Das Todesflüstern der Raben - Frank Esser - E-Book

Das Todesflüstern der Raben E-Book

Frank Esser

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Beschreibung

»Die Hände waren wie zum Gebet auf dem Bauch gefaltet, zwischen die Daumen war ein schwarzer Papierrabe geklemmt worden.«

Als der Rentner Frederik Hansen tot unter einer Hebebühne aufgefunden wird, ahnt Kriminalhauptkommissarin Jana Brinkhorst nicht, dass sie es mit dem gefährlichen Serienmörder zu tun bekommt, dessen Markenzeichen ein Origami-Rabe ist, den er an seinen Tatorten hinterlässt. Gemeinsam mit Hauptkommissar Karl Hansen, dem Neffen des Ermordeten, macht sie sich auf die Jagd nach dem sogenannten »Origami-Mörder« und dringt dabei immer tiefer in ein Netzwerk aus Rache und dunklen Geheimnissen ein.

Die Jagd nach der Wahrheit wird zu einem packenden Rennen gegen die Zeit, bei dem schon bald klar wird, dass die Verbindung zwischen den Opfern tiefgreifender ist, als es zunächst den Anschein hat.

Im dritten Band der Jana-Brinkhorst-Reihe müssen Jana und Hansen die tiefsten Abgründe der menschlichen Psyche erkunden. Doch werden sie rechtzeitig erkennen, wer die Fäden im Hintergrund zieht, bevor Das Todesflüstern der Raben das nächste Opfer fordert?

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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Epilog
Nachwort
Weitere Veröffentlichungen

Frank Esser

Das Flüstern der Raben

Über das Buch:

 

Die Hände waren wie zum Gebet auf dem Bauch gefaltet, zwischen die Daumen war ein schwarzer Papierrabe geklemmt worden.

 

Als der Rentner Frederik Hansen tot unter einer Hebebühne aufgefunden wird, ahnt Kriminalhauptkommissarin Jana Brinkhorst nicht, dass sie es mit dem gefährlichen Serienmörder zu tun bekommt, dessen Markenzeichen ein Origami-Rabe ist, den er an seinen Tatorten hinterlässt. Gemeinsam mit Hauptkommissar Karl Hansen, dem Neffen des Ermordeten, macht sie sich auf die Jagd nach dem sogenannten »Origami-Mörder« und dringt dabei immer tiefer in ein Netzwerk aus Rache und dunklen Geheimnissen ein.

Die Jagd nach der Wahrheit wird zu einem packenden Rennen gegen die Zeit, bei dem schon bald klar wird, dass die Verbindung zwischen den Opfern tiefgreifender ist, als es zunächst den Anschein hat.

 

Im dritten Band der Jana-Brinkhorst-Reihe müssen Jana und Hansen die tiefsten Abgründe der menschlichen Psyche erkunden. Doch werden sie rechtzeitig erkennen, wer die Fäden im Hintergrund zieht, bevor Das Todesflüstern der Raben das nächste Opfer fordert?

 

 

Der Autor:

 

Frank Esser, Jahrgang 1974, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Industriekaufmann und arbeitet seitdem in der Musikbranche. Er lebt in der Nähe von Aachen. Seine Liebe zu Krimis inspirierte ihn, seinen ersten Regionalkrimi zu schreiben, der in der Kaiserstadt spielt und 2017 veröffentlicht wurde. Mittlerweile veröffentlichte er neben seiner Aachen-Krimi-Reihe weitere Thriller und Krimis. Seit neuestem darf er sich stolzes Mitglied der Empire-Verlag-Familie nennen.

Frank Esser

Das Flüstern der Raben

 

Jana Brinkhorst ermittelt: Fall 3

 

 

 

 

 

 

Thriller

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die

Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

September © 2023 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Christine Weber – https://www.textomio.de

Korrektorat: Heidemarie Rabe

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur

mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

https://buchcoverdesign.de/

 

Prolog

 

Hamburg, Samstag, 2. Juli

 

Frederik Hansen hatte zwei Schwächen: Die Vorliebe für gutes Essen, was unschwer an seiner stattlichen Leibesfülle zu erkennen war. Und sein Faible für alte Autos aller Art, was den neunundsechzigjährigen Kfz-Meister und ehemaligen Werkstattbesitzer bereits eine Stange Geld gekostet hatte. An diesem Morgen startete er gegen sieben in den Tag, er war noch nie ein Langschläfer gewesen. Nach einem ausgiebigen Frühstück war er in die Hinterhofwerkstatt gegangen, wo er seit ein paar Stunden an seiner neuesten Errungenschaft bastelte.

Er hatte vor knapp drei Monaten einen Mercedes Benz 220 D/8 in absolut bedauernswertem Zustand für überschaubares Geld erstanden. Seitdem widmete er seine gesamte Freizeit, und davon hatte er eine ganze Menge, seit seine geliebte Frau vor fast zwei Jahren gestorben war, der Restaurierung des Autos. Er beschäftigte sich gerade damit, die neue Ölwanne einzubauen, da hörte er hinter sich ein Geräusch. Jemand war zur Tür hereingekommen. In dem Moment, als er sich umdrehen wollte, um zu sehen, wer ihn da besuchte, wurde er hart am Hinterkopf getroffen. Noch bevor er wusste, wie ihm geschah, wurde ihm schwarz vor Augen. Als er auf dem gefliesten Werkstattboden aufschlug, war er bereits bewusstlos.

