Wenn Märchen sterben - Frank Esser - E-Book
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Frank Esser

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Beschreibung

***NACH »WIR SCHWEIGEN BIS INS GRAB« DER NÄCHSTE HOCHSPANNENDE FALL DER JANA-BRINKHORST-REIHE!***

»Ich bin der Tod und ich bin die Erlösung.«

Mordalarm im Amphitheater im Hamburger Stadtpark! Kriminalhauptkommissarin Jana Brinkhorst und ihr Team sind als Erste am Tatort und machen eine außergewöhnliche Entdeckung. Die Leiche wurde als Rotkäppchen verkleidet und entsprechend des Märchens in Szene gesetzt. Im Korb des Opfers befindet sich eine Botschaft des Mörders, die die Ermittler vor ein Rätsel stellt.
Noch ehe die Ermittlungen richtig in Gang kommen, wird eine zweite Leiche entdeckt. Dieses Mal ist die Tote als Hexe aus dem Märchen Hänsel und Gretel verkleidet. Eine weitere Botschaft des Täters lässt keinen Zweifel daran, dass es sich hier um eine Mordserie handelt.
Bei der Suche nach Gemeinsamkeiten der beiden Opfer wird Jana Brinkhorst schnell fündig. Das Motiv des Täters jedoch bleibt weiterhin unklar. Während sie die Vergangenheit der beiden Frauen durchleuchtet, kommt es zu einer überraschenden Wendung, die die Ermittlungen in eine völlig neue Richtung lenken. Werden noch weitere Leichen folgen? Und was hat es mit den Märchenmorden auf sich?

Der zweite Teil der Jana-Brinkhorst-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall. Beide Teile können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Epilog
Nachwort
Weitere Veröffentlichungen

Frank Esser

Wenn Märchen sterben

Über das Buch:

 

»Ich bin der Tod und ich bin die Erlösung.«

 

Mordalarm im Amphitheater im Hamburger Stadtpark! Kriminalhauptkommissarin Jana Brinkhorst und ihr Team sind als Erste am Tatort und machen eine außergewöhnliche Entdeckung. Die Leiche wurde als Rotkäppchen verkleidet und entsprechend des Märchens in Szene gesetzt. Im Korb des Opfers befindet sich eine Botschaft des Mörders, die die Ermittler vor ein Rätsel stellt.

Noch ehe die Ermittlungen richtig in Gang kommen, wird eine zweite Leiche entdeckt. Dieses Mal ist die Tote als Hexe aus dem Märchen Hänsel und Gretel verkleidet. Eine weitere Botschaft des Täters lässt keinen Zweifel daran, dass es sich hier um eine Mordserie handelt.

Bei der Suche nach Gemeinsamkeiten der beiden Opfer wird Jana Brinkhorst schnell fündig. Das Motiv des Täters jedoch bleibt weiterhin unklar. Während sie die Vergangenheit der beiden Frauen durchleuchtet, kommt es zu einer überraschenden Wendung, die die Ermittlungen in eine völlig neue Richtung lenken. Werden noch weitere Leichen folgen? Und was hat es mit den Märchenmorden auf sich?

 

Der zweite Teil der Jana-Brinkhorst-Reihe ist ein in sich geschlossener Fall. Beide Teile können unabhängig voneinander gelesen werden.

 

Der Autor:

 

Frank Esser, Jahrgang 1974, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitet seitdem in der Musikbranche. Er lebt in der Nähe von Aachen. Seine Liebe zu Krimis inspirierte ihn, seinen ersten Regionalkrimi zu schreiben, der in der Kaiserstadt spielt und 2017 veröffentlicht wurde. Mittlerweile veröffentlichte er neben seiner Aachen-Krimi-Reihe weitere Thriller und Krimis. Seit neuestem darf er sich stolzes Mitglied der Empire-Verlag-Familie nennen.

Frank Esser

Wenn Märchen sterben

 

 

 

 

 

 

 

 

Krimi

 

Jana Brinkhorst ermittelt: Fall 2

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die

Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Oktober © 2022 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Christine Weber – https://www.textimo.de/

Korrektorat: Vanessa Streng – https://www.buchgestalt.com/

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur

mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

http://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 360845874, Adobe Stock ID 17535037, Adobe Stock ID 353961071 und freepik.com

Prolog

 

Lisa Bukowski stöckelte ungelenk auf ihren viel zu hohen High Heels über den löchrigen Teerbelag des Bürgersteigs in der Süderstraße. Einen einzigen Freier hatte sie heute bedient. Ein widerlicher Typ, immerhin dreißig Euro für einen Blowjob ohne Gummi. Zuvor hatte sie sich stundenlang erfolglos die Beine in den Bauch gestanden, zu groß war die Konkurrenz auf dem Autostrich. Junge, zugegebenermaßen hübsche Mädchen aus Osteuropa schnappten ihr nicht nur die Kunden weg, sondern machten auch noch die Preise kaputt. Sie verdiente längst nicht mehr die Kohle wie früher an einem guten Tag. Attraktiv war sie damals gewesen, doch nach all den Drogen- und Alkoholexzessen hatte ihre einzigartige Aura von einst zugegebenermaßen ganz schön an Glanz eingebüßt. Nicht mal die Unmengen an Billig-Make-up, die sie sich täglich ins Gesicht spachtelte, konnten darüber hinwegtäuschen.

Roland, dieser verdammte Wichser, war schuld an ihrem Elend, dachte sie wütend, als sie den Gehweg entlang stakste. Ihr Stiefvater war zum ersten Mal in ihr Bett gekrochen, als sie zwölf Jahre alt gewesen war. Den Gestank von Alkohol, Zigaretten und Schweiß hatte sie heute noch in der Nase. Immer und immer wieder war sie in den folgenden Monaten von ihm missbraucht worden. Und was hatte ihre Mutter getan? Nichts! Die dämliche Kuh hatte es stillschweigend geduldet.

