WENDEGIER - Hans-Martin Gutmann - E-Book

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Hans-Martin Gutmann

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Beschreibung

Ein Pastor im Salzgittergebiet an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze nach der Wende, Enttäuschungen und Morde: Das ist der 4. Krimi des Theologieprofs Hans-Martin Gutmann, der nun erscheint und deutsch-deutschen Befindlichkeiten nachspürt bis das Blut fließt. Vor Ort, eine der üblichen Szenen im Dorf: „Ich möchte nicht wissen, wie viel das Geburtstagskind dem Moderator dafür gezahlt hat, dass der im lockeren Plauderton seine Lebens- und Erfolgsgeschichte aufblättert: fünfunddreißig Millionen Lottogewinn!“ Alle sollten es nochmal wissen. Begeistertes Klatschen im Saal. Die Herren genehmigen sich noch einen. Der Cognac ist teuer und, zugegebenermaßen, sehr gut. Die Damen bleiben bei Champagner. Was hier als feuchtfröhliche Geburtstagsparty eines dörflichen „Finanzgenies“ beginnt, entwickelt sich schnell zum tödlichen Drama. Verbrechen. Zerstörung zahlreicher Existenzen westlich wie östlich des alten „antifaschistischen Schutzwalls“. Ein Jahr nach dem Aufbruch in die Freiheit vom November 1989 sind allzu viele Hoffnungen zerstört. Dorfpastor Lukas Bentorff gerät in ein Gestrüpp aus Gier, Habsucht und Mord. Hass und Enttäuschung beherrschen das Feld. Lukas Bentorffs vierter Fall.

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Seitenzahl: 219

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Der zentrale Ort und die Personen der Handlung sind frei erfunden. Übereinstimmungen sind rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung, Satz und Layout: Stefan Berndt Lektorat / Korrektorat: Ralf Diesel

ISBN: 978-3-95894-222-6 (Print) / 978-3-95894-223-3 (E-Book)

© Copyright: Omnino Verlag, Berlin / 2023

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

1

„Und, Ulf, wann hast du deine erste Million gemacht?“

Gefeixe im Saal. Café Lyon. Salzgitter Lebenstedt. Eigentlich eine Disco, jetzt festlich hergerichtet. Der Wirt, Werner Sagemann, hat mit seinen Leuten die Billardtische rausgetragen, die hier sonst eifrig frequentiert werden. Es gibt eine Bühne; im Café Lyon finden des Öfteren Jazz- oder Rockkonzerte statt. Das ist für diesen Abend von Vorteil. Heute sind bestimmt hundert Leute zu Gast. In Feierlaune. Edel gewandet. Die Damen tief dekolletiert, Klunker, hohe Absätze. Die Herren zumeist im Smoking.

Viele sind angeschickert. Die Party läuft bereits seit drei Stunden, als Fernsehmoderator Max Schautzer („Pleiten, Pech und Pannen“) das strahlende Geburtstagskind mit dieser Frage überrascht.

Ulf Wolkenstein. Wohnhaft in Klein Samtleben. Auf einem Anwesen außerhalb des Dorfes. Anwesen ist der angemessene Ausdruck. Für mein Gefühl etwas protzig. Über Geschmack lässt sich streiten. Ulf Wolkenstein gehört zu meiner Gemeinde, zumindest offiziell. Ich bin dringlich eingeladen, den Fünfundsechzigsten des Jubilars „mit meiner Anwesenheit zu beehren“, wie es im golddurchwirkten Einladungsschreiben heißt.

Ich komme mir völlig underdressed vor in meinem schwarzen Dienstanzug. Immerhin habe ich mich entschieden, das Collarhemd mit dem weißen Stehkragen anzuziehen. Damit sehe ich halbwegs passabel aus. Ich schätze, viele hier halten mich für katholisch oder für aristokratisch. Oder für ein wenig seltsam. Oder alles zusammen.

Ich möchte nicht wissen, wie viel das Geburtstagskind dem Herrn Moderator dafür gezahlt hat, dass der im lockeren Plauderton seine Lebens- und Erfolgsgeschichte gesprächsweise für alle aufblättert. Auf diese Weise hat er sich auf jeden Fall davon freigekauft, als Stimmungskanone aufzutreten.

Auswendig gelernt hat der „Pleiten Pech und Pannen“-Star die Erfolgsserie des Geburtstagskindes allerdings nicht. Er liest seine Fragen Punkt für Punkt von einem Spickzettel ab.

„Und die fünfunddreißig Millionen Lottogewinn?“

Begeistertes Klatschen im Saal. Die Herren genehmigen sich noch einen. Der Cognac ist teuer und, zugegebenermaßen, lecker. Die Damen bleiben bei Champagner.