 

Nach und nach kämpfte sich sein Bewusstsein wieder an die Oberfläche. Er spürte eine wahnsinnige Last auf seiner Brust. Als er endlich in der Lage war, die Augen zu öffnen, wurde ihm schlagartig bewusst, wo dieses Gefühl herrührte. Er lag auf dem Boden, eingeklemmt unter seinem Auto. Wie war das möglich? Eben noch hatte der Wagen fast zwei Meter über ihm geschwebt. Und jetzt? – Der Schlag! Wie vom Blitz getroffen traf ihn die Erkenntnis. Jemand hatte die Werkstatt betreten, ihn von hinten niedergeschlagen und anschließend offenbar unter das Auto gelegt, bevor die motorbetriebene Zweisäulen-Hebebühne auf ihn niedergesenkt worden war. Gerade so weit, dass er in der Falle saß und keine Chance hatte, sich aus eigener Kraft zu befreien, hilflos wie eine Fliege im Spinnennetz.

Die Enge war beklemmend, die Aussichtslosigkeit seiner Situation verstärkte das Gefühl der Angst. Die Tatsache, dass er die Reifen abmontiert hatte und sich so der Abstand zwischen Unterboden und seinem Körper um zusätzliche gut fünfzehn Zentimeter verringerte, verbesserte seine Lage auch nicht unbedingt. Wenn der Wagen sich weiter senkte … Nein, er versuchte, den Gedanken zu verdrängen, es gelang ihm nicht. Der Puls hämmerte, Schweiß trieb aus allen Poren. Er rang um jeden Atemzug. Beruhig dich, ermahnte er sich, doch es half nichts.

Schritte. Er hörte Schritte. Langsam und bedächtig, als schliche sich ein Löwe an seine Beute heran. In der Werkstatt war jemand.

»Hallo?«, rief er in die Stille hinein. Es war mehr ein Keuchen, denn die Angst, die sich in ihm breitgemacht hatte, ließ kaum klare Worte über seine Lippen. Eine Antwort erhielt er nicht. Wer auch immer das war, schien stehen geblieben zu sein, stand einfach nur da, reglos. Er versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, in die Richtung, aus der er glaubte, kurz zuvor die Geräusche vernommen zu haben. Zum Vorschein kamen blutrote Sneaker und zwei Beine, die in einer blauen Jeans steckten.

»Bitte, helfen Sie mir«, flehte er die unbekannte Person an.

Eine Antwort blieb wieder aus. Stattdessen entfernte sich der Jemand in Turnschuhen nicht mehr als zwei oder drei Schritte, aber die Sneaker befanden sich nun außerhalb seines Sichtfeldes. Und dann passierte es. Zunächst hörte er das unheilvolle Geräusch, das der Motor der Hebebühne von sich gab, wenn er in Betrieb gesetzt wurde. Fast zeitgleich vibrierten die Hebearme dank der Kraftübertragung auf das Hubsystem, und der Mercedes senkte sich wie in Zeitlupe auf seinen Brustkorb.

Die Rippen brachen innerhalb von Sekundenbruchteilen wie die Schale einer Walnuss. Eine Welle des Schmerzes durchflutete seinen Körper und ließ ihn martialisch aufschreien. Trotzdem schaffte er es irgendwie, ein »Aufhören!« durch die Lippen zu pressen.

Und tatsächlich wurde die Anlage umgehend gestoppt, was nichts daran änderte, dass ihm die unbeschreiblich großen Schmerzen Tränen in die Augen trieben. Die Tortur, als er ein künstliches Hüftgelenk erhalten hatte, war ein Spaziergang dagegen gewesen. Außerdem kam es zu einer Spontanentleerung seiner Blase. Er spürte, wie der warme Urin seine Hose durchnässte. »Bitte – ich will nicht sterben«, winselte er. Doch eine Reaktion blieb abermals aus. »Was wollen Sie von mir? Geld?«

Stille.

Er schluchzte wie ein kleines Kind, während die Schmerzen immer unerträglicher wurden, und spürte, dass er bald ohnmächtig werden würde. Fast schon sehnte er es herbei, damit die Qualen endlich aufhörten.

»Genugtuung will ich«, sagte die fremde Stimme plötzlich, bevor der Motor der Hebebühne wieder angeworfen wurde.

Dass im Radio dabei ausgerechnet Knockin’ On Heaven’s Door gespielt wurde und sich Bob Dylans Worte mit den Schreien des sterbenden Mannes vermischten, schien eine besonders bittere Ironie des Schicksals zu sein.

Die Last des Oldtimers zerquetschte den Körper mit einer beängstigenden Leichtigkeit und löschte Hansens Leben innerhalb weniger Sekunden aus. Blut trat aus unzähligen Wunden seines geschundenen Leibes heraus und sickerte unter dem Auto hervor. Doch da hatte sein Peiniger die Werkstatt bereits mit einem Lächeln auf den Lippen verlassen.

