Weltbürger - Peter Coulmas - E-Book

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Peter Coulmas

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Beschreibung

Der Traum vom Weltbürgertum Dies ist eine umfassende Geschichte des Kosmopolitismus: von den Anfängen im klassischen Griechenland bis zur Entstehung des «planetarischen Bewußtseins» am Ende des 20. Jahrhunderts.

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Peter Coulmas

Weltbürger

Geschichte einer Menschheitssehnsucht

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Über dieses Buch

DER TRAUM VOM WELTBÜRGERTUM

Dies ist eine umfassende Geschichte des Kosmopolitismus: von den Anfängen im klassischen Griechenland bis zur Entstehung des «planetarischen Bewußtseins» am Ende des 20. Jahrhunderts.

Über Peter Coulmas

PETER COULMAS, 1914 als Sohn griechischer Eltern in Dresden geboren, ist mit Griechisch als Muttersprache, aber Deutsch als Sprache seines journalistischen und schriftstellerischen Ausdrucks aufgewachsen. Er studierte, promovierte und habilitierte sich in Hamburg. Als einer der bekanntesten deutschen Rundfunkkorrespondenten ist er auf allen Kontinenten herumgekommen, hat Jahre in Frankreich, England, den USA gelebt.

Inhaltsübersicht

Einige Kapitel der ...Danae Coulmas, der ...VorbemerkungenTeil 1 KosmopolisKapitel 1 WeltKapitel 2 Der BürgerKapitel 3 Der WeltbürgerKapitel 4 Alexanders WeltreichKapitel 5 Die stoische WeltgesellschaftTeil 2 ChristianopolisKapitel 6 Byzanz: Ein Gott – ein Reich – ein KaiserKapitel 7 Augustinus: Die neue Sicht der WeltKapitel 8 Abendland: Einheit und FriedenKapitel 9 Treffpunkt Straße: Mobilität und HorizonterweiterungTeil 3 Die weite WeltKapitel 10 Die Wiedergeburt des WeltbürgertumsKapitel 11 Die planetarische ExplosionKapitel 12 Die Republik des Geistes: das 18. JahrhundertTeil 4 Die neue ZeitKapitel 13 Der Rückfall: Nationaler UniversalismusKapitel 14 Kosmopolitische MilieusKapitel 15 Globalisierung und ZerfallNamenregisterÜber den Autor

Einige Kapitel der vorliegenden Arbeit sind im Wissenschaftskolleg zu Berlin entstanden. Für die während dieser Zeit erhaltenen Anregungen danke ich den Fellows der Jahrgänge 1987/88 und 1988/89 sowie dem Gründungsrektor, Professor Dr. Peter Wapnewski, und dem heutigen Rektor, Professor Dr. Wolf Lepenies.

Danae Coulmas, der kritischen Leserin zugeeignet

Vorbemerkungen

In diesem Buch wird zum ersten Mal der Versuch unternommen, eine Geschichte des Kosmopolitismus zu schreiben. In keiner der mir zugänglichen Sprachen bin ich auf einen entsprechenden Titel gestoßen. Die wissenschaftliche Literatur zum Kosmopolitismus einzelner Epochen, insbesondere der beiden wichtigsten, des hellenistischen Zeitalters und des 18. Jahrhunderts, ist reichhaltig. Auch in den letzten Jahrzehnten, während deren dem Thema wenig Geschmack abgewonnen wurde, sind – vor allem auf französisch, englisch, auch italienisch – wichtige Werke und Abhandlungen zu diesen Zeitabschnitten und zu Einzelaspekten des Kosmopolitismus (Reisen, Exil, der Fremde) erschienen. An Gesamtdarstellungen aber fehlt es. Wohl sind mehrere ideen- oder institutionengeschichtliche Werke über die Geschichte des Internationalismus[1] geschrieben worden, die in den einschlägigen Abschnitten auch das Phänomen Kosmopolitismus behandeln. Aber trotz vieler Berührungspunkte handelt es sich um unterschiedliche Begriffe, die zwar gemeinsamen universalistischen Wurzeln entspringen, aber insbesondere seit Mitte des 19. Jahrhunderts gegensätzlich nuanciert sind. «Der Internationalismus steht definitionsgemäß in Gegensatz zum Kosmopolitismus; denn dieser ist seinem Wesen nach einheitlich (unitaire) und visiert die ganze Menschheit als eine einzige soziale Gruppe an. Der Internationalismus hingegen gründet sich auf die Nationen»[2], lautet eine zu enge, aber verbreitete Definition.