Kurze Pause in der Lebensgeschichten-Präsentation. Die Band spielt.

Die ist übrigens wirklich nicht schlecht, die Musiker spielen engagiert, die Sängerin ist super. Jetzt locken sie einige von den betuchten Herrschaften zu wahrhaften Verrenkungen auf der Tanzfläche. „It`s Raining Men“ von den Wheather Girls. Das haut richtig rein. Dann „Voulez-Vous Coucher Avec Moi“ von Lady Marmelade und „Upside Down“ von Diana Ross. Die Musiker können wirklich was. Besonders die Sängerin. Lange rote Haare, knappsitzendes, sehr kurzes schwarzes Kleid, Lederstiefel. Und eine Stimme wie Janis Joplin in ihren besten Zeiten.

Mich juckt es auch in den Beinen. Schon lange nicht mehr getanzt.

Ich lasse es. Ich hab’ mehr Lust auf das begonnene Gespräch mit meinen Tischnachbarn. Auf jeden Fall so lange, wie ich noch geradeaus denken kann.

Ich habe mich schon vor zwei Stunden entschieden, meinen Mercedes 180 Baujahr 1955 stehen zu lassen und mich mit dem Taxi ins Pfarrhaus zurückbringen zu lassen. Ohne Alkohol überstehe ich diese Party nicht. Und das Auto liegt mir am Herzen. Ich will es nicht auf eine Verkehrskontrolle mit Alkoholspiegel-Überprüfung ankommen lassen.

Meine drei „Engel“ – unsere Gemeindesekretärin Marga Kleinschmidt, unsere Raumpflegerin Sabine Weimer und unsere betagte Rechnungsführerin Elisabeth Bothe – haben mir nach dem traurigen Hinscheiden meines 2CV, meiner geliebten „Ente“, vor ein paar Wochen dieses grandiose Auto überlassen. Also offiziell „geliehen“. Ohne dass ich dieses stolze Gefährt irgendwann zurückgeben muss. Seitdem habe ich seine Restauration Stück für Stück begleitet. Ich war fast jeden Tag irgendwann mal in dieser Schrauberwerkstatt in Klein Samtleben. Richtig nette Jungs. Wirklich kompetent. Jedenfalls halte ich mich noch strikter daran, keinen Tropfen zu trinken, wenn ich mich ans Steuer setzen will. Es wäre zu schade, wenn ich mit dieser schmucken Kiste einen Unfall bauen würde. Oder die Fahrerlaubnis loswürde.

Heute Abend habe ich heftig getankt. Nicht nur weil Rotwein und Cognac exquisit sind. Das sind sie wirklich. Auch, weil ich sonst diese Situation nicht aushalten würde. Ein dörfliches Schützenfest ist nichts dagegen. Karneval erst recht nicht.

Es ist nicht nur die aufgeblasene Selbstinszenierung des Jubilars. Auch ohne Präsentation durch den Fernsehstar wäre das wahrscheinlich schlecht auszuhalten. Es ist die Gesamtsituation.

Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden.

Filmzitat, ich weiß. Seitdem ich diesen wunderbaren Film gesehen habe – „Ein Fisch namens Wanda“ – gehen mir die zentralen Zitate nicht mehr aus dem Kopf. Originalton Wanda, gerichtet an diesen von Kevin Kline gespielten größenwahnsinnigen US-amerikanischen Dummkopf („Nenn mich nicht dämlich“ – „Ich hatte schon Pullover, die waren intelligenter als du“): „Wir müssen mal einige Dinge klarstellen. Aristoteles war kein Belgier. Die Hauptbotschaft des Buddhismus lautet nicht: ‚Jeder kämpft für sich selbst.‘ Und die Londoner Untergrundbahn ist keine politische Bewegung.“

Irre komisch.

Ich schweife ab. Liegt auch an der Gesamtsituation. Ungemütlich wäre glatt untertrieben. Ich habe mich vom ersten Moment an entschlossen, hier Distanz zu wahren. Milieustudien zu betreiben. Das ist eine andere Welt als „meine“ Dörfer Groß und Klein Samtleben. Auch eine andere Welt als „meine“ Universitätsstadt Göttingen. Mein Eindruck: Die Leute sind nicht hier, um zu feiern. Die sind hier, um zu zeigen, wie toll sie sind.

Wie viel Geld sie haben.

Genauer: Wie viel Geld sie ausgeben können.

Sei nicht eingebildet!

Ich rufe mich zur Ordnung. Versuche, mich zusammenzureißen.

