesen. Sie hatte ein Bilderbuchzuhause für ihre Familie erschaffen wollen. Hatte sich Haustiere, Sonnenschein, blühende Apfelbäume und Wiesen voller Gänseblümchen ausgemalt. Verträumte Weihnachtsfeste und ein Cottage, das sie alle so liebten wie ein vollwertiges Familienmitglied.

Frustriert beäugte sie den Wasserfleck. Sie fühlte sich betrogen. Wäre das Haus wirklich ein Familienmitglied, hätte sie längst einen Anwalt eingeschaltet. Der ganze Tag war durchgeplant gewesen, zweiundzwanzig Punkte in ihrem Notizbuch warteten geordnet nach ihrer Wichtigkeit darauf, abgehakt zu werden. Oh, wie sie das Häkchensetzen liebte! Und wie viele Häkchen hatte sie heute bislang gesetzt? Kein einziges. Weil sich das Cottage beharrlich weigerte zu kooperieren.

Als sie das Haus an einem sonnigen Junitag zum ersten Mal gesehen hatte, war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Damals war sie sicher gewesen: Wenn sie hier leben könnten, würde sie nie wieder einen Grund zum Klagen haben.

Überleg dir gut, was du dir wünschst.

Jetzt hatten sie den Salat, und daran war einzig und allein sie schuld.

Das Cottage hatte ihr Budget gesprengt, und Seb hatte sich anfangs dagegen gesträubt, eine derartige finanzielle Verpflichtung einzugehen. Aber sie hatte ihn davon überzeugt, dass sie das schaffen würden. Was bedeuteten die paar kleinen Opfer schon in Anbetracht all der Vorteile? Fortan würden sie ihre Sonntage damit verbringen, über lauschige Waldwege zu flanieren und weite Felder zu erkunden. Holly würde die Dorfschule besuchen und ihre Freundinnen in den hübschen Cottagegarten einladen. Sie selbst würde sich in die Dorfgemeinschaft einbringen. Vielleicht würden sie sich sogar einen Welpen holen.

Wie sich herausgestellt hatte, wohnten in dem Haus auch ohne ihr Zutun schon genug Tiere, und was die Dorfgemeinschaft betraf …

Ihr Smartphone brummte. Christy warf einen Blick auf den Bildschirm und stöhnte auf. Ihr Finger schwebte über dem Gerät. Ablehnen. Los, ablehnen!

Ihre guten Manieren obsiegten jedoch.

»Alison, wie schön, dass du dich meldest.« Ein eiskalter Wassertropfen landete auf ihrem Kopf, und sie zuckte zusammen. »Ja, ich weiß, dass ich versprochen habe, dich anzurufen, aber … Ob ich diese Woche zum Literaturkreis komme?«

Sag Nein, Christy. Sag, dass du ihre Buchauswahl jedes Mal wieder fürchterlich findest, dass du dich von den Mitgliedern bevormundet fühlst und dass du keinen weiteren Abend deines Lebens damit verschwenden wirst, in einer zugigen Gemeindehalle herumzusitzen. »Ja, natürlich komme ich, ich freue mich schon seit Tagen.« Mit jeder Lüge schrumpfte ihre Selbstachtung ein klein wenig mehr in sich zusammen. Aber sie musste in diesem Dorf hier leben, und die Einheimischen beäugten sie ohnehin mit Argwohn. Wenn sie nun die Dorfpatriarchin verärgerte, würde man ihr im Tante-Emma-Laden am Ende womöglich noch Brot und Eier verweigern. »Etwas fürs Buffet? Na klar, ich bringe eine Quiche mit. Vegetarisch? Kein Problem.«

Sie legte auf und schloss die Augen.

»Du bist so was von erbärmlich, Christy. Erbärmlich!«

Irgendetwas sagte ihr, dass sie den Folterqualen des örtlichen Literaturkreises und der erdrückenden Langeweile des lokalen Spendenkomitees nur würde entgehen können, indem sie umzog. Was auch allgemein betrachtet vielleicht gar keine so schlechte Idee war.

Wenn man den Schlagzeilen Glauben schenkte, wollte im Augenblick jeder zweite Städter aufs Land ziehen. Sie konnten das Cottage im Frühling oder Sommer anbieten, sodass sich die Interessenten genauso in die Vorstellung verliebten, in diesem märchenhaften kleinen Häuschen zu leben, wie sie damals. Und ebenso wie sie damals würden ihre Nachfolger die grauenhafte Wahrheit erst erkennen, wenn sie bereits die Schlüssel in Händen hielten.

»Mummy!«, tönte es aus der Küche.

»Komme schon!« Christy drohte der Decke mit dem Finger. »Und du bleibst, wo du bist! Solltest du es wagen, so kurz vor Weihnachten einzustürzen, war’s das mit uns, und ich verlasse dich.« Okay. Seit wann redete sie mit dem Haus, als wären sie verheiratet? Offenbar wurde sie langsam verrückt.

Sie schloss die Badezimmertür hinter sich und formulierte in Gedanken ihre Verkaufsanzeige.

Idyllisches Cottage auf dem Land, ideal für eine Familie mit Interesse an Lungenentzündungen und der regionalen Fauna (Mäuse, Ratten, Fledermäuse, Eichhörnchen) und Freude an unerwarteten Kosten. Ein Faible für langweilige Bücher und feindselige Einheimische wird vorausgesetzt.

»Muuuuummyyy!«, tönte es noch ein bisschen lauter, und Christy flitzte zurück in die Küche. »Ach, du liebes Lies… Wie hast du das denn geschafft, Holly?«

»Ich hab dir was gemalt!«

Holly hielt ihr stolz ein Blatt Papier hin, und Christy schenkte ihr den Anflug eines Lächelns.

»Der Großteil der Farbe scheint in deinen Haaren und auf deinem Gesicht gelandet zu sein.«

»Ist mir egal.«

»Das dachte ich mir.« An manchen Tagen fragte sie sich, ob Holly tatsächlich ihr Kind war. Als sie in dem Alter gewesen war, hatten ihre Hauptinteressen darin bestanden, Kleider zu tragen und sich nicht schmutzig zu machen. Holly dagegen war nur dann wirklich glücklich, wenn sie auf einen Baum kletterte oder im Matsch saß und Würmer ausbuddelte.

»Wie oft noch schlafen bis Weihnachten?« Mit dem Pinsel in der Hand hopste Holly auf ihrem Stuhl herum und verteilte Farbkleckse auf der Tischplatte. »Können wir heute schon nach Lappland fliegen?«

»Nein, das geht leider nicht. Noch sieben Mal schlafen bis zum Abflug und vierzehn Mal bis Weihnachten.« Christy bewaffnete sich mit einem Lappen und wischte den Schlamassel auf. Regen peitschte gegen die Fenster, und ihr kleiner Garten, der in den Sommermonaten so hübsch gewesen war, versprühte den Charme einer schlammigen Baugrube. »Hör bitte auf, mit dem Pinsel herumzuwedeln, Schatz.«

Ein Blick auf die Wetter-App ließ ihre Laune schlagartig noch tiefer in den Keller sinken. Ihre nahe Zukunft hielt Regen, nichts als Regen bereit. Die nächste Cottage-Katastrophe war vorprogrammiert. Die nächste undichte Stelle im Dach, die nächsten Wasserflecken.

