2,99 €
Wenn das Böse erwacht Roland Greitner, ein arbeitsloser Obdachloser, lebt ein Leben am Rande der Gesellschaft – bis er plötzlich mit Erinnerungen eines brutalen Bankräubers konfrontiert wird. Als die Grenzen zwischen seiner eigenen Identität und den dunklen Taten des Mannes, dessen Leben er nun in sich trägt, verschwimmen, beginnt Roland eine gefährliche Jagd nach der Beute, die den Schlüssel zu seiner Vergangenheit und einer grausamen Wahrheit enthält. Verfolgt von gnadenlosen Verfolgern und von Visionen aus einer anderen Zeit gequält, muss er entscheiden: Ist er der Mann, der er war – oder der, der er geworden ist? In einem verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit stellt sich die Frage, wie weit er bereit ist zu gehen, um das Böse in sich selbst zu besiegen. Doch manchmal ist der wahre Feind nicht der, den wir jagen – sondern der, der in uns lebt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Titel:Wenn das Böse erwacht
Autor:Jonas Bleicher
Biografie:
Jonas Bleicher wurde 1983 in Berlin geboren und wuchs in einem Stadtteil auf, der ebenso von Kontrasten geprägt war wie sein späteres Leben. Schon als Jugendlicher zog es ihn in die dunklen Ecken der Stadt, in die unerforschten Straßenschluchten, wo er viele Jahre als Nachtschwärmer und Gelegenheitsarbeiter verbrachte. Die Begegnungen und Geschichten, die er dabei sammelte, prägten nicht nur seine Sicht auf die Welt, sondern auch seine Leidenschaft fürs Schreiben.
Mit 24 Jahren begann er, seine Gedanken in Form von Erzählungen zu fassen. Jonas arbeitete viele Jahre in verschiedenen Jobs, von denen keiner dauerhaft war – als Barkeeper, Taxifahrer und sogar als Nachtwächter in einem alten, verlassenen Fabrikgelände. Während dieser Zeit sammelte er Eindrücke aus dem Leben von Menschen am Rande der Gesellschaft, deren Schicksale ihn immer wieder zu tiefgründigen und düsteren Geschichten inspirierten.
Prolog
Was wäre, wenn Erinnerungen keine bloßen Spuren im Kopf eines Menschen wären? Keine flüchtigen Gedanken, die mit dem letzten Atemzug im Nichts verblassen? Stell dir vor, sie wären wie Samenkörner, die sich nach neuem Boden sehnen. Ein Bewusstsein stirbt, aber seine Erinnerungen treiben weiter, suchen, klammern sich an das Leben, das sie so plötzlich verlassen musste. Und wenn sie einen Wirt finden – einen Verlorenen, einen mit Platz im Kopf und nichts, was sie abwehrt – dann wachsen sie. Sie wuchern. Sie werden Teil von etwas Neuem.
Vielleicht werden die Erinnerungen dann mehr als bloße Bilder. Vielleicht werden sie zum Echo einer verlorenen Seele, die nach einer zweiten Chance greift. Oder nach Rache.
Kapitel 1: Der verlorene Mann Roland Greitner saß auf einer durchgerissenen Isomatte unter der Hackerbrücke in München. Es war kalt, wie immer. Seine Jacke, so dünn, dass man durch die Fäden die Löcher zählen konnte, bot wenig Schutz. Ein kälterer Wind weht durch die Pfeiler, zerrte an den Plastiktüten, die als Provianttaschen an einem rostigen Einkaufswagen hingen. Roland leerte die letzte lauwarme Dose Bier, die er sich von den paar Euro Pfand gekauft hatte, und ließ den Kopf hängen.
„Scheißdreck... alles im Arsch“, murmelte er und rieb sich die Schläfen. Der Kater von gestern war ein Monster. Sein Schädel pochte, als würde drinnen jemand mit einem Vorschlaghammer arbeiten.
„Ey, Greitner, bist du immer noch am Saufen, du Penner?“ Hannes, ein Kumpel von der Straße, kam angerollt. Er schob seinen eigenen Einkaufswagen, vollgepackt mit Stoffresten, leeren Plastikflaschen und einem alten Gaskocher. „Gib mal was ab, Alter, ich hab seit Tagen nix mehr.“ „Halt die Fresse, Hannes“, knurrte Roland und warf die leere Dose in seine Richtung. Sie prallte gegen den Wagen und klapperte auf den Boden. „Hab selber nix mehr.“ Verpiss dich.“ Hannes lachte rau, hustete dann und zog eine zerdrückte Zigarette aus seiner Jackentasche. „Du bist echt 'n scheiß Kumpel, Greitner. Kein Wunder, dass alle dich hassen.“ Roland antwortete nicht. Er hatte keinen Bock auf Streit. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte jemand einen Schraubstock angelegt. Dann kam der erste Schlag. Nicht auf seinem Schädel, sondern von innen. Ein Bild. Eine Szene. Ohne Vorwarnung.
