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Wenn nicht jetzt, wan tan? E-Book

Tutty Tran

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Beschreibung

Wie wir lernen, uns alle wieder liebzuhaben: das erste Buch des preisgekrönten Stand-up-Comedians Tutty Tran "'Die Doische lieb lugtik', sagt mein Papa immer." Ja, die Deutschen lieben es lustig. Auch wenn es politisch unkorrekt wird? Darf man denn heutzutage noch über Vorurteile lachen? Tutty Tran, Sohn vietnamesischer Einwanderer, geht der Frage in diesem Buch ganz genau auf den Grund. Herausgekommen ist ein kleines Toleranz-ABC vom bekanntesten Reisbürger der Republik, das zeigt, wie verbindend es sein kann, wenn wir lernen, wieder mehr über uns selbst zu lachen. Schnelle Ratschläge gegen Vorurteile und Toleranzübungen für zu Hause inklusive

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Tutty Tran

mit Lisa Bitzer

Wenn nicht jetzt, wan tan?

Eine Toleranz-Fibel für jedermann*innen

 

 

Über dieses Buch

 

 

Wie wir lernen, uns alle wieder liebzuhaben: das erste Buch des preisgekrönten Stand-up-Comedians Tutty Tran

 

»‘Die Doische lieb lugtik’, sagt mein Papa immer.« Ja, die Deutschen lieben es lustig. Auch wenn es politisch unkorrekt wird? Darf man denn heutzutage noch über Vorurteile lachen? Tutty Tran, Sohn vietnamesischer Einwanderer, geht der Frage in diesem Buch ganz genau auf den Grund. Herausgekommen ist ein kleines Toleranz-ABC vom bekanntesten Reisbürger der Republik, das zeigt, wie verbindend es sein kann, wenn wir lernen, wieder mehr über uns selbst zu lachen.

Schnelle Ratschläge gegen Vorurteile und Toleranzübungen für zu Hause inklusive

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Tutty Tran, geboren 1988 in Berlin, ist der erste Stand-Up-Comedian in Deutschland mit vietnamesischen Wurzeln, der den Culture-Clash selbstironisch auf die Bühne bringt. Seine Mutter hätte sich auch über ein Abitur gefreut und sein Vater über die Rückennummer 10 in der deutschen Fußballnationalmannschaft. Aber Tutty hatte schon immer seinen eigenen Kopf und eine große Klappe, und damit war der Weg zur Bühne nicht weit. Seit 2019 rockt er mit seinen Erfolgsprogrammen »Augen zu und durch« und »HAI DAI MAU« die Comedybühnen Deutschlands.

Inhalt

Gebrauchsanweisung für dieses Buch

1 Chào, chào: Neustadt oder das Ende meiner Karriere

2 Hai dai mau: Familie sucht man sich nicht aus

3 Mann-o-Mann: Warum die Sache mit den Frauen gar nicht so einfach ist

4 Du bis so doi! Tutty, der Vorzeigedeutsche

5 Fernost trifft Ostdeutschland: Ein Vietnamese bei den Sachsen

6 Von Heim- und Fernweh: Warum das Gute oft viel näher ist, als man denkt

7 Nazi Goreng: Rassismus muss man sich leisten können

8 Knete im Kopf: Wo die Vorurteile wohnen (und wie man sie zum Ausziehen bewegt)

9 Dick im Geschäft: Von Körpern, Krabbenchips und Kniebeugen

10 Ente gut, alles gut

Danksagung

Auflösungen der Rätsel

Quellenverzeichnis

Gebrauchsanweisung für dieses Buch

Hä? Wie? Eine Gebrauchsanweisung für ein Buch?

Ja, klar! Man sagt doch, dass Deutsche Regeln LIEBEN. Deshalb kann man ihnen auch nicht einfach so ein Buch in die Hand drücken und sagen: »Lies!« Außerdem leben wir in einer Zeit, in der es unglaublich viele Regeln gibt. Und zig Fragen: Was darf man? Was darf man nicht? Wie weit darf Humor gehen? Ist das wirklich witzig? Und wem trete ich mit meinem Gag gerade auf die Füße? Da kann man schon mal ins Schleudern kommen.

Aus diesem Grund empfehle ich dir, bei der Lektüre meines Buches folgende Grundhaltung einzunehmen:

Zuallererst solltest du zum Lachen aus dem Keller kommen.

Setz dich locker hin. Keine verschränkten Arme und kein Brett vor dem Kopf.

Schau dir im Duden oder auf Wikipedia noch mal kurz die Definition der humoristischen Stilmittel Ironie und Sarkasmus an.

Mach dir einen Knick in die Seite oder setz dir ein Lesezeichen im Browser. Oder lern die Definitionen am besten gleich auswendig und verankere sie tief in deinem Hippocampus.

Für Erstleser oder Schulhasser (wie mich): Finde heraus, was der Hippocampus ist.

Sollten eine Aussage, eine Information oder ein Gag in diesem Buch beim Lesen körperliche Schmerzen oder sonstigen inneren Widerstand bei dir verursachen: Bitte zehnmal Augenzwinkern. Beste Erste-Hilfe-Maßnahme gegen die Volkskrankheit »Humorbefreiung«!

Und bei sonstigen Risiken und Nebenwirkungen gilt: Immer schön auf die Wok-Life-Balance achten!

Zu den Storys in diesem Buch: Ich schreibe die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, bis auf die Stellen, die erfunden sind. Denn nicht alles, was ich erzähle, hat sich genau so abgespielt. Ich habe Namen und Personen verfremdet, Geschichten manchmal ein lustigeres Ende verpasst und meine Biographie schamlos geschönt. Ich hab gehört, das macht man jetzt so, und natürlich will ich keinen Trend verpassen.