 

Kapitel 1

Eigentlich sollte Karl Hansen jetzt bei einem gemütlichen Abendessen im Kreise seiner Familie sitzen. Stattdessen kurvte der zweiundfünfzigjährige Kriminalhauptkommissar der Polizei Aachen durch die Straßen Hamburgs, auf dem Weg nach Poppenbüttel, einem Stadtteil im Nordwesten des Bezirks Wandsbek. Sein Ziel lag im Marderstieg, wo sein Onkel lebte.

Um achtzehn Uhr hätte das Familienessen beginnen sollen, es wäre das erste Wiedersehen nach über zehn Jahren gewesen. Doch anderthalb Stunden später war Frederik, den er seit seiner Kindheit stets nur Fredi nannte, noch immer nicht aufgetaucht. Auch telefonisch war er bisher nicht zu erreichen – mehr als ungewöhnlich, hatte sein Vater Reinhard beteuert.

Also hatte sich Hansen junior bereit erklärt, zum Haus des Onkels zu fahren. Noch knapp zwei Minuten, wenn das Navi recht behielt. Er war angespannt, wie so oft in den vergangenen Wochen. Seit er bei seinem letzten Einsatz gegen einen Serienkiller durch einen Messerstich schwer verletzt worden war, hatte sich sein Leben schlagartig verändert. Es war die erste ernsthafte Verletzung im Dienst gewesen. Nach einer fünfwöchigen Reha-Maßnahme hatte er spontan beschlossen, noch zwei Wochen Urlaub dranzuhängen, um mit seiner Frau Christine ein paar Tage an der Nordsee zu verbringen und anschließend seinen Vater in Hamburg zu besuchen.

Seit sein alter Herr vor sieben Jahren nach dem Tod der Ehefrau von Aachen zurück in die Hansestadt gezogen war, sahen sich die beiden nur noch selten. Reinhard Hansen war ein Hamburger Jung und nur der Liebe wegen damals in der Kaiserstadt im äußersten Westen der Republik gestrandet. Keine zehn Pferde hatten ihn nach dem tragischen Verlust seiner geliebten Frau in Aachen halten können, nicht mal sein eigener Sohn.

Karl Hansen steuerte seinen Opel Grandland auf die Auffahrt im Marderstieg. Fredis Wagen stand vor der Autowerkstatt, die im hinteren Teil des Grundstücks lag. Er stieg aus dem Auto, marschierte auf den Hauseingang zu und klingelte. Nichts rührte sich. Also nahm er den Schlüssel zur Hand, den ihm sein alter Herr gegeben hatte, und öffnete die Haustür.

»Onkel Fredi?«, rief er im Flur.

Nichts. Er inspizierte die Räumlichkeiten in der unteren Etage, aber auch hier keine Spur von ihm. Auf dem Küchentisch entdeckte er schmutziges Geschirr, das offenbar vom Frühstück stammte. Mit einem mulmigen Gefühl erklomm er die Stufen der knarzigen Holztreppe, die hinauf in die erste Etage führte. Doch weder im Schlafzimmer noch im Gästezimmer war sein Onkel zu finden. Auch im Bad Fehlanzeige. Er fingerte das Handy aus der Jackentasche und drückte zum x-ten Mal die Wahlwiederholung. Kein Klingeln war zu hören, wie zuvor sprang nur die Mailbox an. Hansen befand sich gerade auf dem Weg nach unten, als sein Telefon klingelte.

»Vadder«, sagte er nur.

»Und?«

»Im Haus ist er nicht. Ich versuche mein Glück jetzt in der Werkstatt, sein Wagen ist auf jeden Fall noch hier. Ich melde mich wieder.« Damit beendete er das Gespräch.

Er zog die Haustür hinter sich zu, überquerte den Hof und ging die knapp zwanzig Meter hinüber zu der Werkstatt, in der Fredi für sein Leben gern an seinen Young- und Oldtimern werkelte. Als er sich der Eingangstür des heiligen Refugiums näherte, wie sein Onkel den Rückzugsort immer scherzhaft nannte, war ganz leise Musik zu hören. Hatte Fredi etwa wieder völlig die Zeit vergessen, während er sich seiner Lieblingsbeschäftigung widmete? Zuzutrauen wäre es ihm glatt. Hansen öffnete die Eingangstür zur Werkstatt und bemerkte einen verräterischen Geruch, den er zuvor schon viel zu oft an Tatorten oder Leichenfundorten wahrgenommen hatte. Das Rufen blieb ihm buchstäblich im Halse stecken, als er das ganze Blut auf dem Boden und auch das Paar Füße entdeckte, das unter dem Mercedes herauslugte. Völlig geschockt taumelte er zwei, drei Schritte zurück und stützte die Hände auf den Oberschenkeln ab, um erst einmal tief durchatmen zu können. Kein Zweifel, für Onkel Fredi kam jede Hilfe zu spät. Zitternd zückte er das Handy und wählte die 110.

