Unser Mutbericht - Kai Sender - E-Book

Unser Mutbericht E-Book

Kai Sender

0,0

Beschreibung

Wenn Du endlich erkannt hast, dass Du süchtig bist oder Dein Angehöriger: Wie geht Ihr damit um? Wie macht man das: »spielfrei sein« oder »trocken sein«? Was gibt es für Werkzeuge, wie lauten die Geheimnisse einer zufriedenen, glücklichen Spielfreiheit? Und wie läuft das mit einer Selbsthilfegruppe? Was kann Gisela den Angehörigen raten? Was hat ihr geholfen? Diese Infos und noch viel mehr liest Du in diesem Buch von Gisela und Kai. Sie wissen aus eigener Erfahrung, wie viel Leid eine Glücksspielsucht auslöst, aber sie wissen auch, wie gut sich das Leben wieder entwickelt, wenn beide, jeder für sich und dann gemeinsam, den Kampf aufnehmen! Aus einer Kritik: "Wir haben das erste Buch gelesen, den "Suchtbericht". Nun jetzt den "Mutbericht" - Es ist unfassbar spannend, wie sehr sich beide entwickelt haben. Kai berichtet davon, wie er seine Selbsthilfegruppe leitet, wie er sich dadurch selbst entwickelt hat. Er hat sich schlau gemacht über das Thema "Gruppenleitung" und nach seiner Therapie, von der er ja im "Suchtbericht" erzählt, die Gruppenleitung übernommen. Der Alltag einer Selbsthilfegruppe wird erzählt, und was er über sich selbst in Bezug auf seine Sucht gelernt hat. Kai ist dabei brutal ehrlich mit sich selbst, schreibt selbst peinlichste Dinge - weil er der Meinung ist, nur so können andere nachvollziehen, was ein Süchtiger lernen muss und wie gut das funktionieren kann. Durch seinen wunderbaren, fast englischen Humor lässt sich sein Teil im Buch wie in einem Rutsch lesen, so leicht und doch tiefgehend ist das. Sowas habe ich selten erlebt! Gisela erzählt in knappem Ton, mit vielen Punktlisten, wie sie die Selbsthilfegruppe für die Angehörigen leitet, was sie über sich und die Glücksspielsucht gelernt hat. Sie gibt ganz klare, sehr deutliche Merksätze aus ihrem Alltag, wie z.B. "Mit Sucht diskutiert man nicht!" oder "Ich möchte kein Wachhund sein, sondern Partnerin". Und sie empfiehlt den Angehörigen, sich wieder mehr ums ich selbst zu kümmern, für sich selbst zu sorgen, denn 'Verändern kann jeder nur sich selbst.'"

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 119

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Unser Mutbericht

In Memoriam Horst SchwennenWer sind wir?Die allzeit bereite Dosis InstantglückAlter, stress mich nichtUnd das kam so:Ganz im Hier und Jetzt: Selbsthilfegruppe GlücksspielsuchtDu bist jetzt weg, das muss ich wohl verstehenRückfall, Alkohol, Kurzschock oder das Märchen von der WeinbrandbohneTautologie, böse Therapeuten, TagebücherIhr anstrengenden Egozentriker!Buch über Glücksspielsucht Und noch’n Buch:  Tarzan ist wieder da!Glücksspielsucht, quasi, und Johnny Weissmüller, quasiSonnenstände, Köfte und behutsamer RiesenquatschDas Leben versoffenButter bei die FischeGrenzschützerinnen gesucht!350 Angehörige in meiner SelbsthilfegruppeWer bist Du eigentlich?Egoismus, Selbstbewusstsein und Novomatic oder der Unterschied zwischen Theorie und PraxisSüchtige sind so feige!Jetzt erst recht: Weitermachen!Vom Ausbaden bei SkagenTrockengeburtstag: Darf’s noch etwas schwer sein?Wenn Sprechen weh tut – wir haben da was für Sie!Gauselmann, Novomatic oder „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ sind die ec cash zahlungen in spielotheken anonym? nie wieder spielothek Macht sich hier zum Deppen oder wie?Durchgangsgefühle, stete Tropfen und geheimes Chaos oder Tipps für FortgeschritteneVon den Meschuggenen und der WollustSo langsam habe ich begriffenMeine Talkshow, Bratwurst und Gedanken an WernerDer feine Herr war auf einem SenatsempfangÜber evangelische Obdachlose, Schwarz zu Weiß und demütige Ex-SäuferMein Test mit der SachertorteNochmal zum Thema Lüge oder Die Feigheit vor dem FeindVon plietschen Leitern, Fernsehfieber, Buchrennern und einer guten SenatorinLang kurz kurz kurz - kein Morsen möglich Einstiegsphase der Glücksspielsucht Verlustphase der Glücksspielsucht Verzweiflungsphase der Glücksspielsucht Noch schöner als BridesheadIn Memoriam HORST SCHWENNENSpießerleben ist für die GutenGiselas BerichtLies hier weiter!Und noch ein BuchImpressum