Ich möchte dich mit meinem Buch unterhalten und vielleicht ein ganz kleines bisschen zum Nachdenken anregen. Aber ich verspreche, es wird nicht weh tun. Höchstens an den Lachmuskeln – aber die trainieren wir doch sowieso viel zu wenig.

Viel Spaß beim Lesen!

Tutty

1Chào, chào: Neustadt oder das Ende meiner Karriere

Ich stehe hinter der Bühne und lausche dem Klopfen meines eigenen Herzschlags. Nur noch wenige Minuten, dann darf ich raus auf die Bühne. Völlig normal, dass ich mir vor Aufregung gleich in die Hose scheiße.

Über New York habe ich mal gelesen: If I can make it here, I will make it anywhere. Ich bin mir sicher, als Frank Sinatra das sang, dachte er eigentlich an Neustadt.

Neustadt ist eine kleine Stadt irgendwo in Deutschland mit etwa 25000 Einwohnern und einem recht überschaubaren Kultur- und Freizeitangebot. Comedians lieben meist die kleineren und mittelgroßen Städte, weil die Shows dort in der Regel gut besucht sind, anders als in Großstädten, wo man mit seinem Programm gegen alles Mögliche anlaufen muss. Musicals. Kabarett. Querdenker-Aufmärsche. In einer Stadt wie Neustadt ist das anders. Da gibt’s nix, was man sich anschauen kann. Die Leute müssen also heute Abend zu mir in die Show kommen.

Eigentlich. Denn offenbar wird ausgerechnet heute auf dem Marktplatz Freibier ausgeschenkt. Oder es läuft »Bauer sucht Frau – das große Finale in Mettmann« in der Glotze. Vielleicht mag man in Neustadt auch keinen Humor. Denn im Publikum sitzen elf Leute. Elf. Eigentlich sogar nur neun, denn zwei Zuschauer sind die vom Veranstalter bestellten Sanitäter, die zählen nicht wirklich. Neun zahlende Gäste im Publikum sind zu viel, um die Sache abzublasen, aber immer noch nicht genug für ’ne geile Swingerparty.

Ohnehin wäre das mit dem Swingen heute schwierig. Zwei der Damen im Publikum sind nämlich über 70 und haben garantiert schon künstliche Hüftgelenke. Das habe ich gesehen, als ich vor zwei Minuten durch den Vorhang gespickert habe. Hätte ich mal besser bleiben lassen. Neben den Omas in der ersten Reihe ist ein Pärchen, das sich streitet, seitdem es sich hingesetzt hat, und am Rand ein Typ mit verkniffenem Gesichtsausdruck und vor der Brust verschränkten Armen.

Haben die sich verlaufen? Was wollen die hier? Kommen da noch mehr … oder ist das alles, was Neustadt zu bieten hat?

Mein Herz schlägt schneller. Und plötzlich hab ich gar keine Spucke mehr im Mund. Ich schlucke trocken, schmatze, räuspere mich lautlos.

Alter, denke ich. Das wird ein Gemetzel.

»Alles klar?«, flüstert eine Stimme in mein Ohr, und ich drehe den Kopf nach hinten. Es ist Nici, meine Agentin.

»Ne, nix ist klar!«, zische ich mit weit aufgerissenen Augen, was man als Asiate erst mal schaffen muss. »Es sitzen elf Leute im Publikum.«

Nici lächelt. Vermutlich soll es aufmunternd wirken. In diesem Moment fühle ich mich aber, als hätte sie mich aus der Herde ihrer Schäfchen herausgepickt und würde mir nun freundlich den Weg zur Schlachtbank weisen.

»Du schaffst das«, murmelte sie und klopft mir noch einmal auf die Schulter. »Tu einfach so, als würdest du vor ausverkauftem Haus spielen. Du weißt doch, fake it, until you make it!«

Mein Mund klappt auf, ich will etwas erwidern, doch Nici ist schon wieder weg. Mir geht der Stift, ich überlege, einfach abzuhauen, aber einen Augenblick später tritt der Veranstalter auf die Bühne. Ein sympathischer Typ um die 50 mit kleinem Bauchansatz und runder Nickelbrille. Er kündigt den heutigen Act an. Und zwar mit so viel Engagement und Begeisterung, als wären wir in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena. Ehrlich gesagt habe ich heute Abend wirklich mit vollem Haus gerechnet. Neustadt ist nämlich plakatiert mit meiner Visage. Überall hängen Plakate, die meine Show ankündigen. Ich habe eine richtige Künstlergarderobe – so mit Spiegeln und flauschigen Sesseln, richtig gemütlich. Auch bei der Unterkunft hat sich der Veranstalter nicht lumpen lassen: Hotel Marianne, beste Adresse am Platz. Laut Google.

Jedenfalls: An der mangelnden Begeisterung des Veranstalters kann es nicht liegen, dass nur elf minus zwei Leute im Publikum sitzen, der Typ hat alles gegeben.

Also liegt es an mir. Es kann nur an mir liegen.

FUCK.