An meinem Tisch sind die Menschen doch sehr unterschiedlich. Klar, es sind jede Menge Großkopferte darunter. Mir gegenüber sitzen – aufgetakelt und mittlerweile leidlich betrunken – Herr und Frau Soundso. Er ist einer der Chefs in irgendeiner Abteilung der Salzgitter AG. Neben ihm der Oberbürgermeister von Braunschweig nebst Gattin. Und auf der anderen Seite mir gegenüber ein Schauspieler aus dem Braunschweiger Staatstheater, heute solo, dessen Gesicht mir aus irgendeiner Aufführung vertraut ist. Ich kann mich bloß nicht mehr erinnern, aus welcher.

Sein Name will mir auch nicht einfallen.

Rechts neben mir sitzen sympathische Leute. Ich komme mit der Frau ins Gespräch. „Irmhild Förster, mein Name. Sie können Irmi zu mir sagen.“ „Lukas Bentorff, sehr angenehm.“ „Ich habe gehört, Sie sind der Pastor?“ Ich weiß aus vielen ähnlichen Situationen, was jetzt kommt. Irmhild Förster entschuldigt sich, dass sie nicht öfter zur Kirche kommt. Auch zu Weihnachten hat sie es in den letzten zehn Jahren nur zweimal geschafft. „Deshalb haben wir Sie noch gar nicht von Angesicht gesehen. Aber viel Gutes gehört ...“ Sie zögert. „Oder darf ich du zu dir sagen?“ „Gerne.“ Ihr Mann, er hat sich als Waldemar vorgestellt, springt ein: „Wir haben gar nichts gegen die Kirche. Sie machen ja ganz vernünftige Dinge. Für die Kranken da sein. Und Menschen würdevoll unter die Erde bringen.“

Ich lasse das so stehen. Mich interessiert etwas anderes. „Wie kommt es, dass ihr zu dieser Feier eingeladen seid?“

Das war nichts. Die Temperatur sinkt um einige Grade. „Ich meine: Seid ihr mit dem Gastgeber befreundet? Gehört ihr zur Familie?“

„Ach was.“ Die beiden müssen lachen. „Das ist sonst überhaupt nicht unsere Welt. Die Klamotten haben wir uns aus dem Theaterfundus in Braunschweig ausgeliehen.“ Jetzt können sich die beiden kaum noch beherrschen vor Lachen. Dann werden sie plötzlich ernst. „Nein. Wir sind hier aus dem gleichen Grund wie wahrscheinlich alle in diesem Raum. Wir haben Geld investiert in Projekte von Ulf Wolkenstein. Du etwa nicht?“

Ich bin erstaunt. Damit hätte ich nicht gerechnet. „Nein. Was für Projekte?“

„Na, Bauprojekte. Du kennst doch das Zehnfamilienhaus Ecke Söhlekamp und Günne?“

Na klar kenne ich das. Passt in die dörfliche Architektur von Klein Samtleben wie eine Flasche Whisky auf ein Radieschenbeet.

„Wir kennen den Ulf ja schon von Kindesbeinen an. Er ist so erfolgreich. Und wir können ihm trauen. Weil wir ihn halt kennen. Er ist eigentlich einer von uns. Und als er uns gefragt hat, ob wir Geld überhaben für ein Investment in der DDR, die ist ja bald unser eigenes Land, da haben wir nicht lange gezögert ...“

Das interessiert mich jetzt wirklich. „Wo denn in der DDR?“

„Na, in Quedlinburg. Im Ostharz.“ „Weiß ich. Ich komme aus der Gegend von Goslar.“ „Na, dann brauche ich dir ja nichts zu erklären. So eine schöne mittelalterliche Stadt. Und durch die DDR-Diktatur so verwahrlost. Ulf will die ganze Innenstadt aufkaufen, renovieren und in unserem Interesse vermieten ...“ Waldemar zögert. „Natürlich nicht die ganze Innenstadt für uns. Es ist ja offensichtlich eine ganze Reihe Leute beteiligt, wenn du dich hier umsiehst.“ Er schweigt eine Weile. Irmi schaltet sich ein. „Mich überrascht das auch. Ziemlich heftig sogar. Die meisten hier sehen aus, als hätten sie mehr Mittel flüssig als wir.“ Sie zögert. „Erheblich mehr.“ Waldemar Förster bläst die Backen auf und lässt die Luft in einem feinen Strom wieder raus. „Ach, mach dir doch nicht immer solche Sorgen, Schatzi. Wir werden unser Geld durch die Mieteinnahmen wieder reinkriegen. Mehrfach. Hat Ulf uns doch versprochen.“ Irmi sieht ihren Mann durchdringend an. „Okay. Auf dein Wort. Ich verlass’ mich drauf. Ich vertraue ihm.“