Wutschnaubend spuckte sie den schleimigen Klumpen aus, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Warum hätte das versoffene Stück, das sich ihre »Mutter« nannte, auch etwas dagegen unternehmen sollen? Schließlich hatte Roland ja die Kohle nach Hause gebracht, was damals so ziemlich das Einzige war, das ihre Mutter interessiert hatte. Mit vierzehn war Lisa von zu Hause abgehauen. Aus einem beschaulichen Dorf nahe Lüneburg war sie die knapp sechzig Kilometer nach Hamburg getrampt. Allein und nur mit zweihundert Euro in der Tasche, geklaut aus dem Portemonnaie ihrer Mutter.

Sie hatte einen Schlafplatz in einem leer stehenden Haus aufgetan, in dem sie dann mit anderen Ausreißerkids lebte. Als die gestohlene Kohle aufgebraucht gewesen war, hatte sie sich eine Zeit lang mit Schnorren durchgeschlagen. Bei einer dieser Betteltouren hatte ein Fremder ihr das Angebot gemacht: Sex gegen Geld. Und schließlich hatte sie eingewilligt, was war schon dabei? Sie war jung, sie war hübsch und sie fand es nicht weiter schlimm, aus ihrem Körper Kapital zu schlagen – andere Mädchen, die ausgerissen waren, machten das schließlich auch. Leicht verdiente Kohle. Dazu hatte der Typ ziemlich passabel ausgesehen.

Von da an hatten die Dinge ihren Lauf genommen, allerdings verlor sie schneller die Kontrolle über ihr Dasein, als ihr lieb gewesen war. Anfangs war sie dumm genug gewesen, zu glauben, dass sie selbst bestimmen konnte, wann sie für wen und wie oft die Beine breitmachte. Schlag auf Schlag hatte sie die Realität eingeholt und das Leben hatte sich in eine Richtung entwickelt, die sie sich in ihren ärgsten Albträumen nicht ausgemalt hatte. Sie war an einen Zuhälter geraten, der zunächst auf Fürsorglichkeit gemacht und sie letztlich wie eine Zitrone ausgepresst hatte. Irgendwann hatte sie die sabbernden Säcke, die mit ihr in die Kiste gesprungen waren, nüchtern nicht mehr ertragen: Alkohol, Dope und Koks wurden ihre ständigen Begleiter. Eine Abwärtsspirale, aus der sie nicht mehr hinausfand und die dazu geführt hatte, dass ihr Lude sie irgendwann fallen gelassen hatte wie eine heiße Kartoffel. Endstation Straßenstrich. Eine abgehalfterte Meth-Nutte, die mit gerade mal fünfundzwanzig Jahren aussah wie ein Wrack und innerlich völlig ausgebrannt war.

Ihre Absätze klapperten auf dem Asphalt, als sie zur Bushaltestelle Braune Brücke ging, um den Bus nach Hause zu nehmen, wo eine trostlose Wohnung in der Billstraße im Stadtteil Rothenburgsort sie erwartete. Das versiffte Drecksloch mit Schimmel an den Wänden verdiente die Bezeichnung Zuhause genau genommen gar nicht. Doch dort konnte sie wenigstens weiter Trübsal blasen und sich die Dröhnung verpassen, nach der ihr Körper gierte. Es waren nur noch knapp zweihundert Meter bis zur Haltestelle, als Hamburgs berühmt-berüchtigtes Schmuddelwetter sich wieder die Ehre gab.

»Na toll, auch das noch«, fluchte sie leise. Die ersten Regentropfen klatschten ihr auf die Stirn, sie klappte den Kragen der Tigerlookjacke auf. Gerade als sie losrennen wollte, hielt ein Wagen neben ihr und das Seitenfenster wurde heruntergelassen. Neugierig bückte sie sich und spähte ins Wageninnere, um den Fahrer auszumachen.

»Lust auf ’nen Blowjob?«, meinte der Typ mit dem unverkennbaren Hamburger Akzent, wobei er ungeniert mit einem 100-Euro-Schein winkte.

Das war mehr als das Dreifache der heutigen Tageseinnahmen. Dazu sah der Typ auch noch ganz schnuckelig aus. Seine makellosen Zähne fielen ihr sofort auf – auch sie hatte einmal schöne Zähne gehabt. Jetzt waren sie vom Crystal Meth ganz vergilbt und kariös.

»Na komm, zier dich nicht so. Außerdem wirst du nass«, sagte er mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

Sie erwiderte das Lächeln. Wenn der Mann jetzt angeekelt war, konnte sie ihm das nicht verdenken. Aber er lächelte weiter. Außerdem hatte er recht, sie wurde pitschnass. Das Angebot klang verlockend. So viel Kohle auf einen Schlag! Sie würde am nächsten Tag ausnahmsweise mal aussetzen können und nicht anschaffen gehen müssen.

»Schon überredet.« Sie trat noch näher und öffnete die Autotür. »Kennste dich hier aus? Sonst kann ich dir einen Platz zeigen, wo wir ungestört sind.« Hastig schwang sie sich auf den Beifahrersitz. Als sie sich erwartungsfroh dem Fahrer zuwandte, spürte sie einen Stich am Hals. Dann wurde es dunkel um sie herum.

 

»Wo bin ich?«, brachte sie benommen und schwerfällig über die Lippen, nachdem sie wieder zu sich gekommen war.

»Ah, die Prinzessin ist aus ihrem Dornröschenschlaf aufgewacht. Wurde auch langsam Zeit.«

Dieselbe Stimme. Der Mann, der sie auf dem Nachhauseweg angesprochen hatte. Nur dass er jetzt längst nicht mehr so freundlich klang. Wo war er? Sie konnte ihn nicht sehen. Sie hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Das grelle Licht über ihrem Kopf blendete sie enorm.

Langsam kam die Erinnerung zurück: der Stich in den Hals … Eine Spritze! Er hatte sie betäubt. Aber warum? Sie hatte doch schon eingewilligt, mitzufahren. Dann wurde es ihr schlagartig klar und sie riss die Augen auf. »Du Wichser willst mich um meine Kohle bringen!«, schrie sie. Als sie sich aufrichten wollte, stellte sie fest, dass sie gefesselt war. Und nackt.