Mit jedem Wort, das über die Lippen des Veranstalters wandert, fühle ich mich schlimmer. Was gäbe ich in diesem Moment für ein mobiles Erdloch, in dem ich sang- und klanglos verschwinden könnte! Ich höre, dass er einen »aufstrebenden jungen Humoristen« ankündigt, einen »Brückenbauer zwischen den Kulturen«, und für einen Augenblick gebe ich mich der Vorstellung hin, ich wäre wirklich schon jemand, der die Stadien füllen könnte. Der in der Neustadter Stadthalle selbst den letzten Melkschemel verkauft bekäme, während die Fans aufgeregt meinen Namen skandierten: »Tutty Tran! Tutty Tran! Tutty Tra– «

Dann höre ich wirklich meinen Namen. Allerdings nicht aus 500 jubelnden Kehlen, sondern von Nici, die sich offenbar in den Zuschauerraum begeben hat, um für Stimmung zu sorgen. Ihr Johlen und Pfeifen ist so laut, man könnte meinen, sie glaubt wirklich an mich. Kurz darauf ertönt das matte Klatschen von einem nicht ganz vollen Dutzend weiterer Handpaare. Meine Einstiegsmusik knallt über die Anlage, feinster Hip-Hop, politisch inkorrekt und ganz viele N-Wörter. Und ehe ich es mir anders überlegen kann, trete ich auf die Bretter, die die Welt bedeuten.

»Neustaaaaaadt!«, rufe ich laut in das Mikro, das ich eigentlich gar nicht bräuchte – aber an irgendwas muss ich mich ja festhalten. »Was geht ab?!«

Die beiden älteren Damen schauen mich aus großen Augen an.

»Seid ihr gut drauf?«, frage ich noch einmal, ernte aber wieder keine Reaktion.

Aber aufgeben ist keine Option. Wenn einer das kann, dann du. Du wurdest für diesen Scheiß geboren. Augen zu und durch! Oder warum hat dir der liebe Gott ansonsten Schlitzaugen geschenkt?

 

Bereits einen Gag später weiß ich, dass ich in Neustadt definitiv bomben werde. Also nicht so, wie ihr jetzt denkt – ich bin ja schließlich Asiate, kein Araber. Bomben – so nennen wir Comedians das, wenn unser Auftritt beim Publikum so gar nicht ankommt. Eine der älteren Damen kramt in ihrer Tasche nach dem Strickzeug. Der Typ mit den verschränkten Armen vor der Brust schnauft und schnaubt bei jeder Nummer, die ich auf das Publikum abfeuere, aber in Neustadt zündet rein gar nichts. Keine Pointe zieht. Kein Witz ringt den Anwesenden ein Lächeln ab. Immerhin, das streitende Pärchen scheint sich ausnahmsweise einig zu sein: Sie finden mich massiv unlustig.

Ein kleiner Trost ist, dass wenigstens die Sanitäter sich zu amüsieren scheinen. Und auch Nici jubelt, als wäre sie bei einem ihrer heißgeliebten Bon-Jovi-Konzerte. Leider sind die drei keine zahlenden Gäste, sondern quasi beruflich zur Anwesenheit verpflichtet.

Trotzdem mache ich weiter. The show must go on! Und wenn die Leute in Neustadt mich oder meinen Humor noch nicht mögen, muss ich sie vielleicht nur überzeugen. Es muss ja keine leidenschaftliche Affäre mit uns werden. Ich bin sowieso eher Typ Fernbeziehung: Meine Freundin im Wohnzimmer und ich am Ende des Flurs in meinem Büro Schrägstrich Zockerzimmer.

Als Nächstes kommt der Gag von der telefonischen Bestellung im vietnamesischen Restaurant. Der geht IMMER. Wirklich IMMER. Spätestens, wenn ich die Tiergeräusche mache, flippen die Leute aus. Wäre doch gelacht, wenn ich Neustadt nicht knacken könnte. Bevor ich mit der Nummer loslege, mache ich aber erst mal Crowdworking. Das hat nichts mit Kraut zu tun, so nennen wir Stand-up-Comedians es, wenn wir mit dem Publikum interagieren, um eventuell daraus eine spontane Nummer zu bauen. Oder wenn wir die Leute kennenlernen und warmmachen wollen.

Ich frage die beiden Omis in der ersten Reihe: »Wie haben Sie denn den Weg zu mir gefunden?«

Die ohne Strickzeug sagt ernsthaft: »Unser Lieblingsvietnamese hat heute zu.«

Das dachte ich mir, das macht Sinn. Allerdings gibt es in meiner Show auch keine knusprige Frühlingsrolle.

»Wer von den anderen geht denn auch gern Vietnamesisch essen?«, frage ich in den leeren Raum zwischen mir und dem Zuschauerraum, in dem das Publikum hockt und mich aus ausdruckslosen Gesichtern ansieht. Bis auf Nici, die aufmunternd beide Daumen in die Höhe hebt, rührt sich keiner. Gut, das habe ich auch nicht mehr erwartet – ich freue mich vielmehr darüber, dass noch niemand aufgestanden und gegangen ist. Ich meine, klar, es macht schon mehr Spaß auf der Bühne zu stehen und die Leute zu unterhalten, wenn ich mich nicht wie bei einem Vorsingen bei »Deutschland sucht den Superstar« fühle – und zwar als Kandidat in der letzten Show, in der sie die hoffnungslosesten Talente präsentieren. Aber hey, man kann nicht alles haben. Und wenn sich Neustadt nicht amüsieren will: nicht mein Problem. Mal davon abgesehen, dass alle großen Komiker klein angefangen haben. Sehr klein. Mikroskopisch. Bestimmt auch in Neustadt. Ich hab mal gehört, dass Hassloch in der Pfalz (der Ort heißt wirklich so) ein »Test-Dorf« ist, in dem Unternehmen ihre Produkte in den Supermarkt stellen und gucken, wie die Durchschnittskäufer darauf reagieren, bevor sie die Sachen dann in ganz Deutschland in die Regale bringen – oder eben nicht. Vielleicht ist Neustadt ja dasselbe für Unterhaltung. So ’ne Art Teststrecke für Comedians.

Bäm. Schon fühle ich mich besser und stürze mich wieder ins Programm.