»Ich will nach Lappland, den Schnee und die Lichter am Himmel sehen.«

Oh, das wollte Christy auch. Nichts lieber als das. Weihnachten hier im Cottage hatte sie sich herrlich romantisch und festlich vorgestellt. Aber sie könnte den Baum noch so üppig schmücken und noch so viele Lichterketten aufhängen – nichts davon änderte etwas an der Tatsache, dass sie sich gerade nichts sehnlicher wünschte, als von hier zu flüchten. Lappland würde Weihnachten zu einem unvergesslichen Erlebnis machen, und aus diesem Grund hatte sie ihre kostbaren Ersparnisse angezapft, um die Reise zu bezahlen.

»Im Schnee spielen macht einen Riesenspaß!«

Christy freute sich aber nicht nur auf den Schnee. Sie würde außerdem endlich ihre geheimnisumwitterte Tante kennenlernen. Die einzige Verwandte, die ihr noch geblieben war. Robyn und ihr Mann besaßen ein Luxus-Retreat für furchtlose Abenteurer. Das Snow Spa. Wie cool war das denn bitte?

Bei dem Gedanken musste sie lächeln. Cool im wahrsten Sinne des Wortes.

Und dass sie ihre rebellische Tante besuchte, machte sie im rechten Licht betrachtet auch zu so etwas wie einer furchtlosen Abenteurerin.

Zum Teil kam sie sich illoyal vor, weil sie das Andenken an ihre Mutter betrog, indem sie Kontakt zu Robyn aufnahm. Doch ihr war klar, wie albern das war. Sie war erwachsen und ihre Mutter tot. Das hier war allein ihre Entscheidung.

Was genau ihre Tante wohl angestellt hatte, um ein so gewaltiges Zerwürfnis zu verursachen? Christy hatte keine Ahnung, sie empfand aber Mitgefühl mit der Frau. Den Ansprüchen ihrer Mutter hatte man unmöglich gerecht werden können, das wusste keiner besser als sie.

Du bist schwanger, Christy? Aber du kennst diesen Mann doch erst seit wenigen Wochen! Wie konntest du nur? Das ist der größte Fehler deines Lebens.

Natürlich lenkte ihre Mutter doch ein, sobald sie ihre Enkelin kennenlernte. Dennoch hatte ihrem Miteinander fortan stets ein leiser Beigeschmack der Enttäuschung angehaftet.

»Es ist schon sechs, Zeit für die Badewanne.« Vorsichtig pflückte sie ihrer Tochter den Pinsel aus der Hand. Holly war das Beste, was ihr je passiert war. Ungeplant bedeutete nicht automatisch unwillkommen. Und eher fror die Hölle zu, als dass sie ihre Tochter als Fehler betrachtete.

»Ist der Weihnachtsmann auch da? Können wir ihn besuchen?«

»Ich hoffe es. Auf jeden Fall versuchen wir es.« Sie wusste nicht, ob es in der Nähe von Robyns Hotel ein Weihnachtsprogramm für Kinder gab. Ob der Weihnachtsmann wohl hin und wieder im Spa vorbeischaute und ins Kältebecken hopste oder sich in der Sauna durchgaren ließ? Holly würde den Aufenthalt jedenfalls so oder so toll finden, da war Christy sicher. Ein Blick auf die Webseite der Anlage hatte ihr verraten, dass die Waldhütten herrlich idyllisch aussahen. »Der Weihnachtsmann hat viel zu tun.«

»Wie Daddy.«

»Genau. Wie Daddy.« Christy warf einen Blick auf die Uhr. Seb hatte ihr geschrieben, dass er heute später kommen würde. Zum dritten Mal in dieser Woche. In der davor vier Mal.

Als Christy sich ihr Leben auf dem Land ausgemalt hatte, war sie davon ausgegangen, dass Seb weiter im Homeoffice arbeiten würde. Aber in seiner Firma hatte sich einiges geändert, weswegen er nun häufiger als früher ins Büro musste. Und gestresster als früher war er auch. Sie wurde das ungute Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte.

Hasste er das Cottage? Das Leben auf dem Land?

In letzter Zeit war sie immer wieder mitten in der Nacht aufgewacht und hatte gegrübelt, ob der Umzug ein Fehler gewesen war. Das Leben hier war so anders, als sie es sich erträumt hatte.

Und das lag nicht nur am Cottage oder am Geld. Sie war einsam, auch wenn sie das nie zugegeben hätte. Nachdem sie so lange auf Seb eingeredet hatte, dass sie hier wohnen wollte, konnte sie jetzt ja schlecht gestehen, dass sie die überfüllten Londoner Straßen und die vielen Cafés vermisste. Das Gewusel, den Lärm, die unverbindliche Nähe namenloser Fremder. Ganz zu schweigen von einem Zuhause, in dem es nicht zog wie Hechtsuppe.

Anfangs hatte das Cottage ihre Erwartungen sogar übertroffen. Aber dann war der erste Winter gekommen. Nach einem heftigen Gewitter war klar, dass das Dach erneuert werden musste. Der Boiler war ausgefallen, und in einer Ecke der Küche breiteten sich Feuchtigkeitsflecken aus. Die Weihnachtszeit hatten sie damit verbracht, vor Kälte zu bibbern und sich Holly zuliebe die schlechte Laune nicht anmerken zu lassen. Ihr erstes Weihnachtsfest im Cottage war einfach nur anstrengend gewesen – ein Grund mehr dafür, dass sie in diesem Jahr Lappland gebucht hatte. So ein Weihnachten wollte sie nie wieder erleben.

Seufzend räumte sie die Küche fertig auf.

Sie hatte eine Entscheidung getroffen, jetzt musste sie damit leben.

Wo blieb Seb denn nur? Wie sollte sie ein anständiges Abendessen auf den Tisch zaubern, wenn sie keine Ahnung hatte, wann er nach Hause kommen würde? Dieser Mann war der reinste Planungsalbtraum.

Holly, die nichts vom inneren Aufruhr ihrer Mutter ahnte, rieb sich übers Gesicht und verteilte dabei überall Farbe. »Aber der Weihnachtsmann bekommt doch Hilfe von den Wichteln.«

»Stimmt.« Hilfreiche Wichtel hätte Christy gerade auch gut brauchen können. Am besten welche, die etwas von Haussanierung und undichten Dächern verstanden.

Sie räumte ihren Laptop weg, um den Tisch fürs Abendessen zu decken.

Als freiberufliche Grafikdesignerin konnte sie von überall aus arbeiten. Heute Vormittag hatte sie zwar ihre Tochter betreut, gleichzeitig aber an einem Projekt gesessen. Entsprechend chaotisch sah das Haus nun aus. Allein bei dem Gedanken daran fühlte sie sich unter Druck gesetzt und meinte, ihre Mutter zu hören, obwohl die nun schon über zwei Jahre tot war. Wieso gibst du ihr mehr als ein Spielzeug auf einmal? Du bist nicht streng genug, Christy. Sie muss lernen, sich an Regeln zu halten. Holly ist schwer zu bändigen.

Christys Beschützerinstinkt flammte auf. Ihre Tochter war mutig, neugierig und abenteuerlustig, alles Eigenschaften, die sie nicht zerstören wollte. Sie bewunderte Holly, beneidete sie manchmal sogar. Ob sie selbst auch irgendwann einmal so furchtlos gewesen war?