In Memoriam Horst Schwennen

Er leitet mittlerweile im Himmel die eine oder andere Therapie und versucht immer noch, das richtige Erzählen von Witzen zu lernen. 

Danke, Horst!

Wer sind wir?

Du liest hier gerade unser zweites Buch. Das erste heißt „Unser Suchtbericht“ und da berichten meine Frau Gisela und ich von der ersten Zeit meiner Spielfreiheit, meinem Aufenthalt in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses (im Volksmund und auch von mir gelegentlich liebevoll „Klapse“ genannt), über meine erste Zeit in der Selbsthilfegruppe, die ich heute leite, über meine Therapie in der Fachklinik St. Marienstift Dammer Berge in Neuenkirchen/Vörden (von der ich immer noch schwerstens begeistert bin: Hervorragende Therapeuten sind dort tätig.) und alle die 1.433 Dinge, die wir beide seitdem gelernt, uns erarbeitet und letztendlich auch umgesetzt haben – jeder für sich, in seinem eigenen Bereich, aber auch wir gemeinsam.

Im ersten Buch, dem Suchtbericht, hast Du auf einigen Seiten die Berichte von Gisela und mir gleichzeitig gefunden. Das war teilweise irritierend. Deshalb wirst Du im Mutbericht unsere Berichte hintereinander finden.

Es gibt mittlerweile reichlich Zeitungsartikel über unser erstes Buch. Wir waren und sind damit immer noch auf Lesungen in ganz Deutschland, der Suchtbericht wurde im Fernsehen vorgestellt und im Radio. Und die nächsten Termine sind schon geplant. Unser erstes Buch ist quasi ein „Renner“, was mich stolz macht und meinem Ego schmeichelt, was aber auch hilft, unser gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Das Thema Glücksspielsucht in die Gesellschaft zu bringen. Ein guter Artikel über den Suchtbericht stammt aus einer Szene-Zeitschrift, dem Mix in Bremen:

Die allzeit bereite Dosis Instantglück

Kai Sender ist Suchtexperte aus eigener Erfahrung. Seit 22 Jahren ist er trockener Alkoholiker. Vor einigen Jahren unterlag er einer Suchtverlagerung auf Glücksspiel. „Ich war zwar trocken, aber nicht nüchtern und hatte bis dato die Ursache meiner Sucht nicht aufgearbeitet“, meint Sender. Nach einer stationären Therapie von vier Monaten Dauer ist er seit fünf Jahren „spielfrei“ – so nennt man die Abstinenz vom Glücksspiel.

„Ich habe meine Sucht im Blick. Das muss ich auch“, meint Sender, „denn es ist eine Krankheit, die nicht geheilt, sondern nur gestoppt werden kann. Und ich muss mich bis zum meinem Lebensende beobachten.“

Er selbst brauche es, dass er offensiv mit seiner Sucht umgehe, dass er darüber rede und schreibe. Er brauche es, eine Selbsthilfegruppe zu haben und sich wöchentlich mit anderen Glücksspielsüchtigen zu treffen. Das Schöne an diesem offensiven Bekenntnis zur Sucht sei, dass er noch keine negative Reaktion darauf erhalten habe.

Zum Glücksspiel ist Sender gekommen, weil es für ihn dieselben Funktionen erfüllte wie die Alkoholsucht: Flucht vor der Realität, vor unangenehmen Gefühlen. Statt sich Problemen oder Konfliktsituationen zu stellen, spielte er lieber Poker im Internet. „Ich gestand mir meine unangenehmen Gefühle nicht zu“, sagt Sender, „und hatte arge Probleme, sie überhaupt wahrzunehmen. Immer, wenn es mir nicht so gut ging, hatte ich ja meine Dosis ‚Instantglück‘, nämlich das Glücksspiel.“