»Habt ihr schon mal versucht, beim Vietnamesen telefonisch Essen zu bestellen? Und hattet ihr das Gefühl, dass die euch verstehen? Tatsache – die verstehen euch nicht!«

Letzte Woche, in Witzenhausen, wurde an dieser Stelle gelacht. Aber wie der Name schon sagt, Witzenhausen war easy. Schabernack auch. Denk ich mir nicht aus, beide Orte gibt es wirklich. Genau wie Sargleben, das liegt in Meck-Pomm, und da war die Stimmung ähnlich wie in Neustadt, das weiß ich aus erster, genau genommen meiner Hand. Man kommt halt viel rum als Newcomer in der Comedy-Branche. In Itzehoe hab ich meine Ex kennengelernt. Ob es Zufall ist, dass sich der Ort auf Englisch anhört wie »It’s a hoe«? Sei mal dahingestellt. Die Stimmung dort war auf jeden Fall ausgelassener, aber davon lasse ich mich in Neustadt nicht beirren. Ich quatsche einfach gegen die Wand aus Schweigen an.

»Für mich ist das an sich kein Problem, ich verstehe ja weitestgehend Vietnamesisch. Aber ich bestelle lieber auf Deutsch, da ich immer Angst habe, dass sich der Restaurantbesitzer am anderen Ende der Leitung als irgendein Onkel dritten Grades entpuppt.«

Da! Ich hab’s gesehen. Bei der strickenden Oma hat der Mundwinkel gezuckt. Ich schwöre, gleich reißt es sie vom Stuhl. Das Mundwinkelzucken gibt mir Aufwind.

»Und Leute, ich sag’s euch – wenn die Mitarbeiter dann mit ihrem deutsch-vietnamesischen Kauderwelsch daherkommen, versteh selbst ich kein Wort! Manchmal glaub ich, egal wo man anruft – es geht immer mein Vater ran!«

Die Oma strickt jetzt wieder konzentrierter. Alles klar, ich lasse den Rest des Gags weg. Improvisation ist die wichtigste Währung, wenn du Leute zum Lachen kriegen willst.

»Das geht dann immer so: Das Telefon klingelt. Einmal, nicht mehr, dann geht sofort jemand dran und fragt: ›Ja? Wat essen?‹«, imitiere ich einen vietnamesischen Restaurantbesitzer am anderen Ende der fiktiven Leitung.

»Was gibt’s denn?«

»Wat gib? Wat gib?«, sage ich wieder mit verstellter Stimme. »Gib alle!«

»Äh, okay, dann nehm ich die 55.«

»Fumpumfumpsig, ja. Schap oder nik schap?«

»Wie bitte?«

»Schap oder nik schap?«, frage ich, ganz der verärgerte, von der deutschen Langsamkeit gefolterte Gastronom.

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen, mime Unverständnis. »Ich glaube, ich verstehe Sie nicht. Was sagen Sie?«

»Du schap oder nik schap?«, schnauze ich. Dann hechle ich wie ein Hund. »Schap oder nik schap?«

»Ach so! Scharf, bitte.«

»Du will mit Flei ode ohne Flei?«

»Was will ich?!«

Die Oma sieht vom Stricken auf und stupst ihre Freundin an. Sie schmunzeln sich zu. Jede Wette, da gründet sich gerade der erste Neustädter Tutty-Tran-Fanclub. Und in Anbetracht des Durchschnittsalters der Gründungsmitglieder vielleicht auch gleich der letzte.

»Mit Flei oder ohne Flei?!«, mache ich weiter und denke an die unendlich vielen Telefonate, die mein Vater im Laufe seines Lebens mit hungrigen, bemitleidenswerten Deutschen geführt hat, die bei uns im Restaurant anriefen.

»Keine Ahnung, ich kann nicht fliegen.«

Die junge Frau, ein Teil des dauerstreitenden Pärchens, kichert. Ich fasse das als Aufforderung auf, weiterzumachen, und lege mich richtig ins Zeug.

»Ey, du! Du nik doi?«

»WAS?!«

»Will du Flei oder kei Flei?« Jetzt kommt die Pointe. Meine sichere Bank. Das rettende Ufer. Bis dahin muss ich kommen. Danach habe ich Neustadt im Sack. »Du chrchr«, ich mache ein Schwein nach, »muuuuuh oder gockgockgockgoooock?«

Ich gebe wirklich alles bei meiner Tiergeräusch-Performance. Und verstumme. Starre ins Publikum. Vielleicht muss der Gag erst mal ankommen? Neustadt ist ja etwas ab vom Schuss. Lange Leitung und so, wer weiß, ob hier Glasfaser liegt. Ich warte. Scheint mir doch eher ’ne alte Verbindung mit Modem zum Einwählen. Düüüü-döööö-chm. Im Kopf zähle ich. Eins, zwei, drei. Um sicherzugehen, lege ich auf Vietnamesisch nach. Mot, hai, ba. Aber selbst als ich auf Englisch und Türkisch die drei ersten Ziffern aufgezählt habe, lacht niemand.

Neustadt, du willst es echt wissen! Vielleicht funktioniert Humor hier nicht. Möglicherweise gelten hier gar keine physikalischen Gesetze. Wasser fließt nach oben, Licht ist nicht schneller als Schall, und mit etwas Glück gibt es hier nicht mal Finanzämter. Wenn Letzteres stimmt, wäre ich gern schon früher hierhergekommen.

Ich mache jetzt einfach das Beste draus. Das Pärchen streitet nicht, solange ich auf der Bühne stehe, und die beiden alten Damen sehen zumindest nicht gelangweilt aus. Nur der Kerl daneben geht mir so langsam, aber sicher auf den Glückskeks. Der schnauft die ganze Zeit wie ein Gaul, aber das ist so ein genervtes Schnaufen, bei dem er sogar die Augen verdreht, als wollte er jedes Mal sagen: Och Mann, ey! Sei doch mal LUSTIG! LUUUUUSSSSTIG! Ich bin doch nicht zum Spaß hier!