Aber sie wusste, dass der Grund für die Sorge ihrer Mutter eigentlich ein anderer gewesen war: Hollys Ähnlichkeiten mit Robyn.

Ihr ganzes Leben lang war ihr ihre Tante Robyn als warnendes Beispiel dafür vorgehalten worden, was passieren konnte, wenn man keine Disziplin lernte.

Dabei wusste Christy gar nicht, was ihre Tante eigentlich so Schlimmes angestellt hatte. Auf entsprechende Nachfragen hatte ihre Mutter stets geantwortet: Erwähne diesen Namen nie wieder in meinem Haus. Oder: Glaub mir, das willst du nicht wissen.

Und tatsächlich war sich Christy nicht ganz sicher, ob sie es wissen wollte. Sie wusste nur, dass es sich verkehrt anfühlte, irgendwo dort draußen ein lebendes Familienmitglied zu haben und nicht mal zu versuchen, Kontakt aufzunehmen.

Und selbst wenn es zwischen ihrer Tante und ihr nicht funken sollte, blieben ihr immerhin zehn ganze Tage, an denen sie keinen Gedanken an ihr undichtes Cottage verschwenden musste. Zehn Tage ungestörte Zeit mit ihrer Familie. Und mit Alix natürlich. Der Gedanke, dass sie endlich wieder Zeit mit ihrer ältesten und engsten Freundin verbringen würde, hob ihre Laune spürbar. Alix war die Schwester, die sie nie gehabt hatte.

Es war eine seltsame Vorstellung, dass sie mehr Weihnachtsfeste mit Alix verbracht hatte als mit Seb und Holly.

»Ich hab einen Wald für dich gemalt.« In Ermangelung eines Pinsels hatte Holly mit dem Finger grüne Farbe auf das Papier gekleckst.

»Was für ein schönes Bild!« Sie hob ihre Tochter hoch, trug sie zum Spülbecken und wusch ihr die Farbe von den Händen, ehe der Wald auch auf den Küchenwänden zu wuchern begann. »Zeigst du mir Lappland auf der Karte?«

Holly wand sich aus ihrer Umarmung, rannte los und blieb mit konzentriertem Gesichtsausdruck vor der Weltkarte stehen, die Seb an die Küchenwand gepinnt hatte.

Christy nutzte die Gunst der Stunde, um die Spülmaschine einzuräumen.

»Hast du es schon gefunden?«

»Ja, hier. Überall hier oben, am Rand von der Arktis.« Holly ging auf die Zehenspitzen und ließ einen farbfleckigen Finger über die Landkarte gleiten. »Aber wir wohnen … hier.« Sie zeigte auf Nordschweden und warf ihrer Mutter ein freudiges Lächeln zu.

Holly hatte die blauen Augen und die langen Wimpern ihres Vaters geerbt – eine tödliche Mischung, wie Christy nur Minuten, nachdem sie Seb kennengelernt hatte, aufgegangen war. Sie hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt, so wie scharenweise Frauen vor ihr, wenn man etwas auf Gerüchte gab.

Aber sie war diejenige, die er geheiratet hatte.

Stolz, Liebe, Freude – all das empfand Christy nun beim Anblick ihrer Tochter.

Sie bereute nichts, hatte nie das Bedürfnis gehabt, die Uhr zurückzudrehen. Alles war genau so, wie es sein sollte. Bis auf das Cottage. Das Cottage war ein suboptimaler Schrotthaufen, wie Alix es einmal ausgedrückt hatte.

Kaum dachte sie an ihre Freundin, klingelte auch schon ihr Telefon, und Alix’ Name leuchtete auf dem Display auf.

»Alix!«

Automatisch griff Holly nach dem Smartphone. »Tante Alix!«

Strenggenommen war Alix nicht ihre Tante, aber da sie Christy so nahestand wie eine Schwester, hatte sich die Bezeichnung eingebürgert.

»Zuerst will ich mit ihr sprechen.« Christy hielt das Telefon so, dass Holly es nicht erreichen konnte. »Danach kannst du Hallo sagen.« Sie nahm Holly auf den freien Arm und setzte sie wieder an den Tisch. Da Seb auf sich warten ließ, blieb ihr Zeit, mit ihrer Freundin zu plaudern, ehe sie das Haus aufräumte. »Wie ist es in New York?«

»Kalt.« Trotz der Distanz war Alix klar und deutlich zu verstehen. »Schnee ohne Ende. Aber im Augenblick ist das Wetter ja überall das reinste Chaos.«

Christy dachte an die undichte Stelle im Bad. »Kann man wohl sagen.«

»Hast du Zeit zum Reden, oder störe ich?«

»Nein, ich freu mich, dass du dich meldest. Wir haben so lange nichts voneinander gehört.« Sollte sie zugeben, wie sehr sie die Zeiten vermisste, in denen sie nahezu ununterbrochen getextet hatten? Nein, das wäre unfair. Alix war voll und ganz mit ihrer Karriere beschäftigt. Christy stellte sich vor, wie ihre Freundin in einem taillierten Kleid durch New York lief, das dunkle Haar streng nach hinten gekämmt und an den Füßen High Heels, bei deren bloßem Anblick die meisten Frauen Blasen an den Zehen bekamen. »Aber ich weiß ja, wie viel du um die Ohren hast.«

»So bin ich, ständig auf Achse, und die Arbeit macht Spaß, auch wenn das Pensum im Augenblick heftig ist.«

»Ich beneide dich um dein glamouröses Leben.« Christy drückte sich das Telefon ans Ohr und räumte mit der freien Hand weiter auf.

»Soll das ein Witz sein? Ich beneide dich um dein idyllisches Leben auf dem Land.«

Idyllisch? Christy schauderte und verkroch sich noch ein bisschen tiefer in ihren dicken Pulli.

Sie widerstand der Versuchung, ihre Zweifel zu beichten. Noch war sie nicht bereit, darüber zu sprechen, nicht mal mit Alix. Nicht, nachdem sie so einen Aufstand gemacht hatte, um hier leben zu können.

»Was steht heute bei dir auf dem Programm? Und was hast du an?«

»Eine Preisverleihung mit Dinner.« Im Hintergrund war Gehupe zu hören, und Alix verstummte kurz. »Keine Ahnung, was ich anziehen soll«, fuhr sie dann fort. »Irgendwas Schwarzes, Seriöses. Arbeit, aber in schicken Klamotten. Vermutlich hätte ich dich vorher um Rat fragen sollen. Schließlich bist du die Stylishe von uns beiden.«

Stylish? Sie, die ihre Kleidung inzwischen nach Kriterien wie Wärme und Strapazierfähigkeit auswählte und versuchte, nicht an all die aufregenden Kleider und Schuhe zu denken, für die sie nun wohl niemals mehr Verwendung haben würde? Christy sah hinunter auf ihre schwarze Sport-Leggings und bemerkte einen kleinen Farbklecks. Wie war das denn nun wieder passiert? Dabei hatte sie doch aufgepasst! »Lass das mit dem Schwarz. Schwarz ist langweilig und passt kein bisschen zu dir.«

»Wo du recht hast … Vielleicht gehe ich einfach im Faschingskostüm. Apropos, wir haben derzeit eine tolle neue Kollektion. Braucht meine Lieblingsvierjährige etwas Abwechslung? Es ist ein echt schickes Einhorn-Kostüm dabei.«