Ich bemerke, dass der distinguierte Herr gegenüber mitgehört hat. „Haben Sie auch investiert?“ „Na klar. Ich wäre verrückt, wenn ich das nicht machen würde.“ Er setzt ein Tigergrinsen auf. „Garantiert zwanzig Prozent Rendite. Mindestens.“ „Und wie hoch sind die Einlagen?” „Mindestbetrag hunderttausend.“ Irmi schaltet sich ein. „Ja, unser ganzes Geld halt.“

Der Salzgitter-Manager sieht sie mitleidig an. „Ich habe eine Million reingesteckt. Und das ist keinesfalls mein ganzes Geld.“ Er lacht süffisant. „Ich wäre ja bescheuert, alles auf eine Karte zu setzen. So sehr ich das Finanzgenie dieses Wolkenstein schätze.“

Irmi und Waldemar Förster lehnen sich zurück. Nippen an Cognac und Champagner. Sie sind plötzlich ernst. „Darf ich Sie was fragen?” Der Salzgitter-Stahlmensch sieht Waldemar ohne Rührung an. „Haben hier noch mehr Leute so hohe Summen gegeben?“

Der Stahlmensch zuckt die Schultern. „Selten unter einer Million, würde ich schätzen. Die Rendite-Aussichten sind einfach zu vielversprechend.“

Das Gespräch wird unterbrochen. Der Nachtisch wird serviert, dazu wahlweise Linie Aquavit, Grappa Riserva (muss sündhaft teuer sein) oder, als preiswerteres, Gegenstück Sambuca. Ich wähle den Grappa. Wennschon, dennschon. Dazu einen Espresso. Das Getränkeangebot wird gereicht zu einem Nachtisch aus Mousse au Chocolat, Pfirsicheis und Schwarzwälder Kirschtorte.

Wenigsten zum Abschluss hält sich das Mahl finanziell im Rahmen. Bisher gab es einen Aperitif (Kir Royal, ich habe mir stattdessen einen Bitter mit Soda erbeten) und seitdem drei Gänge: Consommé à la Célestine, dazu Weißwein Palacios Veldeorras; dann Pasta mit rohem Thunfisch; und schließlich als Hauptgang Wildente in edler Pilz-Weinsoße an geriebenen Trüffeln, dazu trockener spanischer Rotwein Remirez de Ganuza Reserva. Nebenbei kann jederzeit Hochprozentiges geordert werden.

Ich bin den ganzen Abend bei Whisky geblieben. Um den Gastgeber nicht allzu sehr zu schröpfen, bei meinem liebsten Iren.

Es geht mir so langsam richtig gut, seltsame Situation hin oder her. Ich muss mich nur konzentrieren, halbwegs verständlich zu artikulieren.

Otto Viersen schaltet sich ins Gespräch ein. Er sitzt einige Plätze weiter links von mir. Hat anscheinend das bisherige Gespräch verfolgt. In seiner Körperhaltung macht er glasklar deutlich, dass er nur den Stahlmenschen ansprechen will. „Sie haben noch gar nicht gesagt, was der eigentliche Clou der Investitionen in Quedlinburg ist.“ Der Manager zieht leicht die Augenbrauen hoch und mustert Otto Viersen scharf. In unserer dörflichen Kultur mag der Vorsitzende des Karnevalsvereins Lustige Jecken Groß Samtleben einen gewissen sozialen Status haben. Hier bedeutet das nichts. Eine Fliege hätte man kaum desinteressierter ansehen können. „Wie meinen?“

„Ich meine ...“ Otto Viersen ist rot geworden. Er gerät ins Stottern. Er wischt sich den Mund ab. Ich sehe aus den Augenwinkeln, dass Mira Viersen, seine Ehefrau, ihm beruhigend die Hand auf den Arm legt.

Otto Viersen steht auf. Redet laut. Das Gespräch am Tisch verstummt plötzlich. „Der Clou sind nicht die Wohnungen. Wohnungen kannst du überall bauen. Selbst in einem beschissenen Nest wie Klein Samtleben.“ Ich atme scharf aus. Die Missachtung der Menschen aus Klein Samtleben durch die alteingesessenen Groß Samtlebener hat Tradition. Und geht mir schon lange auf die Nerven.

Otto Viersen hat definitiv zu viel getrunken. Seine Frau zupft ihm am Ärmel. Sie sieht unglücklich aus. Der Gemahl lässt sich nicht aufhalten. Jetzt schreit er fast. „Wohnungen renovieren! Dafür hätte ich doch mein Geld nicht gegeben. Es geht doch um was ganz anderes.“ Er holt tief Luft. Der Stahlmanager sieht ihn eiskalt an. „Und das wäre?“

„Dass unser Volksgenosse Ulf Wolkenstein eine heilige nationale Verpflichtung erfüllt!“

Ratloses Schweigen am Tisch.

