Wenn die Seele nicht heilen will - Christine Seidel - E-Book

Wenn die Seele nicht heilen will E-Book

Christine Seidel

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Beschreibung

Plötzliche Angstzustände, Depressionen und das Gefühl, nicht mehr im Alltag zu funktionieren: Wenn alte Verletzungen durch eine Retraumatisierung ans Tageslicht kommen, leidet die Seele und verursacht oft unerklärliche Symptome. Verständlich und fundiert erklärt die erfahrene Traumatherapeutin Christine Seidel die verschiedenen Formen einer Traumatisierung, die Hintergründe, Ursachen und Behandlungsmethoden. Mit Übungen zur Selbsthilfe, konkreten Anlaufstellen in Deutschland, der Schweiz und Österreich und einfühlsamen Tipps gibt sie Betroffenen Hoffnung und zeigt einen Weg, wie sie wieder Halt und Struktur im Leben finden.

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Seitenzahl: 296

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Christine Seidel

Wenn die Seele nicht heilen will

Wie alte Verletzungen zu (Re-)Traumatisierung führen können und wie man sie überwindet

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung oder adäquate Traumatherapie dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

Originalausgabe

5. Auflage 2022

© 2020 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Stephanie Kaiser-Dauer

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt

Umschlagabbildung: Shutterstock/Irbena

Illustrationen: Shutterstock, Sonja Vallant

Satz: inpunkt[w]o, Haiger (www.inpunktwo.de)

Druck: CPI books GmbH, Leck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7474-0147-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-505-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-506-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Vorwort

Teil I – Von der dunklen Nacht der Seele ins Licht

Kapitel 1 Meine Geschichte

Kapitel 2 Traumatisierung – die Wunde entsteht

Kapitel 3 Retraumatisierung – alles Traumamaterial bricht nach oben

Teil II – Schritt für Schritt zurück ins Licht: praktische Hilfen für Betroffene

Kapitel 4 Was Sie selbst tun können: erste Hilfen im Alltag

Kapitel 5 Traumatherapien und ihre Wirksamkeit

Kapitel 6 Hilfe aus der Medizin und Naturheilkunde

Kapitel 7 Sie sind nicht allein: Selbsthilfegruppen und andere Unterstützung

Teil III – Übungen, die Ihnen guttun können

Kapitel 8 Das Dissoziationsbarometer als Orientierungshilfe

Kapitel 9 Dissoziationsstopps

Kapitel 10 Übungen zur Selbstregulation

Teil IV – (Re-)Traumatisierung als Tor zum Aufwachen

Kapitel 11 Spiritualität: Chance oder Flucht?

Kapitel 12 Was bedeutet Aufwachen?

Kapitel 13 Verkörperte Lebendigkeit durch Somatic Experiencing®

Kapitel 14 Warum zu viel Traumamaterial das Aufwachen unmöglich macht

Kapitel 15 Traumasensitive Achtsamkeit

Kapitel 16 Lebendige Stille

Kapitel 17 Die Bewusstheitsübung nach Christian Meyer

Kapitel 18 Was Trauma und mystische Erfahrungen gemeinsam haben

Kapitel 19 Spirituelle Lehrer: Nutzen und Gefahr

Resümee: Licht!

Kapitel 20 Die eigene Essenz kommt zum Vorschein

Anhang

Wenn allein nichts mehr geht: hilfreiche Adressen

Verwendete und weiterführende Literatur

Dank

Über die Autorin

Anmerkungen

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich hoffe, Sie halten mit diesem Buch etwas in der Hand, das Ihnen wirklich hilft, das Ihnen Orientierung, Halt, Einsichten und vor allem ganz praktische, umsetzbare Hilfe und Unterstützung liefert – all das, was ich mir vor über 13 Jahren gewünscht hätte, als ich selbst eine schwere Retraumatisierung erlitt. Damals wusste keiner und erst recht nicht ich selbst, was mit mir los war. Das machte mir sehr viel Angst. Die ersten Bücher über Trauma waren auf dem Markt, aber in ihnen konnte ich mich selbst nicht wiederfinden. Eine Zeit der Suche begann.

Wenn ich das, was ich heute als Traumatherapeutin weiß, schon damals gewusst hätte – ich hätte mir viel leidvoll verbrachte Lebenszeit, Umwege und Schmerz erspart. Denn auch wenn Trauma sich bei jedem Menschen anders äußern kann, so hat es doch eine Logik, und wo eine Logik ist, da ist auch eine Lösung. Aus diesem Grund schreibe ich dieses Buch, und das ist meine Botschaft: Es gibt ein Licht nach der Dunkelheit, und Sie können es erreichen! Dabei möchte ich Sie unterstützen.

Genau deshalb soll dieses Buch vor allem Hilfe zur Selbsthilfe sein und einen klaren Wegweiser für Menschen bieten, die von (Re-)Traumatisierung betroffen sind. Es ist ausdrücklich für Betroffene geschrieben und nicht für Profis. Vielleicht fragen Sie sich, warum ich die Klammern bei (Re-)Traumatisierung gesetzt habe? Ganz einfach – für mich ist dieses Buch vor allem für retraumatisierte Menschen geschrieben, eben weil so wenig über Retraumatisierung bekannt ist. Aber es ist natürlich auch für all diejenigen geschrieben, die mit Trauma an sich zu kämpfen haben. Denn auch diese finden in diesem Buch hilfreiche Informationen und Unterstützung, angefangen von den neurobiologischen Hintergründen aus Teil I – Von der dunklen Nacht der Seele ins Licht bis hin zu den verschiedenen Traumatherapieformen. Die Kapitel »Die Neurobiologie des Traumas« und »Die Polyvagaltheorie – die neuere Sicht auf unser Nervensystem« in Teil I habe ich bewusst etwas vereinfacht dargestellt, sodass es für Sie leichter ist, ein Grundverständnis dafür zu bekommen, wie unser autonomes Nervensystem funktioniert. Wenn Sie dieses Thema vertiefen möchten, finden Sie in meinem Literaturverzeichnis im Anhang weiterführende Hinweise. Dort finden Sie außerdem hilfreiche Adressen und Links.

