Wesensgemäße Bienenhaltung in der Bienenkiste - Erhard Maria Klein - E-Book

Wesensgemäße Bienenhaltung in der Bienenkiste E-Book

Erhard Maria Klein

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  • Herausgeber: pala
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Einfach Bienen halten, ohne großen Aufwand und aus Liebe zur Natur: Dank der Bienenkiste, entwickelt vom ökologischen Imkerverband Mellifera, ist der Einstieg in die Freizeitimkerei auch ohne größere Vorkenntnisse möglich. Ein tiefes Verständnis für das Bienenvolk hilft jedoch, um auf Dauer Freude am Imkern zu haben. Die Bienen bauen ihre Waben selbst und dürfen sich über den Schwarmtrieb vermehren. Erhard Maria Klein erklärt, warum das so wichtig ist und wie die wesensgemäße Bienenhaltung nachhaltig gelingt. Informationen über die natürliche Lebensweise der Honigbienen, verblüffende Details aus der aktuellen Bienenforschung sowie erprobte Tipps aus der Imkerpraxis helfen, achtsam zu sein und mit Problemen und Sonderfällen umzugehen. So lässt sich leichter entscheiden, wann dem Lauf der Natur vertraut werden kann und wann Eingriffe nötig sind. Ein Buch für alle, die in der Stadt oder auf dem Land mit der wesensgemäßen Bienenhaltung beginnen möchten, und für Bienenkisten-Imker, die ihre Kenntnisse vertiefen wollen.

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Erhard Maria Klein

Wesensgemäße Bienenhaltung in der Bienenkiste

Lernen von der Natur – Imkern mit Respekt

In Erinnerung an meinen Vater Wolfgang Klein, der mich stets ermutigt hat, meiner Neugier und meinen Interessen zu folgen.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Einladung zum Dialog

Wesensgemäße Bienenhaltung

Bienen natürlich halten?

Vom wahren Wesen der Honigbienen

Was ist wesensgemäße Bienenhaltung?

Das Wildvolk

Der Superorganismus Bien

Die Bienenwesen

Der Schwarmtrieb

Bienenrassen

Wabenbau

Standort und Behausung

Ernährung der Bienen

Abwehr von Krankheiten

Der Tod gehört zum Leben

Die Bienenkiste

Konventioneller Mobilbau

Bienenhaltung in Körben

Die neuen Freizeitimker

Der Krainer Bauernstock

Die Entwicklung der Bienenkiste

Betreuung einer Bienenkiste im Jahreslauf

Der Jahreslauf im Überblick

Erste Schritte

Bienenkiste richtig öffnen

Wie viele Bienenvölker soll ich halten?

Beobachtungen am Flugloch

In den Waben lesen

Bienen und Gemüll lesen

Schwärmen und schwärmen lassen

Weisellosigkeit erkennen und heilen

Königin im Blumentopf

Trommelschwarm als Schwarmvorwegnahme

Ohne Mittelwände imkern

Bei Wildbau Honig ernten

Bienengesundheit

Bienen füttern

Sterbehilfe

Danksagung an inspirierende Lehrer und Wegbegleiter

Der Autor

Anhang

Sachindex

Adressen

Informationen im Internet

Bezugsquellen

Zum Weiterlesen

Zum Betrachten

Vorwort

»Halten Sie sie ruhig fest, sie kann nicht stechen.« Das klang ein bisschen nach: »Der will nur spielen!« Aber Erhard Maria Klein hatte natürlich recht. Der »Erfinder« der Bienenkiste hatte mir schließlich keine Arbeiterin, sondern eine Drohne in die hohle Hand gesetzt. Das kräftige Bienenmännchen mit den scheinwerfergroßen Facettenaugen und dem Schmusepelz surrte wie ein Minimotor zwischen meinen Fingern umher und schwirrte verdutzt davon, als ich es losließ. Drohnen haben in der Tat keinen Stachel. Das war nur eines von vielen Dingen, die ich lernte, als ich an einem warmen Frühsommertag gemeinsam mit einer Kollegin zum ersten Mal Herrn Klein und seine Bienen besuchte. Wir recherchierten, was es mit diesen Bienenkisten auf sich hatte – und fanden uns in einer eigenen Welt wieder: der Oase von Herrn Klein.