„Ich bin erschüttert über diesen Mangel an Geschichtsbewusstsein.“ Otto Viersen ist in seinem Element. Er artikuliert nicht mehr sauber. Das tut seinem Mitteilungsbedürfnis keinen Abbruch. „Seit der Tausendjahrfeier 1936 zum Todestag unseres ersten deutschen Königs, Heinrich I., leben die Fackelmärsche auf. Jedes Jahr. Fast bis Kriegsende. Zu Ehren Heinrich Himmlers, der Reinkarnation des großen Reichsgründers. Tausend Jahre jetzt wieder Wirklichkeit! Das tausendjährige Reich! Himmler hat die Feiern und Fackelzüge immer wieder mit seiner Anwesenheit beehrt. Ach was, beehrt, geweiht hat er sie!!! Welch Ehre für diese wunderschöne alte Stadt! Moderne und Tradition gehen zusammen! Und heute hat endlich einer den Mut, diese glorreiche Zeit zu würdigen. Unser Volksgenosse Ulf verbindet wirtschaftliches Geschick mit nationaler Verantwortung. Damals hat die SS die Wipertikrypta und die Kirche St. Servatii beschlagnahmt und zu Weihestätten wahren deutschen Volkstums gemacht. Heute macht Ulf Wolkenstein mit seiner Bautätigkeit, man muss sagen: mit unserem Geld, mit unser aller Geld … !!!“

Otto Viersen hat den Faden verloren. Er hat eine feuchte Aussprache und muss sich den Mund abwischen. Er greift sich die Flasche Grappa Riserva, die halbleer für alle zum Nachschenken auf dem Tisch steht, setzt sie sich an den Hals und trinkt in langen Zügen. Jetzt schreit er. Knallrot im Gesicht. „Ulf Wolkenstein bringt Deutschlands Größe voran! Für Führer, Volk und Vaterland!“

Ich will aufstehen und den Tisch verlassen. Der Salzgitter-Manager steht ebenfalls auf und brüllt Otto Viersen an: „Das will ich nicht gehört haben! Bleiben Sie mir mit diesem Nazi-Mist aus den Augen!“

Guter Mann.

Allgemeines Chaos am Tisch. Mittlerweile sind alle aufgesprungen. Nur Mira Viersen hat es geschafft, endlich ihren Mann wieder auf seinen Platz runterzuziehen. Für eine solche Situation wohl extra angeheuerte Wachleute eilen auf unseren Tisch zu und fordern uns auf, uns wieder zu setzen. Das ist keine Bitte, das machen sie ganz klar.

Mittlerweile sind die Wellen der Aufregung bis zum Tisch des Gastgebers geschwappt. Der Jubilar tritt ans Mikrofon. Diesmal redet er selbst. Der Fernsehmoderator steht halblinks hinter ihm. Schweigend. „Liebe Freunde!“ Ulf Wolkenstein macht eine Pause. Hebt und senkt beruhigend seine Arme. Nach und nach kehrt Ruhe ein. „Liebe Freunde! Es ist doch nur zu verständlich, dass Gefühle lebendig werden! Schließlich geht es ja um etwas, das uns allen am Herzen liegt. Ach, was sage ich: Was unser aller Herz höher schlagen lässt: Das liebe Geld!“ Vereinzelt Gelächter. Die Temperatur im Saal kühlt langsam ab.

„Ich bin es. Ja, ich. Ich habe euch alle überzeugt, dass ihr mir euer Geld anvertraut. Damit ich etwas Gutes damit machen kann. Etwas Großes. Etwas historisch Notwendiges in diesem großen Augenblick der Geschichte unseres Vaterlandes. Wieder vereint wollen wir die misshandelten und verwahrlosten Stätten im Osten wieder aufbauen. Wohnungen! Straßen und Plätze! Bauwerke! Kultur! Nationale Tradition!“

An den Tischen flammt Beifall auf. Ich habe den Jubilar genau im Auge. Er wirkt erleichtert. Anscheinend hat er die Situation vorhin doch als brisant erlebt. Die Feier hätte kippen können.

„Ja, anvertraut. Es geht um Vertrauen. Unsere Gemeinschaft lebt daraus. Vertrauen. Ohne Vertrauen, keine funktionierende Gesellschaft. Ohne Vertrauen, keine erfolgreiche Wirtschaft. Ohne Vertrauen, kein starker, aufrechter Staat. Unser Vaterland. Deutschland!“

Jetzt klatschen fast alle. Mein Umfeld hält sich wohltuend zurück. Der Stahlmanager klatscht nicht. Der Braunschweiger Oberbürgermeister klatscht nicht. Beide sehen besorgt aus und planen wohl einen halbwegs würdevollen Abgang. Irmhild und Waldemar Förster haben die Köpfe zusammengesteckt. Ich schnappe ein paar geflüsterte Sätze auf. „Was haben wir bloß gemacht?“ Irmi ist offensichtlich beunruhigt. Waldemar nimmt sie in den Arm. „Ach, Schatzi, das wird schon. Außerdem können wir es jetzt sowieso nicht mehr ändern ...“

Der Jubilar kommt ans Ende seiner Ansprache. „Und jetzt erbitte ich einen riesigen Beifall für die Musik. Für unsere wunderbare Band: The Commanders!“

Diesmal klatsche ich mit. Die Musiker können nichts dafür. Und sie sind wirklich gut.