Mir ist bewusst, wie schwierig das Lesen sein kann, wenn man mit Traumasymptomen zu kämpfen hat und sich unter Umständen nur auf sehr wenig konzentrieren kann. Daher ist dieses Buch sehr einfach und klar gehalten, sodass Sie auch immer nur kleine Abschnitte lesen und daraus trotz allem etwas mitnehmen können. Daher haben Sie auch die Möglichkeit, den Theorieteil zu Trauma und Retraumatisierung erst einmal zu überblättern, wenn Ihnen das zu viel ist, und gleich zu Teil II – Schritt für Schritt zurück ins Licht: Praktische Hilfen für Betroffene oder zu Teil III – Übungen, die Ihnen guttun können überzugehen. Holen Sie sich aus diesem Buch das, was im Moment passt, und hören Sie dabei auf Ihr Gefühl! Es wird Ihnen klar zeigen, was heute gut für Sie ist und was nicht, welche Übung Sie heute unterstützen kann und welche vielleicht gerade zu viel ist. Seien Sie flexibel und gehen Sie spielerisch an meine Übungsvorschläge heran. Nicht alles hilft jedem! Menschen sind und bleiben unterschiedlich, genauso wie jedes Nervensystem unterschiedlich reagiert – auch wenn der Aufbau, neurobiologisch gesehen, bei jedem Menschen gleich ist. Deshalb verläuft jede Heilung anders. Das erlebe ich als Traumatherapeutin immer wieder. Mal kommt es schon nach der ersten Traumatherapiestunde zu einer Veränderung zum Positiven, mal braucht es dazu viele Sitzungen. Obwohl ich immer logisch arbeite und oft einschätzbar ist, was für ein »Nervensystem« hier vor mir sitzt, sind die Reaktionen doch immer wieder neu und überraschend. Deshalb sind Achtsamkeit und Präsenz so wichtig, auch in diesem Buch.

Teil IV – (Re-)Traumatisierung als Tor zum Aufwachen ist sozusagen mein Bonusteil. Hier geht es um ein Sonderthema, welches ich seit vielen Jahren erforsche und mit dem etliche Klienten zu mir kommen. Da dieses Thema in der heutigen Zeit an Brisanz zunimmt, habe ich es aufgenommen. Ich stelle hier dar, wie ich gerade mit und durch Trauma in tiefere Seinsebenen wie Stille, Liebe und Frieden gelangen kann, und das dauerhaft. Heute spricht man in diesem Zusammenhang von »Aufwachen«, quasi ein Erwachen in unser wahres Selbst, unser wahres Sein. Dabei schildere ich sowohl die Chancen, aber auch die Fallstricke. Darüber hinaus gibt es in diesem Teil ein Kapitel »Traumasensitive Achtsamkeit«. Hier erläutere ich, warum traumatisierte Menschen oft große Schwierigkeiten haben, zu meditieren, und oft genug sogar meinen, tiefe Meditationserfahrungen zu machen, in Wirklichkeit aber dissoziieren. Ich beschreibe Ihnen, wie Sie für sich Achtsamkeitsübungen und Meditation so gestalten können, dass sie auch für Sie als traumatisierten Menschen funktionieren.

Nicht für jeden wird dieser Teil IV relevant sein, Sie können ihn auch einfach überspringen und gelangen dann zu dem mir sehr wichtigen Adressanhang. Im Adressanhang finden Sie hilfreiche Adressen und Links. Besonders freue ich mich, dass ich drei therapeutische WGs gefunden habe, die sich gut mit Trauma und Retraumatisierung auskennen und auch überregional aufnehmen. Wer es zu Hause nicht mehr allein aushält, könnte hier eine Zeit lang betreut wohnen. Wie Sie verstehen werden, konnte ich für Deutschland, Österreich und die Schweiz nur einige wichtige Städte aufnehmen, aber eben nicht alle. Das hätte den Rahmen dieses Buches gesprengt. Auch die Hilfsangebote sind nur eine Auswahl. In der Schweiz und in Österreich kam noch als Besonderheit hinzu, dass es hier nur wenige Kliniken gibt, die auf Trauma ausgerichtet sind. Sie müssen also unter Umständen selbst aktiv werden, wenn Ihre Stadt/Region von mir nicht aufgenommen wurde. Dafür können die Weblinks helfen, die teilweise überregionale Adressen enthalten. Und ansonsten bitte nicht aufgeben, sondern sich wirklich mal eine Zeit lang hinsetzen und selbst surfen. Manchmal braucht es einfach Zeit, bis das richtige Angebot im Netz auffindbar ist.

Im Anhang finden Sie außerdem noch die verwendete und Tipps für die weiterführende Literatur.

Noch ein Hinweis: Wegen der gendergerechten Sprache habe ich lange hin- und herüberlegt. Letztendlich sind der Verlag und ich wegen der besseren Lesbarkeit zu dem Schluss gekommen, die männliche Form zu verwenden, auch wenn ich damit nicht ganz glücklich bin. Ich meine natürlich immer auch und vor allem meine Leserinnen und alle Transgendermenschen!

Ich wünsche Ihnen viel Freude, Hoffnung, Erkenntnis und Heilung mit diesem Buch. Auf dass Ihr Licht wieder leuchten möge und Sie alle Liebe, Hilfe und Unterstützung dieser Welt erfahren. Sie haben es sich verdient!