Sein Schrebergarten duckt sich in einer Art Hamburger Niemandsland zwischen Autohäuser und Baumärkte. Lastwagen, die das Summen Hunderttausender Bienen übertönen, donnern an der Kolonie vorbei. Hinter einer rotbraunen Holzlaube gleich neben einem Gewächshaus »liegen« fünf der langgezogenen Beuten, die den gesamten Bien in einem einzigen Raum versammeln wie in einem umgestürzter Baum. Kein Mensch würde hier die Brutzelle der Bienenkiste vermuten, die Zehntausende zu anders wirtschaftenden Kleinst-Imkern gemacht hat – zu Bienenkistenimkern. Wie Goldklümpchen schwirren die Sammlerinnen im Sonnenlicht den umliegenden Gärten entgegen. Und vor dem Hintergrundrauschen der Gewerbewüste entfaltet sich so etwas wie Ruhe. Ein Naturidyll? Sicher nicht. »Was ist schon natürlich«, würde Herr Klein fragen – und er hätte natürlich wieder recht.

Erhard Maria Kleins Betriebsweise zollt einem Wesen Respekt, das uns als Insekt so fremd ist, als käme es von einem anderen Planeten, und das uns als Gesamtorganismus so sehr ähnelt, dass seine Schwarmintelligenz sogar mit der Arbeitsweise unseres Gehirns verglichen wird. Der blühenden Stadtimkerei, zu deren Pionieren Klein ohne Zweifel zählt, geht es nicht um eine falsch verstandene Verzärtelung, die um jede tote Biene trauert, aber das Volk vernachlässigt. Es geht ihr nicht um eine irrationale Naturromantik, sondern um ein Denken in modernen Zusammenhängen und Kreisläufen. Eine Natur, deren Teil selbstverständlich auch Städte sind – und der Mensch. Wenn Erhard Maria Klein mit der Bienenkiste auch nach einer neuen Rolle für uns in diesem Gefüge sucht, so kann man diese vielleicht so beschreiben: beobachten, staunen, lernen, Verantwortung übernehmen – und sich nur in den Grenzen des Regenerierbaren bedienen. Um der Bienen und um unseretwillen. Denn eine Welt, in der sich so robuste Geschöpfe nicht mehr wohlfühlen, könnte auch für uns auf Dauer ungemütlich werden. So ist es ein Glück, dass der Rat für Nachhaltige Entwicklung dieses Konzept der wesensgemäßen Bienenhaltung zu einer der hundert einfallsreichsten Nachhaltigkeitsinitiativen 2015 gekürt hat.

Das vorliegende Buch ist weit mehr als ein Leitfaden, es ist eine Hilfe auf der Suche nach dem eigenen Weg. Klein taucht ab in die Geheimnisse des Bienenstaates sowie wilder Bienenvölker und erklärt so nicht nur das Wie, sondern vor allem das Warum einer wesensgemäßen Haltung in der Bienenkiste. Dennoch kommen praktische Tipps nicht zu kurz. So ausgerüstet, hätte ich längst eine Bienenkiste, wenn mein Balkon nicht so winzig wäre.

Katja Morgenthaler

(Greenpeace Magazin)

Einladung zum Dialog

»Wir sind nicht auf der Erde, um ein Museum zu hüten, sondern um einen Garten zu pflegen, der von Leben blüht und für eine großartige Zukunft bestimmt ist.«

Papst Johannes XXIII

Um das Thema »selbst Bienen halten« ist in den letzten Jahren ein wahrer Hype entstanden. Das Bienenkisten-Projekt war daran sicher nicht ganz unschuldig. Wir waren vor rund zehn Jahren die Ersten, die erkannt hatten, dass eine zeitgemäße Freizeit-Bienenhaltung anders aussehen muss als die eher landwirtschaftlich geprägte konventionelle Bienenhaltung. Das alternative Konzept der Bienenkiste kann mittlerweile schon fast als etabliert angesehen werden. Zehntausende Menschen konnten darüber in den letzten Jahren für die Bienenhaltung begeistert werden und sind selbst Imker geworden. Viele weitere Initiativen und Projekte sind neu entstanden. Begriffe wie »wesensgemäße Bienenhaltung«, »extensive Bienenhaltung«, »naturgemäße Bienenhaltung« und Ähnliches sind in aller Munde. Auch die Berichterstattung in den Massenmedien über das »Bienensterben« hat einen wichtigen Anteil daran gehabt: Alle sind besorgt um die Bienen, alle meinen es gut.