„Und dann habe ich noch einen großen Wunsch. Ich liebe die moderne, internationale Musik. Aber ich habe eine größere Liebe im Herzen. Unser deutsches Liedgut! Ich weiß, dass viele Mitglieder des Männergesangvereins Samtleben heute mit uns feiern ...“

Hans Heribert Offheim, meist bloß Heribert gerufen, pensionierter Schulleiter und Leiter des Männergesangvereins, steht auf und macht ein Zeichen, dass die Sangesbrüder nach vorn auf die Bühne kommen sollen. The Commanders machen bereitwillig Platz. Ich komme ausgerechnet neben Otto Viersen zu stehen. Der baut sich links neben mir auf und tut so, als würde er mich nicht bemerken. Rechts neben mir steht Hugo Kleinhans, Bürgermeister der Gesamtgemeinde Samtleben und Feuerwehrhauptmann, Vorsitzender des Karnevalsvereins Groß Samtleben.

Der Mann der Kirche zwischen den beiden Chefs der Karnevalsvereine unseres Dorfes. Seit Jahrzehnten zerstritten. Seit kurzem in Frieden miteinander. Wenn ich der Gerüchteküche unseres Dorfes, dem Geflüster im „Brotladen“ trauen darf, dann ist dieser Friede reichlich brüchig ...

„Ich habe einen heißen Wunsch: Bitte singt mir das wunderschöne Heimatlied ‚Wieder einmal ausgeflogen, wieder einmal heimgekehrt‘!“

Allgemeine Erleichterung unter den Sängern. Heribert Offheim sieht auch entspannter aus als noch vor einer Minute. Wir sind heute schlecht besetzt. Der zweite Tenor fehlt fast vollständig. Dieses Lied können wir auch dann noch singen, wenn wir fast ohnmächtig sind.

Tosender Beifall, als wir geendet haben. Wir schließen noch eine Nummer an: „Du deutsches Lied, wohin, woher, ich jauchze von Feld und erklinge von Meer ...“ Jetzt fehlen uns einige Sangesbrüder doch ganz mächtig. Die Intonation sackt bis zum Liedende um mindestens anderthalb Töne. Trotzdem. Der Jubilar kommt auf die Bühne. „Danke! Danke, meine Freunde! Danke!“ Er wäre vor Rührung dem Chorleiter beinahe um den Hals gefallen. Der macht eine vorsichtig abwehrende Geste und gibt uns ein Zeichen, die Bühne zu verlassen.

„Halt!!!“ Otto Viersen hat sich nach vorn geschoben und drängt Heribert Offheim beiseite. „Wir singen noch einen! Kommt! Macht mit! Stimmt ein!“ Er singt laut. Einige wenige Stimmen fallen ein. Eher lustlos. „Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen! SA marschiert mit ruhig festem Schritt. Kam’raden, die Rotfront und Reaktion erschossen, marschier’n im Geist in unser’n Reihen mit.“ Das Horst-Wessel-Lied. Seit Ende der Zwanzigerjahre Kampflied der SA, später der gesamten NSDAP.

Im Raum sind einige aufgestanden. Sie grölen mit. Vereinzelt werden Arme zum Hitlergruß hochgerissen. Der Braunschweiger OB und der Stahlmanager verlassen nebst Gattinnen schnell den Saal. Ich sehe zu, dass ich von der Bühne runterkomme. Unser Ortsbürgermeister schnappt mich am Arm und bringt mich dazu, mich gemeinsam mit ihm vor Otto Viersen aufzubauen. „Schluss jetzt!“ Hugo Kleinhans kann richtig laut werden. Er ist nicht umsonst Feuerwehrhauptmann. Mit dieser Stimme kann er ohne Probleme unmissverständlich Befehle an den Mann bringen. „Schluss jetzt!“ Er boxt Otto Viersen auf den Solar Plexus. Der klappt zusammen, kann sich kaum auf den Beinen halten. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie die Ordner von allen Seiten auf die Bühne zuspritzen. „Du bist nicht nur ein Idiot, Otto Viersen. In meinen Augen bist du ein Arschloch!“

Zwei Ordner haken den Feuerwehrhauptmann links und rechts ein und wollen ihn nach draußen bugsieren. Er schüttelt sie ab.