Vor seiner Frau Gisela konnte er die Summen, die er verspielte, verstecken, indem er die Einsätze ausschließlich von seinem Geschäftskonto bezahlte. „Ich fiel aus allen Wolken, als Kai mir eines Tages seine Online-Zockerei gebeichtet hat“, meint Gisela Sender. Spieler seien eben auch Schauspieler und würden ebenfalls mit den Menschen um sie herum spielen. Während Kai auf Rat seiner Ärztin in eine geschlossene Einrichtung der Psychiatrie ging, suchte Gisela sich vergeblich Hilfe. „Die Angebote für Angehörige von Süchtigen waren zu dem Zeitpunkt, kurz vor Weihnachten, nicht erreichbar. So war es sehr mühsam, Informationen über die Glücksspielsucht zu erhalten.“

Über diese Anfangszeit und das erste Jahr der Spielfreiheit darauf berichten beide sehr offen in ihrem Buch „Unser Suchtbericht.“ Sie erzählen von ihrer jeweils eigenen Angst, ihren Hoffnungen und dem Weg, den beide bis heute gehen. Ihr Suchtbericht macht Mut, sich der Sucht zu stellen und den Kampf aufzunehmen.

Und was ist das Bemerkenswerte an diesem grandiosen ersten Buch von den Senders?

Ganz einfach: Ich erzähle aus meiner Sicht, also der des Süchtigen, wie in einem Tagebuch, und meine Frau berichtet aus ihrer Sicht der Angehörigen eines Suchtis.

Was musste sie alles lernen und umsetzen? Wie ist ihre Selbsthilfegruppe entstanden, wie verzweifelt und hilflos war sie?

Ich denke, Angehörige werden bei dem Problem der Sucht generell nicht genügend beachtet. Alles dreht sich um den Süchtigen. Die Angehörigen aber werden oft alleingelassen mit ihrer Angst und Hilflosigkeit. Deshalb freue ich mich darüber, dass Gisela hier aus ihrer eigenen Sicht berichtet.

In diesem zweiten Buch nun geht es um die Dinge, Menschen, Begegnungen, Themen, die wir erlebt haben, nachdem ich meine Therapie gemacht hatte und ein Jahr lang schon wieder zuhause war.

Also, fangen wir an.

Der Kai und seine Gisela. Oder die Gisela und ihr Kai.

Alter, stress mich nicht

Ich finde es stets aufs Neue interessant, dass viele Süchtige sich fragen, warum sie getrunken, gespielt (gesoffen, gezockt) oder welche Droge auch immer zugeführt (sonst was eingeschmissen) haben, und dann Sätze sagen wie „ich verstehe das nicht, ich bin doch nicht dumm“.

Sie kommen nicht einmal auf die Idee, dass ihre Sucht nichts mit ihrer Intelligenz (Mutter Erde sei Dank!) zu tun hat. Wenn es also nicht die Überlegung, das Denken, die (mangelnde) Intelligenz ist, die mich in die Sucht gebracht hat – was ist es dann?

Es ist die unbekannte Welt der Gefühle. [Ich nehme hier jetzt mal keine Rücksicht auf die anderen Bedingungen bei der Entstehung einer Sucht wie Umweltbedingungen, Kultur usw.]

Diese Gefühle zu entdecken, ist für viele Menschen derart schwierig, dass sie erstmal so tun, als hätten sie gar keine.

Nun hat es beim Vogel Strauß schon seltenst funktioniert, einfach den Kopf in den Sand zu stecken, wenn eine Auseinandersetzung droht. Da klappt es beim Menschen schon gar nicht. Also bleibt nur, weiterhin die Bedeutung der Gefühle entweder nicht wahrzunehmen oder sie zu negieren. Das klingt komisch. Ist aber so.

Ich habe das bis heute immer wieder erlebt: Manche Süchtige, die schon länger spielfrei, trocken, abstinent sind, trauen sich immer noch nicht, sich mal vorsichtig an dieses beängstigende Gefühlsreich heranzupirschen. Es ist auch sehr schwer, sich dem zu stellen, weil man manchmal nicht weiß, was eigentlich gerade mit einem passiert, wenn man ein sehr intensives Gefühl wahrnimmt.

Zuweilen ist dann sofort eine Überforderung da und sorgt für ein weiteres Gefühl, die Angst. Und dann klappt es schon gar nicht, damit ins Reine zu kommen. Als ich das erste Mal hörte, dass jedes Gefühl seine Berechtigung hat, hielt ich das für Therapeutengeschwätz! „So ein Quatsch, jedes Gefühl darf sein? Und was ist mit Neid oder Hass? Ich darf doch nicht hassen. Das ist ein schlechter Charakterzug!“

Und lange habe ich nicht verstanden, welchen Sinn Gefühle überhaupt machen. Die sind irgendwie anstrengend. Die sind für mich nicht berechenbar.