Viele Menschen haben den Schritt gewagt und haben sich ein Bienenvolk zugelegt – in der Bienenkiste oder auch in einem anderen Beutensystem. Die konventionelle Imkerschaft sieht dies zum Teil mit Skepsis und Besorgnis. Der Generationenwechsel und die neuen Ideen und Werte, die zum Teil mit der neuen Imkerbewegung verbunden sind, werden nicht immer verstanden und akzeptiert. Wir machen es ihnen aber auch nicht immer leicht: Nicht selten ist die Begeisterung für die extensive Bienenhaltung mit einem Habitus der »Weltverbesserung« verbunden. Man hält sich für den besseren Imker, ohne überhaupt schon eigene Erfahrungen gesammelt zu haben.

Neben solchen zwischenmenschlichen Problemen, die oft auf mangelnden gegenseitigen Respekt zurückgeführt werden können, gibt es die Sorge, dass diese neuen Imker nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Fachkunde zu Werke gehen. Man befürchtet, dass Bienenvölker als Modetiere angeschafft werden – wie Hunde zu Weihnachten, die dann in den nächsten Sommerferien »an der Autobahn« ausgesetzt werden – oder dass die Anfänger mit ihren Bienenvölkern überfordert sind und so der Verbreitung von Bienenkrankheiten Vorschub leisten.

Mein Buch »Die Bienenkiste« ist ein praxisorientierter Leitfaden, der alle Informationen für einen erfolgreichen Beginn der Bienenhaltung in der Bienenkiste enthält. Die extensive, wesensgemäße Art der Bienenhaltung, die Mellifera e. V. lehrt, habe ich – allein schon aus Platzgründen – darin nicht ausführlicher reflektiert und entfaltet. Wer aber langfristig erfolgreich Bienen in der Bienenkiste halten will, sollte dieses wesensgemäße Verständnis des »Biens« verinnerlicht haben und aus dieser Haltung heraus Erfahrungen sammeln und selbstständig Entscheidungen treffen.

Man kann langfristig nicht nach einem Leitfaden wesensgemäß imkern – das Imkern nach einem starren Leitfaden ist ja gerade einer unserer zentralen Kritikpunkte an der konventionellen Imkerei. Glücklich schätzen kann sich, wer einen guten Lehrer hat oder an inspirierenden Kursen teilnehmen konnte. Solche Erfahrungen aus persönlichen Begegnungen können kein Buch, keine Website und kein Internet-Video vermitteln.

Leider hat nicht jeder das Glück und die Möglichkeit, einen guten Lehrer zu finden. Ich möchte daher mit diesem Buch rund um die Bienenkiste einen kleinen Beitrag leisten, um zu vermitteln, was ich unter »wesensgemäßer Bienenhaltung« verstehe und wie das praktisch in der Betreuung unserer Bienenvölker umgesetzt werden kann.

Der Begriff »wesensgemäße Bienenhaltung« ist erklärungsbedürftig. Was bedeutet das eigentlich, warum nicht »naturnah« oder »ökologisch«? Wir werden uns anschauen, wie ein wildes Bienenvolk natürlicherweise lebt. Inwieweit dieses »natürliche« Leben für unsere Bienenhaltung Maßstab und Ideal sein kann, werden wir kritisch hinterfragen und Kriterien für eine wesensgemäße Bienenhaltung entwickeln.

Der zweite Teil des Buchs widmet sich der Praxis: Wie beurteilen wir den Zustand unserer Bienenvölker? Wann ist es notwendig, einzugreifen, wann können wir auf den Lauf der Natur vertrauen? Wie kann ich auf Probleme angemessen reagieren? Ist es normal, dass Bienenvölker sterben? Wie kann ich das verhindern oder was kann ich daraus lernen, wenn es passiert?

Das Buch richtet sich also vor allem an Menschen, die sich mit den Fragen der extensiven, wesensgemäßen Bienenhaltung beschäftigen, und insbesondere an Bienenkisten-Imker, die ihre Kenntnisse vertiefen wollen. Ich hoffe, dass es auch zum gegenseitigen Verständnis zwischen konventionellen und alternativen Imkern beiträgt.