»Das hast du ihr doch längst geschickt.« Christy schaltete die Lichterkette in der Küche ein. Als sie bemerkt hatte, dass die Feuchtigkeitsflecken an den Wänden im weichen Licht der kleinen Lämpchen nicht zu erkennen waren, hatte sie kurzerhand das ganze Haus damit dekoriert. Holly hielt die Lichterketten für Weihnachtsschmuck, was ihr nur recht war. Aber sie würden auch nach Neujahr noch hängen bleiben. Wenn die Zukunft schon dicke Pullis und klamme Socken bereithielt, dann sollten sie wenigstens in sanftes Schummerlicht gehüllt sein. »Das Jahr hat nicht genug Tage für all die Sachen, die du ihr schickst. Wo bist du gerade?«

»Auf dem Weg zu einem Meeting. Der Verkehr auf der Fifth ist der Horror.«

Der Verkehr auf der Fifth. Menschen. Leben. Atmosphäre. »Du klingst schon wie eine echte New Yorkerin.«

»Langsam komme ich mir auch so vor. Das ist mein dritter Aufenthalt hier innerhalb von acht Wochen.«

Christy räumte den Malkasten weg und goss das Wasser ab. Sie war nicht neidisch. Wirklich nicht. Sie genoss ihren Alltag, die Mischung aus Arbeit und Mutterdasein, auch wenn sie manchmal das Gefühl hatte, stets an beiden Enden Kompromisse eingehen zu müssen. Das hier war das Leben, das sie sich ausgesucht hatte. Obwohl es mit einem Mann, der abends pünktlich nach Hause kam, und einem Haus, in das es nicht bei jedem Schauer hineinregnete, schöner wäre. »Ich muss immer noch jedes Mal grinsen, wenn ich daran denke, dass ausgerechnet du für einen der größten Spielwarenkonzerne der Welt arbeitest.«

»Wieso? Weil ich Single und kinderlos bin? Spielwaren sind ein Business wie jedes andere, Christy. Ein eiskaltes, gnadenloses Geschäft. Wir mögen Spielzeug verkaufen, aber mein Job ist nicht kuschelig und gemütlich. Ich weiß mehr über Spielzeug als irgendwer sonst. Ich weiß, worüber sich Kinder wirklich freuen. Ich weiß, welche Produkte keinen Tag lang durchhalten und welche Kinder anspornen, sich in der Schule mehr anzustrengen. Ich weiß sogar, welche Spielsachen so gut ankommen, dass die Kinder mit etwas Glück für ein paar Stunden vergessen, dass ihre Eltern in Wahrheit nur genervt von ihnen sind.« Alix verstummte kurz. »Habe ich das gerade ernsthaft gesagt? Interpretier da bloß nicht zu viel hinein. Der Jetlag macht mich weinerlich und rührselig. Oder es liegt an der Vorweihnachtszeit. Du weißt ja, wie feiertagsverkorkst ich bin.« Hinter Alix’ lockerem Tonfall verbarg sich ein Malstrom aus Erinnerungen und verletzten Gefühlen. »Was ich damit sagen will: Was Spielzeuge betrifft, bin ich Expertin. Sie sind eine Währung, und niemand kann ihren Wert besser einschätzen als ich.«

»Manchmal sind sie aber auch einfach nur eine liebevolle Geste.« Eine Welle des Mitgefühls schwappte über Christy hinweg. »Haben deine Eltern in letzter Zeit mal von sich hören lassen?«

»Zum Glück nicht. Ich kann mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als Weihnachten mit einem der beiden verbringen zu müssen. Lieber hacke ich mir einen Arm ab.«

Christy verstaute Farben und Pinsel in einer Kiste. Wenn sie Alix so reden hörte, war sie dankbar für die Liebe, die sie in ihrem Elternhaus erfahren hatte. Bis heute dienten ihre Mum und ihr Dad ihr als Vorbild für ihr eigenes Familienleben, samt aller Alltagsregeln und Traditionen, mit denen sie selbst groß geworden war.

Sie dachte an all die Nächte, die Alix damals bei ihnen verbracht hatte. Und an all die Dinge, die Alix ihr im Dunkeln gebeichtet hatte. Meine Eltern wollen mich gar nicht dahaben. Am liebsten wäre es ihnen, ich wäre nie geboren worden.

Christy schob die Kiste mit den Malsachen zurück in den Schrank. Sie wohnten vielleicht in einem Haus mit undichtem Dach – aber zumindest wusste ihre Tochter, dass sie geliebt wurde. »Weißt du noch, wie oft meine Mutter mit uns geschimpft hat, weil wir bis spät in die Nacht geredet haben?«

»Und weil wir um zwei Uhr morgens heiße Schokolade gemacht haben.«

»Und Kekskrümel im Bett verteilt haben.«

Christy lehnte sich an den Schrank und tauchte gedanklich in die Vergangenheit ab. »Ständig haben wir Pläne geschmiedet. Und jetzt schau uns an.«

Alix lachte auf. »Ich wollte Karriere machen, und du wolltest heiraten, Kinder kriegen und in ein Cottage auf dem Land ziehen. Sieht so aus, als hätten wir beide bekommen, was wir wollten.«

Christy starrte hinaus in den Regen, der gegen die Fensterscheibe prasselte. »Stimmt.« Aber was, wenn sich das, was man gewollt hatte, als ziemlicher Reinfall erwies? »Bist du glücklich mit deinem Leben?«

»Na klar! Was ist das denn bitte für eine Frage?«

»Bist du nie einsam?«

»Soll das ein Witz sein? Ich bin den ganzen Tag von Leuten umgeben. Und falls ausnahmsweise mal niemand körperlich anwesend ist, ruft mich garantiert jemand an.«

Christy wartete darauf, dass Alix die Frage erwiderte, aber es kam nichts. »Gibt es in deinem Leben nichts, was du gern anders machen würdest?«

»Was sollte das denn sein? Falls du darauf abzielst, ob ich heiraten, Kinder kriegen und aufs Land ziehen will – wir wissen beide, dass das nichts für mich ist. So eine Verantwortung will ich mir nicht aufhalsen. Wenn man das vermasselt, ist das Kind für immer verkorkst. Zum Beweis brauchst du nur mich anzuschauen.«

Ihre Worte versetzten Christy einen schmerzhaften Stich. »Du bist nicht verkorkst. Und du würdest es auch nicht vermasseln.«

»Ach, das kannst du doch gar nicht wissen. Außerdem liebe ich mein Leben auf der Überholspur.«

Tatsächlich raste Alix mit einer solchen Geschwindigkeit durchs Leben, dass alles um sie herum zu bloßen Schemen verschwamm. Inklusive sie, Christy.

Es gab so vieles, was sie gern sagen wollte, aber sie bekam den Mund nicht auf.

Warum fiel es ihr auf einmal so schwer, ihrer besten Freundin ihre tiefsten Geheimnisse anzuvertrauen?

»Muss ich dich wieder mal daran erinnern, dass Adrenalin kein Grundnahrungsmittel ist?«

»Aber mein Lieblingstreibstoff. Na ja, mal abgesehen vielleicht von Schokolade. Apropos, habe ich eigentlich schon erwähnt, dass das singende Rentier mit der fluoreszierenden Nase, das ich unserer Kleinen geschickt habe, das angesagteste Weihnachtsspielzeug des Jahres ist? Sie wird das beliebteste Kind im ganzen Dorf sein.«

Spielzeug ist eine Währung.

