19,99 €
Financial Times Business Book des Jahres 2023
„Dieses Buch wird Sie zu Ihrer kühnsten Arbeit inspirieren.“
Ed Catmull, Autor, Kreativität Inc.
„Kein Thema ist wichtiger als die Bewertung und das Verständnis von Misserfolg.“
Tom Peters, Autor
Wie und was man aus Misserfolgen lernen und damit Risiken besser einschätzen kann: Impulse für eine zeitgemäße Fehlerkultur. Dieses Buch wird Ihr Verhältnis zum Scheitern verändern.
Früher betrachteten wir Scheitern als ein Problem, das um jeden Preis vermieden werden sollte. Heute wird uns oft gesagt, dass Scheitern erwünscht ist – dass wir „schnell und oft scheitern“ müssen. Das Problem ist, dass keiner der beiden Ansätze die guten von den schlechten Fehlern unterscheidet. Infolgedessen verpassen wir die Gelegenheit, klug zu scheitern.
Nach jahrzehntelanger Forschung stellt Amy C. Edmondson in ihrem neuen Buch unser Verständnis von Scheitern vom Kopf auf die Füße. Sie liefert einen Rahmen, um Scheitern klug zu denken, zu diskutieren und zu praktizieren.
Amy C. Edmondson zeigt auf, wie wir unproduktives Scheitern minimieren und gleichzeitig den Nutzen aus Fehlern aller Art maximieren können. Sie veranschaulicht, wie wir unsere menschliche Fehlbarkeit in Organisationen akzeptieren, genau lernen, wann Scheitern unser Freund ist, und es weitgehend vermeiden können, wenn es das nicht ist. Dies ist der Schlüssel zur Verfolgung intelligenter Risiken und zur Vermeidung teurer Schäden.
Anhand anschaulicher, realer Geschichten aus der Wirtschaft, Popkultur oder der Geschichte vermittelt uns Edmondson speziell zugeschnittene Praktiken, Fähigkeiten und Denkweisen, die uns helfen, Scham und Schuldzuweisungen durch Neugier, Verletzlichkeit und persönliches Wachstum zu ersetzen. Sie werden Versagen nie wieder auf dieselbe Weise betrachten.
Seit ihrem weltweiten Bestseller „Fearless Organization“ gehört die preisgekrönte Harvard-Business-School-Professorin Amy Edmondson zur den einflussreichsten Beraterinnen weltweit. Die deutsche Ausgabe erschien im Verlag Vahlen unter dem Titel „Die angstfreie Organisation“.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impulse für eine zeitgemäße Fehlerkultur: Entwickeln Sie eine unbeschwerte, lernorientierte Beziehung zum Scheitern.
Die meisten von uns tun alles, um Fehler zu vermeiden. Aber berauben wir uns dadurch nicht eines Abenteuers und (häufig unerwarteter) Erfolge?
In diesem Buch untersucht Amy Edmondson, warum es so schwierig ist, das Lernen aus Misserfolgen im täglichen Leben und bei der Entwicklung unserer Organisationen umzusetzen.
Der erfolgreiche Umgang mit Misserfolgen und die daraus möglichen Lernerfahrungen beginnen zunächst mit dem Verstehen, dass nicht alle Misserfolge gleich sind. Dieses Buch skizziert eine Typologie des Scheiterns, die Ihnen hilft, die »wertvollen Fehler« von den Fehlern zu unterscheiden, die Sie unbedingt vermeiden sollten. Sie werden neue Denkweisen über sich selbst und das Scheitern erlernen, Kontexte erkennen, in denen Scheitern wahrscheinlich ist, und die Rolle von Systemen dabei verstehen – alles entscheidende Kompetenzen, um die Wissenschaft des klugen Scheiterns zu beherrschen.
»Amy Edmondson, eine der beeindruckensten Wirtschaftsexpertinnen unserer Zeit, bietet eine starke neue Perspektive auf die menschliche Fehlbarkeit.«Daniel H. Pink, Autor von Drive
»Dieses Buch wird Sie zu Ihrer kühnsten Arbeit inspirieren.«Ed Catmull, Autor von Die Kreativitäts-AG
»Keine Fähigkeit im Leben ist so wichtig wie das Lernen aus dem Scheitern – und niemand auf der Welt weiß mehr darüber als Amy Edmondson.«Adam Grant, Autor von Think Again und Geben und Nehmen
Dieses Buch »wird Ihnen helfen, die Art von Risiken einzugehen, die Sie eingehen müssen, um in Ihrer Karriere und im Leben erfolgreich zu sein.«Kim Scott, Autorin von Radical Candor
Die praktische Wissenschaft klugen Scheiterns
von
AMY EDMONDSON
Aus dem Amerikanischen übersetzt von
MIKE KAUSCHKE
5Für Jack & Nick
Mit bleibender Liebe und wachsender Bewunderung
Ich habe keine Angst vor Stürmen, denn ich lerne, mein Schiff zu steuern.
– Louisa May Alcott
PROLOG
EINFÜHRUNG: AUS FEHLERN LERNEN
AUS FEHLERN LERNEN IST LEICHTER GESAGT ALS GETAN
SCHEITERN IM NEULAND
WAS SIND WERTVOLLE FEHLER?
SCHLECHTES SCHEITERN, KLUGES SCHEITERN
DER WEG, DER VOR IHNEN LIEGT
8TEIL 1 Die Landschaft des Scheiterns
KAPITEL 1 AUF DER SUCHE NACH DEN WERTVOLLEN FEHLERN
WARUM IST ES SO SCHWER, KLUG ZU SCHEITERN?
DAS SPEKTRUM MÖGLICHER URSACHEN DES SCHEITERNS
ERFOLGREICH DURCH SCHEITERN
INNOVATION HÖRT NIE AUF
DIE WISSENSCHAFT DES KLUGEN SCHEITERNS PRAKTIZIEREN
KAPITEL 2 HEUREKA! WENN SCHEITERN KLUG IST
WENN SCHEITERN KLUG IST
MACHEN SIE IHRE HAUSAUFGABEN
EINE VORLIEBE FÜR DAS HANDELN WIEDERHOLEN
MEISTER DES KLUGEN SCHEITERNS
AUF DIE WEISHEIT DES INTELLIGENTEN SCHEITERNS HÖREN
KAPITEL 3 IRREN IST MENSCHLICH
GRUNDLEGENDE FEHLER VERSTEHEN
WIE MAN EINEN GRUNDLEGENDEN FEHLER ERKENNT
MENSCHLICHE AUSLÖSER DES GRUNDLEGENDEN SCHEITERNS
Unaufmerksamkeit
WIE SIE DIE GRUNDLEGENDEN FEHLER IN IHREM LEBEN REDUZIEREN KÖNNEN
PRÄVENTIONSSYSTEME
HEUREKA! WENN SICH GRUNDLEGENDES SCHEITERN IN ERFOLG VERWANDELT
IRREN IST MENSCHLICH, GRUNDLEGENDES SCHEITERN VERHINDERN IST GÖTTLICH
KAPITEL 4 DER PERFEKTE STURM
VIELE KLEINE DINGE
AUF DER SUCHE NACH DEM SCHULDIGEN
KOMPLEXE FEHLER SIND DIE WAHREN MONSTER
WENN DIE SITUATION VERSCHLIMMERT WIRD
WENN ES SICH ÜBER JAHRZEHNTE ANBAHNT
KOMPLEXES SCHEITERN NIMMT ZU
WIE SYSTEME KOMPLEXES SCHEITERN HERVORBRINGEN
WIE MAN KOMPLEXE FEHLER REDUZIERT
Über das Problem hinausdenken
DIE MÖGLICHKEIT VON FEHLERN AKZEPTIEREN, UM DAS AUFTRETEN VON FEHLERN ZU VERRINGERN
9TEIL 2 Die Wissenschaft des klugen Scheiterns in der Praxis anwenden
KAPITEL 5 WIR HABEN DEN FEIND GETROFFEN
WER, ICH? DAS KANN NICHT SEIN!
WIE WIR GEPRÄGT SIND
WENN WIR NICHT AUS MISSERFOLGEN LERNEN
DIE STILLE MACHT DER SCHAM
LERNEN IST WICHTIGER ALS WISSEN
REFRAMING
WIE WIR DENKEN; WIE WIR FÜHLEN
DIE ERLAUBNIS ZUM LERNEN
KAPITEL 6 KONTEXTE UND KONSEQUENZEN
ICH WOLLTE KEINEN FEHLER MACHEN
DIE UNTERSCHIEDLICHEN KONTEXTE IN UNSEREM LEBEN
WAS STEHT AUF DEM SPIEL?
UNKENNTNIS DER SITUATION UND VERMEIDBARES SCHEITERN
DIE LANDSCHAFT DES SCHEITERNS VERMESSEN
ERWARTEN SIE DAS UNERWARTETE
KAPITEL 7 SYSTEME WERTSCHÄTZEN
SYSTEME UND SYNERGIE
SYSTEME ERFAHREN
SYSTEMDENKEN
SYSTEME GESTALTEN
DURCH SYSTEMDENKEN UNSERE SICHT AUF FEHLER VERÄNDERN
SYSTEME VERSTEHEN, UM BESSER MIT DEM SCHEITERN UMGEHEN ZU KÖNNEN
KAPITEL 8 ENTFALTUNG DURCH FEHLER
UNSERE FEHLBARKEIT ANNEHMEN
Häufiger scheitern
DIE WISSENSCHAFT DES KLUGEN SCHEITERNS MEISTERN
EINE GESUNDE KULTUR DES SCHEITERNS
DIE WEISHEIT, DEN UNTERSCHIED ZU ERKENNEN
DANK
ÜBER DIE AUTORIN
ANMERKUNGEN
INDEX
Juni 1993. Ich sitze an dem alten Holzschreibtisch in meinem Büro im 15. Stock der William James Hall, wo ich im neuen Doktorandenprogramm an der Harvard University das Verhalten von Organisationen studiere. Ich beuge mich vor, um den kleinen Schwarz-Weiß-Bildschirm meines klobigen Apple-Computers genauer zu betrachten.1 Ein Stapel Papierfragebögen, mit denen ich die Teamarbeit in zwei nahegelegenen Krankenhäusern untersucht habe, liegt am Rande des Schreibtisches. Vor sechs Monaten hatten Hunderte von Pflegekräften und Ärzten diese Fragebögen ausgefüllt und mir einen Einblick in die Arbeitsweise ihrer Teams gegeben. Ich habe die Daten so weit ausgewertet, dass ich feststellen konnte, dass einige der Teams viel besser zusammenarbeiten als andere. Jetzt ist es an der Zeit für mich herauszufinden, wie viele Fehler sie gemacht haben. In meiner Hand halte ich eine kleine Computerdiskette mit den lang erwarteten Daten zu Medikationsfehlern in jedem Team, die vom Pflegepersonal in den letzten sechs Monaten akribisch gesammelt wurden. Ich muss nur noch die statistische Analyse durchführen, 12um zu sehen, ob die Daten der Teambefragung mit den Fehlerdaten der Krankenhäuser korrelieren.