Der Mann lachte höhnisch auf.

»Ganz bestimmt nicht. Hast du ernsthaft geglaubt, dass ich mit dir auf irgendeine Art und Weise intim werden will und dafür auch noch blechen würde? Meine Güte, du siehst nicht nur abgefuckt aus, du bist auch noch saudämlich«, erwiderte er frostig.

Endlich trat der Unbekannte in ihr Sichtfeld. Er trug grüne OP-Kleidung und eine Maske über dem Mund. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Wie wild zerrte sie an ihren Fesseln, die jedoch kein Stück nachgaben. Sie spürte förmlich, wie das Adrenalin durch ihren Körper schoss und die letzte Müdigkeit vertrieb. »Was hast du mit mir vor, du Schwein?«, schrie sie und setzte alle Kraft in einen Hilfeschrei. Er musste gar nicht darauf antworten. Sie konnte es in seinem kalten Blick sehen.

»Das wirst du schon bald am eigenen Leib erfahren«, erwiderte er kühl.

»Warum?«, flüsterte sie.

Er zuckte nur mit den Schultern.

Dann begann er, eine Melodie zu summen, die sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gehört hatte. Ein Kinderlied aus jenen glücklichen Tagen, lange bevor Lisas Vater sie im Stich gelassen und sie noch eine fürsorgliche Mutter gehabt hatte. Plötzlich verstummte der Mann. In der Hand hielt er ein glänzendes Skalpell, das er im Lichtschein der Deckenlampe betrachtete. Dann schaute er ihr in die Augen, bevor er die Worte aussprach, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen: »Ich bin der Tod und ich bin die Erlösung.«

Er beugte sich zu ihr herunter und stieß die Klinge tief in ihren entblößten Unterleib.

 

Kapitel 1

 

Tag 1, Montag, 14. März

 

Eigentlich hätte der Morgen für die vierundvierzigjährige Kriminalhauptkommissarin Jana Brinkhorst gar nicht schöner anfangen können. Gegen sechs war die Leiterin der Hamburger Mordkommission von einem frühmorgendlichen Konzert geweckt worden, das Rotkehlchen und Amseln im Dauerwettsingen gegeben hatten. Die ersten Sonnenstrahlen, die durchs Schlafzimmerfenster ihrer kleinen Mietwohnung in der Helbingstraße fielen, kündigten bereits an, dass es ein schöner Märztag werden würde. Aber als ihr Handy geklingelt und der Anruf vom KDD, dem Kriminaldauerdienst, geendet hatte, war diese Morgenidylle zerstört gewesen. Der Kollege hatte sie über einen Leichenfund am Amphitheater im Hamburger Stadtpark informiert, der Begriff »bizarr« war in dem Zusammenhang gefallen. Sie müsse es mit eigenen Augen gesehen haben, um es zu verstehen.

Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, schwang sie seufzend die Beine aus dem Bett. Sie las die Jeans vom Vortag auf, die sie achtlos auf den Boden geworfen hatte, holte einen frischen Pulli aus dem Kleiderschrank und eilte Richtung Badezimmer. Unterdessen wählte sie die Nummer ihres Kollegen Steffen Hempel, um ihn kurz darüber aufzuklären, was geschehen war, und ihn zum Grasweg in der Nähe der Heinrich-Hertz-Schule zu beordern. Von dort war es nicht weit bis zum Fundort der Leiche am Amphitheater, der jedoch nur zu Fuß erreichbar war. Dasselbe Gespräch führte sie im Anschluss mit ihrem zweiten Partner, Henning Kruse. Der zweifache Familienvater versprach, sich sofort auf den Weg zu machen. Im Gegensatz zu ihr war er offenbar schon länger auf, was sie nicht weiter verwunderte, da seine Kids schulpflichtig waren und er morgens in der Regel den Weck- und Fahrdienst übernahm. Jedenfalls, wenn nichts anderes dazwischenkam, wie heute.

Sie beschränkte die Morgentoilette auf das Nötigste, schnappte sich in der Küche noch eine Banane und nur wenige Minuten, nachdem sie den Anruf des KDD-Kollegen erhalten hatte, machte sie sich auf den Weg.

Kruse erwartete sie bereits. Sein knallgelber Pullover, den er unter der Lederjacke trug, schien mit der Sonne um die Wette zu strahlen. Henning halt, dachte Jana lächelnd, als sie aus ihrem roten MX5 stieg. Kruse war berühmt-berüchtigt für seine farbenprächtigen Outfits. Auch die Kollegen der Spurensicherung waren schon vor Ort, sie hatte beim Einparken Horst Königs Wagen entdeckt. Steffen Hempel traf soeben ein.

»Moin, Chefin«, rief der Hüne aus dem Ruhrpott, als er ihr entgegenkam. Henning bedachte er mit einem kurzen Nicken. Er sah übernächtigt aus, wie so oft in letzter Zeit, aber sie verkniff sich einen Kommentar.

»Perfektes Timing, dann lasst uns gleich mal losstiefeln und uns die Sauerei anschauen«, erwiderte Jana. »Brettschneider vom KDD sagt, dass er nie zuvor so etwas gesehen hat. Aber der Grünschnabel ist ja auch noch nicht so lange bei der Truppe wie wir.«

Sie überquerten die Straße und steuerten geradewegs auf den Parkeingang zu. Nicht einmal eine Minute später erreichten sie den Eingang zur Freilichtbühne des Römischen Gartens. Es herrschte rege Betriebsamkeit. Schon von Weitem erkannte Jana den Leiter der KTU, er hatte ihnen den Rücken zugewandt. Horst König fuchtelte wild mit den Armen, offenbar gab er Anweisungen. Ein Stück weiter hinten machte sie den Rechtsmediziner Doktor Dürr aus, der ebenfalls die Arbeit aufgenommen hatte. Sie wollte König gerade ansprechen, als er sich plötzlich umdrehte.

»Da seid ihr ja endlich«, schmetterte der schlanke Endvierziger ihnen genervt entgegen.