Jo. Hab ich gemerkt.

Okay, einen hab ich noch. So leicht lässt sich ein Tutty von der Berliner Reisplantage nicht unterkriegen! Also hole ich tief Luft und sage: »Ich muss ja sagen, ich bin wirklich froh, dass ich so aussehe, wie ich aussehe. Wenn ich Fremden begegne, sehe ich denen schon an, welche Frage sie sich zuerst stellen: ›Kann der Deutsch?‹ Und ganz ehrlich, ich nutze das verdammt gerne aus. Wisst ihr eigentlich, wie geil das ist, wenn man keinen Bock auf jemanden hat und sich einfach hinter dem Aussehen verstecken kann, damit man nicht mit dem reden muss? Gerade, wenn man in Berlin lebt.«

»Fffffnnnnnhhh«, schnaubt der Typ und schüttelt den Kopf.

Was ist eigentlich dein Problem, Mann?, möchte ich ihn am liebsten fragen. Wieso gehst du zur Comedy, wenn du keinen Humor verstehst? Wurde dir das vom Arzt verschrieben? Gibt’s das auf Rezept? Lachen ist die beste Medizin und so? Dann frage ich dich im Ernst: Hast du deine Pillen nicht genommen, oder was stimmt nicht mit dir?!

Natürlich frage ich das alles nur in Gedanken und konzentriere mich stattdessen auf die Nummer.

»Hallo, entschuldigen Sie bitte«, mime ich eine Person, die mich anspricht, »können Sie mir sagen, wie spät es ist?«

Ich zucke mit den Schultern. »Ik nik doi.«

Die Omas lachen. Alles klar, denen geb ich nachher noch Autogramme.

»Oder bei der nächsten Polizeikontrolle.« Ich setze ein ernstes Gesicht auf und sage mit verstellter Stimme: »Allgemeine Verkehrskontrolle, einmal den Führerschein und die Fahrzeugpapiere, bitte.« Dann antworte ich: »Ik nik doi.«

Die Omas kichern weiter, auch das Pärchen wirft sich einen amüsierten Blick zu. Na also, Neustadt, ich wusste doch, das wird noch was mit uns.

»Wie heißen Sie?«

»Huan-Son«, behaupte ich.

»Das ist Beamtenbeleidigung!«, werfe ich mich als Ordnungswächter in die Brust und höre zum ersten Mal an diesem Abend Gelächter. Am liebsten würde ich mich den alten Damen und dem Pärchen in die Arme schmeißen und mich vor Erleichterung an ihren Schultern ausheulen. Stattdessen nehme ich noch mal Anlauf.

»Nei«, komme ich zum krönenden Abschluss der Szene, »we ik sa: Hai dai mau!, is Beleidigun, nik Huan-Son!«

Der Knoten platzt. Neustadt liegt mir zu Füßen. Zumindest eine Handvoll der lokalen Stellvertreter plus Nici und die Sanitäter. Nur am schnaufenden Mann perlen meine Jokes ab wie Wassertropfen an einer Lotusblüte. Langsam werde ich unsicher: Bin ich wirklich so unlustig? Ich hoffe inständig, dass der Typ einfach ein Humorverweigerer ist.

 

Eine halbe Stunde später haben Neustadt und ich es geschafft. Die Show ist vorbei, ich verbeuge mich und nehme mit Genugtuung zur Kenntnis, dass das Pärchen sogar zu Standing Ovations ansetzt … ah ne, die holen schon ihre Jacken. Egal. Jetzt bin ich so weit gekommen, da lasse ich mir doch jetzt nicht mehr die Laune verderben.

»Junger Mann, Sie sind mir ja einer!«, sagt die Oma, die gerade ihr Strickzeug in der altmodischen Tasche verschwinden lässt.

Ihre betagte Freundin wackelt mit dem erhobenen Zeigefinger. »Ein richtiger Schlingel!« Sie kichert noch einmal. »Huan-Son. Das muss ich nachher meinem Werner erzählen.«

»Machen Sie das«, erwidere ich und wische mir den Schweiß von der Stirn. »Vielleicht kommt Werner beim nächsten Mal ja mit.«

»Ach, ne«, sagt die Dame. »Der mag keine Ausländer.« Sie gluckst. »Ist nicht persönlich gemeint.«

»Verstehe ich gut. Ich mag Ausländer auch nicht«, sage ich mit bierernstem Gesichtsausdruck.

Die Omas glucksen noch einmal, machen wegwerfende Handbewegungen und eiern gemächlich schwatzend davon.

 

Ich atme einmal tief durch. Was für ein Abend. Und meine Fresse, was freu ich mich jetzt auf einen Döner. Ich habe nach meinen Shows, in denen ich nicht gerade energiesparend mit mir umgehe, immer so einen krassen Heißhunger, ich könnte ALLES in mich reinschaufeln.

Jemand räuspert sich. Ich blicke auf. Die fleischgewordene Humorvernichtungsmaschine steht vor mir. Der Typ, der während der Show kein einziges Mal gelacht, dafür aber ohne Ende geschnauft hat.

Ich verziehe den Mund zu einem derart breiten Lächeln, dass sich meine Mundwinkel eigentlich am Hinterkopf begegnen müssten. »Und? Hat’s Ihnen auch gefallen?«

Rhetorische Frage. Ist uns beiden klar.

Er räuspert sich. Dann antwortet er mit schnarrender Stimme: »Es war … interessant.«

A-ha. Interessant. Wenn die Antwort kommt, weiß man doch, wie der Hase läuft.