Das ist der Moment kurz vor meinem ersten großen Misserfolg in der Forschung.
Bald kam mir – nicht zum ersten Mal – der Gedanke, dass ich vielleicht nicht für ein Promotionsprogramm geeignet war. Ich war zwiespältig, was die Hochschule und ein Aufbaustudium anging. Ich bewunderte Menschen, die auch ohne einen Hochschulabschluss einen bedeutenden Beitrag in der Welt leisteten. Wenn man klug und einfallsreich ist, so schien es mir, sollte man in der Lage sein, sich einen einzigartigen Weg nach vorn zu bahnen und eine Arbeit zu leisten, die zu einer positiven Veränderung in der Welt beiträgt. Aber ein Jahrzehnt nach meinem College-Abschluss musste ich mich wohl geschlagen geben.
Mir ist natürlich bewusst, dass ein Großteil dieses Jahrzehnts kreativ und aus bestimmten Blickwinkeln beneidenswert war. Ich hatte als Chefingenieurin für Buckminster Fuller gearbeitet – dem visionären Erfinder der geodätischen Kuppel. Danach wechselte ich nach einer zufälligen Begegnung mit dem Gründer eines Beratungsunternehmens vom Ingenieurwesen zur Organisationsentwicklung und war bald fasziniert von Organisationen (und ihrem Scheitern!). Ich arbeitete mit einigen der ältesten und größten Unternehmen in den USA zusammen. In den späten 1980er-Jahren traf ich Manager in der US-Autoindustrie, die erkannten, dass die Kunden kraftstoffsparende, qualitativ hochwertige Autos wollten, wie sie aus Japan importiert wurden. Aber sie konnten ihre riesigen Unternehmen nicht dazu bringen, die Produktion umzurüsten, um solche Autos herzustellen. Wo ich auch hinsah, beklagten sich aufmerksame Manager über die Unfähigkeit ihrer Unternehmen, sich an die eindeutig veränderten Bedürfnisse des Marktes anzupassen. Diese Arbeit hat mir sehr viel Spaß gemacht. Mein Gefühl der Niederlage rührte daher, dass ich zu dem Schluss kam, dass ich aus eigener Kraft so weit gekommen war, wie es mir möglich schien. Um auf dem neuen Gebiet des Organisationsverhaltens und des Managements effektiver zu sein, würde ich mich weiterbilden müssen. Dann könnte ich vielleicht einen sinnvollen Beitrag zu dem Ziel leisten, das sich langsam in meinem Kopf abzeichnete: Menschen und Organisationen beim Lernen zu helfen, damit sie in einer sich ständig verändernden Welt erfolgreich sein können.
Ich hatte keine Ahnung, was ich mit dieser Absicht studieren sollte und wie ich dazu beitragen konnte, die Arbeitsweise von Organisationen zu verändern. Aber es schien ein Problem zu sein, dessen Lösung ein wertvolles Unterfangen war. Vielleicht konnte ich von den Professoren der Psychologie und des Organisationsverhaltens etwas lernen, um die Dynamiken zu verstehen, durch 13die Menschen und Organisationen am Lernen und ihrer vollen Entfaltung gehindert werden.
Aufgrund meines Interesses an der Frage, wie Organisationen lernen, hatte ich als frischgebackene Doktorandin die Einladung zur Mitarbeit in einem Team von Forschern gern angenommen, die Medikationsfehler an der nahe gelegenen Harvard Medical School untersuchten. Dieses Projekt würde mir helfen zu lernen, wie man in der Praxis forscht. Ihre Lehrerin in der ersten Klasse hat Ihnen wahrscheinlich auch gesagt, dass Fehler eine wichtige Quelle des Lernens sind. Und Medikationsfehler sind, wie jeder weiß, der schon einmal in einem Krankenhaus war, zahlreich und folgenreich.
Doch plötzlich schien dies kein vielversprechender Anfang für eine Forschungskarriere zu sein. Ich konnte meine Hypothese eindeutig nicht bestätigen. Ich hatte vorausgesagt, dass eine bessere Teamarbeit zu weniger Medikationsfehlern führen würde, was dadurch gemessen wurde, dass Prüfer aus der Krankenpflege mehrmals wöchentlich vorbeikamen, um Patientenkarten einzusehen und mit den dort arbeitenden Pflegenden und Ärztinnen zu sprechen. Stattdessen deuteten die Ergebnisse darauf hin, dass bessere Teams höhere – und nicht niedrigere – Fehlerquoten aufwiesen. Ich lag nicht nur falsch. Ich lag völlig falsch.
Meine Hoffnung, eine wissenschaftliche Arbeit über meine Ergebnisse zu veröffentlichen, schwand, und ich fragte mich erneut, ob ich mich als Forscherin etablieren konnte. Die meisten von uns schämen sich für ihre Misserfolge. Wir verstecken sie eher, als dass wir aus ihnen lernen. Nur weil in Organisationen Fehler passieren, heißt das noch lange nicht, dass wir daraus lernen und uns verbessern. Ich schämte mich, weil ich mich geirrt hatte, und hatte Angst, es meinem akademischen Betreuer zu sagen.
Innerhalb weniger Tage führte mich diese überraschende Erkenntnis – dieser Misserfolg – zu neuen Einsichten, neuen Daten und weiteren Forschungsprojekten, die meine akademische Karriere retteten und veränderten. Auf der Grundlage dieser ersten Studie veröffentlichte ich eine Forschungsarbeit mit dem Titel »Learning from Mistakes Is Easier Said Than Done« (Aus Fehlern lernen ist leichter gesagt als getan), ein Vorläufer für so viele meiner späteren Arbeiten – und ein Thema, das sich durch mein Lebenswerk und dieses Buch zieht.
Ich begann zu verstehen, dass Erfolg als Forscherin auch das Scheitern voraussetzt. Wenn man nicht scheitert, betritt man kein Neuland. Seit diesen frühen Tagen hat sich in meinem Hinterkopf ein feines und differenziertes Verständnis von Begriffen wie Fehler, Misserfolg und Scheitern herausgebildet. Jetzt kann ich es mit Ihnen teilen.
Erfolg bedeutet, von Misserfolg zu Misserfolg zu stolpern, ohne die Begeisterung zu verlieren.
– Winston Churchill
Der Gedanke, dass Menschen und Organisationen aus Misserfolgen lernen sollten, ist weit verbreitet und scheint sogar offensichtlich. Trotzdem versäumen es die meisten von uns, die wertvollen Lektionen zu lernen, die Misserfolge bieten können. Wir schieben die Anstrengung auf, darüber nachzudenken, was wir falsch gemacht haben. Manchmal zögern wir, uns einzugestehen, dass wir überhaupt gescheitert sind. Wir schämen uns für unser Scheitern, sind aber schnell bereit, die Fehler anderer zu erkennen. Wir leugnen, beschönigen und machen schnell weiter – oder geben den Umständen und anderen Menschen die Schuld für Situationen, in denen etwas schiefgelaufen ist. Jedes Kind lernt früher oder später, sich der Schuld zu entziehen, indem es mit dem Finger auf andere zeigt. Mit der Zeit wird es zur Gewohnheit. Schlimmer noch, diese Gewohnheiten führen dazu, dass wir Ziele oder Herausforderungen vermeiden, bei denen wir scheitern könnten. Infolgedessen verpassen wir unzählige Gelegenheiten, zu lernen und neue Fähigkeiten zu entwickeln. Diese verhängnisvolle Kombination aus psychologischer Prägung, 16Sozialisierung und institutionellen Belohnungen macht das Erlernen der Wissenschaft des klugen Scheiterns viel schwieriger, als es sein müsste.
Es ist unmöglich, die Verschwendung von Zeit und Ressourcen zu berechnen, die dadurch entsteht, dass wir nicht aus Fehlern lernen. Genauso schwer ist es, den emotionalen Tribut zu messen. Die meisten von uns tun alles, um Misserfolge zu vermeiden, und wir berauben uns selbst des Abenteuers, der Erfolge und, ja, der Liebe.
In diesem Buch untersuchen wir, warum es so schwierig ist, das Lernen aus Misserfolgen in unserem täglichen Leben und bei der Gestaltung unserer Institutionen in die Praxis umzusetzen. Es geht auch darum, wie wir unseren Umgang mit dem Scheitern verbessern können. Wie Sie bereits gelesen haben, habe ich mich nicht nur mit Fehlern und Misserfolgen befasst, sondern auch viele davon selbst erlebt. Ich musste aus erster Hand lernen, wie man sich besser damit abfinden kann, fehlbar zu sein. Mehr wissenschaftliche Arbeiten, als ich zählen kann, wurden von renommierten Fachzeitschriften abgelehnt. Ich hatte eine Autopanne am Straßenrand und verbrachte eine unruhige Nacht damit, über eine vorbeugende Wartung nachzudenken. Ich bin im ersten Jahr am College durch eine Prüfung in multivariablen Verfahren durchgefallen. Ich habe wichtige Baseball-Spiele meiner Söhne verpasst und sie deshalb enttäuscht. Die Liste geht weiter. Und weiter. Um mich mit meinen Unzulänglichkeiten abzufinden und anderen dabei zu helfen, beschloss ich, mich wissenschaftlich damit auseinanderzusetzen.
Der erfolgreiche Umgang mit Misserfolgen und die daraus möglichen Lernerfahrungen – wobei es wichtig ist, die wertlosen Fehler so oft wie möglich zu vermeiden –, beginnt mit dem Verstehen, dass nicht alle Misserfolge gleich sind. Wie Sie sehen werden, können einige Misserfolge zu recht als schlecht bezeichnet werden. Glücklicherweise sind die meisten von ihnen auch vermeidbar. Andere Misserfolge sind dagegen äußert hilfreich. Sie führen zu wichtigen Erkenntnissen, die unser Leben und unsere Welt verbessern. Damit Sie nicht auf falsche Gedanken kommen: Ich hatte meinen Anteil an Misserfolgen, die schlecht waren, aber auch einige, die gut waren.