»Viel länger könnt ihr auch noch nicht da sein, wenn ich mich hier so umschaue«, hielt Jana dagegen.

»War gar nicht vorwurfsvoll gemeint. Es ist nur so …«, er suchte offenbar nach den richtigen Worten, »… seltsam. Ihr müsst das mit eigenen Augen gesehen haben. Ich hab ja schon einiges erlebt, aber so was …« König schüttelte angewidert den Kopf.

»Dann hat Brettschneider nicht übertrieben?« Jana hob fragend die linke Augenbraue.

»Ich weiß nicht, was dir der Kollege erzählt hat. Schau es dir selbst an. Dieses Amphitheater hat schon viele Aufführungen erlebt, aber so eine Inszenierung dürfte eine Premiere sein.« Schon stapfte der Leiter des Spurensicherungsteams los in Richtung der Stelle, wo Doktor Dürr seine Arbeit verrichtete.

Als sie sich mit den drei Kollegen dem Fundort näherte, erkannte Jana, was Brettschneider und König in helle Aufregung versetzt hatte. Auf einem Stuhl war die Leiche einer Frau zur Schau gestellt. Sie trug einen roten Rock, weiße Kniestrümpfe und schwarze Ballerinas, dazu eine ebenso weiße Bluse und ein knallrotes Kopftuch. Was die Szenerie neben der Kostümierung so bizarr erschienen ließ, war der Umstand, dass zu Füßen der Toten ein Flechtkorb mit einem undefinierbaren Klumpen Fleisch stand. Vermutlich irgendein Organ. Jana warf einen verstohlenen Blick hinüber zu Hempel und Kruse, die jeweils angewidert den Mund verzogen. Als der Rechtsmediziner Notiz von ihnen nahm, erhob er sich aus der Hocke.

»Heilige Scheiße, was hat sich denn hier für ein Irrer ausgetobt?«, war es schließlich Steffen, der auf den Punkt brachte, was Jana dachte.

»Sie sagen es«, erwiderte Robert Dürr mit tiefer Stimme. Der Name des hoch aufgeschossenen Mannes war Programm, der Rechtsmediziner war spindeldürr. Er hatte einen gepflegten Kinnbart, sein dunkelblonder Bürstenhaarschnitt war komplett unter der Kapuze des Schutzoveralls verschwunden.

»Ist sie hier gestorben?«, fragte Jana. Sie schätzte das Opfer auf Mitte bis Ende zwanzig.

»Es gibt kein Blut hier am Fundort, von daher kann ich das definitiv ausschließen«, erklärte Dürr.

»Todesursache?«

»Ich tippe auf die Folgen eines hypovolämischen Schocks, also einer Unterversorgung der lebenswichtigen Organe aufgrund des massiven Blutverlustes, der aus der Entfernung dieses Corpus Delicti rührt«, erklärte Dürr und deutete auf den Korb, der vor dem Stuhl mit den sterblichen Überresten der jungen Frau platziert worden war.

»Und was genau ist das?« Henning Kruse hatte sich hinuntergebeugt, um das Organ in Augenschein zu nehmen.

»Die Gebärmutter des Opfers«, meinte der Mediziner.

»Wie krank ist das denn?« Jana kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, während Kruse fast zeitgleich zusammenzuckte. Nur Hempel verzog keine Miene.

»Ziemlich krank, wenn ich das mal so salopp sagen darf. Das dürfte ein interessantes Täterprofil werden, aber glücklicherweise ist es nicht meine Aufgabe, das zu erstellen«, fuhr Dürr fort.

»Wurde das Organ fachmännisch entfernt?«

»Das denke ich eher nicht, Frau Brinkhorst.« Der Rechtsmediziner schüttelte den Kopf.

»Wer auch immer dafür verantwortlich war, hat auf jeden Fall einen gewaltigen Sprung in der Schüssel. Da ist ja nicht nur die Sache mit der Gebärmutter, was an sich schon krank genug ist, sondern auch diese seltsame Zurschaustellung der Leiche an einem öffentlichen Platz. Was soll das überhaupt für eine Verkleidung sein?«, fragte Hempel in die Runde.

»Spontan musste ich an Rotkäppchen denken, als ich einen ersten Blick auf die Leiche geworfen habe«, meinte Horst König.

»War auch mein erster Gedanke«, stimmte die Hauptkommissarin zu.

»Und der Mörder ist der böse Wolf«, scherzte Kruse, wofür er sich sofort einen tadelnden Blick von Jana einfing. »Ach kommt, Leute, ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass hier ein Märchen nachgestellt wurde?« Er warf die Arme theatralisch in die Luft.

»Hast du einen besseren Vorschlag, Henning? Karneval ist längst vorbei, und auf ’ne Mottoparty wird sie wohl kaum gegangen sein. Es passt jedenfalls alles zusammen: der Rock, das rote Kopftuch und nicht zu vergessen der Korb«, merkte Jana an. »Stellt sich die Frage, was uns der Täter oder die Täterin damit sagen will.«

»Ich bin mir sicher, dass Sie die Antwort darauf auch ohne mich finden werden. Meine Arbeit ist für den Moment jedenfalls getan«, meldete sich Robert Dürr wieder zu Wort. »Sobald das Opfer auf meinem Tisch liegt, kann ich Ihnen Näheres über die Todesursache sagen. Vielleicht war die Person, die die arme Seele hier abgelegt hat, ja so freundlich und hat uns ein paar brauchbare Spuren hinterlassen.«

Daran hatte Jana erhebliche Zweifel. Der Modus Operandi schien auf einen planvoll vorgehenden Täter hinzuweisen. Und die machten in der Regel keine allzu offensichtlichen Fehler.

»Kennen wir eigentlich schon die Identität der Toten?«, wandte sich Jana an König, der gerade ein weiteres Nummerntäfelchen zur Kennzeichnung eines Beweisstückes aufstellte.

Der schüttelte den Kopf.

»Sie hatte keinerlei Ausweispapiere bei sich. Vielleicht ergeben die Fingerabdrücke einen Treffer, ich werd mich gleich drum kümmern«, erklärte der KTU-Mann, der sich mit der behandschuhten Hand durch das lichter werdende braune Haar fuhr.