Ein Mann, groß und bullig, stürzte durch eine Banktür. Er trug eine Sturmhaube, die schwarze Waffe in seiner Hand sah aus wie aus einem schlechten Actionfilm. „Runter, alle runter, oder ich knall euch ab!“ Die Stimme, laut, hart – sie war seine. Roland fühlte sich, wie seine Finger den Abzug umklammerten, obwohl er keine Waffe in der Hand hatte. „Greitner? Alles okay?“ Hannes' Stimme klang wie aus einem Tunnel. Roland spürte, wie die Welt um ihn herum verschwamm. Das nächste Bild war noch schlimmer. Eine Frau, schreiend, kniete auf dem Boden. „Bitte, ich hab Kinder!“ Die Antwort kam als Schuss. Ein Knall, der durch die Bank hallte, als hätte jemand einen Betonpfeiler gesprengt. Roland sah das Blut, spürte, wie der Rückstoß der Waffe durch seinen Arm jagte – doch er saß immer noch unter der Brücke, die Hände leer, das Herz rasend. „Alter, bist du drauf?“ Hast du was eingeworfen?“ Hannes packte ihn an die Schulter, schüttelte ihn. Roland schlägt die Hand weg. „Fass mich nicht an, Mann!“ Hannes hob die Hände. „Okay, okay, chill, du Psycho.“ Er kicherte und ging rückwärts. „Besser, du checkst mal, was du dir reinziehst, bevor du hier Amok läufst.“ Roland zitterte. Sein Magen krampfte sich zusammen. Die Bilder waren so echt gewesen. Er hätte schwören können, dass er die Waffe gehalten hatte, dass der Schuss aus seinem Finger kam. Aber das war unmöglich. Er hatte nie eine Bank betreten, außer um mal ein Konto aufzulösen. Er stand auf, wankte ein paar Schritte und lehnte sich gegen einen Pfeiler. Die Welt dreht sich. Eine andere Erinnerung taucht auf. Wieder dieselbe Stimme, wieder diese Hände – seine Hände – an einer Schaufel, die Erde auf einen dunklen Gegenstand warf. Ein Grab? Roland hörte das Geräusch von Erde, die auf Holz traf, und spürte den Geruch von
feuchtem Waldboden.
„Was zur Hölle...“ Er hielt sich an dem Pfeiler fest, keuchend, als hätte ihm jemand die Luft aus der Lunge geprügelt. Es musste der Kater sein. Oder irgendwas, was er getrunken hatte. Vielleicht hatte einer der anderen Penner seine Dosis angefasst und etwas reingeschüttet. Drogen? Pilze? Roland schüttelte den Kopf, doch das Bild blieb. Eine Leiche, ein Grab, eine Schaufel. Und er hatte es getan. Dessen war es sicher.
Kapitel 2: Die Vision vom Tod Roland wachte auf dem kalten Betonboden unter der Brücke auf. Sein Schädel fühlte sich an, als hätte ihn ein Zug überrollt. Die Nacht war unruhig gewesen – Träume, Flashbacks, Halluzinationen. Er konnte nicht mehr unterscheiden, was real war und was nicht. Er richtete sich auf, lehnte den Rücken gegen den Pfeil und rieb sich die Augen. Die Morgensonne blitzte durch die Betonstreben, blendete ihn, und der Lärm der Stadt begann sich in seinen Kopf zu bohren. Sein Magen knurrte. Es war ein vertrautes Geräusch, das ihn an seine eigene Bedeutungslosigkeit erinnerte. Aber dann war da noch etwas anderes. Eine Last in seinem Brustkorb, als würde dort etwas Schweres drin wüten und rauswollen.
Ein Bild flackerte auf. Wieder war es nicht seine.