Dieses Buch bietet eine Typologie des Scheiterns, die Ihnen hilft, die »wertvollen Fehler« von den Fehlern zu unterscheiden, die Sie unbedingt vermeiden sollten. Sie werden neue Denkweisen über sich selbst und das Scheitern erlernen, Kontexte erkennen, in denen Scheitern wahrscheinlich ist, und die Rolle von Systemen verstehen – alles entscheidende Kompetenzen, um die Wissenschaft des klugen Scheiterns zu beherrschen. Sie werden eine Handvoll Experten des Scheiterns aus verschiedenen Bereichen, Ländern und Jahrhunderten kennenlernen. Wie ihre Beispiele deutlich machen, erfordert das Lernen aus 17dem Scheitern emotionale Stärke und Geschick. Man muss lernen, wie man durchdachte Experimente durchführt, wie man Scheitern kategorisiert und wie man aus Fehlschlägen aller Art wertvolle Lehren zieht.
Die Rahmenbedingungen und Lehren in diesem Buch sind das direkte Ergebnis meiner 25 Jahre langen Arbeit als Forscherin im Bereich Sozialpsychologie und Organisationsverhalten. In dieser Funktion habe ich Menschen befragt und Daten aus Umfragen und anderen Quellen in Unternehmen, Behörden, Start-ups, Schulen und Krankenhäusern gesammelt. In Gesprächen mit Hunderten von Menschen in diesen Organisationen – Managerinnen, Ingenieuren, Pflegekräften, Ärzten, Geschäftsführerinnen und Mitarbeitenden – erkannte ich Muster, die eine neue Typologie des Scheiterns sowie eine Vielzahl von Good Practices für den Umgang mit dem Scheitern und dem daraus möglichen Lernen ergaben.
Kehren wir an den Anfang dieser langen Reise zurück, die mit meiner Teilnahme an einer bahnbrechenden Studie über Medikationsfehler in Krankenhäusern begann.
Ich saß da und starrte entgeistert auf den Computerbildschirm, auf dem deutlich zu sehen war, dass meine Studienhypothese nicht bestätigt wurde. Mein erster Gedanke war: Wie konnte ich meinem Vorgesetzten und den Ärzten, die die Studie leiteten, meine völlig falsche Einschätzung eingestehen? Ich hatte Hunderte von Stunden damit verbracht, die Umfrage zu entwickeln, an zweiwöchentlichen Forschungssitzungen mit den Ärzten und dem Pflegepersonal teilzunehmen, die in zwei nahe gelegenen Krankenhäusern Arzneimittelfehler verfolgten. Regelmäßig schwang ich mich auf mein Fahrrad, um zum Krankenhaus zu fahren, kurz nachdem eine Pflegekraft einen schwerwiegenden Fehler gemeldet hatte. Ich befragte die Beteiligten, um die Ursachen für den Fehler zu ermitteln. Man hatte mir die Daten zu medizinischen Fehlern anvertraut und mir erlaubt, Hunderte von vielbeschäftigten Ärztinnen und Pflegenden zu bitten, meine Umfrage auszufüllen. Ich fühlte mich schuldig, weil ich ihre wertvolle Zeit in Anspruch genommen hatte, und schämte mich für mein Versagen.
Einer der Menschen, mit denen ich über dieses Scheitern sprechen musste, war Dr. Lucian Leape, ein Kinderchirurg, der sich später in seiner beruflichen Laufbahn der Erforschung medizinischer Fehler zugewandt hatte. Lucian Leape 18war über zwei Meter groß, hatte dichtes weißes Haar und dicke Augenbrauen. Er wirkte sympathisch und einschüchternd zugleich. Und er war entschlossen. Das Forschungsziel der umfassenden Studie war einfach: die Rate der Medikationsfehler in Krankenhäusern zu messen.
Damals war nur wenig darüber bekannt, wie häufig Fehler passierten, und Lucian und seine Kollegen erhielten ein Stipendium des National Institutes of Health (NIH), um dies herauszufinden. Sie waren inspiriert von Forschungsergebnissen aus der Luftfahrt. Dabei konnte gezeigt werden, dass eine bessere Teamarbeit im Cockpit zu sichereren Flügen führt. Lucian stellte die Frage, ob dies auch in Krankenhäusern der Fall sein könnte.
Die Luftfahrtforschung, die Lucian inspirierte, hatte ursprünglich nicht die Absicht, die Teamarbeit zu untersuchen, sondern die Müdigkeit im Cockpit. Es war eine weitere gescheiterte Hypothese. Ein Forscherteam der NASA unter der Leitung des Experten für »Human Factors« (menschliche Faktoren) H. Clayton Foushee führte ein Experiment durch, um die Auswirkungen von Müdigkeit auf die Fehlerquote zu ermitteln.1 Sie untersuchten 20 Zweierteams, von denen zehn der Bedingung »nach dem Dienst« oder »Müdigkeit« zugewiesen wurden. Diese Teams »flogen« im Simulator, als ob es sich um den letzten Abschnitt eines dreitägigen Einsatzes bei der Fluggesellschaft für Kurzstrecken handelte, bei der sie arbeiteten. Die müden Teams hatten bereits drei acht- bis zehnstündige Tagesschichten geflogen. Diese Schichten umfassten mindestens fünf, manchmal bis zu acht Starts und Landungen. Die anderen zehn Teams (die »vor dem Dienst« gut ausgeruhten) flogen im Simulator, nachdem sie mindestens zwei Tage dienstfrei hatten. Für sie war der Flug im Simulator wie der erste Abschnitt einer dreitägigen Schicht.
Simulatoren bieten einen sicheren Rahmen für das Lernen. Die Piloten, mit denen ich gesprochen habe, geben an, dass der Simulator wie ein echtes Cockpit aussieht. Und er fühlt sich auch so an, sodass sie Angst haben, wenn ein Fehler auftritt. Aber Fehler in einem Simulator führen nicht zum Absturz eines Flugzeugs. Das macht den Simulator zu einer großartigen Umgebung, in der man analysieren kann, was schiefgelaufen ist. So kann man die Fähigkeiten perfektionieren, die nötig sind, um Hunderte von Passagieren bei echten Flügen sicher zu befördern. Diese Eigenschaften machen den Simulator auch zu einem hervorragenden Forschungsinstrument. Während es niemals ethisch vertretbar wäre, müde Piloten willkürlich zu tatsächlichen Flügen mit echten Passagieren zu schicken, kann man in einem Simulator durchaus damit experimentieren.
Zu seiner Überraschung stellte Foushee fest, dass die Teams, die gerade mehrere Tage zusammen geflogen waren (die müden Teams), bessere Leistungen erbrachten als die ausgeruhten Teams. Wie erwartet machten die müden 19Studienteilnehmer als Einzelne mehr Fehler als ihre ausgeruhten Kollegen, aber da sie bei mehreren Flügen zusammengearbeitet hatten, machten sie als Team weniger Fehler. Offensichtlich waren sie in der Lage, gut zusammenzuarbeiten und während des gesamten Fluges die Fehler der anderen aufzufangen und zu korrigierten. So verhinderten sie schwere Unfälle. Die übermüdeten Piloten hatten sich im Wesentlichen zu guten Teams entwickelt, nachdem sie ein paar Tage lang zusammengearbeitet hatten. Im Gegensatz dazu arbeiteten die ausgeruhten Piloten, die einander nicht kannten, als Team nicht so gut.
Diese überraschende Erkenntnis über die Bedeutung der Teamarbeit im Cockpit hat zu einer Revolution in der Passagierluftfahrt beigetragen, dem sogenannten Crew Resource Management (CRM).2 Es ist mitverantwortlich ist für die außergewöhnliche Sicherheit der heutigen Passagierluftfahrt. Diese beeindruckende Neuerung ist eines von vielen Beispielen für das, was ich die Wissenschaft des klugen Scheiterns nenne.
Die Forschung über Cockpit-Besatzungen intensivierte sich in den 1980er-Jahren und umfasste die Arbeit von J. Richard Hackman, einem Psychologieprofessor in Harvard, der das Zusammenspiel von Piloten, Kopiloten und Navigatoren in zivilen und militärischen Flugzeugen untersuchte.3 Er wollte verstehen, was effektive Teams ausmacht. Seine Forschungen über die Cockpit-Besatzung hatten die Aufmerksamkeit von Lucian Leape erregt. Lucian sah eine Parallele zwischen der Arbeit von Cockpit-Besatzungen und der von Krankenhausärzten und fragte Richard am Telefon, ob er bereit wäre, bei Lucians Studie über Medikationsfehler mitzuwirken. Da er keine Zeit hatte, sich dem Projekt zu widmen, schlug Richard vor, dass ich, seine Doktorandin, stattdessen mitarbeiten könnte. Und so saß ich nun da, analysierte immer wieder ungläubig und ängstlich meine Ergebnisse.
Ich hatte gehofft, auf der Luftfahrtforschung aufbauen zu können, um der Literatur zur Teamzusammenarbeit ein weiteres kleines Ergebnis hinzuzufügen. Die Forschungsfrage war einfach: Führt eine bessere Teamarbeit im Krankenhaus zu weniger Fehlern? Die Idee war, die Ergebnisse aus der Luftfahrt in diesem neuen Kontext zu wiederholen. Was wäre, wenn es sich nicht um eine große Entdeckung handeln würde? Als Doktorandin wollte ich nicht die Welt revolutionieren, sondern nur eine Studienanforderung erfüllen. Eine einfache, wenig überraschende Entdeckung würde völlig ausreichen.
Ein kleines Team von Pflegenden würde sechs Monate lang die umfangreiche Arbeit übernehmen, die Fehlerquoten auf den Stationen des Krankenhauses zu verfolgen, mit Ärzten und dem Pflegepersonal zu sprechen und die Krankenakten der Patienten mehrmals pro Woche zu überprüfen. Meine Aufgabe war, im ersten Monat der sechsmonatigen Studie eine Umfrage zur Einschätzung 20der Teamarbeit auf denselben Stationen zu verteilen. Dann musste ich geduldig darauf warten, dass die Fehlerdaten gesammelt wurden, damit ich die beiden Datensätze vergleichen konnte – die Verknüpfung der Teambefragungen mit den über die gesamten sechs Monate gesammelten Fehlerdaten.