Christy goss Holly ein Glas Milch ein. »Ich hab es für Du-weißt-schon-wann versteckt.«

Hollys Kopf fuhr herum. »Redet ihr über Weihnachten?«

Alix lachte. »Das habe ich gehört. Sie ist einfach zu schlau für uns. Nun gib ihr das Ding doch. Für den großen Tag habe ich etwas anderes für sie besorgt. Ein Wissenschaftsset, das noch gar nicht auf dem Markt ist. Sie wird ausflippen! Ich sag dir, eines Tages wird Holly die Welt retten.«

»Alix. Sie ist noch keine fünf Jahre alt. Kannst du bitte endlich aufhören, sie mit Geschenken zu überhäufen?«

»Warum denn? Ich will doch nur, dass sie jedes Jahr das tollste Weihnachten überhaupt erlebt. Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben! Mit Ausnahme natürlich von dir, aber ich fürchte, mit einem Rentier mit fluoreszierender Nase kann ich dich nicht glücklich machen. Wem außer Holly soll ich das ganze Spielzeug denn schicken? Also, ich muss los, ich habe gleich noch einen Telefontermin mit Tokio.«

Tokio.

Nun empfand Christy doch einen kurzen Anflug von Neid. Sie selbst hatte heute bislang nur mit dem Klempner und dem Zahnarzt telefoniert. Und natürlich mit Alison vom Literaturkreis. Sie wusste nicht einmal, was sie hätte tun müssen, um jemanden in Tokio anzurufen. »Ist es da nicht mitten in der Nacht?«

»Klar, aber die Konkurrenz schläft nicht.«

»Verstehe. Also, versprich mir, dass du zu deinem glamourösen Award-Dinner heute Abend kein ödes Schwarz trägst.« Sie schnappte sich einen Putzlappen und wanderte Richtung Flur.

»Was anderes habe ich aber gar nicht dabei.«

Christy wischte den Tisch ab. »Du befindest dich mitten auf der Fifth Avenue, Alix. Es kann ja wohl nicht so schwer sein, dort ein aufregendes Outfit aufzutreiben.« Es war eine Ewigkeit her, dass sie selbst sich etwas Neues zum Anziehen gekauft hatte. Warum auch? Manchmal engagierten Seb und sie zwar einen Babysitter und gingen ins Dorfpub, aber das war etwas völlig anderes als damals in ihrer alten Wohnung, wo gleich um die Ecke die verschiedensten Arten von Restaurants auf ihren Besuch gewartet hatten. Ganz abgesehen davon, dass Seb in letzter Zeit sowieso immer zu müde zum Ausgehen war. Und dann war noch das liebe Geld. Nach Hollys Geburt hatte Christy ihren Agenturjob aufgegeben und sich darauf spezialisiert, Webseiten für Kleinunternehmen zu erstellen. Ihr neuer Job war flexibler und anspruchsloser. Und außerdem schlechter bezahlt.

Alix redete immer noch: »Hast du inzwischen mal wieder was von deiner Tante gehört? Weißt du endlich, was es mit dem düsteren Familiengeheimnis auf sich hat?«

»Nein.« Christy verzog sich in Sebs Arbeitszimmer, damit Holly nichts mitbekam. »Ich glaube, dass wir dieses Gespräch besser persönlich führen sollten.« Am liebsten hätte sie es gar nicht geführt, aber dass sie damit durchkommen würde, war mehr als unwahrscheinlich. Was, wenn sie etwas wirklich Schreckliches erfuhr? Etwas, das sie nicht hören wollte? Sie räumte eine tote Pflanze von Sebs Schreibtisch und blickte zum Fenster hinaus in die Dunkelheit. Dicke Regentropfen rannen die Scheiben hinab. »Das Wetter hier ist grausig. Ich hoffe, Seb kommt gut nach Hause. Die Heimfahrt von der Bahnstation wird sicher furchtbar.«

»Er ist gar nicht da?«

»Überstunden.« Kaum war das Wort heraus, wünschte sie, sie hätte nichts gesagt. Alix entging niemals etwas.

Kurzes Schweigen, dann die unausweichliche Frage: »Ist alles in Ordnung bei euch?«

»Na klar.« Es hatte Zeiten gegeben, da hätte sie Alix einfach alles erzählt, was sie bedrückte. Doch das hatte sich mit dem Tag geändert, an dem sie Seb geheiratet hatte. Ihre Hochzeit war der Grund für die einzige echte Auseinandersetzung gewesen, die sie und Alix je gehabt hatten.

Mach das bloß nicht, Christy! Du kannst den Typen doch nicht einfach heiraten, nur weil du schwanger bist! Was weißt du denn schon über ihn? Er ist ein Weiberheld. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass so einer von einem Leben auf dem Land mit zwei Kindern und Hund träumt. Das ist ein riesiger Fehler!

Christy dachte viel häufiger an diese furchtbare Situation zurück, als gut für sie war. Sie hatten nicht mal richtig gestritten. Zitternd und aufgewühlt hatte sie nur erwidert, dass Alix sich irrte. Dass sie glücklich war mit ihrer Entscheidung.

Immer wieder sagte sie sich, dass Alix sich einfach nur um sie sorgte. Dass sie wegen ihres eigenen Elternhauses, das alles andere als harmonisch war, gar nicht anders konnte, als so zu denken. Aber die Worte ihrer Freundin hatten sich tief in ihre Seele eingebrannt und waren nun von wulstigem Narbengewebe überwuchert.

Sie hatten nie wieder ein Wort darüber verloren. Als Alix sich kurz nach der Hochzeit mit einem nervösen Zittern in der Stimme gemeldet hatte, um zu fragen, ob zwischen ihnen noch alles war wie früher, hatte Christy ihr versichert, dass natürlich alles in Ordnung sei. Was hätte es auch bringen sollen, die Diskussion neu zu entfachen? Was gesagt war, war gesagt und konnte nicht zurückgenommen werden. Also ließ sie die Sache lieber auf sich beruhen.

Was sich allerdings als schwerer entpuppte als erhofft. Die Worte schepperten weiter durch ihren Kopf wie die Dosen hinten am Auto eines Brautpaars auf dem Weg in die Flitterwochen.

Als Alix das nächste Mal zu Besuch gekommen war, hatte sie sich mächtig ins Zeug gelegt, um ihr neues Familienglück zu betonen. Alles musste perfekt sein, ihr breites Lächeln fühlte sich an wie festzementiert, und sie ließ keine Gelegenheit aus, Seb als perfekten Partner zu präsentieren. Sieh nur, wie glücklich wir sind. Sieh nur, wie sehr du dich geirrt hast!

Sie wischte Sebs Schreibtisch und seinen Laptop ab. Was hätte sie gegeben, jenes Gespräch mit Alix einfach vergessen zu können. Als sie jünger gewesen war, hätte sie nie gedacht, dass sich ihre Freundschaft zu Alix eines Tages derart verändern könnte. Wenn sie nachts in ihrem dunklen Zimmer gelegen und sich über alles Mögliche von Jungs und Klamotten bis hin zu Zukunftsträumen unterhalten hatten, hatte gar kein Zweifel daran bestanden, dass es für immer so bleiben würde. Die Erkenntnis, dass Freundschaften komplizierter wurden, wenn man erwachsen war, hatte sie unerwartet und hart getroffen.