»Schatz, wie findest du meine neue Frisur?«

»Interessant.«

»Wie hat Ihnen das Essen geschmeckt?«

»Interessant.«

»Was sagen Sie zum Parteiprogramm der CDU?«

»Interessant.«

Interessant ist ein anderes Wort für: scheiße. Und weil man scheiße nicht sagt, sagt man eben was anderes. Noch schlimmer ist eigentlich nur »erfrischend«. Das ist die ultimative Demütigung.

Ich ringe mir ein »Danke, dass Sie da waren« in seine Richtung ab und will mich gerade abwenden, da tippt mir der Schnaufer auf die Schulter.

»Ich hätte noch eine Frage zu Ihrem Programm.«

Ich atme seeehr tief ein, kleistere mir erneut ein Lächeln ins Gesicht und wende mich wieder zu ihm um. »Aber gerne doch«, sage ich und fühle mich in diesem Moment wie der Mitarbeiter im 1&1-Kundenservice, der dem Anrufer erklären muss, warum beim WLAN kein Kabel mehr gebraucht wird.

»Sie haben ja«, beginnt der Schnaufer und räuspert sich mehrmals, »heute Abend in Ihrem Programm das ein oder andere Mal ›Ausländer raus!‹ gesagt.«

Ich nicke schweigend.

»Und nun frage ich mich«, der Typ blinzelt etwas neurotisch, »wie war das gemeint?«

Ich HASSE diese Frage! Aktuell wird jeder Witz in diesem Land mehr als je zuvor auf die Goldwaage gelegt. Am liebsten würde ich mit dem Lieblingssatz meines Vaters antworten: Hai dai mau. Außerdem will ich mit Neustadt endlich abschließen, in mein Hotelzimmer fahren und ein bisschen weinen. Auch vor Erleichterung, dass ich es durchgezogen habe.

Deswegen sage ich völlig cool zu dem Schnaufer: »Das war genau so gemeint, wie ich es gesagt habe.«

Der Mann tut das, was ich erwartet habe: Er schnauft. »Aber das ist rassistisch.«

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen, mache ein nachdenkliches Gesicht und nicke erneut. »Da haben Sie vollkommen recht.«

Sein Mund klappt auf und zu wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Aber, aber … Sie können nicht rassistisch sein! Sie sind doch Ausländer!«

»Ach so?«, tue ich überrascht. »Ist Rassismus ein Privileg von Deutschen? Finden Sie das nicht ein bisschen … rassistisch?«

Ich zwinkere ihm zu. Vielleicht versteht er den Humor ja jetzt? Möglicherweise würden auch die Einblendung »Unterhaltungssendung« oder »Achtung! SARKASMUS« in der linken oberen Ecke seines Bildausschnitts helfen. Oder eine Pointen-Warnung?

Er schnauft, das kann er gut. Ein richtiger Profi-Schnaufer ist das. »Sie haben auf der Bühne selbst gesagt, dass Ihre Eltern Flüchtlinge waren«, regt er sich auf. »Und Deutschland hat die Arme aufgemacht und sie aufgenommen. Das können wir gut, die Arme aufmachen und Flüchtlinge aufnehmen, jahaaa!«

Seine Augen sind so weit aufgerissen, dass sie beinahe aus den Höhlen fallen. Er tut gerade so, als hätte er persönlich 2015 am Bahnhof von München gestanden und jeden syrischen Flüchtling mit Handschlag, Gummibärchen und einem Kuscheltier begrüßt. Im Anschluss hat er dann der Kanzlerin in der Bundespressekonferenz über einen Knopf im Ohr den legendären Satz zugeflüstert: »Wir schaffen das!« Keine Frage, ich spreche hier mit dem Integrationsbeauftragten Deutschlands.

»Wissen Sie«, echauffiert er sich weiter, verschränkt die Arme wieder vor der Brust und guckt besserwisserisch, »wenn Sie dauernd ›Ausländer raus!‹ rufen, sollten Sie mit Ihren Eltern vielleicht als Erstes abgeschoben werden.«

Für den Bruchteil einer Sekunde denke ich darüber nach, dem Kerl auf die Schulter zu klopfen, ihm zu versichern, dass alles nur Spaß gewesen sei, und mich vielleicht sogar zu entschuldigen, dass er mich offensichtlich so grundfalsch verstanden hat. Aber ehrlich gesagt habe ich darauf heute keinen Bock. Der Typ strapaziert meine Nerven nämlich beachtlich. Und mein Magen knurrt.

Also richte ich mich auf, blicke dem Spaßvogel fest in die Augen und sage ernst: »Es ist so, meine Eltern und ich haben deutsche Pässe. Wir können gar nicht abgeschoben werden, die deutsche Botschaft würde uns einfach wieder nach Hause holen. Wir sind wie ein Bumerang. Egal, wie oft du uns wirfst, wir kommen immer wieder zurück. Ich weiß, Deutsche wie Sie hassen das. Sogar etwas mehr als den Enkeltrick.«

Dem Mann klappt wieder der Mund auf. Er will etwas erwidern, auf seinem Gesicht spiegelt sich Entrüstung wider. Doch bevor er auch nur einen Ton sagen kann, schiebt sich meine Managerin von links ins Bild, schüttelt dem Kerl mit Begeisterung die Hand und ruft: »Toll, dass Sie hier waren, ganz wunderbar, kommen Sie gut nach Hause, und beehren Sie uns bald wieder!« Dann packt sie mich an der Schulter und schubst mich hinter die Bühne. »Mitkommen! Sofort.«

 

»Ach, Tutty«, sagt Nici mit ernstem Blick. Sie ist meine strengste Kritikerin. Nicht mal mein Vater kann so gucken. »Das geht so nicht.«

»Du hast recht, das geht so nicht«, antworte ich und nicke. »Ich hätte dem Typen richtig die Meinung geigen sollen.«

»Tsss«, macht Nici und schnalzt mit der Zunge. Es ist ihr Signature Move, ein Geräusch, was ein bisschen wie das türkische »Çüş!« klingt, aber viel, viel eindringlicher und warnender. Ohne Scheiß, wenn Nici den Laut in Istanbul bringt, springt Erdogan in den Bosporus, schwimmt übers Mittelmeer bis nach Köln am Rhein und bittet bei Jan Böhmermann persönlich um Asyl.