Kapitel 2

 

Jana Brinkhorst erreichte als erstes Mitglied ihres Teams das Wohnhaus von Frederik Hansen in Poppenbüttel. Die Leiterin der Hamburger Mordkommission stoppte ihren roten MX-5 auf dem großen Vorhof des Hauses direkt hinter einem Opel, neben dem ein Streifenwagen mit rotierenden Blaulichtern parkte. Ein Mann unterhielt sich mit den beiden Uniformierten. Jana war zufällig ganz in der Nähe der Adresse gewesen, weil sie gerade in Langenhorn beim Essen mit einer Freundin saß, als die Nachricht aus der Leitstelle eintraf. Ein Anrufer, ebenfalls ein Polizist, hatte den augenscheinlich gewaltsamen Tod seines Onkels gemeldet.

Nach Auskunft des Mannes konnte die Spurenlage am Fundort auf einen tragischen Unfall hinweisen, aber auch ein vorsätzliches Tötungsdelikt wollte er nicht ausschließen, wobei er von Letzterem ausging. Somit wäre es ein Fall für die Mordkommission, was gleichzeitig das Ende eines gemütlichen Samstagabends mit wirklich vorzüglichen scallopine al limone für sie bedeutet hatte. Verdammter Bereitschaftsdienst, dachte sie, als sie aus dem Wagen stieg. Ihre pechschwarze lockige Mähne, die zuvor noch offen über die Schultern gefallen war, band sie zu einem Zopf zusammen.

»Brinkhorst, Kripo Hamburg. Mein Beileid«, sagte sie und hielt dem unbekannten Kollegen den Dienstausweis vor die Nase. Der Mann mit dem lichten braunen Haar machte ein betrübtes Gesicht, was angesichts der Umstände kein Wunder war.

»Karl Hansen, hallo, Frau Kollegin«, erwiderte er. Der Klang seiner Stimme passte zu seinem Gesichtsausdruck. Trist.

Die beiden Uniformierten tippten sich nur kurz an die Schirmmützen. Jana bat die Männer, den Bereich rund um das Wohnhaus abzusperren, die ersten Schaulustigen mit ihren Handys waren bereits auszumachen. Sie legte keinen gesteigerten Wert darauf, dass die Bilder später viral gingen. Kaum dass sie die Anweisung erteilt hatte, holte einer der beiden Polizisten das rot-weiße Absperrband aus dem Kofferraum des Streifenwagens.

»Der Kollege von der Leitstelle meinte, Sie sind auch Hauptkommissar bei der Mordkommission? Aus Aachen, stimmt’s?«, wandte Jana sich an den Mann, der sich als Karl Hansen vorgestellt hatte.

»Das ist richtig. Aber wollen Sie sich nicht erst mal den möglichen Tatort anschauen, bevor wir über Formalitäten sprechen?«, erwiderte der jedoch nur. Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte los in Richtung Werkstatt, die sich am Ende des Hofes befand.

»Ja, natürlich«, murmelte Jana und setzte dem Mann nach. »Aber vorher ziehen Sie sich bitte Schutzkleidung an. Auch wenn Sie die Werkstatt zuvor bereits betreten haben.«

Hansen stoppte abrupt und drehte sich um. »Tut mir leid, in der Aufregung habe ich nicht daran gedacht«, erwiderte er und kam zurück.

Jana war indes zu ihrem Wagen geeilt und hatte den Kofferraum ihres Sportflitzers geöffnet. Für derartige Einsätze war sie jederzeit gerüstet. Sie reichte ihm die gleichen Fußüberzieher, die sie sich selbst nun über ihre Sneaker zog. Ihr Haar verschwand unter einer Plastikhaube. Hansen tat es ihr gleich, zum Abschluss kamen die Latexhandschuhe. Dann machten sie sich gemeinsam auf den Weg zur Werkstatt.

»Das überlasse ich Ihnen«, meinte der Aachener Ermittler und deutete auf die Tür, die ins Gebäude führte. »Ich habe vorhin schon genug Fingerabdrücke auf der Klinke hinterlassen«, erklärte er mit bitterer Miene.

»Wir werden Ihre Abdrücke für einen Abgleich brauchen«, erwiderte die Fünfundvierzigjährige und fuhr sich verlegen über die Haube, bevor sie beide die Werkstatt betraten.

Eine markante Duftwolke von metallischem Blutgeruch und anderen körperlichen Ausscheidungen schlug ihnen entgegen. Schon auf den ersten Blick bot sich ein grauenhaftes Bild. »Bitte warten Sie an der Tür«, bat Jana den Kollegen. Hansen nickte.

Hoch konzentriert versuchte sie, sich einen genauen Eindruck vom Ort des Geschehens zu machen, ging in die Hocke, um den Toten in Augenschein nehmen zu können, und inspizierte die Hebebühne, ohne etwas anzufassen.

»Wieso glauben Sie, dass es sich hier um eine vorsätzliche Tat handeln könnte und nicht um einen Unfall?«, fragte Jana schließlich, als sie sich zu dem Aachener Mordermittler umdrehte.

»Weil mein Onkel wohl kaum unter dem Auto gelegen und gleichzeitig die Hebebühne bedient hat«, knurrte Hansen lakonisch.