Für die Messung der Teameffektivität stand mir Hackmans vorgefertigter »Fragebogen für die Teamdiagnose« zur Verfügung.4 In Zusammenarbeit mit den Ärzten und Pflegenden des Forschungsteams veränderte ich den Wortlaut so, dass er zahlreiche Fragen zur Bewertung verschiedener Aspekte der Teamarbeit enthielt, zum Beispiel »Die Mitarbeitenden dieser Abteilung sind sehr engagiert und arbeiten zusammen, um die Abteilung zu einer der besten im Krankenhaus zu machen«, »Die Mitarbeitenden dieser Abteilung teilen ihr spezielles Wissen und ihre Fachkenntnisse miteinander« oder die negativ formulierte Frage »Einige Leute in dieser Abteilung tragen nicht ihren angemessenen Anteil an der gesamten Arbeitslast«. Die Antwortmöglichkeiten reichten von »stimme voll zu« bis »stimme überhaupt nicht zu«. Um die Qualität der Teamarbeit zu beurteilen, habe ich die Durchschnittswerte der einzelnen Antworten auf diese Fragen berechnet, die ich dann wiederum gemittelt habe, um die Punktzahlen für jedes Team zu ermitteln. Gut 55 % der von mir verteilten Fragebögen wurden zurückgeschickt, und die Daten zeigten eine große Abweichung zwischen den Teams. Einige Teams schienen effektiver zu sein als andere. So weit, so gut.
Würden diese Unterschiede die Fehleranfälligkeit der Teams vorhersagen? Auf den ersten Blick sah alles gut aus. Ich erkannte sofort einen Zusammenhang zwischen den Fehlerquoten und der Effektivität des Teams, und besser noch, er war statistisch signifikant. Wenn Sie sich nicht so gut mit Statistiken auskennen, kann ich Ihnen nur sagen, dass das ein sehr beruhigendes Ergebnis ist.
Aber dann habe ich genauer hingesehen! Ich beugte mich zu meinem Computerbildschirm und sah, dass die Korrelation in die falsche Richtung ging. Die Daten sagten das Gegenteil von dem aus, was ich vorhergesagt hatte. Bessere Teams schienen höhere, nicht niedrigere Fehlerquoten zu haben. Meine Beunruhigung verstärkte sich und verursachte ein flaues Gefühl im Bauch.
Obwohl ich es noch nicht wusste, führte mein nicht mehr ganz so einfaches Forschungsprojekt zu einem intelligenten Fehlschlag, der zu einer unerwarteten Entdeckung führen würde.
Überraschungen, oft in Form von schlechten Nachrichten für die Hypothese eines Forschenden, sind in der Wissenschaft üblich. Keiner überlebt lange als Wissenschaftler, wenn er es nicht aushält, zu scheitern, wie ich bald lernen sollte. Geschichten über neue Entdeckungen enden nicht mit dem Scheitern; Misserfolge sind Trittsteine auf dem Weg zum Erfolg. Es gibt keinen Mangel an 21populären Zitaten zu dieser Einsicht – viele davon sind in diesem Buch zu finden –, und das aus gutem Grund. Diese Art von informativen, aber dennoch unerwünschten Misserfolgen sind wertvolle Fehler, es ist die gute Art von Scheitern.
Diese Misserfolge sind »intelligent«, wie mein Kollege, der Professor an der Duke University Sim Sitkin, bereits 1992 vorschlug.5 Solche Fehler erfordern sorgfältiges Nachdenken, richten keinen unnötigen Schaden an und führen zu nützlichen Erkenntnissen, die unser Wissen voranbringen. Trotz des fröhlichen Geredes über das Feiern von Misserfolgen im Silicon Valley und auf der ganzen Welt sind intelligente Misserfolge die einzige Art von Fehlern, die es wirklich wert ist, gefeiert zu werden.6 Sie werden auch als »intelligente Fehler« oder »gute Fehler« bezeichnet und kommen vor allem in der Wissenschaft vor, wo die Fehlerquote in einem erfolgreichen Labor bei 70 Prozent oder mehr liegen kann. Intelligente Fehlschläge sind auch bei Innovationsprojekten in Unternehmen häufig und unverzichtbar, beispielsweise bei der Entwicklung eines neuen beliebten Küchengeräts. Erfolgreiche Innovation ist nur möglich, wenn man aus den Verlusten auf dem Weg dorthin Erkenntnisse gewinnt.
In der Wissenschaft wie auch im Leben lassen sich intelligente Fehlschläge nicht vorhersagen. Ein Blind Date, das von einem gemeinsamen Freund arrangiert wurde, kann in einem langweiligen Abend (einem Misserfolg) enden, selbst wenn der Freund gute Gründe für seinen Glauben hatte, dass Sie sich mit der neuen Bekanntschaft gut verstehen. Unabhängig davon, ob ein kluges Scheitern klein (ein langweiliges Date) oder groß (eine gescheiterte klinische Studie) ist, müssen wir diese Art des Scheiterns als Teil der chaotischen Reise in neues Terrain begrüßen, egal ob sie zu einem lebensrettenden Impfstoff oder einem Lebenspartner führt.
Intelligente Misserfolge liefern wertvolle neue Erkenntnisse. Sie bringen Entdeckungen. Sie treten auf, wenn Experimente notwendig sind, weil die Antworten nicht im Voraus bekannt sind. Vielleicht ist man mit einer bestimmten Situation noch nie konfrontiert worden, oder man steht in einem Forschungsbereich wirklich an der vordersten Front der Entwicklung. Die Entdeckung eines neuen Medikaments, die Einführung eines radikal neuen Geschäftsmodells, die Entwicklung eines innovativen Produkts oder das Testen von Kundenreaktionen auf einem brandneuen Markt sind alles Aufgaben, die intelligente Fehler erfordern. Nur so kann man Fortschritte erzielen und erfolgreich sein.
22Versuch und Irrtum ist eine gängige Formulierung für die Art von Experimenten, die in diesen Bereichen erforderlich sind, aber sie trifft es nicht ganz. Irrtum impliziert, dass es von vornherein eine »richtige« Vorgehensweise gab. Intelligente Fehlschläge sind keine Irrtümer. In diesem Buch werden diese und andere wichtige Unterscheidungen erläutert, die wir treffen müssen, wenn wir lernen wollen, das Scheitern klug zu nutzen.
An jenem Tag in der William James Hall starrte ich auf den Misserfolg, der auf meinem alten Mac-Bildschirm angezeigt wurde. Ich versuchte, klar zu denken und die Angst zu verdrängen. Sie verstärkte sich nur noch, als ich mir den Moment vorstellte, in dem ich, eine einfache Doktorandin, dem geschätzten Richard Hackman sagen musste, dass ich mich geirrt hatte. Die Ergebnisse der Luftfahrt bestätigten sich im Gesundheitswesen nicht. Vielleicht zwang mich diese Angst dazu, gründlich nachzudenken. Neu darüber zu reflektieren, was meine Ergebnisse bedeuten könnten.
Haben bessere Teams wirklich mehr Fehler gemacht? Ich dachte darüber nach, wie wichtig die Kommunikation zwischen Ärzten und Pflegenden ist, um eine fehlerfreie Versorgung bei dieser stets komplexen und individuellen Arbeit zu gewährleisten. Die Ärztinnen und Pflegenden mussten um Hilfe bitten, die Dosierung der Medikamente überprüfen und Bedenken über die Handlungen der anderen äußern. Sie mussten sich spontan koordinieren. Es machte keinen Sinn, dass gute Teamarbeit (und ich zweifelte nicht an der Richtigkeit meiner Umfragedaten) zu mehr Fehlern führen würde.
Warum sonst sollten bessere Teams höhere Fehlerquoten haben?
Was wäre, wenn diese Teams ein besseres Arbeitsumfeld geschaffen hätten? Was wäre, wenn sie ein Klima der Offenheit geschaffen hätten, in dem sich die Mitarbeitenden trauen, ihre Meinung zu sagen? Was wäre, wenn dieses Umfeld es leichter machen würde, offen und ehrlich mit Fehlern umzugehen? Irren ist menschlich. Fehler passieren – die Frage ist nur, ob wir sie erkennen, zugeben und korrigieren. Vielleicht, so dachte ich plötzlich, machen die guten Teams nicht mehr Fehler, vielleicht berichten sie mehr. Sie schwimmen stromaufwärts gegen die weit verbreitete Ansicht, dass Fehler ein Zeichen für Inkompetenz sind, was die Menschen überall dazu veranlasst, das Eingeständnis von Fehlern zu verdrängen (oder die Verantwortung dafür zu leugnen). Dies verhindert die systematische Analyse von Fehlern, die es uns ermöglicht, aus ihnen zu lernen. Diese Einsicht führte mich schließlich zur Entdeckung der psychologischen Sicherheit und warum sie in der heutigen Welt so wichtig ist.
23Zu dieser Erkenntnis zu gelangen, bedeutete noch lange nicht, sie zu beweisen. Als ich Lucian Leape die Idee vorstellte, war er zunächst äußerst skeptisch. Ich war die Neue im Team. Alle anderen hatten einen Abschluss in Medizin oder Krankenpflege und verstanden die Patientenversorgung auf eine Weise, die ich nie erreichen würde. Mein Gefühl des Versagens verstärkte sich angesichts seiner Ablehnung. Dass Lucian mich in diesen angespannten Momenten an meine Unwissenheit erinnerte, war nachvollziehbar. Ich hatte auf eine Verzerrung der Fehlerberichte der Teams hingewiesen und damit ein Hauptziel der gesamten Studie in Frage gestellt – eine solide Einschätzung der tatsächlichen Fehlerquoten in der Krankenhausversorgung. Doch seine Skepsis erwies sich als Geschenk. Sie zwang mich, meine Bemühungen zu verdoppeln und darüber nachzudenken, welche zusätzlichen Daten verfügbar sein könnten, um meine (neue und immer noch unsichere) Interpretation der fehlgeschlagenen Ergebnisse zu stützen.