»Schon eine Idee, wie der Mörder die Leiche transportiert hat?«, wollte Kruse vom KTU-ler wissen.

»Ich habe tatsächlich eine Vermutung. Es deutet einiges darauf hin, dass er das Opfer mit einer Schubkarre hierhergefahren hat. Ich habe da vorn Reifenspuren entdeckt.« König wies auf eine Stelle ganz in der Nähe, wo sich ein Mitarbeiter der Spurensicherung gerade austobte. »Und etwas, das aussieht wie Abdrücke von zwei Bügelständern, typisch für eine solche Karre.«

»Dann würde ich mal darauf tippen, dass sie mit einem Kombi, Minivan oder irgendetwas in der Richtung transportiert wurde. Die Leiche, den Stuhl und eine Schubkarre gleichzeitig unterzubringen, dürfte mit einem normalen Pkw ziemlich aufwendig sein«, stellte Hempel fest.

»Guter Punkt. Wir sollten uns in unmittelbarer Nähe des Parks mal umschauen, ob hier Kameras installiert sind. Vielleicht haben wir Glück, und das Täterfahrzeug ist auf den Aufnahmen zu sehen«, schlug Jana vor. »Hier gibt’s für uns ohnehin nichts mehr zu tun. Und bevor wir am Fundort noch mehr Spuren kaputttrampeln, können wir auch verduften.«

»Das ist wirklich eine gute Idee«, erwiderte Horst König. Man konnte dem Leiter der KTU die Erleichterung ansehen. Er hasste es, wenn mögliche Spuren an einem Tatort oder Leichenfundort leichtfertig verfälscht oder sogar unbrauchbar wurden. Es war ohnehin eine ungleich größere Herausforderung, Beweise unter freiem Himmel sicherzustellen als in geschlossen Räumen.

»Und ihr jagt bitte ihre Fingerabdrücke, so schnell es geht, durch unser Identifizierungssystem«, bat Jana den Leiter der KTU. »Für den Anfang wäre ich schon damit zufrieden, wenn wir die Identität der Toten klären könnten und AFIS uns einen Namen ausspuckt, sollte sie dort erfasst sein.«

 

 

Kapitel 2

 

Drei Stunden später

 

»Wir haben tatsächlich etwas herausfinden können. Die Tote ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt für uns«, begann Henning. Nachdem die Fingerabdrucksuche einen Treffer ergeben hatte, war es ein Kinderspiel für den Ermittler gewesen, ein Kurzdossier über das Opfer zu erstellen. Nun saß er mit Steffen in Janas Büro, um die beiden darüber zu informieren, was er herausgefunden hatte.

»Lisa Bukowski, geboren am 12.07.1997 in Lüneburg. Als Vierzehnjährige ist sie von daheim abgehauen, die Mutter hat seinerzeit eine Vermisstenanzeige aufgegeben, aber das Mädchen blieb verschwunden.«

»Das ist interessant«, unterbrach Jana ihn. »Warum ist sie damals verduftet und nie nach Hause zurückgegangen? Dafür muss es schon einen triftigen Grund gegeben haben«, spekulierte sie.

»Davon ist auszugehen, vor allem, wenn man die Vita des Mädchens kennt«, ergriff Kruse wieder das Wort. »Die Spur verliert sich, bis sie volljährig ist, da wurde sie das erste Mal wegen Prostitution festgenommen. Ob sie die vier Jahre seit ihrem Abtauchen in Hamburg verbracht hat, kann ich dir im Moment leider noch nicht beantworten. Hier warte ich noch auf Rückmeldung vom Jugendamt. Es ist aber ziemlich wahrscheinlich. Ausgehend von ihrer letzten Verhaftung aufgrund illegaler Prostitution auf dem Straßenstrich hat sie zuletzt auf der Süderstraße angeschafft. Gewohnt hat sie in der Billstraße in Rothenburgsort.«

»Das ist alles sehr merkwürdig. Warum klafft da diese Lücke von vier Jahren? Glaubt ihr ernsthaft, dass sie erst mit achtzehn auf den Strich gegangen ist?«, warf Hempel ein.

»Eher unwahrscheinlich«, erwiderte Jana. »Vielleicht Kinderprostitution in irgendeinem Hinterzimmerbordell oder so was in der Art, und als sie zu alt wurde, ist sie auf der Straße gelandet. Aber lasst uns im Moment nicht zu sehr ins Blaue hinein raten.« Sie nippte an ihrem Kaffee. »Ich habe mich in der letzten halben Stunde mal ein bisschen mit dem Märchen Rotkäppchen beschäftigt und etwas Interessantes herausgefunden. Dem Internet sei Dank. Es gibt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Die einzelnen Details erspare ich euch an dieser Stelle aber.« Sie pustete sich eine widerspenstige Strähne ihrer lockigen Mähne aus dem Gesicht. »Die Urfassung des Märchens geht auf den französischen Schriftsteller und Dichter Charles Perrault zurück und die gängige Deutung ist die, dass junge Mädchen vor Übergriffen gewalttätiger Männer gewarnt werden sollen. Das ist begründet in der Moral, die er am Ende des Märchens formuliert hat«, erklärte Jana und reichte ihren Kollegen einen Ausdruck des Zitats.

»Also doch der Wolf im Schafspelz. Da lag Henning gar nicht so falsch, als er meinte, dass Lisa Bukowski vom bösen Wolf umgebracht wurde«, stellte Hempel fest, als er zu Ende gelesen hatte.

»Das war zwar recht metaphorisch umschrieben, aber im Grunde lag er richtig. Jedenfalls, sofern wir davon ausgehen, dass dem Ganzen der perrault’sche Erklärungsansatz zugrunde liegt und das Opfer deshalb auf diese spezielle Weise in aller Öffentlichkeit präsentiert worden ist«, räumte Jana ein.

»Wenn die Frau nicht wie eine Märchenfigur verkleidet und geschminkt worden wäre, könnte man denken, dass hier Jack the Ripper imitiert werden sollte. Prostituiertenmord. Dazu die Entfernung der Gebärmutter«, grübelte Jana.

