Wenn Trauer spricht - Kai Sender - E-Book

Wenn Trauer spricht E-Book

Kai Sender

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Beschreibung

In fünf Jahren Trauerchat kommt eine ganze Menge an Tipps und Hinweisen zusammen, die sich Trauernde gegenseitig geben. In diesem Buch findest Du ihre Fragen und ihre Antworten darauf. Hier verspricht niemand, dass die Trauer leicht wird oder dass nach einem Jahr alles überstanden ist. Es sind keine perfekt formulierten Sätze, sondern die ganze Vielfalt aus dem Bereich der Trauer und aus Sicht der Betroffenen selbst. Dieses Buch ist voller Verständnis für jeden Menschen in Trauer und ein idealer Ratgeber, weil es nichts beschönigt und trotzdem Mut macht!

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INHALT

Ja oder nein?

Soll ich ihn besuchen?

Schuldig?

Wo sind meine Freunde?

Wie feiert Ihr Weihnachten?

Wie soll ich seinen Geburtstag verbringen?

Was soll ich darauf nur antworten?

Werde ich seine Stimme vergessen?

Werde ich verrückt?

Was mache ich mit seiner Kleidung?

Soll Trauer nicht in Phasen verlaufen?

Gibt es eine Strategie für meine Trauer?

Kennt Ihr auch diese Einsamkeit?

Mögt Ihr Euch selbst?

Werde ich sie jemals wiedersehen?

Werde ich darüber hinwegkommen?

Muss ich zur Beerdigung?

Wie helfe ich Kindern bei Begräbnissen?

Heul doch!

KAPITEL EINS

JA ODER NEIN?

Du hast einen geliebten Menschen verloren: Deinen Lebenspartner, die Mutter oder Dein Kind. Es ist ein Schock, etwas so unvorstellbar Schreckliches, wie Du es nicht erwartet hast. Natürlich wusstest Du auch vorher, dass Menschen sterben und die Hinterbliebenen leiden. Aber jetzt hast Du selbst diese Erfahrung machen müssen und bist in ein tiefes Loch gefallen.

In den ersten Tagen oder sogar Wochen bist Du wahrscheinlich gar nicht dazu gekommen, Deinen Verlust zu realisieren. Du musstest funktionieren, so viele Dinge regeln. Angefangen vom ersten Besuch beim Bestattungsinstitut bis hin zur Organisation der Trauerfeier und Beerdigung.

Es war vieles zu regeln; Schriftverkehr und Telefonate haben Dich in Anspruch genommen.

Nach dieser Zeit aber, wo jetzt der Alltag wieder eingekehrt ist, spürst Du Deine Gefühle, diese tiefe Niedergeschlagenheit und – lehnst sie ab. Du willst diese Lebenssituation nicht wahrhaben, haderst mit dem Leben generell und fühlst Dich auch noch von Deinen Freunden und Bekannten alleingelassen.

Die Sprachlosigkeit in Deiner Familie und in Deinem Bekanntenkreis macht es Dir noch schwerer.

Du stellst Dir permanent die Frage nach dem Warum. Wenn es doch so viele schlechte Menschen gibt, die noch leben – warum musste Dein geliebter Mensch sterben? Was ist das für eine Ungerechtigkeit Dir gegenüber? Wie kann sowas nur sein? Wie können ein Gott oder das Universum so etwas zulassen?

AKTIV SEIN

Eines der Geheimnisse in Deiner Trauer wird es sein, dass Du aktiv wirst. Tun. Machen. Irgendwas.

Diese Gefühle sind so verständlich, Dein Schmerz ist schließlich real, und sie lähmen Dich. Du verwendest unbewusst so viel Energie darauf, Deine Situation abzulehnen, dass für etwas anders fast keine Kraft mehr übrig bleibt. Das kann sich auch körperlich bemerkbar machen. Der Schlaf fehlt und Wörter wie Entspannung oder zur Ruhe kommen sind für Dich im Moment ohne Inhalt. Du denkst, dass Du es nicht mehr weiter aushalten kannst. Das ist völlig verständlich.

ICH WILL MEIN LEBEN SO NICHT. BIS MEIN LIEBSTER GEHEN MUSSTE, HABE ICH MIR NIE GEDANKEN ÜBER DAS LEBEN GEMACHT: OB ICH ES MAG ODER NICHT, OB ICH ES ANNEHME ODER NICHT.

WAS SAGE ICH JETZT ZU MEINEM LEBEN: JA ODER NEIN?

Wenn Du Nein zu dieser Lebensphase sagst, sagst Du damit auch zu Dir und Deinem Leben Nein. Falls das so bleibt, wirst Du ernstlich krank werden können. Es ist jetzt an der Zeit, wieder zu lernen, wie Du Ja zum Leben sagen kannst. Wie Du – langsam – wieder schöne Gefühle wahrnehmen kannst, Freude oder sogar Glück.