Mich lassen diese Typen in Frieden. Hugo Kleinhans ist groß und offensichtlich kräftig. „Lasst mich ausreden, wenn euch eure Gesundheit lieb ist. Wo war ich stehen geblieben? Genau. Du bist ein Arschloch, Otto. Der Friede zwischen dem Karnevalsverein und den Lustigen Jecken ist vorbei. Aus und vorbei. Hast du mich verstanden? Jetzt ist wieder Krieg zwischen uns. In unserem Ort haben Nazis keinen Platz. Komm mir nicht wieder unter die Augen!“

Ich bin schwer beeindruckt. So viel Klarheit hätte ich von unserem Bürgermeister nicht erwartet.

Ich bin sehr gespannt, was das werden wird ...

2

Der Taxifahrer ist gesprächig. Drei Uhr nachts. Seine Schicht geht schon seit fünf Stunden, wie er mir erklärt. Ich bin eigentlich zu müde für eine Unterhaltung. „Sie fahren lieber nachts?“ „Ja. Ich kann meinen Gedanken nachhängen. Musik hören. Es gibt kaum Verkehr. Das Problem ist bloß, nicht am Steuer einzunicken ...“ „Da würde ich doch herzlich drum bitten!“ Er erzählt mir, dass er noch Jahre braucht, die Kredite für den Wagen und für die Lizenz als Taxifahrer abzustottern.

Wir haben jetzt das Ortsgebiet von Klein Samtleben verlassen und fahren Richtung Bundesstraße auf Groß Samtleben zu. Links von der Fahrbahn erscheint ein überdimensioniertes Bauwerk. Verkitschte Moderne. Säuleneingänge. Türmchen. Blau ausgeleuchteter Swimmingpool. Ringsum hohe Metallzäune. Ich beobachte, wie hinter dem Zaun zwei Kampfhunde versuchen, dem Taxi ein Rennen zu liefern. „Sie wissen, was das ist?“ Der Taxifahrer zeigt auf den Haupteingang. Wir kommen an einem Pförtnerhäuschen vorbei. „Ja, ich habe Fotos in der Salzgitter Zeitung gesehen. Was halten Sie davon?“

„Nichts. Gar nichts.“ Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. „Ich fahre hier seit Jahren immer wieder mal nachts vorbei. Ich habe Schritt für Schritt verfolgen können, wie dieses Monster von Gebäude hochgezogen wurde. Überall in Salzgitter werden Wohnungen zu eng für wachsende Familien. Wenn Kinder kommen, können viele kaum noch in ihren Behausungen existieren. Und dieser Herr Großmaul hier baut den Leuten seinen Palast direkt vor die Nase. Wissen Sie, wie viele Menschen hier wohnen? Einer. Genau einer. Ab und zu, wenn der Herr zu betrunken ist, darf ich oder einer von den Kollegen eine seiner Bekanntschaften vom Anwesen abholen und nach Hause fahren.“

„Ist Ulf Wolkenstein nicht verheiratet?“

„Davon habe ich auch gehört. Aber die Frau muss woanders leben.“

„Sie haben wahrscheinlich eine funktionierende Gerüchteküche.“

„Na klar. Unsere Schichten sind lang, oft stehen wir stundenlang, dann erzählen wir uns was. Wollen Sie das neueste Gerücht hören?“

Ich werde langsam wieder munter. Wir sind bald in Groß Samtleben angelangt. Ich will jetzt hören, was die Salzgitteraner Taxifahrer einander über Ulf Wolkenstein erzählen.

„Ich heiße übrigens Metin.“ „Lukas. Sehr angenehm.“ Er fährt den Wagen an den rechten Straßenrand, schaltet die Warnblinkanlage ein und dreht sich zu mir nach hinten. „Es wird erzählt, dass der Mann nicht nur ein Großmaul ist. Er ist ein Betrüger.“

Ich warte. Die Information ist mir zu pauschal.