»Stimmt, daran habe ich auch schon gedacht«, stimmte Hempel ihr zu. »Wenn ihr mich fragt, deutet einiges darauf hin, dass wir es mit einem klassischen Psychopathen zu tun haben, der vermutlich aus Frauenhass tötet. Wahrscheinlich wurde der Täter als Kind von der Mutter vernachlässigt oder misshandelt, und jetzt projiziert er diesen Hass auf seine Opfer. Würde mich nicht wundern, wenn wir schon bald die nächste Leiche finden.«

»Keine voreiligen Schlüsse, Steffen, obwohl es vielleicht naheliegt. Aber um ehrlich zu sein, ist mir das ein wenig zu klischeehaft.«

»Nur weil es so offensichtlich ist, muss es ja nicht falsch sein«, grummelte Hempel, der seinem Spitznamen Brummbär, den Jana ihm verpasst hatte, wieder alle Ehre machte.

»Nein, natürlich nicht. Trotzdem sollten wir uns nicht so früh auf ein derartiges Täterprofil festlegen – dafür wissen wir noch viel zu wenig. Und bevor wir hier weiter rumsitzen und unsere Zeit vertrödeln, schlage ich vor, dass ihr beiden jetzt zur Süderstraße fahrt und euch mal bei den Damen des horizontalen Gewerbes umhört. Ich will wissen, was sie über die Tote sagen können. Ich fahre in der Zwischenzeit zu ihrer Wohnung und schau mich da mal um.« Jana nippte noch einmal an der ungenießbaren Automatenplörre, bevor sie vom Stuhl aufsprang.

 

Kapitel 3

 

Kurz nachdem sie den Präsidiumsparkplatz am Bruno-Georges-Platz verlassen und Richtung Billstraße losgebraust war, drehte sie die Stereoanlage auf und sang aus voller Kehle Livin on a Prayer mit. Nicht schön, aber laut. Doch auch Bon Jovi vermochte die Gedanken an die Bilder der ermordeten Lisa Bukowski, die sich am Morgen im Amphitheater förmlich auf ihrer Netzhaut eingebrannt hatten, nicht zu vertreiben. Der Mörder hatte eine Botschaft gesendet, die sie schnellstmöglich entschlüsseln mussten. Wobei sie vor allem eine Frage beschäftigte: War die Entfernung der Gebärmutter nur ein Akt besonders brutaler Gewalt gewesen oder steckte auch dahinter eine Message? Und wenn ja, welche? Aber die Antwort darauf ließ sich leider nicht einfach so aus dem Hut zaubern, wie sie zerknirscht feststellen musste.

Nach einer knappen halben Stunde steuerte sie den Dienstwagen in eine Parklücke direkt vor dem heruntergekommenen Wohnhaus, in dem Lisa Bukowski gelebt hatte. In der Fassade klafften vereinzelt Löcher, und der ehemals weiße Anstrich war mittlerweile grau wie Asche. Trostlos wie die gesamte Wohngegend, dachte Jana, als sie auf den Hauseingang zuging. Wenigstens schien der Hausverwalter Wort gehalten zu haben. Ein missmutig dreinschauender Mann, der eine verwaschene blaue Kittelschürze trug und eine Kippe im Mundwinkel hatte, wartete ungeduldig auf sie. Noch im Büro hatte sie in Erfahrung gebracht, wer der Besitzer des Wohnhauses war, und der hatte sie wiederum an den Verwalter des Gebäudes verwiesen. Der Mann war deutlich jünger als erwartet.

»Sind Sie die Lady von der Polizei?«, fragte er mit kratzend-schnarrender Stimme, das einzig Auffallende an dem Mann mit dem Durchschnittsgesicht. Er war genauso groß wie sie selbst, also gerade mal eins siebzig. Er war ihr auf Anhieb unsympathisch.

»Ich bevorzuge die Anrede Kriminalhauptkommissarin«, erwiderte sie trocken.

»Wie auch immer. Ich warte schon zehn Minuten. Ist ja nicht so, dass ich meine Zeit im Lotto gewonnen hätte«, entgegnete er unwirsch, schnippte die Zigarette auf den Bürgersteig, kramte einen Schlüssel aus der Kitteltasche und schloss auf. Wortlos folgte sie ihm in die zweite Etage. »Hat sie was angestellt? Ich will hier keinen Ärger mit den Mietern«, knurrte er schließlich, als sie vor der Wohnung angekommen waren.

»Frau Bukowski wurde ermordet«, fiel Jana mit der Tür ins Haus. »Und wo wir schon beim Thema sind: Kannten Sie sie näher?«

Der Mann schaute sie mit weit aufgerissen Augen an.

»Ermordet? Ich … nein, ich kannte sie kaum. Eigentlich gar nicht. Bin ihr vielleicht zwei- oder dreimal begegnet«, stammelte er. Keine Spur mehr von Überheblichkeit.

»Wenn Sie so nett wären, mich in die Wohnung zu lassen. Sie können dann auch gehen, ich komme allein zurecht«, sagte sie freundlich, aber mit Nachdruck.

Kaum dass er aufgeschlossen hatte, meinte er leise: »Ziehen Sie einfach zu, wenn Sie gehen.« Leise vor sich hin murmelnd machte er sich vom Acker.

Als sie den kleinen Flur betrat, schlug ihr ein unangenehm modriger Geruch entgegen. Schimmel, war ihr erster Gedanke. Die Bestätigung dafür fand sie an der Decke im Badezimmer. Nicht besser sah es im Schlafzimmer aus, auch dort hatte der Schimmel in einer Ecke bereits die Oberhand gewonnen. In beiden Räumen hatte sie nach kurzer Suche nichts von Interesse gefunden.