Christy betrachtete das Hochzeitsfoto auf Sebs Schreibtisch. Der Anblick machte sie für einen Augenblick traurig. Anders als Holly, die davon träumte, Wissenschaftlerin oder Entdeckerin zu werden, hatte sie schon als kleines Mädchen nur Hochzeiten im Kopf gehabt. Und ihre eigene Hochzeit hatte der glücklichste Tag in ihrem Leben werden sollen. Doch wie so oft war alles anders gekommen als geplant.

Da stand sie neben Seb, in einem Kleid, das ihren wachsenden Babybauch kaschierte. Alix und Sebs bester Freund Zac rahmten sie ein wie Buchstützen, beide mit dem obligatorischen Kameralächeln im Gesicht.

Es war Zac gewesen, der eingeschritten war, als Alix in letzter Sekunde versuchte, ihr die Hochzeit auszureden. Alles andere als erfreut über deren lautstarke Verkündung, die ganze Sache sei ein Fehler, hatte er sie unsanft aus dem Raum befördert.

Was draußen vor der Tür wohl zwischen den beiden vorgefallen sein mochte? Alix hatte sich nie dazu geäußert, aber was auch immer es war, seitdem tat sie alles dafür, Zac nie wieder begegnen zu müssen.

Christy holte den Bildschirmreiniger aus der Schublade und klappte Sebs Laptop auf. »Viel Spaß heute Abend. Schick mal ein paar Fotos. Ich freue mich riesig auf deinen Besuch nächste Woche.« Ihre Freundschaft war vielleicht nicht mehr so wie früher, aber stark war sie noch immer. Und es gab immer noch zahlreiche Dinge, die sie verbanden. Was machte da schon ein einziges Tabuthema?

Als Christy den Bildschirm abwischte, erwachte er grell zum Leben. Seb musste vergessen haben, den Laptop auszuschalten. Erst sah sie gar nicht genauer hin, doch dann erregte ein offenes Fenster in seinem E-Mail-Account ihre Aufmerksamkeit.

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Alix’ Stimme aus ihrem Handy schien plötzlich weit weg.

»Christy? Bist du noch da?«

Sie sackte auf den Bürostuhl. »Klar.« Sie zitterte so heftig, dass ihr fast das Telefon aus der Hand gefallen wäre.

Hatte sie die E-Mail missverstanden?

Sie las sie erneut. Versuchte, Ruhe zu bewahren.

Du bist einfach die Beste, Mandy. Was würde ich nur ohne Dich machen?

Dann sehen wir uns um sechs in Covent Garden.

Ich bin da. Falls Dir was dazwischenkommt, melde Dich auf meinem Handy. Ruf mich nicht über Festnetz zu Hause an.

Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand einen Schlag in die Magengrube verpasst.

Mandy? Wer war Mandy? Vielleicht steckte ja gar nichts weiter dahinter. Aber warum sollte diese Frau dann nicht hier zu Hause anrufen? Und warum hatte Seb diese Mandy ihr gegenüber nie erwähnt? Warum log er? Was verheimlichte er vor ihr?

Er hatte behauptet, er müsse Überstunden schieben. Und nun traf er sich in Covent Garden mit einer anderen Frau und wollte nicht, dass sie davon erfuhr?

Sie stellte sich vor, wie die beiden in einer angesagten Bar saßen und miteinander lachten. Lächelnd in einem Szenerestaurant Händchen hielten.

Panik flammte in ihr auf. Es musste irgendeine sinnvolle Erklärung geben. So etwas würde er ihr nicht antun.

Oder doch? Wieder hallte Alix’ Stimme durch ihren Kopf. Was weißt du denn schon über ihn?

Ihre Hände und ihre Knie zitterten. Was jetzt?

Sie konnte schlecht zugeben, dass sie die E-Mail gelesen hatte. Einen größeren Vertrauensbruch gab es kaum. Andererseits war er es doch, der ihr Vertrauen missbrauchte, oder? Die E-Mail war einfach da gewesen, Seb hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, sie zu verstecken oder zu löschen.

Das Atmen fiel ihr schwer. Was hatte das alles zu bedeuten? War er unglücklich? War sie selbst schuld, weil sie ihn überredet hatte, so weit von London wegzuziehen? Sie würde mit ihm reden müssen. Sie wollte aber nicht. Wollte nicht, dass all das hier überhaupt passierte.

»Christy?«

Sie hatte vollkommen vergessen, dass Alix noch in der Leitung war. Sie musste sie abwürgen. Selbst wenn sie mit ihrer Freundin hätte reden können, wäre Alix in diesem Fall nicht die richtige Ansprechpartnerin. Alix regelte Probleme völlig anders als sie. Das ging schon damit los, dass sie einfach fragte, wenn sie etwas wissen wollte. Wenn Alix etwas störte, sagte sie: Das stört mich. Was auch der Grund für die Dinge war, die sie vor der Hochzeit zu ihr gesagt hatte. Das ist ein riesiger Fehler!

Jemand anders hätte es vorsichtiger formuliert. Glaubst du nicht … Könnte es nicht vielleicht sein … Aber nicht so Alix. Sie ging solche Themen vollkommen anders an.

»Tut mir leid, du hast zur Chaoszeit angerufen.« Irgendwie gelang es ihr, genau die richtige Prise gespielte Fröhlichkeit in ihre Stimme zu legen. »Ich wische gerade den größten Farbklecks der Welt auf. Viel Spaß bei deinem Event. Nächstes Mal reden wir länger, ja?«

Sie legte auf und wankte wie eine Schlafwandlerin in die Küche zurück. Wie durch Watte hörte sie Holly protestieren, dass sie auch mit Tante Alix sprechen wollte.

Sie musste sich ablenken. Ja, das war die Lösung.

Christy schaltete den Ofen ein, um den bereits fertigen Auflauf aufzuwärmen. Dann räumte sie das restliche Geschirr in die Spülmaschine. Ihre Hände zitterten immer noch so heftig, dass ihr ein Teller entglitt und auf den Boden krachte. Winzige Porzellanscherben sprangen über die Fliesen.

Holly schrie auf und rettete sich auf einen Stuhl.

Christy kam es fast schon recht, das Chaos beseitigen zu müssen. Immerhin hatte sie damit eine Aufgabe. Eine Tätigkeit mehr, mit der sie die kurzen Momente der Ruhe zu füllen pflegte, in denen Stress und Angst sie zu übermannen drohten.

»Nichts passiert, mein Schatz. Nicht bewegen, gleich ist alles weg.« Wem redete sie hier eigentlich gut zu? Sich selbst oder ihrer Tochter?

Sie atmete tief durch und warf die Porzellanscherben in den Mülleimer.

»Mummy? Wieso weinst du denn?«

Sie weinte? Christy legte sich die Hände an die Wangen. Tatsächlich, sie waren feucht. Ja, sie weinte. »Mummy hat nur ein bisschen Schnupfen.« Sie putzte sich die Nase. »Vielleicht bekomme ich eine Erkältung.«

Holly krabbelte von ihrem Stuhl und schlang die Arme um ihre Beine. »Ein Küsschen macht alles wieder gut.«

»Ganz genau.« Ach, wäre es doch nur so einfach. Sie nahm ihre Tochter auf den Arm und drückte sie fest an sich.