Ihre Christine Seidel

Teil I – Von der dunklen Nacht der Seele ins Licht

Kapitel 1 Meine Geschichte

Ich schreibe dieses Buch als ehemals selbst von einer Retraumatisierung Betroffene und als heutige Traumatherapeutin. Von der Betroffenen zum Profi war es ein langer Weg. Aber beginnen wir am Anfang.

Bis Januar 2007 lebte ich als Mutter von zwei Kindern ein erfolgreiches Leben als Dozentin und Coach. Mir ging es gut – klar, es gab immer mal das eine oder andere Problem, welches es zu lösen galt, aber mithilfe von Coachings kam ich sehr gut zurecht. Während meiner Ausbildung zum NLP-Practitioner (Neuro-Linguistisches Programmieren) und Coach war zwar im Jahr 2000 ein erster Verdacht auf sexuellen Missbrauch aufgetaucht, womit ich ziemlich zu kämpfen hatte. Aber ich bekam das alles irgendwie in den Griff. Denn eines war ich immer: eine Kämpferin. Ich gab niemals auf, sondern biss mich durch. Ich schaffte es stets, egal welche Widrigkeiten mir das Leben oder mein Körper in den Weg stellten. Zeitweise fühlte ich mich so kraftvoll wie ein muskelbepackter American-Football-Spieler, und so ging ich durchs Leben. Natürlich gab es auch eine zarte und verletzliche Seite in mir, doch die nahm ich selbst nur bedingt wahr. Das Ausmaß meiner Verletzungen war mir in keinster Weise bewusst. Den Begriff »Trauma« kannte ich nicht. Ich durfte schon damals immer wieder tiefste innere Zustände von Liebe, Licht und Stille erfahren. So erlebte ich mehrere Monate in absoluter Liebe. Ich fühlte permanent Liebe, war gelassen und still, unabhängig von anderen Menschen oder äußeren Umständen. Das war ich. Ich dachte, ich sei weit gekommen – wäre da nicht das eine oder andere Körpersymptom gewesen, welches mich ab und an störte, etwa zunehmende Blasenentzündungen oder ein Mangelthema, das sich trotz aller Bemühungen meinerseits immer mal wieder meldete. Ich war der Überzeugung, in meiner persönlichen und spirituellen Entwicklung bereits weit fortgeschritten zu sein. Das dachte ich bis zu jenem alles verändernden Abend in meiner Coachingpraxis, der mein Leben über Jahre hinweg nachhaltig erschüttern sollte und mich fast vernichtet hätte. Was war passiert?

Ich hatte wieder eine sehr heftige Blasenentzündung, die mir große Angst machte und mit starken Schmerzen verbunden war. Da ich von Trauma und dem Umgang damit damals gar keine Ahnung hatte, traf ich eine folgenschwere Entscheidung. Ich wollte diese Symptomatik »aufstellen« – im Sinne der systemischen Familienaufstellung, bei der Personen oder Objekte stellvertretend für das Familiensystem räumlich angeordnet werden, um gewisse Beziehungsmuster erkennbar zu machen. Genauso kann man auch Symptome aufstellen, um dahinterzukommen, was es mit den Symptomen auf sich hat. Aus heutiger Sicht als Traumatherapeutin kann ich nur sagen: Das war der völlig falsche Weg – zumal ich das Ganze in der akuten Entzündungssituation »aufstellen« wollte. Auch das war ein großer Fehler. Ich war selbst in Familienaufstellungen ausgebildet und hatte damit gute Erfahrungen gemacht. Mit brachialem Willen wollte ich da jetzt ran! So fragte ich einen Freund, mit dem ich noch nie gearbeitet hatte und der selbst renommierter Aufsteller war, ob er mit mir die Aufstellung machen könnte. Er sagte zu, obwohl er kein gutes Gefühl dabei hatte. Ich hätte auf sein Gefühl hören sollen, es war ein letzter Warnhinweis, der mich vermutlich vor all dem Schrecklichen, das dann kam, hätte schützen können. Wir stellten das Symptom auf. Doch dabei blieb es nicht. Mein Freund nahm immer mehr Positionen mit in die Aufstellung, von denen für mich völlig unklar war, was sie zu bedeuten hatten. Zur Erklärung: Als Aufsteller darf man, wenn man das Gefühl hat, dass in der Aufstellung eine Person oder »Etwas« fehlt, dieses »Etwas« oder diese Person mit einer leeren Karte aufstellen, wohlgemerkt mit einer. Dann erforscht man selbstverständlich, in dem man sich auf diese Position begibt, wer oder was das sein könnte. Bei mir wurden viel zu viele »leere« Positionen aufgestellt, und vor allem wurde nicht erforscht, um wen oder was es sich da handelte. Ich blickte nicht mehr durch. Als selbst halbwegs erfahrene Aufstellerin fragte ich ihn, was er da tue. Er gab mir keine Antwort. Bis heute weiß ich nicht, was er da gemacht hat. Letztlich wurde die Aufstellung unbefriedigend aufgelöst. Ich war damit nicht glücklich, dachte aber in diesem Moment nicht weiter darüber nach. Mein Befinden war zunächst normal.