In der Küche ebenfalls Fehlanzeige. Auffällig war, dass Lisa Bukowski die mit billigen Möbeln ausgestattete Wohnung makellos sauber gehalten hatte. Als Jana das mit ihrer eigenen Bude verglich, schämte sie sich fast schon. Hausarbeit gehörte nicht zu ihren Lieblingsaufgaben. Als sie das Wohnzimmer betrat, fand sie nach kurzer Suche in dem klapprigen Schrank, der reif für den Sperrmüll war, ein Tütchen mit einer milchig-weißen Substanz. Eine kleine Geschmacksprobe bestätigte ihre Vermutung: bitter schmeckendes Crystal Meth.

Es überraschte sie nicht sonderlich, viele Prostituierte nahmen Drogen. Der Fund half, sich ein erstes Bild vom Opfer zu machen. Da sie bisher so gut wie keine Informationen zur Toten hatten, war Jana für jedes noch so kleine Mosaiksteinchen dankbar, das sie fand.

Knapp zwanzig Minuten, nachdem sie Lisa Bukowskis Refugium in der Billstraße betreten hatte, verließ sie es auch schon wieder. Viel gebracht hatte der Ausflug nicht – in der Wohnung war die Frau jedenfalls nicht überfallen und ermordet worden. Immerhin war sie jetzt um die Erkenntnis reicher, dass die junge Prostituierte möglicherweise drogenabhängig gewesen war und offenbar am Existenzminimum gelebt hatte. Vielleicht entdeckte die SpuSi noch etwas von Belang, Königs Leute würden sicherlich bald hier auftauchen. Ihr nächstes Ziel: das rechtsmedizinische Institut in Eppendorf. Sie wollte Robert Dürr persönlich aufsuchen und nicht erst auf den Obduktionsbericht warten. So, wie sie den ehrgeizigen Mediziner kannte, hatte der bereits mit der Autopsie begonnen, sobald der Leichnam der Ermordeten im Universitätsklinikum in Butenfeld angekommen war.

 

Kapitel 4

 

Robert Dürr streifte sich soeben die Handschuhe ab und warf sie in einen großen Abfalleimer, als Jana den Obduktionssaal betrat. Sein Assistent war damit beschäftigt, die entnommenen Organe in den noch geöffneten Leichnam von Lisa Bukowski zurückzulegen, bevor er begann, den Y-förmigen Schnitt zuzunähen. Sie kannte das Prozedere nur zu gut, Obduktionen beizuwohnen gehörte zur Standardausbildung eines jeden Ermittlers. Trotzdem würde sie sich nie an die Gerüche gewöhnen, die einem beim Betreten des Sektionssaales entgegenschlugen. Auf Mentholpaste, die sich viele ihrer Kollegen beim Besuch der Rechtsmedizin unter die Nase rieben, verzichtete sie, denn ihrer Erfahrung nach half das nicht wirklich.

»Kriminalhauptkommissarin Brinkhorst«, meinte Dürr, als er sie erblickte. »Mal wieder keine Geduld, auf meinen Abschlussbericht zu warten?«

»Angesichts der besonderen Umstände können Sie das sicherlich nachvollziehen«, hielt sie dagegen.

»Kann ich«, murmelte er.

»Mein Eindruck von heute Morgen hat sich bestätigt. Lisa Bukowski ist infolge eines Schocks nach massivem Blutverlust gestorben. Um den Vorgang zu beschleunigen, wurde ihr zusätzlich ein Blutgerinnungsmittel verabreicht. Sind Sie diesbezüglich an medizinischen Einzelheiten interessiert?«

»Nein, die Kurzfassung reicht.« Jana schüttelte den Kopf. Sie kannte seine Detailversessenheit und sie legte gerade keinen Wert auf Mediziner-Latein.

Dürr setzte ein beleidigtes Gesicht auf. »Ihr wurde intravenös ein Gerinnungshemmer verabreicht. Ich tippe auf Heparin, wir warten noch auf die Laborauswertung. Dadurch wurde der Blutfluss erheblich beschleunigt.«

»Ist der Mörder bei der Entfernung der Gebärmutter fachmännisch vorgegangen?«

»Das kann ich definitiv ausschließen. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, ist kein Mediziner.«

»Oder man will uns das nur glauben lassen«, meinte Jana.

»Unwahrscheinlich«, erwiderte Dürr knapp und begab sich zum Waschbecken. »Diesen Dilettantismus kann man dabei nicht vortäuschen, glauben Sie mir. Es war gewollt, dass die Frau leidet. Der Mörder oder die Mörderin hat sie ohne Betäubung operiert. Das endgültige Ergebnis des toxikologischen Screenings steht zwar noch aus, aber ich bin mir sicher«, erklärte er, während er sich die Hände wusch.

»Also haben wir es mit einem Sadisten erster Güte zu tun«, seufzte Jana. Sie wussten bisher nichts über Täter oder Täterin, es schien jedoch offensichtlich, dass er oder sie nach vollkommener Kontrolle über das Opfer gegiert und sich vermutlich an dessen Leiden gelabt hatte. »Gab es Spuren an der Leiche, die uns weiterhelfen könnten?«

»Nein, dummerweise nicht.« Dürr schüttelte den Kopf und trocknete sich die Hände mit einem Papierhandtuch aus dem Spender neben dem Waschbecken ab. »Das Opfer wurde gewaschen, bevor ihm die Kleidung angezogen worden ist. Anschließend ist es geschminkt worden. Kurz vor dem Tod hat das Opfer übrigens Oralverkehr gehabt. Wir haben entsprechende Hinweise darauf gefunden. Die Analyse der DNA läuft.«

»Würde mich wundern, wenn uns das zum Mörder führt. Wahrscheinlich stammt das Sperma von einem Freier oder ihrem Freund, wenn sie einen hatte«, stellte Jana fest.