»Bald ist Weihnachten.«

Weihnachten. Ein Familienfest. Das Familienfest.

Auf einmal hatte Christy einen dicken Kloß im Hals und ein enges Gefühl in der Brust. Vor Weihnachten würde sie Seb nicht auf die E-Mail ansprechen können. Nein, das kam gar nicht infrage. Besser, sie tat so, als wäre alles in Ordnung. Wenn sie etwas konnte, dann das. Weil sie es gewohnt war.

»Schlafenszeit!« Sie nahm Holly auf den Arm. »Langsam wirst du zu groß zum Tragen.«

»Ich will auf Daddy warten. Daddy soll mir einen Gutenachtkuss geben.«

»Aber Daddy kommt heute erst spät nach Hause.« Sie trug Holly nach oben. Funktionierte wie auf Autopilot.

»Sehen wir in Lappland auch Rentiere?«

»Ganz bestimmt.« Sie wollte nicht zulassen, dass ihre Gefühle diesen gemeinsamen Augenblick mit ihrer Tochter überschatteten. Sich nichts anmerken zu lassen kostete sie allerdings solche Mühe, dass sie selbst fast bettreif war, nachdem sie Holly gebadet und ihr zwei Geschichten vorgelesen hatte.

Sie schaltete das Nachtlicht ein, das blau-grüne Lichtwirbel über die Kinderzimmerdecke gleiten ließ.

Als sie eingezogen waren, hatte sie eigentlich vorgehabt, Holly ein Prinzessinnenzimmer einzurichten, wie sie selbst es als Kind gehabt hatte. Aber Holly interessierte sich nun mal nicht für rosa Plüschwolken, sondern für Schnee und Eis, und wollte, dass ihr Kinderzimmer aussah wie eine Forschungsstation in der Arktis. Wenn ich groß bin, werde ich Wissenschaftlerin. Wie Onkel Zac! Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie sich auf eine Einrichtung geeinigt hatten, die sie selbst umsetzen konnten. Vor einem Monat hatten Seb und Zac das Kinderzimmer dann endlich fertiggestellt. Während die Männer hämmerten und zimmerten, hatte sie Schneefelder und Berge an die Wand gegenüber vom Bett gemalt und sich alle Mühe gegeben, nicht allzu enttäuscht darüber zu sein, dass ihr Traum von sanft flatternden Betthimmeln, Lichterketten und haufenweise Pastellrosa einer stahlgrauen »Laborecke« und einer Schlafkoje hatte weichen müssen.

Sie selbst hätte sich zwar etwas anderes ausgesucht, konnte aber nicht leugnen, dass Hollys Zimmer richtig gemütlich geworden war.

Sie drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn, ließ die Kinderzimmertür einen Spaltbreit offen und ging zurück nach unten.

Die Benommenheit von vorhin war kaum erträglicher Anspannung gewichen.

Sie deckte den Tisch, zündete Kerzen an, blies sie aber wieder aus, als sie eine Stunde später immer noch nichts von Seb gehört hatte. Auch den Ofen schaltete sie aus.

Den Auflauf hatte sie während der halben Stunde zubereitet, die Holly fernschauen durfte.

Ihre eigene Mutter hatte sich stets geweigert, einen Fernseher anzuschaffen. Christys Kindheit war eine sorgfältig geplante Aneinanderreihung sinnvoller Tätigkeiten gewesen. Geigenunterricht, Klavierunterricht, Ballettunterricht, Reitunterricht, Chinesischunterricht … Ihre Mutter hatte alles dafür getan, dass sie jede Sekunde ihrer Zeit produktiv nutzte. Faules Herumfläzen auf dem Sofa wurde mit einem Stirnrunzeln bedacht, außer man hatte dabei ein Buch in der Hand. Worum geht es in dem Buch, Christy? Komm, lass uns den Inhalt besprechen.

Christy äugte zu dem schmalen Buch, das schon seit Wochen auf dem Beistelltischchen herumlag. Der Umschlag erinnerte sie daran, dass es mit einem wichtigen Literaturpreis ausgezeichnet worden war, aber jedes Mal, wenn sie anfing, darin zu lesen, gab sie nach dem zweiten Kapitel auf. Man wusste von Anfang an, dass die Hauptfigur am Ende sterben würde, weil sich alle Personen, die darin vorkamen, fürchterlich benahmen und fürchterliche Entscheidungen trafen, was nur eins bedeuten konnte, es gab ein ebenso fürchterliches Ende.

Woran lag es nur, dass die Bücher, die es in den Literaturkreis schafften, ausnahmslos deprimierend waren? Was sollte so toll sein an einem Buch, das dazu führte, dass man sich nach dem Lesen elend fühlte? Jedenfalls hatte sie sich bis jetzt nicht aufraffen können, es zu lesen. Wenn sie auch nur die geringste Hoffnung haben wollte, bei ihrem nächsten Treffen halbwegs intelligent und interessiert zu klingen, würde sie vorher ein paar Rezensionen im Internet lesen müssen. Was hätten Sie anstelle der Figur anders gemacht?ALLES!

Sie starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus.

Immer noch keine Spur von Seb.

Als sie endlich sein Auto in der Auffahrt hörte, war der Auflauf kalt und hart geworden.

Christy strich sich das Haar glatt, schloss kurz die Augen und atmete tief durch.

Sie würde so tun, als wäre nichts gewesen. Und vielleicht war ja auch gar nichts, und die gesamte Angelegenheit würde sich von selbst in Wohlgefallen auflösen. Bestimmt gab es eine einfache Erklärung.

Als Seb die Haustür öffnete, erwartete sie ihn mit einem Lächeln im Gesicht.

»Du bist spät dran heute, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Deine Meetings haben ja ganz schön lange gedauert. Du musst fürchterlich erschöpft sein.« Bang und mit klopfendem Herzen wartete sie auf seine Reaktion. Tausende Gedanken rasten durch ihren Kopf.

»Ja, tut mir leid.« Er hängte seinen Mantel auf und drückte ihr einen raschen Kuss auf die Lippen. »Puh, ist das kalt da draußen.«

»Stimmt, vielleicht soll es sogar schneien. Kaum zu glauben, oder?«

Sie konnte nicht fassen, dass sie sich ernsthaft übers Wetter unterhielten. Was war nur aus ihnen geworden?

Christy hätte es nicht für möglich gehalten, aber ihre Laune wurde tatsächlich noch ein wenig schlechter.

Seb folgte ihr in die Küche, vergaß, sich zu ducken, und stieß sich den Kopf am Türsturz an.

»Dieses verdammte Haus hasst mich! Warum haben sie hier nur so niedrige Türen eingebaut?«

»Damals waren die Leute vermutlich nicht so groß wie du.« Ausnahmsweise einmal fühlte es sich so an, als stünden das Cottage und sie auf derselben Seite. Sie fühlte sich betrogen. War verletzt und wütend auf Seb, weil sein Verhalten bewies, dass Alix recht gehabt hatte.