Zwei Tage später bekam ich aus dem Nichts massive Angstzustände und erlebte das, was ich heute Dissoziation und Depersonalisierung nennen würde. Zum besseren Verständnis: Bei einer Dissoziation trennt sich quasi der Geist vom Körper, ein Schutzmechanismus während einer stattfindenden Traumatisierung, der das Überleben sichern soll. Man spürt sich nicht mehr richtig und ist wie abgeschnitten von der Welt. Oftmals hat man den Eindruck, von seiner Umgebung wie durch eine Glasscheibe getrennt zu sein. Man kommt nicht mehr mit den anderen Menschen in Kontakt. Was ehemals als Schutzmechanismus gedacht war, taucht bei Reizen, die denen der ursprünglichen Traumatisierungssituation ähneln, immer wieder auf und fühlt sich schrecklich an (mehr dazu unter »Die Neurobiologie des Traumas«) – vor allem, wenn man solche Zustände nicht kennt, man nicht weiß, was sie bedeuten, und es einem auch keiner sagen kann. Bei einer Depersonalisierung erlebt man sich, seinen Körper, die eigenen Gefühle, ja, die eigene Identität als fremd.

Ich erkannte mich also selbst nicht wieder. Ich hatte den Kontakt zu mir, zu meiner inneren Stimme, zum Göttlichen völlig verloren. Da war nichts mehr außer Schwärze, Düsternis, Unverbundenheit und Orientierungslosigkeit. Ich konnte nicht mehr schlafen, nicht mehr allein sein, hatte keinerlei inneren Halt mehr, selbst am Computer zu sitzen überforderte mich – mein Nervensystem war so übersensibel, dass es die elektromagnetischen Strahlen des Computers nicht mehr aushalten konnte! Ich hatte Schmerzen in den Beinen, Mühe, mich zu konzentrieren, und war in einem permanenten Zustand von Dissoziation und Depersonalisierung gefangen. Ein Mensch kann wohl kaum Schlimmeres als diese Symptomkombination erleben. Und mir passierte genau das. Das, wovon wir hier sprechen, nennt sich Retraumatisierung. Allerdings kannte diesen Begriff damals niemand.

Durch die misslungene Familienaufstellung war gut integriertes und im Gehirn abgelagertes »Traumamaterial« – also sämtliche stattgefundenen Traumatisierungen und ihre Folgeerscheinungen – auf einen Schlag ins Bewusstsein geholt worden. Als Bild sah ich mich damals wie in tausend Teile zersplittert. Die Christine, die ich kannte, war verschwunden. Ich erkannte mich selbst nicht wieder und war gleichzeitig doch noch ich selbst. Meine Intelligenz, meine Fähigkeit zu denken funktionierten, sonst hätte ich mich nicht direkt auf die Suche nach Hilfe begeben können, nur der Rest funktionierte eben nicht mehr.

Da sich niemand in meinem Umfeld mit dem Thema Trauma auskannte und ich ja auch nicht wusste, was mit mir geschehen war, tappte ich im Dunkeln. Das war das Schlimmste überhaupt. Vor allem deshalb schreibe ich dieses Buch. Zu wissen, was mit einem los ist, macht schon die halbe Miete aus. Dann zu erfahren, was hilft, welche Methode, welche Maßnahmen, das ist schon fast die ganze Miete. Zwar ist das Erleben immer noch lange genug zutiefst schrecklich, aber ich kann mittels gezielter Traumatherapie wieder gesunden. Ich habe dann einen Weg ins Licht, so mühevoll er auch sein mag!

Bei mir tauchte das Licht lange, lange nicht auf. Ich versuchte es mit allen möglichen Techniken, von NLP über EFT (Emotional-Freedom-Technik – einer Klopftechnik aus der energetischen Psychologie, die oft bei Ängsten wie Flugangst verwendet wird) bis hin zu Heilern. Es wurde alles immer schlimmer, bis ich nach Wochen des Kampfes zusammenbrach und freiwillig eine Krisenstation aufsuchte. Krisenstationen sind Spezialstationen für Menschen, die in akute Krisen geraten sind und diese nicht mehr allein bewältigen können. Diese Stationen nehmen (in Deutschland) den Betroffenen meist bis zu zwei Wochen auf, um ihn erst einmal zu stabilisieren und zu schauen, wie es weitergeht. Krise wird hier auch als Chance begriffen. Darüber hinaus kann sich der Betroffene mit anderen Menschen austauschen, die gerade in eine Krise geraten sind. Krisenstationen sind vor allem in Großstädten zu finden.

In der Krisenstation konnte mir zwar auch keiner helfen, aber ich hatte Raum, um zu mir zu kommen. Und fand langsam wieder Zugang zu meinem Glauben. Ich fühlte mich nicht mehr ausschließlich von Gott verlassen, hatte nicht mehr dauerhaft den Eindruck, meine Anbindung und Spiritualität seien vollständig verloren gegangen. Ich hörte auch zum ersten Mal etwas zum Thema Trauma.

Leider konnte ich auf der Krisenstation nicht bleiben. Es folgten mehrere Klinikaufenthalte, ich lebte bei Freunden, in einem spirituellen Zentrum im Grünen in Hessen, wo ich überhaupt erstmals wieder allein schlafen konnte. Es war eine jahrelange, dramatische Odyssee, in deren Verlauf ich Mühe hatte, die Hoffnung nicht aufzugeben. Ich arbeitete in meinen schlimmsten Zeiten selbstfinanziert viermal pro Woche mit EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing – Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung; mehr dazu finden Sie unter »Traumatherapien und ihre Wirksamkeit« in Teil II). Diese psychotraumatologische Behandlungsmethode ist nur leider bei einer Retraumatisierung nicht das Mittel der Wahl, was weder ich noch der behandelnde Traumatherapeut wusste.

Ich wünschte mir so sehr Heilung! Ich hoffte auf die richtige Hilfe und Unterstützung, und die kam auch, wenn auch nicht mit einer sofortigen Erlösung von meiner Symptomatik, so, wie ich es mir gewünscht hätte, aber doch in kleinen Schritten – es gab die nächste Adresse, das nächste Buch, den nächsten Menschen, die mich ein kleines Stück voranbringen konnten!