Zwei Ideen kamen mir in den Sinn. Erstens hatte ich wegen des Schwerpunkts der Studie auf Fehlern bei der Überarbeitung der Teambefragung ein neues Element hinzugefügt, um den Wortlaut für die Arbeit im Krankenhaus anzupassen: »Wenn Sie in dieser Abteilung einen Fehler machen, wird das nicht gegen Sie verwendet.« Erfreulicherweise korrelierte diese Frage mit den aufgedeckten Fehlerquoten: Je mehr Leute glaubten, dass ein Fehler nicht gegen sie verwendet werden würde, desto höher waren die aufgedeckten Fehler in ihrer Abteilung! Könnte das ein Zufall sein? Ich glaubte es nicht. Spätere Untersuchungen haben gezeigt, dass dieser Punkt einen bemerkenswerten Einfluss darauf hat, ob jemand in einem Team seine Meinung sagt. Zusammen mit mehreren anderen sekundären statistischen Analysen stimmte dies vollkommen mit meiner neuen Hypothese überein. Wenn Menschen glauben, dass Fehler gegen sie verwendet werden, sind sie nicht bereit, sie zu melden. Natürlich hatte ich das selbst auch schon gespürt!
Zweitens wollte ich objektiv herausfinden, ob es zwischen diesen Arbeitsgruppen spürbare Unterschiede in der Arbeitsumgebung gibt, obwohl sie alle im selben Gesundheitssystem arbeiten. Aber ich konnte es nicht selbst tun: Ich war voreingenommen, was die Feststellung solcher Unterschiede angeht.
Im Gegensatz zu Lucian Leape, der anfangs skeptisch war, erkannte Richard Hackman sofort die Plausibilität meines neuen Arguments. Mit Richards Unterstützung stellte ich als Forschungsassistenten Andy Molinsky ein, der jede der Arbeitsgruppen sorgfältig und unvoreingenommen untersuchte.7 Andy wusste weder, welche Gruppen mehr Fehler aufwiesen, noch, welche bei der Teamumfrage besser abgeschnitten hatten. Er wusste auch nichts von meiner neuen Hypothese. In der Forschungsterminologie heißt das, dass er doppelblind24war. Ich bat ihn einfach, zu untersuchen, wie die Zusammenarbeit in jeder der Gruppen verlief. Andy untersuchte also mehrere Tage lang jede Abteilung, beobachtete in aller Ruhe, wie die Menschen miteinander umgingen. Er befragte in den Pausen Pflegende und Ärzte, um mehr über das Arbeitsumfeld und die Unterschiede zwischen den Abteilungen zu erfahren. Er machte sich Notizen über seine Beobachtungen, und notierte auch, was die Leute über die Arbeit in ihrer Abteilung sagten.
Ohne dass ich ihn dazu aufforderte, berichtete Andy, dass die untersuchten Krankenhausabteilungen sehr unterschiedliche Arbeitsbedingungen boten. In einigen sprach man offen über Fehler. Andy zitierte das Pflegepersonal mit Aussagen wie »ein gewisses Maß an Fehlern wird vorkommen«, weshalb ein »straffreies Umfeld« für eine gute Patientenversorgung unerlässlich sei. In anderen Abteilungen schien es fast unmöglich zu sein, offen über Fehler zu sprechen. Die Pflegenden beklagten, dass man »in Schwierigkeiten gerät« oder »vor Gericht gestellt wird«, wenn man Fehler macht. Sie berichteten, dass sie sich herabgesetzt fühlten, »als wäre ich eine Zweijährige«, wenn etwas schief ging. Andys Bericht war wie Musik in meinen Ohren. Es war genau die Art von Abweichung zwischen den Arbeitsumfeldern, die ich vermutet hatte.
Aber korrelierten diese Unterschiede in der Arbeitsatmosphäre mit den Fehlerquoten, die von den medizinischen Forschern so akribisch gesammelt wurden? Mit einem Wort: ja. Ich bat Andy, die von ihm untersuchten Teams in eine Rangfolge von »am offensten« bis »am wenigsten offen« zu bringen – offen war das Wort, das er zur Erklärung seiner Beobachtungen verwendet hatte. Erstaunlicherweise stimmte seine Liste nahezu perfekt mit den festgestellten Fehlerquoten überein. Dies bedeutete, dass die Messung der Fehlerquote in der Studie fehlerhaft war: Wenn die Studienteilnehmer sich nicht in der Lage fühlten, ihre Fehler zuzugeben, blieben viele Fehler verborgen. Zusammengenommen legten diese Sekundäranalysen nahe, dass meine Interpretation des überraschenden Ergebnisses wahrscheinlich richtig war. Mein Aha-Moment war dieser: Die Teams machen wahrscheinlich nicht mehr Fehler, aber sie sind besser in der Lage, über Fehler zu sprechen.8
Viel später verwendete ich den Begriff psychologische Sicherheit, um diesen Unterschied in der Arbeitsumgebung zu erfassen.9 Ich entwickelte eine Reihe von Erhebungselementen, um sie zu messen, womit ich ein Teilgebiet der Forschung im Bereich des Organisationsverhaltens ins Leben rief. Heute belegen mehr als 1000 Forschungsarbeiten in verschiedenen Bereichen, von der 25Bildung über die Wirtschaft bis hin zur Medizin, dass Teams und Organisationen mit höherer psychologischer Sicherheit bessere Leistungen erbringen. Es treten weniger Fälle von Burn-out auf, und in der Medizin findet sich sogar eine geringere Patientensterblichkeit.10 Warum könnte dies der Fall sein? Weil psychologische Sicherheit den Menschen hilft, die zwischenmenschlichen Risiken einzugehen, die notwendig sind, um in einer sich schnell verändernden Welt der Wechselwirkungen und Abhängigkeiten Spitzenleistungen zu erzielen. Wenn Menschen in einem psychologisch sicheren Umfeld arbeiten, wissen sie, dass Fragen geschätzt werden, Ideen willkommen sind und Fehler und Misserfolge diskutiert werden können. In einem solchen Umfeld können sich die Menschen auf ihre Arbeit konzentrieren, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was andere von ihnen denken könnten. Sie wissen, dass ein Fehler ihrem Ruf nicht schaden wird.
Psychologische Sicherheit spielt eine wichtige Rolle in der Wissenschaft des klugen Scheiterns. Sie ermöglicht es den Menschen, um Hilfe zu bitten, wenn sie sich überfordert fühlen. Das trägt dazu bei, vermeidbare Fehler zu vermeiden. Psychologische Sicherheit hilft ihnen, Fehler zu melden – und damit zu erkennen und zu korrigieren –, um schlimmere Folgen zu verhindern. So ist es möglich, auf durchdachte Weise zu experimentieren, um neue Entdeckungen zu machen. Denken Sie an die Teams, denen Sie bei der Arbeit, in der Schule, beim Sport oder in Ihrer Gemeinde angehört haben. In diesen Gruppen herrschte wahrscheinlich ein unterschiedliches Maß von psychologischer Sicherheit. In einigen Gruppen fühlten Sie sich vielleicht sicher dabei, eine neue Idee zu äußern, einem Teamleiter zu widersprechen oder um Hilfe zu bitten, wenn Sie mit der Situation überfordert waren. In anderen Teams hatten Sie vielleicht das Gefühl, dass es besser ist, sich zurückzuhalten und abzuwarten, was passiert oder was die anderen tun und sagen, bevor Sie Ihren Kopf hinhalten. Dieser Unterschied wird jetzt psychologische Sicherheit genannt – und ich habe in meiner Forschung herausgefunden, dass es sich dabei um eine entstehende (emergente) Eigenschaft einer Gruppe handelt, nicht um einen Persönlichkeitsunterschied. Das bedeutet, dass Ihre Wahrnehmung, ob es sicher ist, bei der Arbeit das Wort zu ergreifen, nichts damit zu tun hat, ob Sie ein extrovertierter oder ein introvertierter Mensch sind. Stattdessen wird sie davon geprägt, wie die Menschen um Sie herum auf das reagieren, was Sie und andere sagen und tun.
Wenn eine Gruppe eine höhere psychologische Sicherheit aufweist, ist sie wahrscheinlich innovativer, leistet qualitativ hochwertigere Arbeit und erzielt bessere Ergebnisse als eine Gruppe, die eine niedrige psychologische Sicherheit aufweist. Einer der wichtigsten Gründe für diese unterschiedlichen Ergebnisse 26ist, dass Menschen in psychologisch sicheren Teams ihre Fehler zugeben können. Das sind Teams, in denen Offenheit erwartet wird. Es macht nicht immer Spaß und ist sicherlich nicht immer angenehm, in einem solchen Team zu arbeiten, weil man manchmal schwierige Gespräche führen muss. Psychologische Sicherheit in einem Team ist praktisch gleichbedeutend mit einem Umfeld, das Lernen begünstigt. Jeder macht Fehler (wir sind alle fehlbar), aber nicht jeder ist in einer Gruppe, in der man sich wohlfühlt, darüber zu sprechen. Und ohne psychologische Sicherheit ist es für Teams schwer, zu lernen und gute Leistungen zu erbringen.
Man könnte meinen, dass ein wertvoller Fehler einfach der kleinstmögliche Fehler ist. Große Fehler sind schlecht, und kleine Fehler sind gut. Aber die Größe ist nicht das Kriterium, anhand dessen Sie lernen, Fehler zu unterscheiden oder ihren Wert zu beurteilen. Gute Misserfolge sind solche, die uns wertvolle neue Informationen liefern, die wir auf keine andere Weise hätten gewinnen können.
Jede Form von Misserfolg bietet die Möglichkeit, zu lernen und sich zu verbessern. Um diese Chancen nicht zu verspielen, brauchen wir eine Mischung aus emotionalen, kognitiven und zwischenmenschlichen Fähigkeiten. Diese werden in diesem Buch auf eine Weise erläutert, die es hoffentlich leicht macht, sie sofort anzuwenden.
Doch bevor wir weitergehen, sind einige Definitionen angebracht. Ich definiere Scheitern als ein Ergebnis, das von den erwünschten Resultaten abweicht – sei es, dass eine erhoffte Goldmedaille nicht gewonnen wird, dass ein Öltanker Tausende von Tonnen Rohöl ins Meer verschüttet, anstatt sicher in einem Hafen anzukommen, dass ein Start-up pleitegeht oder dass der Fisch, der für das Abendessen bestimmt ist, zu lange gekocht wird. Kurz gesagt, Scheitern ist ein Mangel an Erfolg.