Wenn ich Begriffe wie »konventionelle Bienenhaltung« oder »konventioneller Imker« verwende, dann meine ich damit den Archetyp einer Bienenhaltung als landwirtschaftliche Produktionsweise, die heute weltweit immer noch Standard ist. Ich verbinde mit dem Begriff aber kein Werturteil. Mir ist klar, dass die Welt komplex ist und dass die meisten Imker ihre Bienen lieben und versuchen, verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen. Aber die Welt wandelt sich und mit ihr auch die Bedingungen, unter denen wir Bienen halten, unsere Werte und Erwartungen. Die Art der Bienenhaltung, die ich am Anfang meines Weges mit den Bienen in einem konventionellen Imkerkurs kennengelernt habe, ist nicht meine. Ich habe später dann die wesensgemäße Bienenhaltung für mich entdeckt und lieben gelernt, und ich möchte meine Erfahrungen und Gedanken dazu in diesem Buch mit Ihnen teilen.

Ich verstehe dieses Buch als Diskussionsbeitrag. Mir ist sehr wichtig, gleich zu Anfang deutlich zu betonen, dass es nicht die richtige Art der Bienenhaltung gibt. Meine Erwägungen sind auch mit keiner Moral verbunden. Es geht mir nicht darum, ob eine bestimmte Art der Bienenhaltung besser ist als eine andere. Ich möchte meine Sicht auf das Lebewesen Bien vorstellen und begründen. Vielfalt ist ein Schöpfungsprinzip – nicht nur in der Natur, sondern auch im Reich der menschlichen Ideen und Weltanschauungen.

Wesensgemäße Bienenhaltung

»Wesensgemäße Bienenhaltung geht von der Erkenntnis aus, dass das Bienenvolk einschließlich seiner Waben ein Organismus ist, und respektiert »den Bien« in der Tradition Rudolf Steiners und Ferdinand Gerstungs als ein Ganzes. Das drückt sich insbesondere in der Wahrung der Integrität des Brutnestes, Naturwabenbau und Vermehrung über den Schwarmtrieb aus.«

Mellifera e. V.

In der Tierhaltung spricht man üblicherweise von »artgerecht«, wenn man damit zum Ausdruck bringen will, dass man besonders auf die natürlichen Bedürfnisse und Lebensbedingungen eines Tieres eingehen will. In der Nutztierhaltung wird auch der Begriff »ökologisch« verwendet. Er bringt zum Ausdruck, dass sich die Tierhaltung in einen ökologischen Kreislauf einfügt, dass das Tier unter anderem Nahrung zu sich nimmt, Raum beansprucht und Ausscheidungen hat. Es gibt also vielfältige Wechselwirkungen zwischen jedem Lebewesen und seiner Umwelt. Wer Tiere unter ökologischen Gesichtspunkten hält, versucht neben den Bedürfnissen des Tieres auch das gesamte Ökosystem im Blick zu behalten.

Interessanterweise spielen diese beiden Begriffe bei der Bienenhaltung kaum eine Rolle, wenn man sich von der konventionellen Bienenhaltung abgrenzen will. Aktuelle Bücher zum Thema tragen Titel wie »Bienen naturgemäß halten«, »Natürlich imkern in Großraumbeuten« oder »Imkern in der Oberträgerbeute: Natürlich, einfach, anders«. Daneben tauchen in der öffentlichen Diskussion Begriffe wie »naturnah«, »extensiv« und »wesensgemäß« auf. Der Gebrauch all dieser Begriffe erscheint relativ willkürlich und keinesfalls klar voneinander abgegrenzt. Sie werden ein Stück weit synonym verwendet und jeder füllt sie für sich selbst mit Bedeutung. Diese Begriffsunschärfe ist für mich ein Zeichen dafür, dass die Dinge nicht wirklich klar sind und oft nicht zu Ende gedacht wurden. Es ist symptomatisch, dass der relativ unscharfe Begriff »Natur« bei der Bienenhaltung zurzeit in Mode ist. Eine heute wieder populäre Naturromantik trägt ihren Teil dazu bei. Mit »Natur« ist dann oft ein ursprünglicher, nicht von Menschen geformter Lebensraum gemeint, eine »Wildnis«, in der alle Lebewesen harmonisch miteinander leben – eine Art Paradies. Man stellt sich Natur als etwas Statisches, Heiles vor, das erst der Mensch durch seine massiven Eingriffe ins Ungleichgewicht gebracht hat. Das ist zwar eine Sichtweise, die in dieser expliziten Form schnell als naiv und romantisierend entlarvt wird. Unbewusst tragen die meisten von uns dieses Bild aber trotzdem mit sich herum.