Ich hatte meine alte Wohnung aufgelöst, da in meinem dortigen Praxisraum die Retraumatisierung stattgefunden hatte. Ich konnte dort nicht mehr wohnen, weil ich dort zu sehr an die schreckliche Aufstellung mit ihren Folgen erinnert wurde. So war es ein großer Schritt, im Dezember 2009 erstmals wieder in ein eigenes Zuhause zu ziehen, in eine WG in Berlins grünem Süden. Nun hatte ich endlich wieder einen festen Ort für mich und meine Kinder. Ich baute langsam alles wieder auf, auch meine Praxis. Ich erlernte als weitere Heilmethode »Thetahealing«, über die ich 2012 mein erstes Buch mit dem Titel Theta-Balance schreiben durfte, damals noch erschienen unter meinem Mädchennamen Christine Lemmrich. Das war ein großer Erfolg für mich!

Meine Suche hörte nicht auf. Mir war klar, dass es noch mehr geben musste als das Leid, das ich erfahren hatte: etwas Tieferes, Wahrhaftigeres. So lernte ich Ende 2009, parallel zu meiner Ausbildung in Thetahealing, den Psychotherapeuten und spirituellen Lehrer Christian Meyer kennen. Christian war das, was man heute aufgewacht nennt und früher erleuchtet nannte. Er befand sich in einem Zustand fortwährender Stille, Liebe und Freude und hatte sehr gute Methoden entwickelt, um auch anderen Menschen dieses »Aufwachen« zu ermöglichen. Da wollte ich hin! Ich wollte »aufwachen«! Zum einen spürte ich, dass das mein wahrer Seinszustand ist, meine wahre Essenz, zum anderen erhoffte ich mir dadurch die Erlösung von allem Leid. So wurde ich Christians Schülerin und machte bei ihm meine Ausbildung in »Tiefenpsychologisch fundierter und existenziell orientierter Psychotherapie« – einer Psychotherapieform für Menschen in existenziellen und spirituellen Krisen. Meine Lehrzeit bei ihm möchte ich nicht missen. Ich habe viel gelernt und bin Christian zu tiefstem Dank verpflichtet. Dennoch kam ich auch hier an meine Grenzen. Ich erreichte zwar immer wieder tiefere Seinszustände wie Stille und Weite, erlebte dann aber ein unangenehmes Abgleiten in die Dissoziation, aus der ich dann nur schwer wieder herausfand.

Etwa zum gleichen Zeitpunkt fing ich an, mich mit »Somatic Experiencing«, einer körperorientierten Form der Traumaverarbeitung, zu beschäftigen. Ich kannte mittlerweile quasi alle Methoden, die auf dem Markt waren, und hatte auch alle ausprobiert. Nur auf Somatic Experiencing®, welches mir Jahre der Qualen und der Suche hätte ersparen können, stieß ich leider erst sehr spät, zu einem Zeitpunkt, zu dem ich im Grunde bereits durch die Retraumatisierung mit all ihren Symptomen gegangen war. Trotzdem fing mit Somatic Experiencing® die eigentliche Arbeit erst an. Denn nur weil meine massiven Symptome aus der Phase der Retraumatisierung weg waren, hieß das ja nicht, dass meine Traumata geheilt gewesen wären. Ich verstand erst durch meine eigenen Sitzungen in Somatic Experiencing® und durch meine spätere dreijährige Ausbildung in der Methode, wie traumatisiert ich überhaupt war und was das bedeutete. Auf einmal erkannte ich die Logik hinter meinen Symptomen, konnte diese einordnen. Zu verstehen, dass Angstzustände eben nicht vom Himmel fallen, sondern vor allem durch eine hohe Erregung des sympathischen Nervensystems zustande kommen, war für mich extrem heilsam. Damit lag nämlich die Lösung auf der Hand, denn wenn es mir gelingt, diese hohe sympathische Erregung zu entladen, dann gibt es schlichtweg keine Angstzustände mehr! Mehr dazu finden Sie unter »Die Neurobiologie des Traumas«.

Durch meine Beschäftigung mit Somatic Experiencing® und der Erkenntnis, wie das Nervensystem neurobiologisch funktioniert, fand ich auch Antwort auf die Frage, warum ich beim »Aufwachen« immer wieder von der Stille in die Dissoziation gefallen war. Außerdem half mir der Austausch mit spirituellen Lehrern und Traumatherapeuten, die sich mit dem »Aufwachen« beschäftigt hatten. Da das »Aufwachen« für viele spirituell Suchende hochinteressant ist und Trauma sogar ein Tor zum Aufwachen sein kann, ist dieser Themenkreis als Teil IV – (Re-)Traumatisierung als Tor zum Aufwachen in dieses Buch eingegangen.

Da durch mein Buch Theta-Balance auffällig viele traumatisierte Menschen zu mir kamen, und ich mich von 2012 an auch in Somatic Experiencing® ausbilden ließ, beschloss ich, mich ganz auf das Thema Trauma zu spezialisieren. Ich fing an, Artikel darüber zu schreiben, und bemerkte so langsam, dass ich schreiben konnte. Es folgten weitere Aus- und Fortbildungen: bei Dr. Peter Levine, dem Begründer von Somatic Experiencing®, in der Schweiz, bei Lydia Hantke in Traumafachberatung und -pädagogik, bei der renommierten Traumaforscherin und Autorin Michaela Huber, in EMDR, in TRIMB (Behutsame Traumaintegration mittels Atmung, Bewegung und Imagination) bei Ellen Stangenberg, im »Traumasensitiven Yoga« bei Dagmar Härle, bei Marianne Bentzen und und und. Beschreitet man diesen Weg, dann gibt es immer mehr zu lernen. Es hört nie auf, und das ist auch gut so. Langsam, nach und nach, durfte ich von einer Betroffenen zur Expertin werden. Und so gehe ich meinen Weg weiter als Mensch, Frau, Traumatherapeutin und Forscherin!