»Hm«, brummte die Hauptkommissarin. »Er könnte ohnmächtig geworden sein, und die Bühne hatte einen technischen Defekt«, hielt sie dagegen und erhob sich aus der Hocke.

»Zwei Zufälle auf einmal? Ich bitte Sie, Frau Kollegin.« Hansen warf theatralisch die Arme in die Luft. »Fredi wurde ermordet, daran besteht für mich überhaupt kein Zweifel. Ihre Fachleute sollten recht schnell herausfinden, dass hier kein technischer Defekt vorlag.«

»Und es handelt sich bei dem Toten definitiv um Ihren Onkel?«

Hansen schüttelte den Kopf. »Das hier ist seine private Werkstatt. Soweit ich weiß, schraubt außer ihm hier niemand sonst an den Fahrzeugen. Abgesehen davon waren wir eigentlich um achtzehn Uhr im Haus meines Vaters verabredet. Weil er nicht aufgetaucht und auch nicht ans Telefon gegangen ist, bin ich hergefahren.«

»Verstehe.« Jana nickte bedächtig und atmete einmal tief durch. »Hatte Ihr Onkel Feinde?«

Hansen zuckte mit den Schultern. »Bedaure, aber das weiß ich leider nicht. Wir haben uns seit knapp zehn Jahren nicht gesehen«, erklärte er.

Just in dem Moment betraten mehrere Männer die Werkstatt und drängten sich an Hansen vorbei, der immer noch neben der Tür wartete.

»Heilige Scheiße, was ist denn hier passiert?«, sagte der Glatzkopf mit Vollbart, als er die Situation erfasst hatte. Es war Steffen Hempel, einer ihrer beiden Partner. Der fast zwei Meter große Hüne arbeitete seit knapp fünf Jahren mit Jana zusammen. Sie hatte ihn genauso wie ihren anderen Partner Henning Kruse auf dem Weg zum Fundort der Leiche in den Marderstieg beordert, auch wenn sie im Gegensatz zu ihr keinen Bereitschaftsdienst schoben. Im Schlepptau hatte er ein Team der Spurensicherung, angeführt von Horst König, dem Leiter der KTU.

»Bei dem Opfer handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Frederik Hansen. Gefunden hat ihn sein Neffe, zufälligerweise ein Kollege von uns. Hauptkommissar Hansen aus Aachen«, erwiderte Jana und deutete auf den Besucher aus der Kaiserstadt.

Königs Leute, allesamt in weiße Schutzanzüge gekleidet, verloren keine Zeit und nahmen umgehend die Arbeit auf. Nicht einmal eine Minute, nachdem sie die Werkstatt betreten hatten, schoss einer der KTU-Leute bereits die ersten Fotos vom mutmaßlichen Tatort.

»Was für eine grausame Art zu sterben«, konstatierte Hempel, der ursprünglich aus dem Ruhrpott stammte, aber mittlerweile seit über zwanzig Jahren in der Hansestadt lebte. »Mein Beileid«, schob er an Hansen gewandt hinterher.

»Falls es kein Unfall war, ist hier möglicherweise ein Streit eskaliert, und es handelt sich um eine Affekthandlung«, warf Horst König in den Raum.

»Jemanden mit einer Hebebühne zu zerquetschen wie ein lästiges Insekt, nenne ich eher kaltblütig«, hielt die Hauptkommissarin dagegen.

»Vielleicht wurde das Opfer bei einer Auseinandersetzung tödlich verletzt, und jemand versucht, die Tat auf diese Weise zu vertuschen.« Königs wacher Verstand arbeitete offensichtlich auf Hochtouren.

»Keine schlechte Idee«, räumte Jana ein.

Ihr Kollege Hempel blickte sich um. »Eine Kamera gibt’s hier wohl leider nicht. Wäre ja auch zu einfach gewesen.«

»Wir hören uns gleich mal in der Nachbarschaft um. Vielleicht hat irgendjemand was beobachtet«, erwiderte die Hauptkommissarin.

Plötzlich war vor der Werkstatt ein Tumult zu vernehmen.

»Ich geh da jetzt rein, und Sie Jungschnösel werden mich kaum daran hindern«, war die aufgebrachte Stimme eines Mannes von draußen zu hören.

Seiner Reaktion nach schien Hansen sofort zu wissen, wer dort vor der Werkstatt stand und mit einem der Polizisten debattierte. »Das war ja zu befürchten«, meinte er und verdrehte die Augen. »Mein Vater. Ich habe ihn vorhin angerufen, um ihm zu erzählen, dass Frederik tot ist. Details habe ich natürlich nicht erwähnt. Ich kläre das«, sagte er in Janas Richtung, nachdem sie ihm einen fragenden Blick zugeworfen hatte.

»Ich komme mit«, erwiderte die leitende Ermittlerin und marschierte an ihm vorbei nach draußen.