Als Nächstes definiere ich Fehler (gleichbedeutend mit einem Versehen) als unbeabsichtigte Abweichungen von vorgegebenen Standards wie Verfahren, Regeln oder Richtlinien. Das Müsli in den Kühlschrank und die Milch in den Schrank zu stellen, ist ein Fehler. Eine Chirurgin, die das linke Knie eines Patienten operiert, obwohl das rechte Knie verletzt war, hat einen Fehler gemacht. Das Wichtigste an Fehlern und Versehen ist, dass sie unbeabsichtigt sind. Fehler können relativ unbedeutende Folgen haben – im Kühlschrank gelagertes Getreide ist unpraktisch und im Schrank gelassene Milch kann 27verderben –, während andere Fehler, wie der Patient, der an der falschen Stelle operiert wurde, schwerwiegende Folgen haben.
Ein Verstoß liegt schließlich vor, wenn eine Person absichtlich von den Regeln abweicht. Wenn Sie absichtlich brennbares Öl auf einen Lappen gießen, ein Streichholz daran anzünden und ihn in eine offene Tür werfen, sind Sie ein Brandstifter und haben gegen das Gesetz verstoßen. Wenn Sie vergessen, einen mit Öl getränkten Lappen ordnungsgemäß aufzubewahren, und er sich spontan entzündet, haben Sie einen Fehler gemacht.
All diese Begriffe können so emotional aufgeladen sein, dass wir versucht sein könnten, uns abzuwenden und nicht mehr damit zu beschäftigen. Aber dadurch verpassen wir die intellektuell (und emotional) befriedigende Reise, auf der wir lernen, mit dem Scheitern zu tanzen.
Vielleicht gehören Sie zu den vielen Menschen, die tief im Inneren glauben, dass Scheitern schlecht ist. Sie haben die neuen Slogans über die Umarmung des Scheiterns gehört, aber es fällt Ihnen schwer, sie in Ihrem Alltag ernst zu nehmen. Vielleicht glauben Sie auch, dass es ziemlich einfach ist, aus Misserfolgen zu lernen: Sie denken darüber nach, was Sie falsch gemacht haben (Sie haben sich im Matheunterricht nicht genug angestrengt, das Boot zu nah an die Felsen gesteuert), und machen es beim nächsten Mal einfach besser – indem Sie mehr lernen oder sich vergewissern, dass Sie die neuesten Karten für eine genaue Navigation haben. Bei diesem Ansatz gilt Scheitern als beschämend und ist weitgehend die Schuld desjenigen, der einen Fehler macht.
Dieser Glaube ist ebenso weit verbreitet wie irrtümlich.
Erstens: Scheitern ist nicht immer schlecht. Heute zweifle ich nicht daran, dass mein Scheitern bei der Suche nach Unterstützung für die einfache Forschungshypothese, die meiner ersten Studie zugrunde lag, das Beste war, was in meiner Forschungskarriere passiert ist. Natürlich fühlte es sich in dem Moment nicht so an. Es war mir peinlich und ich hatte Angst, dass meine Kollegen mich nicht im Forschungsteam behalten würden. Meine Gedanken drehten sich um die Frage, was ich als Nächstes tun würde, nachdem ich das Studium abgebrochen hatte. Diese wenig hilfreiche Reaktion zeigt, warum jeder von uns lernen muss, tief durchzuatmen, noch einmal nachzudenken und neue Hypothesen aufzustellen. Diese einfache Aufgabe der Selbstführung ist Teil der Wissenschaft des klugen Scheiterns.
28Zweitens ist das Lernen aus Misserfolgen nicht so einfach, wie es klingt. Dennoch können wir lernen, wie man dabei richtig vorgeht. Wenn wir über oberflächliche Lektionen hinausgehen wollen, müssen wir einige überholte kulturelle Überzeugungen und stereotype Vorstellungen von Erfolg über Bord werfen. Wir müssen uns selbst als fehlbare menschliche Wesen akzeptieren und von da aus weitergehen.
Dieses Buch bietet einen Rahmen, der Ihnen hoffentlich hilft, über Scheitern nachzudenken, darüber zu sprechen und es so zu praktizieren, dass Sie mit mehr Freude arbeiten und leben können.
Im ersten Teil wird ein Verständnisrahmen von verschiedenen Formen des Scheiterns vorgestellt. Das erste Kapitel bietet Schlüsselkonzepte aus der Wissenschaft des Scheiterns, gefolgt von drei Kapiteln zur Beschreibung der drei Archetypen des Scheiterns: intelligent, grundlegend und komplex. Das Verständnis dieser Klassifizierung wird Ihnen eine tiefere Einsicht in die Mechanismen des Scheiterns vermitteln. Sie werden verstehen, was es bedeutet, klug zu scheitern. Dies wird Ihnen dabei helfen, Ihre eigenen Experimente zu entwerfen, um über selbst auferlegte oder andere Grenzen hinauszugehen. Ich werde bewährte Praktiken für jede Art von Scheitern vorstellen – sowohl um daraus zu lernen als auch um einige von ihnen zu vermeiden. Dieser Überblick über die Landschaft des Scheiterns wird Ihnen helfen, die guten Arten des Scheiterns wirklich willkommen zu heißen und gleichzeitig besser aus allen Formen des Scheiterns zu lernen.
Intelligente Fehler, die Gegenstand von Kapitel 2 sind, sind die »guten Fehlschläge«, die für den Fortschritt notwendig sind – kleine und große Entdeckungen, die Wissenschaft, Technologie und unser Leben voranbringen. Pioniere, die etwas Neues unternehmen, werden immer mit unerwarteten Problemen konfrontiert. Der Schlüssel liegt darin, aus ihnen zu lernen, anstatt sie zu leugnen oder sich schlecht zu fühlen, aufzugeben oder so zu tun, als hätten sie nicht geschehen sollen.
Kapitel 3 befasst sich mit grundlegenden Fehlern, die am leichtesten zu verstehen und am ehesten zu vermeiden sind. Sie können durch Fehler und Ausrutscher verursacht werden und lassen sich vermeiden, wenn man vorsichtig ist und sich das entsprechende Wissen aneignet. Eine E-Mail, die für die eigene Schwester bestimmt ist, versehentlich an den Chef zu schicken, ist ein grundlegender 29Fehler. Ja, manche würden es vielleicht als katastrophal bezeichnen, aber es ist dennoch ein grundlegender Fehler. Checklisten sind nur eines der Instrumente, die Sie kennen lernen werden, um grundlegende Fehler zu vermeiden.11
So verhängnisvoll grundlegende Fehler auch sein können, komplexe Fehler, wie sie in Kapitel 4 beschrieben werden, sind die wahren Monster, die in unserer Arbeit, unserem Leben, unseren Organisationen und unserer Gesellschaft großes Unheil anrichten. Komplexe Fehlschläge haben nicht nur eine, sondern mehrere Ursachen und enthalten oft auch eine Prise Pech. Aufgrund der Ungewissheit und der wechselseitigen Abhängigkeit, mit denen wir in unserem täglichen Leben konfrontiert sind, werden uns diese unglücklichen Pannen immer begleiten. Aus diesem Grund ist es in der modernen Welt von entscheidender Bedeutung, kleine Probleme zu erkennen, bevor sie außer Kontrolle geraten und ein komplexes Scheitern größeren Ausmaßes verursachen.
Im zweiten Teil werden meine neuesten Überlegungen zur Selbstbewusstheit, Situationsbewusstheit und Systembewusstheit vorgestellt – und wie diese Fähigkeiten mit den drei Arten des Scheiterns zusammenhängen. Dies wird eine Gelegenheit sein, tiefer in Handlungsweisen und Gewohnheiten einzutauchen, die es den Menschen ermöglichen, die Wissenschaft des klugen Scheiterns bei der Arbeit und in ihrem Leben wirksam zu praktizieren.
Kapitel 5 befasst sich mit der Selbstbewusstheit und ihrer entscheidenden Rolle in der Wissenschaft des klugen Scheiterns. Unsere menschliche Fähigkeit zu ständiger Selbstreflexion, Demut, Ehrlichkeit und Neugier veranlassen uns, nach Mustern zu suchen, die uns Einblick in unser Verhalten geben.
Kapitel 6 untersucht die Situationsbewusstheit: Wie kann man eine bestimmte Situation auf ihr Fehlerpotenzial hin untersuchen? Sie werden ein Gespür dafür bekommen, in welchen Situationen Unfälle zu erwarten sind, um unnötige Fehler zu vermeiden.
Kapitel 7 erforscht die Systembewusstheit. Wir leben in einer Welt komplexer Systeme, in der unsere Handlungen unbeabsichtigte Folgen auslösen. Aber wenn wir lernen, Systeme zu erkennen und zu schätzen – zum Beispiel in der Familie, in der Organisation, in der Natur oder in der Politik –, können wir viele Misserfolge verhindern.
Diese Ideen helfen uns in Kapitel 8 bei der Beantwortung der Frage, wie wir uns als fehlbare Menschen entfalten können. Wir alle sind fehlbar. Die Frage ist, ob und wie wir diese Tatsache nutzen, um ein erfülltes Leben des ständigen Lernens zu gestalten.
Nur wer es wagt, groß zu scheitern, kann jemals Großes erreichen.
– Robert F. Kennedy
Am 6. April 1951 operierte der 41-jährige Herzchirurg Dr. Clarence Dennis die fünfjährige Patty Anderson in einem hochmodernen Operationssaal.1 Es lief nicht gut. Dennis wollte das Kind, bei dem ein seltener angeborener Herzfehler diagnostiziert worden war, unbedingt retten. Auf der Aussichtsplattform beobachteten mehrere seiner Kollegen vom Universitätskrankenhaus in Minnesota, wie Dennis seine neue Herz-Lungen-Maschine an das kleine Mädchen anschloss. Die Maschine, die während der Operation als Lunge und Herz der kleinen Patientin fungieren sollte, war bisher nur an Hunden im Labor getestet worden. Die äußerst komplizierte Maschine erforderte während des Eingriffs die Hilfe von 16 Personen. Ihre rotierenden Scheiben dienten als Lungen, eine Pumpe übernahm die Herzfunktionen, und ihre vielen Schläuche ersetzten Gefäße, die das Blut durch den Körper transportierten.