Ich denke, dass ich Ihnen mit meiner persönlichen Geschichte schon sehr nachdrücklich vermitteln konnte, wie eine Retraumatisierung aussehen kann. Und genau deshalb habe ich sie aufgeschrieben, auch wenn ich mich damit sehr offenlege. Und ich will Ihnen natürlich auch Mut machen, dass Sie wieder aus Ihrer Retraumatisierung oder Traumatisierung herausfinden werden, genau wie ich. Nachfolgend möchte ich mit Ihnen zusammen die theoretischen und neurobiologischen Hintergründe, die Unterschiede zwischen einer Traumatisierung und einer Retraumatisierung genauer erforschen.

Kapitel 2 Traumatisierung – die Wunde entsteht

Was ist nun ein Trauma? Das Wort »Trauma« kommt aus dem Griechischen und heißt Wunde. Das bedeutet also, dass wir uns, wenn wir von einem Trauma sprechen, eine Wunde zugezogen haben. Wunden können größer und kleiner sein, sie können schmerzen, vernarben und heilen. Sie können nur den kleinen Finger betreffen oder den gesamten Körper. Dementsprechend kann uns diese Wunde ein wenig einschränken oder nur ab und an schmerzen oder unseren Körper ganz und gar bewegungsunfähig machen. So ist es auch bei einem psychischen Trauma.

Eine psychische Wunde, ein Trauma, kann durch ein einmaliges Ereignis verursacht worden sein, man spricht hier von einem Mono- oder auch Schocktrauma. Oder durch mehrere und länger andauernde Ereignisse. Diese nennt man komplexe Traumatisierungen. Zu ihnen zählt auch das Entwicklungstrauma.

Bevor ich auf die neurobiologischen Hintergründe einer Traumatisierung eingehe, möchte ich Ihnen zunächst die Unterschiede zwischen einem Monotrauma und einer komplexen Traumatisierung erläutern.

Monotrauma

Ein Mono- oder Schocktrauma wird durch ein einmaliges, unerwartetes und kurz andauerndes traumatisches Ereignis verursacht.

Für ein Monotrauma kann es ganz unterschiedliche Auslöser geben, von denen ich nun einige typische vorstelle.

Unfall

In meine Praxis kommt eine sehr erfolgreiche Psychologin nach einem schweren Verkehrsunfall mit Hubschraubereinsatz und OPs. Sie beschreibt den Unfall und die Versorgung danach nicht als traumatisierend, erklärt aber, dass sie seitdem Schulterprobleme hat. Physiotherapie hilft ihr nicht weiter. Deshalb kommt sie zu mir. Als wir zusammen arbeiten, wird deutlich, dass in der Schulter ein nicht vollendeter Bewegungsimpuls steckt. Während des Unfalls fuhr das andere Auto frontal auf sie zu, daraufhin wollte sich ihr Arm nach vorne bewegen, um sie intuitiv vor dem Zusammenstoß zu schützen. Da in diesem Moment der Airbag aufging und die Armbewegung stoppte, blieb diese gewissermaßen im Körper stecken und konnte nicht vollendet werden. Genau das wird in der körperorientierten Traumatherapie gemacht – die nicht vollendete Bewegung wird zum Abschluss gebracht. Danach war die Klientin beschwerdefrei.

Wichtig ist hier: Nicht jeder Unfall ist traumatisierend. Wie wir in »Die Neurobiologie des Traumas« noch sehen werden, sind unser Gehirn und unser Nervensystem prinzipiell zunächst einmal in der Lage, belastende Ereignisse zu verarbeiten.

Chirurgischer Eingriff

Und auch hier gilt: Nicht jede OP muss traumatisierend sein. Früher wurden Narkosemittel eingesetzt, die per se häufig schon traumatisierend wirkten. Heute wird vor allem mit dem Narkosemittel Propofol gearbeitet, das als sehr gut verträglich gilt. Die Patienten schildern das Einschlafen und Aufwachen als sehr angenehm. Genau diese Übergänge sind sehr wichtig. So müssen die Operierten nicht zu lange in beängstigenden Zwischenzuständen des Bewusstseins verharren. Eine OP kann dann traumatisierend sein, wenn sie nicht gut vorbereitet werden konnte, wie das beispielsweise bei einer Notfall-OP der Fall ist, und kann schon deshalb stark angstauslösend sein. Das heißt, der Betroffene hat keine Zeit, sich adäquat auf die OP vorzubereiten. Belastend kommt vielleicht noch eine drohende Lebensgefahr hinzu. Oder es fanden in der Vergangenheit schon mehrere OPs statt, die einen ungünstigen Verlauf nahmen. So habe ich zum Beispiel eine Klientin, die während einer OP aufgewacht ist und sich nicht äußern konnte.

Sollten Sie in nächster Zeit eine OP vor sich haben, dann sorgen Sie dafür, dass Sie ausreichend Zeit haben, mit dem operierenden Arzt zu sprechen und ihre Ängste zu äußern. In Berlin gibt es dazu im Krankenhaus Waldfriede das interdisziplinäre Konzept des angstfreien Krankenhauses. Hier können Menschen, die kurz vor einer OP stehen, mit Ärzten, Pflegekräften, Psychologen, dem Seelsorger und dem Sozialdienst ganz genau ihre Ängste besprechen. Darüber hinaus dürfen sie im Vorfeld den OP-Saal und die Intensivstation besuchen.