Ich grinse. »Spaß. War doch ein netter Abend.«

Sie schnauft. Genau wie der Typ vorhin. Dann nagt sie an ihrer Lippe. Das ist immer ein ganz schlechtes Zeichen.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass mir jemand Rassismus vorwirft. Dabei kommt meine Familie aus Vietnam! Wenn einer Witze über Ausländer machen darf, dann ja wohl ich. Immerhin habe ich mir mein Leben lang Unmengen an Gags über mich anhören dürfen: »Du kannst doch bestimmt mit offenen Augen durch einen Sandsturm laufen!«

Oder: »Tutty, wenn wir jetzt Blinde Kuh spielen, müssen wir dir dann die Augen überhaupt verbinden?«

Und dann kam meistens noch einer obendrauf: »Falls ja, reicht da Zahnseide?«

Als ich einmal unverkleidet zum Karneval erschien, fragte ein Freund, ob ich als Briefkasten gehe: breit wie hoch, gelb und zwei Schlitze im Gesicht.

Ich habe mich als Kind nicht nur einmal gefragt, was mit meinen Mitschülern eigentlich nicht stimmt. Entschuldigung: Mitschüler*innen. Das muss ich jetzt ja gendern, wenn ich vermeiden will, nicht nur für einen Rassisten, sondern auch noch einen Chauvinisten gehalten zu werden.

Ob die Kinder in meiner Klasse auch so mit mir geredet hätten, wenn ich ein riesiger Schwarzer aus dem Kongo gewesen wäre? »He, Blackjack! Vermietest du eines deiner Nasenlöcher? Meine Cousine sucht noch ein Zimmer!« Hätten Sie mich gefragt, warum mein Kopf wie ein Backstein aussieht, wenn meine Eltern aus Kasachstan kämen? Und wie hätten sie mich wohl aufgezogen, wenn ich Araber wäre? »Ich will deine Schwester kaufen. Fünf Kamele!« Superdreist. Jeder weiß, dass man bei Arabern unter sechs Kamelen keine Schwestern bekommt.

Ich glaube, als Schwarzer, als Kasache oder als Araber hätte ich in meiner Kindheit und Jugend weniger Witze über mich ergehen lassen müssen. Nur mit uns kann man es ja machen. Wir Asiaten sind ja so süß! Mit den klitzekleinen Augen, der gelben Haut und den kleinen Pimmeln. Haha. Selten so gelacht. Und selbst wenn wir ausrasten, sind wir maximal süßsauer.

Ganz im Ernst, Kinder sind so brutal. Was die so alles von sich geben! Und denen verbietet doch auch keiner was – zumindest war das so, als ich klein war. Ich durfte zu Schaumküssen und Schnitzeln nach Budapester Art noch anders sagen. Früher durfte ich singen: »Alle Kinder lernen lesen, Indianer und Chinesen. Selbst am Nordpol lesen alle Eskimos, hallo Kinder, jetzt geht’s los!« Und beim »Chinesen« haben alle immer auf mich gezeigt. Sogar der Eskimo, und der kam im Winter immer mit seinem Scheißschlitten in die Schule. Das war übrigens mein Lehrer.

 

Mein Vater hat mir mal den unbezahlbaren Rat gegeben, jeden Abend auf der Bühne mit einem Witz zu beginnen. »Mak ludtik! Dat wiktik. Die Doische lieb ludtik«, sagte er ernst.

»Ich weiß, Papa, die Deutschen lieben Witze«, erwiderte ich. »Ansonsten hätten wir nicht den Lauterbach.«

Bei meinen ersten Shows startete ich deshalb oft so: »Treffen sich ein Afrikaner, ein Zigeuner und ein Schwuler im Schwarzwald …« Tja. Schön war es damals. Denn so begann früher ein großartiger Witz. Heute beginnt so nur noch das Ende deiner Karriere. Erzähl so was jetzt gerade mal auf der Bühne! Du kommst direkt an den digitalen Pranger. Das war’s für dich, Freundchen. Das ist kein Shit-Storm, das wird ein Shit-Tornado. Und was bleibt dir dann noch? Da kannst du nur noch geteert und gefedert das Land verlassen.

Aber gefedert geht auch nicht mehr. Weil sich dann Transen, sorry: Dragqueens auf den Schlips oder die Schlipsin getreten fühlen. Außerdem tragen Dragqueens ja keinen Schlips. Sie tragen Boa. Sofern sie keine Veganer*innen sind. Irgendwas is’ ja immer.

Apropos Dragqueens. Als ich in jüngeren Jahren mal bei einer Hotline anrief und nicht wusste, dass man meinen Namen mit dem deutschen Inland-Alphabet T wie Theodor, R wie Richard, A wie Anton und N wie Nordpol buchstabiert, wusste ich mir anders zu helfen. Ich sagte zu der Uschi an der Strippe: »Tran. Wie Transe. Nur ohne se.«

Hat sie verstanden. Auch wenn sie danach ein bisschen reserviert auf mich wirkte. Wahrscheinlich war sie Gleichstellungsbeauftragte oder hieß bis vor drei Jahren noch Heiner. Soll ja alles vorkommen.