Daß nur einzelne kosmopolitische Epochen zum Gegenstand von Untersuchungen genommen worden sind, folgt aus der Tatsache, daß es eine Geschichte des Kosmopolitismus als Ganze nicht gibt, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie es eine Geschichte der griechischen Polis, des chinesischen Reiches, der burmesischen Tempelarchitektur oder der Mikrobiologie gibt, also eines sich in steter Entwicklung befindlichen historischen Subjekts. Der Kosmopolitismus hat keine Kontinuität über die Jahrtausende hinweg aufzuweisen – weder im Rahmen einer ideen- noch einer ereignisgeschichtlichen Darstellung.

Unterbrechungen werden selbst lexikalisch erkennbar. In dem «Historischen Handwörterbuch der Philosophie»[3] ist ein mit ausführlichen Zitaten und zuverlässigen Quellenangaben dokumentierter Artikel «Kosmopolit, Kosmopolitismus» zusammengestellt worden. Darin folgt auf die antiken Autoren von Anaxagoras bis Augustinus ein Jahrtausendsprung. Ohne Übergang werden nach einem beiläufigen Verweis auf Dante die einschlägigen Texte von Autoren der Renaissance bis zur Gegenwart, von Erasmus bis Oswald Spengler aufgeführt. Die Zwischenzeit erscheint als Epoche ohne Kosmopolitismus.

Tatsächlich aber hat es im Verlauf der abendländischen Geschichte fast niemals Zeiten gegeben, in denen kosmopolitische Vorstellungen oder Verhaltensweisen völlig gefehlt hätten. Auch wenn der Begriff Kosmopolitismus aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden war, haben sich doch kosmopolitische Elemente erhalten, haben sich Menschen als Kosmopoliten gefühlt und betragen, haben an einzelnen Punkten – z.B. während des «byzantinischen Jahrtausends» in Konstantinopel – kosmopolitische Verhältnisse geherrscht. Dadurch ergab sich ein «konstellativer Kosmopolitismus» – après ou avant la lettre: der Begriff wurde nicht verwendet, auch nicht gedacht, aber es entstanden Situationen, deren Ausdrucksformen wir unter das Phänomen Kosmopolitismus subsumieren können. Kosmopolitische Tendenzen sind – ins Jenseits transportiert, aber auch aufs Diesseits bezogen – von der christlichen Religion und Philosophie fortgeführt worden. Die Christenheit war eine Gemeinschaft der Gläubigen, für die weder Grenzen noch Herkunftszugehörigkeiten galten. Im Mittelalter waren überdies auf den unruhigen Straßen Europas Reisende aus verschiedenen Ländern unterwegs, Pilger, Händler, Fahrende, die einander begegneten und durch diese Kontakte kosmopolitisch aufgeschlossen wurden. In einem Zeitalter der kleinen abgeschlossenen Gemeinschaften bedeutete es viel, Fremde kennenzulernen und zu Hause über Fremdes berichten zu können.

Kosmopolitismus, wie von den Sophisten ersonnen – «ich bin ein Bürger der Welt» –, von den Stoikern zur Jahrhunderte vorherrschenden Doktrin erhoben, in hellenistischer und römischer Zeit als Völker überschreitende, urbane, sublime Mischkultur praktiziert und nach dem Jahrtausendsprung in der Renaissance wieder aufgenommen und im Zeitalter der Entdeckungen auf universale (oder wie man aus der interstellaren Optik der Gegenwart lieber sagt: globale oder planetarische) Dimension erweitert – dieser Kosmopolitismus ist nur in Europa heimisch.[4] Groß- und Weltreiche hat es in vielen Kulturen gegeben. Die Universalreligionen verkünden ihre alleinseligmachenden Wahrheiten weltweit. China hat sich als Reich der Mitte verstanden, um das herum sich die anderen Länder gleichsam in konzentrischen Ringen von abnehmender Wichtigkeit legten. Das Syndrom Kosmopolitismus ist aber in der einmaligen Verbindung seiner Elemente ein Produkt des – trotz Christentums und Mystik – stark diesseits- und realitätsbezogenen, rationalen abendländischen Geistes, zu dem es in anderen Kulturen keine Entsprechung gibt. Der universal gültige Rang der heutigen europäisch geprägten Weltzivilisation, die zu übernehmen und zu assimilieren sich alle Länder der Welt befleißigen, hängt mit dem spezifisch europäischen kosmopolitischen Anspruch zusammen.[5]