Genauso haben Sie ein Recht darauf, die Pflegeperson zu bitten, am OP-Tisch Ihre Hand zu halten und mit Ihnen zu sprechen, denn das kann eine Traumatisierung verhindern!

Sozialer Kontakt, Menschen, die uns trösten, anschauen oder halten – all dies kann eine Traumatisierung verhindern. Das kann im Vorfeld eines potenziell belastenden Ereignisses wichtig sein, beispielsweise vor oder nach einer geplanten OP.

So habe ich erlebt, dass es im Virchow-Klinikum der Charité Berlin selbstverständlich war, dass ich einem Familienangehörigen nach einer lebensgefährlichen OP auf der Intensivstation beim Aufwachen aus der Narkose die Hand halten durfte. Ich bin mir bis heute sicher, dass das eine Traumatisierung verhindert hat, denn das Umfeld voller piepsender Geräte und stöhnender Menschen und die OP selbst waren nicht schön.

Nahtoderfahrung

Laut dem Netzwerk Nahtoderfahrung e. V., einem Verein, der das Phänomen des Nahtods erforscht, haben mindestens vier Millionen Deutsche nach einem Unfall, einer schweren Krankheit oder Geburt oder einem anderen außergewöhnlichen Erlebnis bereits einmal in ihrem Leben eine Nahtoderfahrung gemacht. In meiner Praxis erlebe ich dabei zwei Phänomene:

Die positive Nahtoderfahrung ist oftmals gekennzeichnet durch wunderschöne Lichterfahrungen, oft auch nach dem Ende eines Tunnels, durch den als reell erlebten Kontakt mit Engeln und Verstorbenen und durch starke Glücksgefühle. Oft wird eine außerkörperliche Erfahrung beschrieben, ein Schweben und ein Betrachten des eigenen Körpers und des Tuns der Ärzte von außen. Manche berichten auch von einer Art Lebensrückblick. Viele verlieren durch diese Erfahrung ihre Angst vor dem Tod und verändern ihr Leben. Bei Etlichen gibt es sogar eine große Enttäuschung darüber, wieder in den Körper zurückzumüssen, haben sie doch tiefe Seinszustände von Liebe und Glückseligkeit erfahren – aus meiner Sicht also unser wahres Sein. Traumatherapie ist genau dann notwendig, wenn diese Erfahrung nicht verarbeitet und in das eigene Leben integriert wird, wenn es also quasi einen permanenten Zug in Richtung Tod gibt, um diese Lichterfahrung noch einmal zu machen. Zum Vergleich: Wer einmal Champagner gekostet hat, möchte danach auch keinen Sekt mehr trinken. Sprich: Das Leben auf der Erde wird dann als eingeengt, begrenzt und leidvoll empfunden. Ich helfe hier Menschen nicht nur durch die Traumaverarbeitung, sondern auch dadurch, dass ich ihnen spirituelle Wege aufzeige, wie sie den erlebten Seinszustand von Frieden, Stille, Liebe und Glückseligkeit auch hier auf der Erde erreichen können. Mehr dazu erfahren Sie in Teil IV – (Re-)Traumatisierung als Tor zum Aufwachen.

Genauso wie die positive Nahtoderfahrung gibt es leider auch die negative Nahtoderfahrung. Laut dem renommierten Kardiologen und Nahtodforscher Pim van Lommel sind zwei Prozent der Nahtoderfahrungen negativ. Die Betroffenen beschreiben hier oft das Erleben eines toten und dunklen Raumes. Sie sind voller Angst und Hoffnungslosigkeit. Dass diese Erfahrung traumatisierend ist, kann man sich wohl vorstellen.

Pim van Lommel beschreibt selbst die positiven Nahtoderfahrungen als Trauma. Mehr dazu finden Sie in seinem Bestseller Endloses Bewusstsein – neue medizinische Fakten zur Nahtoderfahrung. Ein weiteres tolles Buch, das ich Ihnen ans Herz legen möchte, stammt von Sabine Mehne. In ihrer Biografie Licht ohne Schatten beschreibt sie, wie ihre positive Nahtoderfahrung ihr Leben völlig veränderte und sie Jahre brauchte, um diese Erfahrung zu integrieren.

Schwerer Sturz

Ein schwerer Sturz, zum Beispiel von der Treppe, kann traumatisierend sein, muss es aber nicht. Wichtig ist: Wenn ich nach einem ersten Sturz feststelle, dass ich immer wieder völlig unerklärlich aus heiterem Himmel stürze, dann ist das kein Pech, sondern dann versucht mein Körper immer wieder, den ersten, ursprünglichen Sturz, der nicht verarbeitet werden konnte, zu vollenden und zu verarbeiten. Das tut er, indem er den Körper immer wieder stürzen lässt. In der Traumatherapie wird das dann tatsächlich sichtbar, zum Beispiel, wenn der Körper des Klienten sich zur Seite neigt und er geradezu vom Stuhl fallen will. Als Therapeutin unterstütze ich den Klienten und sein Nervensystem, indem ich ihn halte und darauf achte, dass sein Körper diesmal ganz, ganz langsam stürzen kann, ein wenig wie in Zeitlupe. Ich sorge damit dafür, dass das Nervensystem jetzt wirklich Zeit hat, zu verarbeiten, und dass alle in der Traumatisierung nicht abgeschlossenen Impulse jetzt zu Ende gebracht werden. Das kann dann so aussehen, dass der Betroffene sich vielleicht erst einmal ganz langsam im Liegen orientieren muss oder dass er sich vielleicht auf dem Boden auszittert.