Das geht nicht von heute auf morgen und bedeutet in keinem Fall, den lieben Menschen, um den Du trauerst und der Dir so schrecklich fehlt, zu vergessen!

Bis das Gefühl von Glück oder Freude sich einstellen, kannst Du damit beginnen, Dich gedanklich vorzubereiten. Frage Dich, was Glück in Deiner jetzigen Situation bedeuten kann. Ist es ein Spaziergang in der Sonne, die Dich wärmt? Kannst Du die Farben der Blumen sehen, kannst Du an den Blüten riechen? Hast Du Freunde, mit denen Du reden kannst? Wem liegt etwas an Dir? Wem kannst Du helfen?

Jemandem zu helfen, ist eines der beglückendsten Anliegen, das wir Menschen überhaupt haben können. Gib anderen von Deiner Erfahrung in der Trauer ab, hilft ihnen, da Durchzukommen.

Damit sagst Du ein Ja zu deren Leben. Und dadurch ein Ja zu Deinem eigenen Leben.

Aber ich weiß, dass er mich bis zum letzten Augenblick sehr geliebt hat. Und das macht mich dann auch wieder glücklich in meiner Trauer.

Meine Tochter hat mein ganzes Herz ausgefüllt lange Zeit. Jetzt hat sie sich in eine Kammer meines Herzens zurückgezogen, um mir die Möglichkeit zu geben, wieder glücklich zu sein.

Ich habe auch gedacht, dass nichts mehr geht in meinem Leben. Tiefe Dunkelheit hatte mich umfangen. Ich hatte ganz klar Nein zum Leben gesagt. Dann habe ich gekämpft, um wieder glücklich sein zu können.

Aber es ist so unvorstellbar, ohne ihn weiterleben zu müssen ... man kann doch niemals wieder glücklich werden ...

Ich habe den Mut zum Weiterleben gefunden, weil ich weiß, dass es in seinem Sinne wäre, mich wieder glücklich zu sehen. Auch Ihr werdet diesen Mut haben und wieder ganz klar ein Ja zum Leben sagen können. Und zwar ein lautes Ja!

Jetzt mal echt: Das Leben ist doch viel zu kostbar, als dass ich Nein zum Leben sagen könnte. Es ist ein Geschenk! Von wem auch immer.

Ich behaupte, man kann wieder glücklich und auch zufrieden werden, wenn man sich allmählich aus der Trauer verabschiedet. Das muss man aber selbst machen und wollen. Man kann sich auch festfahren und immer wieder von vorne anfangen, aber ein Ja zum Leben ist doch viel schöner und wenn man es erstmal geschafft hat, dieses Ja zu sagen, dann wird man doch immer wieder bestätigt, dass es die richtige Entscheidung war.

Ich sage ganz deutlich ein Ja zum Leben, denn wenn ich ein Nein sagen würde, dann würde ich auch zum meiner Liebsten ein Nein sagen. Aber sie hätte nicht gewollt, dass ich aufgebe.

Ich glaube ja, dass es ein Weiterleben gibt. Und dass mein Papa von oben auf mich schaut. Er ist vielleicht nicht mein Engel, aber er ist dann doch da für mich. Und er will ganz klar, dass ich Ja zum Leben sage.

SOLL ICH IHN BESUCHEN?

Lieber Kai, mein Vater liegt im Sterben und ich glaube, ich habe nicht die Kraft, ihn im Krankenhaus zu besuchen. Ich sitze dann da und weiß nicht, was ich da sagen soll. Was ich tun kann. Es ist so unerträglich für mich, diese Situation. Ich bin so verzweifelt und weiß nicht, was ich tun soll!

Hallo meine Liebe, gestatte Dir Gefühle! Selbst wenn Deine Gefühle Dich erschrecken – sie gehören zu Dir und sie kommen aus Dir. Sie dürfen sein.

Ich kann Deine Angst und Verzweiflung sehr gut nachvollziehen. Das, was Du gerade empfindest, ist völlig in Ordnung so. Du darfst so fühlen!

Du möchtest einfach nicht, dass er stirbt. Du könntest ausflippen und sonst was tun. Deshalb ziehst Du Dich zurück, um Dich zu schützen.

Auch das ist absolut Dein Recht. Wenn Du meinst, es würde Deine Kraft übersteigen, ihn zu besuchen, dann brauchst Du es auch nicht zu tun.

Nun ist das ganze Geheimnis in einer Trauer (in der Du Dich jetzt schon befindest), aktiv zu sein. Sich also nicht zurückzuziehen, sondern etwas zu tun: Das machst Du ja schon, indem Du Dir hier Hilfe holst. Und das finde ich gut. Das also zu Deinen Gefühlen.

Wie sieht es mit Deinem Vater aus? ER stirbt. Du wirst weiterleben.

Ich persönlich – also das gilt für mich! – würde zu ihm hingehen und ihm die Ehre erweisen, die er verdient. Nämlich in seinen letzten Momenten bei ihm zu sein.

Was wäre mit Dir?