Ich möchte es überschaubar: Pro – Contra – Strich drunter: Ergebnis. Das ist einfach, mit diesem Vorgehen kann ich leben.

Schon vor der Therapie im St. Marienstift habe ich aber gelernt, dass ich selbst ja doch eine Unmenge von Gefühlen bei mir akzeptierte. Das waren die „guten“ Gefühle, also die angenehmen. Es ist mir nie schwergefallen zu lachen, zu gönnen, Mitleid zu haben. Und all’ die harten Typen, die nie Gefühle zeigen, weil sie ja so cool sind: Lachen können die alle.

Von dieser Erkenntnis ausgehend, konnte ich mir die anderen „schlechten“ – die unangenehmen, mir teilweise peinlichen – Gefühle nach und nach anschauen und als ich dann auch endlich herausfand, welchen Sinn zum Teufel noch mal Gefühle haben, wurde ich mutiger.

Um diesen Sinn herauszufinden, brauchte ich Hilfe. Therapeuten mussten mich da langsam hinführen. Ich kann das hier nicht allgemeingültig erklären, dazu weiß ich zu wenig darüber. Aber ich weiß, was ein Gefühl für mich ist: eine Reaktion auf eine Situation, in der ich mich befinde (oder befand oder befinden werde).

Ein Gefühl hilft mir, diese Situation besser zu verstehen oder eher: die Situation zu leben. Wenn ich lachen muss, dann weil die Situation zum Lachen ist. Wenn ich traurig bin, dann weil die Situation eine traurige ist. Ärger sagt mir deutlich: Das will ich so jetzt nicht, dass passt mir überhaupt nicht in den Kram!

Das muss sich für einen gesunden Menschen derartig dämlich anhören! Das aufzuschreiben ist mir peinlich! Aber so ist nun mal meine Geschichte und deshalb schreibe ich hier.

Ärger – ein Phänomen für mich. Ich habe mich seltenst geärgert, das durfte für mich nicht sein. Ärger rauszulassen war doch peinlich! Sowas machte man einfach nicht. Von Wut gar nicht zu reden.

Das war in meiner Erziehung auch verboten, ich war ja ein „Gotteskind“, also ein Sektierer, von Sektierereltern in eine Sektiererfamilie hineingeboren, lauter liebe, nette, fröhliche, stets gut–draufe Realitätsverleugner. Man nennt das heute auch „Religiöse Sondergemeinschaft.“

Das ist neues Deutsch für weltfremd oder verbumfeit.

Kurz gesagt: In der Sekte waren nur die guten Menschen, draußen waren die „Weltmenschen“, also schlechte Menschen. Da es mir also so gut ging, als Gotteskind, musste ich auch immer lieb und fröhlich sein.

Dann hatte ich in der Suchtklinik Marienstift in Neuenkirchen/Vörden, wo ich eine stationäre Therapie von 15 Wochen Dauer gemacht habe, eine Indikationsgruppe, also eine Gruppe, die ein- oder mehrmals pro Woche zu einem ganz bestimmten Thema stattfindet,  –  „Kommunikationstraining“ beim hervorragenden Therapeuten Norbert König – in der ich erfuhr, dass Kommunikation, also die Verständigung zwischen Menschen (Oh Gott, meine Kurzdefinitionen werden Weltreiche erschüttern, Jammer!), zu sage und schreibe nur sieben Prozent verbal, also durch Sprache, und zu den restlichen 93 Prozent non-verbal funktioniert: durch Gestik, Mimik, Kleidung, Geruch und so weiter.

Da wurde mir klar, dass mehr Entscheidungen aus dem Gefühl heraus getroffen werden als aus reiner Überlegung. Das haute mich um. Dieses Wissen erleichterte es mir, mich mehr mit meinen Gefühlen zu beschäftigen, ihnen mehr Rechte zuzugestehen und mich – tata! – sogar von ihnen leiten zu lassen.

Daher schäme ich mich heute meiner Gefühle nicht mehr. (Na ja, okay, vielleicht ein klein wenig ...)

Daher gefühlsduselig: Weitermachen!