Dieser Kosmopolitismus wird durch drei Faktoren bestimmt: Ganzheit, Frieden, Freiheit, die zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Weise und Stärke zur Geltung kamen. Der Erfahrungshorizont des Kosmopoliten wird erstens als das irdische Universum, als die ganze Welt verstanden, so eng und räumlich begrenzt er in den Anfangszeiten auch tatsächlich gewesen sein mochte; die «Welt» reichte häufig kaum bis über die nächste Gebirgskette. Der Kosmopolit aber hat sich seit frühesten Zeiten aufgemacht, die Welt kennenzulernen, zu erschließen, zu besiedeln, auch zu erobern. Der Glaube an den historischen Fortschrittt, der sich damit – wertfrei – verbindet, ist eine Voraussetzung der kosmopolitischen Inanspruchnahme der Welt. In dieser einen Welt mußte – zweitens – Frieden herrschen. Das war Sinn und Inhalt der Universalität. Ohne Frieden wäre die ganzheitliche Absicht leer und bloß formal geblieben. Frieden war über alle Zeiten ein Desiderat der Menschheit, dessen Verwirklichung im Diesseits oder im Jenseits mit unterschiedlicher Intensität und Dringlichkeit angestrebt wurde. Als absolutes politisches Postulat ist aber eine Welt ohne Krieg zuerst von Erasmus formuliert worden. Toleranz gegenüber Andersartigen und Andersgläubigen ergibt sich aus dem Friedensgebot und bildet eine weitere Determinante des Kosmopolitismus. In dieser einheitlichen und befriedeten Welt muß – drittens – Freiheit, vor allem für Mobilität herrschen. Die Geschichte des Reisens ist ein Unterkapitel der Geschichte des Kosmopolitismus. Der Kosmopolit muß sich frei und ungehindert bewegen und frei agieren können, sowohl in politischer Partizipation wie in der privaten Entfaltung des Individuums. Die tellurischen, ständischen, religiösen Bindungen müssen gelöst oder im Begriff sein, sich aufzulösen. Erst dann entsteht die urbane, weltläufige, geschliffene Lebensattitüde, jene Sicherheit gegenüber dem Anderssein und die Überlegenheit im Auftreten des Kosmopoliten. Die Welt als Terrain ohne Grenzen will von dem Kosmopoliten durchschritten, er-fahren, er-kundet, er-wandert, er-kannt werden – gemäß der alten Händlerdevise «mein Feld ist die Welt».

Der Begriff Kosmopolitismus wird in zwei zwar zusammengehörigen, aber unterschiedlichen Bedeutungen nebeneinander oder konkurrierend verwendet. Einerseits ist gemeint, daß die Menschheit eine Einheit bildet oder bilden soll; die stoische Kosmopolis war die übergreifende Gemeinschaft, der (alle) Menschen und Götter angehörten. Über die Jahrtausende hinweg wurden diejenigen als Kosmopoliten bezeichnet, die den Anspruch erhoben, überall auf dieser Erde ein Heimatrecht zu haben und die die Grenzen, Ab- und Ausschließungen, Ein- und Ausreiseverbote und sonstigen Sperren und Barrieren für illegitim hielten.

Andererseits bezeichnet Kosmopolitismus das Interesse an fremden Menschen und fremden Ländern. Kosmopoliten sind Personen, die bereit sind, Mühe dafür aufzuwenden, Kenntnisse über die Fremde zu erwerben und sich mit Fremden zu verständigen – z.B. durch Erlernen fremder Sprachen oder durch Reisen in fremde Länder – und denen es darum leichtfällt, sich im Ausland aufzuhalten und mit Ausländern umzugehen.