»Ich geh da jetzt rein, ich will zu meinem Sohn, haben Sie verstanden? Karl ist Hauptkommissar und befindet sich in der Werkstatt. Er wird Ihnen gleich den Marsch blasen! Ah, da kommt er ja schon«, keifte der alte Mann mit dem markanten Gesicht und der blauen Seemannsmütze auf dem Kopf just in dem Moment, als Jana und Hansen auf den Hof traten. Er hatte einen Zeigefinger bedrohlich nah vor die Nasenspitze des uniformierten Polizisten gehalten, der sichtlich Mühe hatte, den Krakeeler im Zaum zu halten.

»Ich hab dir doch gesagt, du sollst zu Hause bleiben, Vadder. Außerdem bin ich nicht der leitende Ermittler. Ich bin nicht mal im Dienst hier in Hamburg«, herrschte der Aachener Kommissar seinen Vater an. »Warum hast du ihn nicht davon abgehalten, herzukommen?« Aufgebracht sah er seine Frau Christine an, die ihren Schwiegervater begleitet hatte. Der vorwurfsvolle Unterton war kaum zu überhören.

»Keine zehn Pferde hätten mich aufhalten können, also lass deine arme Frau in Ruhe«, erwiderte der Alte mit fester Stimme. »Und jetzt lasst mich endlich zu Fredi!«

»Glaub mir, Vadder, das möchtest du ganz bestimmt nicht sehen. Ich will auf keinen Fall, dass du da reingehst, und das werde ich auch mit aller Macht zu verhindern wissen.« Hansen Junior sprach ruhig, aber mit Nachdruck.

»Und ich werde es erst recht nicht zulassen. Brinkhorst, Kripo Hamburg. Mein Beileid, Herr Hansen«, sagte Jana und zückte den Dienstausweis. »Den Anblick da drinnen können wir Ihnen nicht zumuten. Abgesehen davon ist das möglicherweise ein Tatort, den meine Leute bereits untersuchen. Bitte haben Sie Verständnis dafür.«

Reinhard Hansen stand da wie zur Salzsäule erstarrt. Die Unterlippe bebte leicht, die Augen schimmerten feucht. Er nahm seine Mütze ab und bekreuzigte sich unvermittelt.

Genau in dem Moment steckte Horst König, der gertenschlanke KTU-Chef, den Kopf aus der Werkstatttür heraus und rief »Jana, das musst du dir unbedingt anschauen«, bevor er wieder verschwunden war.

Sie wusste, dass es kein gutes Zeichen sein konnte, wenn der sonst so unterkühlt auftretende Mann derart aufgeregt war. Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief hinüber zur Werkstatt.

Kapitel 3

 

»Scheiße.« Jana stemmte die Hände in die Hüften und schaute König fassungslos an. Dann richtete sie den Blick wieder auf die Werkbank, wo der kunstvoll gefaltete schwarze Papierrabe zwischen diversen Werkzeugen thronte. Ein eiskalter Schauer lief ihr beim Anblick der Figur über den Rücken. So, wie es aussah, hatte der Origami-Mörder wieder zugeschlagen. Diesen Namen hatten sie dem Doppelmörder damals in der SoKo verpasst, und es war bis dato Janas einziger ungelöster Fall, seit sie vor knapp fünf Jahren von der Kieler Polizei nach Hamburg gewechselt war. Erst war ein polizeibekannter Kinderschänder kurz nach Verbüßung seiner Haftstrafe in seiner Wohnung im Schlaf mit vierzehn Messerstichen regelrecht abgeschlachtet worden. Knapp vier Wochen später starb eine alleinerziehende Mutter unter mysteriösen Umständen. Karina Voigt war im Treppenhaus ihres Wohnhauses in den Tod geschickt worden. Auf den ersten Blick hatte es wie ein Unfall ausgesehen. Der Papierrabe, der in beiden Fällen neben den Leichen gefunden wurde, hatte jedoch bewirkt, dass sie die Sache genauer unter die Lupe nahmen. Nach der Obduktion war klar gewesen, dass jemand bei dem Sturz nachgeholfen hatte. Das war jetzt knapp zwei Jahre her. Ohne den Fund der Origami-Figuren an beiden Tatorten hätten sie nicht einmal eine Verbindung zwischen den Morden herstellen können, bei denen es sich mittlerweile um Cold Cases handelte.

»War auch meine erste Reaktion. Wie lange ist das her? Zwei Jahre?«, fragte der KTU-Chef und kratzte sich an der Stirn.

Die Hauptkommissarin nickte. »Kommt hin.«

»Was zum Teufel ist das?«

Es war Karl Hansen, der die Frage gestellt hatte. Jana hatte gar nicht mitbekommen, dass der Aachener Ermittler die Werkstatt wieder betreten und sich neben sie postiert hatte.

»Was wollen Sie hier? Das hier ist ein Tatort.«

»Beruhig dich, Hotte«, sagte sie. »Das hier ist ein Kollege.« König hasste es, wenn er mit seinem Spitznamen angesprochen wurde. Doch Jana hatte sich noch nie davon abhalten lassen, und er sah es ihr stets nach. Sie hatte ihn trotz ihres manchmal toughen Auftretens, was als Leiterin der Mordkommission situationsabhängig auch vonnöten war, mit ihrer gleichermaßen charmanten Art schnell für sich gewinnen können. Die beiden pflegten einen freundschaftlichen Umgang, so hielt sie es auch mit ihren Partnern Steffen Hempel und Henning Kruse.