Die meisten von uns haben es als Kind erlebt: einen Fahrradsturz. Und Sie werden mir zustimmen, dass dieser meist glimpflich abgelaufen ist, Sie nicht geschädigt hat und zu einer normalen Kindheit fast dazugehört. Das ist richtig. Anders ist es bei folgendem Beispiel, das zeigt, dass ein Sturz nicht unbedingt schwer sein muss, um traumatisierend zu sein: Ein kleiner Junge stürzt mit seinem Fahrrad und schlägt sich die Knie auf. Es ist weit und breit kein Erwachsener zu sehen, der im aufhilft und ein tröstendes Wort spricht, vielleicht sogar anbietet, ihn nach Hause zu bringen. Im Gegenteil: Er humpelt nach Hause und trifft dort auf seine Mutter, die ihn nicht tröstet, sondern für seinen Sturz noch beschimpft. Dann kann solch ein kleiner Sturz traumatisierend sein! Hier sind also vor allem die Reaktion der Mutter und die fehlende menschliche Unterstützung und Wärme der Auslöser für die Traumatisierung.

Medizinische Behandlung

Der Klassiker ist hier sicherlich die Zahnarztbehandlung, während der Behandlungsfehler gemacht wurden oder starke Schmerzen entstanden. Meist hat der Betroffene dann vor jedem weiteren Zahnarztbesuch große Angst. Und oft ist es so, dass es selbst nach einem Zahnarztwechsel wieder zu einer Fehlbehandlung kommt. So gibt es Menschen, die von einer ganzen Reihe beängstigender Zahnarzterlebnisse berichten können. Wie kann das sein? Auch hier gibt es die Möglichkeit, dass die erste traumatisch erlebte Zahnarztbehandlung alle weiteren bedingt. Das bedeutet nicht unbedingt, dass nur Sie immer wieder einen inkompetenten Zahnarzt erwischen, sondern vielmehr, dass – wie bei den Stürzen aufgezeigt – Ihr Nervensystem versucht, die ursächliche, als traumatisch erlebte Zahnarztbehandlung zu verarbeiten, indem es immer wieder ähnliche Situationen erschafft. Um diesen schmerzvollen Kreislauf zu unterbrechen, sollten Sie unbedingt Traumatherapie machen und den Erstauslöser verarbeiten!

Naturkatastrophen wie Erdbeben und Tsunami

Traumata müssen nicht immer menschengemacht sein, sondern können auch durch Naturkatastrophen wie den schrecklichen und völlig unerwarteten Tsunami an Weihnachten 2004 in Thailand hervorgerufen werden. Aufgrund des Klimawandels ist es zu erwarten, dass Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben etc. und damit auch die dadurch ausgelösten Traumatisierungen zunehmen.

Eine einzige Gewalterfahrung

Das kann ein Überfall sein, die Erfahrung, zusammengeschlagen worden zu sein. Das kann eine Vergewaltigung sein oder eine Entführung. Das Gefühl des Ausgeliefertseins oder der Ohnmacht ist hier ganz typisch.

Wohnungseinbruch

Selbst Wohnungseinbrüche können sich traumatisierend auswirken, auch dann, wenn der Wohnungsbesitzer zum Zeitpunkt des Einbruchs nicht zu Hause war. Schließlich geht es um den eigenen Schutzraum, den Ort, an dem man sich am wohlsten und sichersten fühlt. Mit einem Einbruch wird dem Betroffenen sein Schutzraum genommen. Die verlorene Sicherheit muss erst wieder aufgebaut werden. Dazu sind sicher ganz praktische Maßnahmen wie eine Alarmanlage oder ein besseres Türschloss nötig. Vielen hilft auch das Anschaffen eines Hundes. Traumatherapie ist dann nötig, wenn man sich auch Monate nach dem Wohnungseinbruch noch unsicher und ängstlich in seiner Wohnung fühlt und anfängt, diese zu meiden.

Terroranschlag

Die Gefahr von Terroranschlägen ist allgegenwärtig, denken wir nur an den Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 oder an den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016. Um langfristige Traumatisierungen zu verhindern, ist es ganz wichtig, dass Terroropfer frühzeitig professionelle und vor allem zutiefst menschliche Hilfe und Unterstützung bekommen. Wir erinnern uns, und dadurch kann eine Traumatisierung verhindert werden. Dazu wurde in Berlin im Jahr 2018 beispielsweise die »Zentrale Anlaufstelle für Betroffene von Terroranschlägen und Großschadensereignissen und deren Angehörige« eingerichtet.

Ein Monotrauma ist ein einzelnes Trauma, das häufig in wenigen Stunden Traumatherapie verarbeitet werden kann.

Komplexe Traumatisierung

Bei komplexen Traumatisierungen handelt es sich um eine Reihe von traumatischen Erfahrungen. Sie sind häufig lang andauernd oder wiederholen sich.

Diese Art der Traumatisierung ist also immer das Ergebnis mehrerer Traumata.

Eine meiner Klientinnen wurde in ein Elternhaus geboren, in dem beide Elternteile nicht wirklich präsent waren. Die Mutter war depressiv. Sie hatte Schwierigkeiten, mit ihrer Tochter in Kontakt zu treten, und zog sich oft in sich zurück. Dann war sie wieder lieb und bekuschelte sie. Das Kind wusste also nie, woran es war. Der Vater war meist in der Firma. In den seltenen Momenten, in denen er zu Hause war, trank er zu viel und wurde gegenüber seiner Ehefrau und dem Kind aggressiv. Als das Kind drei Jahre alt war, folgte ein mehrere Jahre andauernder sexueller Missbrauch durch einen Verwandten. Mit zehn Jahren hatte das Kind einen Skiunfall, musste notoperiert werden und verblieb, wie in den 1980er-Jahren noch üblich, zwei Wochen ohne Kontakt zu den Eltern im Krankenhaus.