Auf der anderen Seite sprechen wir davon, wie grausam die Natur sein kann: Naturkatastrophen löschen das Leben ganzer Landstriche aus, Raubtiere verspeisen ihre Opfer bei lebendigem Leib. Und überhaupt: Die Natur sei ein einziges Fressen-und-gefressen-Werden. Man spricht vom »survival of the fittest«, was übrigens nicht bedeutet, dass der Stärkste sich durchsetzt, sondern der am besten (an eine sich permanent wandelnde Umwelt) Angepasste. Die Umwelt übt einen starken Selektionsdruck auf alle Lebewesen aus. Sie konkurrieren um begrenzte Ressourcen. Krankheiten und Schwäche werden unbarmherzig ausgemerzt. In der »unberührten« Natur stirbt man in der Regel nicht an Altersschwäche. Früher oder später geht man an einer Krankheit zugrunde, verhungert, verletzt sich oder wird gefressen.

Heute zählt es schon fast zum Allgemeinwissen, dass es »den Bienen schlecht geht«. Jeder hat schon mal etwas davon gehört, dass viele Bienenvölker sterben und dass es mittlerweile zu wenig Bienenvölker gibt. Der Begriff »Bienensterben« ist in aller Munde. Die Ursachen sind vielfältig, haben aber letztlich alle mit menschlichen Einflüssen zu tun. Neben der intensiven Haltungsform und einseitigen Zucht in der konventionellen Bienenhaltung sind es Parasiten und Krankheiten, die vor allem durch die Globalisierung über den gesamten Globus verbreitet wurden, Pestizide, eine verarmte Landschaft …

Bienen natürlich halten?

Die Popularität des Begriffs »Natürliche Bienenhaltung« versteht man erst vor diesem beschriebenen Hintergrund wirklich. Der Mensch hat alles durcheinandergebracht. An den Bienen, die an einer Schlüsselstelle im Ökosystem leben, wird es besonders deutlich. Was liegt näher, als das Motto »Zurück zur Natur« auszugeben? Das geht so weit, dass manche Imker ihre Bienen nicht mehr gegen die gefürchtete Varroamilbe behandeln wollen, die als einer der Hauptverursacher des Bienensterbens gilt. Mutter Natur soll es richten. Die Bienen sollen die Chance haben, selbst resistent zu werden.

Wenn wir uns die Geschichte der lebendigen Natur anschauen, muss man allerdings festhalten, dass es nicht von vornherein klar ist, dass sich eine Art erfolgreich an geänderte Umweltbedingungen (wie an die Varroamilbe) anpasst und wie lange das dauert. Weit über 99 Prozent aller Arten sind im Laufe der Evolution früher oder später ausgestorben. »Aussterben« ist genau genommen sogar das natürliche Ende einer jeden Art.

Wir verorten die Natur zumeist außerhalb der Städte und Siedlungen. Dort findet sich aber – abgesehen von den schwindenden Urwäldern und anderen Formen von Wildnis – eine stark vom Menschen geformte Kulturlandschaft. Anderseits ist die Artenvielfalt in Städten zum Teil höher als in eher landwirtschaftlich geprägten Landstrichen. Wir müssen den Menschen wieder als Teil der Natur begreifen. Jede Lebensform lebt in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt und beeinflusst sie. Auch ohne menschliches Zutun hat es immer wieder umwälzende Prozesse in unserem Ökosystem gegeben, die das Gesicht der Welt komplett verändert haben. Alles steht in Wechselwirkung.

Sicherlich ist der Mensch für ein erhebliches Artensterben verantwortlich und beutet die natürlichen Ressourcen auf eine – vor allem für ihn selbst – ungesunde Art aus. Aber wir können den Menschen nicht von der Natur scheiden und wir sollten die Natur nicht nur außerhalb unserer Städte suchen. Diese sogenannte »integrative Naturauffassung« gewinnt in Naturschutz, Ökologie und Stadtökologie zunehmend an Bedeutung. Wenn wir heute die Natur schützen wollen, dann geht es eigentlich darum, ein Ökosystem mitzugestalten, das auch für den Menschen einen nachhaltigen Lebensraum bietet. Natur ist ein dynamischer Prozess und wir stecken mittendrin. Heute suchen wir nach einer neuen Rolle in diesem Prozess.