Dennis gehörte in den 1950er-Jahren zu den Pionieren unter den Chirurgen, die einen Weg finden wollten, das Herz eines Menschen erfolgreich zu operieren. Eine der scheinbar unüberwindbaren Hürden war damals die Eindämmung 34des Blutes, das nach einem Schnitt in das Herz eines Patienten mit großem Druck herausspritzte. Die Aufgabe des Herzens besteht schließlich darin, Blut zu pumpen, und diese Funktion übernimmt es sehr wirkungsvoll. Eine weitere Herausforderung bestand darin, die heiklen chirurgischen Reparaturen an einem schlagenden Herzen durchzuführen. Es war schon schwierig genug, ein Organ zu nähen, das vollkommen bewegungslos war. Doch wenn man das Herz anhält, um den Eingriff zu erleichtern, wird der Blutfluss im Körper unterbrochen, ohne den der Patient nicht überleben kann. Mit der komplizierten Maschine versuchte Dennis, diese scheinbar unlösbaren Probleme zu lösen.
Um 13:22 Uhr befahl Dennis seinem Team, Pattys Herz abzubinden und die Pumpe zu starten. Es ist leicht vorstellbar, dass das gesamte Team den Atem anhielt, als der erste Schnitt gemacht wurde.
Dann geschah das Unerwartete. Als der Chirurg in die obere rechte Kammer des kleinen Herzens schnitt, floss Blut – viel zu viel Blut – in die Umgebung des Herzens, und das Team konnte nicht schnell genug absaugen. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Der Schnitt hatte gezeigt, dass die ursprüngliche Diagnose falsch war. Patty hatte nicht nur ein einziges Loch, wie die Ärzte angenommen hatten, sondern es befanden sich mehrere Öffnungen in der Mitte ihres Herzens. Keiner der Chirurgen hatte so etwas zuvor gesehen. Dennis und sein Team nähten so schnell sie konnten und setzten elf Stiche in das größte Loch. Die Blutung ging aber ungehindert weiter. Sie vereitelte ihre Bemühungen, verdeckte ihr Sichtfeld und machte eine vollständige Reparatur unmöglich. Nach 40 Minuten trennten sie das kleine Mädchen von der Maschine, aber es dauerte weitere 43 Minuten, bis Dennis seine Niederlage eingestand. Patty starb einen Tag vor ihrem sechsten Geburtstag.
Einen Monat später versuchte Dennis es erneut und operierte zusammen mit einem Kollegen die zweijährige Sheryl Judge. Die Operation beobachtete der 32-jährige Clarence Walton »Walt« Lillehei, der später als Vater der offenen Herzchirurgie bezeichnet werden sollte. Bei Sheryl war ein Defekt des Vorhofseptums diagnostiziert worden – ein einzelnes Loch in der Wand zwischen den beiden oberen Herzkammern. Auch dieser angeborene Defekt würde, wenn er unbehandelt bliebe, für das Kind bald tödlich sein.
Als der Chirurg dieses Mal das Herz öffnete, zeigte sich ein anderes Problem. Es trat Luft aus den Herzkranzgefäßen aus und blockierte den Blutfluss. Einer der Techniker (der, wie sich später herausstellte, an einer leichten Erkältung litt) hatte das Reservoir des Geräts mit sauberem Blut leerlaufen lassen und die Patientin mit Luft vollgepumpt, wodurch ihr Gehirn, ihr Herz und ihre Leber vergiftet wurden. Die Folgen waren verheerend. Nach acht Stunden starb Sheryl Judge. Ein tragischer Fall von menschlichem Versagen – in einem 35noch völlig unbekannten Gebiet – trübte die Bemühungen der Chirurgen, die Grenzen des medizinisch Machbaren zu erweitern.
Diese verheerenden Misserfolge sind für die meisten von uns nur schwer zu ertragen. Vielleicht empören wir uns sogar über die Vorstellung von Experimenten, bei denen es um Leben und Tod geht. Doch für diese Patientinnen bestand ihre einzige Hoffnung in einer chirurgischen Reparatur. Wenn wir einen Schritt zurücktreten, können wir erkennen, dass die meisten der heute selbstverständlichen medizinischen Wunder – einschließlich der Operation am offenen Herzen bei erkrankten Gefäßen und Herzklappen – einst der unmögliche Traum medizinischer Pioniere war. Wie der Kardiologe Dr. James Forrester schrieb: »In der Medizin lernen wir mehr aus unseren Fehlern als aus unseren Erfolgen. Fehler bringen die Wahrheit ans Licht.«2 Aber die Wahrheit von Forresters Aussage allein macht es für uns alle nicht leichter, mit den schmerzhaften Nebenwirkungen des Scheiterns umzugehen. Wir brauchen ein wenig mehr Hilfe, um die emotionalen, kognitiven und sozialen Hindernisse zu überwinden, die einem guten Scheitern im Wege stehen.
Klug zu scheitern ist aus drei Gründen schwer: Abneigung, Verwirrung und Angst. Abneigung bezieht sich auf eine instinktive emotionale Reaktion auf Misserfolge. Verwirrung entsteht, wenn wir keinen Zugang zu einem einfachen, praktischen Verständnisrahmen haben, um zwischen verschiedenen Arten Scheiterns zu unterscheiden. Die Ursache der Angst ist das soziale Stigma des Scheiterns.
In unserem täglichen Leben werden die meisten von uns nie mit der Art von Misserfolgen konfrontiert werden, die Clarence Dennis erlebt hat. Dennoch kann es aufschlussreich sein, von Experten des Scheiterns wie Dennis zu lernen – genauso wie das Beobachten von professionellen Sportteams am Wochenende hilfreich und inspirierend sein kann. Auch wenn Sie kein medizinischer Pionier oder Profisportler sind, ist es hilfreich zu verstehen, womit diese Menschen konfrontiert waren und was sie überwunden haben, um ihr Tun zu verbessern. Wenn Robert F. Kennedy, mit dessen Zitat dieses Kapitel eingeleitet wurde, recht hatte, als er behauptete, dass große Leistungen großes Scheitern voraussetzen, dann haben die meisten von uns noch einiges zu tun.
Obwohl die erste erfolgreiche Operation am offenen Herzen an jenem Apriltag in Minneapolis nicht stattfand, führen heute ungefähr 10.000 Chirurgen in 366000 Herz-Zentren rund um den Globus jedes Jahr mehr als zwei Millionen dieser lebensrettenden medizinischen Eingriffe durch – in der Regel unter Verwendung eines hochentwickelten, stromlinienförmigen Nachfolgers von Herz-Lungen-Maschine von Dennis. Es sollte weitere vier Jahre dauern, bis Dennis und sein Team die erste erfolgreiche Operation mit der Maschine durchführten, und zwar am SUNY Downstate Medical Center in New York. In diesen vier Jahren erlebten Dennis und andere Chirurgen nicht nur weitere Fehlschläge mit diesen ersten Maschinen, sondern auch ihre Versuche, andere innovative Wege zur Lösung der schwierigen Probleme der Herzchirurgie zu finden, scheiterten in unterschiedlichem Maße (neben einigen kleinen Erfolgen).
Scheitern macht nie Spaß, und nirgendwo ist das deutlicher als in Krankenhäusern, wo es um Leben und Tod geht. Aber auch unsere gewöhnlichen Misserfolge – unsere Fehler, die unwichtigen Dinge, die wir falsch machen, die kleinen Niederlagen, wenn wir auf einen Sieg gehofft haben – können überraschend schmerzhaft und schwer zu verarbeiten sein. Man stolpert auf dem Bürgersteig; eine Bemerkung in einer Besprechung geht daneben; man ist das letzte Kind, das bei einem improvisierten Fußballspiel für die Mannschaft ausgewählt wird. Das sind zwar nur kleine Misserfolge, aber für viele von uns spüren deswegen einen echten Schmerz.
Aus rationaler Sicht wissen wir, dass Scheitern ein unvermeidlicher Teil des Lebens ist, eine Quelle des Lernens und sogar eine Voraussetzung für Fortschritt. Doch wie die psychologische und neurowissenschaftliche Forschung gezeigt hat, gehen unsere Gefühle nicht immer mit unserem klaren, rationalen Verstand überein. Zahlreiche Studien zeigen, dass wir negative und positive Informationen unterschiedlich verarbeiten.3 Man könnte sagen, dass wir mit einer »Negativitätsverzerrung« behaftet sind.4
Wir nehmen »schlechte« Informationen, einschließlich kleiner Fehler und Misserfolge, leichter auf als »gute« Informationen. Es fällt uns schwerer, schlechte Gedanken loszulassen, als gute. Wir erinnern uns an die negativen Dinge, die uns widerfahren, lebhafter und länger als an die positiven. Wir achten mehr auf negative als auf positive Rückmeldungen. Menschen interpretieren negative Gesichtsausdrücke schneller als positive. Schlechtes ist, einfach ausgedrückt, stärker als Gutes.5 Das heißt nicht, dass wir dem Schlechten zustimmen oder es mehr schätzen, sondern dass wir es stärker wahrnehmen.
Warum sind wir so empfindlich gegenüber negativen Informationen und Kritik? Nun, es scheint den frühen Menschen einen Überlebensvorteil verschafft 37zu haben, als die Bedrohung durch die Ablehnung des Stammes den Tod bedeuten konnte. Daher reagieren wir unverhältnismäßig empfindlich auf Bedrohungen, selbst auf die rein zwischenmenschliche Gefahr, in den Augen anderer schlecht dazustehen. Heute sind viele der zwischenmenschlichen Bedrohungen, die wir in unserem Alltag wahrnehmen, nicht wirklich gefährlich. Trotzdem sind wir darauf programmiert, auf sie zu reagieren – ja sogar übermäßig stark darauf zu reagieren. Wir leiden auch unter dem, was der berühmte Psychologe Daniel Kahneman »Verlustaversion« genannt hat – eine Tendenz, Verluste (von Geld, Besitz oder sogar sozialem Status) im Vergleich zu entsprechenden Gewinnen überzubewerten.6 In einer Studie wurde den Teilnehmenden eine Kaffeetasse geschenkt und später angeboten, sie zu verkaufen.7 Um sich von ihrer Tasse zu trennen, mussten die Teilnehmenden eine doppelt so hohe Entschädigung erhalten, wie sie bereit waren, für den Erwerb der Tasse zu zahlen. Irrational, ja. Und zutiefst menschlich. Wir wollen nicht verlieren; wir wollen nicht versagen. Der Schmerz des Scheiterns, selbst bei einfachen Tätigkeiten, ist emotional stärker ausgeprägt als die Freude über den Erfolg.