»Ich weiß, ich hätte anrufen sollen, aber …«

»Du musst nicht anrufen, ich weiß doch, wie viel du zu tun hast.« Sie verspürte das dringende Bedürfnis, das Thema zu wechseln. »Willst du was trinken? Vielleicht ein Glas Wein?«

Er zögerte. »Haben wir Bier da?«

»Bier? Ich … Ja, ich glaube schon …« Sie riss die Kühlschranktür so heftig auf, dass der Inhalt klirrte. Sie hatte einen Sauvignon blanc kalt gestellt, aber er wollte Bier. Sonst tranken sie doch immer Wein. Warum wollte er auf einmal ein Bier? Zeigte sich hier bereits der Einfluss dieser Mandy? Christy kramte zwischen dem Gemüse und den Essensbehältern für Holly nach der Flasche Bier, die noch von Zacs letztem Besuch übrig war. »Hier.« Sie hielt Seb die Flasche hin und sah zu, wie er sie öffnete und einen großen Schluck trank, ohne den Umweg über ein Glas zu nehmen.

»Danke.« Er senkte die Flasche. »Schläft Holly schon?«

»Ja. Aber sie wäre am liebsten wach geblieben, bis du zu Hause bist.«

Er verzog das Gesicht. »Ich hasse es, wenn ich die Bettgehzeit verpasse.«

Weiß Mandy eigentlich, dass du eine Tochter hast, die zu Hause darauf wartet, dass du ihr einen Gutenachtkuss gibst?

»Das Abendessen ist inzwischen leider ungenießbar, aber ich habe noch Suppe im Kühlschrank, die ich dir aufwärmen könnte.«

»Nicht nötig.« Er lockerte seine Krawatte und öffnete den obersten Hemdknopf. »Ich hab mir schnell was besorgt, ehe ich in den Zug gesprungen bin. Alles in Ordnung mit dir? Du wirkst ein bisschen gereizt.«

»Gereizt? Ich bin nicht gereizt. Alles in Ordnung.« Sie bekam kaum noch Luft. Ob er mit ihr gegessen hatte? Bei Kerzenschein? Hatten sie gemeinsam gelacht? Händchen gehalten? »Im Kühlschrank sind Käse und Weintrauben.«

»Danke, ich möchte wirklich nichts.« Er trank sein Bier aus und räumte die Flasche weg. Dann schwieg er lange, ehe er sie ansah und sagte: »Wir müssen reden.«

Was? Nein! Nein, das mussten sie nicht. Nicht jetzt. Nicht so kurz vor Weihnachten.

»Du musst schrecklich müde sein, ich dachte, wir machen den Kamin an und schauen einen Film oder …«

»Christy«, unterbrach er sie in scharfem Ton. »Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss.«

Etwas, das sie nicht hören wollte. Nicht jetzt. Vielleicht auch nie, das hatte sie noch nicht entschieden.

»Aber wir müssen doch nicht …«

»Doch, wir müssen. Ich weiß, dass du gern einen Bogen um unangenehme Themen machst, aber dieses Gespräch hier lässt sich nicht vermeiden.«

Hatte er recht damit, dass sie Konflikten lieber aus dem Weg ging? Sicher, aber das war eine legitime Problembewältigungsstrategie. Und wenn er wusste, wie sie tickte, warum zwang er sie dann dazu, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, das sie lieber ignorieren wollte?

»Seb …«

»Ich muss mit dir reden. Es gibt etwas, das ich dir sagen muss«, wiederholte er. »Etwas, das du nicht gern hören wirst.«

Ihr Herz hämmerte inzwischen so heftig, dass ihr die Rippen schmerzten, und ihre Knie waren weich. Sie wollte, dass er aufhörte zu sprechen, aber offensichtlich würde er sich nicht erweichen lassen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als gegen ihre Panik anzuatmen und sich dem Unausweichlichen zu stellen.

»Worum geht es?«

Er holte tief Luft. »Ich kann euch nicht nach Lappland begleiten. Jedenfalls nicht sofort. Nicht wie geplant.« Er stand reglos da, die Schultern so verkrampft, als müsste er sich körperlich gegen ihre Reaktion wappnen. »Ich habe am Dienstag ein wichtiges Meeting.«

»Ein … Meeting?« Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte gedacht, er würde ihr beichten, dass er eine Affäre hatte. Ich habe einen Fehler gemacht, und ich hoffe, du kannst mir verzeihen.

»Ich weiß, wie enttäuscht du sein musst. Du träumst schon ewig von dieser Reise. Außerdem ist Weihnachten, und ich weiß, wie wichtig dir Weihnachten ist.«

Er wusste, wie wichtig ihr Weihnachten war, und trotzdem war er bereit, alles kaputt zu machen?

»Soll das heißen, du kommst nicht mit nach Lappland?«

»Doch, ich komme, nur ein paar Tage später. Ich muss den Flug umbuchen. Und Holly und du, ihr fliegt ohne mich voraus.«

Ohne ihn? Aber die Reise nach Lappland hatte ein Familienurlaub werden sollen! Ein ganz besonderes Erlebnis, an das Holly ihr Leben lang denken würde. Was unmöglich war, wenn ihr Daddy nicht mitkam. Weil ein Urlaub ohne Seb kein Familienurlaub war. War das denn so schwer zu verstehen?

Sie bekam kaum ein Wort heraus. »Du musst an Weihnachten arbeiten?«, stieß sie hervor.

»Nicht an Weihnachten direkt. Aber bis kurz davor, ja. Glaub mir, ich bin darüber genauso unglücklich wie du.«

Sie glaubte ihm kein Wort. Wenn er so unglücklich darüber war, warum tat er es dann?

»Was ist das für ein Meeting? Ihr arbeitet doch im Team. Kannst du das nicht delegieren?«

»Nein, ich muss selbst dabei sein. Tut mir leid, ich habe keine Wahl.«

Er mied ihren Blick, was mehr sagte als tausend Worte. Blickkontakt zu halten war immer seine Stärke gewesen. Eine der vielen Eigenschaften, weswegen sie sich so zu ihm hingezogen gefühlt hatte, dass er sie angesehen, sie wirklich gesehen hatte.

Nicht so wie jetzt. Er würde nicht mit ihnen nach Lappland kommen. Angeblich, weil er keine Wahl hatte.

Man hat immer die Wahl.

Arbeit? Bildete er sich ernsthaft ein, dass sie ihm das abkaufte? Sie wusste, wie gut er in seinem Job war. Schließlich war er schon mehrfach befördert worden. Aber niemand war unverzichtbar. Und wenn es wirklich um die Arbeit ging, wer war dann diese Mandy, und warum verheimlichte er ihr, dass er sich mit ihr traf?

Inzwischen war sie so panisch, dass sie kaum mehr einen klaren Gedanken fassen konnte. Alix’ Warnung lief in Dauerschleife durch ihren Kopf.

Was weißt du denn schon über ihn? Er ist ein Weiberheld.

Stimmte das? Hatte Alix von Anfang an recht gehabt?

Was sollte sie jetzt denn nur machen?

Sollte sie ohne ihn nach Lappland fliegen und darauf hoffen, dass sich ihre Probleme in ihrer Abwesenheit von selbst lösten? Oder sollte sie Holly die Enttäuschung zumuten und zu Hause bleiben, um sich mit dieser Krise auseinanderzusetzen?

Ganz gleich, wie sie sich entschied, eins war klar, Weihnachten würde dieses Jahr die reinste Katastrophe werden.

3. KAPITEL

Alix

Ob sie glücklich mit ihrem Leben war? Was war das denn überhaupt für eine Frage? Und warum hatte Christy sie gestellt?

Alix liebte