»Mag sein«, warf er ein. »Trotzdem hat er hier nichts zu suchen. Er ist als Privatperson hier, wenn ich mich nicht irre. So tragisch die Umstände auch sind.«

»Message angekommen. Ich wollte nur Bescheid geben, dass wir jetzt nach Hause fahren werden. Also, was ist das für ein Ding?«, fragte Hansen noch einmal und deutete auf das schwarze Papiergebilde.

»Schon mal von Origami gehört?« Steffen Hempel hatte sich dazu gesellt und rieb sich nachdenklich den Bart.

»Habe ich. Aber was daran hat Sie so in Aufruhr versetzt?«, ließ der Aachener Hauptkommissar nicht locker.

»Hängt mit alten ungelösten Fällen zusammen. Zwei Morde, an beiden Tatorten haben wir damals genauso einen Papierraben gefunden. Dann haben die Tötungen plötzlich aufgehört, ohne dass wir eine plausible Erklärung dafür haben. Liegt circa zwei Jahre zurück«, erklärte Jana.

»Und jetzt glauben Sie, dass dieser Mörder wieder aktiv geworden ist?« Hansen nickte bedächtig.

Jana kaute auf der Unterlippe. »Entweder das oder ein Nachahmungstäter ist am Werk. Aber ohne jetzt unhöflich sein zu wollen, möchte ich Sie wirklich bitten, zu gehen. Sie wissen ja selbst, wie das ist. Die SpuSi mag es überhaupt nicht, wenn zu viele Leute an einem Tatort herumwuseln. Ihre Aussage können wir morgen noch protokollieren. Bitte lassen Sie Telefonnummer und Adresse da, unter der wir Sie erreichen können«, erklärte sie mit einem zaghaften Lächeln.

Hansen nickte. »Sie haben recht, ich sollte mich jetzt um meinen alten Herrn und meine Frau kümmern. Von daher nehme ich Ihnen den galanten Rausschmiss auch nicht übel.« Dann zog er sich zurück.

Jana, Hempel und König blickten dem Aachener Kommissar hinterher. Erst als er die Werkstatt verlassen hatte, ergriff die Hauptkommissarin das Wort.

»Der Origami-Mörder ist also allem Anschein nach wieder aus der Versenkung aufgetaucht«, sagte sie mit bitterer Miene.

»Oder es war wirklich ein Nachahmungstäter, wie du eben Hansen gegenüber selbst angedeutet hast«, meinte Hempel.

Jana schüttelte den Kopf. »Glaub ich nicht, hab ich nur so dahergesagt. Soweit ich mich erinnern kann, ist niemals an die Öffentlichkeit gedrungen, dass wir jeweils einen schwarzen Raben an den Tatorten gefunden haben. Woher hätte also ein Nachahmungstäter davon wissen sollen?«

»Jana hat recht«, stimmte König der Kommissarin zu. »Es ist nie bekannt gegeben worden, welche Origami-Figur an den jeweiligen Tatorten gefunden wurde. Frederik Hansen hatte übrigens nicht die kleinste Überlebenschance. Selbst wenn die Räder an dem Mercedes noch montiert gewesen wären, der Abstand zum Unterboden des Wagens war einfach zu gering. Der arme Mann ist regelrecht zermalmt worden. Möchte nicht mit dem Rechtsmediziner tauschen, der die Obduktion durchführt.«

»Wird sich von uns wohl auch keiner drum reißen, dabei zu sein. Dann müssen wir vermutlich Streichhölzer ziehen, wer von uns an der Autopsie teilnimmt. Wäre im Grunde genommen was für Henning, als Strafe dafür, weil er immer noch nicht hier ist. Wo bleibt der eigentlich?«, wollte Jana von Hempel wissen. Mehr als ein Schulterzucken erhielt sie nicht zur Antwort. »Wie auch immer, es gibt eine Menge zu tun. Diesmal geht uns der Schweinehund nicht durch die Lappen«, gab sie sich kämpferisch.

Kapitel 4

 

Bis kurz nach Mitternacht hatte Karl Hansen mit seiner Frau Christine in der Küche seines Vaters gesessen. Warum Onkel Fredi getötet worden war, noch dazu auf derart grausame Weise, war ihnen nach wie vor unbegreiflich. Der herzensgute, stets bestens gelaunte Mann konnte unmöglich Feinde gehabt haben. Dennoch war er Opfer eines kaltblütigen Mordes geworden. Erst nachdem Hansen Senior dank mehrerer Gläschen Küstennebel die nötige Bettschwere empfunden hatte und auch Christine sich hinlegen wollte, ergab sich für Hansen die Gelegenheit, ein wenig im Internet über die sogenannten Origami-Morde zu recherchieren. Die Hamburger Kollegen hatten durch die Erwähnung der Taten sein Interesse geweckt. War Fredi tatsächlich einem Doppelmörder zum Opfer gefallen, der zwei Jahre lang nicht mehr in Erscheinung getreten war? Oder konnte hier wirklich ein Nachahmungstäter am Werk sein?