„Ulf Wolkenstein hat ein paar Großprojekte realisiert und sich damit einen Namen gemacht. Auch bei denen, die in der Lokalpolitik was zu sagen haben. Das ist zutreffend. Der Mann ist hier groß geworden. Und gut vernetzt. Er hat viele, die ihn seit Kindesbeinen kennen, dafür gewonnen, in seine Projekte zu investieren ...“

Metin schweigt. Sammelt seine Gedanken. Mir geht durch den Kopf, dass er akzentfrei Deutsch spricht. Ich sage es ihm. „Kein Wunder. Ich bin hier aufgewachsen. Jedenfalls, es wird erzählt, dass dieser Herr außer den Vorzeigeprojekten kaum wirklich etwas baut. Besser: Seine Leute nicht wirklich etwas bauen lässt. Er sammelt jede Menge Geld ein und verspricht fantastische Rendite. Wenn Leute aus dem Geschäft aussteigen wollen, zahlt er sie meistens auch aus. Bisher jedenfalls. Meine Kollegen erzählen allerdings, dass sie verschiedentlich Menschen transportiert haben, die bei Nachtfahrten ins Reden gekommen sind. Die berichtet haben, dass Ulf Wolkenstein sie vertröstet hat, als sie ihre Investition zurückgezahlt haben wollten. Ein Fahrgast hat erst vor einer Woche mir gegenüber die Vermutung geäußert, dass der feine Herr Wolkenstein neu eingeworbene Einzahlungen dafür benutzt, alte Investoren zu befrieden, die kalte Füße bekommen und aussteigen wollen ...“

„Das klassische Schneeball-System.“ Mein Fahrer grunzt zustimmend. Ich bohre nach. „Sie ... ich meine, du hast selbst solche Nachtgespräche geführt?“

„Ja, einige Male schon. In letzter Zeit häuft sich das. Einmal habe ich eine weinende Dame transportiert, die ihre Rente vom Gelingen der Wolkenstein-Projekte abhängig gemacht hat und jetzt fürchtet, dass sie im Alter ohne jede Versorgung dasitzt ...“

Soll ich das glauben? Das wäre ja wirklich ein Ding. Vom Grad meiner Sympathien für diesen Immobilienhai her trau’ ich ihm alles zu. Genau das lässt mich vorsichtig werden, jedes Gerücht für bare Münze zu nehmen. Immerhin war einer der Chefs der Salzgitter AG bei seiner Geburtstagsparty. Und sogar der OB von Braunschweig ...

Ich bedanke ich bei Metin für das Gespräch. Ich gebe ihm ein großzügiges Trinkgeld. Er scheint sich wirklich zu freuen. Wir verabschieden uns freundschaftlich, als er mich vor dem Pfarrhaus von Groß Samtleben ablädt. Mein Zuhause.

Mittlerweile ist es vier Uhr nachts. Ich streife durch den Pfarrgarten. Anderthalbtausend Quadratmeter. Von mir, als einzelner Person, beim besten Willen nicht zu bewirtschaften. Dabei spielt das im Dorf eine große Rolle. Ob jemand seinen Garten in Ordnung hat oder verwahrlosen lässt.

Auch das Barockgebäude der Schlosskirche wird von diesem Grundstück umschlossen. Eine meiner beiden Predigtstätten. Die kleine romanische Kirche in Klein Samtleben liegt mir näher am Herzen. Und verschlingt bei weitem nicht so viele Kosten.

Ach, was soll’s. Ich bin jetzt schon bald zwei Jahre Pastor in beiden Dörfern. Ich lerne immer mehr Menschen kennen. Je mehr Geburtstagsbesuche ich mache, desto mehr Fenster und Hausfassaden bekommen Gesichter. Die Gesichter der Menschen, die hier leben. Ich bin gern hier. Auch wenn mir die Arbeit über den Kopf wächst. Und auch wenn ich mit manchen Gemeindemitgliedern heftige Konflikte auszufechten habe. Aber das gehört zu diesem Beruf. Genauso, dass ich viele Menschen hier habe, auf die ich mich rückhaltlos verlassen kann. Meine „drei Engel“ sind da die wichtigsten, aber keineswegs die einzigen.

Die Sommerferien haben begonnen. In diesem Jahr ausgesprochen spät. Vom zwölften Juli bis zum zweiundzwanzigsten August. Noch eine Woche, dann geht das dreiwöchige Konfirmandenferienseminar los. Es gibt noch unheimlich viel zu organisieren. Ich freu’ mich drauf. Doll.

Ich bleibe noch ein Momentchen draußen. Die Luft ist lau. Der Garten explodiert vor Leben. Mit dem Rasenmähen komme ich schon länger nicht hinterher. Die Monate sind ja leider vorbei, in denen alles in Blüte stand. Die Kirschbäume. Die Holunderbüsche. Der Flieder. Dieser Duft überall. Das war eine bezaubernde Zeit. Aber auch jetzt ist es toll. Alles wächst. Das wilde Leben.

Vor der Pfarrhaustür wartet Kalle auf mich. Der Kater ist mittlerweile aus der Katzenpubertät raus. Er muss viele Kämpfe mit seinen Konkurrenten im Dorf bestehen. Kalle ist mein Freund. Stolz. Kämpferisch. Stockdoof. Seitdem er nicht mehr alle naselang in den Flur meiner Wohnung scheißt, ist unsere Freundschaft noch dicker geworden.