Er sah eine Straße – laut, chaotisch. Blaulichter flackern, Menschen schrien. Er rannte, keuchte, das Adrenalin pumpte durch seine Adern. Kugeln zischten an seinem Kopf vorbei, schlugen in geparkte Autos ein, splitterten Scheiben. Seine Hand umklammerte eine Waffe, und Blut klebte an seinen Fingern. Nicht sein Blut. „Runter, ich knall euch alle ab!“ Die Stimme – wieder diese verdammte Stimme, die seine war und doch nicht seine sein konnte.
Roland schrie, schüttelte den Kopf, doch die Bilder ließen nicht nach. Er sah sich selbst stolpern, sah, wie er in einem Kugelhagel lief. Eine Kugel reißt durch seine Schulter, eine andere trifft seine Oberschenkel. Er fiel, der Asphalt unter ihm kühl und rau. Die letzte Erinnerung war eine klaffende Wunde in seiner Brust, Blut, das wie ein Fluss aus ihm herausströmte, und der kalte Blick eines Polizisten mit gezogener Waffe. „Halt! Bleiben Sie liegen!“ hatte der Polizist gebrüllt. Doch Roland – oder wer auch immer er in dieser Erinnerung war – hatte das nicht getan. Er hatte geschossen. Und dann war da nichts mehr gewesen.
„Scheiße... was ist das?“ Roland keuchte, seine Hände zitterten. Er spürte den Schmerz, obwohl er wusste, dass er nicht echt war. Er empfand das Brennen in seiner Schulter, das Reißen in seiner Brust. Aber als er unter seinem schmutzigen T-Shirt greift, war da nichts. Keine Wunde, kein Blut. Nur Narben von der Straße, aber die hatten nichts mit den Bildern in seinem Kopf zu tun. „Ey, Greitner! Was los mit dir? Guckst, als ob der Teufel hinter dir steht!“ Roland riss den Kopf hoch. Es war Franz, ein anderer Obdachloser, der ihn von weitem anstarrte. Franz war groß, kahl und hatte die Art von Gesicht, die man sofort vergessen wollte – ein Gesicht, das nach Ärger roch. „Lass mich in Ruhe“, knurrte Roland, immer noch von den Flashbacks gepeinigt. „Ach, komm, Alter, ich will nur reden.“ Franz kam näher, und Roland wussten, dass es nichts Gutes bedeutete. Franz war ein Arschloch, immer auf der Suche nach jemandem, den er einschüchtern konnte. „Ich hab nix, Franz“, sagte Roland und hob abwehrend die Hände. „Das seh ich, du kleiner Drecksack. Aber du schulst mir noch was von letzter Woche. Erinnerst du?“ Franz grinste breit, ein Grinsen, das mehr Zahnfleisch als Zähne zeigte.
„Ich schulde dir gar nichts, verpiss dich.“ Franz‘ Gesicht wurde hart. „Das seh ich anders.“ Er packte Roland am Kragen, riss ihn hoch und drückte ihn gegen den Pfeiler. „Vielleicht finde ich ja was bei dir.“ Oder soll ich nachhelfen?“
In diesem Moment schlug die nächste Vision zu. Ein Gesicht, ähnlich wie Franz‘, aber verzerrt vor Angst. Roland – oder der Bankräuber in seinem Kopf – hielt eine Pistole an die Schläfe des Mannes. „Du willst mich bescheißen, du Wichser?“ Wo ist die Kohle?“ „Ich hab sie nicht! Bitte, ich...“ Der Schuss unterbrach das Betteln. Blut und Hirnmasse spritzten gegen eine Betonwand. Roland fühlte, wie die Waffe in seiner Hand heiß wurde.
„Hörst du mir überhaupt zu, Greitner?“ Franz' Stimme holte ihn zurück in die Gegenwart. Roland sah ihn an, sah die hässliche Fratze, die Wut in seinen Augen. Und plötzlich konnte er nicht mehr denken. Seine Faust traf Franz mitten ins Gesicht. Ein dumpfes Knacken, dann ein Schrei. Franz taumelte zurück, hielt sich die Nase, aus der Blut spritzte. „Du mieser Bastard!“ brüllte Franz, zog ein Messer aus seiner Tasche und stürzte sich auf Roland.
Doch Roland reagierte schneller, als er selbst gedacht hätte. Er duckte sich, riss Franz‘ Arm zur Seite und schlug ihm den Ellbogen in die Rippen. Franz ging keuchend zu Boden, und Roland trat nach dem Messer, bis es klappernd ein paar Meter weiter rutschte. „Du willst mich abstechen? Versuch's noch mal, du Arschloch!“ Roland war außer sich, Adrenalin pumpte durch seinen Körper. Franz hob die Hände, hustete und spuckte Blut auf den Boden. „Du bist völlig irre, Mann!“ Er rappelte sich auf, nache sich gegen den Pfeiler und wankte davon, ohne noch einmal zurückzusehen.