Im Gegensatz zum Kosmopolitismus stehen alle Vorstellungen, die nach innen gerichtet sind, die die kleineren Einheiten abschließen und einer naiven oder archaischen patriotischen Gruppenidealisierung anhängen. Diese Einstellung wird trotz aller Rückfälle in nationalistisches Denken Ende des 20. Jahrhunderts von immer mehr denkenden Menschen als anachronistisch empfunden. In wenigen Jahrtausenden haben die Menschen die Erde ausgekundschaftet, in Besitz genommen und sich zu immer größeren Organisationseinheiten zusammengefügt. Es entstanden Gruppen von wachsendem Umfang. Heute ist unser Planet zumindest auf technisch-wissenschaftlichem, kommunikativem, verkehrsmäßigem und wirtschaftlichem Gebiet eine Einheit geworden. Ob dieser häufig unterbrochene, aber konsequent verlaufene Prozeß bis zu dem bisher als Utopie anvisierten Punkt der Vereinheitlichung des Menschengeschlechts fortschreitet oder nicht, ist eine prophetische Frage, die hier nicht zu erörtern ist. Daß dieser Punkt aber als Ziel erkannt wird, lehren nicht nur die vielen neuen Komposita des Begriffs Welt – von Weltbürger zu Weltkrieg und Weltbürgerkrieg, von Weltliteratur zu Weltwirtschaft, Weltachse, Weltausstellung, Weltruf, Weltherrschaft –, sondern auch die zahlreichen in diese Richtung zielenden ungewohnten Appelle und Überlegungen von Politikern und Intellektuellen. Zu dem Zeitpunkt, da diese Vorbemerkungen geschrieben werden, mahnte Bundespräsident von Weizsäcker die in Bonn akkreditierten Diplomaten beim Neujahrsempfang 1988, sie sollten helfen, die eine Welt zu schaffen (statt der ersten, zweiten, dritten und vierten, für die kein Bedarf bestehe); prognostizierte eine britische Finanzzeitschrift[6] die eine Weltwährung («nennen wir sie Phönix»), die von den Verhältnissen über kurz oder lang erzwungen werde; diagnostizierte der Sprachwissenschaftler Harald Weinrich «Mehrsprachigkeit» als «natürlichen Zustand des Menschen als eines geselligen Lebewesens»[7]; und forderte Präsident Mitterrand als Vehikel weltweiter Kommunikation die Erlernung mehrerer Fremdsprachen. Internationalität bewegt die Zeitgenossen, Globalismus ist ein Reizwort von hoher Aktualität – trotz der nationalistischen Rückschläge des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Welt als Einheit ist eine der großen Menschheitssehnsüchte. Wir insistieren nicht auf dem Terminus Sehnsucht, der nicht gemeinte psychologische Assoziationen wecken könnte. Die historischen Abhängigkeiten und Filiationen über die Epochen hin sind schwer nachzuzeichnen. Aber erkennbar ist das unermüdliche Neubeginnen, der nicht nachlassende Wunsch nach Einheit, bei Alexander dem Großen Pothos geheißen, von den Portugiesen saudade benannt, bei Nietzsche als Fernweh wieder auftauchend.

Gegenstand dieses Buches ist also der vielgestaltige und verflochtene Prozeß des allmählichen Zusammenwachsens der Menschheit und damit einhergehend ihrer allmählichen Zivilisierung. Dieser Prozeß erfolgt in immer neuen Anläufen und unter unterschiedlichen Benennungen, die zugleich begriffliche und intentionale Veränderungen und Differenzierungen anzeigen. Was in der Antike als Kosmopolitismus angestrebt wurde, hieß zu anderen Zeiten Universalismus, Internationalismus, Globalismus. Entscheidend ist, daß es sich um ein die Geschichte durchziehendes, den Menschen konditionierendes Ziel handelt. Mit Völkerbund, Vereinten Nationen und den zahlreiche Staaten übergreifenden und multinationalen Institutionen und Organisationen sind Stationen zu diesem Ziel, wenn auch nicht das Ziel selbst erreicht worden. Die Vielfältigkeit der Ansätze und Begriffe erklärt in letzter Instanz, warum bisher eine Geschichte des Kosmopolitismus noch nicht geschrieben worden ist. Der Prozeßcharakter der Entwicklung rechtfertigt den Versuch, es doch zu tun.

Teil 1 Kosmopolis