Was würdest Du wollen, wenn Du unheilbar krank wärst?

Selbst wenn er die Worte, die ich ihm sagen könnte, nicht hören würde, so würde er doch meine Anwesenheit fühlen. Seine Seele würde das wahrnehmen.

Damit würde ich ihm Wertschätzung entgegenbringen. Ich denke, niemand hat es verdient, dann, wenn es ganz schwer wird, alleingelassen zu werden. Aufgegeben zu werden. Und wenn dann Jahre vergangen wären, könnte ich ein gutes Gewissen haben. Denn ich hätte ihn so behandelt, wie ich einmal behandelt werden möchte. Mit Respekt, Anstand und Würde. Weil er ein Mensch ist und kein „Ding“.

Menschen, die sterben, Durchlaufen wie auch Trauernde ganz unterschiedliche Stimmungen, viele Experten sagen auch Phasen dazu. Nach der Schockphase, der Selbstmitleidsphase und der Verhandlungsphase (wenn die Sterbenden mit dem Schicksal feilschen möchten, wie z.B. „Lass mich wenigstens noch die Einschulung meiner Enkelin erleben, dann kann ich auch sterben.“) kommt die Phase, in der sie sich ergeben und „einwilligen“, dass sie nun sterben.

Dann sind sie meist ganz ruhig und dankbar für jede Nähe, wollen aber nicht immer sprechen oder etwas zeigen, sondern genießen nur, dass da jemand bei ihnen ist. Manche warten darauf, dass ganz bestimmte Menschen sie besuchen kommen, weil sie noch Dinge klären wollen. Sie möchten sich möglicherweise entschuldigen oder selbst etwas verzeihen.

Es ist wichtig zu überlegen, ob Unerledigtes zwischen Euch besteht, ob gewisse Dinge oder Wahrheiten noch ausgesprochen werden müssen. Du könntest dem Sterbenden sogar eine eigene Hürde aus dem Weg räumen. Somit könnt Ihr gemeinsam Euren Frieden machen.

Bereite Dich auf eine Reihe verschiedener Emotionen vor, die Du verspüren wirst. Trauer ist ja nicht nur ein einziges Gefühl, sondern stellt eine ganze Palette an unterschiedlichsten Gefühlen dar: Erschöpfung, Angst, Verzweiflung, Liebe, Sehnsucht, Wut und Bereuen – und manchmal wirst Du glauben, vor lauter Gefühlen nicht mehr klar denken zu können.

Das alles ist ein Schutzmechanismus Deiner Seele, sie verarbeitet dadurch den Verlust eines Menschen und die Tatsache, dass Dir schlagartig Deine eigene Existenz sehr unsicher erscheint. Das geht uns meistens so, wenn wir von einem (bevorstehenden) Tod erfahren.

Ich wünsche Dir viel Kraft für die nächste Zeit. Und egal, wie Du Dich auch entscheidest: Es ist in Ordnung so, denn niemand kann Dir vorschreiben, wie Du zu fühlen hast oder ob Du Deinen Gefühlen in irgendeiner Art und Weise folgen sollst.

Wenn Du magst, wende Dich mit Deinen Fragen an ein Hospiz in Deiner Nähe. Die Menschen dort wissen, wie man mit solchen Situationen umgeht und werden Dir auch keine Vorschriften machen.

Sicherlich gibt es auch eine Trauergruppe in Deiner Nähe, wo Du Verständnis findest für Deinen Zwiespalt. Die Teilnehmer dort sind selbst in Trauer und haben alle einen oder sogar mehrere liebe Angehörige verloren. Sie wissen, worum es geht, und Du brauchst nicht erst umständlich zu erklären, wie Deine Situation ist und welche Gefühle Du hast. Vielleicht bist Du dort die einzige Teilnehmerin, die schon trauert, bevor der Angehörige verstorben ist. Aber das macht in der Sache eigentlich keinen Unterschied. Das Hospiz kann Dich mit entsprechenden Adressen und Kontaktmöglichkeiten versorgen.

Am Sonntag kam die Nachricht, dass ein ganz lieber Freund im Sterben liegt mit gerade 49 Jahren. Von jetzt auf gleich war er sehr sehr krank geworden. Ich hatte hin und her überlegt, ob ich ihn besuchen soll. Mittwoch war er tot. Ich war nicht hingegangen. Das werde ich mir nie verzeihen

Einen wichtigen Grund hätte ich gehabt, nicht zu ihm zu gehen, wo er so schwer krank war. Es war damals etwas vorgefallen. Ich hätte ihm das nicht verzeihen müssen. Aber dann wäre er beim Sterben ganz allein gewesen. Ob ich das verkraftet hätte?

Wer im Angesicht des Todes nicht bereit ist, den Sterbenden zu besuchen, den finde ich feige.

Wenn Du das jetzt nicht tust, dann wirst Du es Dir Dein ganzes restliches Leben lang vorwerfen. Soviel ist mal sicher!