Roland ließ sich zurück auf den Boden fallen, schnappte nach Luft. Die Visionen, die Gewalt, die Erinnerungen – sie waren jetzt Teil von ihm. Und er wusste, dass es schlimmer werden würde. Viel schlimmer.
Kapitel 3: Die Beute ruft
Roland saß auf einer Parkbank am Hauptbahnhof, eine Zigarette zwischen den zittrigen Fingern. Die letzten Stunden hatten sich wie ein Fiebertraum gefühlt. Erst die Flashbacks von Schießereien, dann die Prügelei mit Franz. Er wusste nicht, was mit ihm geschah, aber eines war klar: Es wurde schlimmer. Und dann war da dieses Bild, das sich in seinem Kopf gebrannt hatte – ein Grabstein mit der Aufschrift Anna Seidel . Er hatte es klar und deutlich gesehen. Der Name, die verwitterte Schrift, das Moos, das die Buchstaben umrandet. Und die kalte Gewissheit, dass etwas unter diesem Grabstein verborgen war. Aber war? Er zog an die Zigarette, inhalierte tief und blies den Rauch in die kalte Morgenluft. Seine Gedanken rasten. Warum zum Teufel sehe ich das? Warum fühle ich mich, als ob ich da war? Ein älterer Mann in einem abgetragenen Mantel setzte sich neben ihn. Er roch nach Urin und billigem Schnaps. „Haste mal 'ne Kippe, Junge?“ Roland schnaubte, zog die zerknitterte Schachtel aus seiner Tasche und reichte sie dem Mann. „Nimm dir eine, aber halt die Klappe.“ „Danke, Kumpel.“ Der Mann zündete sich die Zigarette an, musterte Roland aus blutunterlaufenen Augen. „Du siehst scheiße aus. Stress mit den Alten?“ „Ich habe keine Alte.“ Roland drückte die Zigarette aus und stand auf. „Und jetzt verpiss dich.“ „Hey, keine Hektik! Bin ja schon still.“ Der Mann hob die Hände, aber Roland hörte ihn nicht mehr. Sein Kopf war wieder woanders. Das Bild des Grabsteins kehrte zurück, diesmal klarer. Er sah sich selbst – oder besser gesagt, die Hände eines anderen – wie sie eine Schaufel in die feuchte Erde stießen. Der Schweiß lief ihm über die Stirn, während er ein Loch grub. Es war tief, tief genug, um etwas zu verbergen.
Ein Name kam ihm in den Sinn. Ein einziger Name, der sich wie ein brennendes Eisen in seinem Verstand drängte: Anna Seidel . Roland begann zu laufen, ohne zu wissen, wohin. Er lief durch die Straßen, vorbei an Cafés, Büros und Einkaufsläden. Sein Blick war starr, seine Gedanken wie in einem Tunnel. Er musste herausfinden, ob dieser Grabstein existierte.
Eine spätere Stunde steht vor einer öffentlichen Bibliothek. Der Geruch von altem Papier und abgestandener Luft schlug ihm entgegen, als er eintrat. Die Bibliothekarin, eine junge Frau mit starkem Dutt, warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Ja“, sagte er knapp, ignorierte ihren abscheulichen Blick auf seine schmutzige Kleidung. „Ich suche einen Namen. Anna Seidel. Gibt's irgendwo einen Friedhof, wo jemand mit dem Namen begraben ist?“ Die Frau hob eine Augenbraue. „Das ist eine eher ungewöhnliche Anfrage.“ „Bitte, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.“ Sie zögerte, ging dann zu einem Computer. „Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass wir solche Informationen haben.“ Aber ich sehe mal nach.“ Während sie suchte, trommelte Roland ungeduldig mit den Fingern auf den Tresen. Die Minuten zogen sich wie Kaugummi, bis die Frau schließlich nickte. „Es gibt tatsächlich eine Anna Seidel, die vor etwa 15 Jahren in der Nähe von Rosenheim begraben wurde. Ein kleiner Friedhof, kaum bekannt.
Hier ist die Adresse.“
Roland schnappte sich den Zettel, den sie ihm hinüberreichte. „Danke.“