»Damit dürften Sie vermutlich recht haben. Frau Bukowskis Körper war übrigens in einem jämmerlichen Zustand. Eine Folge jahrelangen Drogen- und Alkoholkonsums und schlechter Ernährung. Ihre Lebenserwartung war nicht allzu hoch.«

»Das passt zu ihrer tragischen Lebensgeschichte, sie ist mit vierzehn von zu Hause abgehauen und kurz darauf ist sie in Hamburg aufgeschlagen, wo sie schließlich hängen geblieben ist. Offenbar hat sie lieber ihren Körper verkauft, als wieder zurückzugehen.«

»Das lässt tief blicken. Wissen Sie schon Genaueres?«

»Nein, aber wir können uns ja beide denken, was es bedeutet, wenn ein junges Mädchen lieber dieses Leben lebt, als wieder heimzugehen.«

Dürr nickte zustimmend. »Ich schicke Ihnen den Bericht zu, sobald die Ergebnisse der Laboruntersuchungen vorliegen.«

 

Kapitel 5

 

»Die Damen haben sich verdammt zugeknöpft gegeben. Keine wollte so recht mit uns reden, aber eindeutige Angebote haben sie uns gemacht«, meinte Hempel mit einem Grinsen. Er schwang die Füße auf seinen Schreibtisch, verschränkte die Hände hinter dem kahl rasierten Schädel und lehnte sich im Stuhl zurück.

»Schlussendlich haben wir dann aber doch erfahren, dass die Bukowski auf eigene Faust dort angeschafft hat. Die Luden haben sie wohl gewähren lassen, weil sie keine ernsthafte Konkurrenz für deren Mädels war. Sie war laut Aussage einiger Mädchen, die übrigens überwiegend aus Osteuropa stammen, nur ’ne abgehalfterte Crack-Nutte«, übernahm Kruse das Wort.

»Es war wohl eher Crystal Meth, aber das ist jetzt Wortklauberei. Hab’s in ihrer Wohnung gefunden, das Labor hat es in der Zwischenzeit bestätigt. Und welche Drogen sie eingeworfen hat, ändert ja nichts an den traurigen Umständen, dass sie nur anschaffen gegangen ist, um ihre Sucht zu finanzieren und irgendwie über die Runden zu kommen«, erwiderte Jana. »Hat eine der Frauen sie gestern in der Süderstraße gesehen?«

»Ja, sie war wohl da. Aber sonst – Fehlanzeige. Niemand hat was gehört oder gesehen.«

»Also können wir nicht mit Bestimmtheit sagen, wann und wo sie der Person in die Hände gefallen ist, die für ihren Tod verantwortlich ist. Es könnte auf dem Nachhauseweg passiert sein oder sogar in ihrer eigenen Wohnung, was allerdings unwahrscheinlich ist, wie wir mittlerweile ja von der SpuSi wissen. Es gab keinen Hinweis darauf, dass dort ein Mord begangen wurde. Wenn man bedenkt, was sie erlitten hat, muss eine Menge Blut geflossen sein. Stellt sich also nicht nur die Frage, wo die junge Frau verschwunden ist, sondern auch, wo sie ermordet wurde«, seufzte Jana. »Ich habe übrigens noch einen Abstecher zur Rechtsmedizin gemacht.« Sie löste den lockeren Pferdeschwanz und band sich dann die Haare wieder zusammen.

»Und?« Hempel schaute sie fragend an.

»Dürr hat bestätigt, dass Lisa Bukowski an den Folgen des Blutverlustes durch die Entfernung der Gebärmutter gestorben ist. Um das zu beschleunigen, wurde ihr ein gerinnungshemmendes Mittel verabreicht. Und allem Anschein nach wurde sie bei vollem Bewusstsein aufgeschnitten.«

»Scheiße, das arme Mädchen«, meinte Kruse mit gesenktem Blick.

»Du sagst es. Wir können davon ausgehen, dass die Tat von langer Hand geplant wurde. Das Kostüm musste besorgt werden und der Täter – ich sag jetzt mal bewusst er, denn so, wie die Tat ausgeführt wurde, kann es sich eigentlich nur um einen Mann handeln – brauchte einen Rückzugsort, wo er Lisa Bukowski ungestört gefangen halten und verstümmeln konnte. Fragt sich nur, ob sie ein zufälliges Opfer war oder ob er sie gezielt ausgesucht hat. Was denkt ihr?«

»Henning und ich haben das auch schon diskutiert, und wir denken, dass er einfach die erstbeste Gelegenheit genutzt hat, um ohne Aufsehen eine Frau in seine Gewalt zu bringen«, begann Hempel. »Und dafür gibt’s einen einfachen Grund. Rotkäppchen wird in den Märchen immer als blondes, unschuldiges Mädchen dargestellt. Unser Opfer ist aber schwarzhaarig. Wenn es dem Mörder wichtig gewesen wäre, hätte er doch eher nach einem Blondschopf Ausschau gehalten, um das Märchen detailgenau zu kopieren, oder? Da das nicht der Fall ist, hat er vermutlich nur auf eine passende Gelegenheit gewartet, sich irgendeine Frau schnappen zu können, und dann zugeschlagen.« Hempel wartete gespannt auf eine Reaktion.

Jana sah ihn forsch an. »Guter Punkt, Steffen. Das mit der Haarfarbe ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen. Das würde bedeuten, dass der Täter den Drang zu töten nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Einerseits planvoll, andererseits impulsiv. Ist wohl nicht allzu weit hergeholt, wenn ich behaupte, dass wir es mit einer wandelnden, tickenden Zeitbombe zu tun haben. Ich verwette meinen Arsch darauf, dass er schon bald wieder zuschlagen wird. Der Typ hat ’ne Message, anders ist die ganze Inszenierung mit dem Rotkäppchen-Motiv nicht zu erklären. Unwahrscheinlich, dass das alles gewesen sein soll. Und wir wissen bisher noch gar nichts über diesen Schweinehund«, wetterte Jana und schlug sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel.

»Und auf Grundlage der wenigen Informationen, die uns vorliegen, lässt sich natürlich noch kein Täterprofil erstellen«, meinte Hempel, der die Füße wieder vom Tisch nahm.

»Ich bin zwar keine Fachfrau für so was, aber wenn die Seminare, die ich dazu bisher besucht habe, nicht für die Katz waren, ist Lisa Bukowskis Mörder sadistisch veranlagt und leidet an irgendeiner Form von Paraphilie.

---ENDE DER LESEPROBE---