Die Abneigung gegen Misserfolge ist real. Rational gesehen wissen wir, dass jeder Fehler macht; wir wissen, dass wir in einer komplexen Welt leben, in der Dinge schiefgehen, selbst wenn wir unser Bestes geben; wir wissen, dass wir uns selbst (und anderen) verzeihen sollten, wenn wir scheitern. Aber in den meisten Haushalten, Organisationen und Kulturen sind Fehler und Schuldgefühle untrennbar miteinander verbunden.
Sander, ein Freund aus den Niederlanden, erzählte mir kürzlich eine Geschichte, die deutlich macht, wie universell das Ausweichen vor Schuldgefühlen ist – und wie früh es auftritt. Sanders kleines Auto war zur Reparatur, und die Werkstatt hatte ihm einen großen BMW geliehen. Auf der Fahrt zurück zur Werkstatt, um das geliehene Auto zurückzugeben, brachte Sander seine Kinder zur Schule. Nachdem er das ältere Kind abgesetzt hatte, fuhr er weiter, um sein dreijähriges Kind zur Kindertagesstätte zu bringen. In aller Eile lenkte Sander den Wagen durch eine enge Straße, die durch die geparkten Autos auf dem Gehweg noch enger wurde. Und plötzlich: Peng! Der Außenspiegel des BMW auf der Beifahrerseite, wo das Kind auf dem Rücksitz saß, prallte gegen ein geparktes Auto. Es verging keine Sekunde, bis das erschrockene Kind aufschaute und rief: »Ich habe nichts getan, Papa!«
Wir können darüber lachen, weil es unmöglich ist, dass ein dreijähriges Kind auf dem Rücksitz die Schuld an einem beschädigten Außenspiegel trägt. Sein Instinkt, der Schuld auszuweichen, war stärker als die Überlegung, ob es überhaupt daran schuld sein konnte. Die Geschichte zeigt, wie tief verwurzelt unser Instinkt ist, die Schuld von sich zu weisen. Selbst wenn wenig auf dem 38Spiel steht, vereitelt der Reflex, der Schuld zu entgehen, unser Lernen. Und er hört nicht in der Kindheit auf.
Sydney Finkelstein, ein Professor am Dartmouth College, untersuchte schwerwiegende Misserfolge in mehr als 50 Unternehmen.8 Er fand heraus, dass Menschen, die in der Führungshierarchie höher stehen, eher anderen Faktoren als sich selbst die Schuld geben. Menschen mit weniger Macht sehen die Schuld leichter bei sich selbst. Seltsamerweise scheinen Menschen in höheren Machtpositionen das Gefühl zu haben, am wenigsten Kontrolle ausüben zu können. So viel zu dem vom US-Präsidenten Harry Truman verbreiteten Denken, der zu sagen pflegte, dass er immer die volle Verantwortung übernimmt.9
Ironischerweise macht unsere Abneigung gegen Misserfolge diese wahrscheinlicher. Wenn wir kleine Fehler nicht zugeben oder nicht darauf hinweisen, lassen wir zu, dass sie zu größeren werden. Wenn Sie es hinauszögern, Ihrem Chef von einem Problem zu erzählen, das ein kritisches Projekt zum Scheitern bringen könnte – und vielleicht eine wichtige Frist für den Kunden verpassen –, dann verwandeln Sie ein potenziell lösbares kleines Problem in einen größeren, folgenreicheren Misserfolg.
Ähnlich verhält es sich in unserem Leben: Wenn wir nicht zugeben wollen, dass wir Probleme haben, bekommen wir auch nicht die Hilfe, die wir brauchen. Unsere Abneigung gegen unsere Misserfolge macht uns auch anfällig für Gefühle der Erleichterung, wenn jemand anderes versagt. Wir sind froh, dass wir es nicht sind. Wir können ein automatisches, wenn auch flüchtiges Gefühl der Überlegenheit erleben. Noch schlimmer ist, dass wir die Misserfolge anderer schnell verurteilen können. Wenn ich an der Harvard Business School ausführliche Fallstudien über bedeutende Misserfolge unterrichte – zum Beispiel bei einer der beiden gescheiterten Shuttle-Missionen der NASA –, bringt ein Drittel der Studierenden ihre Wut, manchmal sogar ihre Empörung darüber zum Ausdruck, dass die NASA diese Misserfolge zulassen konnte.
Es ist menschlich, mit Wut und Schuldzuweisungen zu reagieren, aber es ist keine Strategie, die uns hilft, Misserfolge zu vermeiden und aus ihnen zu lernen. Die komplexen Fehlschläge im Space-Shuttle-Programm der NASA faszinieren mich und meine Studierenden. Ich versuche, sie zu nutzen, um denjenigen unter uns, die keine Raketenwissenschaftler sind – oder Manager großer, komplexer Operationen, bei denen viel auf dem Spiel steht –, zu helfen, stellvertretend zu lernen, wie wir bestimmte Arten von Misserfolgen in unserem eigenen Leben vermeiden können (mit einem offenen Geist und großer Demut gegenüber den Herausforderungen, mit denen die NASA konfrontiert war).
Eine der wichtigsten Strategien zur Vermeidung komplexer Misserfolge besteht darin, in der Familie, im Team oder in der Organisation die Gewohnheit 39eines offenen und schnellen Ansprechens von Fehlern zu betonen. Mit anderen Worten: Machen Sie es psychologisch sicher, ehrlich über eine Kleinigkeit zu sprechen, bevor sie sich zu einem größeren Misserfolg auswächst. Zu viele der großen organisatorischen Misserfolge, die ich untersucht habe, hätten verhindert werden können, wenn die Menschen sich in der Lage gefühlt hätten, ihre zaghaften Bedenken früher zu äußern.
Merkwürdigerweise gilt unsere Abneigung sowohl für kleine als auch für große Misserfolge. Wir wollen uns gut fühlen (nicht zufällig ein wichtiger Faktor für die psychische Gesundheit), und wir wollen etwas erreichen. Nicht nur Chirurgen, die den ehrgeizigen Traum verfolgen, Leben zu retten, hegen solche Hoffnungen. Wir wollen, dass unsere Kinder studieren und der Urlaub immer freudvoll ist. Doch in Wirklichkeit sagen wir etwas, das wir bedauern, Unternehmen und Produkte scheitern, Kinder haben es schwer, und im Urlaub gibt es Konflikte und Enttäuschungen. Unsere Misserfolge sorgfältig zu untersuchen, ist emotional unangenehm und nagt an unserem Selbstwertgefühl. Wenn wir uns selbst überlassen sind, werden wir die Analyse von Misserfolgen überstürzen oder ganz vermeiden.
Ich erinnere mich noch an die Demütigung, die ich empfand, als ich es nicht in die Basketballmannschaft meiner Highschool schaffte. Einen Tag nach den Probetrainings hängte der Trainer ein Blatt Papier mit zwei Listen aus. Auf der linken Seite standen die Namen aller, die in die Mannschaft aufgenommen worden waren – viele meiner Freundinnen und Klassenkameradinnen. Auf der rechten Seite stand die Liste derjenigen, die es versucht hatten und gescheitert waren. Auf dieser Liste stand nur ein Name: meiner. Genau das machte es so peinlich. Ich wollte nicht analysieren, warum ich es nicht in die Mannschaft geschafft hatte, und schon gar nicht wollte ich mich mit den unangenehmen Gefühlen beschäftigen, die das hervorrief. Nicht, dass ich mich für besonders geschickt gehalten hätte, aber als einzige Spielerin abgelehnt zu werden, tat weh. Natürlich war diese Ablehnung nicht lebensbedrohlich. Aber ich habe auch nicht viel Zeit damit verbracht, daraus zu lernen.
Sportler verfügen im Allgemeinen über einen recht ausgereiften Einblick in das Verhältnis von Misserfolg und Erfolg. Der kanadische Eishockey-Superstar Wayne Gretzky hat einmal gesagt: »Hundert Prozent der Schüsse, die man nicht versucht, verfehlt man.«10 Training und Wettkämpfe bringen es mit sich, dass man mehrere Misserfolge akzeptiert und daraus lernt, um sich zu verbessern. Fußballstar und Olympiasiegerin Abby Wambach weist darauf hin, dass Scheitern bedeutet, dass man »im Spiel« ist.11 In ihrer Abschlussrede 2018 am Barnard College in New York forderte Wambach die Absolventen auf, Scheitern zu ihrem »Treibstoff« zu machen.12 Scheitern, so erklärte sie, »ist nichts, wofür 40man sich schämen muss, sondern etwas, das einen antreibt. Scheitern ist der Treibstoff mit der höchsten Oktanzahl, mit dem dein Leben laufen kann.«
Überraschend – und aufschlussreich – ist jedoch eine Studie, die ergab, dass Sportler, die bei einer olympischen Veranstaltung den dritten Platz belegten und eine Bronzemedaille erhielten, zufriedener waren als die Zweitplatzierten. Sie spürten den Stachel des Scheiterns weniger stark als die Sportler, die eine Silbermedaille erhielten.13
Warum fühlten sich die Gewinner der Silbermedaille in der Studie wie Versager, während die Gewinner der Bronzemedaille ein gewisses Maß an Erfolg verspürten? Psychologen vermuten, dass dies auf »kontrafaktisches Denken« zurückzuführen ist – die menschliche Tendenz, Ereignisse in Gedanken wie »was wäre, wenn« oder »wenn ich nur« zu betrachten.14 Die Gewinnerinnen der Silbermedaille, die enttäuscht waren, weil sie kein Gold gewonnen hatten, bewerteten ihre Leistung als Scheitern im Vergleich zum Gewinn der Goldmedaille. Diejenigen, die den dritten Platz belegten, bewerteten das Ergebnis als Erfolg – sie hatten eine Medaille bei den Olympischen Spielen gewonnen! Sie waren sich bewusst, dass sie die Chance, auf dem olympischen Podium zu stehen, leicht hätten verpassen können. Dann wären sie nicht mit einer Medaille nach Hause gekommen.
Die Gewinnerinnen der Bronzemedaille hatten ihr Ergebnis umgedeutet – von einem Verlust zu einem Gewinn. Diese einfache – und wissenschaftlich begründete – Sichtweise erfüllte sie mit Freude statt mit Bedauern.15 Wie Sie in diesem Buch erfahren werden, hat die Art und Weise, wie wir dem Scheitern einen deuten und umdeuten, sehr viel mit unserer Fähigkeit zu tun, klug zu scheitern. Die Umdeutung des Scheiterns ist die lebensverbessernde Fähigkeit, die uns hilft, unsere spontane Abneigung gegen das Scheitern zu überwinden.