PS: In einem Internetforum über Glücksspielsucht gibt es allerlei Informationen über Spielsucht, leider aber auch einen Link zum Kauf von Pokerkoffern. Ja, glaub’ ich’s denn?

PPS: Der Umsatz aller Spielhallen in Deutschland hat sich seit 2005 verdreifacht.

Und das kam so:

Ich bin in der letzten Woche urplötzlich sehr traurig geworden und musste mich eine ganze Weile mit diesem Gefühl herumschlagen.

Und das kam so: Ich habe gemerkt, dass ein Spielsüchtiger – mit ein paar Unterbrechungen eigentlich spielfrei, dachte ich – mit Worten nicht erreichbar ist. Er ist auf einem gefährlichen Weg, auf dem Weg, den nahezu jeder Spielsüchtige am Ende seiner Laufbahn geht: Es entgleiten so nach und nach sein Leben, seine Beziehungen, sein soziales und ökonomisches Umfeld.

Ich hatte gedacht, er habe seine Spielfreiheit soweit im Griff, doch zweifele ich mittlerweile sehr stark an meinen Eindrücken der letzten Monate. Dafür sind mir letztens zu viele Merkwürdigkeiten bekannt geworden, Auffälligkeiten, die bei anderen Menschen um ihn herum für Verwunderung sorgen und die mich erschrecken ließen. Ich habe mit ihm gesprochen, es hat wohl nicht geholfen und das – das hat mich eben so sehr traurig gemacht. Mit Gisela habe ich darüber geredet und sie meinte, diese Situation würde mich wohl auch an mich selbst erinnern. Da hat sie Recht. In der letzten Phase meiner Glücksspielzeit war mir wie wohl jedem Spieler gar nicht mehr bewusst, was ich eigentlich tat.

Die Realität war für mich nicht mehr zugänglich, ich habe in meiner Suchtwelt gedacht, gefühlt, gehandelt, geplant, geträumt.

Ein gut gemeintes Zureden hätte bei mir keine Einsicht ausgelöst.

Heute stehe ich auf der anderen Seite und merke, wie machtlos ich bin. Ich fühle, wie hilflos Angehörige sich vorkommen müssen, die nur danebenstehen und hoffen können. Das hinterher zu entdecken, ist nicht gerade das, was man sich zu Weihnachten wünscht.

Ich mache mir Sorgen um ihn, heute allerdings weniger als noch in der letzten Woche. Ich möchte dieses Spielerleid nicht zu meinem eigenen machen und merke in den letzten Tagen, dass dies auch ganz gut funktioniert. Gleichwohl denke ich fast täglich daran und spüre auch die Hoffnung, dass er noch rechtzeitig aufwacht.

Aber es ist seine Sucht, nicht meine, es ist seine Situation, nicht meine, es ist sein Suchtverlauf, nicht meiner.

Ich habe meinen eigenen Suchtverlauf gehabt, meine eigene Therapie gemacht, genieße meine eigene Spielfreiheit, hatte meinen eigenen Lieblingstherapeuten gefunden und meine eigene Selbsthilfegruppe. Vor allem aber habe ich meine Frau, die mir Kraft gibt, meinen Weg selbst zu gehen.

Daher aufatmend: Weitermachen!

Ganz im Hier und Jetzt: Selbsthilfegruppe Glücksspielsucht

Dass ich meine Selbsthilfegruppe schätze, weil sie eindeutig mit dazu beiträgt, dass ich spielfrei und trocken bleibe, obwohl das Thema Alkohol selten vorkommt, denn nur ich bin in meiner Gruppe alkoholsüchtig und seit über zwei Jahrzehnten trocken, das möchte ich hier noch einmal sehr stolz betonen, habe ich gelegentlich erwähnt.

Seit Jahren reserviere ich den Donnerstagabend für die Selbsthilfegruppe GGG (Gemeinsam gegen Glücksspielsucht). Dieser Termin ist mir heilig und Ausnahmen lasse ich nur selten zu, eigentlich gar nicht: Ich bin immer da, es sei denn, ich habe Urlaub oder es ist ein Feiertag.

Diese Selbsthilfegruppe für Glücksspielsucht bildet zusammen mit den GA – den Gamblers Anonymous – ein Duo:  Es gibt nur diese zwei Gruppen in Bremen, die als Anlaufstelle für Glücksspielsüchtige dienen können.

Mittlerweile hat sich das verändert, aber dazu mehr im nächsten Buch. Ich muss ja auch mal einen Cliffhanger unterbringen.