Zurück zum Witz. Wie soll ich den heute erzählen? »Treffen sich ein People of Colour, ein Sinti und Roma und ein Homosexueller aus der LGBTQIA+-Community im Forest of Colour …« Genau. Schwarzwald.

Wenn ich dann auch noch gendere, wird der Witz länger als der »Herr-der-Ringe«-Director’s-Cut. Sorry, Herr*in der Ring*innen. Ja, sagt man jetzt so. »Indiana Jones« heißt auch nicht mehr »Indiana Jones«, sondern »Der indigene Johannes«.

Dabei liebe ich provokante Witze. Nach jedem dieser Jokes dringt nämlich immer so ein tiefes »Hohoho« aus dem Zuschauerraum zu mir auf die Bühne. Nicht wie der Weihnachtsmann, sondern dieses Lachen, das ganz tief aus der Seele kommt, wenn das Zwerchfell sich kringelt, die Bauchmuskeln sich anspannen, aber das Gesicht sagt: »Darüber lacht man nicht!« Und trotzdem muss der ganze Mensch sich kugeln. Dieses Hohoho finde ich mega. Davon kann ich nicht genug kriegen. Ich erzähle einen derben Witz auf der Bühne, und das ganze Publikum so: »Hohoho!« Ich schwöre, über den Köpfen der Zuschauer ploppen in dem Moment Gedankenblasen auf, und darin steht: Über so was darf man nicht lachen! Ich finde das NICHT witzig! Aber hohoho, ich kann nicht anders, hohoho, der Asiate hat einen rassistischen Witz gemacht, und der darf das, und deswegen darf ich lachen, hohoho. Dieses Hohoho-Lachen ist ein Reflex. Du musst lachen, auch wenn du nicht willst.

Früher bin ich auf die Bühne gegangen und habe gerufen: »Na, ihr Assis aus Braunschweig?« Darfst du nicht mehr sagen … Braun. Hast du sofort ’nen beleidigten Nazi bei dir nach der Show sitzen, der eine Entschuldigung verlangt oder dir vorwirft, ihn ausgeschlossen zu haben.

Im Ernst. Wir können doch nicht alles wegpiepen. Irgendwann steht ein Komiker auf der Bühne, und alles Verwerfliche wird weggepiept: Pieeep. Pieep. Pieep. Piiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeep. Oder geschwärzt. Einfach weggecancelt. Dann ist der Humor tot. Zum Beispiel der Witz von gerade eben: »Treffen sich ein Afrikaner, ein Zigeuner und ein Schwuler im Schwarzwald …«

Was soll man sich denn dann noch erzählen? Und worüber soll ich Witze machen? Ich bin ja nicht von gestern und mache mich einfach über jeden lustig, der nicht bei drei auf dem Baum ist. Auch wenn es so wirkt. Ich mache mir schon Gedanken, wen ich auf die Schippe nehmen darf. Und wenn ihr meinen Vater kennen würdet, wüsstet ihr, warum der ganz oben auf meiner Liste steht. Mann, der Typ bietet mehr Material, als ein Comedian in einem Leben auf der Bühne verarbeiten kann! So was lasse ich mir doch nicht entgehen. Das wäre Verschwendung. Und wir Deutschen sind doch Weltmeister im Recycling.

Und es gibt jetzt ja die »Diversity-Quote«. Die Gesellschaft will ja weltoffener werden, deshalb gibt’s seit neuestem in jeder Fernsehshow einen Asiaten, einen Schwarzen und eine Frau … obwohl so schon wieder ein Witz anfangen könnte, den man nicht erzählen darf. Aber ganz ehrlich, ich hab keine Lust, nur so ein Beistell-Japaner zu sein. Oder so ein Klapp-Chinese oder Muss-Philippino! Ich will doch nicht nur wegen meines Aussehens oder der Herkunft meiner Eltern irgendwohin eingeladen werden, DAS wäre doch total rassistisch. Oder?

In meinem Kopf rotieren die Gedanken, alles verschwurbelt und verknotet sich, ich finde den Anfang nicht mehr. An welchem Faden muss ich ziehen, um zum Ausgang zurückzufinden? Der Typ vorhin meinte, ich wäre ein Rassist. Aber kann ich das überhaupt sein? Wie soll das bitte funktionieren, als Deutscher mit Migrationshintergrund, der selbst jeden Tag mit den Vorurteilen seiner Mitmenschen konfrontiert wird? Und auch Mitmenschinnen? Frauen sind da nämlich kein Stück besser als Männer, auch wenn ich weiß, dass der nächste Aufschrei der Empörung entrüsteter Feministinnen auf mich wartet.

Wie oft habe ich das schon erlebt? Frau, Mitte 50, phänotypisch deutsch, verblüfft: »Sie sprechen aber gut Deutsch!«

Es gibt nur eine Antwort auf so eine Bemerkung: »Sie aber auch.«

Oder ganz trocken: »Ik wei au nik warum.«

Der Blick ist unbezahlbar.

Wie kann ICH bitte schön Rassist sein? Ist das biologisch überhaupt möglich? Ein Fehler in der Matrix? Ich bin total verwirrt. Mit dem Thema muss ich mich wohl mal genauer beschäftigen.

Ein Schnipsen vor meiner Stirn reißt mich aus den Gedanken. »Hallo, Tutty!« Nici schaut mich verärgert an. »Ich rede seit fünf Minuten mit dir, wo ist dein Hirn wieder unterwegs?«

»Äh, das zu erklären könnte länger dauern. Was hast du gesagt?«

»Ich habe gesagt: Das geht so nicht.«