Nach knapp einer Stunde hatte er drei Dutzend Artikel durchgelesen, die er auf Anhieb gefunden hatte. Doch in keinem einzigen Bericht tauchte ein Hinweis auf diesen schwarzen Raben auf, den der Täter oder die Täterin am Tatort hinterlassen hatte. Offensichtlich war diese Information durch die Hamburger Kollegen aus ermittlungstaktischen Gründen zurückgehalten worden. Gleichzeitig schien es auch keinem findigen Journalisten gelungen zu sein, dieses Detail herauszufinden und an die Öffentlichkeit zu bringen. Daher war es für Hansen nahezu ausgeschlossen, dass ein Nachahmungstäter für den Tod seines Onkels verantwortlich war, es sei denn, der Täter selbst hatte dieses Detail irgendwo hinausposaunt. Sein Interesse war nun endgültig geweckt.

Gleich mehrere Fragen schossen ihm durch den Kopf. Warum hatte der Mörder oder die Mörderin zwischen der letzten und der aktuellen Tat so viel Zeit vergehen lassen? Gab es möglicherweise weitere Verbrechen, die unentdeckt geblieben waren in diesem Zeitraum? Die Tatsache, dass der Origami-Rabe so etwas wie das Markenzeichen des Mörders und jetzt wieder einer aufgetaucht war, sprach allerdings eher dagegen. Weshalb also war sein Onkel ins Visier dieses Killers geraten? Trotz vorgerückter Stunde war Hansen immer noch nicht müde, und ihm schwante, dass er sich mit all diesen Fragen die Nacht um die Ohren schlagen würde. Trotzdem trat er jetzt den Rückzug ins Bett an. Er fuhr den Laptop runter und stieg die Treppen hinauf zu dem kleinen Gästezimmer, wo er mit Christine untergebracht war. Als er nach kurzem Abstecher ins Bad die leise quietschende Tür zum Zimmer öffnete, zuckte er leicht zusammen. Hoffentlich hatte er Christine jetzt nicht geweckt. Er schlich sich zum Bett, und genau in dem Moment, als er sich hinlegte, ertönte ein »Wurde auch langsam mal Zeit, mein Lieber. Kann es sein, dass du schon wieder deine Spürnase ausgepackt hast? Du bist hier nicht im Dienst, sondern sollst dich von deiner Verletzung vom letzten Einsatz erholen.«

Der unterschwellige Vorwurf in ihrer Stimme war nicht zu überhören. »Ich dachte, du schläfst längst«, murrte Hansen nur, als er sich die Bettdecke überwarf.

»Bin zu aufgewühlt«, erwiderte seine Frau, schaltete die kleine Nachttischlampe auf der Kommode neben dem Bett ein und richtete sich auf. »Versprich mir, dass du nichts Unüberlegtes tust. Das ist nicht dein Fall, auch wenn’s Onkel Fredi war, der ermordet wurde.«

Aus dem anklagenden Unterton war mittlerweile reine Besorgnis herauszuhören. Hansen starrte schuldbewusst zu Christine hinüber. »Ich könnte dir jetzt was vormachen, aber das wäre nicht fair«, tastete er sich langsam vor. »Ich kann mich nicht aus den Ermittlungen raushalten. Das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Aber ich verspreche dir, keine unnötigen Risiken einzugehen.« Seine Liebste zog bei diesen Worten schlagartig die Mundwinkel nach unten. »Ich muss wissen, ob Onkel Fredi irgendeinem Psychopathen zum Opfer gefallen ist, der aus reiner Mordlust tötet.«

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, rutschte näher und lehnte den Kopf auf seine Brust. Er wusste genau, was sie jetzt dachte: Wahrlich nicht einfach, die Gattin eines Polizisten zu sein. Wie so oft schluckte sie einen entsprechenden Kommentar allerdings hinunter.

Kapitel 5

 

Sonntag, 3. Juli

 

Sie hatten keine Streichhölzer gezogen, Henning Kruse war freiwillig ins Rechtsmedizinische Institut gefahren. Jana hatte dank ihres Chefs, Kriminalrat Jens-Uwe Stöver, durchsetzen können, dass die Autopsie noch am Wochenende durchgeführt wurde. Sie wollte unbedingt wissen, ob Frederik Hansen bereits eine tödliche Verletzung erlitten hatte, bevor jemand das Auto auf ihn hatte niedergehen lassen. Während Henning zum Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf gefahren war, nahm sie sich mit Steffen Hempel noch einmal die Akten im Fall des Origami-Mörders vor. Die Cold Cases waren wieder brandheiß.

»Wirklich viel haben wir damals nicht rausgefunden, wenn wir mal ehrlich sind«, brummte Steffen Hempel. Er hatte sich in der letzten Stunde ausführlich mit den Ermittlungsmappen der damaligen Opfer des Origami-Mörders auseinandergesetzt und war sie anschließend mit Jana durchgegangen. Er schlürfte Kaffee aus seiner heiß geliebten BVB-Tasse und starrte in Janas Richtung.

---ENDE DER LESEPROBE---