Menschen und Honigbienen verbindet eine lange gemeinsame Geschichte. Über viele Jahrtausende war der Mensch ein Honigräuber und hat wilden Bienenvölkern ihren Honig gestohlen. Zum Teil wurden die Völker dabei zerstört. Seit etwa 4000 v. Chr. werden Bienen auch in künstlichen Behausungen angesiedelt, um einfacher Honig zu ernten und mehr Bienenvölker betreuen zu können. Die ursprünglichen Bienenrassen waren lokal gut an die jeweiligen Umweltbedingungen angepasst. Mittlerweile wird die Europäische Honigbiene (Apis mellifera) überall auf der Welt gehalten. Sie hat zum Teil einheimische Arten verdrängt, zum Teil lebt sie neben den einheimischen Arten, und teilweise wird sie in Regionen gehalten, in denen es sie ursprünglich gar nicht gab. In die USA kamen die Honigbienen erst mit den europäischen Siedlern. Vorher gab es sie dort nicht und sie haben auch nicht gefehlt. Sie sind dort eigentlich Neozoen. So nennt man Tiere, die sich ohne oder mit menschlicher Einflussnahme in einem Gebiet etabliert haben, in dem sie zuvor nicht heimisch waren. Erst mit der intensiven Landwirtschaft brauchte es diesen leistungsfähigen Bestäuber. Wenn alle Honigbienen in den USA aussterben würden, wäre das historisch gesehen vielleicht »natürlich«. Eine fremde, von Menschen eingeschleppte Art wäre wieder verschwunden. Von der Bestäubung durch Honigbienen hängen aber etwa 35 Prozent der Weltnahrungsproduktion ab. Am extremsten wird das an den Mandelplantagen in Kalifornien deutlich: Ohne die Europäische Honigbiene gäbe es 90 Prozent der Weltmandelernte nicht.

Die Krise der Honigbiene ist genau genommen vor allem eine Krise der Landwirtschaft, aber auch unserer Kulturlandschaft. Erst nach der letzten Eiszeit vor etwa 10 000 Jahren wanderten die heute vorkommenden Honigbienen nach Mitteleuropa ein. Seitdem haben sich unsere Flora und Fauna jahrtausendelang in Wechselwirkung mit ihnen entwickelt. Die wilden Tiere sind auch auf die Früchte und Samen angewiesen, die sich durch die Bestäubung der Honigbienen entwickeln. Die ganze Nahrungskette unserer Kulturlandschaft hängt daran. Wenn wir diese von Menschen geformte, menschenfreundliche Natur erhalten wollen, müssen wir uns auch um die Zukunft der Honigbienen kümmern. Das hat aber wenig mit einer restaurativen, romantischen Vorstellung von »Natur« zu tun.

Aus diesen knappen Überlegungen ist vielleicht deutlich geworden, warum ich »natürlich« für keinen guten Begriff halte, wenn man über eine bienenfreundlichere Art der Bienenhaltung sprechen will. Es gibt für mich zwei wesentliche Aspekte, warum ich mich überhaupt mit Bienen beschäftige. Das eine ist die Sorge um unsere Zukunft, in der Honigbienen eine wichtige Rolle spielen. Das andere ist die Faszination für diese besonderen Geschöpfe und der daraus erwachsene Wunsch, mit ihnen respektvoll umzugehen. Für mich ist das auch eine Frage der Ethik: Ich möchte andere Lebewesen nicht nur als Objekt meiner Interessen sehen. Selbst der Wunsch Bienen zu halten, weil man das so interessant findet oder einen Beitrag zum Schutz der Honigbiene leisten will, kann bei Lichte besehen ein eher selbstbezogener Wunsch sein. Mir ist es wichtig, meinen Mitgeschöpfen auch eine eigene Würde zuzubilligen und ihnen mit Respekt zu begegnen.

Wir stehen dabei vor dem Problem, dass Bienen Insekten sind. Sie sind uns vom Wesen her sehr fremd. Es ist unklar, was sie empfinden können. Kennen sie Schmerz, Hunger oder gar Glück? Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass sie durchaus Zustände kennen, die man beispielsweise mit »glücklich« oder »beunruhigt« beschreiben könnte. Das gilt nicht nur für die Biene als Einzelwesen, sondern auch für den gesamten Superorganismus Bien. Auch er kennt Gefühlszustände. Wenn der Schwarm beispielsweise die Pheromone seiner Königin wahrnimmt, wirkt er glücklich. Ein weiselloses Bienenvolk wirkt dagegen sehr beunruhigt. Einer der derzeit führenden Bienen- und Gehirnforscher, Prof. Randolf Menzel, ist sogar der Ansicht, dass Bienen eine Vorstellung von sich selbst haben, also selbst-bewusst sind. Menzel ist überzeugt: »Die Biene hat eine innere Welt. Sie können auch Seele dazu sagen.«